Scharfschützen und Grenadiere an der Westfront - Todesacker Hürtgenwald - Wolfgang Wallenda - E-Book

Scharfschützen und Grenadiere an der Westfront - Todesacker Hürtgenwald E-Book

Wolfgang Wallenda

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Beschreibung

Die fünf Monate andauernden Kämpfe im Hürtgenwald gingen als eine der längsten und blutigsten Schlachten in die Geschichte ein, die jemals auf deutschem Boden stattfand. Man bezeichnet sie auch als "Verdun der Eifel". Es war für die US-Army die größte Niederlage seit ihrem Bestehen, doch auch die deutschen Verteidiger erlebten die Hölle auf Erden. Der Hürtgenwald war zum Todesacker für die Soldaten beider Seiten geworden.

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Westfront im Herbst 1944 – amerikanische Truppen stoßen beim Vormarsch auf das Deutsche Reich im Hürtgenwald auf erbitterten Widerstand

Der weltberühmte Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway (1899 – 1961) war als Kriegsreporter für die US-Army im Hürtgenwald eingesetzt.

Die Härte der Kämpfe und die Grausamkeit des Krieges traumatisierten ihn so sehr, dass er einen Roman darüber verfasste.

„Dies war eine Gegend, in der es äußerst schwierig war, am Leben zu bleiben, selbst wenn man nichts weiter tat, als dort zu sein", schrieb der Autor in dem 1950 erschienenen Werk: Across the River and into the Trees

(Deutsche Erstausgabe: Über den Fluss und in die Wälder Autorisierte Übertragung von Annemarie Horschitz-Horst. Rowohlt Hamburg 1951)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Daten

Roman

Todesacker Hürtgenwald

Glossar zum Roman

Waffenvorstellung in Stichpunkten

in der gleichen Reihe bereits erschienen

weitere Bücher von Wolfgang Wallenda

Vorwort:

Nach der Invasion in der Normandie am 06. Juni 1944, rückten die alliierten Truppenverbände mit hohem Tempo vorwärts. Im September 1944 erreichten amerikanische Einheiten den Großraum Düren. Am dortigen Westwall, auch Siegfried-Linie genannt, geriet das weitere Vorrücken aufgrund Nachschubprobleme ins Stocken. Dieser Zustand wurde von den angeschlagenen deutschen Truppen zum Reorganisieren genutzt.

Im Hürtgenwald, einem rund 140 qkm großen Waldgebiet nordöstlich der deutsch-belgischen Grenze, fanden sie ein ideales Verteidigungsgelände mit dünner Besiedlung vor.

Baumfreie Hügel, umsäumt mit dichtem Wald und tiefen Taleinschnitten, boten natürliche Hindernisse. Hinzu kam, dass die hinter dem Hürtgenwald liegende Rurtalsperre jederzeit geöffnet werden konnte, um das Rurtal unter Wasser zu setzen.

Neben anderen Einheiten, besetzte die 275. Infanterie-Division den Hürtgenwald und grub sich ein. Die US-amerikanischen Truppen stießen auf unerwartet hohen Widerstand.

Im kältesten Herbst seit Jahrzehnten hatten die kampfunerfahrenen amerikanischen Einheiten nicht nur die kampferprobten Russlandveteranen als Gegner zu fürchten, sondern mussten zusätzlich ohne entsprechende Bekleidung gegen den frühen Wintereinbruch kämpfen.

In den weitläufigen Waldgebieten der Eifel wurde um jeden Quadratmeter, in den Ortschaften um jedes einzelne Haus verbissen gerungen.

Bis zu 28-mal wechselten die Besetzungen einzelner Dörfer.

Die Kämpfe im Gebiet des Hürtgenwaldes (Eifel) gingen als eine der längsten und blutigsten Schlachten, die jemals auf deutschem Boden stattfanden, in die Geschichte ein. Man bezeichnet die Schlacht im Hürtgenwald auch als das Verdun der Eifel.

Es sollte die bitterste und größte Niederlage werden, die amerikanische Truppen bis dahin jemals erlitten hatten.

Eckdaten derSchlacht im Hürtgenwald:

Zeitraum der Kämpfe:     06.10.1944 bis 10.02.1945

Ort / Landschaftsbegebenheit: Hürtgenwald – ein ca. 140km² großes, schwach besiedeltes, äußerst raues und mittelgebirgiges Waldplateau, bestehend aus dichtem Waldwuchs, baumfreien Hügeln und tief gelegenen Taleinschnitten.

Geografisch liegt das sehr gut zu verteidigende Gebiet nordöstlich der deutsch-belgischen Grenze und westlich der Rur mit der dortigen Rurtalsperre und südlich der Stadt Aachen.

Am Rand des Hürtgenwaldes befand sich der in den 1930er Jahren erbaute Westwall. Dieses alte, teils verfallene Stellungssystem wurde in die Verteidigung involviert.

    Verteidiger

Deutsches Reich – unter dem Oberbefehl von Generalfeldmarschall Walter Model.

Eingesetzte Verbände:

  12. Volksgrenadier-Division

  89. Infanterie-Division

272. Volksgrenadier-Division

275. Infanterie-Division

344. Infanterie-Division

353. Infanterie-Division

   3. Fallschirmjäger-Division

116. Panzer-Division „Windhund“

Stärke: ca. 75.000 Soldaten (allerdings ist das nur eine Schätzung, da die Divisionen teilweise stark „ausgeblutet“ waren und nicht mehr auf die Ursprungsstärke aufgefüllt werden konnten)

Deutsche Verluste:

16.000 Verwundete

12.000 Gefallene

    Angreifer

Vereinigte Staaten von Amerika – unter dem Oberbefehl von General Courtney Hodges.

Eingesetzte Verbände:

   1. US-Infanterie-Division „Big Red One“

   4. US-Infanterie-Division „Ivy Division“

   8. US-Infanterie-Division „Golden Arrow or Pathfinder“

   9. US-Infanterie-Division „Octofoil“

28. US-Infanterie-Division „Keystone“

78. US-Infanterie-Division „Lightning“

83. US-Infanterie-Division „Thunderbolt“

104. US-Infanterie-Division „Timberwolves“

  82. US-Luftlande-Division „All American“

    3. US-Panzer-Division „Spearhead“

    5. US-Panzer-Division „Victory“

    7. US-Panzer-Division „Lucky Seventh“

Stärke:ca. 120.000 Soldaten

US-amerikanische Verluste:

21.000 Verwundete

12.000 Gefallene

Kampfhandlungen:

   Erste Schlacht:

Am 06. Oktober 1944 stieß die vorrückende 9. US-Infanterie-Division gegen die in Stellung liegende deutsche 275. Infanterie-Division.

Geländebedingt waren sowohl die Einsätze der US-Luftwaffe als auch die von schweren Panzerfahrzeugen kaum möglich. Es folgte ein zermürbender Stellungs- und Grabenkrieg. Artilleriegeschosse, Mineneinsatz sowie Sprengfallen forderten hohe Verluste. Zusätzlich sorgte der Einsatz deutscher Scharfschützen bei den amerikanischen Soldaten für eine enorme psychische Belastung. Bereits zehn Tage nach Beginn der Kämpfe musste die 9. US-Infanterie-Division Ausfälle in Höhe von 4.500 Männern verzeichnen, während die Verteidiger zeitgleich etwa 3.200 Soldaten verloren. Als Folge hieraus ebbten die Kämpfe ab.

Zweite Schlacht – Beiname: „Allerseelenschlacht“:

Die abgekämpfte und entmutigte 9. US-Infanterie-Division wurde von der 28. US-Infanterie-Division abgelöst. Unterstützt von Pionier-, Panzer-und Artillerie-Einheiten, griff die 28. US-Infanterie-Division am Donnerstag, 2. November 1944 (Allerseelen) die strategisch wichtige Ortschaft Schmidt an.

Das Gelände war indessen weiter von den deutschen Verteidigern zur „Festung“ ausgebaut worden. Neben der 275. Infanterie-Division waren die 89. Infanterie-Division und die 12. Volksgrenadier-Division eingesetzt. Als Reserve diente die 116. Panzer-Division „Windhund“.

Alle deutschen Verbände waren stark dezimiert und zahlenmäßig weit von der eigentlichen Ursprungsstärke entfernt.

Nach schweren Kämpfen und hohen Verlusten konnten die USTruppen am 3. November 1944 die Ortschaft Schmidt einnehmen und sich dort verbarrikadieren. Der deutsche Artilleriebeschuss blieb bestehen. Weiterhin wurden die Amerikaner durch den Einsatz deutscher Scharfschützen, die sich in den Wäldern rund um Schmidt befanden, permanent demoralisiert.

Zwei Tage später folgte der deutsche Gegenangriff, geführt von der 89. Infanterie-Division und der 116. Panzer-Division. Schmidt wurde nach erbittert geführten Gefechten zurück erobert. Die US-amerikanischen Truppen erlitten wiederum schwere Verluste und zogen sich fluchtartig zurück.

In den folgenden Tagen setzten die deutschen Truppen nach und zwangen, bei erbittert geführten Kämpfen und äußerst schlechten Wetterverhältnissen, die Amerikaner in deren Ausgangsstellungen zurück. Beide Seiten hatten hohe Verluste zu verzeichnen, wobei die der 28. US-Infanterie-Division mit rund 6.200 Mann etwa doppelt so hoch waren wie die der Deutschen.

Dritte Schlacht – Deckname: „Operation Queen“:

Mit der Operation Queen wollte die US-Armee am 16. November 1944 den Kampf um den Hürtgenwald endgültig für sich entscheiden.

Während in der Phase 1 die 1. US-Infanterie-Division und die 9. USInfanterie-Division frontal die deutschen Stellungen im Hürtgenwald angriffen, kämpfte sich mit der Phase 2 die 4. US-Infanterie-Division, mit dem Ziel die Rur zu erreichen, durch die nördliche Hälfte des Hürtgenwaldes.

Die zwischenzeitlich leicht aufgestockte, aber immer noch abgekämpfte 275. Infanterie-Division lag nach wie vor in ihren Stellungen im Hürtgenwald.

Starkes Artillerie- und MG-Feuer zerrieb bereits zu Beginn der Kämpfe zwei US-Regimenter und zwang diese zum Rückzug. Wiederum waren die Kämpfe heftig und der Widerstand härter als die Angreifer vermuteten. Drei Tage später wurden die Gefechte für zwei Tage eingestellt, um Verwundete zu bergen.

Während sich die US-Truppen in dieser Zeit neu formierten, wurden zur Unterstützung der deutschen Verteidiger die 344. Infanterie-Division und die 353. Infanterie-Division an die HKL verlegt.

Im Zeitraum vom 21. November bis 12. Dezember 1944 konnten die amerikanischen Einheiten sukzessive Geländegewinne verzeichnen und schließlich – unter ständigem harten Widerstand – bis zu den Ortschaften Straß, Gey und Brandenberg vorrücken.

Es gelang den deutschen Verteidigern, ihre Gegner von den äußerst wichtigen Rurtalsperren fern zu halten. Ebenso konnte das Aufmarschgebiet für die Ardennen-Offensive feindfrei gehalten werden.

Dieser deutsche Großangriff begann am 16. Dezember 1944 und endete mit dem Scheitern der Offensive am 21. Januar 1945.

Mitte Januar rückten die US-Truppen wieder im Hürtgenwald vor. Die komplett ermüdeten und lädierten deutschen Verteidiger konnten den Vormarsch letztendlich nicht mehr aufhalten. Die Ortschaft Schmidt wurde am 8. Februar 1945 endgültig von amerikanischen Streitkräften eingenommen.

Die Schlacht um den Hürtgenwald war beendet.

Durch das Öffnen der Rurtalsperre fluteten die Deutschen das Gebiet um die Rur. Der amerikanische Vorstoß zum Rhein wurde dadurch um zwei Wochen verzögert.

Anmerkung:

Im damaligen Kampfgebiet werden heute immer noch gefährliche Kampfmittel, u.a. Minen und Granaten, vermutet.

Immer wieder wurden sterbliche Überreste von Soldaten gefunden. Letztmalig im Jahr 2008 - zwei US-Soldaten der 28. US-Infanterie-Division.

In Vossensack erinnert das Museum „Hürtgenwald 1944 und im Frieden“ an die damaligen Kriegsereignisse. Betrieben wird es vom Geschichtsverein Hürtgenwald e. V.

Daten

275. Infanterie-Division

Aufstellung und Werdegang der Einheit:

Die Einheit wurde im November 1943 in Westfrankreich als Division 22. Welle neu aufgestellt. Rückgrat bildeten der Stab und die Reste der 223. Infanterie-Division (Heeresgruppe Süd), die bei den heftigen Abwehrkämpfen in Südrussland auf Kampfgruppenstärke zusammenschmolz und letztendlich aufgelöst wurde.

Anfänglich (bis Dezember 1943) als 352. Infanterie-Division bezeichnet, wurde die neue Einheit schließlich in 275. Infanterie-Division umbenannt.

Verstärkt durch das XII. Luftwaffen-Festungs-Bataillon und dem XX. Luftwaffen-Festungs-Bataillon, wurde die Truppe im Hürtgenwald eingesetzt und dort im Oktober 1944 in schwerste Kämpfe verwickelt.

Hierdurch wiederum stark geschwächt, ergänzte man die Verluste, indem man im Dezember 1944 die Reste der 344. Infanterie-Division eingliederte.

Die 275. Infanterie-Division wurde schließlich unter Verwendung der bereits vorhandenen Stabseinheiten im Januar 1945 in Flensburg noch einmal neu aufgestellt und an die Ostfront verlegt. Bei den Kämpfen im Kessel von Halbe (Raum Guben) wurde sie schließlich vernichtet.

   Kommandeur der Division:

 

Dez. 1943 – April 1945

Generalleutnant Hans Schmidt

   Einsätze der 275. Infanterie-Division:

   1944

Februar - Mai

Bretagne

Juni – Juli

Normandie (Raum Contentin, Falaise und Mons)

August

Belgien

September - Dezember

Hürtgenwald

   1945

Januar

Neuaufstellung in Flensburg

Februar - April

Kessel von Halbe (Raum Guben) - Vernichtung

Kriegsverbrechen:

Bei den Recherchen zu diesem Buch konnte ich keine Kriegsverbrechen finden, welche Angehörigen der 275. Infanterie-Division explizit angelastet werden.

Anzumerken ist jedoch, dass aus der einschlägigen Literatur hervorgeht, dass während der erbittert geführten Kämpfe im Hürtgenwald von beiden Kriegsparteien zeitweise keine Gefangenen gemacht wurden.

Dies lässt berechtigte Vermutungen zu, dass sowohl die deutschen als auch amerikanischen die Soldaten aus Verzweiflung, Wut, Angst, Hass oder anderen Beweggründen möglicherweise ihre gefangen genommenen Gegner, entgegen den damals gültigen internationalen Abkommen, getötet haben.

Einen detaillierten Bericht hierzu, der entsprechende Taten belegt, konnte ich allerdings nicht finden.

   Dienstgrade Wehrmacht vs. US-Army:

Mannschaften und Unteroffiziere

SchützePrivate E 1OberschützePrivate E 2GefreiterPrivate First ClassObergefreiterCorporalStabsgefreiter------UnteroffizierSergeantUnterfeldwebelStaff SergeantFeldwebelSergeant First ClassOberfeldwebelMaster Sergeant----First SergeantHauptfeldwebel (Spieß) Stabsfeldwebel= kein eigentlicher Dienstrang sondern eine DienststellungSergeant Major (oftmals auch Spieß)Stabsfeldwebelw.o.

Offiziere

LeutnantSecond LieutenantOberleutnantFirst LieutenantHauptmannCaptainMajorMajorOberstleutnantLieutenant ColonelOberstColonelGeneralmajorBrigadier GeneralGeneralleutnantMajor GeneralGeneralLieutenant GeneralGeneraloberstGeneralGeneralfeldmarschallGeneral of the ArmyReichsmarschall-----

*Anmerkung:

Die Dienstränge Second Lieutenant und First Lieutenant wurden i.d.R. beide mit Lieutenant angesprochen. Sie unterschieden sich äußerlich von der Farbe ihres Dienstgradabzeichens, einem Balken. Der Balken des Second Lieutenants war gelb, der des First Lieutenants silberfarben.

Analog hierzu ist das Rangabzeichen des Majors und des Lieutenant Colonels ebenso identisch – ein siebenzackiges Blatt mit Stiel. Die Farbe des Majors ist golden, die des ranghöheren Lieutenant Colonels silberfarben.

   Roman

Neben anderen Einheiten besetzte auch die 275. Infanterie-Division Bereiche des Hürtgenwaldes, grub sich dort ein und nutzte zudem die noch vorhandenen alten Bunkeranlagen des Westwalls zur Verteidigung.

Als die relativ kampfunerfahrenen US-amerikanischen Truppen im kältesten Herbst seit Jahrzehnten angriffen, mussten sie wetterbedingt weitgehend auf Flugzeugunterstützung verzichten.

Sie stießen auf kampferprobte Russlandveteranen und wurden in bis dahin nicht gekannte, heftig geführte Kämpfe verwickelt.

Neben dem unerwartet hohen Widerstand hatten die amerikanischen Einheiten mit einem weiteren Problem zu kämpfen. Sie waren für den frühen Wintereinbruch nicht gerüstet und verfügten über keine entsprechende Bekleidung.

In den weitläufigen Waldgebieten der Eifel wurde monatelang um jeden Quadratmeter, in den dort befindlichen Ortschaften um jedes einzelne Haus verbissen gerungen.

Artilleriebeschuss, Sprengfallen, Minenfelder, etliche MG-Nester und letztendlich eingesetzte deutsche Scharfschützen demoralisierten die angreifenden US-Truppen zusehends. Aber auch die deutschen Landser erlebten in den Kampfgebieten des Hürtgenwaldes die Hölle auf Erden und sprachen von apokalyptischen Kämpfen.

Im Romanteil werden die Schicksale eines dieser Scharfschützen, eines an die Front zurückgekehrten Russlandveteranen sowie das einer Sturmgeschütz-Besatzung erzählt.

Bis auf historische Persönlichkeiten sind alle Namen frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

Todesacker Hürtgenwald

„Seit Tagen verrichten wir Schanzarbeiten. Ich frage mich, wozu wir hier hinten noch weitere Laufgräben und Schützenlöcher brauchen, wenn sich vorne schon die befestigten Linien des Westwalls befinden“, moserte Eduard Gollmann und wuchtete seinen Spaten in die Erde. Der Landser stieß erneut auf Widerstand. „Schon wieder eine Wurzel. Jetzt reicht es mir!“

Schweiß tropfte von der Stirn des Soldaten, die Wangen waren gerötet.

„Und zum Trinken habe ich auch nichts mehr“, schob er sichtlich wutentbrannt nach.

„Hör zum Schimpfen auf, Eduard. Wir haben es ohnehin bald geschafft“, beruhigte ihn Franz Höpfner, griff an seine Seite, nahm die Feldflasche ab und hielt sie seinem Kameraden hin. „Hier! Trink einen Schluck, dann sieht die Welt schon besser aus.“

„Hast ja recht, Franz“, antwortete der durstige Gollmann und ließ sich das kühle Wasser schmecken. Nachdem der Durst gelöscht war, besserte sich die Laune des Landsers. Er zückte seine Schnupftabakdose und klopfte mit dieser wie üblich zweimal auf seinen Oberschenkel, bevor er sie öffnete und eine Prise auf seine linke Hand, genau in die kleine Mulde zwischen Daumen und Handgelenk streute. Die Hand wanderte unter die Nase, dann schniefte der Soldat den Tabak restlos ein. Anschließend schnaufte er kräftig durch. „Ahhh“, stöhnte er genießerisch. „Du solltest auch vom Rauchen auf Schnupfen umsteigen. Das ist um Längen besser.“

„Das bildest du dir nur ein“, kam die prompte Antwort.

Genüsslich inhalierte Höpfner den Rauch seiner zwischenzeitlich angezündeten Zigarette und blies ihn ebenso genussvoll wieder aus. Die blaue Dunstwolke tanzte anfangs über den Köpfen der beiden Männer, verteilte sich und löste sich binnen kürzester Zeit auf.

„Ich weiß noch, wie du Keller und mir eingeredet hast, wir sollen das Zeug probieren.“ Der Gefreite lachte, während er erzählte. „Ha, ha. Wir blauäugigen Anfänger nahmen eine ordentliche Prise und mussten minutenlang niesen.“

Jetzt lachten beide.

„Ich hoffe, dass Keller bald wieder kommt. Ist schon fast ein Jahr, dass er weg ist. Es ist richtig öde, wenn der alte Knabe nicht bei uns ist.“

„Es sind ziemlich genau zehn Monate! Ihn hat es in Russland ganz schön übel erwischt. Mich wundert es, dass er überhaupt überlebt hat.“

„Wir haben ihn damals ja weit genug nach hinten geschleppt. Ich werde den Tag nie vergessen.“

„Ich auch nicht! Unser Kamerad Franz. Keller hat uns schließlich das Leben gerettet.“

„Und wir seines!“

Stummes Nicken. Die wieder ins Gedächtnis gerufenen Erinnerungen an Russland stimmten verlegen. Zu grausam und erbarmungslos waren die Zeiten, zu hart die Umstände.

„Stimmt es eigentlich, dass er momentan auf Unteroffizierslehrgang ist?“

Gollmann nickte. „Der Spieß hat es mir verraten.“

Privatarchiv des Autors, PA-H-102-Schanzarbeiten

Alles was Jürgen Keller noch wusste, war dass der russische T 34 auf ihn und seine Kameraden zurollte. Der Stahlkoloss tauchte wie aus dem Nichts auf. Das Kettengerassel klang, als zückten tausend Husaren ihre Säbel, um sie in die Leiber ihrer Feinde zu stoßen. Blanke Todesangst stand in den Augen der beiden jungen Soldaten, die neben dem Obergefreiten im Schützenloch lagen. Die anderen Männer der Gruppe saßen ein paar Meter weiter in ihren Deckungslöchern. Ihre Positionen den Panzer zu knacken waren nochmals schlechter, als seine eigene.

Das Bord-MG des russischen Panzers ratterte genau in ihre Richtung. Projektile surrten über sie hinweg. Wie in Trance hatte sich Keller die letzte T-Mine geschnappt und war aus der Erdmulde gekrochen. Er blieb wie durch ein Wunder von den Geschossen des Maschinengewehrs verschont. Anfangs kroch er bäuchlings los, dann wuchtete er seinen Körper hoch und lief geduckt der rollenden Festung entgegen. Ein Kampf zwischen David und Goliath stand dem Soldaten bevor. Mit der Erfahrung eines altgedienten Frontsoldaten versuchte Keller immer im toten Winkel des Bord-MGs zu bleiben. Wie gebannt ruhten die starren Blicke seiner Kameraden auf ihm. Todesmutig näherte er sich Schritt für Schritt. Der Obergefreite wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Gleich würden die schweren Ketten über die Schützenlöcher seiner Kameraden rollen und sie unter sich begraben.

Jetzt ist es soweit, durchfuhr es ihn kalt.

Er war nahe genug herangekommen, lief neben den wuchtigen Ketten her, klemmte die Mine zwischen Turm und Fahrgestell und zog die Sicherungsschnur. Sofort wandte sich Keller ab und suchte Deckung. Im gleichen Moment, als er sich zu Boden werfen wollte, detonierte die Sprengladung.

Wumm

Der Obergefreite spürte einen kräftigen Schlag im Rücken. Er wurde durch die Luft geschleudert und schlug hart am Boden auf. Der Kampflärm, das Dröhnen des Panzermotors und das Geschrei der Männer um ihn herum waren nur noch dumpf wahrzunehmen. Allmählich wurde es schwarz und still.

Als der Landser wieder seine Augen öffnete, sah er alles verschwommen. Monotones Klacken, verbunden mit beständigem Ruckeln. Er kannte es. Keller musste seine Gedanken sortieren. Er lag in einem Zug. Beim Versuch sich aufzusetzen, spürte der Obergefreite Schmerzen. Ein schier unerträglicher Stich, ausgehend vom Rücken, ließ ihn sofort wieder niedersinken. Sein Mund war trocken, die Lippen spröde und aufgeplatzt. Der Geruch im Waggon war schrecklich und undefinierbar. Kraftlos versank Keller wieder ins Delirium. Beim nächsten Erwachen stand eine Krankenschwester neben ihm. Sie wischte mit einem feuchten Lappen über seine Lippen. Gierig saugte er das Nass auf.

„Wo bin ich?“, presste er mit kratziger Stimme über die aufgeplatzten Lippen.

„Ruhen Sie sich aus! Sie sind in einem Lazarettzug. Wir fahren in die Heimat.“

Heimat!

Das Wort klang beruhigend. Keine Schützengräben mehr. Kein heranstürmender Iwan. Keine Panzer, die geknackt werden mussten. Er war in Sicherheit. Zufrieden blickte Keller an die Decke, doch schon wenige Augenblicke später überkamen ihn Zweifel.

Warum liege ich hier im Lazarettzug?

Angst kroch durch seinen geschundenen Körper.

Habe ich noch alle Glieder? Ist der Panzer über meine Beine gerollt?

Immer wieder tauchte das Bild des T 34 auf. Dazu glaubte der verwundete Obergefreite Kettengerassel zu hören. Im Gedanken spielte sich alles noch einmal ab.

Selbstzweifel überfielen den Frontsoldaten. Die Krankenschwester schien die Gefühle zu spüren.

„Keine Angst! An Ihnen ist noch alles dran. Sie wurden zwar schwer verwundet, doch der Stabsarzt hat Sie sofort operiert. Ich war selbst dabei, als Ihre Kameraden sie anschleppten. Es grenzte an ein Wunder, dass Sie nach dem enormen Blutverlust überhaupt noch lebten. Dr. Frenzel sagte, dass Sie wieder vollkommen gesund werden. Die Splitter haben keine lebenswichtigen Organe verletzt. Sie sind ein Glückspilz! Alles was Sie brauchen ist Ruhe und Erholung.“

Vollkommen gesund.

Diese Worte wirkten erlösend. Der Schwerverletzte schlief wieder ein.

Keller musste bis weit in den Frühling hinein im Lazarett bleiben. Danach folgten Kuren, ein langer Erholungsurlaub und anschließend der Unteroffizierslehrgang in Wörgl/Tirol.

Am Ende des Lehrgangs wurde Jürgen Keller in die Schreibstube des Lehrgangsleiters gebeten.

„Wie Sie ja zwischenzeitlich erfahren haben, ist Ihre alte Division in Südrussland komplett aufgerieben und daher aufgelöst worden. Die restlichen Angehörigen wurden in die neu aufgestellte 275. Infanterie-Division eingegliedert. Sie übrigens auch! Ihre neue Einheit befindet sich an der deutsch-belgischen Grenze, im nördlichen Ausläufer der Eifel. Ihre Kompanie liegt in einem Gebiet, das Todtenbruch heißt. Hier ist Ihr Marschbefehl“, sagte Hauptmann Klingenberg zum frisch gebackenen Unteroffizier Jürgen Keller und gratulierte gleichzeitig zur Beförderung. „Die Unteroffizierslitzen passen prima zu Ihren Auszeichnungen“, spielte der Offizier auf die verliehenen Orden an.

Keller wurde während seines Lazarettaufenthalts in Gars am Inn das Eiserne Kreuz Erster Klasse und das silberne Verwundetenabzeichen verliehen.

„Mit den besten Genesungswünschen Ihres Kommandeurs. Wegen besonderer Tapferkeit vor dem Feind…“, hieß es damals.

Beide Orden sowie das Sturmabzeichen waren an der Feldbluse angebracht. Der Blick des Hauptmanns wanderte von den Abzeichen hinüber zu Kellers rechten Oberarm und verharrte dort am angenähten Panzervernichtungsabzeichen. Ein goldener Panzer prangerte darauf. Sofort wusste Klingenberg, dass Keller mindestens fünf Panzer als Einzelkämpfer geknackt hatte. Vor ihm stand ein wahrer Kriegsheld.

„Wissen Sie zufällig, wer von meinen Kameraden aus Südrussland rausgekommen ist?“

Klingenberg schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Hierüber bin ich nicht informiert. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“

Es war wieder einmal soweit. Jürgen Keller saß in einem Zug und rollte an die Front. Doch diesmal ging es nicht nach Osten ins verhasste Russland, sondern an den Westwall. Der Platz neben dem Russlandveteranen blieb bis Heilbronn frei. Frühmorgens hatte der Zug die badische Kleinstadt erreicht. Eine Stunde Aufenthalt wurde angekündigt. Keller entschloss sich auszusteigen, um eine Zeitung und ein Erfrischungsgetränk zu kaufen. Als er wieder in den Zug stieg, saß ein Obergefreiter auf dem freien Platz. Beide sahen sich an und nickten sich grüßend zu.

„Jürgen Keller“, stellte sich der Unteroffizier vor.

„Jörg Hönnige“, meinte der Obergefreite kurz angebunden.

Keller setzte sich, trank den Rest seiner Brauselimonade aus und las die Tageszeitung. Der Zug rollte wieder an. Eine halbe Stunde später faltete der Unteroffizier die Zeitung zusammen und bot sie seinem Nachbarn zum Lesen an.

„Nein, danke. Ich habe sie schon am Bahnhof gelesen. Musste zwei Stunden auf diesen Zug warten. Mir wurde gesagt, dass er um fünf Uhr morgens eintrifft. War ´ne kurze Nacht für mich“, lehnte dieser höflich ab. Hönnige sprach mit leicht badischem Akzent.

„Wo führt dich die Reise hin?“

„Erst zum Bahnhof nach Düren, dann weiter zur 275.ten. Bin im Regiment 983.“

„Mensch, das ist mein Haufen. Da muss ich auch hin.“

„Welches Bataillon?“

„I. Bataillon, 2. Kompanie, 1. Zug, 2. Gruppe, um es genau zu sagen“, sprudelte Keller hervor.

„Das ist ja ´n Ding! Ich gehöre auch zum I./2, aber ich habe dich noch nie gesehen.“

„Kein Wunder. Ich wurde in Russland verwundet und lag lange im Lazarett. Jetzt haben sie mich wieder zu meinem alten Haufen zurück beordert. Bin mal gespannt, wer noch alles da ist.“

„Zweite Gruppe? Warte mal…“, überlegte Hönnige. „Von den Alten kenne ich Gollmann und Höpfner“, fing er zu berichten an.

„Eduard und Franz“, stieß Keller sofort aus. Seine Augen blitzten dabei auf. „Prima Kerle. Ist der junge Burger auch noch da? Und was ist mit Schoner, Kleemann und Reiz?“

„Ja, der Burger ist auch bei Gollmann. Die anderen kenne ich nicht, tut mir leid.“

„Drei von sieben“, hauchte der Russlandveteran aus. „Das ist hart!“

„Moment“, stieß Hönnige plötzlich aus. „Jetzt fällt es mir wieder ein. Du bist der verwundete Obergefreite, den es an der Ostfront schwer erwischt hat. Und zwar ist das passiert, als du einen Panzer geknackt hast. Stimmt das?“

Hönnige sprach einfach weiter, ohne auf eine Antwort zu warten. „Der Panzer ist drei Meter vor deinen Kameraden zum Stehen gekommen. Die hatten schon ganz schön die Hosen voll. Der T 34 hätte Gollmann und Höpfner schier platt gewalzt!“

„Drei Meter?“, rief Keller erstaunt und runzelte die Stirn.

„Ich kenne die Geschichte gut. Sie erzählen sie an jedem Gruppenabend. Ich war schon dreimal dabei. Als du damals auf den Panzer zugelaufen bist, glaubten deine Kameraden anfangs, dass du einen Frontkoller bekommen hast und dich umbringen wolltest. Aber dann sahen sie die T-Mine, die du mitgeschleppt hast. Sie hat übrigens den Turm weggesprengt. Junge, Junge, wenn man den Erzählungen glauben darf, hattest du geschätzte tausend Splitter im Rücken.“

Keller lächelte etwas. „So viele waren es zwar nicht, aber es hat gereicht, dass ich zehn Monate lang weg von der Truppe war.“

„Wie ich sehe, waren die da oben“, Hönnige spielte auf den Divisionsstab an, „nicht allzu geizig mit Auszeichnungen.“

„Alles nur Blech“, verwarf der dekorierte Soldat.

Gleichzeitig blickte er auf die Feldbluse des Baden-Württembergers. Am Ärmel war unübersehbar das Scharfschützenabzeichen in Silber angenäht. Ein Ruck ging durch den kampferprobten Unteroffizier. Neben ihm saß ein Soldat, mit dem im Allgemeinen der Umgang eher vermieden wurde.

Scharfschützen waren i.d.R. nicht sehr beliebt und galten lange Zeit als hinterhältige Heckenschützen. Erst als der Krieg immer härter wurde, verschafften sie sich aufgrund ihrer Erfolge, aber auch wegen des Risikos, schneller als die anderen den Heldentod zu sterben, Respekt.

Die Propagandamaschine erhob sie zu Jägern und gefürchteten Einzelkämpfern. Keller hatte bis zum heutigen Tag noch keinen Scharfschützen näher kennengelernt. Nein! Er hatte sie eher fürchten gelernt. Einige seiner Kameraden waren russischen Heckenschützen zum Opfer gefallen. Furcht und Schrecken fuhr selbst in die Glieder der ältesten Frontschweine, wenn ein feindlicher Scharfschütze zuschlug.

Es gab im täglichen Fronteinsatz viele Wege, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Keller hatte wahrlich einige davon kennengelernt. Doch eine der gefährlichsten Arten war es, als Scharfschütze irgendwo im Niemandsland zu liegen. War dieser vom Gegner erst einmal lokalisiert, wurde er vom Jäger zum Gejagten. Erbarmungslos wurde er nur allzu oft von ganzen Kompanien gehetzt. Es kursieren sogar Geschichten, die darüber berichten, dass ganze Landstreifen von Artillerie umgepflügt wurden, nur weil darin ein Scharfschütze vermutet wurde. Ob dies der Wahrheit entsprach, prüfte Keller allerdings nie nach.

„Scharfschütze?“, fragte der Unteroffizier schon fast rhetorisch.

Hönnige nickte. „Ich bin z.b.V. bei der Kompanie. Hauptmann Retzer wollte das so.“

„Retzer?“, erkundigte sich der Obergefreite. „Als ich noch bei der Truppe war, führte Hauptmann Stein die Kompanie. Was ist mit ihm? Hat er Karriere gemacht?“

Der Heilbronner schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn nie kennengelernt. Stein ist gefallen. Muss wohl am gleichen Tag gewesen sein, als du verwundet wurdest. Jedenfalls ist er in Russland begraben worden.“

Nachdenklich sank Keller auf die Sitzbank zurück. „Und was ist mit unserem Zugführer?“

„Wenn du Leutnant Drexler meinst? Der fühlt sich momentan richtig wohl. Er stammt aus der Nähe von Düren und kennt die Eifel wie seine Westentasche.“

Wenigstens hat Drexler es geschafft, durchfuhr es den Unteroffizier. Was wird der Westwall bringen? Wie wird es im Hürtgenwald werden? Sie kämpften nicht mehr im Feindesland. Sie kämpften auf deutscher Erde. In der Heimat. Verfluchter Krieg!

„Zigarette?“, Hönnige hielt eine Packung amerikanischer Zigaretten der Marke Camel in der Hand und bot seinem Nachbarn eine davon an.

„Wo hast du denn die her?“

Während er dies fragte, griff er nach der angebotenen Zigarette.

„Du wirst lachen. Wir haben sie getauscht. Ganz offiziell haben wir uns getroffen. Ein paar von den Kaugummi kauenden Amis und einige von unseren Leuten. Es war nach einem Scharmützel. Waffenstillstand zur Verwundeten- und Totenbergung. Wir brachten Juno-Zigaretten, Wein aus der Pfalz sowie guten Korn mit. Die Amis hatten Camel-Zigaretten und Whiskey. Du kannst dir nicht vorstellen, was alles an Schwarzbeständen für das Tauschgeschäft aufgetaucht ist. Ich habe mir vier Stangen ergattert.“

„Glückspilz!“

„Sie nennen sich selbst GI´s und zu uns sagen sie Krauts.“

„Krauts“, wiederholte Keller und schmunzelte.

Auch der Scharfschütze grinste breit. „Weil wir so viel Sauerkraut essen“, erklärte er.

Die restlichen Stunden der Zugfahrt verstrichen schnell. Keller und Hönnige verstanden sich gut. Sie sprachen über viele Dinge, nur nicht über das zerstörte Deutschland, das sie gerade durchfuhren. Blicke sagten alles. Keiner der beiden Frontsoldaten wollte öffentlich Kritik üben, als sie an den Ruinen der Bombenopfer vorbeifuhren. In Düren war die Reise beendet. Sie waren am Ziel angekommen und stiegen aus.

„Wo genau sitzt unsere Kompanie?“, erkundigte sich Keller zum wiederholten Mal.

„Irgendwo am Todtenbruch. Das Bataillon liegt bei Vossensack. Ich schätze, wir werden sie irgendwo zwischen diesem Kaff Vossensack und Lammersdorf finden.“

„Wie weit ist das?“

„Von Düren aus gute 20 Kilometer.“

„Dann sollten wir uns nach einer Fahrgelegenheit umsehen.“

„Keine schlechte Idee, Jürgen, aber wie willst du das anstellen?“

„Dort steht ein Kettenhund. Ich erkundige mich mal.“

Privatarchiv des Autors, PA-H-105-Nachschub

Der Feldgendarm zeigte den beiden Landsern den Weg zu den Lastwagen, die zur HKL fuhren. Kurz darauf marschierten sie zur anderen Seite des Dürener Bahnhofs, an dessen Ende Lastwagen beladen wurden.

„Solange der Nachschub zur HKL rollt, ist der Krieg noch nicht vorbei!“

„Hönnige, deinen Enthusiasmus möchte ich haben“, gab Keller verblüfft preis.

„Oder Humor“, meinte dieser schließlich trocken.

Sie erreichten die Lastwagen und fragten sich durch. Die ersten beiden Soldaten schüttelten lediglich den Kopf. Der dritte Fahrer konnte helfen. „Geht mal zwei Lkw weiter, dort steht ein Henschel. Der Fahrer heißt Kurt. Ich glaube, er muss zum I. Bataillon.“

„Danke.“

„Keine Ursache.“

Schnurstracks gingen sie weiter und blieben bei einem Henschel-Lkw stehen. Die Heckklappe war geschlossen, kein Fahrer zu sehen. Hönnige zündete sich gerade eine Zigarette an, während ein Landser auf sie zukam. „Bist du Kurt?“

„Warum?“

„Wir müssen zum I./2.“

„Tut mir leid. Ich bin nicht allein unterwegs. Das Führerhaus ist voll.“

„Dann steigen wir hinten auf.“

„Ungern! Ich habe dort lauter…“, weiter kam er nicht, denn der Scharfschütze hielt drei Camel in der Hand. Schnell griff der Kraftfahrer zu. „Rauf mit euch, aber ich habe euch nicht gesehen. Ich habe Minen und so Zeugs geladen. Die Lieferung geht an die Pioniere. Ich folge nachher zwei anderen Lastwagen. Wir bekommen noch eine Gruppe Infanteristen als Schutz mit. Lasst euch einfach nicht sehen. Ihr wisst ja, wie das ist. Bei Munitionstransporten ist es streng verboten, jemanden hinten drauf mitzunehmen.“

„Ist schon in Ordnung.“

Die Zigaretten verschwanden in Kurts Brusttasche. Hönnige und Keller kletterten auf die Ladefläche und machten es sich bequem.

Eineinhalb Stunden später waren sie am Ziel.

„Wir sehen uns bestimmt noch öfter. Als erstes gehe ich zum WuG und hole mein Gewehr. Ich fühle mich wohler, wenn ich meine Ausrüstung bei mir habe“, verabschiedete sich der Scharfschütze.

Keller ging allein zur Kompanieschreibstube. Er blieb vor dem Haus stehen, vor dessen Gartentür ein hölzernes Hinweisschild angebracht war. Ein Melder kam heraus, sah den Unteroffizier von oben bis unten an, stieg auf seine DKW und brauste davon. Der Russlandveteran schnaufte kräftig durch.

Jetzt geht es wieder richtig los.

Der Landser wusste, was auf ihn zukam. Es würde sicher wieder einige Zeit dauern, bis er sich an ein Feldbett gewöhnt hatte. Sofern es überhaupt eines gab. Auch auf die Läuse, die unweigerlich kommen würden, war er vorbereitet. „Soldatenalltag, du hast mich wieder“, flüsterte er und betrat die Schreibstube.

„Können Sie nicht klopfen“, tobte jemand sofort los.

Keller erkannte die dunkle, raue Stimme und näherte sich wortlos dem Schreibtisch. Erst jetzt hob der Spieß, der sich allein im Raum befand, den Kopf. Glühend rot vor Wut holte er zu einer Schimpfkanonade aus: „Euch Drei-Tage-Soldaten muss man den Respekt wohl erst einprü…“, mitten im Satz stockte der Oberfeldwebel, der aufgrund seines Postens den Dienstrang eines Hauptfeldwebels besaß. Dass es sich um den Kompaniefeldwebel handelte, war zudem an den beiden Kolbenringen erkennbar, die an den Uniformärmeln angenäht waren. „Mich laust der Affe“, stieß der Spieß voller Verwunderung aus. „Jürgen! Bist du es wirklich?“

„Leibhaftig, wie du siehst.“

„Schön, dass du wieder hier bist. Die Unteroffizierslitzen stehen dir gut“, begrüßte Oberfeldwebel Radomski seinen alten Kameraden, stand auf und reichte Keller über den Schreibtisch hinweg die Hand.

„Du bist jetzt die Mutter der Kompanie? Wo ist denn der alte Müller geblieben?“

„Den gibt es nicht mehr.“

„Jetzt schlägt es doch dem Fass den Boden aus. Müller ist gefallen? Der war doch immer kilometerweit hinter der HKL. Ich habe ihn zumindest nie mit ´ner Maschinenpistole in den vorderen Reihen gesehen.“

„Er hatte Pech. Als es in Russland zu Ende ging, hatte sich Müller irgendwie an Bord einer alten Tante Ju geschlichen. Keiner weiß, wie er das gemacht hat. Auf jeden Fall ist genau diese Maschine abgeschossen worden.“

Der Spieß griff hinter sich, schob einen Ordner beiseite und kramte eine grüne Flasche hervor. „Cognac? Ist was richtig Gutes. Ich habe ihn aus Frankreich mitgenommen. Das kannst du mit dem Kartoffelschnaps, den wir in Russland gesoffen haben, nicht vergleichen.“

„Gern.“

Im Nu standen zwei Gläser vor den beiden Soldaten. Behutsam füllte Randomski sie mit dem Weinbrand. Nach dem Begrüßungsschluck zeigte der Spieß auf einen Stuhl. „Setz dich doch“, forderte er Keller auf und schenkte nach.

„Ich dachte schon, ich bin bei den Gebirgsjägern gelandet, so steil gehen hier die bewaldeten Hügel hoch“, meinte der Rückkehrer.

„Das Gelände ist ein Wahnsinn. Vor uns befindet sich der Westwall“, begann der Oberfeldwebel zu erklären, „mit seinen Panzersperren und Bunkern. Gut, der eine oder andere Bunker war jahrelang leer gestanden. Wozu auch besetzen?“, lachte er aus, um sofort wieder weiter zu sprechen. „Aber danach kommt der Wald. Mindestens 140km² reinstes Waldgebiet“, betonte er. „Hier gibt es so gut wie keine Wege, die panzergerecht sind. Die Täler und Höhen können kaum zu Fuß durchquert werden und dahinter befindet sich die Rurtalsperre. Wer die Staudämme besetzt, kontrolliert das gesamte Gebiet!“

„Und wo finde ich in diesem menschenfeindlichen Urwald meine Gruppe?“

„Jürgen, wie eh und je! Da komme ich schon mal ins Schwärmen und preise dir unsere Eifel an, schon willst du wieder in den Schützengraben zurück.“

Beide hoben das zweite Glas Cognac hoch, prosteten sich zu und tranken aus. Der Weinbrand rann warm und samtig die Kehle hinunter. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in der Magengegend aus.

„Wirklich gut“, lobte Keller, als er sein Glas abstellte. „Und?“, schob er nach. „Wo sind meine Leute?“

Radomski lachte. „Ihr liegt hier in der Nähe von Lammersdorf. Es ist der höchste Punkt in diesem Bereich und heißt Todtenbruch. In eurer Nähe befindet sich auch eine zweite Bunkerreihe. Sozusagen eine Auffangstellung nach dem eigentlichen Westwall!“

„Bunker?“

„Ja! Aber wie schon vorhin kurz erwähnt, waren die Dinger lange leer gestanden. Du kannst in den Betonstellungen nicht mal ein MG 42 abfeuern.“

„Ich lass mich mal überraschen.“

„Und noch etwas, Jürgen.“

„Ich höre.“

Der Spieß senkte seine Stimme. Fast im Flüsterton sprach er weiter. „Die neuen Soldaten, die sie uns aus den Kasernen an die Front schicken, sind noch Kinder. Du wirst erschrecken, wie jung die Landser sind. Ich habe manchmal das Gefühl, die Jungs kommen nicht von den Kasernenhöfen, sondern von Schulhöfen. Pass auf deine Männer auf.“

Keller nickte. Jetzt waren es seine Männer. Er war Gruppenführer. Auch das war neu. Er trug noch mehr Verantwortung. Seine Befehle konnten über Tod und Leben seiner Gruppe entscheiden. „Das werde ich, Radomski!“

„Nun gehst du am besten zum Waffenunteroffizier und munitionierst auf, dann kommst du wieder her. Einen alten Russlandkameraden lasse ich nicht zu Fuß gehen. Ich sorge dafür, dass du mit ´nem Kübel zu deinen Leuten gebracht wirst. Es ist sowieso Feldpost gekommen, die muss nach vorn.“

„Danke.“

„Hönnige, für dich habe ich etwas“, kam es beinah freudestrahlend über die Lippen des Waffenunteroffiziers, als der Scharfschütze seine Waffe, einen K 98k mit Zielfernrohr, abholte.

„Was hast du denn Schönes für mich? Ist ein russisches Moisin Nagant 91/30 für mich geliefert worden?“, scherzte der Obergefreite.

„Nein, aber ich habe endlich Spezialmunition für dich. Ein Päckchen war beim letzten Transport dabei. Ich habe es gleich auf die Seite gelegt.“

„Spezialmunition zum Anschießen oder B-Patronen?“

Ein breites Grinsen zog sich über das Gesicht des Unteroffiziers. „Ich glaube, dass deine Waffe schon präzise genug eingestellt ist. Ich habe 50 Schuss der guten B-Patronen ergattert. Damit kannst du Bäume fällen!“

Der WuG gab das Scharfschützengewehr heraus und legte das Zielfernrohr der Firma Hensoldt daneben. „Ich habe es abmontiert. Dachte mir, dass es wohl besser ist, damit es nicht kaputt geht“, schob er erklärend nach.

„Gut so.“

Jetzt packte er noch zwei weitere Schachteln Munition auf den Tisch. „Die beiden 7,92er müssen dir reichen. Mehr gibt es jetzt nicht“, sagte er und legte noch eine Faustfeuerwaffe daneben. „Und hier noch deine Pistole 08 mit zwei gefüllten Magazinen. Jetzt hast du alles komplett.“

Der Scharfschütze nahm seine Ausrüstung entgegen und ging.

Nach seinem Scharfschützenlehrgang hatte er freie Auswahl, was seine Waffe anging. Viele von Hönniges Lehrgangsteilnehmern entschieden sich für das neue Walther G 43. Ein Selbstladegewehr mit angenehmen Rückstoß, dessen Magazin zehn Schuss fasste. Der Baden-Württemberger hingegen schwor auf den klassischen Wehrmachtskarabiner.

Schon während des Lehrgangs bekam er ein persönliches Gewehr ausgehändigt, welches mit Nummer in sein Lehrgangsheft eingetragen wurde. Begeistert war der Obergefreite von den sehr guten Zielfernrohren, die mit der Turm-Schwenk-Montage befestigt wurden. Hier vertraute Hönnige auf das Hensoldt. Er war der Meinung, dass es mit dem K 98 k am besten harmonierte. Nach nur acht Schuss war die Waffe auf hundert Meter justiert.

Bei der B-Patrone handelte es sich um ein Explosivgeschoss, welches ursprünglich zum Einschießen von Bord-Maschinengewehren der Jagdflugzeuge verwendet wurde. Der Pilot konnte aufgrund der kleinen Explosion bei einem Treffer die Schussbahn korrigieren.

Aufgrund der aufwändigen Herstellung, wurden die B-Patronen allerdings nur spärlich an die Scharfschützen ausgegeben. Hönnige war hoch zufrieden mit seinem Waffenunteroffizier. „Du bist einfach ein Pfundskerl“, verabschiedete er sich und ging zur Kompanieschreibstube, um sich zurück zu melden. Danach hatte er vor, sich über die aktuelle Lage zu informieren und morgen, sofern kein Auftrag von Hauptmann Retzer anstand, im Wald zu patrouillieren.

Privatarchiv des Autors, PA-H-107-Schreibstube

Ein paar Minuten nachdem der Scharfschütze gegangen war, holte auch Unteroffizier Keller seine Waffen ab. Als Gruppenführer und Unteroffizier erhielt er eine Pistole 08 und eine MP 40 mit entsprechender Munition. Als er wieder auf die Straße trat, fuhr der versprochene Kübelwagen vor.

„Zu den Stellungen im Todtenbruch?“, brüllte ihm der Fahrer entgegen. „Sind Sie Unteroffizier Keller?“, ergänzte er seine Frage.

„Der bin ich“, bestätigte Keller, warf sein Gepäck auf den Rücksitz und stieg ein.

„Ist ´ne schöne Gegend hier. Genießen Sie die Aussicht. Ich schätze, hier werde ich mal Urlaub machen. Nach dem Krieg“, röhrte der Fahrer mit kessem Berliner Dialekt.

Keller musterte den Gefreiten. „Wie lange sind Sie schon Soldat?“

„Seit ´42. Ich hab´ mich damals freiwillig gemeldet und bin schließlich hier gelandet. Wenn der Ami kommt, kriegt er ganz schön eine auf die Mütze!“

Der Russlandveteran schmunzelte. Er schätzte den Fahrer des Kübelwagens auf 19 bis 20 Jahre.

„So wie Sie sprechen, haben Sie ja schon richtig was geleistet.“

„Wie man es nimmt. Ich war beim Küstenschutz.“

„Schon mal einen Kampfeinsatz gehabt?“

„Leider nicht.“