Landgeschichten - Armistead Maupin - E-Book
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Armistead Maupin

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Beschreibung

Armistead Maupins «Landgeschichten» ist ein Gesellschaftsroman, der das bunte Lebensgefühl San Franciscos in die ländichen Cotswolds bringt. Durch seine Texte bricht Maupin seit den Siebzigern mit lakonischem Witz kulturelle Grenzen auf.  Mona Ramsey aus San Francisco hätte nie gedacht, dass aus ihr einmal Lady Mona Roughton werden würde. Als Alleinerbin eines charmanten britischen Anwesens sorgt sie für ordentlich Wirbel in der ländlichen Gesellschaft der Cotswolds. Um ihr Landgut über Wasser zu halten, hat Mona zusammen mit ihrem Adoptivsohn Wilfred die Türen von Easley House für zahlende Gäste geöffnet. Die Freude über den bevorstehenden Besuch ihres alten Freundes Michael Tolliver wird getrübt durch die Ankunft eines amerikanischen Ehepaars, das ein dunkles Geheimnis umgibt. Mona muss all ihren Charme und ihren Erfindungsreichtum einsetzen, um die Dinge vor dem jährlichen Mittsommernachtsfest in Ordnung zu bringen. Für Fans von Armistead Maupin und diejenigen, die es werden wollen – Monas Abenteuer im England der 1990er-Jahre sind kultig, amüsant und queer. Der zehnte Band der «Stadtgeschichten»-Reihe kann unabhängig gelesen werden. Erstmals in den Siebzigerjahren erschienen, hat Armistead Maupin sich mit seinem «Stadtgeschichten» Zyklus sowohl über soziale als auch über sexuelle Barrieren hinweggesetzt, noch bevor die LGBTQIA+ Community überhaupt so genannt wurde. Er lässt seine heterosexuellen und queeren Charaktere gleichermaßen Herzschmerz und Triumph, atemraubenden Schrecken und erfreuliche Zufälle erleben. Das Ergebnis ist eine funkelnde und süchtig machende Sittenkomödie.

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Seitenzahl: 274

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Armistead Maupin

Landgeschichten

 

 

 

Über dieses Buch

Die Clique aus der Barbary Lane ist zurück!

 

Mona Ramsey aus San Francisco hätte nie gedacht, dass aus ihr einmal Lady Mona Roughton werden würde. Als Alleinerbin eines charmanten britischen Anwesens sorgt sie für ordentlich Wirbel in der ländlichen Gesellschaft der Cotswolds. Um ihr Landgut über Wasser zu halten, hat Mona zusammen mit ihrem Adoptivsohn Wilfred die Türen von Easley House für zahlende Gäste geöffnet. Die Freude über den bevorstehenden Besuch ihres alten Freundes Michael Tolliver wird getrübt durch die Ankunft eines amerikanischen Ehepaars, das ein dunkles Geheimnis umgibt. Mona muss all ihren Charme und ihren Erfindungsreichtum einsetzen, um die Dinge vor dem jährlichen Mittsommernachtsfest in Ordnung zu bringen.

«Maupins Erzählstil ist Kult. Auch Neueinsteiger werden ihn lieben!» Cosmopolitan

Vita

Armistead Maupin, geboren 1944 in Washington, studierte Literatur an der University of North Carolina und arbeitete als Reporter für eine Nachrichtenagentur. Er schrieb für Andy Warhols Zeitschrift Interview, die New York Times und die Los Angeles Times. Seine Geschichten aus San Francisco, die berühmten «Tales of the City», verfasste er über fast zwei Jahrzehnte als täglichen Fortsetzungsroman für den San Francisco Chronicle. Maupin lebt mittlerweile in Großbritannien.

Michael Kellner, 1953 in Kassel geboren, war, früher im Leben, Buchhändler und Verleger und übersetzt u.a. William S. Burroughs, Allen Ginsberg, Armistead Maupin und Atticus Lish. Er lebt in Hamburg.

Agnes Krup, geboren 1962 in Hamburg, ist eine deutsch-amerikanische Schriftstellerin, Übersetzerin und Lektorin. Ihr erfolgreiches Debüt «Mit der Flut» erschien 2017, darauf folgten die Romane «Sommergäste» sowie «Leo und Dora». Nach vielen Jahren in New York lebt sie heute in Berlin.

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel «Mona of the Manor» bei Doubleday, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg «Mona of the Manor» Copyright © 2024 by Armistead Maupin

Covergestaltung FAVORITBUERO, München, nach dem Original von Doubleday/Penguin Random House LLC, New York

Coverabbildung Design: Irene Martinez Costa/TW; Abbildung: Henry Arden/Getty Images

ISBN 978-3-644-02082-5

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für Chris.Für immer.

Als Frau habe ich kein Land. Als Frau will ich kein Land haben. Als Frau ist die ganze Welt mein Land.

— Virginia Woolf, Drei Guineen

1.Das Herrenhaus wartet schon

Dem Reiseführer zufolge hatten sie bereits das «legendenumwobene Herz von England» erreicht, aber Rhonda Blaylock sah durch das Zugfenster nicht mehr als einen wässrigen grünen Schleier, während der Zug durch die Landschaft rumpelte.

«Im Herrenhaus werden wir es nett und kuschelig haben», sagte sie aufmunternd zu ihrem Ehemann, der angesichts des Wetters bereits muffelig wurde. Sie war begeistert, dass ihr das Wort «Herrenhaus» so selbstverständlich über die Lippen kam. Sie hatte zuvor nie die Gelegenheit gehabt, es laut auszusprechen, wenn man mal das Herrenhaus Barbecue nicht mitzählte, wo sie und Ernie ihre Silberhochzeit gefeiert hatten, zu Hause in North Carolina. Jetzt waren sie aber unterwegs zu einem echten Herrenhaus – erbaut in der Regierungszeit von Königin Elisabeth I. –, und sie konnte ihre Begeisterung kaum zügeln.

«Hast du ihnen gesagt, dass wir kommen?», brummelte Ernie und presste sein Gesicht missmutig gegen das Fenster.

«Natürlich.» Sie hatte vom Bahnhof in Oxford nur aus diesem Grunde dort angerufen. «Ein Mann mit wohlklingender Stimme sagte, dann würde er sich gleich mal dranmachen, unsere Bettpfannen vorzuwärmen.»

Er drehte sich um und starrte sie mit offenem Mund an. «Was will er?»

Sie kicherte über ihren Lapsus. «Bettwärmer … oder so was. Das haben sie früher für Gäste gemacht, wenn sie das Bett aufschlugen. Ich glaube, es war der Butler.»

«Warum?»

«Er nannte sich Wilfred. Kein Nachname.»

«Ich dachte, Butler werden immer mit Nachnamen angeredet.»

Ernie war einfach auf Krawall gebürstet, aber darauf ließ sie sich gar nicht erst ein. Das hier war nicht die teuerste Unterkunft ihrer Tour durch zehn europäische Städte (dieser Titel gebührte einem noblen Marriott in Paris), aber es war diejenige, von der Rhonda geträumt hatte, seit sie eine Postkarte bekommen hatte, mit der ihre Zahlung per Diners-Club-Kreditkarte bestätigt worden war. Auf der einen Seite war eine idyllische Tuschezeichnung von Easley House; auf der anderen fand sich eine persönliche Nachricht von der Lady des Gutshauses. «Willkommen in meinem Haus», hieß es dort, von Lady Roughton höchstselbst (in nicht weniger als rosafarbener Tinte). «Wir sehen Ihrem Besuch höchst freudig entgegen.»

In Rhondas Ohren klang das herzlich und persönlich. Nicht nur freudig, sondern höchst freudig wurden sie erwartet, wie eine alte Freundin von der Highschool, die sie in ihrem Cottage in Nags Head begrüßte. Doch hier handelte es sich um eine englische Aristokratin, eine völlig Fremde, deren Familie fast fünfhundert Jahre in diesem Haus gewohnt hatte. Diese lässige Liebenswürdigkeit schien weit über das Nötige hinauszugehen, auch wenn sie die Blaylocks tausend Pfund für einen dreitägigen Aufenthalt kostete.

Sie war so froh, dass sie über die Kleinanzeige in der Zeitschrift Southern Living gestolpert war. Dies würde etwas ganz Besonderes werden.

 

Wie angewiesen stiegen sie in Moreton-in-Marsh aus, einem idyllischen Dorf, das aus dem rotgoldenen Kalkstein der Cotswolds erbaut war. Der Wind und der peitschende Regen setzten ihren Taschenregenschirmen schwer zu und boten Ernie Anlass für eine weitere Tirade.

«Im Black Bear bekommst du erst mal einen heißen Rum», sagte sie zu Ernie und hakte sich bei ihm ein, während sie sich die Straße entlangkämpften und das Gepäck hinter sich herzogen. Wilfred hatte ihr von dem Pub erzählt und auch, dass man beim Barkeeper einen Fahrer nach Easley House bestellen sollte.

Als sie den Pub erreicht und den Regen abgeschüttelt hatten, taten sie genau das.

«Der Fahrer heißt Colin», sagte der Barkeeper. «Wird in zwanzig Minuten hier sein. Ein Glatzkopf mit großen schwarzen Augenbrauen. Die zwei Grog sind gleich fertig. Wie wär’s mit ein paar hübschen Schottischen Eiern aufs Haus, während ihr wartet?»

«Was ist das?», fragte Ernie misstrauisch.

Bevor der Barkeeper nur ein Wort sagen konnte, klärte Rhonda ihn auf. «Das ist ein hart gekochtes Ei in paniertem Hackfleischteig, der gebraten wird. Komm schon, Ernie, so Sachen magst du doch.» Sie hatte erst vor Kurzem in einem englischen Liebesroman von Schottischen Eiern gelesen, und es amüsierte sie, diese jetzt im echten Leben angeboten zu bekommen. «Wir nehmen zwei», ließ sie den Barkeeper wissen. «Und kümmern Sie sich nicht um das Gesicht, das mein Mann zieht. Er hat in letzter Zeit zu viel gearbeitet.»

Ernie hatte den größten Teil des Jahres seine Anwaltstätigkeit ruhen lassen, um Jesse Helms’ Kampagne zur Wiederwahl in North Carolina zu unterstützen. Es war eine erschöpfende Erfahrung gewesen, aus der er missmutiger als normal hervorgegangen war. Natürlich hatte der Senator gewonnen (der Senator gewann immer), aber nach der Wahl hatte er nicht mal einen Dankesbrief an Ernie geschickt, geschweige denn ihn zum Lunch in die Senats-Cafeteria eingeladen, worauf Ernie gehofft hatte. Seitdem, hatte Rhonda bemerkt, war ihr Mann zunehmend reizbar geworden, was den Umgang mit Dienstpersonal betraf – sei es ihre gewissenhafte Hausangestellte Alva oder dieser nette Barkeeper oder der Kellner in London im Simpson’s-in-the-Strand, der das Roastbeef nicht so tranchiert hatte, wie Ernie es bevorzugte.

Der Barkeeper warf ihnen ein schiefes Lächeln zu und stellte die Eier vor ihnen ab. «Sie sind also Freunde von Lady Roughton?»

«Nein», antwortete sie. Sie war begeistert, für eine Freundin von Lady Roughton gehalten zu werden, und fragte sich kurz, ob wohl ihr Montaldo’s-Regenmantel und der Fuchsjagd-Schal von Hermès diesen Eindruck hervorgerufen hatten. Sie musste es einfach fragen: «Warum glauben Sie, dass wir Freunde sind?»

Der Barkeeper wischte den Tresen und zuckte mit den Achseln. «Sie sind doch Amerikaner, oder?»

Ernie kniff die Augen zusammen. «Ja, und zwar stolze.»

Rhonda warf ihrem Mann einen missbilligenden Blick zu, bevor sie dem Barkeeper antwortete. «Ist Lady Roughton mit vielen Amerikanern bekannt?»

Ein weiteres Achselzucken. «Ich vermute schon. Schließlich ist sie selbst Amerikanerin.»

«Sie ist Amerikanerin? Ich dachte, ihre Familie reicht zurück bis in elisabethanische Zeiten?»

«Tut sie auch. Aber sie kam vor zehn Jahren und heiratete Lord Teddy. Dann starb das arme Schwein, und sie musste den Laden schmeißen. Obwohl sie das scheinbar mag. Sie hat mir gesagt, das sei offenbar ihr Schicksal. Läge in der Familie. Keine Ahnung, was es damit auf sich hat … nun ja.»

«Dann kennen Sie sie?»

«Alle kennen sie. Sie kommt ins Dorf zum Einkaufen.» Er pausierte kurz. «Ihr seid also keine Freunde, sondern Feriengäste?»

Rhonda murmelte etwas Zustimmendes und fühlte sich irgendwie beschämt.

 

Colin, der glatzköpfige Fahrer mit den buschigen Augenbrauen, war ein wortkarger Mann. Während der zwanzigminütigen Fahrt vom Pub nach Easley House sagte er kaum ein Wort, selbst dann nicht, als Rhonda sich anerkennend über die Landschaft äußerte: die vorbeiziehenden Auen, die Kapelle am Wegesrand, deren Fenster im Regen rosarot aufleuchteten, eine uralte Holzscheune, marode, aber irgendwie doch schlicht schön. Jedes Cottage, das sie unterwegs sahen, war aus dem gleichen rotgoldenen Kalkstein erbaut worden, den sie schon im Dorf gesehen hatten. Diese Einheitlichkeit sorgte dafür, dass irgendwie alles mit allem zusammenzugehören schien, die verstreute Nachkommenschaft des großen Hauses höchstselbst, das plötzlich am Ende eines Hohlwegs vor ihnen auftauchte.

Bei dem Anblick schnappte Rhonda nach Luft. «Oh, Ernie, schau bloß.»

«Ich sehe es», sagte ihr Gatte.

Easley House war ein weitläufiges, zweistöckiges Gebäude mit hohen Giebeln, die in ein steiles Dach schnitten. Durch die vielen Jahre und das Wetter war der Kalkstein hier nachgedunkelt und hatte jetzt einen vielfältigen Grauorangeton angenommen, wie das Fell eines Tigers. Der Dachfirst war mit Zinnen wie auf einem Hochzeitskuchen geschmückt, und das Eingangstor war so imponierend, dass man es aus großer Entfernung erkennen konnte. Während Colin in eine Zufahrt an der Seite des Hauses mit tiefen Spurrillen einbog, sah sie, wie sich Rauch aus einem gewaltigen Schornstein kringelte. Rhonda fühlte ihr Herz schneller schlagen, als sie sich vorstellte, in das imposante Haus einzutreten.

«Wie kommen wir jetzt zum Eingangstor?», fragte sie, während Ernie das Gepäck auslud.

«Das Eingangstor wird nicht benutzt.»

«Von Gästen, meint er», sagte Ernie.

«Nein, Sir. Niemand benutzt es. Es ist zugenagelt. Lady Mo sagt, es macht nur Ärger.»

«Wer?»

«Lady Roughton heißt Mona. Einige von uns nennen sie Lady Mo.»

«Nein, ist das niedlich. Wie Lady Di. Glauben Sie, es würde sie stören, wenn wir sie …?»

«Was sind wir Ihnen schuldig?», fragte Ernie, den das Geplauder ungeduldig machte.

«Genau zehn Pfund», sagte der Fahrer.

Ernie fischte einen Schein aus der Brieftasche und gab ihn dem Fahrer. «Danke, Colin. Und wie in drei Teufels Namen kommen wir jetzt da rein?»

«Gleich hier, Sir.» Er zeigte auf eine unscheinbare Tür vor dem Auto. «Gehen Sie einfach den Gang entlang, bis Sie in eine große Halle kommen. Dort liest Sie dann jemand auf.»

Also ratterten sie und Ernie mit ihrem Gepäck durch einen muffigen Flur, an dessen Wände Gartengeräte und rostige Fahrräder gelehnt waren.

Ernie grunzte hörbar. «Tausend Pfund», murrte er.

«Psssst», fuhr sie ihn an und legte den Finger auf die Lippen. Der Gang schien gleich zu Ende zu sein, und sie wollte nicht, dass Ihre Ladyschaft mitbekam, wie taktlos sie hier auftraten. Und tatsächlich wichen die schmutzigen Hacken und Rechen gleich darauf dunkelgrünen Wänden, die voll von mürrischen Ahnenbildern und düsteren Landschaften waren und dem ramponierten Poster eines schmutzigen Glasfensters, über dem Erasure geschrieben stand, was – wie sie annahm – sicher etwas Religiöses bedeutete.

Dann standen sie plötzlich in der großen Halle, ein hochgewölbter Raum, dessen Wände den Schein eines Feuers zurückwarfen. Der Kamin war riesig, vermutlich hoch genug, dass man darin stehen konnte, und in ehrfürchtigem Staunen ergriff sie für einen Augenblick Ernies Hand. Ein großes Fenster aus farbigem Glas warf ein zitronengelbes Licht auf ihre Gesichter, die Illusion von Sonnenschein.

«Was ist das für ein Geräusch?» Ernie klang misstrauisch.

Sie hörte es auch. Ein unregelmäßiges, tröpfelndes Geräusch, das von überallher kam.

Natürlich war es Ernie, der es herausfand. «Das gottverdammte Dach ist undicht.» Er zeigte triumphierend auf einen Kochtopf auf dem Fußboden, als hätte er gerade einen nicht aufgeklärten Mordfall gelöst. Der Topf war bereits zur Hälfte mit Regenwasser gefüllt, und in der Halle standen strategisch verteilt noch drei oder vier weitere, um die Tropfen aufzufangen.

Es war niemand da, um sie zu begrüßen. Nicht mal einen Tisch mit einer Glocke gab es, um sich bemerkbar zu machen.

«Haaaallo», rief sie und versuchte, so freundlich wie möglich zu klingen. «Die Gäste sind da.» Es klang sogar in ihren eigenen Ohren albern, aber es war das Einzige, was ihr einfiel.

Ernie verdrehte mit einem schwerfälligen Seufzer die Augen. Sie wusste, er würde gleich in die Luft gehen, aber Gott sei Dank wurde er unterbrochen. Aus einer Schwingtür brach ein junger Mann hervor, der ein Tablett mit Teegeschirr auf seinen Armen balancierte. Er trug eine karierte Fliege und einen ärmellosen Rhombenmuster-Pulli mit einem unübersehbaren Loch darin. Seine Haare waren zu einem leichten Afro gestylt, und die Haut hatte jenen Café au Lait-Ton, weshalb sie ihn vermutlich als «Mulatte» bezeichnet hätte, bevor Oprah deutlich klargemacht hatte, dass sie das nicht mochten.

Er grüßte Rhonda mit einem schamvollen Blick, der einfach nur süß war. Sie schätzte ihn auf Mitte zwanzig, aber seine Verlegenheit ließ ihn jünger aussehen. «Sie müssen Mrs. Blaylock sein.» Er setzte das Tablett auf einer dunklen Anrichte aus Eiche ab. «Dies sollte eigentlich Ihr Willkommenstee sein. Tut mir so leid, ein kleines Missverständnis. Colin hupt normalerweise, wenn er wieder fährt. Soll ich den Tee oben in Ihrem Zimmer anrichten oder … Ihnen gleich hier eine Tasse einschenken?»

Sie fand seine nervösen Anstrengungen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, rührend.

«Na ja, ich glaube, wir würden gerne hier eine Tasse Tee trinken», sagte sie. «Das ist Mr. Blaylock. Wir sind total durchgefroren.» Sie hatte sich einen Butler zwar völlig anders vorgestellt, erkannte die Stimme aber vom Telefon wieder. «Sie müssen Wilfred sein.»

«Schuldig im Sinne der Anklage», sagte er und stellte ein paar zierliche Tassen und Untertassen bereit, die so gar nicht zueinander passen wollten. Seine Hand zitterte deutlich sichtbar, als er versuchte, den Tee einzuschenken. Dann rutschte er ab, und die angelaufene silberne Teekanne fiel auf eine der Tassen, die zu Bruch ging. «Scheiße!», brummelte er, um dann Rhonda einen betretenen und zerknirschten Blick zuzuwerfen. «Bitte entschuldigen Sie mein Angelsächsisch.»

«Wir brauchen keinen Tee», sagte Ernie verdrießlich. «Zeigen Sie uns bitte einfach unser Zimmer.»

Rhonda tat der junge Mann leid, der schließlich nur versuchte, seinen Job zu machen. «Sie haben es ja gut gemeint», ließ sie ihn wissen, während er hastig versuchte, die Porzellanscherben einzusammeln, und sich dann ihrem Gepäck zuwandte. «Lady Roughton wird gleich bei Ihnen sein», sagte er. «Ihr Zimmer ist die Treppe hinauf und dann die dritte Tür links. Ich stelle Ihr Gepäck schon mal hinein.»

Damit verschwand er und ließ die Blaylocks wieder allein in der großen Halle zurück.

«Tausend Pfund», nörgelte Ernie.

«Halt einfach den Mund», flüsterte Rhonda vor sich hin.

«Sagst du zu deinem Mann, er soll den Mund halten?»

«Ja, Ernie, ich glaube schon.»

«Na gut. Dann sage ich dir, dass wir genug Grips hätten haben sollen, noch zwei Tage im Dorchester zu bleiben, aber nein … Du musstest ja unbedingt deinen La-di-Dingsda-Landsitz …»

Er unterbrach sich, als er Schritte auf der Treppe hörte.

Die Frau, die in Sicht kam, hatte rote Ringellocken, die sich wie Lava ihren Kopf hinab ergossen. Sie trug Reithosen und ein moosgrünes schulterfreies Top. Sie schien irgendwo in ihren späten Vierzigern zu sein. «Willkommen in meinem kleinen Freudenhaus», sagte sie, während sie geräuschvoll die letzten Stufen herunterkam. «Ich bin Mona Roughton. Bitte entschuldigen Sie das Getröpfel. Es kommt jedes Jahr wieder, egal, wie sehr wir auch das Dach flicken. Ich hoffe, mein Sohn hat Ihnen eine schöne Tasse Tee gebracht.»

Ihr Sohn? Diese hellhäutige Weiße? Rhonda suchte nach Worten. «Oh … ja … Sie meinen Wilfred … er war sehr freundlich … sehr aufmerksam.» Sie warf Ernie einen schnellen Blick zu, um sicherzugehen, dass er nicht auf die zerbrochene Teetasse zu sprechen kommen würde, die unübersehbar auf dem herrenlosen Tablett lag. Sie wollte Wilfred keinen Ärger machen.

«Wir sind ein Familienbetrieb», sagte Lady Roughton, als würde sie Rhondas Gedanken lesen. «Es gibt hier nicht viel Personal, es sei denn, Sie zählen unseren Gärtner mit, Mr. Hargis, der weiß, wie der Hase bei diesem alten Mädchen läuft … oder manchmal auch nicht läuft.» Sie hielt Rhonda die Hand hin. «Ich nehme an, Sie sind die Blaylocks. Wenn nicht … bewegen Sie Ihren Arsch von meinem Familiensitz.»

Sie wusste, das war freundlich gemeint, also schaffte sie einen kleinen Gluckser. Ernie schien erst mal sprachlos zu sein, zumindest für den Augenblick.

«Kommen Sie», sagte Lady Roughton und winkte sie zur Treppe. «Sie wollen jetzt sicher erst mal ein heißes Bad nehmen und dann ein Päuschen machen, nicht wahr? Ihr Zimmer hat die beste antike Badewanne im Haus und einige fabelhafte Lavendel-Badesalze. Vor dem Dinner zeige ich Ihnen das Gebäude, aber Sie können sich auch gerne allein umsehen. Es ist sonst niemand hier, und der Zutritt ist überall erlaubt. Betrachten Sie das als Ihr privates Disneyland. Ich mache das jeden Tag so.»

Sie folgten ihr also die Treppe hinauf in ein Zimmer mit hoher Decke, einem abgewetzten Orientteppich und einem Himmelbett mit Baldachin und vier Bettpfosten. An einer Seite ging es in ein Badezimmer, das erst vor Kurzem in einem schrecklichen Violett gestrichen worden zu sein schien. Ernie, der die ganze Zeit schweigend im Zimmer herumgeschlichen war, fühlte sich wohl genötigt, das Label auf einer geschmeidigen Glasflasche neben dem Bett zu untersuchen und laut vorzulesen: «Malvern Water.»

«Das Beste, was es gibt», sagte Lady Roughton, «die Queen hat es auf allen ihren Reisen dabei. Schmeckt viel besser als das, was aus diesen alten Leitungen kommt. Die sind mindestens so alt, wie die Französische Revolution her ist.» Sie ging zum Fenster und riss einen Damastvorhang auf, der an irgendeinem Punkt seines langen Lebens einmal rot gewesen sein musste. «Von hier aus haben Sie einen umwerfenden Blick auf unseren Prachtbau. Sehen Sie? Dort?»

Rhonda trat neben sie ans Fenster. Vor ihr erstreckte sich ein steiler grüner Hügel, auf dem ein kleines Folly stand, ein exzentrischer Pavillon, der von einem albernen Dach gekrönt war. Lady Roughton erklärte: «Ein Vorfahre meines verstorbenen Mannes, der x-te Earl von Wer-zur-Hölle-weiß-das-schon, hat ihn erbaut, um seiner Frau zu entkommen, die tiefreligiös war, wenn Sie wissen, was ich meine.»

Rhonda wusste nicht, was sie meinte, und begrüßte die Ablenkung durch einen großen gelben Hund, der ins Zimmer gekommen war und jetzt an ihrem Bein schnüffelte.

«Na, was ist denn das für ein Süßer?»

«Das ist Miss Vanilla Wafer, aber Sie können sie Nilla rufen. Sie kann sich frei im Haus bewegen. Wenn sie ein totes Beutestück in Ihr Zimmer bringt, ist das eine Gunstbezeugung.»

Ernie hatte häufig für Hunde mehr übrig als für Menschen und hockte sich jetzt hin, um den Hund hinter den Ohren zu kraulen. «Du bist ein gutes Mädchen, nicht wahr? Nicht wahr, Nilla?» Rhonda war angetan, ihren Mann einmal so weich zu erleben. Für Außenstehende wirkte er dann menschlicher. Er schaute auf zu Lady Roughton: «Sie ist ja wirklich eine Schönheit. Gehen Sie mit ihr jagen?»

Die Lady des Herrensitzes schaute ihn fassungslos an. «Sie meinen, hinausgehen und auf Sachen schießen?»

«Sicher. Dafür werden sie gezüchtet. Sehen Sie die großen, weichen Fänge?» Er tätschelte das Maul des Hundes. «Die sind dafür da, um tote Fasanen zu apportieren, ohne sie zu zerfleischen.»

«Na ja … gut zu wissen, aber so etwas gibt es in Easley nicht. Jedenfalls nicht, solange ich das Sagen habe. Kein Jagdsport hier. Nilla muss mit den Wühlern vorliebnehmen.»

In der Luft lag jetzt eine gewisse Spannung, und Rhonda versuchte, das Thema zu wechseln. «Tut mir leid, aber ich weiß nicht, was ein Wühler ist.»

«Bloß eine Art Feldmaus, die wühlt», sagte Lady Roughton und war schon mit dem Hund auf dem Weg zur Tür. «Zeit zum Brotbacken. Dinner um acht in der Haupthalle. Falls Sie sie bellen hören, geben Sie nichts drauf. Nilla wird erregt, wenn sie frisches Brot riecht. Sie ist einfach eine große olle Lesbe, die Gute.»

Und damit war sie verschwunden.

Ernie wandte sich seiner Frau zu. «Wir verschwinden hier», sagte er.

«Ich nehme ein Bad», entgegnete Rhonda.

2.E im Fridge

Als Mona durch die Schwingtür platzte, stand Wilfred über einen Kessel mit Lammeintopf gebeugt.

«Das riecht mirakulös», sagte sie.

«Na ja … das ist meine Spezialität, nicht wahr?»

Lammeintopf war eine der drei «Spezialitäten» Wilfreds; die anderen beiden waren Cottage Pie (ein Kartoffel-Hackfleisch-Auflauf) und panierter Schellfisch, aber mehr als drei brauchten sie im Allgemeinen auch nicht, um ihre Gäste zu verpflegen. Die meisten Gäste blieben nicht länger als drei Nächte, dann war der Reiz des Neuen verflogen, und die Feuchtigkeit hatte sich eingenistet. Dann, wenn sie erst einmal kapiert hatten, dass es in dem ganzen Laden nur einen einzigen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher gab und der schielende Mr. Hargis die Angewohnheit hatte, gerade dann aufzukreuzen, wenn man ihn am wenigsten erwartete. Easley House schätzte Charakter höher als Bequemlichkeit. Einige Leute verstanden das; die anderen konnten sich verpissen.

Sie fragte Wilfred, was er von den Blaylocks halte.

Er zuckte mit den Achseln und rührte weiter im Eintopf. «Ganz nett, schätze ich.»

«Und mit dem Tee lief alles gut?»

Noch ein Achselzucken.

«Du hast einen Kater, stimmt’s?»

Er hörte auf zu rühren und sah sie an. «Und warum sagen Sie das, Eure Ladyschaft?» Er gebrauchte diesen Begriff nur, wenn er abfällig wurde.

«Na ja», erwiderte sie, «es ist Montag, und du warst am Wochenende in London, und jedes Mal, wenn du im Fridge E eingeworfen hast, bist du ein chaotischer Tollpatsch … und da sind jede Menge belastende Scherben einer Teetasse mit deinen Fingerabdrücken drauf. Reicht das?»

Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. «Perfekt, Miss Marple.»

«Hast du jemand Netten getroffen?»

«Mhm.»

«Ich hoffe, er ist nicht oben?»

Wilfred schüttelte den Kopf. «Er hat mich nach dem Frühstück zum Zug gebracht.»

Der letzte Lover von Wilfred war über Nacht in Easley House geblieben, was nur Wilfred wusste, und Mona war am frühen Morgen von einem markerschütternden Schrei geweckt worden, als ein zahlender Gast aus Derbyshire – niemand Geringeres als eine Bibliothekarin in Rente – im Flur einem splitternackten ägyptischen Bodybuilder auf der Suche nach der Toilette begegnet war. Eine eher unschöne Begegnung.

«Ich will ja nicht mehr, als gewarnt zu werden», sagte sie. «Die arme Frau war voll traumatisiert.» Sie zögerte einen Augenblick. «Du passt schon auf, oder?»

«Ich schwöre, Mo … oben ist niemand.»

«Das meine ich nicht. Es ist nur wegen … du weißt schon, Safer Sex. E kann dazu führen, dass du dir unbesiegbar vorkommst. Wenn du dich in so einem Augenblick hinreißen lässt, dann vergisst du alles andere …»

«Um Himmels willen, Mo! Wir haben uns bloß in einer dunklen Ecke einen runtergeholt.»

Mona blinzelte ihn an. «Und er hat dich trotzdem am Morgen zum Zug gebracht?»

«Allerdings!»

«Das ist ja das Netteste, was ich seit Ewigkeiten gehört habe.»

Wilfred zuckte mit den Achseln. «Er mochte mich. Stell dir vor.»

«Irgendwann darfst du ihn gerne mal mit hierherbringen … und jeden anderen auch, was das betrifft.»

Sie versuchte, nicht wie eine kontrollsüchtige Mutter zu klingen, obgleich sie im technischen Sinne genau das war. Wilfred lebte schon zehn Jahre in Easley, aber als Thatchers Einwanderungs-Gorillas nach seinem Einzug angefangen hatten herumzuschnüffeln und die Abschiebung nach Australien im Raum stand, hatte sie sich bemüßigt gefühlt, den damals noch minderjährigen Wilfred zu adoptieren. Das war natürlich lächerlich, denn Wilfred war in einem besetzten Haus in Brixton zur Welt gekommen, aber es war klar, worum es den Behörden ging: Sie wollten nicht, dass ein Anglo-Aborigine ohne Papiere in einem Herrensitz herumlief. Also hatte Mona dafür gesorgt, dass er Papiere bekam. Nachdem er offiziell ihr Sohn geworden war, zog er in eines der spektakulären Zimmer unter den Giebeln.

«Dein Zimmer ist wie gemacht für die Liiiiebe», sagte sie und zog das Wort in die Länge wie Barry White, um zu demonstrieren, dass sie Übernachtungsgäste völlig in Ordnung fand. Wilfred hatte den Raum mit kleinen Teppichen und Betttüchern geschmückt, die er auf dem Dachboden gefunden hatte, und zusammen mit ein paar Kerzen und Kissen und hängenden Räucherschalen so die liederliche Atmosphäre eines Harems geschaffen. Mit einem Anflug von Nostalgie hatte sie erkannt, dass dies genau die Art von Schlupfwinkel war, die sie für sich selbst damals in San Francisco geschaffen hatte (wenn man die allgegenwärtigen Pin-ups von Wilfreds Idol George Michael mal außen vor ließ).

Mona wollte wirklich, dass Wilfred jemanden fand, aber der Gedanke, dass er voll auf Ecstasy durch London cruiste, jetzt, wo die Seuche schlimmer denn je tobte, jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Sie hatte gehofft, dass er jemand Nettes in der Stadt treffen würde – wobei mit Stadt ihr verkommenes Örtchen namens Easley-on-Hill gemeint war, wo Wilfred manchmal auf Kirchenfesten oder bei Fußballspielen cruisen ging in der Hoffnung, jemanden zu treffen, der auch schwul war und tatsächlich auf dem Land lebte. Sein einziger aussichtsreicher Kandidat, der blonde und höchst lebendige Sohn eines Pfarrers, hatte fragwürdige Motive. Wie Wilfred einmal sagte: «Er wollte einfach in mein Haus und nicht in meine Hose.» Easley House übte auf einige Ortsbewohner, die höher hinauswollten, noch immer eine starke Anziehungskraft aus, auch wenn die Erbfolge mit dem Tod von Teddy nicht mehr gegeben war. Diese zerbröckelnden rotgoldenen Steine hatten noch immer ihre Magie, und niemand wusste das besser als Mona, die ihren Lebensunterhalt durch die Neugierde von Fremden bestritt. Sie hatte den Gedanken, die Magie mit diesem süßen Kerlchen zusammen zu erleben, großartig gefunden.

Als Wilfred hierherzog, war er gerade einmal sechzehn gewesen, ein echtes Findelkind, das ihr Freund Michael Tolliver quasi auf den Stufen ihres Hauses zurückgelassen hatte, nachdem er eines Tages auf der Suche nach ihr einfach aufgekreuzt war. Damals hatte Wilfred sich in Michael verguckt, aber Michael hatte seine Avancen wie ein Ehrenmann zurückgewiesen. Als Michael ein paar Wochen später nach San Francisco zurückkehrte, war Wilfred in Easley geblieben und innerhalb kürzester Zeit ein Mitglied von Monas «logischer Familie» geworden, ein Begriff, den ihre Mutter gerne benutzte. Und ohne jemals darum zu bitten, hatte Mona nach all den Jahren plötzlich einen Sohn.

Natürlich hatte es Gerede im Dorf gegeben, dass sie und Wilfred es miteinander treiben würden. Sie sah das anzügliche Grinsen auf den Gesichtern, wenn sie zusammen ihre wöchentliche Einkaufstour unternahmen, und es nervte sie tierisch und machte ihr auch Sorgen, denn das würde sie zu einer Kinderschänderin, sogar zu einer Pädophilen machen. In Gloucestershire war es ein offenes Geheimnis, dass ihr verstorbener Mann eine dieser extrovertierten Queens gewesen war, wie konnten sie Mona also einer derart billigen Heterosexualität verdächtigen? Hier gibt es nichts zu sehen, wollte sie ihnen ins Gesicht schreien. Bloß ein paar Schwule, die eine Familie gründen!

Das Kinderschänder-Geschwätz verstummte schnell, als sie eine Affäre mit Poppy Gallagher anfing, der atemberaubenden Postmeisterin von Chipping Campden. Poppy hatte eine Lösung für den wachsenden Berg von Briefen möglicher Übernachtungsgäste gefunden. «Du bekommst ein eigenes Postfach», hatte sie ihr eines Tages mitgeteilt und sich dabei das seidenglänzende kastanienbraune Haar aus dem Gesicht gewischt; es war glasklar, was sie sonst noch anzubieten hatte. An diesem Nachmittag fielen sie übereinander her, und so heiß ging es den ganzen Sommer über weiter, manchmal in Easley, manchmal in Poppys umgebauter Wassermühle in Blockley. Aber mit dem ersten Frost war auch der Überschwang abgekühlt. Sie trafen sich immer noch, aber inzwischen eher, um Stecklinge auszutauschen statt Cunnilingus. Sie waren gelegentliche Fickfreunde, die sich ein bisschen umeinander kümmerten, und das war nach Monas Einschätzung nicht das Schlechteste.

In Wahrheit war sie gerne Single in Easley House. Wenn ihr nach Gesellschaft war, dann gab es immer Wilfred und die Gäste, und sie liebte die süße, alles umfassende Einsamkeit dieses Ortes, die leeren Zimmer und die verwinkelten Gärten, die nur darauf warteten, sie in die Arme zu schließen, wann immer sie Ruhe brauchte. Manchmal hatte sie das Gefühl, dieses Haus hätte schon ihr ganzes Leben nur auf sie gewartet.

Oder sie hatte auf es gewartet.

 

Der Regenguss war stärker geworden und trommelte gegen die rautenförmigen Scheiben über dem Abwaschbecken in der Küche; Mona und Wilfred gingen in die große Halle, um zu sehen, wie es den Auffangschalen ging. Wie sie vermutet hatte, war eine kurz vor dem Überlaufen.

«Ich glaube, wir sollten den Tisch verschieben», sagte sie, «nur vorsichtshalber. Wenn es auf die teure Frisur der Frau tröpfelt, dann wird das eine kostspielige Angelegenheit. Und wir sollten auch ein paar Scheite in den Kamin werfen, glaubst du nicht auch? Hier friert man sich ja die Eierstöcke ab.»

Wilfred stimmte ihr in allen Punkten zu und versuchte, ihr mit dem Tisch zu helfen, einem Monster aus Eichenholz, das die Gäste mit seinen freiherrlichen Abmessungen beeindruckte, aber ums Verrecken kaum zu bewegen war. «Soll ich Mr. Hargis holen?», fragte Wilfred, als ihre Versuche vergeblich waren.

«Nur wenn du zusehen willst, wie er einen Herzinfarkt bekommt.» Sie stand auf und drehte ihren Oberkörper hin und her, um sicherzugehen, dass sie sich nicht den Rücken verrenkt hatte. «Wenn die undichte Stelle wandert, dann stellen wir einfach eine Auffangschale auf den Tisch und bewegen Mrs. Blaylock. Das wird pittoresk. Darüber werden sie noch jahrelang reden, wenn sie wieder zu Hause in Alabama sind.»

«North Carolina», sagte Wilfred.

«Das Gleiche in Grün», antwortete Mona.

Wilfred überlegte einen Augenblick. «Glaubst du, sie sind Rassisten?»

Mona zuckte mit den Schultern. «Bisher nicht. Hast du was aufgeschnappt?»

«Nee. Mir schienen sie okay zu sein.»

«Wir können uns keine Haarspaltereien leisten, oder? Je weniger wir über die politische Haltung unserer Gäste wissen, desto besser. Wir greifen nur ihr Geld ab und sorgen dafür, dass sie sich amüsieren.»

Wilfred grinste sie an. «Wie deine Oma schon sagte.»

Von all den halbseidenen Details aus Monas Wundertüte, die sich Leben nannte, beeindruckte Wilfred am meisten die Tatsache, dass ihre Großmutter ein Bordell in Nevada geführt hatte. Das brachte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Sprache. Mona lächelte, um zu signalisieren, dass sie die offenkundige Parallele zwischen ihrem Leben und dem ihrer Namenspatronin erkannt hatte. «Na ja, wir brauchen einfach die Kohle, das ist verdammt noch mal sicher. Die Blaylocks haben unseren neuen Wasserboiler gezahlt, und das keinen Augenblick zu früh.»

So dachte sie inzwischen über ihre zahlende Kundschaft: Notwendigkeiten, die für Notwendigkeiten aufkamen. Das Paar aus Milton Keynes hatte die Reparaturkosten für Teddys alten Toyota gezahlt. Ein paar wackere texanische Dykes deckten die Lebensmittel für einen Monat und eine neue Lieferung Malvern Water ab. Dieser Geschichtsprofessor aus Glasgow hatte ihr aus der Klemme mit dem Stromlieferanten geholfen, als sie kurz davor waren zu behaupten, dass Kerzenlicht einfach ihre bevorzugte Form der Beleuchtung wäre. Manchmal waren sie an ihre Grenzen gekommen, aber das Haus hatte alles überstanden.

Mr. Hargis kam in die große Halle und taumelte unter einem gigantischen Strauß Narzissen, aus dem noch immer der Regen tropfte. «Ich dachte, ich bringe Ihnen ein bisschen Frühling ins Haus, Milady.» Mona hatte gleich von Anfang an versucht, dem alten Kauz diesen Milady-Mist abzugewöhnen, aber davon abgelassen, als sie verstand, wie viel es ihm bedeutete. Wohl oder übel war sie nun mal seine Lady, so wie Teddy fünfzig Jahre lang sein Lord gewesen war, und es war nicht richtig, ihm das an seinem Lebensabend zu nehmen.

«Sie sind mein Held», sagte sie und nahm die Blumen entgegen, um sie in einen großen Kupferkessel auf dem Tisch zu stopfen. Dies würde ein Beleg für die Jahreszeit sein, dachte sie, Vorbote des berühmten englischen Frühlings, wofür die Blaylocks eine Menge Geld hingelegt hatten. «Hol doch bitte etwas Wasser für die Narzisschen, mein Lieber, ja?»

Wilfred riss die Augen auf. «Aber du könntest sie doch unter ein Leck stellen.»

«Sehr lustig. Und jetzt beweg dich. Die kommen nach ihrem Nickerchen diese Treppe runter, und wir müssen ihnen eine Show liefern.»

Sie gab ihm einen Klaps auf den Jeanshintern, um ihm zu zeigen, dass sie nicht sauer war.

Als er weg war, half Mr. Hargis ihr, die Blumen in verschiedene Vasen zu verteilen. Sie schwiegen, bis Mr. Hargis ein zögerliches «Milady?» hören ließ.