Die Blusen des Böhmen - Robert Gernhardt - E-Book

Die Blusen des Böhmen E-Book

Robert Gernhardt

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Beschreibung

Diese Bildergeschichten, Karikaturen und Kriminalstories lassen kaum einen Sachverhalt ungeschoren, kaum etwas unberührt: Ob Fußball, Wetterbericht oder Piero della Francesca – da ist kein Thema, dem Robert Gernhardt für seine hintergründigen, tiefsinnigen Grotesken nichts Komisches abgewinnen kann.

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Seitenzahl: 151

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Robert Gernhardt

Die Blusen des Böhmen

Geschichten, Bilder, Geschichten in Bildern und Bilder aus der Geschichte

FISCHER E-Books

Inhalt

[Motto]Ein Bild und seine GeschichteFrage und AntwortIm BistroDer WetterberichtVater, o Vater!Ehe im SturmDie BegegnungDie Prophezeiung[Als Vertreter in der Antarktis]Neun Geschichten aus aller WeltFrankreichArabienDeutschlandGriechenlandPortugalHessenBelgienEnglandBei einem Wirte wundermild …Die sensationelle Super-SauereiDer GeniusDie rosa GefahrDrei FabelnDer Eremit und der TausendfüßlerDas Wandbild und das PaßbildDer Uhu und der HaseBelsazars TodToskanische BegegnungUrlaub auf Ehrenwort[Traugott von M. in: Der Abschiedsbrief][Schau nur! Die ersten Mauersegler!]Noch ein Bild und seine GeschichteSechs MärchenDer Pornogroßhändler im GlückVom lieben Gott, der über die Erde wandelteDas Erdmännchen und der RaketenbauerEin WintermärchenDie Waldfee und der WerbemannVom Kindlein, das ein Hochhaus betratDas schwere Amt der Maria ZierlingErlebnis in einem BiergartenDer RufFörsters Geständnis[Der Musketier und das Meerschweinchen]Der SkihaseLeute von heuteEin verwirrender Moment im Leben des Ferry KrawatzkoDer lange, aber tragische Kampf des Emil BuchheisterDer Fall BinderRalf und HerbertDer FluchFreiheit und BindungWenn Worte reden könnten[Tag Emil, ...]Herr Wesel in NötenDer Biber von EschnapurDer AndereDie Probe[Wollen Sie mal ...]Die ÜberraschungDer NeueEin Mann aus Galiläa[Das Janusgesicht des Erfolges]Geschichte in GeschichtenDer betrogene BetrügerEin MalerschicksalDie Großmut des MächtigenHehre StundeAbschuß Nr. 62LegendeDie AuskunftSachen gibt’s …Wo man singt …Im BüroKleine Begebenheiten um große NamenKaiser von ChinaFriedrich der GroßeNicolo PaganiniSigmund FreudErwin UllsteinWilli BlassClaus v. AmsbergSepp Maier[»Toll«]Der Einzelne und die Masse[Traugott von M. in: Ein Leben für den König]HaarspaltereienMänner müssen so seinEin alter Mann erzähltIm Stadtpark, 15 Uhr 45Der GezeichneteAkademiker unter sichDer Lokalschreck1:0 für Herbert[Kurzgeschichte]Der ungetreue VorarbeiterPeinlich, peinlichGib nicht so an[Traugott von M. in: Die Fehlleistung]Die ErgreifungDer VergleichDurch Bella Italia mit der – – NuckelpinneUnd noch ein Bild und seine GeschichteDer Fremde halfJägerschicksalDie Brücke[Jetzt habe ich ...]Drei Berliner GeschichtenSchwänzchenDie FalleEin JobReden ist SilberDer gemeine GustavOhne Worte[Traugott von M. in: Slawisches Abenteuer][Worauf man beim ...]AusklangWie Orbi den Urbi einmal furchtbar hereinlegte[Komm’ ran, Kleiner ...]Bibliographische Notiz, 1977[Skizzenblatt]

… Du sorgst für Wohlgeruch und für den Wasserkrug

Und hältst dem Bette fern der giftigen Mücken Flug,

Und wenn im Morgenwinde singen die Platanen,

Gehst du zum Markt nach Ananassen und Bananen …

 

Charles Baudelaire, ›Auf dein Mädchen in Malabar‹,

übersetzt von Carlo Schmid

Ein Bild und seine Geschichte

Als der nachmalige Kaiser Napoleon noch nicht der drahtige kleine Korse, sondern ein schnauzbärtiger Lausbub war, drohte ihm seine Angewohnheit, in fremde Papierkörbe zu treten, zum Verhängnis zu werden. Denn wo er auch war, stets stiefelte er zuerst in den Papierkorb, und schließlich stand bei allen gebildeten Franzosen fest: »Soo bringt der es nie bis zum Kaiser!«

Da beschloß seine Mutter, Madame Napoleon, ihrem Sohn in Zusammenarbeit mit der Marineleitung einen Streich zu spielen, der ihn von seiner Unsitte heilen sollte. Jedoch der Streich mißlang, und als Napoleon, nun doch Kaiser geworden, der unvergessenen Königin Luise gegenübertrat, marschierte er als erstes in ihren Papierkorb, worauf die Königin aus ihrem Wandschrank trat und ihrer Wache zurief: »Ich möchte nicht wissen, wohin wir kämen, wenn das jeder machen wollte!«

Das nahmen sich die Wachen sehr zu Herzen, sie machten in Zukunft stets einen großen Bogen um alle Papierkörbe.

Napoleon aber starb hochberühmt und steinalt auf St. Helena, einer wunderschönen Kokotte, die das St. eigens deshalb vor ihren Namen gesetzt hatte, weil der Kaiser so gerne in fremde Papierkörbe STtiefelte.

Frage und Antwort

Im Bistro

Der Wetterbericht

Vater, o Vater!

Ehe im Sturm

Was bisher geschah: Herbert ist seit zwei Wochen mit Anne verheiratet, doch er wird das Gefühl nicht los, daß in seiner jungen Ehe etwas nicht stimmt. Er wendet sich an seine Freunde Bogi, Gregor und Erwin. Diese äußern einen Verdacht, den Herbert anfangs brüsk zurückweist. Daraufhin schaltet Bogi einen Privatdetektiv ein. Dieser hat ihm gerade das Ergebnis seiner Ermittlungen mitgeteilt, doch Bogi wagt es nicht, Herbert selbst zu unterrichten. Statt dessen ruft er Gregor an …

Doch auch Gregor bringt nicht den Mut auf, Herbert mit der Wahrheit zu konfrontieren. Statt dessen ruft er Erwin an …

Erwin schließlich wagt es …

Wie wird Herbert auf diesen Schock reagieren?

Muß seine junge Ehe nun scheitern?

Oder wie?

Oder was?

Wird fortgesetzt!

Die Begegnung

Die Prophezeiung

Neun Geschichten aus aller Welt

Frankreich

Die bekannte Streitfrage der Scholastiker, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben, erregte die Gemüter der Pariser Theologen so sehr, daß sich der Dekan 1289 zu einem damals ungewöhnlichen Schritt entschloß. Des Streites der drei sich befehdenden Gruppen müde, lud er sie am ersten Sonntag nach Trinitatis in die Aula der Universität ein.

»Wie viele Engel haben nach Eurer Meinung Platz auf einer Nadelspitze?« fragte er Le Varlin, den Sprecher der ersten Gruppe. »Kein einziger«, antwortete dieser, »die ätherische Beschaffenheit dieser Wesen …«

»Das wissen wir«, unterbrach ihn der Dekan und sah Grandgouche, den Sprecher der zweiten Gruppe, an. »Was meinen Sie?«

»Natürlich 150«, entgegnete dieser, »wer sich nur etwas in den Schriften des Thomas von Aquin …« »Danke«, sagte der Dekan und wandte sich an Batteux, den Verfechter des dritten Standpunkts. »Jeder«, sagte dieser zornig, »der nur etwas Verstand hat, wird wissen, daß es unzählige sind. Diese immateriellen Geschöpfe …«

»Gut«, sagte der Dekan laut, »wir kennen nun Ihre Meinungen. Jetzt passen Sie mal auf.« Er griff in seine Tasche, holte eine Nadel heraus und steckte sie mit dem stumpfen Ende in eine Tischritze. Darauf faltete er seine Hände, und nach kurzer Zeit kamen einige Engel in den Raum geschwebt. Sie kreisten eine Weile über der Nadel, dann setzte sich erst einer darauf, nach einigem Zögern ein zweiter, schließlich ein dritter. Ein vierter Engel versuchte es, rutschte aus und fiel auf den Tisch. Er versuchte es ein zweites Mal, wieder mißlang es, die Nadel bot keinen weiteren Platz mehr. Die Engel blieben eine Weile, dann verließen sie lautlos die Aula.

»Bitte schön«, sagte der Dekan nach einer Pause, »es sind drei Engel, keiner mehr, keiner weniger. Und jetzt beendet den Streit.« Die Sprecher der Parteien schwiegen einen Moment.

»Das waren aber merkwürdige Engel«, sagte Le Varlin schließlich.

»Sie waren viel zu groß«, sagte Grandgouche.

»Jeder, der nur etwas von Engeln versteht«, sagte Batteux, »wird wissen, daß das keine waren, da ihre immaterielle Substanz es ermöglicht, daß unzählige von ihnen auf einer Nadelspitze Platz haben.«

»150«, meinte Grandgouche.

»Keiner«, sagte Le Varlin fest.

»Aber meine Herren«, rief der Dekan, »nun ist doch bewiesen …«

»Bewiesen ist nur eines«, sagten die Sprecher aus einem Munde, »daß das keine Engel waren.«

Und da sie sich das erste Mal in ihrem Leben einig waren, marschierten sie schnurstracks zum Großinquisitor, dem der Dekan schon lange ein Dorn im Auge war. Am zweiten Sonntag nach Trinitatis sah man denn auch den schönsten Scheiterhaufen, der je vor Notre-Dame gebrannt hatte.

Arabien

Achmed, ein Kaufmann aus Bagdad, hatte sich kaum im Hafen von Dschidda eingeschifft, als sein mit kostbaren Tuchen beladenes Schiff in einen furchtbaren Sturm geriet und mit Mann und Maus unterging. Er allein konnte sich auf einem Delphin retten, doch auch das hätte ihm nicht viel genützt, wenn nicht ein Greif beide gepackt und in sein Nest getragen hätte. Von dort floh der Kaufmann, indem er aus den Flügeln der jungen Greifen einen Flugapparat baute, gelangte in ein unermeßlich reiches Land, in dem die Menschen auf dem Kopf gingen, und wurde dort Ratgeber des Königs.

Die Sehnsucht nach seiner Heimat ließ ihn erneut flüchten, Menschenfresser fingen ihn, er entkam mit Hilfe der Tochter des Häuptlings, erreichte das ferne China, fand dort den geheimen Zugang zum Goldland und kehrte nach vielen Jahren zehnmal so reich nach Bagdad zurück, wie er ausgezogen war.

Der erste, den er dort traf, war ein alter Freund. »Hallo, Achmed«, rief dieser, »dich hat man aber schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wie ist es dir denn in der Zwischenzeit ergangen?«

»Ich kann nicht klagen«, antwortete Achmed. »Und was hat sich hier getan?«

»Allerhand, mein Lieber«, sagte der Freund, »Said zum Beispiel hat den Teppichhandel aufgegeben und ist jetzt bei Fajoud in Medina angestellt.«

»Unglaublich«, unterbrach ihn Achmed.

»Und der alte Ibn Mir hat seine zweite Frau verstoßen und die Tochter des Wasserträgers geheiratet!«

»Na ist denn das zu fassen. Die Tochter des Wasserträgers!«

»Ja«, sagte der Freund, »sie ist allerdings eine Schönheit. Und der kleine Ben Zwi ist zum zweiten Male Vater geworden.«

»Der kleine Ben Zwi«, rief Achmed aus, »ja ist denn das die Möglichkeit! Erzähle mir mehr!«

Und da sie an diesem Tage nicht fertig wurden, lud Achmed seinen Freund in seinen Palast ein, wo ihm dieser 40 mal 40 Tage Bericht erstattete. Reich beschenkt, machte er sich schließlich daran aufzubrechen, als er auf der Treppe noch einmal stehenblieb.

»Um das noch kurz zu erzählen, der alte Mouludji hat sich mit Harun verkracht.« »Das höre ich ja das erste Mal«, schrie Achmed, »das mußt du mir aber genauer erzählen.«

Und so blieben sie weitere 40 Tage und Nächte beisammen, denn, wie schon der Koran sagt, von drei Dingen kann der Mann nicht genug bekommen: von Frauen, von Kus-Kus und von guten und lehrreichen Geschichten.

Deutschland

Während eines juristischen Staatsexamens stand der Prüfling, der die Fragen bis dahin nur zögernd und etwas zerstreut beantwortet hatte, plötzlich auf und sagte ohne ersichtlichen Anlaß: »Meine Herren, merken Sie nicht, wie eitel all das ist, was wir hier treiben? Keiner von uns kennt die Stunde seines Todes, aber jeden von uns wird er einmal ereilen. Das allein ist sicher in diesem Leben, das doch nur ein Schatten ist, ein kurzer Wandel …«

»Herr Lechte«, unterbrach ihn der prüfende Professor, »Sie haben sich hier zu einem Staatsexamen eingefunden. Das ist nicht der Ort für solche Reden. Ich bitte Sie …«

»Nicht der Ort?« fragte der Prüfling mit weitaufgerissenen Augen. »Überall ist der Ort, die Botschaft unseres Herrn zu verkünden. Er hat uns aufgetragen, sein Wort zu verkünden, wo immer es sei. Gehet hin, sprach er …«

»Sie haben ja vollkommen recht«, schaltete sich ein zweiter Professor ein, »wir teilen Ihre Ansicht, nur …«

»So«, sagte der Prüfling, »Sie teilen sie? Dann lasset uns aufstehen und den Herrn mit fröhlichen Liedern preisen, der soviel Gutes an uns getan hat!« Und er begann, mit lauter Stimme »Geh aus mein Herz« zu singen.

Die Professoren schwiegen betreten. Der Prüfling unterbrach seinen Gesang. »Singt mit!« rief er. »Der Fröhliche ist dem Herrn wohlgefällig …«

»Wenn Sie sich nicht augenblicklich wieder hinsetzen, dann sind Sie durchgefallen«, schrie der prüfende Professor.

Der Prüfling sah ihn erstaunt an. »Sie wollen jemanden durchfallen lassen, weil er Sein Wort verkündet?«

»Aber nein!« brüllte der Professor.

»Sondern?« fragte der Prüfling.

»Die Prüfungsordnung schreibt vor …«, sagte der Professor.

»Menschenwerk«, unterbrach ihn der Prüfling.

Die Professoren steckten die Köpfe zusammen. »Sie haben bestanden«, sagte der Prüfungsvorsitzende schließlich. »Und jetzt gehen Sie bitte!«

»Wie wunderbar sind die Wege des Herrn«, rief der Prüfling, »lasset uns unsere Stimmen erheben …«

Doch die Professoren hatten im Nu den Raum verlassen.

Der Prüfling zog lächelnd seinen Mantel an. »Wer nur den lieben Gott läßt walten«, sang er laut und trat auf den sonnigen Flur, in dem sein Gesang noch einmal so schön widerhallte.

Griechenland

Da die Geschichte von Ikarus und Daedalus bisher immer verfälscht wiedergegeben worden ist, soll hier einmal die Wahrheit erzählt werden.

Denn es war keineswegs so, daß Ikarus entgegen den Warnungen seines Vaters so hurtig der Sonne entgegenstrebte, daß diese das Wachs seiner Flügel zum Schmelzen brachte und er darauf jämmerlich ertrank. Wie jedes Kind weiß, wird es in den höheren Luftschichten immer kälter, und tatsächlich ist jene Version nachträglich von Daedalus erfunden worden, um den Leuten zu erklären, wo sein Sohn geblieben sei.

Ikarus nämlich, der Jahre mit seinem Vater im Labyrinth gelebt hatte, war der ständigen Bevormundung müde und flog seinem schon ergrauten Vater einfach davon. Denn zu allen Zeiten schon wollte die Jugend ihr eigenes Leben leben.

Der väterlichen Obhut entronnen, hielt Ikarus Kurs auf Korinth, landete dort und begann unverzüglich das ausschweifendste Lasterleben, das man sich nur denken kann. Dabei kam es ihm anfangs zugute, daß er stets seine Flügel bei sich trug und sich so jeder Bezahlung pfeilschnell entziehen konnte. Doch bald verlor er, vom vielen Trinken und Huren geschwächt, die Kondition, und seitdem er einmal völlig betrunken gestartet und gegen eine Hauswand geprallt war, beschränkte er sich darauf, Reisende anzubetteln und kleinere Diebstähle zu versuchen. Dabei geschah es, daß er eines Tages einen Fremden bestahl, der sich jedoch blitzschnell umdrehte und ihn festhielt. Es war sein Vater Daedalus. »Ikarus«, sagte dieser betroffen, und sein Sohn schwur auf den Knien, sich von Stund an zu bessern. Sein Vater nahm ihn zu sich, doch nach zwei Tagen war der Sohn schon wieder ausgerissen. Nach langem Suchen fand ihn der Vater im verworfensten Haus des ganzen Hafens. »Ikarus«, sagte er, »ich werde dich einsperren müssen.« Doch sein Sohn floh wiederum, und sein Vater holte ihn endlich aus einer Kaschemme, wo er gerade seinen Rausch ausschlief. »Es muß sein«, sagte er hart, fesselte seinen Sohn und baute zwei Monate an dem sinnreichsten Labyrinth, das er je erdacht hatte. Dann führte er Ikarus hinein. »Hier wirst du jetzt bleiben«, sagte er. »Trinkwasser ist in diesem Brunnen, Nahrung wird dir täglich hineingeworfen. Mach’s gut.«

Und mit Hilfe eines Wollfadens fand er den Ausgang des Labyrinths, ohne auf die Hilferufe seines mißratenen Sohnes zu hören.

Seitdem aber saß Daedalus, und hierin hat die Überlieferung wieder recht, trauernd am Meer. Jedem, der nach dem Grund seiner Trauer fragte, erzählte er die bis auf unsere Tage überlieferte Darstellung vom Tod seines Sohns, der sich mit seinen Flügeln der Sonne genähert habe und dabei in das Meer gestürzt sei. Es ist verständlich, daß Daedalus dies tat. Denn zu allen Zeiten haben Väter versucht, die Schande ihrer Söhne zu verbergen. Die Leute aber glaubten ihm, er wurde von allen, die von seinem Unglück hörten, bedauert, und das Meer, an dem er trauerte, heißt bis auf den heutigen Tag das »Ikarische«.

Portugal

Der erfolgreichste, wenngleich unbekannteste Feldherr der neueren Geschichte ist ohne Zweifel der Portugiese Pedro Ramoes, der 1901 aufbrach, um das damals von allen Weltmächten umkämpfte China für Portugal zu erobern. Mit seiner äußerst disziplinierten Truppe verließ er schon im Januar seine Heimat, vermied in Spanien und Frankreich jede Feindberührung, durchquerte Deutschland mit Hilfe der Reichsbahn, führte seine 170 Getreuen auf Schleichwegen durch Rußland und das endlose Sibirien und stand im März des Jahres 1905 an der Grenze Chinas. Dort ließ er seine Truppen ausschwärmen und blies zum Angriff. Nach weiteren zwei Jahren hatte er, ohne irgendwelches Aufsehen zu erregen, Peking umzingelt, sich mit einer Kerntruppe in den Palast geschlichen und, nachdem Kundschafter versichert hatten, daß kein Chinese in der Nähe sei, blitzschnell die portugiesische Fahne auf der kaiserlichen Pagode gehißt. Einen Moment lang flatterte sie im frischen Winde, dann ließ Ramões sie eilig wieder einholen. »Wir Militärs haben unsere Pflicht getan, und ich danke jedem einzelnen von euch«, sagte er seinen Soldaten, »den Rest mögen die Politiker besorgen.«

Und ebenso planmäßig, wie die Truppe das Land erobert hatte, setzte sie sich wieder ab, durchquerte Sibirien und Rußland, schlich sich durch Polen, löste an der deutschen Grenze Fahrkarten, kroch durch Frankreich, hastete durch Spanien und erreichte 1914 die portugiesische Grenze. Hier allerdings machte Ramões den entscheidenden Fehler seiner Feldherrnlaufbahn, als er aus Freude über die geglückte Heimkehr seine Truppe mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel in Portugal einmarschieren ließ. Denn mittlerweile war – was er nicht wissen konnte – der Erste Weltkrieg ausgebrochen, und als die verwirrten Grenzposten das Heer einrücken sahen, eröffneten sie in der Meinung, die Franzosen oder gar die Deutschen seien dabei, in ihr Land einzufallen, das Feuer. Mit der Nationalhymne auf den Lippen, fiel das ruhmreiche Heer. Nur ein alter Oberst entkam, doch als er sich bei der Regierung in Lissabon meldete, hatte diese nichts Eiligeres zu tun, als ihn in eine Anstalt zu stecken, wo er noch viele Jahre verständnisvoll nickenden Wärtern und besorgt blickenden Ärzten von den Schönheiten Sibiriens und den Gefahren des Chinafeldzuges erzählte.

Hessen

Ein Reisender machte in einem kleinen Dorf Station und beschloß, im einzigen Gasthaus zu Mittag zu essen. Als er nach der Speisekarte verlangte, erklärte der Wirt bedauernd, daß er zur Zeit nur gedämpfte Mumeln anbieten könne. In Erwartung einer besonders ausgefallenen Spezialität bestellte der Reisende dieses Gericht, worauf der Wirt einen Teller brachte, auf dem vier kleine, grüne Früchte lagen. Mißtrauisch nahm der Gast eine von ihnen in den Mund und biß vorsichtig drauf. Sein Mißtrauen war berechtigt, die Früchte waren zäh und ohne Geschmack. Empört rief er nach dem Wirt.

»Ich habe eine Frage an Sie«, sagte er. »Wieso sind diese Mumeln so klein?« »Es war ein schlechtes Mumeljahr«, antwortete der Wirt. »Im letzten Jahr waren sie viel größer. Aber heuer kam ein unerwarteter Frost, und schon war die ganze Mumelernte verdorben.« »Sie sind aber nicht nur klein, sondern auch geschmacklos«, sagte der Gast böse. »Das war der Regen«, entgegnete der Wirt. »Wenn es regnet, verlieren die Mumeln ihren Geschmack.«