Wenn Oma mal `ne Tüte raucht - Wolfgang Wallenda - E-Book

Wenn Oma mal `ne Tüte raucht E-Book

Wolfgang Wallenda

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Beschreibung

Die drei liebenswerten Chaoten Willi, Erich und Torsten gründen in der tiefsten bayrischen Einöde eine Wohngemeinschaft. Der Fund einer Marihuana-Pflanze wirbelt nicht nur ihr Leben, sondern auch das des halben Dorfes durcheinander. Oma Huber und ihr Frauenstammtisch entdecken das Gras für sich und sind von dieser Kräutermedizin begeistert. Als drei Gangster auftauchen und die WG-Chaoten erpressen, droht das Ende der dörflichen Idylle. Das lassen sich die Omas nicht gefallen. Sie drehen den Spieß um und rüsten zum Kampf. Wenn Oma mal 'ne Tüte raucht - zeigt auf humoristische Art, dass Jung und Alt hervorragend miteinander harmonieren können. Diese herrlich überdrehte und erfrischende (Krimi-)Komödie fesselt ihre Leser mit Humor und Spannung.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Wie alles begann

Kapitel 2: Ein ganz normaler Tag

Kapitel 3: 100.000 Euro sind doch ein Klacks

Kapitel 4: Batman und Robin in Action

Kapitel 5: Wenn Oma mal ‘ne Tüte raucht

Kapitel 6: Leg dich nicht mit Omas an

Kapitel 7: Wenn Bullen jagen und Bekannte eines Bekann

Kapitel 8: Mein – dein – sein

Kapitel 1
Wie alles begann

In ihrem Leben war mehr schiefgelaufen, als es normalerweise möglich ist. Mit diesem Satz wäre alles, was bisher geschehen war, gesagt. Mehr war bis zu diesem Tag einfach nicht passiert. Ihr Leben war vergleichbar mit null, nichts, nothing, niente, nada.

Wie jeden Tag drehte sich die Erde sowohl um die eigene Achse als auch um die Sonne. Wie jeden Tag seit Jahrmillionen von Jahren ging die Sonne am Morgen im Osten auf, verdrängte die Nacht und den Mond und ging am Abend im Westen unter, um wiederum für die Nacht und den in ihrem Schlepptau befindlichen Mond Platz zu schaffen. Das war und ist auf der ganzen Welt das gleiche Prozedere und somit auch in Bayern nicht anders.

Irgendwo in der Nähe von München und doch abseits der Zivilisation, lag ein kleines Dorf, in dem es außer einer Kirche, einer Bäckerei, ein paar wenigen standardmäßigen Wohnhäusern und etlichen Bauernhöfen nicht wirklich viel gab. Es roch permanent nach Mist und in regelmäßigen Abständen gewaltig nach Gülle oder Odel, wie man hier in Bayern sagt. Wobei der Begriff riechen schon sehr schmeichelhaft war. Zum Himmel stinken wäre die passendere Bezeichnung.

Jeden Tag molken die Bauern ihre Kühe und trieben sie anschließend auf die Weide. In dem Dorf schien sich nie etwas zu verändern. Alles blieb wie es war und auch immer bleiben würde. Wahrscheinlich war das auch besser so. Denn jede noch so kleine Veränderung konnte dem Dorf, in dem zwanzig Prozent der Dorfbewohner Menschen, fünfzig Prozent Kühe, zehn Prozent Hühner, fünf Prozent Katzen wohnten und die restlichen Prozente sich auf Pferde, Esel und andere Tiergattungen verteilten, nur schaden.

Den Namen des Dorfes zu nennen ist unnötig, da man es weder kennt noch schnell auf einer Landkarte findet. Selbst Google Maps kämpft auf der Suche danach ewig in seinen Datenbergen herum, um dann irgendwo in der weiten bayrischen Pampa einen Punkt ins Nichts zu setzen.

Die Hauptstraße führte in die Ortschaft hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus. Wer das Kaff durchquerte, nahm kaum Notiz davon. Außer natürlich von dem Geruch. Der blieb eine Zeitlang im Autoinneren haften.

Zu den Dorfbewohnern gehörten seit Neuestem auch die drei größten Chaoten, die die Welt derzeit aufweisen konnte. Sie als Chaoten zu bezeichnen war äußerst höflich. Sie gehörten dem Typ Mensch an, der gemessen am IQ zwar nicht dumm, aber dennoch ziemlich einfältig war.

Sie würden vermutlich, wären sie auf sich allein gestellt, in jeder Großstadt kaum länger als eine Woche überleben. Wäre man gemein, könnte man sagen, sie sind Trottel, Idioten oder Tölpel, aber das wäre nicht fair. Treffender kann man sie als einfache Gemüter bezeichnen. Freundlich, gutherzig und sympathisch. Das trifft es wohl am besten.

Nein, eine Großstadt wäre ihr Untergang. Hier in diesem Dorf hingegen, waren sie jemand. Hier fühlten sie sich fast wie kleine Helden. Hier lebten sie zwar ganz nah am Arsch der Welt, aber unbehelligt von allem Übel in ihrer skurrilen Wohngemeinschaft zusammen. Eine WG wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Komischerweise funktionierte sie. Jeder der drei Freunde brachte eine Fähigkeit mit, die sich mit denen der anderen ergänzte. Das ermöglichte ein reibungsloses Leben miteinander. Oder sollte man es als Überleben bezeichnen?

Das war für die drei Männer nicht immer so. Sie wuchsen getrennt voneinander auf. Doch wie das Leben so spielte, hatten sich alle drei Personen eines Tages in der gleichen Stadt befunden und auch die gleiche Bar aufgesucht. Und wie es der Zufall wollte, saßen alle drei am Tresen dieser Bar nebeneinander auf ihren Hockern und grübelten über ihre Probleme. Jeder für sich. Zumindest anfangs. Das war die Geburtsstunde der wohl kuriosesten Wohngemeinschaft Bayerns.

Sie hießen Willi, Erich und Torsten. Objektiv betrachtet passten alle drei gar nicht zusammen. Sie hatten verschiedene Leben, unterschiedliche Interessen und vor allem andere Eigenschaften. Dennoch hatte das Schicksal sie zusammengeführt, denn alle drei hatten eines gemeinsam. Sie waren geborene Loser, die es geschafft hatten durch falsch getroffene Entscheidungen genau hier in dieser Bar zu landen. Doch an diesem Tag sollte sich das Leben der drei Nullen komplett ändern.

Willi war gelernter Automechaniker und kannte sich mit Motoren besser aus als mit Frauen, Finanzen und den täglichen Anforderungen des Lebens in einer zivilisierten Welt, wie etwa kochen, bügeln oder waschen. Sein Lebensplan war es immer gewesen, eine wohlhabende Frau kennenzulernen, um mit ihr zusammen das Vermögen zu verprassen, das sie mit in die Ehe brachte. Teil eins hatte geklappt. Zumindest stückweise. Er hatte die zwar nicht sehr hübsche, aber dafür umso wohlhabendere Sylvia kennengelernt und geheiratet. Willi hatte den Job bei Izmirs Autoservice gekündigt und fortan seinen Traum gelebt. Dreimal im Jahr ging es in den Urlaub, er kaufte alte Ami-Schlitten, reparierte sie in der eigenen kleinen Garagen-Werkstatt, verkaufte sie mit Verlust weiter und finanzierte seinen Lifestyle mit Sylvias Geld.

Sie hatte jedoch andere Pläne als Willi. Während seine Ehefrau wollte, dass er sich mehr um sie kümmerte, schraubte Willi lieber an Autos herum. So war es nicht verwunderlich, dass Sylvia die Ehe nach nur zwei Jahren als gescheitert betrachtet hatte. Dank eines Ehevertrags saß Willi nach der Scheidung mittellos auf der Straße.

Mit seinem Vermögen in Höhe von 53,85 Euro war er nicht weit gekommen. Die Stelle bei Izmir war natürlich längst nachbesetzt und etwas Neues nicht zu finden. Willi hatte sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten. Auch das Bier, das in dieser Bar vor ihm auf der Theke gestanden hatte, war der Lohn für das Reparieren des Autos vom Barkeeper gewesen. Ein flüchtiger Bekannter von Willi.

Erich hatte das Aussehen, besser gesagt die Figur, eines japanischen Sumo-Ringers. Sein Übergewicht war auch der Grund, weshalb es mit Frauen nie so richtig klappen wollte. Die Mädels, die Erich wollte, bekam er nicht und die, die ihn wollten, die mochte er nicht. Erich war deshalb der geborene Single.

Seinen Traumberuf Polizist musste er schnell aufgeben, weil er es beim Einstellungstest nicht einmal bis zur Sportprüfung geschafft hatte. Seine persönliche Hürde war bereits bei der ärztlichen Untersuchung utopisch hoch gesetzt worden.

„Nehmen Sie mal 70 Kilo ab, dann kommen Sie wieder“, hatte ihm der Polizeiarzt damals gesagt.

„Kein Problem, ich kenne da eine Diät aus Bild der Frau. Die ziehe ich durch, dann sehen wir uns in ein paar Wochen wieder, Doc“, hatte der übergewichtige Polizeifan voller Selbstbewusstsein geantwortet.

Das war vor drei Jahren. Erich arbeitete immer noch an der Aufgabe sein Gewicht enorm zu reduzieren. Zwei Kilo hatte er seit dieser Untersuchung verloren. Zumindest vorübergehend. Seine Hoffnung, das Traumgewicht noch zu erreichen, hatte er jedoch bis jetzt nie aufgegeben.

Seinen Lebensunterhalt bestritt Erich von dem, was ihm sein Onkel aus Kanada jeden Monat zukommen ließ. Onkel Eddie war reich. Stinkreich sogar. Er besaß zwei Hotels und eine Supermarktkette. Erich war Eddies Patenkind und der reiche Onkel überwies jeden Monat einen glatten Tausender. Zuviel zum Sterben, zu wenig zum Leben.

Erich war damals in dieser Bar gesessen, weil es dort bei einem Drink immer eine Schale Erdnüsse kostenlos dazu gab. Das Schwergewicht lachte viel, war ein angenehmer Zeitgenosse und er war sehr ordentlich. Insgeheim fühlte sich Erich wie ein Undercover-Bulle und manchmal erzählte er das auch den Frauen, die er anbaggerte. Geglaubt hatte ihm das zwar bisher keine, aber er feilte schließlich noch an dieser Taktik.

Der dritte Typ hieß Torsten. Über ihn gab es nicht viel zu erzählen. Torsten war der jüngste in der WG und der größte Pechvogel, den die Menschheit kannte. Stand irgendwo ein Fettnäpfchen herum, nahm er sinngemäß Anlauf und brüllte: „Arschbombe, alles aus dem Weg!“, und zack saß er drin. Torsten hatte in seinem Leben alles vermasselt, was man vermasseln konnte. Er besaß weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung, und auch den Aushilfsjob als Zeitungsjunge hatte er vergeigt, weil er bei jeder Austragerunde mindestens zwei Briefkästen geschrottet hatte.

Aus diesem Grund hatte er es nie geschafft auf eigenen Beinen zu stehen. Das Einzige, das Torsten gut konnte, war mit seinen Zimmerpflanzen zu sprechen. Sie verstanden ihn und er hegte und pflegte sie.

Sein Vater hatte seit geraumer Zeit Druck gemacht. „Der Junge muss raus aus der Wohnung. Wenn er erst einmal eine eigene Bude hat, wird er schon lernen, wie man Geld verdient. Nämlich durch harte Arbeit!“

Seine Mutter hingegen war stets der Meinung gewesen, dass der Durchbruch ihres Sohnes schon noch kommen würde. „Wenn er erst einmal die richtige Frau kennenlernt, geht’s bergauf mit ihm.“

Und so hatten sich seine Eltern jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend seinetwegen gestritten. Er war in dieser Bar gelandet, um sich mit seinen 20 Euro Taschengeld zu besaufen oder eine Frau kennenzulernen oder beides. Es hatte natürlich weder das eine noch das andere geklappt. Stattdessen hatte er Willi und Erich kennengelernt.

Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Das Schicksal saß unsichtbar in der hintersten Ecke, rieb sich die Hände, lachte und dachte: „Das wird ein Riesenspaß!“

Alle drei Männer, bei denen im Leben noch nie etwas richtig gut gelaufen war, trafen in dieser Bar aufeinander. Man kann es gut oder schlecht finden. Doch eines steht fest. Wären sie an diesem Abend nicht zufälligerweise zur selben Zeit am selben Ort gewesen, hätten sie sich wohl nie kennengelernt. Dann wäre jeder seinen eigenen, erbärmlichen Weg gegangen, um vor dem jeweils persönlichen Problemberg in der Höhe des Mount Everest zu landen.

Torsten wäre über den Mount Everest, Erich um den Mount Everest herum und Willi mitten durch gegangen. Als Dreier-Team konnten sie jetzt frei wählen, welchen Weg sie einschlagen würden.

Erich war es gewesen, der erdnussknabbernd in der Mitte der drei Gäste gesessen, die Tageszeitung nach Wohnungsangeboten durchgesehen hatte. Eine Annonce hatte er dermaßen interessant gefunden, dass er sie laut vorlas. „Nachmieter gesucht, kleines Haus auf dem Dorf, WG möglich, günstig.“ Er machte eine kurze Pause und murmelte: „Mist! Jetzt bräuchte ich noch zwei Mitbewohner, dann wäre das was für mich.“

Torsten war hellhörig geworden und musterte den dicken Zeitungsleser. Er wirkte sympathisch. Die Schale mit Erdnüssen, die vor ihm stand, war leer. Torsten schob seine Schale herüber und fragte: „Du suchst eine Wohnung? So ein Zufall. Ich auch. Allein kann ich keine bezahlen, aber eine WG wäre machbar“, hatte er gesagt und dabei gehofft, dass sein Vater den Mietanteil übernehmen würde. Zumindest eine Zeit lang. Sozusagen als Preis für das Ausziehen.

„Dreier-WG?“, war es unmittelbar danach auch von der anderen Seite gekommen. „Ich bin frisch geschieden und suche ein günstiges Zimmer. Leute, wenn ihr wollt, bin ich der Dritte im Bunde.“

Es war beschlossene Sache und Erich hatte an diesem Abend alle Drinks spendiert. Danach war ein Drittel seines Monatsgeldes von Onkel Eddie weg, er und seine neuen Freunde betrunken und das Leben voller Sterne und Hoffnung.

Willi hatte in seinem alten BMW übernachtet und am nächsten Morgen seine beiden neuen Kumpels abgeholt. Erich hatte die nötige Tankfüllung bezahlt und Torsten hatte belegte Semmeln mitgebracht, die seine Mama spendiert hatte.

Als sie das Dorf zum dritten Mal durchfahren hatten, ohne ihr Ziel zu finden, war es Erich, der sagte: „Leute, wir müssen dran bleiben. Ich habe ein gutes Gefühl. Mir gefällt es hier.“

„Echt jetzt?“, rief Torsten und Willi hatte lediglich gemeint: „Ziemlich am Arsch der Welt, aber idyllisch.“

Nach einer weiteren halben Stunde des suchenden Herumfahrens, hatten sie endlich die Adresse gefunden und bestaunten mit großen Augen das kleine Häuschen mit Garten.

„Läute mal“, forderte Torsten Erich auf.

Dieser kratzte sich am Hinterkopf. „Läute du, ich bin zu aufgeregt“, gab dieser die Aufgabe an Willi weiter, dem es wiederum lieber wäre, Torsten würde läuten. „Du siehst so richtig sympathisch aus. Wenn sie dich zuerst sieht, bekommen wir den Mietvertrag.“

Sie einigten sich auf Knobeln. Noch während sie Schnick, Schnack, Schnuck spielten, wobei Torsten die erste Runde schon verloren hatte, wurde die Eingangstür förmlich aufgerissen. Eine Frau stand im Türrahmen. Mitte sechzig, bäuerliche Kleidung, graue Haare, Kopftuch und stechender Blick. Sie musterte misstrauisch die drei Mietbewerber. „Ihr drei Musterknaben wollt mein Haus mieten?“, kam es mit militärischen Ton, der an einen Drill-Sergeant aus den US-Army-Filmen Hollywoods erinnerte.

Das Auftreten der Frau hatte ausgereicht, um die drei Nullen in eine Art Hab-Acht-Stellung zu versetzen. Auf Willi, dem ältesten der drei Freunde, blieben ihre Augen hängen.

„Äh, ja“, haspelte er. „Wir … also, das sind Erich und Torsten und ich.“ Willi war sofort klar, dass sein stockender Redefluss alles andere als einen guten Eindruck machte. Mist, verkackt, dachte er.

„Er meint damit, dass er Willi heißt“, schob Torsten nach und versuchte dabei, so höflich wie nur möglich zu lächeln. „Er kann prima Autos reparieren.“

Wieder durchbohrten die Blicke der Vermieterin die drei Freunde. Ihr Gesichtsausdruck lockerte sich allerdings etwas. „So, so“, sagte sie abwägend, „dann kommt mal rein, aber putzt die Schuhe ab. Ich möchte nicht noch mal durchwischen müssen. Und lasst die Finger von der Pflanze dort hinten. Das ist ein Überbleibsel der Vormieter. Ist Hanf oder so Zeug. Ich habe es in der Scheune gefunden.“

„Hanf? Sie haben eine Marihuana-Pflanze in der Scheune?“, hatte Torsten ungläubig gefragt und die ältere Dame angestarrt.

„Freundchen, wenn du denkst, du kannst dir was abzupfen, um dir ‘ne Tüte zu basteln, hast du dich getäuscht. Die Polizei war letzten Monat da. Sie haben die Vormieter festgenommen. Die hatten nicht nur Marihuana im Angebot, sondern verkauften wohl auch noch ganz andere Sachen. Noch als sie im Streifenwagen saßen, habe ich natürlich die sofortige Kündigung ausgesprochen. Deshalb vermiete ich neu. Die eine Pflanze haben die Polizisten übersehen. Ich werfe sie nachher auf den Misthaufen vom Nachbarn“, sie zeigte mit der rechten Hand auf die andere Straßenseite, dann meinte sie: „Also, noch einmal für alle! Wer von euch denkt, er kann munter ein paar Tüten kiffen, kann seine Koffer gepackt lassen und sich sofort verpfeifen.“

Torsten hob sofort abwinkend die Hände. „Ich rauche nicht.“

„Ich auch nicht“, schob Willi sofort nach.

„Ich sowieso nicht. Ich bin eh schon halber Polizist. Ich muss nur noch ein paar Kilo abnehmen“, keuchte Erich. Er war etwas außer Atem, da er die wenigen Meter vom Gartentürchen zur Haustür schneller als üblich zurückgelegt hatte. Auf seiner Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen, unter den Achselhöhlen breiteten sich dunkle Flecken aus.

Die Vermieterin blieb am Ende des Flurs stehen, drehte sich um, stemmte die Hände in die Hüften und fragte: „Wer von euch drei Jungs steht für die Miete gerade?“

„Er“, antwortete Willi und zeigte auf Erich.

„Er“, machte es ihm Torsten sofort nach.

„Äh … ich“, stotterte Erich und dachte gleichzeitig daran, seinem Onkel Eddie wieder einmal eine Postkarte zu senden.

„Keine Weiber, kein Rauschgift, keine lauten Partys und ich möchte pünktlich die Miete haben.“

„Perfekt“, strahlte Erich, „das ist genau mein Ding. Ich hasse Partys“, und streckte ihr mit breitem Grinsen seine fette Hand entgegen.

Die Vermieterin betrachtete den Fleischberg, wendete sich ab und ging weiter. „In Ordnung, der Mops steht für alles gerade. Dann kommt mal mit. Ich zeige euch das Haus.“ Sie stoppte, wendete sich erneut den Männern zu und stellte eine weitere Frage: „Oder steht ihr auf Männer und denkt, ihr könnt hier rosa Partys veranstalten? Oder gehört ihr zu irgendeiner Sekte und lockt durchgeknallte Freaks an?“

„Nein“, winkte Erich unvermittelt ab.

„Weder noch!“, bestätigte Torsten.

„Wir sind ganz normale Männer, die eine ruhige und ordentliche WG gründen. Wir wollen arbeiten und in dörflicher Gemeinschaft mit allen friedlich zusammenleben“, beschwichtigte Willi.

Das war aussagekräftig genug. Sie erhielten den Mietvertrag.

Das Haus war zwar klein, aber dafür sehr gemütlich. Manchmal brauchte man nicht viel Platz, um sich wohlzufühlen, sondern nur den passenden Flair. Dieses Haus hatte Flair. Und zwar jede Menge.

Zum ersten Mal, nach langer Zeit, hatten alle drei Chaoten endlich das Gefühl etwas erreicht zu haben. Sie hatten es gemeinsam geschafft und den Zuschlag für ein Haus zum Mieten erhalten. Jeder hatte seinen Teil dazu beigetragen. Für sie war klar, dass sie ein unschlagbares Team waren. Die Zukunft konnte kommen. Sie waren bereit. Der Mietvertrag wurde unterzeichnet und die Welt war in Ordnung.

Erich übernahm die Miete und zahlte die Kaution. Da Erich und Torsten keinen Führerschein besaßen, hatte Willi sich einen Sprinter geliehen, das gesamte Hab und Gut seiner Freunde abgeholt und hergefahren. Torsten half fleißig beim Ein- und Ausladen mit. Das hieß, nachdem ihm ein Karton mit den Gläsern im oberen Stock aus den Händen geglitten, die Treppe hinunter gepurzelt war und sich die Scherben überall verteilt hatten, bestand sein Helfen darin, dass er die Türen aufhielt, damit seine Freunde die restlichen Kartons barrierefrei tragen konnten.

Willi hatte Torstens Talent erkannt und wusste ab diesem Tag, dass sein Kumpel am besten half, wenn er still da saß und nichts tat.

Am Ende des Abends stand Torsten mit der eingangs erwähnten Marihuana-Pflanze unterm Arm vor seinen Mitbewohnern und sagte: „Unsere Vermieterin hat das hier vergessen.“

Willi beäugte erst Torsten, dann die Pflanze. „Sie wollte das Ding beim Nachbarn auf den Misthaufen werfen. Mach du das doch, dann ist das Teil weg.“

Torsten war das unangenehm. „Wir haben uns doch noch gar nicht vorgestellt. Ich kann da nicht einfach rüber gehen und was wegwerfen.“

Das klang logisch. Man sollte jemanden schon kennen, wenn man seinen Biomüll dort entsorgte. „Stimmt auch wieder. Dann knall das Teil auf unseren Komposthaufen.“

„Okay“, nickte Torsten und ging vor die Tür. Als er vor dem Komposthaufen stand, betrachtete er das kleine Pflänzchen. „Tut mir leid, aber du bist hier verboten. Ich muss dich entsorgen.“ Er starrte das zarte Grün an. Ihm kam es vor, als würde die Baby-Pflanze mit ihm sprechen. Hab Erbarmen. Ich bin doch noch so klein und unschuldig. Was kann schon passieren, wenn du mich im Garten einpflanzt? Außerdem habe ich heilende Kräfte.

Torsten holte aus, hob die Pflanze hoch, brachte es aber doch nicht übers Herz sie wegzuwerfen. „Also gut, aber du wirst dich benehmen“, flüsterte er, suchte einen geeigneten Platz und pflanzte den Hanf ein. „Hier hast du es bequem und keiner sieht dich“, meinte er. „Vor dir wächst Elefantengras und neben dir sprießen schon Sonnenblumen hoch. Da hast du nette Nachbarn.“

Zufrieden mit dieser Lösung, ging der Pflanzenfreund zurück ins Haus.

Alle drei Chaoten waren glücklich. Endlich meinte es das Leben einmal gut mit ihnen. Sie hatten ein gemütliches Haus mit einem schönen Garten, einer Garage und einer Scheune. Letztere war eher als großer Schuppen zu bezeichnen, aber der Ausdruck Scheune hörte sich viel besser an. Im Garten standen je zwei Apfel-, zwei Kirsch- und zwei Zwetschkenbäume. Der Gemüsegarten war untergliedert in ein Blumenbeet, ein Gemüsebeet und ein Kräuterbeet. Daneben wuchs Elefantengras, umrahmt von Sonnenblumen und eben dem neu gepflanzten Hanf.

Um das Grundstück war ein Jägerzaun gezogen, dahinter eine löchrige Thujen-Hecke gepflanzt. Alles sah recht gepflegt aus. Bis auf den Rasen. Dieser wuchs und wuchs und wuchs.

Die Vermieterin hatte das bei ihren regelmäßigen Kontrollbesuchen zwar registriert, war aber stets kommentarlos wieder abgezogen. Als sie einmal Torsten im Garten arbeiten sah, sprach sie es an, doch als ihr der Hobbygärtner erklärte, dass der Rasen nicht gemäht wurde, um den Bienen Nahrung zu bieten und sich zudem allerlei nützliche Insekten dort wohl fühlten, war sie zufrieden, zumal das Thema Bienensterben immer wieder durch die Presse ging.

Tatsächlich wurde der Rasen jedoch nicht gemäht, weil die drei Männer keinen Rasenmäher besaßen. Nach diesem Gespräch wussten Erich und Willi, dass sich Torsten damit äußerst positiv in die WG eingebracht hatte. Es war eben wichtig, wenn man auf dem Land wohnt, dass man auch einen Gärtner im Haus hat.

Bereits zwei Wochen später hatte ihnen die Vermieterin erstmals Kuchen vorbeigebracht. Erstaunt war sie am Gartentürchen stehen geblieben und hatte mit Wohlwollen registriert, dass Willi dabei war, die alten Fensterläden zu streichen. Sie sah sich um und stellte fest, dass auch sonst alles auf Vordermann gebracht worden war.

Als beim Verabschieden ihr alter Mercedes wieder einmal nicht ansprang, setzte Willi seinen Joker. Er trat vor den Wagen. „Öffnen Sie mal die Motorhaube.“

Ein paar Minuten später surrte der Motor. „Ich muss noch ein paar weitere Kleinigkeiten am Motor richten, dann ist er wieder wie neu. Vorerst können Sie aber fahren“, meinte er abschließend. „Das kostet auch nichts. Ich mache das gerne. Allerdings brauche ich ein paar kleinere Ersatzteile.“

Daraufhin war die Handtasche der Vermieterin aufgegangen. Willi wedelte ein Hunderter entgegen. „Für das Material.“

„Das reicht locker. Da bleiben bestimmt noch 20 Euro übrig.“

Sie blickte zum Haus, zog einen weiteren Hunderter aus der Geldbörse und sagte: „Schöne Farbe. Vielleicht brauchen Sie ja noch mehr. Sollte es nicht reichen, rufen Sie mich einfach an. Und wenn etwas übrig bleibt“, sie zwinkerte, „dürfen Sie es behalten.“ Beim Wegfahren hatte sie grinsend und gut gelaunt ein Lied gesummt.

„Es geht nichts über ein gutes Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter“, hatte Willi seinen Kumpels berichtet, als er ihnen die beiden Geldscheine zeigte. „Für die Farbe.“

In der Garage parkte Willis alter BMW. Neben seinem hochwertigen Werkzeug, sein einziger nennenswerter Besitz. Die Garage war sozusagen Willis Reich. Dort konnte er Stunden verbringen und an seinem Auto herumschrauben. Natürlich hätte er gerne eine größere Garage, vielleicht mit zwei oder drei weiteren Autos zum Reparieren, um sie später zu verkaufen.

Er träumte ebenso von einer Hebebühne, noch mehr Werkzeug und vielleicht sogar seiner eigenen kleinen Werkstatt, in der er auch die Autos von Kunden reparieren würde.

„Eines Tages werde ich hier Willis Autoservice eröffnen“, hatte er einmal gesagt und sich mit diesem Traum ein neues Ziel gesetzt. Ein viel Besseres, als sich eine reiche Frau zu angeln, um deren Vermögen zu verprassen.

Aber vorerst begnügte er sich damit, seinen alten BMW am Laufen zu halten oder sich um den Mercedes der Vermieterin zu kümmern. Und das machte Willi perfekt.

„Wir sollten die Arbeiten im Haus so einteilen, dass jeder ungefähr gleich viel zu tun hat“, kam es anfangs als Vorschlag.

Der Plan war gut, die Umsetzung jedoch kläglich gescheitert. Schon das Einkaufen war zur Herausforderung geworden. Es mussten alle drei mitfahren. Willi, weil er als Einziger einen Führerschein besaß. Erich, weil er mit seiner Kreditkarte bezahlte und Torsten, weil man ihn nicht allein im Haus zurücklassen konnte. Außer er war im Garten. Dort stellte er am wenigsten Unsinn an.

Ähnlich verhielt es sich mit Waschen, Kochen, Putzen oder Holz hacken. Letzteres wurde für den kleinen Kaminofen im Wohnzimmer benötigt. Egal was an Arbeit anfiel, sie machten es gemeinsam. Und da keiner der drei Chaoten einen Job hatte, war das auch kein Problem. Zudem war es äußerst effektiv. Jeder erfüllte seinen Teil. Willi war das Gehirn der WG, Erich der Einzige, der sich wirklich mit Haushaltsarbeit auskannte und Torsten, weil er einfach dazu gehörte und man besser auf ihn aufpassen konnte, wenn er bei ihnen war. Kurzum, sie waren zu einem perfekten Dreierteam zusammengewachsen.

Das Verhältnis zur Vermieterin, die den bescheuerten Doppelnamen Müller-Meier hatte, war traumhaft. Sie wurde beinahe liebevoll Mrs. M. genannt und brachte nahezu jeden Sonntag Kuchen vorbei.

Der Nachbar zur rechten Seite der Chaos-WG hieß Alfons. Er war um die 60 Jahre alt, Vorstand des Kleintier-Zuchtvereins und Hobby-Hühnerzüchter. Alfons war die Höflichkeit in Person und leider auch extrem redefreudig. Immer wieder brachte er den drei Freunden Eier unterschiedlicher Größen und Farben vorbei.

„Klasse, da muss man zu Ostern gar keine mehr anmalen“, hatte Torsten gesagt und sie beim ersten Mal als Zierde auf den Wohnzimmertisch gelegt. Das ging solange gut, bis sie verfaulten und es erbärmlich zu stinken begann. Seitdem wanderten die Eier von Alfons Hühnern entweder gleich in die Pfanne oder in den Kühlschrank.

Links von ihnen gab es keinen Nachbarn. Dort befand sich eine der Kuhweiden von Bauer Huber. Dessen Hof lag schräg gegenüber. Wenn der Wind ungünstig stand, breitete sich Misthaufenduft vom Feinsten aus. Da war immer Fensterschließen angesagt. Bis auf diesen für Stadtmenschen sehr gewöhnungsbedürftigen typischen Landgeruch, fühlten sich die drei Freunde in dem Dorf wohl.

Auch die Gartenbeete haben sich als nützlich erwiesen. Während Willi alles reparierte und Erich im Haus für Ordnung sorgte, kümmerte sich Torsten liebevoll um den Garten und die Pflanzen. Das war seine Welt. Hier machte er sich nützlich und man konnte ihn sogar mit Gartengeräten alleine hantieren lassen, ohne dass eine Katastrophe eingeleitet wurde.

Es gediehen Sommerblumen, Lavendel, Rosmarin, Tomaten und Zucchini. Aber auch die Hanfpflanze war in die Höhe geschossen.

Die Hanfpflanze war stark untertrieben. Um sie herum hatte sich zwischenzeitlich ein kleines Hanfpflanzenfeld gebildet. Die Vormieter mussten etliche Samen in die Erde eingestreut haben, die nach und nach sprießten und binnen kürzester Zeit zu prächtigen Stauden heranwuchsen. Von der Straße war das kleine Hanffeld nicht zu sehen. Eingerahmt von Elefantengras, Bambus und Sonnenblumen, wuchs das verbotene Gras im Verborgenen heran. Der verräterische, typische Marihuana-Geruch, den das Gewächs verströmte, wurde vom nahezu dauerhaft in der Luft liegenden Odel- und natürlich dem Misthaufenduft permanent überdeckt.

Torsten hatte noch nie zuvor in seinem Leben so viel Spaß und Freude empfunden. Er hegte und pflegte seinen Garten, lächelte freundlich, grüßte jeden und alles und war einfach nur glücklich.

Anfangs warfen ihm die Dorfbewohner, die neugierig am Gartenzaun entlangschlendernden, komische Blicke zu. Es war ein nach außen hin verschlossener Schlag der Gattung Mensch und ganz das Gegenteil des höflichen Torsten. Als er die Spaziergänger mit: „Hallo, schönen guten Morgen“ oder: „Ich wünsche Ihnen einen tollen Abend. Sehen Sie sich nur den bezaubernden Sonnenuntergang an“, vollquatschte, waren sie verblüfft. Man konnte meinen, sie hielten Torsten für einen Außerirdischen, der ihre Sprache beherrschte.

Mit der Zeit legte sich das Fremdeln und der eine oder andere Spaziergänger schmunzelte, wenn Torsten aus dem Haus kam und seine Pflanzen begrüßte, indem er ihnen freudig ein: „Guten Morgen, Garten“, oder ein: „Hallo, meine Pflanzen, habt ihr gut geschlafen“, zurief. Grüßte er danach die Spaziergänger, wagten sie es sogar zurückzugrüßen. Das wiederum gefiel Torsten und es trug enorm dazu bei, dass er sich immer wohler fühlte.

Natürlich hatte sich der erklärte Hobbygärtner auch ausgiebig über seine neuen, exotischen Lieblingspflanzen mit dem eigenwilligen Geruch bestens informiert und seine beiden Wohn-Kumpels bezüglich des positiven Gebrauchs dieses Gewächses überzeugt.

„Der botanische Name dieser Heilpflanze ist Cannabis sativa. Sie stammt aus Indien und wurde schon vor über 4000 Jahren in China medizinisch genutzt, zum Beispiel als Heilmittel gegen Rheuma.“

„Dein Kräuterzeug langweilt mich“, hatte Willi reagiert und in den Zeitungsannoncen nach einem gebrauchten Rasenmäher gesucht. „Vielleicht finde ich einen zum Reparieren.“

„Sag mal, ist dein Hanf nicht Gras? Das Zeug, das die Leute im Drogenmilieu kaufen, sich ‘ne Tüte bauen und reinziehen?“, hakte Erich nach, der einen Kriminalfall witterte und schon die Schlagzeile vor Augen hatte. Angehender Polizist findet den Drogenbunker einer inhaftierten Bande!

Torsten hob vehement die Hände und schüttelte verneinend den Kopf. „Ich betrachte das Ganze nur medizinisch. Ich bin doch kein Drogenhändler.“

Das leuchtete Erich ein, und sein Kriminalfall verpuffte wie eine Seifenblase. Insbesondere, als Torsten aus einem seiner Bücher vorlas, dass man Marihuana auch in Keksen und Kuchen verwenden konnte.

„Man kann das Zeug wirklich essen?“

„Klar, aber nur, wenn man krank ist. Sonst bringt es ja nichts.“

Nach dieser Erklärung waren alle drei Männer der Ansicht, dass es nicht schädlich sein konnte, wenn Torsten die Pflanzen weiterhin gärtnerisch pflegen würde. Zumindest vorerst!

Was die Verwendung des Marihuanas anging, so hatte der Zufall die Wegrichtung vorgegeben. An einem lauen Sommertag war die Oma des gegenüberliegenden Huber-Hofes bei einem ihrer Spaziergänge vor dem Haus der Chaoten stehen geblieben, lehnte ihren Gehstock gegen den Gartenzaun und beobachtete Torsten eine Zeitlang beim Kräuterabzupfen.

„Junger Mann“, hatte sie ihn angesprochen. „Sie haben jede Menge Kräuter im Garten. Früher, als ich in Ihrem Alter war, hatten wir auch einen Kräutergarten. Meine Großmutter hatte für jede Krankheit ein geeignetes Kraut. Leider habe ich mir dieses Wissen selbst nie angeeignet.“

Torsten hob den Kopf, grinste und antwortete. „Ich kenne mich diesbezüglich einigermaßen gut aus. Ich habe sogar ein Buch von Hildegard von Bingen gelesen. Das hat zwar etwas gedauert, weil ich“, er zögerte, „naja, weil ich nicht so ganz gut im Lesen bin. Aber egal. Jedenfalls war sie die Kräuter-Tante Nummer eins im Mittelalter. Die hatte es voll krass drauf. Sie war damals absolut angesagt.“

Oma Huber schmunzelte. „Ja, das sagte meine Großmutter auch immer. Nur verwendete sie andere Worte.“ Sie atmete hörbar laut aus und stöhnte ein wenig. „Ach, wissen Sie, ich habe so schreckliches Rheuma und nichts aus dieser Apotheke hilft mir wirklich. Der Quacksalber von Doktor hat auch keine Ahnung. Wissen Sie zufällig, ob eines Ihrer Kräuter gut für mich wäre? Ich zahle auch dafür.“

Die alte Frau tat Torsten leid. Spontan entschied er sich dazu, ihr zu helfen. „Ich habe da schon eine Idee. Meine Heilkräuter könnten Ihnen tatsächlich Linderung bringen.“

Das leiderfüllte Gesicht von Oma Huber erhellte sich. Sie hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, dem Arzt und dessen Pillen den Rücken zu kehren, um einen Naturmediziner, einen Heilpraktiker oder so einen chinesischen Heiler aufzusuchen. Warum also sollte sie diesem jungen Mann und dessen Kräutern nicht eine winzig kleine Chance einräumen? Ihre ohnehin schon gute Laune hob sich noch einmal. „Wie heißen Sie denn, junger Mann?“

Torsten stand auf und ging zum Gartenzaun. Um seine Hände zu säubern, rieb er seine Handinnenflächen gegen die Hosenbeine der Jeans. Anschließend streckte er seine rechte Hand aus. „Hi, ich bin Torsten und das Sie können Sie gerne weglassen. Ich wurde schon immer von allen geduzt.“

„Elisabeth Huber“, meinte die alte Frau, schüttelte ihm die Hand und fügte hinzu: „Sag ruhig Oma Huber zu mir. Das sagen alle hier im Dorf.“

„Oma Huber, ich kann Ihnen …“

„Dir! Wir lassen auch bei mir das Sie weg und duzen uns“, fiel sie ihm ins Wort. „Was für dich gilt, gilt auch für mich.“

Das Lächeln der alten Dame war äußerst sympathisch. Torsten mochte diese Frau auf Anhieb. „Gerne“, erwiderte er. „Ich habe auch schon eine Idee, wie ich dir möglicherweise helfen kann. Ich stelle eine besondere Kräutermischung zusammen. Mit etwas Glück wirkt sie gegen das Rheuma.“

„Als Tee?“, fragte sie.

„Du kannst einen Tee daraus machen, sie in Kuchen und Keksen mitbacken“, er überlegte kurz und meinte dann, „aber am effektivsten wird es wohl sein, wenn du sie rauchst.“

„Als Zigarette? Junge, mit 16 habe ich mal eine Zigarette geraucht. Mir war drei Tage lang schlecht. Im Gegensatz dazu habe ich hin und wieder einen Zug von Papas Pfeife genommen. Tabak mit Vanille-Note. Das hat mir geschmeckt. Das durfte ich aber nur, wenn er sich eine Maß Bier gönnte und entsprechend gut gelaunt war“, lachte sie.

„Eine Pfeife ist eine gute Idee. Ich werde mich gleich an die Arbeit machen und dir eine Mischung zusammenstellen. Du musst dir nur noch eine Pfeife besorgen.“

„Ich habe die alte Pfeife von meinem Papa aufgehoben. Aber sag mal, was kostet das?“

Torsten überlegte kurz, zuckte mit den Schultern und meinte: „Nichts!“

„Papperlapapp! Umsonst ist nur der Tod und selbst der kostet das Leben. Ich probiere deine Kräutermischung aus und wenn es mir hilft, zahle ich dir einen Euro pro Pfeifenfüllung.“

Torstens Gesichtszüge erhellten sich. „Einverstanden! Aber das mit dem Vanille-Aroma bekomme ich nicht hin.“

Oma Huber zwinkerte Torsten zu. „Das ist ja auch Medizin. Das muss nicht nach Vanille duften oder schmecken“, lachte sie und verabschiedete sich winkend.

Torsten sah der alten Frau nach. Seine Gedanken kreisten zu seinen Pflanzen. Er spürte, dass dies der Anfang von etwas ganz Großem war. Und mit einem Euro pro Pfeifenportion würde er auch etwas zur Haushaltskasse beitragen können.

„Meine Freunde, wir sind ein Team! Ab jetzt verdiene ich etwas dazu“, sagte er laut zu sich selbst und machte sich sofort an die Arbeit.

Bereits eine Woche später wechselten fünf Euro und fünf Pfeifenkopffüllungen die Eigentümer. Wiederum eine Woche später besuchte ihn Oma Huber, Pfeife rauchend und bestens gelaunt, erneut. Torsten hatte gerade die Tomaten gegossen und stellte die Gießkanne beiseite. Als sie durchs Gartentürchen ging, rief er ihr staunend zu: „Oma Huber, wo ist denn dein Gehstock?“

Die Rentnerin hob demonstrativ ihre Pfeife. Sie ging ganz normal, humpelte nicht, zog kein Bein nach und wenn Torsten nicht alles täuschte, hatte sie sogar ein verhältnismäßig sportliches Tempo drauf.

„Den Gehstock brauche ich nicht mehr. Deine Medizin vollbringt wahre Wunder. Ich bin schon am Überlegen, mit wem ich beim Sportler-Ball tanzen soll.“

Torsten klatschte in die Hände. „Das ist ja wunderbar.“

Oma Huber stolzierte direkt durch den Garten. Sie blieb bei den Akeleien stehen, bewunderte deren Farben, warf einen Blick zum Bambus und dem dahinter sprießenden Elefantengras und bückte sich, um einen kleinen Stein aufzuheben. Diesen warf sie an die Seite ins Kiesbett, welches das Wohnhaus umrandete. Sie nahm sogar spielend die kleine Stufe, die zu den erhöht liegenden Tomatensträuchern führte. Als sie bei Torsten stand, nannte sie ohne Umschweife den Anlass ihres Besuchs. „Deine Medizin tut mir außerordentlich gut, und aus diesem Grund bin ich auch hier. Mein lieber, guter, allerbester neuer Freund, ich brauche wieder Nachschub. Hast du noch etwas von den Kräutern?“

Dem jungen Hobby-Gärtner war die Freude anzusehen. Endlich war da ein Mensch, der seine Gärtnerkunst schätzte und ihm zum ersten Mal im Leben das Gefühl gab, wirklich wichtig zu sein. „Kein Problem“, antwortete Torsten. „Ich habe schon ein paar Pfeifenfüllungen vorbereitet.“

Oma Huber strahlte überglücklich. „Prima“, sie rieb die Hände aneinander. „Und weil ich schon mal hier bin. Meine Freundin, Frau Körner, hat da auch so ein Zipperlein. Sie möchte ebenfalls mal deine Kräutermischung ausprobieren. Und die alte Anna Schwinghofer, die Obstbäuerin, die am anderen Ende des Dorfes wohnt, braucht das auch. Weißt du, sie hat es oft mit dem Rücken. Das viele Bücken und dann das Tragen der schweren Obstkörbe.“

Torsten war zwar nicht gerade ein Intelligenzbolzen, wusste aber, dass der Anbau seiner Heilpflanzen, also den Marihuana-Stauden, und der Verkauf seiner daraus fabrizierten sogenannten Kräutermischung, nicht gerade legal waren. Dennoch hatte er kein schlechtes Gewissen. Schließlich tat er mit der Weitergabe seiner Ernte etwas Gutes. Um auch der alten Dame klarzumachen, dass es an und für sich verboten war, was sie gerade taten, fragte er vorsichtig: „Oma Huber, du weißt schon, dass wir das hier geheim halten müssen? Ich meine absolut geheim.“

Sie zwinkerte ihm zu. „Keine Sorge, Torsten. Wir Mädels vom Rentnerinnen-Kaffee-Kränzchen sind so verschwiegen wie die Gräber, die unsere Erben schon für uns ausgesucht haben.“

Misstrauische Blicke ruhten auf Oma Huber, die ihre Aussage etwas korrigierte. „Besser gesagt, wir sind verschwiegen, wenn wir wissen, dass wir es sein müssen. Ansonsten plappern wir natürlich hinter vorgehaltener Hand über dies und das, über denjenigen oder diejenige.“

Torsten druckste ein wenig herum. Er beschloss, noch einmal deutlicher zu werden. Obwohl sich beide allein im Garten befanden, flüsterte er: „Ich glaube nämlich, dass ein nicht unwesentlicher Bestandteil von meinem Medizinkraut ...“, ihm fiel das richtige Wort nicht ein. „Also … es könnte sein, dass die Polizei … ich möchte damit sagen, dass … also wenn jemand …“

Oma Huber klemmte die Pfeife zwischen die Zähne und stemmte demonstrativ die Hände in die Hüften. „Wia simmt verswöögen!“

„Was hast du gesagt?“

Sie nahm die Pfeife aus dem Mund. „Wir sind verschwiegen! Basta!“

Der Hobby-Gärtner nickte. Diese Aussage war deutlich und seine Ängste somit beseitigt. Die Gesichtszüge des jungen Mannes entspannten sich. „Also gut, wenn ich helfen kann, helfe ich gerne.“

Schon drei Tage später war Oma Huber abermals da und berichtete, dass Torstens Medizin auch bei Frau Körner und Anna Schwinghofer positiv angeschlagen hatte. „Das Zeug wirkt einfach!“

Torsten war mächtig stolz. „Das freut mich.“

„Und weil deine Medizin scheinbar gegen alle Wehwehchen in unserem Alter hilft, dachte ich mir, ich nehme mal für nächsten Donnerstag für jede aus meiner Senioren-Damenrunde etwas mit. Weißt du, Torsten, seit ich deine Medizin regelmäßig einnehme, oder soll ich sagen rauche, fühle ich mich blendend. Das kann ich meinen anderen Freundinnen nicht vorenthalten. Die fangen sonst an über mich zu tuscheln.“

Torsten, der es lieber gehabt hätte, die Abgabe seiner Kräutermedizin etwas kleiner und damit verschwiegener zu halten, gab sich widerspruchslos geschlagen. „Und alle deine Freundinnen rauchen Pfeife?“

Die Rentnerin schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, natürlich nicht, aber das sind ja Kräuter, also kann ich sie in der Küche verwenden. Für unsere Nichtraucherinnen backe ich Kuchen oder ein paar Kekse“, kam es selbstsicher.

„Warte hier.“ Torsten verschwand und kam ein paar Minuten später zurück. Oma Huber sackte ein paar Pfeifenfüllungen, drei Portionen zum Zigarettendrehen und vier Kräutertütchen als Zutat für Backmischungen ein. Torsten bekam einen Zwanni in die Hand gedrückt und beide fühlten sich großartig.

Dank Oma Huber erreichte Torstens besondere Heilkräuter-Medizin nach und nach auch deren kompletten Seniorinnen-Stammtisch. Vorgestellt wurde das Wundermittel erst den beiden engsten Freundinnen und als diese bedingungslos von der Wirkung überzeugt waren, beschloss man beim Kaffeeklatsch, es dem Rest der Truppe auch zu präsentieren. Im Dorfkrug, dem einzigen Gasthaus im Umkreis von zehn Kilometern, trafen sich die Seniorinnen jeden Donnerstagnachmittag zum Unterhalten, Lästern und gegenseitigem Wehklagen.

Seit dem Zeitpunkt, als Oma Huber die Damen mit Torstens spezieller Medizin versorgte, wurden die Treffen um eine halbe Stunde vorverlegt. Allerdings versammelte sich die außergewöhnliche Clique nicht direkt im Gasthof, sondern hinter dem Wartehäuschen der Bushaltestelle.

Das war ein genialer Ort, um sich ein bis zwei Gemeinschafts-Pfeifen, eine selbst gebaute Tüte oder ein paar Kekse mit besonderen Zutaten aus Torstens Kräutergarten reinzuziehen. Anschließend kehrte die Runde bestens gelaunt und lachend im Dorfkrug ein.

Sie unterhielten sich fortan nicht mehr über Wehwehchen, Ärzte und langweilige Tombolas, sondern quatschten über Urlaub, die Karibik und die stattlichen Männer, die es dort geben soll und die man mal vernaschen müsste.

„Das ist das Thailand für Frauen“, meinte Oma Huber mit verschmitzten Blick. „Ich kann ja mal nachsehen, was so eine Reise kostet. Das ist allemal besser als diese Kaffee-Fahrten nach Südtirol“, schlug sie vor und heimste dafür grölenden Applaus ein.