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Ostfront - 1942/1943: In der russischen Kleinstadt Millerowo befindet sich eines der größten deutschen Nachschublager für die 6. Armee in Stalingrad. Während des sowjetischen Unternehmens "Operation kleiner Saturn" wird die Stadt von der Roten Armee eingeschlossen. Vom 25. Dezember 1942 bis zum 17. Januar 1943 tobte um Millerowo eine erbitterte Kesselschlacht, die mit dem erfolgreichen Ausbruch des Gebirgs-Jäger-Regiments 144 endete.
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Seitenzahl: 154
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„Der Krieg hat einen langen Arm. Noch lange, nachdem er vorbei ist, holt er sich seine Opfer.‘‘
Martin Kessel deutscher Schriftsteller (1901-1990)
„Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer.‘‘
Aischylos Ältester der drei großen griechischen Dichter
Vorwort
Daten
Feldpost – die Postversorgung im Militärwesen
Roman
Glossar zum Roman
Waffenvorstellung in Stichpunkten
Bildtafel
Lage im Raum Stalingrad Ende 1942
Die von der Roten Armee im Rahmen der Stalingrader Gegenoffensive durchgeführte Mittlere Don-Operation fand vom 16. bis zum 30. Dezember 1942 statt. Der Deckname lautete: Operation kleiner Saturn.
Nachdem die deutsche 6. Armee in Folge der sowjetischen Operation Uranus in Stalingrad eingeschlossen wurde, begann die Führung der Roten Armee unmittelbar mit der Planung einer Nachfolgeoperation. Diese trug den Decknamen: Saturn.
Die russische Südwestfront, befehligt von Nikolai Watutin, und der linke Flügel der Woronescher Front, unter dem Kommando von Filipp Golikow, die Stellungen der italienischen 8. Armee, Heeresgruppe B, am mittleren Don sowie der „Gruppe Hollidt“ und der rumänischen 3. Armee der Heeresgruppe Don am Tschir durchbrechen und über Millerowo weiter in Richtung auf Rostow und Taganrog vorstoßen.
Bei erfolgreicher Mission wäre der gesamte deutsche südliche Heeresflügel, inklusive der noch im Kaukasus stehenden Heeresgruppe A, abgeschnitten.
Zeitgleich sollte die 6. Armee im Stalingrader Kessel im Zuge der Operation Kolzo durch die Kräfte der Donfront und der Stalingrader Front vernichtet werden.
Aufgrund des hartnäckigen deutschen Widerstandes sowie des deutschen eingeleiteten Entsatz-Unternehmens zur Befreiung der 6. Armee – das Unternehmen Wintergewitter, musste die sowjetische Operation abgeändert werden.
Der neue Deckname lautete: Operation kleiner Saturn
Neue Zielvorgabe war es, die Umschließung von Stalingrad aufrecht zu erhalten und sämtliche Aufbruchsversuche von außen, seitens der Deutschen Truppen, zu verhindern.
Der Roten Armee gelang es im Rahmen der Operation kleiner Saturn elf Divisionen der Achsenmächte (fünf italienische, fünf rumänische und eine deutsche) sowie drei italienische Brigaden zu zerschlagen.
60.000 Soldaten der Achsenmächte gerieten in Kriegsgefangenschaft. Stalins Truppen erbeuteten rund 1.900 Geschütze, 180 Panzer und 370 Flugzeuge, stießen 250–300 km vor und erreichten den Rücken der Heeresgruppe Don.
Aufgrund der sowjetischen Erfolge entschied der deutsche Befehlshaber, Generalfeldmarschall Erich von Manstein, am 23. Dezember 1942, das Unternehmen Wintergewitter abzubrechen. Die Stabilisierung der brüchigen Frontlinie hatte Vorrang. Stalingrad und damit die gesamte 6. Armee waren verloren.
Lage in Millerowo – eine der wichtigen Lebensadern von Stalingrad
Als Ende 1942 die sowjetische Winteroffensive unaufhaltsam vorwärts rollte, wurde das Gebirgs-Jäger-Regiment 144, welches der 3. Gebirgs-Division angehörte, als Schutztruppe in die Stadt Millerowo am Glubokaja, einem Nebenfluss des Donez, verlegt.
An der Eisenbahnstrecke Moskau-Woronesch-Rostow gelegen, war Millerowo ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Zudem verlief die Fernstraße von Rostow am Don nach Moskau durch die Stadt, in der sich aufgrund der guten Verkehrslage und Infrastruktur umfangreiche militärische Verpflegungsdepots befanden. Diese mussten vor der immer näher rückenden russischen Südwestfront geschützt werden.
Am 23. Dezember 1942 erreichten erste russische Verbände Millerowo. Nachdem ein durchgeführter Angriff der Roten Armee erfolgreich abgewehrt werden konnte, wurde die Stadt von den sowjetischen Truppen eingeschlossen.
Vom 25. Dezember 1942 bis zum 17. Januar 1943 tobte um Millerowo eine erbitterte Kesselschlacht, die mit dem erfolgreichen Ausbruch der deutschen Gebirgsjäger endete. Das Gebirgs-Jäger- Regiment 144 kämpfte sich unter schweren Gefechten und mit hohen Verlusten den Weg frei und erreichte zwei Tage nach dem Ausbruch bei Woroschilowgrad wieder deutsche Stellungen.
Am 02.03.1942 wurde das Gebirgs-Jäger-Regiment 144 mit drei Bataillonen auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr (Wehrkreis XIII) aufgestellt. Der Stab des neu gebildeten Regiments entstammte aus dem Gebirgs-Jäger-Regiment 100. Die Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften (neben frisch ausgebildeten Rekruten) wurden ebenfalls vom Gebirgs-Jäger-Regiment 100 sowie dem Stamm des Gebirgs-Jäger-Regiments 85 gestellt.
Das Gebirgs-Jäger-Regiment 144 wurde der 3. Gebirgs-Division (1938 in Graz, Wehrkreis XVIII, aus Kräften der 5. Division und der 7. Division des österreichischen Bundesheeres aufgestellt) unterstellt.
Privatarchiv des Autors, PA-M-102-Gebirgsjäger brechen auf
(*20.02.1899 Arnstorf/Bayern, †21.08.1943 Kuibyschewo/Rußland)
Aug. 1943 – Sept. 1943Major Albert Graf von der GoltzSept. 1943Major DropmannOkt. 1943 – Mai 1945 Oberstleutnant Anton Lorch(Ritterkreuz 04.06.1944, später zum Oberst befördert)
März - August
Norwegen (Lillehammer, Hamar, Gjövik, Elverum, Stören)
August
Russland - Raum Mga (Leningrad)
September - Oktober
Gaitolowo (Angriff auf die dort eingekesselten sowjetischen Truppenverbände)
Oktober
Mga (Bereich Leningrad) zur Auffrischung
November – Dezember
Millerowo (Schutz der Versorgungslager für Stalingrad, Kesselschlacht von Millerowo)
Januar
Millerowo (Kesselschlacht und Ausbruch aus dem Kessel)
Januar bis August
Woroschilowgrad / Donez (Abwehrkämpfe entlang der Rollbahn Woroschilowgrad - Woroschilowsk)
Malo Nikolajewka und Schterowka (Abwehrkämpfe)
September bis Dezember
Rückzugskämpfe im Donezbecken bis in den Raum Nikopol
Januar bis März
Rückzugskämpfe nach Krassnyj/Nikolajew
Verteidigungsstellung Ingluez
Rückzugskämpfe bis zu Bug
März bis Juli
weitere Abwehrkämpfe im Bereich Tschitschekleja bis Dimitrijewka
Absetzbewegung zum Dnjestr (Unternehmen: Alphabet) unter schwersten Verlusten
Rückzug bis zu Moldau
August bis September
Abwehrkämpfe bei Draceni
Schutz des Bistritz-Tals
Rückzugskämpfe bis zu Theiß
Oktober bis Dezember
Abwehrkämpfe im Bereich Hohe Tatra
Januar bis Mai
weitere Abwehrkämpfe Hohe Tatra
Rückzugskämpfe bis südlich Olmütz
Kapitulation am 08. Mai 1945
Bei den Recherchen zu diesem Buch konnte ich keine Kriegsverbrechen finden, welche Angehörigen des Gebirgs-Jäger- Regiments 144 explizit angelastet werden.
Dies schließt jedoch nicht aus, dass es welche gab.
Kriegsverbrechen gegen Russland:
Fest steht indessen, dass der Überfall auf Russland (militärischer Deckname: Unternehmen: Barbarossa) den sog. „Ernährungskrieg“ gegen die russische Bevölkerung beinhaltete.
Das Wirtschaftsrüstungsamt des OKW beschloss in einer Besprechung von General Georg Thomas mit den Staatssekretären der kriegswirtschaftlich bedeutsamen Ressorts am 2. Mai 1941:
dass der Krieg nur weiterzuführen ist, wenn sich die Wehrmacht im dritten Kriegsjahr komplett aus „Russland“ ernährt
wissend, dass diese Vorgehensweise zweifellos den Hungertod Millionen von Menschen bedeutet
Das OKW begrenzte aufgrund dieses „Hungerplans“ die von den deutschen und verbündeten Streitkräften mitgeführten Nahrungsmittelvorräte auf wenige Wochen.
Schon im Winter des Jahres 1941/42 kam es in russischen Großstädten zu Hungersnöten, deren erste Opfer Kinder, Alte und Kranke waren.
Adolf Hitler und dessen Nazi-Regime wollten mit dem Krieg gegen Russland vorrangig nachfolgende Ziele erreichen:
Schaffung von Lebensraum für die „arische Herrenrasse“ im Osten
(Dezimierung, Entrechtung und Vertreibung der einheimischen Bevölkerung)
Vernichtung des Bolschewismus (
das wurde von Adolf Hitler bereits 1925 als ideologisch-politisches Hauptziel des Nationalsozialismus erklärt
)
Vernichtung der Juden
(Aufstellung von Einsatzkommandos, die hinter der Front die jüdische Bevölkerung durch Massenmorde eliminieren sollte)
Hierfür war eingeplant, dass große Teile der sowjetischen Bevölkerung vertrieben, versklavt und/oder getötet werden.
Der Deutsch-Russische Krieg gilt bis heute wegen seiner verbrecherischen Ziele und der harten Kriegführung als der schrecklichste Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte kennt.
Millerowo:
Im Verlauf des schnellen und erfolgreichen Vormarsches der deutschen Truppen im Feldzug gegen Russland, gerieten Millionen russischer Soldaten in Kriegsgefangenschaft.
Auch in Millerowo, das im Juli 1942 von Wehrmachtstruppen eingenommen und im Januar 1943 von der Roten Armee zurückerobert wurde, richtete man ein Kriegsgefangenenlager ein.
In einer natürlichen Senke, der Millerowskaja-Grube, entstand das Dulag 125 (Durchgangslager), in dem zwischen 40.000 und 50.000 kriegsgefangene Rotarmisten unter freiem Himmel und bei schlechtester Versorgung ausharren mussten.
Arbeitsfähige Gefangene wurden zur Zwangsarbeit in den Westen verschleppt. Über die Opfer liegen bis heute keine Zahlen vor.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde am ehemaligen Dulag 125 ein Denkmal errichtet.
Die Waffenfarbe der Gebirgs-Jäger war hellgrün.
Das Feldpostamt war eine kleine, aber dennoch äußerst wichtige Einheit in den Divisionen. Es war für die Soldaten die einzige Brücke zwischen Front und Heimat und somit ein unverzichtbares Bindeglied.
Die Mitarbeiter des Feldpostamtes trugen die gleiche Uniform wie die Soldaten und unterschieden sich lediglich durch ein schwarzes Ärmelband (an Feldblusen und Mänteln) mit silbern gesticktem Schriftzug „Feldpost“. Allerdings waren die Mitarbeiter der Feldpost keine Soldaten, sondern vereidigte (Postgeheimnis) Beamte.
Die Aufgabe der Feldpost bestand darin, den täglich anfallenden Posteinlauf und Postauslauf zu bearbeiten. Anders als in Friedenszeiten, oder beim Dienst im heimatlichen Postamt, mussten die Beamten auch in schwierigen Phasen, wie beim Vorrücken der Truppen oder bei schweren Rückzugsgefechten, ihrer Aufgabe nachkommen. Die Feldpost sollte den Soldaten immer die „Nähe zur Heimat“ vermitteln.
Eine Sendung zwischen der Heimat und der Front (analog auch umgekehrt) dauerte i.d.R. zwei Wochen. Die abgesandte Sendung kam an - egal ob der Landser seinen Dienst in Frankreich, in Afrika, im karelischen Urwald oder an der Ostfront verrichtete.
Feldpostsendungen
Feldpostkarten und Briefe waren bis 100 g gebührenfrei. Der Versand von Ansichtskarten aus dem Frontgebiet war grundsätzlich verboten.
Päckchen bis 250 g waren gebührenfrei
Päckchen bis 1.000 g kosteten 20 Reichspfennig
Die Soldaten erhielten monatlich zwei sog. Zulassungsmarken, die sie per Feldpostbrief nach Hause schickten. Dort wurden sie bei Sendungen (2 x 1 kg oder 1 x 2 kg zzgl. Porto – wie oben angegeben) aufgeklebt.
Die Maße durften max. 60 cm L x B x H betragen.
Telegramme waren zugelassen
Über das Feldpostamt wurden auch Truppenzeitschriften ausgeliefert
Die Feldpostsendungen wurden nicht an die Einheiten der Empfänger (Name und Dienstgrad) adressiert, sondern erhielten die sog. (fünfstellige) Feldpostnummer. Jede Wehrmachtseinheit hatte aus Gründen der Tarnung ihre eigene Feldpostnummer, die lagebedingt auch gewechselt werden konnte.
Stationen der Feldpostsendungen:
Einlieferung beim Postamt
Weiterleitung an Feldpostsammelstelle
Weiterleitung an Feldpostpäckchenstelle
Weiterleitung an Postleitstelle (Trennung von Briefpost und Päckchen). Hier übernahm die „Feldpost“ die Sendungen offiziell von der „Deutschen Reichspost“
Transport per Zug, Schiff oder Flugzeug
Ankunft bei den Feldpostleitstellen
Übergabe an die Feldpostämter der Divisionen (Übernahmeorte wurden von den zuständigen Armee-Feldpostmeistern lagebedingt geregelt)
Endsortierung nach Feldpostnummer und Übergabe an den Postabholer der Truppen (i.d.R. ein Mann pro Kompanie). Die Postabholer waren Soldaten, die mit den Bestimmungen der Feldpost vertraut waren. Sie mussten sich mit einer Berechtigungskarte beim Feldpostamt ausweisen.
Übergabe an die Empfänger
Nach Weisung des Feldpostmeisters waren die Feldpostbeamten verpflichtet die Post stichpunktartig zu prüfen. Es war verboten militärische Mitteilungen zu schreiben (Spionagegefahr). Ebenso war es untersagt Munition oder dergleichen zu versenden (Explosionsgefahr).
Vorübergehende Postsperren gab es vor besonderen Ereignissen, wie z.B. vor Truppenverlagerungen, Rückzugsbewegungen oder Angriffsvorbereitungen.
Privatarchiv des Autors, PA-M-105-Wintertransport mit 2 PS
Millerowo, eine 25.000 Einwohner zählende Kleinstadt, etwa 300 km westlich von Stalingrad gelegen, war ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Die Stadt verfügte über einen Feld-Flughafen, lag an der Eisenbahnstrecke Moskau-Woronesch-Rostow sowie der Fernstraße von Rostow am Don nach Moskau.
Aufgrund dieser wichtigen Infrastruktur befanden sich umfangreiche militärische Verpflegungsdepots in Millerowo. Die Stadt wurde zusehends zu einer sehr wichtigen Lebensader der in Stalingrad eingeschlossenen 6. Armee.
Fiel Millerowo, würde auch Stalingrad fallen.
Aus diesem Grund wurde Millerowo zum Ziel der russischen Südwestfront und von dieser im Rahmen des Unternehmens kleiner Saturn angegriffen und eingekesselt.
Kurz zuvor hatte das OKW zum Schutz der bedeutsamen militärischen Lager u.a. auch das Gebirgs-Jäger-Regiment 144 in die russische Kleinstadt beordert.
Der Romanteil berichtet vom Schicksal dieser Männer.
Bis auf historische Persönlichkeiten sind alle Namen frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.
Der russische Winter hatte vollends zugeschlagen. Eis, Schnee und frostiger Ostwind waren seit Wochen erbitterte Gegner der deutschen Soldaten. Oberjäger Otto Kutschmann saß im Dachgeschoss eines der am Stadtrand von Millerowo befindlichen Häuser und beobachtete mit dem Fernglas das weite in Schnee gehüllte Gelände. Der Mond hatte fast seinen vollen Umfang erreicht, der Himmel war sternenklar. Aufgrund dieser Umstände war die Sicht auch nachts sehr gut. Durch das zugige Dachgebälk kroch frostklirrender Wind. Die Hände des Österreichers steckten in dicken Wollhandschuhen, dennoch drang die unerbittliche Kälte durch und ließ die Finger leicht klamm werden.
„Alles ruhig“, sagte er zu seinem Nebenmann, legte das Fernglas zur Seite und streifte zum besseren Kälteschutz schnell den Fausthandschuh aus Filz über. Kutschmann rutschte ein wenig zur Seite, weg von der offenen Dachluke. „Wie spät ist es eigentlich?“
Ein leises Rascheln war zu hören. Alfred Waggerl blickte auf seine Armbanduhr. Er hielt das Handgelenk leicht schräg, damit Mondlicht auf die Uhr fiel. Mit zusammengekniffenen Augen las er die Uhrzeit ab. „Kurz vor Mitternacht!“
„Dann haben wir noch eine Stunde bis zum Wachwechsel.“
„Ich bin mal gespannt, wann der Iwan zu uns kommt“, begann Waggerl ein Gespräch. Er wollte die schier endlose Langeweile vertreiben.
„Warum?“, fragte der Oberjäger nach und kratzte sich an seinen sprießenden Bartstoppeln. „Wird Zeit, dass ich mich wieder mal rasiere, aber bei der Saukälte macht das keinen Spaß“, bemerkte er nebenbei.
„Warum wohl? Weil sich die Russen dann schwächen! Pass mal auf!“, erklärte der junge Gebirgsjäger und hob seine Stimme leicht demonstrativ. „Der Iwan hat im Raum Stalingrad seit gut vier Wochen eine ganze Armee eingekesselt. Trotzdem jagt er immer noch in unsere Richtung voran.“
„Und?“
„Es ist Winter! Ihnen wird Treibstoff ausgehen, die Verpflegung immer knapper werden und ihre Soldaten sind auch aus Fleisch und Blut. Das bedeutet nichts anderes, als dass sie bald am Ende ihrer Kräfte sind. Verstehst du? Der Russe ist am Ende!“
Jetzt räusperte sich Kutschmann. „Ich sage dir mal etwas“, belehrte der Österreicher seinen jungen Kamerad. „Die sowjetische Winteroffensive hat uns voll erwischt. Wir sind diejenigen die ausgeblutet sind, während beim Feind frische Divisionen aus Sibirien, und weiß Gott woher sie alle stammen, eingesetzt werden. Sie haben Waffen und dazu ausreichend Munition. Sie haben Stalingrad eingekesselt, treiben die anderen vor sich her und müssen zwangsläufig Millerowo nehmen!“
Waggerl grübelte. „Wieso zwangsläufig?“
„Aus welchem Grund sind wir hier und nicht bei unseren Divisions-Kameraden in Welikije Luki oder Nowossokolniki?“
„Na hör mal! Wir sind von der 3. Gebirgs-Division. Wir sind eine Spezial-Division und in drei Kampfgruppen geteilt worden, um unsere Kameraden an den verschiedenen Hauptkampflinien zu unterstützen.“
„Du hast dir die Antwort gerade selbst gegeben! Wir werden an der HKL eingesetzt. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Iwan früher oder später hier auftaucht! Wir spielen die Feuerwehr und stopfen Löcher. Es sieht alles andere als rosig aus.“
„Aus der Sicht habe ich das noch gar nicht betrachtet.“
„In Millerowo befindet sich der momentan wichtigste Eisenbahnknotenpunkt Russlands schlechthin.“ Das Wort der betonte der Oberjäger besonders. „Von hier aus führen Schienen nach Süden, Osten, Westen und Norden. Zudem liegt die Stadt an der Fernstraße nach Moskau. Hier kommt die Verpflegung und Munition für die ganze Südfront an und wird bis zum Weitertransport gelagert. Der Nachschub wird zu den Flugplätzen nach Tazinskaja und Morosowskaja kutschiert und von dort in den Kessel nach Stalingrad geflogen. Wenn der Iwan die beiden Flugplätze und zudem noch Millerowo und damit die ganzen Versorgungsdepots erobert, ist Stalingrad nicht mehr zu halten. Wir würden eine ganze Armee verlieren!“
„Ha, ha“, lachte Waggerl, „Eine ganze deutsche Armee! Und dann auch noch die Sechste! Unmöglich!“
Kutschmann stierte seinen Kameraden nur an, woraufhin dieser für eine knappe Minute schwieg und über die letzten Worte nachdachte. Die Stimmlage des Landsers hatte sich leicht verändert, als er eine Frage stellte. „Du meinst, dass wir die Lebensader für die 6. Armee sind?“ „Ich meine es nicht nur, Alfred, ich weiß es!“
„Und ich dachte, wir schieben hier ´ne ruhige Kugel, da wir uns in Gaitolowo so gut geschlagen haben und ohnehin von der Stärke her reduziert sind, da unser Gebirgs-Jäger-Regiment 139 noch im Norden geblieben ist.“
„Ich wollte dich nicht beunruhigen, aber ich bin von Anfang an dabei und kenne alles! Es wird hier noch heiß werden.“
„Woher kommst du eigentlich?“, wurde das Thema gewechselt.
„Steiermark!“
„Das ist ja wohl nicht zu überhören, aber woher genau?“
„Direkt aus Graz.“
„Dort bin ich zur Schule gegangen und habe mein Matura gemacht.“
„Du hast Matura? Warum studierst du nicht, wenn du schon Abitur hast.“
„Ich habe mich freiwillig gemeldet.“
Kutschmann schüttelte den Kopf. „Von der Schulbank aufs Schlachtfeld. So etwas gehört verboten!“
„Und warum bist du hier?“, überging Waggerl die letzte Bemerkung.
„Ich bin Berufssoldat und habe schon bei der 7. Division des österreichischen Bundesheeres gedient. Im April 1938 sind wir dann in Graz zum Wehrkreis 18 geworden und gleichzeitig zusammen mit der 5. Division zur 3. Gebirgs-Division verschmolzen.“
„Ich bin seit März 1942 dabei, als unser Gebirgsjäger-Regiment 144 neu aufgestellt wurde.“
Kutschmann zog sich den Filzhandschuh wieder aus, rutschte zur offenen Dachluke und beobachtete erneut routinemäßig mit dem Fernglas die Landschaft vor der Stadt. Er wollte den Feldstecher gerade zur Seite legen, als ihm etwas auffiel. Der Oberjäger rieb sich die müden Augen und setzte das Glas noch einmal an. Ohne Zweifel, eine Gruppe Soldaten in weißen Schneeanzügen fuhr auf Skiern in Richtung Millerowo. Sie bewegten sich langsam und hielten immer wieder an. „Wenn das nicht unsere Leute sind, schickt der Iwan einen Aufklärungstrupp zu uns“, murmelte Kutschmann ohne den Blick von den Soldaten zu nehmen. „Geh zu Leutnant Fischer und …“, er stockte, „… ach was. Nimm das Fernglas und beobachte weiter. Ich gehe und erstatte selbst Bericht.“
Waggerl übernahm den Posten und Oberjäger Kutschmann ging los.
Der junge Österreicher starrte wie gebannt in die Nacht hinaus. Er fühlte sich plötzlich unsicher. Das Warten zehrte an seinen Nerven. Die Zeit schien still zu stehen. Waggerl wusste nicht wie viele Minuten verstrichen waren, als er das Knattern eines Maschinengewehr hörte und mit leichtem Zittern der Leuchtspur-Bahn folgte. Jäger auf Skier huschten aus der Stadt. Sie hielten direkt auf den Feind zu. Das Maschinengewehr hatte nach zwei weiteren Salven das Feuer eingestellt. Das Fernglas wanderte hin und her. Die Kontrahenten trafen aufeinander. Mündungsfeuer blitzte auf beiden Seiten auf, dann konnte Waggerl die mit Winteranzügen getarnten Soldaten beider Parteien nicht mehr unterscheiden.