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Die königliche Vampirfamilie riskiert alles, um das Königreich und die, die sie lieben zu retten. Die aufregenden Abenteuer der Serie Königliches Blut, in einer Welt von Intrigen, Macht und Lust, werden Ihr Herz schneller schlagen lassen und Ihnen den Atem rauben!
Der Thron des Vampirs: Christopher Dal ist ein Vampirprinz, der sein Volk befreien will. Als Alice Jones, eine wunderschöne Fotografin, in seine gefährliche Welt kommt, müssen sie gemeinsam das Vampirkönigreich retten … und dafür ihr Leben riskieren.
Die Höhle des Vampirs: Danny Dal sucht nach der Wahrheit. Robin Ballard beschützt, was sie liebt. Gemeinsam laufen sie Hand in Hand der Gefahr entgegen, koste es, was es wolle.
Die Flucht des Vampirs: Benjamin Dal ist ein Vampir und Erfinder, der der Menschheit helfen möchten. Als die wunderschöne Witwe Lauren Vaughn in Gefahr gerät, müssen sie beide zusammen alles riskieren, um ihrem gemeinsamen Todfeind zu entkommen.
Die Entscheidung des Vampirs: Vampirprinzessin Valerie Dal will ihre Fehler aus der Vergangenheit wiedergutmachen. Sie begegnet dem attraktiven Einsiedler Mickey Shive, der die Welt verändern möchte. Zusammen wollen sie ihrem Volk helfen, aber können sie dabei auch sich selbst retten?
Die Reihe Königliches Blut ist eine Sammlung von vier übersinnlichen Liebesgeschichten, die auch die höchsten Ansprüche befriedigen.
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„Der Thron des Vampirs“
Von AJ Tipton
Übersetzung von Birga Weisert
Copyright © AJ Tipton 2015 Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (elektronisch, gedruckt, kopiert oder anderes) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche, schriftliche Genehmigung des Autors untersagt. - Die Genehmigung kann bei [email protected] angefragt werden.
Dieses Buch ist nur für den Verkauf an ein erwachsenes Publikum gedacht. Es beinhaltet sexuell explizite Szenen und Bildsprache, die manchen Lesern anzüglich vorkommen könnte.
Diese Arbeit ist reine Fiktion. Alle Charaktere, Namen, Orte und Vorfälle, die in diesem Werk vorkommen, sind fiktiver Natur. Jegliche Ähnlichkeiten zu realen Personen, lebendig oder tot, Organisationen, Vorkommnissen oder Lokalitäten ist reiner Zufall.
Alle sexuell aktiven Charaktere dieses Buches sind 18 Jahre oder älter.
Cover-Art-Fotos bereitgestellt durch CirceCorp
Alice Jones musste eine leichte, nervöse Übelkeit unterdrücken, als sie in die parfümgeschwängerte Luft der noblen Kunstgalerie trat. Die gesamte Einrichtung der beeindruckenden Galerie war in einem edlen, rustikalen Stil gehalten, von den riesigen Räumen mit kunstvoll freigelegten Rohren an der Decke bis zu den intimen Nischen aus rohem Ziegelstein und Glas.
Alices bewegte sich unsicher auf ihren geliehenen Stöckelschuhen; bei jedem Schritt riskierte sie auf ihren Hintern zu fallen, aber sie war fest entschlossen, sich aufrecht zu halten. Klasse. Denk dran, du hast Klasse, dachte sie. Bei jedem Schritt erwartete Alice beinahe, dass irgendjemand sie mit den Worten „Eindringling aus dem niederen Volk!“ beschimpfen und ihre Fotografien von der Wand reißen würde. Bis jetzt allerdings nickten die reichen Gäste wohlwollend bei der Betrachtung ihrer Werke und lächelten soweit es ihre durch Botox extrem begrenzte Mimik zuließ.
Ein schweres Weinglas wurde ihr plötzlich in die Hand gedrückt. Alice sah auf und blickte in das lächelnde Gesicht der Galeriebesitzerin, Margot Dal.
„Du siehst aus als könntest du einen Drink gebrauchen.“ Margot deutete auf das Glas, das bis zum Rand gefüllt war. Alice befürchtete, dass beim leisesten Luftzug, die Flüssigkeit auf ihre Bluse spritzen würde.
„Um damit zu duschen?“, fragte Alice. Sie neigte übertrieben vorsichtig den Kopf und nahm einen betont langsamen Schluck, ohne die Hand zu bewegen, schenkte Margot aber dankbares Lächeln. In den letzten Wochen vor der Eröffnung der Ausstellung hatte Alice eng mit Margot zusammengearbeitet, aber die große, beeindruckende Frau schüchterte sie noch immer etwas ein.
„Was soll ich sagen? Ein wahrer Freund hilft dir dabei, deine Hemmungen zu überwinden.“ Margot war aber nicht mehr richtig bei der Sache. Sie ließ ihren Blick durch die Menge wandern, als ob sie jemanden suchte.
Alice zwang sich ruhig zu bleiben. Sie würde alles geben, um auch nur halb so gelassen zu sein wie Margot. Margot wirkte an jedem Ort entspannt und selbstbewusst, aber in ihrer Galerie war sie wie eine Königin. Ihre dunkle Haut schimmerte golden im Licht der Lampen, und ihr schwarzes Kleid war schlicht, geschmackvoll und kostete wahrscheinlich mehr als Alices monatliche Miete. Für das große Debüt ihrer Fotografien hatte Alice ihre letzten Pfennige zusammengekratzt, um sich ein neues Kleid zu kaufen. Sie erblickte ihr Spiegelbild und zog eine Grimasse. Ihr rotes Haar lockerte sich aus dem straff geflochtenen Zopf und die entkommenen Strähnen umspielten weich ihr Gesicht. Ihre strahlend blauen Augen wirkten durch Lidstrich und Schminke riesengroß. Das trägerfreie grüne Abendkleid war gar nicht so schlecht. Es schmiegte sich eng an ihren Körper und betonte ihre schmale Taille. Kleine weiße Perlen am Ausschnitt lenkten die Aufmerksamkeit auf ihr üppiges Dekolleté. Ein lilafarbener Schal bedeckte ihre Schultern und ihren Nacken. Er hatte die gleiche Farbe wie die Ohrringe aus Kristallperlen. Alice musste sich sehr beherrschen, um sich nicht in den Falten ihres Schals zu verkriechen. Je länger sie hier war, desto mehr wünschte sie sich, sie hätte Margots Angebot, ihr eines ihrer vielen Designerkleider zu borgen, angenommen.
„Weißt du, ob schon einige Bilder verkauft worden sind?“ Alice nippte an ihrem Glas und versuchte, die Frage möglichst nebensächlich hervorzubringen, als ob ihr die Antwort eigentlich egal wäre.
Margot lachte leise. Ihr konnte man nichts vormachen. „Mach dir keine Gedanken, Süße. Überall erscheinen kleine, rote Punkte, die einen abgeschlossenen Verkauf anzeigen.“ Sie sah Alice an und zog die Augenbrauen hoch. „Aber du weißt schon, was den Verkauf noch fördern würde, oder?“
„Was denn?“ Alices Magen machte einen nervösen Hopser. Sie ahnte schon, was Margot sagen wollte.
„Du musst mit den Leuten sprechen. Sie müssen dich und die Geschichten hinter den Fotos kennenlernen.“ Margot deutete mit einer schnellen Handbewegung auf die Menschenmenge in der Galerie. „Du weißt doch, wie diese reichen, gelangweilten Typen sind; sie wollen nicht nur die Kunst, sondern auch die Geheimnisse, die sich dahinter verbergen.“ Margot sah Alice streng an. „Trink mindestens ein Viertel von diesem Wein und dann sieh zu, dass du aus dieser Ecke rauskommst, bevor ich dich mit einem Besen herausbugsiere.“ Es hörte sich an als würde sie scherzen, aber Alice zweifelte nicht daran, dass Margot ihre Drohung in die Tat umsetzen würde.
Eine Frau, die aussah als wäre sie gerade der Titelseite eines Frauenmagazins entsprungen, kam auf sie zu und zwinkerte Margot zu. Die Galeristin nahm sich ein Glas vom Tablett eines vorbeigehenden Kellners und lächelte.
„Die Pflicht ruft.“ Margot leckte sich die Lippen und drückte Alices Hand. „Du schaffst das schon. Heute ist dein großer Abend! Genieße ihn.“ Und weg war sie. Alice blinzelte, da war Margot schon auf der anderen Seite des Raumes, lächelte strahlend und unterhielt sich vertraulich mit dem Titelseitenmädchen.
Alice blickte auf ihr Glas hinab. Noch ein paar Schlucke, dann könnte sie sich mit dem Glas in der Hand sicher und ohne Spritzer unter die Leute mischen. Kurz zog sie in Betracht, sich aus Trotz noch eine weitere Stunde hier in der Ecke zu verstecken, aber sie wusste, dass Margot Recht hatte. Diese Ausstellung war ihre große Chance, Verbindungen zu knüpfen und ihre Karriere als Fotografin zu fördern, damit sie endlich ihren langweiligen Job als Verwaltungsassistentin hinschmeißen konnte. Sie nahm einen großen Schluck Wein.
Keine langweilige Büroarbeit mehr.
Keine endlose Pendelei mehr.
Nie wieder hektische Fototermine in der halbstündigen Mittagspause.
Die Aussicht, ihren stinklangweiligen Bürojob loszuwerden, machte ihr die Entscheidung, sich mit fremden Leuten unterhalten zu müssen, etwas leichter. Fest umklammerte sie den Stiel ihres Weinglases. Ein gut angezogenes Pärchen, das Alice aus einer Reality-Fernsehsendung wiedererkannte, starrte sie an. Die Frau spielte mit dem Kragen ihrer Jacke mit Leopardenmuster und der Mann fummelte an seinem Handy herum.
„Das ist alles so derivativ und prosaisch.“ Die Frau rümpfte die Nase. „Rhys wird sich über Margots Abkehr vom guten Geschmack totlachen. Was soll das...“ Die Frau zeigte auf eines von Alices Fotos, das in der Nähe hing, ein kontrastreiches Bild von den Bolzen an einer Abfalltonne in der Abenddämmerung.
Alice kämpfte die Röte nieder, die ihr ins Gesicht stieg. Der Mann sah von seinem Handy auf. „Was hast du gesagt, Schätzchen?“
„Der Titel der Ausstellung, Wundersame Details. Was ist wundersam an einer blöden Abfalltonne?“
Der Mann zuckte die Achseln. „Irgendein Rockstar hat gerade das Foto mit der Haarbürste für eine fünfstellige Summe gekauft. Er sagte, es sei irgendwas Urbanes, oder so ähnlich.“
„Humanes, meinst du, oder? So ein Blödsinn.“ Sie rieb sich die Nase und brabbelte undeutlich, dass sie zur Toilette gehen wollte. Der Mann nickte und folgte ihr.
Alice kämpfte gegen den Wunsch an, sich noch tiefer in ihrer Ecke zu verstecken. Blödsinn? Hatten die eine Ahnung, wie schwer es war für das perfekte Foto genau den richtigen Lichteinfall zu finden oder den genauen Moment abzupassen, wenn die Sonne auf--
Alice schüttelte den Kopf.
Du schaffst das hier. Du brauchst nicht den Respekt oder das Verständnis solcher Leute. Jemand hat gerade eines meiner Fotos für einen fünfstelligen Betrag gekauft! Sie sind also nicht alle oberflächliche Idioten. Geh jetzt einfach da raus.
Sie schaffte es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und gelangte schließlich in die Mitte des Raumes.
Schluss mit dem öden Bürojob.
Schluss mit dem öden Bürojob.
Sie sang die Worte im Kopf vor sich hin, während sie durch den Raum ging und den Leuten zunickte und lächelte. Die Gäste, die sie von ihrem Foto aus der kurzen Biografie im Programmheft erkannten, riefen ihr Gratulationen zu ihrer ersten großen Ausstellung zu. Das war alles sehr nett, aber nachdem Alice zum fünfzigsten Mal wiederholt hatte, dass es eine wirkliche Ehre war, hier zu sein, befürchtete sie, dass sich der Stress langsam auf ihrem Gesicht abzeichnete.
Alice tupfte sich vorsichtig den Schweiß im Nacken ab und sah sich nach Margot um. Ob sie mir bei lebendigem Leib die Haut abzieht, wenn ich Kopfschmerzen vortäusche und nach Hause gehe?, fragte sie sich.
„Ich hätte es nie zu träumen gewagt, dass die Künstlerin noch schöner ist als ihre Werke“, sagte eine angenehme Stimme hinter ihr.
Alice fuhr herum. Das Glas in ihrer Hand neigte sich und der Wein ergoss sich, wie in Zeitlupe, in hohem Bogen über einen großen Mann mit kurz getrimmtem Bart, der nur einen Meter von ihr entfernt stand. Der rote Wein auf seinem Hemd wirkte wie Blut in einer Mordszene.
Neeeein. Sie streckte die Hand aus, wie um die Flüssigkeit in der Luft aufzuhalten, aber es war zu spät. Der blutrote Fleck dehnte sich bereits auf seinem frischen, weißen Hemd aus, wie eine Landkarte von Asien.
„Oh mein Gott! Das tut mir so leid!“, rief Alice und sprang vor, um den Fleck mit ihrem Schal abzutupfen.
„Das ist doch nicht so schlimm.“ Die Stimme des Mannes war leise und melodisch und verursachte eine leichte Gänsehaut auf ihrem Rücken. „Das Hemd kann etwas Farbe gut gebrauchen.“
Alice sah ihn verstohlen an, und durch sein strahlendes Lächeln erhellte sich ihr Gesicht, als ob sie im Scheinwerferlicht stünde. Sofort hatte sie den Wunsch sein Gesicht aus jedem erdenklichen Winkel zu fotografieren. Der Goldene Schnitt seiner Gesichtszüge, die Barthaare an der Rundung des Kinns, die leichten Lachfalten um seinen Mund und die Sorgenfalten an seiner Stirn erforderten ein Zoom-Objektiv und das hellstmögliche Licht. Eigentlich waren Porträtfotos gar nicht ihr Ding, aber diesen Mann—dessen Lächeln immer breiter wurde, je länger sie ihn ansah—würde sie gern ganz genau unter die Linse nehmen. Vorzugsweise nackt.
„Ehm, hallo. Ich bin Alice, und, ähm, ich bin Fotografin.“ Die Worte sprudelten kaum verständlich aus ihr heraus. Dann atmete sie tief ein und richtete sich gerade auf. Mit Mühe wandte sie den Blick von seinen Brustmuskeln ab, die sich unter dem feuchten Hemd deutlich abzeichneten. „Sonst kann ich mich besser ausdrücken, glauben Sie mir.“
Er lachte. „Das glaube ich Ihnen. Margot hat mir schon viel von Ihnen erzählt; sie ist eine alte Freundin von mir.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Christopher Dal.“
„Christopher Dal?“ Alice schüttelte ihm die Hand und spürte Schwielen in seiner Handfläche, die sie bei einem Mann in einem solchen Anzug gar nicht erwartet hätte. „Margot und Sie haben den gleichen Nachnamen. Sind Sie verwandt?“ Eigentlich sahen sie sich gar nicht ähnlich, aber das kam in allen Familien vor.
Er lächelte. „Keine Verwandtschaft, aber wir kennen uns schon so lange, dass sie sozusagen zur Familie gehört.“
Alice verspürte einen kurzen Moment der Traurigkeit. Sie hatte alle ihre guten Freunde zurückgelassen, als sie in die Stadt gezogen war, und mit den Jahren alle Kontakte verloren. Durch ihren Job und ihre Arbeit als Fotografin hatte sie kaum Zeit, um neue Freunde zu finden. Die Wärme und Vertrautheit in Christophers Stimme, als er Margots Namen sagte, machten ihr bewusst, dass sie sich einsam fühlte. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
Christopher zeigte auf das Bild hinter ihr. „Ihre Fotos sind wirklich bemerkenswert.“
„Danke.“ Sie strich eine verirrte Haarsträhne hinter ihr Ohr und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
„Ich meine es wirklich ernst.“ Christopher trat etwas näher. „Ihre Werke sind außergewöhnlich. Wie Sie sich auf die kleinsten Details in alltäglichen Objekten konzentrieren und die versteckte Schönheit darin offenlegen ist erstaunlich. Sie haben einen wunderbaren Blick für Einzelheiten.“
Diesmal klang Alices „Danke“ viel überzeugter. Eine glückliche Wärme durchströmte sie und spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. Endlich!
„Von allen Menschen, mit denen ich mich heute Abend unterhalten haben, sind Sie der erste, der verstanden hat, was ich ausdrücken will“, sagte Alice. „Das freut mich wirklich sehr. Ich wollte, dass die Menschen, die diese Ausstellung sehen, eine neue Wertschätzung für die Kleinigkeiten, die uns im täglichen Leben umgeben, mitnehmen.“
Christopher lächelte. „Ist es nicht faszinierend, wie Kunst so etwas zustande bringt? Sie kann uns Dinge, die wir jeden Tag betrachten, in einem ganz anderen Licht und Kontext präsentieren.“
Alice hätte ihn am liebsten umarmt. „Genau das denke ich auch! Schönheit liegt nicht nur in einem Sonnenuntergang über den Bergen.“ Sie sprach schneller, als sie sich für ihr Thema erwärmte. „Die Kante eines Briefkastens kann schön sein, oder wie sie sich in das Gesamtbild mit dem Haus dahinter einfügt, oder der Aufbau eines Ameisenhügels.“
Christopher berührte leicht ihre Hand. Sie verspürte die angenehme Kühle seiner Haut wie Balsam entlang ihres ganzen Arms. „Sie sind eine großartige Künstlerin, Alice. Wissen Sie, wie wertvoll es ist, etwas zu sehen und es dann einzufangen, so dass andere es auch sehen können? Sie sollten das wirklich in Vollzeit machen.“
Alice errötete. „Sie sind sehr freundlich. Ich wünschte auch, dass ich mehr Zeit hätte, um meine Kunst auszuleben.“ Sie deutete auf einen roten Punkt an einem Foto von einem gespaltenen Baum „Ich hoffe, dass mir die Verkäufe von heute Abend dabei helfen können. Bei diesem Bild hatte ich das Glück, dass das Licht gerade in dem Moment perfekt war, als ich den Baum entdeckte, aber beinahe hätte ich den richtigen Augenblick verpasst, weil eine Besprechung bei der Arbeit länger gedauert hatte als geplant. Man hat leider nie genug Zeit, um jeden schönen Moment in unserer Umgebung wahrzunehmen, aber ich hätte gern die Möglichkeit, so viele wie möglich zu finden.“
Alice blickte etwas vorwurfsvoll auf ihr Weinglas; sie war überrascht darüber, wie viel sie diesem vollkommen fremden Menschen anvertraut hatte. Sein verständnisvoller Gesichtsausdruck und sein Nicken zeigten, dass er genau wusste, was sie meinte.
„Die Welt ist so groß“, sagte sie. „Ich wünschte, ich hätte die Zeit alles einzufangen.“
Christophers Lächeln vertiefte sich. „Man kann nie wissen. Soweit ich es beurteilen kann, ist dieser Abend noch erfolgreicher als Margot erwartet hat.“ Er hielt ihr seinen Arm hin. „Ich habe Sie schon viel zu lang von Ihren Gästen ferngehalten. Sollen wir uns zusammen in die Menge wagen?“
Alice nickte. Sie hakte sich bei ihm ein und spürte seine harten Muskeln durch die Jacke hindurch. Vielleicht war es ja doch gar nicht so schlecht, sich mit Fremden zu unterhalten.
Christopher atmete Alices betörenden, wunderbaren Duft ein: Seife, ein Parfüm mit einer leichten Vanillenote, und ihr Blut, das unter der zarten Haut ihres Halses pulsierte. Aus ihrem Blut konnte er ihren Gemütszustand herauslesen: Zögern, Nervosität, und...er hoffte inständig, dass er das richtig interpretierte…Verlangen. Verlangen nach ihm? Oder nur der innige Wunsch nach einer erfolgreichen Ausstellung? Um sich sicher zu sein, würde er ihr Blut trinken müssen. Doch im Moment genoss er ihre Gesellschaft zu sehr und wollte sie nicht beunruhigen. Wenn ihn sein Instinkt nicht trog, hatte sie nicht die Gabe zu sehen, und konnte ihn daher auch nicht als Vampir erkennen, genau so wenig wie sie die anderen übernatürlichen Wesen hier ihm Saal erkennen konnte, die Wein tranken und sich gegenseitig beschnüffelten.
Sein Puls raste bei der zarten Berührung von Alices Hand auf seinem Arm, während sie durch den Ausstellungsraum gingen. Sie faszinierte ihn in jeder Weise. Ihre Bewegungen waren von einer Anmut, die ihn an edle Königsfamilien vergangener Jahrhunderte erinnerte, und ihr sanftes Wesen war wie das einer zauberhaften Waldnymphe.
Ihre Schönheit überstrahlte all die Wichtigtuer, die sich in der Galerie tummelten. Während sie untergehakt durch den Ausstellungsraum wanderten, zog Alices reizvolle Ausstrahlung alle Blicke auf sich. Christopher übernahm die Rolle des starken, schweigsamen Begleiters und mischte sich nur in Gespräche ein, um Alice bei der lebhaften Beschreibung ihrer Arbeit zu unterstützen. Eine Tigerwandlerin in Begleitung ihrer Liebhaber kam zu Alice und sprach ihre Bewunderung für ein Foto aus, das ihr besonders gut gefiel. Sofort begann Alice einen charmanten, aber etwas konfusen Vortrag, warum sie diesen Schrank in genau dieser Art fotografiert hatte. Die Tigerin lächelte und zeigte ihre perfekten, schneeweißen Zähne. Sofort erwachten Christophers Beschützerinstinkte und drängten sich an die Oberfläche, aber es gelang ihm sich zusammenzureißen, bevor Alice etwas bemerkte.
„Ich bin nun doch froh, dass wir uns unter die Leute gemischt haben.“ Alices Stimme war jetzt etwas fester, nachdem sie die erste Runde durch den Raum gut überstanden hatte, aber sie hatte ihre Hand noch immer mit ängstlichem Griff an seinen Arm geklammert.
„Ich auch.“ Christopher sah tief in ihre schönen, blauen Augen.
Ich würde am liebsten für immer in ihren Augen versinken.
Der Gedankte traf ihn wie ein Hammer und es erstaunte ihn, wie sicher er sich war. Eigentlich erschuf er nicht oft neue Vampire, aber wenn er es tat, wusste er innerhalb von Sekunden nach der ersten Begegnung immer sofort ganz sicher, wen er wollte. Er verdrängte den Gedanken.
Nicht sie. Bitte nicht sie.
„Haben Sie den Rest der Ausstellung gesehen?“, fragte er, bemüht sich von seinen Gedanken abzulenken.
Alice spielte mit den Fransen ihres weinbefleckten Schals. „Ja, habe ich schon, aber ich würde mir sehr gern alles noch einmal ansehen.“ Sie lächelte ihn an. „Es gibt so viele wundervolle Stücke.“ Ihre Begeisterung war ansteckend. Er drückte ihre Hand auf seinem Arm und bedeckte sie mit seiner. Ihre Haut war warm und ihr Puls schlug schnell, als sie in einen der anderen Räume abbogen, in dem die anderen Künstler ausstellten.
Sie hielt im Raum inne und zog ihn dann mit sich.
„Das hier gefällt mir am besten“, sagte sie.
Der Fotograf hatte genau den Moment festgehalten, als eine Champagnerflöte zerbrach. Vor einem rabenschwarzen Hintergrund flogen die Glassplitter schimmernd in alle Richtungen und bildeten eine perfekt symmetrische Form, so dass es aussah als ob das Glas Flügel hätte.
„Atemberaubend“, murmelte Christopher, ohne seinen Blick von Alice zu lösen.
Alices Wangen röteten sich. „Sie sehen sich das Bild gar nicht an.“
„Tue ich das nicht?“, fragte Christopher.
Alice errötete noch tiefer und wandte sich schnell wieder dem Foto zu. „Ist das nicht einfach wundervoll? Ein Moment, der für immer festgehalten ist. Ein Moment, den wir gar nicht wahrnehmen würden, wenn er nicht für immer in der Zeit festgehalten wäre, so, dass wir ihn sehen können.“
Christopher sah das Foto an. „Für immer in der Zeit gefangen zu sein, ist nicht immer erstrebenswert.“ Er machte ein ernstes Gesicht.
„Aber verstehen Sie das nicht? Auch wenn das Bild in der Zeit gefangen ist, was der Betrachter sieht, ist frei.“ Alices Gesicht leuchtete. „Es verändert sich nicht mit der Zeit, aber die Zeit ändert unsere Wahrnehmung des Gegenstandes.“ Sie zeigte auf den Stiel des Glases auf dem Foto. „Sie und ich, wir sehen jetzt das Glas, aber vielleicht wird Glas in der Zukunft gar nicht mehr verwendet und die Menschen kennen es nicht mehr. Wäre das nicht unglaublich? Der Anblick von zersplitterndem Glas ist für uns eine ganz alltägliche und bedeutungslose Sache, aber wie wird so etwas in einer fernen Zukunft wahrgenommen?“
Sie würde sich als Vampir großartig machen. Die Versuchung holte ihn wieder ein. Jetzt verstehe ich, warum Margot Sie unbedingt für diese Ausstellung gewinnen wollte. „Sie haben eine einzigartige Sichtweise. Bodenständig und gleichzeitig voller Leidenschaft“, sagte Christopher.
„Das ist nicht immer von Vorteil.“ Alice führte Christopher entspannt zurück in den Hauptausstellungsraum. „Sie können sich gar nicht vorstellen, bei wie vielen Schulprojekten ich durchgefallen bin, weil ich mich zu sehr mit den Einzelheiten aufgehalten habe.“
Er lachte leise und bemerkte dann auf einmal, wie ruhig es in der Galerie geworden war. Die meisten Besucher waren schon gegangen, und nur hier und da waren noch ein paar Gäste zu sehen. Die Ausstellung neigte sich dem Ende zu, und Alice würde wieder aus seinem Leben verschwinden.
Ich sollte sie einfach gehen lassen. Sie würde ein normales Leben führen: älter werden und sich verändern, lieben und sterben, wie jeder andere auch. Wer weiß, wenn einige hundert Jahre vergangen waren, würde er sie vielleicht vergessen können. Er würde vergessen, wie das Licht in ihrem lockigen Haar glitzerte, und dass sogar der Rand einer Mülltonne in ihren Augen eine besondere Schönheit besaß.
„Dürfte ich Sie vielleicht mal anrufen?“ Die Frage war ihm entschlüpft, bevor er sich bremsen konnte, aber irgendwie freute er sich doch. „Ich habe diesen Abend mit Ihnen sehr genossen und würde Sie gern wiedersehen und mich mit Ihnen unterhalten.“
Alice lächelte ihn an und gab ihm eine kleine, weiße Visitenkarte aus ihrer Handtasche. „Ich würde mich sehr freuen. Die ‘Firmennummer’ auf der Karte ist meine Handynummer.“ Sie spielte mit den Fransen ihres Schals. „Ich habe mir diese Karten extra für die Ausstellung drucken lassen und dachte, so würden sie professioneller wirken.“
„Es tut mir leid, dass ich Sie heute Abend so in Beschlag genommen habe.“ In Wirklichkeit tat es ihm überhaupt nicht leid. „Ich hoffe, der Abend hat Ihnen trotzdem gefallen.“
Alice lachte. „Machen Sie sich keine Sorgen. Für meinen Geschmack habe ich mich heute genug unter die Leute gemischt. Sie haben dafür gesorgt, dass ich mich nicht den ganzen Abend in meiner Ecke versteckt habe. Außerdem...“, sie sah etwas verlegen auf ihre Füße, „hat mir sehr gefallen, von Ihnen in Beschlag genommen zu werden.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen raschen Kuss auf die Wange. Dann sammelte sie schnell ihre Sachen zusammen und verließ die Galerie.
Christopher berührte gedankenverloren seine Wange; er spürte darauf noch ihren Kuss, wie eingebrannt. Die letzten Besucher stolperten zu Tür hinaus und tranken noch schnell kichernd ein letztes Glas Wein. Dann war er allein in dem hallenden, großen Raum.
„Gut gemacht, Christopher.“ Er hatte Margot nicht kommen hören. Wenn sie wollte, konnte sie sich so leise anschleichen wie eine Katze. Sie stand vor einem von Alices Fotos, das ein kleines Stück der Fassade eines Gebäudes zeigte. Das einen Meter fünfzig hohe Bild zeigte detailgetreu die ungewöhnlichen Muster, die sorgfältig in den Beton eingearbeitet waren.
„Alice hat mir erzählt, dass sie dieses Bild im zweiundsiebzigsten Stockwerk eines Gebäudes aufgenommen hat. Kannst du dir das vorstellen?“, fragte Margot ihn. „Sie hat einen Fensterputzer bestochen, um seinen Außenaufzug zu benutzen, hatte aber nicht die passende Sicherheitsausrüstung. Der Wind in dieser Höhe war so stark, dass sie fast über die Seite gefallen wäre. Sie hat ihr Leben riskiert, aber sieh nur, was für ein tolles Bild es geworden ist.“ Margot nippte an ihrem Champagner und zog nachdenklich eine Augenbraue hoch. „Diese Hartnäckigkeit und Willenskraft im Laufe der Jahrhunderte... ich denke, wir wären alle sehr beeindruckt, von dem was sie alles leisten könnte.“
Verdammt, nicht auch noch Margot. „Ach, sei doch still“, entgegnete Christopher. „Ich habe mich nicht deswegen mit ihr unterhalten. Sie ist etwas Besonderes, und…“ Er verstummte und blickte zu Margot hinüber.
Sie öffnete und schloss den Mund, als ob sie sprechen wollte, brachte aber keinen Ton hervor. Margot deutete mit gereizter Miene auf ihre Kehle und dann auf Christopher.
Sofort fühlte Christophers sich schuldig. „Verdammt! Ich habe dir nicht befohlen, den Mund zu halten.“ Seine Worte hoben den Befehl auf, den er ihr, ohne es bewusst zu wollen, gegeben hatte und Margot massierte sich erleichtert ihren nun wieder entsperrten Kiefer.
„Mist. Ich werde mich niemals an diesen verdammten Hortari gewöhnen.“ Margot nahm einen beträchtlichen Schluck aus ihrem Champagnerglas.
„Ich auch nicht“, seufzte Christopher und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Diese Sache war der Grund, warum er Margot und seine anderen Nachkommen, die er erschaffen hatte, nicht so oft sah, wie er gern wollte. Er war nicht mehr daran gewöhnt, seine Worte so vorsichtig zu wählen, dass sie keine Spur eines Befehls mehr enthielten. Da er der Vampir war, der sie von Menschen in Vampire verwandelt hatte, mussten sie seinen Worten bedingungslos Folge leisten und das hasste er. Der Befehl eines Erzeugers wurde Hortari genannt und war ein Teil des Vampirdaseins, den Christopher überhaupt nicht schätzte.
Das ist auch der Grund, warum ich Alice nicht verwandeln darf, sagte die Stimme der Vernunft in seinem Inneren. Wäre es nach seinem Gefühl gegangen, wäre er ihr sofort nachgelaufen.
Er folgte Margot zu einer Tür mit der Aufschrift „Nur für Personal“ am Ende des Ausstellungsraumes. Sie sah ihn von der Seite an und trank den Rest ihres Champagners in einem Zug aus.
„Entschuldigung“, sagte er.
Sie winkte ab und tippte einige Nummern in die Tastatur bei der Tür. „Wähle deine Worte bitte mit etwas mehr Vorsicht, okay?“ Sie stellte ihr Glas ab. „Ich freue mich, dass du heute Abend gekommen bist.“ Die Tür schwang auf, die Lichter gingen an und erhellten einen hohen Raum. Kunstwerke bedeckten jeden Zentimeter der hohen Wände bis zur Decke. Die meisten von ihnen waren hunderte von Jahren alt: afrikanische Masken aus Nigeria und Mali, Gemälde von alten französischen Meistern, die nie groß herausgekommen waren, Kopfschmuck von amerikanischen Indianern, die so alt waren, dass ihre Namen schon in Vergessenheit geraten waren. Das Ganze wirkte chaotisch und ein wenig verrückt, war aber wunderschön, genau wie die Person, die diesen Raum gestaltet hatte. Christopher hatte es nie bereut, dass er Margot unsterblich gemacht hatte. Sie hatte ihre Zeit aufs Beste genutzt.
„Erzähl doch mal, wie ist es dir ergangen?“, fragte er interessiert.
Margot goss sich noch ein Glas Champagner ein. „So weit so gut. Roxanne, der Sukkubus, war vor einigen Wochen in der Stadt, und wir hatten viel Spaß zusammen bis sie wieder weiterzog.“ Margot deutete auf die Flasche. „Möchtest du gern was davon?“
„Nein danke. Ich konnte noch nie verstehen, warum du dieses menschengemachte Zeug trinkst. Du kannst doch nicht einmal betrunken werden.“
„Ich mag das Prickeln der Bläschen.“ Margot ging hinüber zur Wand und schob das wunderschöne Gemälde einer nackten Frau etwas zur Seite bis Christopher ein Klicken hörte. „Aber du siehst aus wie jemand der etwas Starkes vertragen könnte, und ich habe hier ein paar edle Tropfen.“ Ein Paneel in der Wand öffnete sich und gab den Blick auf eine Bar und einen Weinkühlschrank frei, der mit aufgehängten Blutkonserven gefüllt war.
„'A positiv' wäre super, Danke.“ Christopher streckte die Arme hinter seinem Rücken und setzte sich dann auf eines der niedrigen Sofas in der Mitte des Raumes.
Margot reichte ihm ein mit Blut gefülltes Kristallglas. „Prost.“ Sie nahm einen langen Schluck aus ihrem Glas. „Ich habe da so eine Ahnung über dich und Alice.“
Christopher setzte sich gerade auf und verschüttete fast das Blut über sein bereits mit Wein beflecktes Hemd. „Wie kommst du denn auf so etwas?“
Sie lachte. „Durch dich, sie, die Art wie du gerade zusammengefahren bist als ich ihren Namen erwähnte, als ob dir ein Einhorn sein Horn in den Hintern gestoßen hätte.“ Lässig ließ sie das Blut in ihrem Glas kreisen. „Ich habe Recht, nicht wahr? Du magst sie.“
Er lehnte sich zurück. „Sie ist großartig. Warum sollte ich sie nicht mögen?“ Christopher trank einen kleinen Schluck. Er konnte die Gefühle des Blutspenders herausschmecken, als die rote Flüssigkeit, die für ihn überlebenswichtig war, seine Kehle hinunterrann. Der männliche Spender war leicht betrunken und sehr verliebt gewesen, als er das Blut spendete. Seine starken Gefühle waren in sein Blut geflossen. Mit jedem Schluck schmeckte Christopher das berauschte Glück des Mannes und fragte sich, was Alice jetzt wohl gerade machte. Er blickte auf sein Glas und sah dann Margot an. Offensichtlich wollte sie die Kupplerin spielen, sonst hätte sie ihm nicht dieses Blut eingeschenkt.
„Alice hat eine leidenschaftliche Natur, eine gute Einstellung und ein fantastisches Auge.“ Margot sah Christopher herausfordernd an. „Eine solche Wahrnehmung sollte für die kommenden Jahrhunderte bewahrt werden.“
Er stöhnte. Margot sprach genau das aus, was er empfunden hatte als er Alice kennenlernte.
„Das stimmt.“ Christopher nahm einen großen Schluck von seinem Blut. „Die Art wie sie denkt, ihre Leidenschaft, ihre Güte...“ Er wandte sich ab. „...ihre außerordentliche Schönheit. Es wäre eine Sünde all das altern und vergehen zu lassen.“
Margot sah ihn fragend an. „Was hält dich dann noch zurück?“
„Eigentlich nichts.“ Doch das stimmte nicht. „Wenn sie mit der Verwandlung einverstanden ist, werde ich es tun, aber...“
„Aber du hast deine Regeln.“ Margot lächelte ihn etwas boshaft an. „Du musst sie sehr begehren, wenn du zögerst, sie zu verwandeln. Mein armer Erzeuger. Du musst dich entscheiden, entweder du vögelst sie oder du verwandelst sie.“ Margot streifte mit einem befriedigten Seufzer ihre hohen Schuhe ab und kuschelte sich neben ihm auf die Couch.
„Du weißt, warum ich meine Regeln habe. Es wäre grausam, mit jemandem zu schlafen über den ich die totale Kontrolle habe.“ Christopher seufzte. „Ich kann ja schon kaum Zeit mit dir oder meinen anderen Nachkommen verbringen. Aber du hast vollkommen Recht, ich muss meine Gefühle für sie außer Acht lassen.“ Er nickte und war sich seiner Entscheidung auf einmal sicher. „Sie wird eine enorme Bereicherung für meine Blutlinie und für unsere Familie sein.“
„Gut. Ich würde mich freuen, sie bei uns zu haben. Du bist ein sehr guter Erzeuger. Auch wenn wir traurig sind, dass wir dich nicht so oft sehen, sind wir dankbar, dass du immer vorsichtig in deinen Äußerungen bist, um uns keine Befehle aufzuerlegen, zu deren Erfüllung wir dir verpflichtet sind.“
Christopher zuckte die Achseln. Sein Bruder, Rhys, hatte eine ganz andere Einstellung, wie ein Erzeuger die von ihm geschaffenen Vampire behandeln sollte. Auf seine verrückte Art war er tatsächlich davon überzeugt, dass es das Beste für seine Nachkommen war, wenn er ihnen jeglichen Willen nahm. Da sie die letzten Nachkommen des Vampirkönigs waren, waren Christopher und Rhys auch seine einzigen Erben. Das Problem dabei war, dass ihre gegensätzlichen Auffassungen bei der Erschaffung und Behandlung von Nachkommen es unmöglich machten, ihrem Volk ein einheitliches Beispiel zu geben. Christopher hatte im Laufe der Jahrhunderte verzweifelt versucht den König zu überzeugen, Gesetze zu erlassen, wie die Nachkommen behandelt werden sollten. Bis jetzt leider ohne Erfolg.
„Ich werde Alice die Verwandlung anbieten, ihr erklären, wie es genau vonstattengeht, und sie dann entscheiden lassen“, sagte Christopher.
„Darauf trinke ich.“ Margot hob ihr Glas.
„Auf Alice.“
Alice las noch einmal die Textnachricht, um sicher zu sein, dass sie am richtigen Ort war. Christopher hatte ihr eine SMS geschickt, wo sie sich treffen sollten. Sie hatte zwar nicht gewusst, was auf sie zukam, aber diese verräucherte Kneipe mit dem knallig pinken Schriftzug „AUDREY'S“ hatte sie nicht erwartet. AUDREY’S Bar war ein einsam gelegenes, mehrstöckiges Gebäude auf einer Lichtung in einem dunklen Wald. Auf dem Parkplatz standen hauptsächlich Motorräder und verbeulte Limousinen. Die Eisblumen an den Fenstern verwehrten ihr den Blick in das Innere, aber irgendwie gefiel Alice diese Kneipe. Durch die Doppeltüren drangen Musik, Gelächter und warmes Licht, die sehr einladend waren.
Ihr Handy piepste. Christopher hatte ihr eine SMS geschickt, dass er bereits da war und an der Theke auf sie wartete. Er musste kurz vor ihr eingetroffen sein. Pünktlich und höflich. Zwei weitere Pluspunkte für den heißen Typen. Sie lächelte vor sich hin. Nach ihren letzten, sehr enttäuschenden Verabredungen, sah der heutige Abend wirklich vielversprechend aus.
Alice trat durch die Tür. Plötzlich traf sie die stärkste allergische Reaktion, die sie je in ihrem Leben gehabt hatte wie ein Hammer. Sie sah alles wie durch einen Schleier, ihre Augen juckten und sie hatte hämmernde Kopfschmerzen. Sie presste die Finger an die Nasenwurzel und hielt den Atem an, in der Hoffnung, dass der Anfall vorübergehen würde.
Mist. Nicht jetzt. Sie hatte schon früher solche Allergieattacken gehabt, aber sie dauerten meist nur einige Sekunden. Das letzte Mal war es ihr beim Wandern passiert. Als sie an einer großen Gruppe vorbeilief, die sich einen sportlichen Freiluftwettkampf ansah, hatte sie auf einmal auch solche Kopfschmerzen bekommen. Erst als sie schon ein ganzes Stück weg war und nicht mehr daran dachte, was sie gesehen hatte, waren die Kopfschmerzen abgeklungen.
Mit verschleiertem Blick durchsuchte Alice die Menge an der Bar nach Christopher. Als sie ihn entdeckte, unterhielt er sich gerade intensiv mit der Bardame, einer blassen Frau mit rabenschwarzen, zu lauter kleinen Zöpfchen geflochtenen Haaren, die ihren Kopf umtanzten, und einer verzweigten Rosentätowierung auf der Brust.
Christopher sah so toll aus, dass Alice der Atem stockte und sie erstmal haltmachte, um sich zu sammeln. Seine Jeans, Sneakers und T-Shirt saßen perfekt und betonten seine schmale Taille, die breiten Schultern und muskulösen Arme. Seine Hand umklammerte das Glas so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten und seine Augenbrauen zogen sich zusammen als stünde er unter Stress. Obwohl die Bardame unablässig Cocktails mixte und Getränke an andere Gäste ausgab, hielt sie ihren mitleidigen und verständnisvollen Blick immer auf Christopher gerichtet. Keiner von beiden schien Alice zu bemerken, als sie sich ihren Weg durch die Menge zur Theke bahnte, wobei ihre Kopfschmerzen immer heftiger wurden, je weiter sie in den Raum hineinging.
Zu ihrer Linken feuerten vier riesige Typen mit Mohikanertolle lautstark einen hitzigen Wettkampf im Armdrücken am nächsten Tisch an. Dieser fand zwischen einem zierlichen jungen Mädchen in einem geblümten Kleid und einem riesigen Kerl, dessen Haut so blass war, dass sie schon fast bläulich wirkte, statt. Alice blinzelte. Ihr Kopfschmerz wurde stärker, als sie die beiden ansah. Einen Moment lang schien es, als hätten die Typen mit der Mohikanertolle grüne Haut und dem jungen Mädchen würden Blumen in den Haaren wachsen. Alice schüttelte den Kopf. Das ist unmöglich. Ihre Kopfschmerzen ließen einen Moment nach und die Blumenfrau war wieder ein ganz normales Mädchen, die Typen waren Biker und der riesige Kerl war ein gutmütiger Gigant, der vorgab, dass er sich beim Armdrücken wirklich gegen die Kleine anstrengen musste.
Ein Vogel flog zwischen den Dachbalken hindurch, dicht an Alices Gesicht vorbei. Sie schrie erschrocken auf. Was hat denn ein Vogel hier zu suchen?
Da spürte sie eine Hand, die sanft ihren Ellenbogen erfasste. Sofort erkannte Alice die Schwielen, die ihre Haut berührten, noch ehe sie sich umdrehte und Christopher ansah. Seine Haut war noch kühler als damals in der Galerie und wirkte beruhigend auf das heiße Hämmern ihrer Kopfschmerzen.
Christopher lächelte sie an. „Ich freue mich, dass Sie gekommen sind. Sorry, aber an diese Bar muss man sich erst langsam gewöhnen.“
Alice war froh, sich an ihn lehnen zu können, um das Gleichgewicht zu bewahren, als er sie zur Theke führte. „Es wird schon gehen. Wahrscheinlich trägt hier jemand ein Parfüm oder sowas, gegen das ich allergisch bin. Ich hoffe, es wird Ihnen nichts ausmachen irgendwo anders hinzugehen?“
Christopher wechselte einen Blick mit der Bardame. Diese beugte sich über die Theke und reichte Alice die Hand.
„Hallo, ich bin Lola. Es ist schon eine Weile her, dass wir hier frisches Blut hatten.“ Lola lächelte sie mit strahlend weißen Zähnen an. „Deine Kopfschmerzen kommen daher, dass deine Wahrnehmung der Wirklichkeit sich ändert und dein Körper sich dagegen wehrt. Versuche, alles um dich herum, außer Christopher und mir, zu ignorieren. Dann wirst du dich gleich viel besser fühlen.“
Was zum Teufel sollte das bedeuten? Meine Wahrnehmung der Wirklichkeit? Automatisch schüttelte Alice der Bardame die Hand und ihre Kopfschmerzen verschwanden so plötzlich als hätte man eine Lampe ausgeknipst.
Alice ließ sich auf einem der gepolsterten Barhocker nieder. Der verschwommene Schleier war noch immer vor ihren Augen und Alice versuchte ihn wegzublinzeln. Was ist hier nur los? Die Stimme der Vernunft in ihrem Kopf warnte sie eindringlich, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen, aber sie war einfach zu neugierig um darauf zu hören. Sie sah Christopher verstohlen an. Er betrachtete sie mit einem Blick, der so voller Hoffnung war, dass ihr davon ganz warm ums Herz wurde.
Christopher sah schon fast unwirklich gut aus, nahezu perfekt. Seine Gesichtszüge waren symmetrisch und der einzige Makel in seinem Gesicht war eine winzig kleine Narbe, die an der Bartlinie entlang auf seiner Wange verlief, sowie sein wirres Haar, das in alle Richtungen zu wachsen schien. Die Bardame ließ ein pinkfarbenes Getränk über die Theke auf sie zu schlittern, und Alice ergriff das Glas, bevor es über die Kante sauste.
„Gut gerettet.“ Lola zwinkerte ihr zu und wandte sich ab, um einem anderen Gast, dessen Kopf kaum bis zur Theke reichte, ein giftgrünes Gemisch zu servieren.
Alice zuckte zusammen, als der Vogel wieder knapp an ihrem Gesicht vorbeiflog. Dann landete er auf der Schulter des jungen Mädchens, das immer noch mit Armdrücken beschäftigt war.
„Der arme Vogel.“ Alice blinzelte mit den Augen. Der ganze Raum sah aus, als verschwämme er hinter einem Schleicher. „Wir sollten ihm helfen, hier heraus zu kommen. Vielleicht hat die Bardame etwas das wir dazu benutzen könnten.“
Christopher setzte sich auf den Hocker neben Alice und sah sie aus seinen braunen Augen etwas besorgt an.
„Das ist kein Vogel. Wir können immer noch gehen, wenn Sie wollen. Wenn wir hierbleiben, wird sich Ihre Sicht auf die Welt für immer ändern. Ich kenne eine andere Bar, wo wir hingehen könnten, wenn Sie dazu nicht bereit sind.“
Alice nahm einen Schluck von ihrem Drink. Er schmeckte himmlisch, erst süß auf der Zunge, aber dann mit einem würzigen Nachgeschmack, der in der Kehle brannte. Zugegeben, dieses ganze Gerede über veränderte Wahrnehmung der Wirklichkeit war etwas seltsam, aber sie würde nicht gehen und den besten Cocktail, den sie je getrunken hatte, stehen lassen.
„Das ist schon okay. Es gefällt mir hier. So einen Ort hätte ich mir nur nicht für unser erstes Date vorgestellt.“
Christopher lehnte sich sofort von ihr zurück. Jegliche Spur von Humor verschwand aus seinem Gesicht. „Miss Jones, ich habe Sie hierhin eingeladen, weil ich eine geschäftliche Angelegenheit mit Ihnen besprechen wollte.“
Alice fühlte, wie ihre Wangen sich röteten. Ich bin ja so ein Idiot! Natürlich ist es kein Date. „Oh, selbstverständlich. Das war mir nicht klar.“ Verzweifelt versuchte sie ihre Würde zu wahren. „Ein interessanter Ort für eine geschäftliche Besprechung. Was kann ich für Sie tun?“
„Ich habe Sie hierher eingeladen, da ich der Überzeugung bin, dass die Welt davon profitieren würde, wenn Sie über Ihre normale Lebenserwartung hinaus weiterleben würden.“ Christopher hörte sich völlig ernst an.
„Wie bitte?“ Die Kopfschmerzen begannen wieder an ihren Schläfen zu hämmern.
„Ich bin ein Vampir. Und ich glaube, dass Sie auch einen großartigen Vampir abgeben würden.“
Die Kopfschmerzen kamen mit voller Kraft zurück und bauten sich auf wie eine Hitzewelle. Sie nahm einen tiefen Schluck von ihrem Cocktail, konnte aber dieses Mal nur das Brennen schmecken. Alice sah Christopher an und wartete darauf, dass er sie plötzlich angrinsen und zugeben würde, dass das alles nur ein blöder Witz war.
„Es gibt keine Vampire.“ Das ist wieder mal typisch für mich, dass ich mich mit einem Irren zu einem Nicht-Date treffe. „Sie können ja gerne glauben, was Sie wollen, aber ich denke ich gehe jetzt besser“, sagte sie langsam.
Christopher legte sanft seine Hand auf ihre. „Warten Sie noch einen Moment. Sehen Sie sich um. Sehen Sie genau hin. Die meisten Menschen ignorieren alles Übernatürliche mit lebenslanger Sturheit, aber Sie sind eine Künstlerin. Sie haben Ihr Leben lang ein Auge für Schönheit gehabt.“ Seine Finger strichen sanft über ihren Handrücken und schickten kleine Wellen des Verlangens ihren Arm hinauf. Warum sind es immer die heißen Typen, die am beklopptesten sind? Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum und versuchte, nicht zu beachten was er sagte. Doch der Schleier vor ihren Augen hob sich langsam und ihr Blick wurde immer klarer.
Wie kann es nur möglich sein? Es ließ sich nicht abstreiten, dass sich tatsächlich irgendetwas veränderte.
Christophers Stimme wurde leiser, klang sexy und stark. „Es ist Ihre Entscheidung. Sie können in Ihr altes Leben zurückkehren. Sie können das alles hier vergessen und mich als verrückten Idioten abtun, den Sie zufällig in der Galerie kennengelernt haben. Aber Sie müssen sich entscheiden.“
„Was muss ich entscheiden?“ Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er mit tausend Hämmern bearbeitet. Was hatte Lola vorhin gesagt? Dass die Kopfschmerzen ein Symptom dafür waren, dass ihr Körper sich gegen die Änderung ihrer Wahrnehmung wehrte? Wenn Alice die Kopfschmerzen bekämpfen wollte, wusste sie was sie zu tun hatte: sie musste sich auf die hölzerne Theke oder auf ihr Glas konzentrieren, auf irgendetwas das normal war.
Aber vielleicht ist es ja an der Zeit mal etwas Verrücktes zu tun. Sie dachte zurück an die Galerie, wie sie sich schüchtern in ihrer Ecke versteckt hatte. Wenn sie da kein Risiko eingegangen wäre, hätte sie Christopher nie kennengelernt und wäre jetzt nicht hier. Was, wenn es wirklich noch mehr in dieser Welt gab, Dinge, die sie bis jetzt nie wahrgenommen hatte. War sie es sich nicht schuldig, die Wahrheit herauszufinden? Auch wenn sich das alles hier total bescheuert anhörte.
Sie setzte sich gerade auf ihrem Hocker auf und sah sich im ganzen Raum um. Sie konzentrierte sich auf jede Einzelheit auf die ihr Blick fiel.
„So ist es richtig.“ Sie konnte das Lächeln in Christophers Stimme hören, obwohl sie ihn gar nicht ansah. „Sehen Sie sich die Wahrheit an. Es gibt mehr Wunder in dieser Welt als wir in zwanzig Leben sehen könnten.“
Sie hielt sich an seiner Hand fest, wie an einem Rettungsanker. Der Schleier, der über dem ganzen Raum lag, schimmerte und hob sich dann plötzlich wie ein sich öffnender Vorhang. Jede Erinnerung an die Momente, in denen sie geglaubt hatte eine allergische Reaktion zu erleben, kam zurück, aber war jetzt völlig anders.
Vor einigen Monaten hatte sie am Himmel tief fliegende Flugzeuge entdeckt und sofort wahnsinnige Kopfschmerzen bekommen. Aber es waren gar keine Flugzeuge gewesen. Es waren Drachen mit wunderschön gefärbten Schuppen, die am Himmel entlang geflogen waren. Der Wettkampf, den sie bei ihrer Wanderung beobachtet hatte, war in Wirklichkeit ein komplizierter Hinderniskurs gewesen, während dessen sich Männer und Frauen zwischen ihrer Menschen- und Tiergestalt hin und her verwandelten, um die magischen Hindernisse zu überwinden.
„Miss Jones?“ Christopher berührte ihre Schulter.
Alice blinzelte. Sie war hin- und hergerissen zwischen Angst und Faszination. Alles was ich über meine Welt wusste, war falsch.
„Alice, geht es Ihnen gut?“
An dem einen Tisch, keine drei Meter von ihr entfernt, sahen jetzt die Rocker mit der Mohikanerfrisur aus wie Trolle aus Kinderbüchern. Ihre Haut war moorgrün und das bunte Haar waren tatsächlich Steine, die aus ihren Köpfen wuchsen. Der Mann mit der bläulich-weißen Haut und Händen wie Klauen wehrte sich mit aller Kraft beim Armdrücken gegen eine Frau mit goldfarbener Haut aus deren Stirn Blumen wuchsen und an deren Rücken regenbogenbunte Flügelchen flatterten. Auf ihrer Schulter saß ein winziger, brauner Mann, der auf einem riesigen Schmetterling ritt und Pfeil und Bogen über seiner Schulter trug.
„Alice?“ Christopher versuchte bereits seit einer Minute sie anzusprechen, aber sie hatte ihn gar nicht gehört.
„Es gibt so viel zu sehen.“ Ihre Stimme kam wie von weit her.
Drachen, Magie, Vampire, alles war echt.
„Ja, es gibt sehr viel zu sehen“, antwortete Christopher. „Geht es Ihnen gut?“
Alice nickte. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Welt so...“ Sie deutete geistesabwesend auf die Frau mit den bunten Flügeln. „Dass es so viele erstaunliche Dinge um uns herum gibt. Werde ich diese Dinge jetzt immer wahrnehmen?“
Christopher nickte. „Ja. Wenn Sie diese Welt einmal gesehen haben, können Sie diese Sichtweise eigentlich nicht mehr abschalten. Es wäre vielleicht möglich, wenn man wirklich entschlossen ist, sich einzureden, dass das alles nur ein seltsamer Traum war. Wenn Sie aber wirklich die wahre Welt sehen möchten, dann bleibt Ihnen diese Gabe für immer erhalten.“
Ein lautes Gebrüll ertönte hinter ihnen. Die Frau -“Eine Fee“, flüsterte Christopher ihr ins Ohr und dabei strich sein Atem über ihren Hals, so dass sie eine Gänsehaut bekam—hatte den bläulich-weißhäutigen Mann beim Armdrücken besiegt. Die Fee sprang auf den Tisch, so dass der kleine Mann, der auf seinem Schmetterling auf ihrer Schulter gehockt hatte, hoch in die Luft flog.
„Leck mich, Yeti!“, quietschte die Fee mit hoher Stimme. „Leckt mich, ihr alle!“ Sie streckte beide Mittelfinger in die Höhe und der Yeti begann zu lachen. Er nahm sie vom Tisch in seine Arme und setzte sie auf seinen Schoß. Sofort begannen sie unter lautem Schmatzen und lustvollem Stöhnen heftig miteinander zu knutschen. Alle Gäste in der Bar klatschten und feuerten sie an. Sogar Alice machte mit.
„Wollen wir etwas frische Luft schnappen?“, fragte Christopher und bot ihr seinen Arm.
Sie legte ihren Arm in seinen, und er half ihr vom Barhocker herunter. Als sie sich umwandte, um ihre Rechnung zu begleichen, winkte Lola ab.
„Komm zurück, wenn du und Chris euch unterhalten habt.“ Lola lächelte. „Alles Gute.“
Alice nickte und lächelte ihr dankbar zu. Sie folgte Christopher zur Hintertür hinaus, die zu einem großen Feld hinter der Bar führte. Auf dem Feld standen jede Menge Heuballen und niedrige Hürden, wie bei einem Reitturnier. Die Geräusche des Verkehrs auf der Straße waren kaum hörbar. Das Gemurmel der Stimmen aus der Bar und das Säuseln des Windes in den Bäumen, waren die einzigen Laute, die Alice in der stillen Nacht wahrnahm.
Der Mond schien hell auf sie hinunter und erleuchtete Christophers Gesicht in einem starken Kontrast von Schwarz und Weiß. Er grinste und lief vor. Dann sprang er mühelos auf einen zwei Meter hohen Stoß Heuballen, so hoch, dass seine Füße fast auf gleicher Höhe mit Alices Kopf waren. Er breitete die Arme aus wie ein Zauberer nach einem gelungenen Zaubertrick und grinste sie an. Zum ersten Mal bemerkte Alice, dass seine Eckzähne spitz zuliefen. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter.
Vampir.
Er hatte nicht gelogen. Die Erkenntnis traf sie wie ein Hammerschlag.
Christopher Dal ist wirklich ein Vampir.
Sie hatte einen Vampir mit Wein bekleckert, als sie ihm begegnet war.
Sie hatte einem Vampir ihre Telefonnummer gegeben.
„Das ist ja alles total verrückt“, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme.
Christopher sprang herunter, landete weich und geräuschlos neben ihr. „Ich weiß. Nicht jeder kann die Wahrheit so vertragen wie du es meiner Meinung nach kannst. Die Tatsache, dass du nicht vor mir wegläufst, ist für mich ein weiterer Beweis, dass ich mich nicht in dir getäuscht habe.“ Er trat näher. Sie nahm seinen Duft wahr, etwas holzig mit einer Moschusnote. Er erweckte in ihr die Lust, sich an ihn zu schmiegen und seinen Hals zu lecken.
Das hier ist kein Date, hatte er gesagt.
Alice konnte sich kaum daran erinnern, warum er sie eingeladen hatte, da Christopher so nahe bei ihr stand, dass der Stoff ihres Kleides gegen sein T-Shirt rieb, wenn sie atmete. Er neigte sich zu ihr und einen Moment lang dachte sie, er würde sie küssen. Seine Fingerspitzen liebkosten sanft ihre Schulter und berührten die weichen, roten Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten.
„Du hast die Offenheit und Flexibilität, die einen guten Vampir ausmachen“, sagte er. „Und du kannst mir glauben, die Sache hat einige Wahnsinnsvorteile.“
Ach ja! Er möchte, dass ich ein Vampir werde!
Alice trat einen Schritt zurück um Abstand von seinem betörenden Duft und dem Wunsch, ihre Wange an seinem Bart zu reiben, zu gewinnen. Seit ihre Werke in Margots Galerie ausgestellt worden waren, hatte sie sich kaum an den Gedanken gewöhnt, dass sie vielleicht ihren stupiden Job aufgeben und sich ganz ihrer Kunst widmen könnte. Aber ein Vampir zu werden? Das war eine Veränderung, die ihre wildesten Träume weit übertraf.
„Unsterblichkeit ist erst der Anfang“, fuhr Christopher fort. Er hatte sich gegen den Heuballen gelehnt und kreuzte die Arme wie ein Model bei einem Fotoshooting. „Du wirst fähig sein, Gefühle zu riechen. Jedoch nicht bei anderen Vampiren; sie müssten eine Schnittwunde oder sowas haben, so dass ihr Blut der Luft ausgesetzt ist. Oder du musst es direkt trinken. Aber bei normalen Sterblichen kannst du ihre Gefühle durch die Haut wahrnehmen, wenn du in ihrer Nähe bist.“ Er nickte ihr zu. „Zum Beispiel jetzt kann ich dein Erstaunen und eine Spur Angst vor dem was ich dir anbiete bei dir wahrnehmen.“
Alice errötete. Er konnte ihre Gefühle riechen?
Christopher lächelte. „Das muss dir nicht peinlich sein.“
Er kam zu ihr und instinktiv trat sie näher auf ihn zu. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und beugte sich über sie, bis sie seinen Atem auf ihren Lippen spürte.
„Dieses Verlangen, das du verspürst?“ Er war ihr so nahe. Seine Kraft und seine Macht zogen sie stärker an, als alles was sie jemals vorher erfahren hatte. Ein Schauer der Erregung fuhr ihr den Rücken hinunter und sie spürte, wie sie zwischen den Schenkeln feucht wurde. „Ich verspüre es auch.“ Seine Stimme war wie ein Schnurren. „Du bist so schön, dass ich mich kaum beherrschen kann.“
Küss mich! Küss mich! Alice hoffte, dass ihr Blut ihm ihr Verlangen so laut zurief, wie sie es innerlich herausschrie. Sie streckte die Arme aus und wollte seine Taille umfassen, aber er ließ sie los und zog sich so hastig zurück, als ob ihre Gefühle ihn verbrannten.
„Es gibt aber auch ein paar Nachteile, wenn man ein Vampir ist.“ Christopher wandte sich von ihr ab und sprang wieder auf den Heustoss, weg von ihr. „Der wichtigste ist die Verpflichtung, deinem Erzeuger gegenüber. Der Vampir, der dich verwandelt, hat die absolute Kontrolle über dich. Wir nennen das Hortari. Der Sinn des Hortari lag ursprünglich darin, die Bevölkerung vor der Kraft und dem Hunger der gerade umgewandelten Vampire zu beschützen. Dem Willen des Erzeugers muss man gehorchen, egal wie der Befehl lautet und sogar wenn der Erzeuger gar keinen Befehl aussprechen wollte.“
„Ich muss dann alles tun, was du mir sagst?“
Christopher nickte. „Diese Macht darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Du wirst übermenschliche Kräfte haben, ewig leben und immer so aussehen wie jetzt, es sei denn, du wirst geköpft oder verbrannt. Deine einzige Nahrungsquelle ist Blut, aber du kannst immer noch den Geschmack von Lebensmitteln und Getränken genießen. Außerdem ist die Fähigkeit, die Gefühle der Personen, die dich umgeben, zu kennen, in vielen Situationen nützlicher, als man meinen sollte.“
Alice drehte sich der Kopf, wenn sie an die ganzen Möglichkeiten dachte, die sich ihr boten. Ziehe ich es tatsächlich in Betracht, ein Vampir zu werden?
Christopher stellte sich auf den Heuballen, machte einen Salto durch die Luft und landete auf Zehenspitzen auf einer schmalen Mauer, drei Meter weiter. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie hatte Angst, er könnte sich den Hals brechen. Doch dann erinnerte sie sich wieder. Quatsch. Er ist ja ein Vampir. Er sprang noch einmal, landete auf den Händen und sprang einen Meter weiter, wo er so mühelos und anmutig auf den Füßen aufkam, dass jeder Akrobat ihn darum heiß beneidet hätte.
Das könnte ich dann auch.
Der Gedanke war verlockender als sie gedacht hätte. Sie könnte ewig leben ohne zu altern. Eine Ewigkeit zusammen mit Christopher. Noch nie hatte sie sich zu einem Mann so hingezogen gefühlt. Seine Freundlichkeit und Aufmerksamkeit ihr gegenüber während der Ausstellung waren genau das, was sie sich immer von einem Mann erträumt hatte. Die Erinnerung an seinen Atem an ihren Lippen, wie seine Brust ihr Kleid gestreift hatte, wie ihre Brüste auf seine kurze, unabsichtliche Berührung reagiert hatten, schickte Wellen des Verlangens durch ihren ganzen Körper. Wie würde es sein, als Vampir Sex zu haben? Mit all dieser Kraft und Geschwindigkeit müsste das doch wahnsinnig intensiv sein. Sie könnte Christophers Blut trinken, während sie sich liebten und könnte dann alles fühlen was er fühlte und die Lust genießen, die sie ihm bereitete. Sie schluckte vor Erregung.
„Alice.“ Christophers Stimme war ernst. „Ich kann dein Verlangen spüren. Aber ich muss dir sagen, dass wir niemals zusammen sein können, wenn ich dich in einen Vampir verwandele. Jedenfalls nicht so wie du es dir wünschst.“ Seine Worte trafen sie wie eine eiskalte Dusche.
Wie bitte?
„Die Verpflichtung deinem Erzeuger gegenüber. Ich könnte niemals mit dir Liebe machen, solange ich weiß, dass du deinen freien Willen verlierst, sobald ich meine Worte nicht vorsichtig genug wähle.“
„Aber ich will mit dir zusammen sein…“
Er schüttelte den Kopf. „Ich nehme meine Verantwortung als Erzeuger sehr ernst. Wenn ich dich verwandelt habe, müssen sich unsere Wege trennen, egal was wir füreinander empfinden. Meine anderen Nachkommen würden sich um dich kümmern, um dich in dieses Leben einzuführen ohne dich deines freien Willens zu berauben. Es sind gute Leute. Ich habe sie genauso sorgfältig ausgewählt wie dich: ich wusste einfach, dass sie die Welt verbessern würden, wenn sie nur mehr Zeit hätten.“
„Aber--“
Christopher entfernte sich von ihr. „Du musst jetzt erst einmal über alles nachdenken. Du weißt ja, wo du mich erreichen kannst, wenn du deine Entscheidung getroffen hast. Lass dir Zeit.“ Er zwinkerte ihr zu. „Zeit haben wir im Überfluss.“
Er drehte sich um und verschwand hinter der Kneipe, bevor Alice genügend Zeit gehabt hatte, um das Durcheinander in ihrem Kopf etwas zu ordnen und sich ein Bild zu machen. Es gibt wirklich Vampire. Drachen, Kobolde, was gab es noch alles in dieser Welt? Hexen? Werwölfe? Geister? Alle diese magischen Kreaturen existierten tatsächlich. Ich könnte eine von ihnen sein. Sie presste die Hände gegen die Stirn. Ich habe genügend Zeit mich zu entscheiden.
Ihr fiel ein, dass sie noch ihre Rechnung in der Bar begleichen musste und ging, noch immer wie im Traum, zurück in AUDREY's Bar.
Das unwirkliche Gefühl verstärkte sich noch, als sie den Raum betrat. Die kleine Fee und der Yeti waren verschwunden, um den Abend gemeinsam zu beenden, und die vier Trolle sangen in falschen Tönen ein Trinklied, dessen Text sich überhaupt nicht reimte und das vier verschiedene Melodien zu haben schien.
An der Theke, mit übereinandergeschlagenen Beinen und einem Schlitz in ihrem Kleid, der jede Menge Haut freilegte, saß Margot Dal. Die Galeristin prostete ihr mit dem Champagnerglas zu und zeigte auf den leeren Stuhl neben sich.
„Hey, Schätzchen. Ich habe gehört, dass Christopher mit dir gesprochen hat“, sagte Margot. Sie lächelte und zeigte zwei spitze Eckzähne.
„Ach du Scheiße, du bist ein…“ Alice schluckte das Wort herunter.
Margot leckte sich die Lippen. „Ja, ich bin ein Vampir. Ich bin sogar, die Erste, die Christopher verwandelt hat. Er hat mich bereits vor Hunderten von Jahren verwandelt. Damals war es nicht leicht, eine Frau, schwarz und obendrein noch lesbisch zu sein. Darauf stand die Todesstrafe.“ Sie zog die Nase kraus. „Die Welt ist...jetzt besser. Damals war die Entscheidung, so gut wie unbesiegbar zu werden, ziemlich einfach für mich.“ Margot sah Alice aufmerksam an. „Aber du hast andere Möglichkeiten. Und man muss auch einen Preis bezahlen, um das zu sein, was ich bin.“
„Christopher hat mir von diesem Hortari Dingsbums erzählt. Hat Christopher… hat er dich jemals zu etwas gezwungen?“
Margot schüttelte den Kopf. „Niemals absichtlich. Er ist immer sehr vorsichtig, was er sagt, aber es ist fast unmöglich keinen Fehler zu machen. Er ist ein sehr guter Erzeuger; viele andere Vampire haben echt Spaß daran, ihre Macht spielen zu lassen und ihren Nachkommen ihren Willen aufzuerlegen. Christophers Bruder, Rhys, ist ein richtiges Ekel in dieser Hinsicht. Wenn du Christophers Angebot annimmst, dann wirst du dieses Arschloch ganz bestimmt kennenlernen, obwohl du nicht verpflichtet bist, ihm zu gehorchen.“ Sie stellte ihr Glas ab. „Ich will dich jetzt nicht mit zu viel Info verwirren, aber du solltest die Einzelheiten wissen.“ Sie hielt eine Hand hoch und zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. „Wenn du ein Vampir bist, kannst du niemals schwanger werden und ein Baby haben, aber auf der anderen Seite, hast du auch keine lästige Periode mehr, das ist wieder von Vorteil. Du kannst alles essen, worauf du Lust hast und wirst kein einziges Gramm zunehmen. Stell dir vor, du kannst für alle Ewigkeit so viel Schokolade und Süßigkeiten essen, wie du willst und bleibst so schlank und rank wie du jetzt bist. Die einzige Nahrung, die du zu dir nehmen musst, ist Blut.“
Alice hatte noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, Kinder zu bekommen. Sie hatte vage in Betracht gezogen, dass es irgendwann mal passieren würde, aber es nie geplant. Für sie war das so eine Sache, die sich mit der Zeit automatisch ergeben würde.
Aber ich kann die ganze Welt, mit all ihren Wundern und Schönheiten, sehen.
„Trinkst du wirklich Blut?“, fragte Alice.
„Ja, daran muss man sich allerdings erst gewöhnen. Einige Vampire der alten Schule trinken es direkt vom Hals. Beim Sex macht das echt Spaß, aber die meiste Zeit haben wir eine Vereinbarung mit Blutbanken, dass sie uns die alten Konserven geben, die nicht mehr für Menschen geeignet sind.“
„Also, nehmen wir mal an, ich werde ein Vampir…“, sagte Alice. Es war erstaunlich einfach, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hatte. Die Verpflichtung gegenüber dem Erzeuger machte ihr Sorgen, aber wenn Christopher sein Wort hielt—und darin vertraute sie ihm instinktiv—würde er ihr fernbleiben und ihr ein eigenständiges, freies Leben erlauben. Als Vampir hätte sie die einmalige Chance, die Zeit zu haben, um alles zu erreichen, was sie wollte. Es wäre blöd, sie nicht z [...]