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Hermann Warnstettens ausschweifender Lebensstil führt dazu, dass die Familie schließlich kurz vor dem Bankrott steht. Nun soll es Tochter Lena richten, indem sie den reichen Gutsbesitzer Borkenhagen heiratet. Obwohl sie eigentlich einen anderen Mann liebt, willigt Lena Warnstetten ihrer Mutter zuliebe in die Ehe ein. Als jedoch kurz nach der Hochzeit Lenas Mutter stirbt, verliert die junge Frau ihren Lebensmut ...-
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Seitenzahl: 229
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Lena Warnstetten
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1916, 2022 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950489
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Lena Warnstetten stand bleich und zitternd vor ihrem Vater und starrte ihn mit entsetzten Augen an. War es Wirklichkeit, was sie eben durchlebte? Hatte sie recht gehört? Sie sollte einen Mann heiraten, den sie nicht liebte, der ihr immer unsympathisch gewesen war. Sollte ihn heiraten, um ihre Familie vor Not und Schande zu bewahren, sollte sich opfern, weil der eigene Vater in roher Genußsucht das Vermögen vergeudet, Warnstetten heruntergebracht und selbst seine Ehre in den Staub getreten hatte?
»Ich kann nicht, Vater, ich kann nicht«, stammelte sie mit blassen Lippen.
Herr Warnstetten, sah sie mit finsteren Blicken an. »Du mußt! Nur du allein kannst uns retten, hörst du! Denke an deine Mutter . . . an deinen Bruder . . . die liebst du doch so innig. Von mir will ich nicht reden, für mich sollst du es nicht tun — nur für die, die du liebst!«
Sie fuhr auf. Ein düsterer Blick lag in ihren Augen. Nie hatte sie von ihrem Vater Liebe erfahren — nur immer Spott und Hohn, weil sie anders geartet war als er, weil sie mit schwärmerischer Liebe an der Mutter hing. Die Mutter! Lena schauerte zusammen. In diesem Augenblick lag die Mutter wohl still und bleich unter dem Messer des Chirurgen. Wer konnte wissen, ob sie die schwere, schmerzhafte Operation überstand? Und gerade jetzt, da die Teure abwesend war, da sie in der Klinik des berühmten Professors sich der Entscheidung über Leben und Tod unterwarf — jetzt kam der Vater zu ihr mit dieser Eröffnung! Daß es schlecht um Warnstetten stand, wußte sie längst. Sie wußte auch, daß es nur durch die Schuld des Vaters soweit gekommen war. Mit offenen Augen hatte sie den Verfall kommen sehen. Sie wußte, daß der Vater die Mutter nur des Geldes wegen geheiratet hatte. Er hatte ihr Vermögen verpraßt, wie zuvor das seine. Die zarte, blasse Frau — ihre angebetete Mutter — hatte ein furchtbares Martyrium ertragen an der Seite ihres Vaters. Schon längst wäre es für sie notwendig gewesen, sich einer eingreifenden Kur gegen ihr langjähriges Leiden zu unterziehen. Aber dazu war nie Geld vorhanden gewesen. Geld wurde in Warnstetten nur flüssig gemacht, wenn der Vater eine seiner Vergnügungsreisen nach Berlin unternahm. Für teure Weine und Zigarren war immer noch Geld dagewesen — aber nie für die arme, liebe Mutter. Und nun, da es um Leben und Tod ging, und sie fort mußte, wenn es nicht zu spät sein sollte — nun sagte ihr der Vater: »Ich habe etwas Unehrenhaftes tun müssen, um das Geld für die Operation deiner Mutter zu beschaffen, und wenn du Borkenhagens Gattin nicht wirst, geht ihr als Bettler von Warnstetten und ich ins Gefängnis.«
Lena wußte, daß dies Lüge war. Nicht für die Mutter hatte der Vater seine Ehre und alles andere dahingegeben, sondern nur für seine eigenen Gelüste und Begierden. Sie wußte, daß die Operation der Mutter und ihr Aufenthalt in der Klinik noch gar nicht bezahlt und daß dazu überhaupt kein Geld mehr vorhanden war. Alles hatte der Vater für sich verbraucht, kaum daß er dem Bruder die knappe Aufwendung zukommen ließ, die er brauchte, um fertig zu studieren. In Warnstetten war alles schon verpfändet, der Wald, die Ernte auf dem Halm — alles. Sie und die Mutter schafften von früh bis spät, sie trugen selbstgefertigte Kleider aus einfachen Wollstoffen und sparten jeden Pfennig. Aber der Vater trank heute noch französischen Champagner, ließ sich Austern und teure Importen kommen und kümmerte sich kaum um die Wirtschaft.
Und nun sollte sie sich zum Opfer bringen, sollte mit der Liebe zu einem andern im Herzen die Gattin des reichen Borkenhagen werden, der sie schon lange mit seinem Werben verfolgte. Ach — nur das nicht!
»Nun — entschließe dich«, drängte der Vater mit unruhig flackernden Augen.
Sie ließ sich kraftlos in einen Stuhl fallen. Was sie vernommen, hatte ihre Kraft zerbrochen. Durfte sie an sich denken, wenn alles um sie her in Trümmer ging? Ihr Vater ein Ehrloser, ihr Name gebrandmarkt, des Bruders Leben zerstört und das der geliebten Mutter doppelt gefährdet. Und in ihre Hand war es gegeben, dies alles zu verhüten. Aber um welchen Preis!
Warnstetten sah unsicher zu ihr hinüber. In seinen Augen stand die Angst. Was würde sie tun? Würde sie ihn retten wollen? Nein — ihn selbst wohl kaum, das fühlte er. Zum ersten Male tat es ihm leid, daß er ihre Liebe nicht besaß. Aber mit ihm war das Geschick ihrer Mutter und ihres Bruders verknüpft. War die Liebe zu diesen beiden Menschen stark genug, um Lena zu bewegen, das Opfer zu bringen? Keinen Augenblick dachte er daran, ob ihr dies Opfer schwerfallen würde. Hermann Warnstetten sorgte sich nur um eins auf der Welt: um sein eigenes Wohl. Ohne Gewissensbisse wälzte er auf die Schultern der Tochter ab, was ihn drückte. Mit Freuden hatte er Borkenhagens Werbung angenommen. Diese Werbung enthob ihn mit einem Male aller Sorgen. Borkenhagen hatte ihm versprochen, alle seine Verhältnisse zu regeln und ihm noch eine Summe in die Hände zu geben, die ihn wieder flottmachen konnte. Dann war es ihm ein leichtes, die fatale Wechselaffäre aus der Welt zu schaffen, die wie ein Damoklesschwert sein schuldiges Haupt bedrohte. Aber Geld mußte er haben — und alle andern Quellen waren versiegt; sonst hätte er ja nicht diese verwünschte Unterschrift geleistet. Bah — sie mußte — mußte!
Er raffte sich auf. »Nun?«
Sie warf die Hände über den Tisch. »Ich kann nicht.«
Er trat dicht an sie heran. »Weil du in Romitten verliebt bist«, sagte er kalt.
Sie schrak zusammen und blickte zu ihm auf.
»Das weißt du?«
Er zuckte geringschätzig die Achseln. »War nicht schwer zu erraten. Wozu scharwenzelt er so viel hier herum? Deine Mutter hat es unbegreiflicherweise geduldet, diese Vergißmeinnicht- und Mondscheinschwärmerei. Was willst du mit Romitten? Er ist ein armer Schlucker und kann sich selbst kaum ernähren mit seiner Klitsche von Gut. Auf ihn kannst du nicht warten.«
»Das weiß ich«, sagte sie leise.
»Nun also. Sei vernünftig. Als Borkenhagens Frau nimmst du eine Stellung ein. Er verfügt über Millionen. Borkenhagen ist das herrlichste Gut im weiten Umkreis. Die Konservenfabriken, die er außerdem noch hat, werfen jährlich allein schon einen bedeutenden Gewinn ab. Du machst eine glänzende Partie.«
Ein verzweifeltes Lächeln zuckte um ihren Mund.
»Das alles reizt mich nicht. Borkenhagen ist mir widerwärtig. Ich will ihn nicht — nein — ich will nicht!«
»Und deine Mutter? Du liebst sie doch so sehr. Willst du, daß sie von Warnstetten ins Elend ziehen muß?«
Sie sah ihn an mit einem Blick, den er nicht ertrug.
»Ins Elend? Braucht sie erst dahin zu ziehen, Vater? Meine Mutter wäre die erste, die mir sagen würde: ›Tue es nicht, Lena — verkauf dich nicht.‹«
»Unsinn! Sentimentalität und kein Ende. Es gibt ein Ding, dem wir uns alle fügen müssen. Das ist die Notwendigkeit. Willst du uns alle opfern? Wenn deine Mutter nach der Operation heimkommt, dann braucht sie Ruhe und Erholung. Willst du von neuem ihr Leben gefährden? Du liebst sie doch so sehr. Ist deine Liebe so schwach, daß du ihr keine Opfer bringen kannst?«
Lena erhob sich zitternd. »Und wenn meine Mutter stirbt . . . wenn es schon zu spät war . . . wenn die Operation nicht glückt?« frug sie tonlos.
»Du hast doch auch einen Bruder.«
»Er ist ein Mann und kann sich selber helfen. Er mag sich einschränken.«
»Du vergißt, daß auch die Ehre unseres Namens auf dem Spiele steht.«
Lena schlug die Hände vor das Gesicht.
»Vater, warum hast du uns das angetan?« schrie sie auf.
Er zwang einen tragischen Ausdruck in sein Gesicht.
»Ich sagte dir schon: Weil ich Geld beschaffen mußte für deine Mutter. Die Operation war notwendig — ich kann Opfer bringen«, sagte er großspurig
Sie starrte ihn an mit einem Blick, vor dem er die Augen niederschlug. Dann schritt sie langsam zur Tür. Ehe sie hinausging, sah sie sich noch einmal um und sagte tonlos: »Ich muß erst zur Klarheit kommen, ehe ich mich entscheide — und erst muß ich wissen, ob meine Mutter lebt. Das entscheidende Telegramm muß ja heute noch eintreffen — dann will ich dir antworten.« Damit ging sie hinaus.
Er hielt sie nicht und sah ihr mit einem unbeschreiblichen Ausdruck nach.
Lena suchte ihr Zimmer auf und schloß sich ein. Müde warf sie sich in einen Sessel und starrte mit brennendem Blick vor sich hin. Wild jagten die Gedanken hinter ihrer Stirn und suchten einen Ausweg zur Rettung — vergebens. Sie streckte plötzlich in heißer Sehnsucht die Hände aus. »Mutter — meine Mutter!«
Ach, daß ihr die Mutter jetzt fehlte. Und doch war es besser so. Allein mußte sie sich durchkämpfen. Die Teure sollte nicht mit ihr leiden. Zuviel Trübes hatte sie schon erfahren.
Wieder grübelte sie vor sich hin. Sie sah Borkenhagens rotes, grobes Gesicht vor sich mit den dicken Lippen und den lüsternen Augen. Ein Schauer rann ihr über den Körper. Sie sollte die Frau dieses Mannes werden, der ihr durch sein derbes, lautes Wesen, durch die sinnliche Glut in seinen Blicken immer so widerwärtig gewesen war. Und ihr Herz hing doch mit allen Fasern an Heinz Romitten. Heinz Romitten! Sie krampfte die Hände zusammen und drückte sie auf das wild klopfende Herz. Wie sie ihn liebte — sie fühlte es erst jetzt mit aller Wucht ihres starken Empfindens. Und auch er liebte sie, das wußte sie genau, obwohl nie ein Wort von Liebe zwischen ihnen gewechselt wurde. Worte brauchte es nicht zwischen ihnen. Eins wußte vom anderen, daß ihre Seelen zusammengehörten, wenn ihre beiderseitige Armut auch als unübersteigbares Hemmnis zwischen ihnen lag.
Was sollte Heinz Romitten von ihr denken, wenn sie Borkenhagens Frau wurde? Würde er sie nicht verachten? War es nicht ein Treuebruch an ihm, obwohl ein entscheidendes Wort nicht zwischen ihnen gefallen war? Und doch — Borkenhagen hielt ihr und ihrer Angehörigen Schicksal in den Händen, er hatte das Geld und mit ihm die Macht. Von ihm war Sein und Nichtsein abhängig. Durfte sie Mutter und Bruder dem Verderben preisgeben? War es nicht ihre Pflicht, sich zum Opfer zu bringen? Aber ihr graute namenlos vor dieser Heirat
Sie mußte wohl diesen schweren Gang antreten und unerhörte Qualen leiden, weil sie nicht gefühllos genug war, an sich selbst zu denken. Wie Haß und Verachtung gegen den Vater stieg es in ihrer Seele auf. Ihm allein verdankte sie diese Pein, wie sie ihm alles verdankte, was das Leben ihr schon Schweres und Trübes gebracht hatte. Sie konnte ihn nicht lieben und achten. Voll leidenschaftlichen Zornes war sie oft Zeuge gewesen, wie schlecht er die geliebte Mutter behandelt, wie er sie gedemütigt und erniedrigt hatte. Schlang sie dann wie schützend die Arme um ihre Mutter, dann verhöhnte er sie beide, nannte ihre Liebe »rosarote Gefühlsduselei« und warf dröhnend die Tür hinter sich ins Schloß.
Und nun — nun hatte er zu allem auch noch etwas Ehrloses getan, etwas, was sie alle an den Pranger stellen würde, wenn sie nicht einwilligte, Borkenhagens Frau zu werden. Durfte sie ruhig zusehen, daß auch dieses Leid noch über die Mutter kam?
Sie richtete sich entschlossen auf.
Nein! Die Mutter sollte es nie erfahren, daß ihr Gatte ein Ehrloser war. Wenn Gott ihr die Mutter erhielt, wenn die Operation glückte, dann wollte sie das Opfer bringen . . .
Wieder dachte sie mit bangem Schmerz an Heinz Romitten. Er würde sie verachten, wenn er hörte, daß sie Borkenhagens Gattin werden wollte. Verachten — und tausend Schmerzen um sie leiden. Wie er erschrecken würde, wenn er davon hörte! Sie erzitterte. Und dann faßte sie einen festen Entschluß. Nur durch sie selbst sollte er es erfahren — nicht durch andere. Sie selbst wollte ihm mitteilen, daß sie sich bitterem Zwange fügen mußte.
Lena hatte seit mehreren Stunden das Zimmer nicht verlassen. Ihr Vater lief mit wuchtigen, schweren Schritten unruhig in Hof und Haus herum und wartete auf Nachricht von seiner Frau. Zum ersten Male sorgte und bangte er um ihr Leben und ihre Gesundheit, aber nicht aus Liebe zu ihr, sondern aus Furcht. Starb sie jetzt bei dieser Operation, dann würde sich Lena weigern, Borkenhagens Frau zu werden, dann brach das Verhängnis über ihn herein . . .
Endlich, nach qualvollen Stunden, sah er den Telegrammboten über den Hof kommen. So schnell er konnte, lief er ihm engegen und entriß ihm voll fieberhafter Aufregung das entscheidende Papier. Mit bebenden Händen öffnete er das Telegramm:
»Operation glücklich beendet. Patientin sendet Grüße. Ausführlicher Bericht morgen.«
Er atmete auf und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. Schnell ging er in das Haus zurück und ließ seine Tochter rufen.
Lena kam. Er erschrak nun doch, als er sie scheu betrachtete. Sie sah blaß und elend aus. Dunkle Ringe umgaben die Augen, welche, allen Glanzes beraubt, zu ihm hinüberblickten.
Stumm reichte er ihr das Telegramm. Sie las und drückte das Papier mit einer krampfhaften Bewegung an ihr Herz. Dann strich sie mit der Hand über das schöne dunkle Haar und richtete die großen blauen Augen fest auf des Vaters Gesicht.
»Gott gibt mir die Mutter wieder! Ich bin nicht egoistisch genug, um nur an mich zu denken. Fred und die Mutter sollen nicht dem Verderben preisgegeben werden«, sagte sie tonlos.
Von ihm sprach sie nicht. Deutlicher hätte sie nicht zeigen können, wie wenig er ihr war. Aber das kümmerte ihn jetzt nicht. Er atmete auf. »Du willigst also ein, Borkenhagens Gattin zu werden?« frug er heiser.
Sie sank müde in einen Sessel. »Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, dich vor Schande zu bewahren — ja. Aber ich stelle eine Bedingung . . .«
Warnstetten sah sie unruhig an. Ihre Art flößte ihm großes Unbehagen ein. Es schien, als hätten sie plötzlich die Rollen getauscht. Alle Sicherheit und Bestimmtheit war ihm abhanden gekommen und schien sich auf seine Tochter übertragen zu haben. Er hatte das Bewußtsein, von Lenas gutem Willen abzuhängen.
»Eine Bedingung?« frug er unsicher.
»Ja, du weißt, daß ich Heinz Romitten liebe. Er hat durch mein Verhalten ein Recht gewonnen, an meine Gegenliebe zu glauben. Ich will nicht, daß er mit Verachtung meiner gedenkt. Das würde er tun, erführe er von anderer Seite, daß ich in die Verbindung mit Borkenhagen einwillige. Ehe ich daher diesem mein Jawort gebe, verlange ich von dir, daß du mir eine Unterredung mit Heinz Romitten gestattest. Sende jemand hinüber und lasse ihn bitten, heute noch hierherzukommen.«
Warnstetten fuhr auf. »Du willst ihm meine Ehre preisgeben? Willst ihm alles sagen?«
»Ich will ihm sagen, weshalb ich Borkenhagens Gattin werde. Ich will ihm nicht den Schmerz zufügen, mich seiner unwert zu zeigen.«
»Du sprichst, als wärst du seiner Liebe sicher«, sagte er lauernd.
Sie hob den Kopf und sah leidvoll in die Ferne. »Ja . . . ganz sicher.«
»So hat er es gewagt, dir von Liebe zu reden, obwohl er weiß, daß es zwischen euch keine Verbindung geben kann«, sagte er wütend.
Sie blickte ihn ruhig an mit dem Blick, den er nicht ertragen konnte. »Nein, er hat es nicht gewagt. Heinz Romitten ist ein Ehrenmann, dem meine Herzensruhe heilig ist. Aber Worte bedarf es nicht, um mir zu sagen, daß er mich liebt, wie auch er weiß, daß ich ihn liebe. Rufe Heinz Romitten herüber. Und wenn ich mit ihm gesprochen habe, magst du Borkenhagen mein Jawort bringen — eher nicht!«
Es lag eine düstere Entschlossenheit in ihren Worten, und er fühlte, daß er sich fügen mußte. Das fiel ihm schwer, denn bisher hatte nur sein despotischer Wille in Warnstetten gegolten.
»Du mußt mir aber versprechen, Romitten nicht zu verraten, was ich dir in meiner Not beichten mußte.«
Sie sah an ihm vorbei. »Deine Ehre wäre bei Heinz Romitten sicherer aufgehoben als — bei dir selbst.«
Er fuhr auf, als wollte er sie schlagen. Sie richtete sich auf und sah ihm fest in die Augen. Er atmete schwer. War das noch seine stille, fügsame Tochter, die sich sonst gleich der Mutter allen seinen Tyrannenlaunen widerstandslos fügte? Hatte er mit dem Eingeständnis seiner Schuld das Heft aus der Hand gegeben?
Er mußte zu retten suchen, was zu retten war. »Bedingung gegen Bedingung. Ich will Romitten rufen lassen, du magst ihm sagen, was du willst — aber nichts darfst du verraten, was meine Ehre angreift.«
Sie lächelte bitter und schmerzlich.
»Ich werde dich schonen, sei ruhig darüber. Wenn auch Heinz Romitten schon meinetwegen deine Schuld wie ein Geheimnis hüten würde — mir kommt es nicht zu, dich anzuklagen.«
Er stieß den Atem schwer heraus. »Du machst es dir zunutze, daß ich schwach genug war, dir eine Beichte abzulegen. Wenn du aber denkst, mich dadurch unterzukriegen, so . . .«
»Nichts liegt mir ferner als das. Du bist letzten Endes mein Vater. Aber . . .«, ihre Augen blitzten düster auf, »das eine bitte ich dich: Mache es mir nicht zu schwer, in dir den Vater zu respektieren. In einem Punkte werde ich die Chancen, die mir das Schicksal in die Hand spielte, ausnutzen — lasse meiner armen Mutter in Zukunft mehr Rücksicht angedeihen. Ich werde nicht mehr dulden, daß du sie quälst und demütigst.«
Er lachte heiser, verlegen auf. Zum ersten Male trat ihm jemand in solcher Weise entgegen — und noch dazu ein Mädchen: seine Tochter. Das war doch . . .! Er schluckte ingrimmig seine Wut hinunter. »Tust ja gerade, als ob ich ein Menschenfresser wäre. Was habe ich denn deiner Mutter so Übles angetan, daß du dich in so ungebührlicher Weise zu ihrer Beschützerin aufwirfst? He?«
Sie sah ihn nur stumm an mit ihren großen blauen Augen, in denen eine schwere Anklage stand.
Er ertrug den Blick nicht und wandte sich ab. »Na schön — ich werde deine Mutter von nun an mit Glacéhandschuhen anfassen, um deiner und ihrer sentimentalen Veranlagung Rechnung zu tragen, soviel ich kann, wenn mir eure Gefühlsduselei auch noch so unausstehlich ist«, knurrte er verdrießlich.
Sie erhob sich. »Du sendest sofort zu Romitten, Vater, nicht wahr?«
»Gut, es soll geschehen. Und ich habe dein Wort, daß du dann Borkenhagens Werbung annimmst.«
»Du hast es.«
Langsam und müde ging sie hinüber in das fast ärmlich eingerichtete Wohnzimmer. Dort setzte sie sich still an ihren Nähtisch und nahm mechanisch ihre Arbeit wieder auf. Aber ihre Gedanken flogen wie wilde Vögel in die Ferne. Und das Herz lag ihr schwer wie ein Stein in der Brust.
Heinz Romitten war eben vom Felde heimgekehrt. Er machte einen Rundgang durch die Ställe, um nach dem Rechten zu sehen. Es war sehr notwendig, daß er tüchtig auf dem Posten war, denn Romitten war fast ebenso verschuldet wie Warnstetten. Sein Besitz war durch seinen Vater, der seit dem Kriege immer kränklich war, sehr vernachlässigt worden. Heinz hatte sich, sobald er alt genug war, um die Lage überblicken zu können, mit seiner jungen Kraft gegen den Untergang des väterlichen Anwesens gestemmt. Sein energischer Wille, sein rastloser Fleiß hatten das Ärgste verhütet. Aber es fehlte Geld, um Romitten wieder hochzubringen. Langsam, sehr langsam arbeitete er sich durch das Schlimmste. Als sein Vater noch lebte, hatte ihm dieser oft zugesetzt, er solle sich nach einer reichen Frau umsehen. Aber Heinz liebte schon seit Jahren Lena Warnstetten, und wenn er auch wußte, daß bei den beiderseitigen Verhältnissen diese Liebe ziemlich hoffnungslos war, so widerstrebte es ihm doch, eine andere Frau zu heiraten. Seit sein Vater tot war — die Mutter war schon einige Jahre früher gestorben —, hauste er allein auf Romitten. Er lebte einfach wie ein Bauer und arbeitete länger und intensiver als sein Gesinde. Mit heißem Bemühen strebte er vorwärtszukommen, hoffte er doch, in einigen Jahren soweit zu sein, um Lena heimführen zu können. Sie war so schlicht und anspruchslos, vielleicht ging es doch, daß er sie nach Romitten holen konnte.
Manchmal dachte er daran, schon jetzt um sie zu werben. Schlechter als in Warnstetten würde sie es bei ihm auch nicht haben. Aber wie sollte er mit seiner Werbung vor ihren Vater treten, was sollte er ihm antworten, wenn er frug, ob er seiner Frau eine gesicherte Existenz bieten könne?
Nein — er mußte warten, bis er einen etwas freieren Blick in die Zukunft tun konnte.
Als er von den Ställen herüberkam und in das Haus gehen wollte, kam der Bote aus Warnstetten und überreichte ihm einen Brief. Heinz bekam Herzklopfen; was aus Warnstetten kam, hing mit der Geliebten zusammen. Schnell öffnete er das Schreiben.
»Mein lieber Romitten!
Bitte, kommen Sie, sobald Sie können, nach Warnstetten, jedenfalls heute noch. Meine Tochter wünscht Sie in einer für Sie dringenden Angelegenheit zu sprechen. Bitte, sagen Sie dem Boten Bescheid, wann wir Sie erwarten dürfen. Mit bestem Gruß
Warnstetten.«
Heinz atmete erregt. Was war geschehen — was wollte Lena von ihm? Er gab dem Boten Bescheid, daß er in einer Stunde in Warnstetten sein würde.
Während er sein einfaches Essen einnahm, beschäftigte er sich unablässig mit diesem Gedanken. Und dann fiel ihm Frau Warnstetten ein. Er wußte, daß sie sich einer schweren Operation unterziehen mußte. Sollte schlimme Nachricht von ihr gekommen sein? Aber dann hätte Warnstetten doch nicht ausdrücklich betont, daß Lena ihn zu sprechen wünsche. Voll Ungeduld machte er sich auf den Weg. Um diesen abzukürzen, durchquerte er den Borkenhagener Forst, der sich zwischen Romitten und Warnstetten dahinzog. In der Regel vermied er es, um nicht mit Franz Borkenhagen Zusammentreffen zu müssen. Obwohl dieser, ebenso wie Fred Warnstetten, seit der Jugendzeit im nachbarlichen Verkehr mit ihm gestanden, stieß ihn das laute, etwas rohe Wesen Borkenhagens ab, und er ging ihm aus dem Wege, wo er konnte.
Heute hatte er jedoch nur den Wunsch, so schnell wie möglich nach Warnstetten zu kommen. Er traf auch nicht mit Borkenhagen zusammen. Von weitem sah er nur die roten Ziegelsteinbauten der Konservenfabriken durch den Wald leuchten.
Ein Seufzer hob seine Brust. Wenn er das nötige Geld besessen hätte — auf Romitten wäre längst auch auf diese Weise der Ertrag der Gemüsefelder verarbeitet worden. So mußte er seine Ernten um billiges Geld verkaufen und den Hauptnutzen anderen Leuten überlassen.
In Warnstetten empfing ihn zunächst Lenas Vater. Dieser sah unsicher prüfend in das schmale, rassige Gesicht des jungen Mannes. Im Geiste verglich er ihn mit Franz Borkenhagen. Es war freilich kein Wunder, daß Lenas Herz sich Heinz Romitten zugewandt hatte. Die schlanke, sehnige Gestalt, die in jeder Bewegung Kraft und Gewandtheit verriet, erschien elegant gegen Borkenhagens schwerfällige, etwas wohlbeleibte Figur. Und Heinz Romittens Gesichtszüge waren von edlem Schnitt, seine grauen Augen hatten einen klaren, guten Ausdruck und verrieten Klugheit und Energie. Da mußte freilich Borkenhagen dagegen abfallen. Aber was nützt ein angenehmes Äußeres, wenn das nötige Geld fehlt. Bah — Lena mußte sich damit abfinden.
Heinz Romitten sah, als sich die beiden Herren begrüßten, fragend in Warnstettens Gesicht.
»Ich bin Ihrem Ruf so schnell wie möglich gefolgt, Herr Warnstetten.«
»Dafür danke ich Ihnen. Sie wissen, lieber Romitten, daß Sie in Warnstetten immer ein gern gesehener Gast sind. Von mir noch gar nicht zu reden . . . meine Frau liebt Sie wie einen Sohn — Fred sind Sie von Kind auf ein lieber Freund — und meine Tochter . . . nun ich brauche weiter nichts zu sagen.«
Heinz’ Stirn rötete sich, nicht nur in Gedanken an Lena, sondern weil er sich bewußt wurde, daß er allen in Warnstetten mit warmem Herzen gegenüberstand, nur nicht Lenas Vater. Er kannte die Verhältnisse hier zu genau, um für diesen viel Sympathie übrig zu haben.
»Ich habe immer mit dankbarem Herzen empfunden, daß ich in Warnstetten stets voll Freundlichkeit und herzlicher Wärme aufgenommen wurde«, sagte er hastig, denn er war voll Unruhe, zu erfahren, weshalb man ihn gerufen hatte.
Warnstetten warf sich in die Brust, als sei er berechtigt, diese Anerkennung entgegenzunehmen.
»Ja ja, mein lieber Romitten — und schlimme Zeiten haben uns fest aneinandergeschlossen. Aber um Ihnen das zu sagen, habe ich Sie natürlich nicht von Ihrer Arbeit fortholen lassen. Das können Sie sich wohl denken?«
»Allerdings. Sie schrieben mir, Ihr Fräulein Tochter wünsche mich zu sprechen?«
»Hm — ja. Lena ist drüben im Wohnzimmer. Sie wissen ja Bescheid. Und was ich noch sagen wollte: Sie geben mir Ihr Ehrenwort, daß Sie gegen jedermann strengstes Stillschweigen bewahren über alles, was Ihnen Lena sagt . . . überhaupt über diese Unterredung.«
Heinz sah ihn befremdet an. Die Unruhe in seinen Zügen verschärfte sich.
»Mein Ehrenwort — ich schweige«, sagte er hastig.
Warnstetten war zufrieden. Ganz traute er Lena nicht. Wenn Frauen ein Geheimnis hüten sollen, so ist kein unbedingter Verlaß, dachte er, und deshalb forderte er Romitten das Ehrenwort ab. Nun erst war er sicher und atmete auf.
Lena saß noch bei ihrer freudlosen Arbeit, als Heinz Romitten zu ihr in das Zimmer trat. Sie fuhr auf und ließ das Nähzeug aus ihrer Hand fallen. Nun stand sie mit schlaff herabhängenden Armen am Fenster, hell vom Sonnenlicht beleuchtet. Er erschrak, als er in ihr blasses, hübsches Gesicht sah. Wie schmerzlich und leidvoll ihre lieben Augen blickten.
Er eilte auf sie zu und faßte ihre Hand.
»Fräulein Lena — ein Unheil hat Sie getroffen — ich sehe es Ihnen an. Ihre Frau Mutter . . . ist ihr etwas geschehen?«
Sie sah ihn an mit einem Blick, der ihn bis in das Herz traf. »Meine Mutter ist gerettet, Herr Romitten — die Operation ist geglückt.«
Er zog ihre Hand an die Lippen. »Gottlob — ich fürchtete für sie. Aber so drückt Sie ein anderes Leid? Sie haben mich zu sprechen verlangt . . . darf ich Ihnen in irgendeiner Weise meine Dienste anbieten? Sie wissen, niemand ist Ihnen treuer ergeben als ich.«
Sie hörte die zärtliche Sorge aus seinen Worten herausklingen. Ein leises Rot färbte ihre Wangen.
Auf einen Sessel deutend, nahm sie selber wieder Platz. Dann sah sie ihm mit einem wehen, gequälten Blick in die Augen.
»Ja, Heinz Romitten, ich weiß, daß Sie mein treuester Freund sind . . . mehr als das«, sagte sie leise.
»Lena!«
Sie schloß einen Moment die Augen und hob bittend die Hand. »Nein — sagen Sie nichts . . . kein Wort, bis Sie mich ruhig angehört haben. Weil ich weiß, wie Sie für mich empfinden, deshalb ließ ich Sie rufen, um Ihnen selbst eine Mitteilung zu machen, die Sie von andern nicht hören sollen. Ich . . . ich werde mich morgen mit Herrn Borkenhagen verloben.« Tonlos fielen die Worte über ihre blassen Lippen.
Er sprang mit einem Ruck empor und umfaßte mit krampfhaftem Druck die Lehne seines Stuhles, als wolle er sie zerbrechen. Aus seinem gebräunten Gesicht war jeder Blutstropfen gewichen. Mühsam rang er nach Fassung. Endlich lösten sich ein paar Worte von seinen Lippen.
»Und . . . um mir das zu sagen, ließen Sie mich rufen?«
Sie legte den Kopf zurück, als hätte sie alle Kraft verloren und wünschte, sterben zu können. »Ja — ich wollte es Ihnen selber sagen.«
Er lachte schneidend auf. »Sie verlangen wohl nun auch den üblichen Glückwunsch von mir?« frug er voll Hohn und Bitterkeit.
Sie sah, wie er litt, und gegen seinen Schmerz verblaßte das eigene Leid. Mit einem Blick, der die Tiefen seiner Seele aufrüttelte, sah sie ihn an.
»Nicht so, Heinz Romitten, nicht so, ich flehe Sie an. Einen Glückwunsch brauchen Sie nicht an mich zu verschwenden, er würde doch wirkungslos sein.«
Er trat schnell an ihre Seite und faßte ihre Hand. Der Ausdruck ihrer Worte löschte Hohn und Bitterkeit und ließ nur Erbarmen zurück.
»Lena, wissen Sie, was Sie mir eben angetan haben?«