Liebe, die nie zerbricht - Anna Maria Kuppe - E-Book

Liebe, die nie zerbricht E-Book

Anna Maria Kuppe

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Beschreibung

Eine herzergreifende Familiengeschichte vor den Toren der französischen Atlantikküste. Die jüngste Tochter der Lecontes verliebt sich in ihren viel älteren Lehrer. Was die süße Schülerin nicht ahnt: Ihr Auserwählter ist verheiratet! Der Achtunddreißigjährige schwankt jedoch zwischen der Liebe zu dem jungen Mädchen und der gesellschaftlichen Stellung, die seine reiche Ehefrau ihm ermöglicht. Die betrogene Gattin ist selbst kein Kind von Traurigkeit, eine Nebenbuhlerin kann sie allerdings nicht akzeptieren. Von nun an sorgen Intrigen und Verleumdungen für großen Aufruhr in der Familie Leconte und dem schönen Örtchen Le Verdon-sur-Mer.

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Eine herzergreifende Familiengeschichte

Die damals achtzehnjährige Valentina war einfach glücklich. Vor ein paar Wochen hatte sie sich Hals über Kopf in ihren Traummann verliebt. Groß, blond, blaue Augen, einfach ein Typ Mann, dem keine Frau widerstehen konnte. Ihr kleines Herz hüpfte vor Glückseligkeit, wenn die frisch Verliebte mit ihrem Schatz zusammen sein durfte, denn dann fühlte sie sich einfach geborgen. Die Gefühle für ihren Liebsten wurden immer stärker.

Valentina besaß aber auch einen ausgeprägten Familiensinn, deshalb hörte sie nicht auf das Gerede ihrer Schulkameradinnen, die sofort nach dem Abitur von ihrem Zuhause ausziehen wollten.

Zusammen mit ihrer Mutter Eugenie und ihrem Vater Antoine Leconte lebte Valentina an der französischen Atlantikküste in Le Verdon-sur-Mer. In diesem kleinen Ort in der Region Nouvelle-Aquitaine, im Département Gironde, wohnten rund 1.400 Einwohner.

Die schüchterne Schülerin und ihre Eltern führten ein gut bürgerliches Leben. Der fünfzigjährige Antoine war Chef einer Buchdruckerei und seine Frau Eugenie arbeitete als selbständige Schneiderin. Die Neunundvierzigjährige hatte die Nähkunst von ihrer Mutter geerbt, die auch Tag für Tag an ihrer alten Nähmaschine saß.

Der Lebensmittelpunkt der Familie Leconte war ein kleines Haus an der Küste, das Antoine selbst aufgebaut hatte. Als Jugendlicher erlernte er bei seinem Onkel das Maurerhandwerk. Der fürsorgliche Familienvater hatte nichts verlernt und so schaffte er vor dreißig Jahren ein gemütliches Zuhause für seine Lieben. Küche, Diele, zwei Bäder, vier Schlafzimmer.

Jedes seiner Kinder sollte ein eigenes Zimmer bekommen. Das gelang ihm nicht ganz, denn aus den ursprünglich geplanten drei Kindern wurden vier Abkömmlinge.

Die Jüngste, Valentina, war eine kleine Nachzüglerin. Mit ihr hatte keiner mehr gerechnet, aber Eugenie und Antoine waren sehr glücklich, als sie das kleine Wesen in ihren Armen halten durften. Dass sie später bis zum Auszug des Ältesten im elterlichen Schlafzimmer nächtigte, stellte für niemanden ein Problem dar.

Die beiden Söhne studierten mittlerweile an der Universität in Bordeaux. Die Naturwissenschaften hatten es den Brüdern angetan.

Der Ältere, Maurice, wollte einmal in die Forschung gehen und im Labor nach neuen Medikamenten suchen. In den vergangenen Jahren waren ihm oft Menschen mit Allergien begegnet. Da fasste Maurice den Entschluss, neue Wege für die Patienten zu erkunden. Es musste doch bessere Möglichkeiten geben.

Der Zweitgeborene, Olivier, interessierte sich für die Welt der Säugetiere und studierte Biologie. Beide wollten auf ihren Gebieten einmal erfolgreich sein.

Die vierte im Bunde war Monique. Sie hatte genau die schönen braunen Augen wie ihre Mutter. Verheiratet war die Siebenundzwanzigjährige mit einem Mann namens Danyel Delaware. Ihr Domizil lag etwa achtundzwanzig Kilometer weiter entfernt im wunderschönen Badeort Montalivet-les-Bains in der Region Médoc.

Ihr Mann war reich, hatte aber keinerlei Manieren. Mit ihr und dem gemeinsamen Sohn Pierre ging er ziemlich gewaltsam um. Grobheiten kannte Danyel Delaware mehr als innige Zuneigung. Doch Monique hatte ihn vor neun Jahren aus Liebe geheiratet. Jedenfalls war es von ihrer Seite aus Liebe. Damals war Danyel sehr charmant, umgarnte die blutjunge Monique. Was er dabei wirklich empfand, das blieb sein Geheimnis.

Valentina stand kurz vor ihrem Abitur. Danach wollte sie studieren und Lehrerin werden. Gerne würde die angehende Studentin den Kindern in der Umgebung die Welt und das Leben erklären.

Kurz vor der Abiturprüfung lernte Valentina den zwanzig Jahre älteren Melchiorre Chevrier kennen. Aushilfsweise kam er an ihre Schule und wurde so für einige Zeit ihr Mathematiklehrer. Sein ehemaliger Schuldirektor aus La Rochelle bat ihn, in Le Verdonsur-Mer auszuhelfen. Intuitiv nahm der jugendliche Lehrer sofort die ihm angebotene Stelle an. Ahnte er etwa, dass ihm hier die wahre Liebe begegnen könnte?

Aus der anfänglichen Schwärmerei wurde wirklich Liebe, eine Liebe, die natürlich ein Geheimnis bleiben musste. Melchiorre wollte offiziell die Distanz zwischen sich und seinen Schülern bewahren. Also erzählte Valentina niemandem von ihren Gefühlen. Sie hatte auch ein wenig Angst, was ihre Mitschüler oder Freunde darüber denken würden. Vielleicht lachten alle über diese Liebe zu einem Lehrer. So war Valentina damit einverstanden, sich heimlich mit ihrem Angebeteten zu treffen.

Ihr Zufluchtsort war ein kleines Ferienhaus am Plage la Pointe de Grave, etwa acht Kilometer vom Zentrum von Le Verdon-sur-Mer entfernt. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick aufs Meer, das wie Kristalle glitzerte. Dieses gemütliche Häuschen gehörte Antoine und Eugenie, die es ab und zu an Feriengäste vermieteten. Bei vier Kindern war diese zusätzliche Einnahmequelle immer sehr willkommen gewesen.

»Valentina, mein Kleines«, seufzte Melchiorre leise.

Die pure Gegenwart dieses Mädchens ließ ihn alle Sorgen vergessen. Sanft zog er Valentina an sich und küsste sie leidenschaftlich. Besonders seine Küsse hinter dem rechten Ohr ließen die Schülerin innerlich Purzelbäume schlagen.

Melchiorre bemerkte, dass seine Liebste nicht ganz bei der Sache war. Sonst erwiderte sie seine Küsse bedeutend stürmischer. Nun war sie eher zurückhaltend.

»Ist etwas nicht in Ordnung?« Sanft entfernte er ihr eine brünette Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Meine Schwester, sie ist ganz verstört zu uns gekommen, weil ihr Mann sie geschlagen hat.« Valentina zupfte nervös an ihrem rosafarbenen Kleid, das ab der Taille in eine leichte Glockenform fiel. Natürlich hatte sie das Kleidungsstück mit ihrer geliebten Mutter zusammen genäht.

Trotz der Sehnsucht nach Melchiorres Nähe widerstand sie seiner magischen Anziehungskraft. Zu viel ging ihr gerade durch den Kopf.

»Er will nicht, dass sie geht, aber den gemeinsamen Sohn hat er schon wegbringen lassen.« Valentina weinte, sorgte sich sehr um das Wohl ihrer Schwester und dem geliebten kleinen Neffen Pierre.

Melchiorre versuchte, sie zu trösten. Mit seinen starken Händen umklammerte er ihre zitternden Fingerspitzen.

»Wieso will sie von ihm weg?«, zärtlich legte er seinen rechten Arm um Valentinas Schulter.

In der kurzen Zeit, in der sich beide nähergekommen waren, hatten sie wenig über ihre Familien gesprochen. Meistens gaben die beiden Liebenden sich nur ihrer Leidenschaft und Liebe hin.

Mit bebender Stimme antwortete Valentina: »Danyel ist ein egoistischer und machtsüchtiger Mann, glaubt, dass er alles mit seinem blöden Geld machen kann. Meine Schwester liebt dieses Ekel auch noch.«

Sie konnte das alles nicht verstehen. Wie konnte Monique nur so ein Monster lieben? Ihre Schwester war doch schon lange nicht mehr glücklich mit diesem Mann.

»Und was ist mit ihrem Sohn?« Liebevoll nahm Melchiorre seinen Schatz in den Arm, und hörte ihr aufmerksam zu.

»Er hat den kleinen Pierre in ein Internat gebracht. Weit weg von hier. Meine Schwester weiß nicht einmal genau, wo er ist.«

Vor lauter Aufregung konnte Valentina kaum atmen, redete ohne Punkt und Komma. Eines stand für Valentina fest: Wenn man liebt, dann ist man füreinander da und legt keinem Steine in den Weg.

Melchiorre bemühte sich, die ganze Angelegenheit nüchtern zu betrachten. Er kannte weder Monique noch ihren angetrauten Gatten persönlich. Wie sollte er sich dann ein objektives Bild davon machen können?

»Schlimme Sache. Kann man denn da gar nichts tun?«, murmelte er.

Natürlich wollte Melchiorre seiner kleinen Freundin helfen und überlegte, was das Beste für alle sein könnte. Unentwegt streichelte er dabei sanft Valentinas Hände, nahm sie immer wieder liebevoll in den Arm.

Seine Zärtlichkeiten waren Balsam für Valentinas Seele und für einen kurzen Moment wurde sie ruhiger. Ihm konnte das junge Mädchen blind vertrauen, da war sie sich absolut sicher.

»Was willst du tun? Wir wissen nicht, wo wir ansetzen sollen, um Pierre zu finden.« Valentina blickte mit ihren rehbraunen Augen den Mann, den sie aufrichtig liebte, verzweifelt an.

Melchiorre zuckte hilflos mit den Achseln. Welchen Rat konnte er jetzt geben? Er selbst steckte manchmal in einer Krise und hatte dafür keine gescheite Lösung parat.

Engumschlungen legten sich die beiden auf das beigefarbene Sofa, das unter dem rechten Fenster des überschaubaren Wohnzimmers stand.

Zärtlich kuschelten Valentina und Melchiorre miteinander. Immer wieder küsste er ihr die Tränen weg, die ihre Wangen bedeckten. Es schmerzte das junge Mädchen sehr, dass es so rücksichtslose Menschen gab, die den anderen das Leben schwer machten. Vor allem, wenn es um ihre eigene Familie ging, verstand sie bei so viel Ungerechtigkeit die Welt nicht mehr.

»Warum kann meine Schwester nicht so einen lieben Mann haben wie du es bist?« Valentina streichelte ihren Melchiorre nun liebevoll zurück. Für einen Mann hatte er eine weiche Haut, die sie immer wieder gerne berührte.

Durch ein Geräusch außerhalb des Hauses wurden die beiden Verliebten aus ihrer kleinen heilen Welt gerissen. Es hörte sich nach dem Umknicken eines Astes an.

»Psst, da ist doch etwas?« Melchiorre hielt den Finger auf Valentinas Mund. Nur jetzt keinen Mucks von sich geben.

Langsam hob er seinen Kopf zum Fenster hoch und versteckte sich vorsichtshalber hinter dem braunen Vorhang.

Eine männliche Gestalt schlich um das Haus. Melchiorre bewegte die Hände mit einem Zeichen für Valentina, dass sie weiterhin still sein sollte. Atem- und regungslos voller Angst folgte sie seinen Anweisungen.

Trotz klarer Sicht erkannte Melchiorre den dunkel gekleideten Mann nicht, der offenbar bemerkt hatte, dass man ihn beobachtete. Dieser Mann verschwand in Windeseile. Melchiorre glaubte, eine Kamera in dessen Hand gesehen zu haben, doch er verschwieg es Valentina gegenüber, denn keinesfalls sollte sie sich weiter beunruhigen.

»Wer war das?« Voller Erwartung schaute Valentina ihren Liebsten an. Sie konnte sich überhaupt keinen Reim darauf machen, wer ein Interesse an ihnen haben könnte. Von ihrer Familie konnte das keiner gewesen sein, von ihren Freunden auch niemand, denn sie hatte es ja allen verschwiegen. Also wer könnte es sein? Vielleicht war es auch nur ein Irrtum.

»Leider weiß ich nicht, wer er ist.« Melchiorre hob wütend die rechte Hand und formte sie zu einer Faust. Am liebsten hätte er diesen Kerl verprügelt. Aber er zögerte auch, diesem Mann zu folgen. Warum nur? Hatte Melchiorre etwas zu verbergen?

»Er?«, fragte Valentina ängstlich und gespannt zugleich.

»Ja, es war ein Mann. Aber ich konnte ihn nur wegrennen sehen.« Im Gegensatz zu seiner Valentina hatte er eine Ahnung, was das zu bedeuten hatte, aber Melchiorre schwieg.

»Da ist uns jemand auf die Schliche gekommen. Jetzt bekommen wir Ärger.« Valentina ahnte, dass es Schwierigkeiten geben konnte. Hatte man ihr nicht immer gepredigt, sie solle sich nicht mit einem älteren Mann einlassen. Aber warum nur? Sie wollte doch einfach nur lieben. Was hätte also daran so falsch sein können?

Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass jemand von der Schulbehörde ihnen nachspionierte. Aber sie war achtzehn. Wer sollte dann offiziell etwas gegen ihre Verbindung zu ihrem Lehrer haben?

Nur ihr Geliebter war sich absolut sicher: »Der wollte nicht dich, sondern mich sehen.«

»Warum dich?«, erwiderte Valentina. Eine sorgenvolle Falte bildete sich auf ihrer Stirn. »Er könnte doch auch mich gemeint haben.«

»Beruhige dich, Liebes, das wird sich klären.« Melchiorre nahm seine Valentina sanft in den Arm und seine leidenschaftlichen Küsse brachten sie zum Schweigen.

»Aber wir sollten nicht mehr lange hierbleiben. Es wird bald dunkel.« So machte sich jeder alleine auf den Weg. Vorsichtig, aber dennoch liebevoll, gaben sie sich zum Abschied einen langen Kuss. War es das letzte Mal, dass sie ein heimliches Treffen arrangieren konnten?

»Bis bald, mein geliebter Schatz.« Valentina schaute sich ängstlich um, bevor sie ihr zartes Hinterteil auf das hellblaue Damenfahrrad schwang.

Aus der Ferne warf Melchiorre ihr noch einen angedeuteten Handkuss zu, aber nur, nachdem er sich vergewissert hatte, dass keiner in der Nähe war.

Sein Weg führte an der Küste entlang. Melchiorre blieb stehen und schaute auf die herankommenden Wellen des Atlantiks. Das türkisfarbene Meer lag ihm zu Füßen.

Seine Gedanken drehten sich um die wundervolle Zeit mit Valentina. Dieses süße Mädchen schenkte ihm uneingeschränkt ihre Liebe. Ein Lächeln umhüllte sein Gesicht. Sie war sein Sonnenschein. Mit ihr fühlte er sich einfach frei.

Gedankenverloren verweilte er einen Augenblick am langen Sandstrand. Bei dem wunderbaren Sonnenuntergang hatte Melchiorre noch eine gute Sicht auf den Leuchtturm von Cordouan, der mitten im Meer stand und nur mit Booten zu erreichen war.

Da näherte sich ihm ein blonder Hüne. Es war sein Bruder Francois, verheiratet und Vater von zwei Kindern.

»Hallo, großer Bruder, was denkst du denn gerade? Du siehst ziemlich angespannt aus.«

Freundschaftlich legte er seinen Arm um Melchiorre. Als Bruder spürte er, dass ihn etwas tief berührte und bedrückte. Sie verstanden sich sehr gut und so schüttete ihm Melchiorre dankbar sein Herz aus.

»Ach, Francois, ich denke über viele Dinge nach.« Dabei zuckte er leicht mit den Schultern. Sollte er ihn mit all seinen Sorgen belasten? Jeder hatte doch mit sich selbst genug zu tun.

Scherzhaft kniff ihn Francois und meinte gelassen: »Kann ja nichts Besonderes sein oder hast du etwa deine Frau betrogen?«

Francois lachte. Seine Schwägerin war ganz sicher keine Traumfrau für ihn, aber sein Bruder wusste wahrscheinlich, warum er die Ehe mit ihr einging.

Allerdings war Melchiorre das Lachen vergangen.

»Du hast Recht.« Er warf einen versteinerten Blick auf das Meer. Es war viel, manchmal zu viel, was er mit sich herumtrug. In diesem Moment hatte er einfach nur das Bedürfnis reinen Tisch zu machen und lüftete sein gut gehütetes Geheimnis. In seinen Augen war es sowieso nur eine Frage der Zeit bis er seinen Bruder einweihen würde.

Francois bemerkte, dass es seinem Bruder nicht besonders gut ging und sah ihn überrascht an: »Du machst Witze.«

Trotz des Vertrauens in Francois sprach Melchiorre nicht gerne über das, was ihn so im Leben alles beschäftigte. Da war er eher wortkarg.

»Nein, das ist kein Witz, sondern die Wahrheit.« Melchiorres Miene wurde ernster.

»Ach, das kann doch gar nicht sein. Ihr wirkt doch immer so glücklich miteinander.« Francois konnte es nicht glauben, was sein Bruder ihm gerade erzählte.

Melchiorre fühlte sich hundeelend und hoffte, dass sein Bruder wenigstens Verständnis für seine Gefühle hatte. Nicht länger wollte er verschweigen, was ihn schon seit einiger Zeit bewegte.

»Glücklich, ja, glücklich sieht das nur aus, wenn andere Leute dabei sind. Michelle ist eine kalte und berechnende Frau. Sie ist machtsüchtig, habgierig und alles andere als eine gute Ehefrau.«

Nun war es endlich raus! Tief schnappte er nach Luft.

»Sie liebt nicht mich, sondern nur Geld, Glanz und die Menschen, die ihr nach dem Mund reden. Aber, ich glaube, selbst diese Leute weiß sie nicht zu schätzen. Auf gar keinen Fall ist sie gutmütig. Das ist nur ein schöner Schein für die Öffentlichkeit.« Er nickte immer wieder mit seinem Kopf, als ob er seine Sorgen dabei regelrecht abschütteln wollte.

Francois fasste es nicht: Sein ach so treuer Bruder hatte offenbar eine Geliebte.

»Komm, lass uns darüber reden. Ihr wirkt immer so wie ein gutes, altes Ehepaar, das sich liebt.« Das geheime Doppelleben seines Bruders hatte er noch nicht so ganz realisiert.

Melchiorre lachte leicht auf: »Liebe, sie weiß doch gar nicht, was Liebe bedeutet.« Erleichtert schrie er diesen Satz hinaus aufs Meer.

Francois fragte voller Neugierde: »Und jetzt? Hast du dich in eine andere verliebt?«

Melchiorre nickte. »Ja, sie ist ein bezauberndes Wesen, so wie nicht von dieser Welt. Jung, liebevoll und sie hat das Herz auf dem rechten Fleck. So, wie man sich die Liebe vorstellt, so ist sie.«

Von seiner Angebeteten schwärmte der verliebte Achtunddreißigjährige in den höchsten Tönen.

»Kenne ich sie?«, wollte Francois wissen.

»Nein«, antwortete Melchiorre kurz.

Neugierig löcherte Francois jetzt seinen Bruder, schließlich musste er jetzt unbedingt erfahren, welche Frau das Herz von Melchiorre erobert hatte. »Erzähl mir von ihr.«

Jedoch wehrte Melchiorre ab. »Vielleicht später einmal. Sei mir bitte nicht böse, aber ich möchte gerne alleine sein.«

Obwohl er gerne mehr erfahren hätte, stand Francois verständnisvoll auf, umarmte seinen Bruder mit den Worten: »Klar, kann ich verstehen. Aber wenn du reden willst, ich bin immer für dich da, Bruderherz.«

»Danke, Francois, du bist ein wahrer Freund.«

Melchiorre erwiderte die Umarmung seines Bruders gerne. Es tat ihm gut, einen so liebevollen Menschen um sich zu haben.

Während Francois sich wieder auf den Weg machte, blieb Melchiorre noch eine ganze Weile am Strand sitzen. Er brauchte nun etwas Zeit für sich!

In der Zwischenzeit war Valentina wieder in ihrem Elternhaus angekommen.

Ihre liebe Mutter saß, wie so oft, an der Nähmaschine.

»Hallo, mein Schatz, da bist du ja. Wo warst du so lange?«

»Ach, ich war nur ein wenig spazieren. Einfach so.« Valentina drückte ihrer Mutter flüchtig einen Kuss auf die Wange. Das schlechte Gewissen meldete sich sofort bei dem jüngsten Spross der Familie, denn so hatten die Eltern ihre Kinder nicht erzogen. Aber was tat das junge Mädchen nicht alles für die Liebe zu Melchiorre?

»Was nähst du Schönes?«, fragte sie, um die Mutter ein wenig abzulenken.

»Das soll ein Kleid für dich werden.« Eugenie war stolz auf ihre Kleine, so wie auf alle ihre Kinder. Der Familienzusammenhalt war ihr sehr wichtig. Ihre Eltern vermittelten ihr diese Werte und so gab sie diese gerne an ihre Nachkommen weiter.

»Wow, das sieht aber toll aus.« Valentina war ganz begeistert von dem wunderschönen Rosenmuster. Das würde auch ganz sicher ihrem Liebsten gefallen. »Rote Rosen, toll. Wann ist das Kleid fertig, Mama?«

So schnell wie möglich wollte sie sich in diesem Outfit ihrem Melchiorre vorstellen. Rote Rosen symbolisierten die große Liebe und die erlebte sie gerade.

»Ich denke, es ist morgen fertig. Dann kannst du es am Samstag zum Festball tragen. Du wirst wunderschön darin aussehen.« Eugenie lächelte und sah ihr hübsches Mädchen schon mit dem weit schwingenden Rock tanzend über das Parkett schweben.

»Ja, richtig, der Ball. Das hatte ich ganz vergessen.« Nochmal beäugte Valentina das Kleid. Es betonte ihre schlanke Taille, war nach unten weiter ausgestellt. Einfach bezaubernd schön!

»Darin werden dich alle beneiden. Die Herren der Schöpfung werden dir zu Füßen liegen.«

Die ahnungslose Mutter wusste nicht, dass ihre Jüngste ihr kleines Herz bereits verschenkt hatte!

Valentina drehte sich mit dem Kleid mehrfach um die eigene Achse: »Nein, nein, einer reicht mir.«

Übermütig tanzte sie durchs Wohnzimmer, verzückt schwenkte sie den Rock. Dabei musste Valentina aufpassen, dass sie nicht die ganze Blumendekoration vom Esstisch fegte. Glücklich war die Jungverliebte, einfach nur glücklich.

»Einer?« Eugenie wurde hellhörig. Hatte ihre Kleine einen ganz bestimmten Mann im Visier? »Gibt es da etwas, was du mir sagen möchtest?«

Valentinas hastige Antwort lautete: »Nein.«

In Gedanken stellte Valentina sich vor, dass Melchiorre mit ihr über die Tanzfläche schwebte. So, wie das eben bei verliebten Paaren sein sollte.

Valentina wusste jedoch noch nicht, dass Melchiorre ein verheirateter Mann war. Danach hatte sie nie gefragt und Melchiorre brachte es nicht übers Herz, ihr das zu gestehen. Zwar war Melchiorre längst unglücklich in seiner Ehe, aber für seine kleine Freundin wäre dies ein Hindernis gewesen, sich in einen Mann zu verlieben, der anderweitig vergeben war. Gehörte sein Herz nicht ihr allein, dann würde sie freiwillig auf diese Liebe verzichten.

Doch es kam alles anders. Gegen ihre Gefühle füreinander konnten sie sich nicht wehren!

Valentinas Schwester Monique kam die Treppe herunter und schaute etwas neidvoll auf ihre kleine Schwester, die so voller Freude war. Eine Augenweide für jeden Mann war dieses zarte Wesen. Der fransig geschnittene Pony hüpfte in Valentinas Gesicht hin und her. Ein bisschen frech, ein bisschen modern, sanft, liebevoll, so wirkte die Kleine auf den Rest der Welt.

Monique selbst war traurig und von dem Mann gedemütigt worden, den sie liebte. Trotz aller Schwierigkeiten in der Ehe verehrte sie insgeheim ihren Gatten, obwohl er egoistisch, exzentrisch und machtbesessen durchs Leben ging. Mit den Jahren wurde seine Ehefrau reine Nebensache.

»Du siehst gut aus.« Monique lächelte gequält. Aber ihr Schwesterlein konnte nichts dafür, was ihr geschah.

Valentina lief auf ihre große Schwester zu, umarmte sie. Sie wusste, was Monique durchmachte. »Wie geht es dir?«

»Gut.« Monique wehrte mit den Händen die Umarmung ab. Etwas erstaunt ging nun auch Valentina ein wenig auf Abstand. Sie spürte, dass ihre Schwester für Zärtlichkeiten nicht bereit war.

Mutter Eugenie erkannte die Situation und wollte schlichten. »Kommt, ihr beiden, setzt euch zu mir. Wie wäre es mit einer guten Tasse Kaffee?«

Monique nahm weiter ihre Abwehrhaltung ein und lehnte ab.

Die kleine Schwester traute sich in diesem Moment nicht zu widersprechen und sagte einfach nur: »Nein, danke.«

»Gut.« Mutter Eugenie wollte sich nicht aufdrängen. In ihrem Innersten machte sie sich große Sorgen um ihre Kinder. Wehmütig blickte sie ihre beiden Töchter an, die sie nur glücklich sehen wollte.

Da betrat Antoine den Raum. Klitschnass stand er vor seinen Frauen. Das weiße Hemd, die beigefarbene Hose, alles war völlig durchnässt.

»Was ist denn mit dir passiert?« Seine geliebte Frau Eugenie ging auf ihn zu und reichte ihm ein trockenes Handtuch, das sie im Vorbeigehen aus dem Sideboard in der Ecke genommen hatte.

»Es regnet wie aus Eimern. Habt ihr das gar nicht bemerkt?« Antoine wunderte sich. Was war denn mit seinen Damen los, sie schauten doch sonst immer neugierig aus dem Fenster?

Monique erwiderte eher zurückhaltend: »Ja, schlimm sieht es aus.« Dabei meinte sie wohl eher ihre ganze Lebenssituation statt des prasselnden Regens.

»Zieh dich bitte um, du kannst dich erkälten, Antoine.« Eugenie nahm eine warme Wolldecke vom Sofa weg und legte sie liebevoll ihrem Mann um die Schultern.

»Was ihr immer besorgt umeinander seid.« Monique war diese Fürsorge seit der Hochzeit mit ihrem Ehemann nicht mehr gewohnt. Heimlich unterdrückte sie eine Träne. Früher kannte sie durch ihre Familie Liebe und Zuneigung, in der Ehe gingen ihr diese Attribute des Lebens verloren.

»Aber dein Mann sorgt doch auch gut für euch, oder nicht?«, kam es aus einer Ecke des Zimmers, wo Antoine sich sein nasses Baumwollhemd auszog.

Um ihren geliebten Vater nicht zu beunruhigen, antwortete Monique: »Ja, schon.« Aber sie hatte keine Lust über ihre unglückliche Ehe zu reden.

»Danyel ist doch ein guter Ehemann und Vater.« Valentina ärgerte sich zwar selbst über diese Worte, aber sie wollte alles ein wenig entschärfen. Die Eltern wussten noch nichts über die Machenschaften ihres Schwiegersohnes.

Doch der hasserfüllte Blick ihrer Schwester, die sie über alles liebte, ließ den jüngsten Leconte-Spross erschrecken. Sie wollte doch nur das Beste für Monique.

Der Mutter entging dieser Blick nicht, sie wollte einfach nur Frieden in der Familie haben. So nahm sie Monique beiseite: »Wir müssen unbedingt reden.«

Vehement sträubte sich ihre älteste Tochter dagegen. Die wahren Gefühle konnte oder wollte sie nicht zeigen. Sie wollte auch nicht zugeben, dass alles anders war, als man denken konnte.

»Habt ihr etwas Kaffee da?« In seinem dunkelblauen Trainingsanzug, den Eugenie ihm vor einiger Zeit geschenkt hatte, fühlte sich der treue Familienvater bedeutend besser. Über ein wärmendes Getränk freute er sich jetzt umso mehr. Dass gerade ein wenig Spannung in der Luft lag, entging ihm.

Freiwillig meldete sich Valentina zum Küchendienst. »Ich mache schnell welchen.« Blitzschnell verschwand sie in der Küche, um sich der prickelnden Situation zu entziehen.

»Schön, dann gehe ich nochmal nach oben. Ich habe doch glatt meine Socken vergessen. Ach, man wird halt älter.« Antoine verschwand kurz im Schlafzimmer, das sich im ersten Stock des Hauses befand.

»So, nun sind wir alleine.« Eugenie legte ihre Hand auf Moniques linken Unterarm. Sie wollte endlich wissen, was ihre Tochter so bedrückte.

Monique wollte aufstehen, doch mit sanftem Druck hinderte ihre Mutter sie daran. »Bleib sitzen, Kind. Was ist bei euch passiert? Sag es mir bitte.« Eugenie wollte ihrer Tochter nur helfen und sah sie liebevoll an.

Zuerst rückte Monique nicht so recht mit der Sprache heraus. Nach dem zweiten Bitten der Mutter gab sie jedoch nach. »Danyel hat Pierre in ein Internat gesteckt. Wo das ist? Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Die Tränen liefen ihr nur so über das Gesicht. Endlich ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf.

»Ach, Kind, das darf doch nicht wahr sein!« Entsetzt schlug Eugenie die Hände über dem Kopf zusammen.

»Ja und er hat mich geschlagen, weil ich ihn verlassen wollte«, fügte Monique hinzu. Weiter flossen unaufhörlich ihre Tränen.

Die Mutter holte schnell eine Packung Tempotücher aus der Schublade, die Monique hastig öffnete. Eugenie umarmte ihre Tochter. Ganz behutsam tastete sie sich voran. »Hat er dich betrogen?« Sie konnte das alles nicht verstehen, für sie war Danyel der perfekte Schwiegersohn. Gut situiert, gebildet, ein gutaussehender und eleganter Mann.

»Nein, das glaube ich nicht. Aber er ist immer nur nett, wenn andere Leute dabei sind. Waren wir alleine, dann hat er mich behandelt wie ein Dienstmädchen.« Sie schluchzte immer weiter.

»Hatte ich einmal eine andere Ansicht als er, schlug er mich. Sogar vor Pierre. Weinte unser Junge dann, wollte er auch auf ihn losgehen. Ich habe mich dann dazwischengeworfen und bekam noch mehr Schläge.« Ihr aufgestauter Redebedarf wollte nun gar nicht enden. Sie opferte viel für diese Ehe, verzichtete sogar auf eine Karriere als Floristin.

»Meine Güte, wie konnte ich mich nur in ihm täuschen?« Eugenie verstand die Welt nicht mehr. »Ich kann jetzt verstehen, dass du Danyel verlassen willst, aber was geschieht mit Pierre?«

»Ach, Mama, ich weiß es nicht.« Dankbar nahm Monique die tröstende Hand der Mutter.

»Wir werden ihn finden«, sagte Eugenie mit entschlossener Stimme. »Hast du einen Anhaltspunkt, wo er ihn hingebracht haben könnte?« Niemals würde die liebende Großmutter zulassen, dass man ihrem Enkelsohn und ihrer Tochter schadet.

»Es kann sein, dass er ihn in die Nähe von La Rochelle gebracht hat.« Unsicher zuckte Monique mit ihren Schultern. Sie hatte keinerlei wirkliche Anhaltspunkte, nur eine leise Ahnung.

»Bist du dir da sicher?« Eugenie war sehr aufgeregt und streichelte unentwegt den Arm ihrer geliebten Tochter.

»Nein! Aber ich meine, er hätte in einem Telefonat so etwas erwähnt.« Kurz nippte Monique an ihrem Glas Mineralwasser, das schon längere Zeit auf dem Tisch stand.

»Das werden wir herausfinden, du bleibst jetzt erst einmal hier und ruhst dich aus.« Eugenie war fest entschlossen, ihrer Großen zu helfen.

»Ja, gut.« Monique dankte ihrer Mutter für so viel Liebe mit einem liebevollen Küsschen auf die Hand. So wohl hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt. Aber als liebende Mutter vermisste Monique ihren kleinen Sohn unendlich. Wie es dem kleinen Racker wohl gerade erging?

Der nichtsahnende Antoine und die verschwiegene Valentina kamen gleichzeitig zurück an den Tisch. Der frisch aufgebrühte Kaffee schmeckte allen vorzüglich. Monique blieb weiter in sich gekehrt und dachte an ihren verschwundenen Sohn.

»Du bist so schweigsam, mein Kind.« Dem fürsorglichen Vater fiel nach kurzer Zeit auf, dass nur Eugenie, Valentina und er redeten.

»Es ist nichts, Vater. Alles gut.«

Die Damen des Hauses schauten sich nur schweigend an und bevor Antoine noch etwas fragen konnte, hörte man vor dem Haus ein Auto vorfahren.

Neugierig sprang Valentina auf und blickte aus dem Fenster, wer da wohl angekommen war. »Maurice! Es ist Maurice!« Sie freute sich riesig und rannte zur Tür.

Maurice war der Älteste, ein stattlicher Mann mit brünettem, lockigem Haar. Seiner Mutter war er wie aus dem Gesicht geschnitten.

»Maurice!« Die Arme weit ausgestreckt lief Valentina ihrem großen Bruder entgegen. Sie liebte ihren Maurice heiß und innig.

Der hochgewachsene junge Mann strahlte das kleine Schwesterlein mit seinen grünen Augen, die wie Smaragde funkelten, an.

Maurice war nicht alleine ins elterliche Haus gekommen. Begleitet wurde er von Albert Durand, einem Studienkollegen. Albert war groß, schlank, trug eine schwarze Brille, passend zu seiner Haarfarbe.

Vom ersten Augenblick an hatte er nur Augen für Valentina. »So ein süßes Geschöpf«, war sein erster Gedanke. Sofort schlug sein Herz höher. Eindeutig war das Liebe auf den ersten Blick.

Doch Valentina sah und spürte nichts davon, sie umklammerte nur ganz fest ihren geliebten Bruder.

Maurice lachte. »Na, meine Kleine, gut schaust du aus.«

»Hey, du aber auch.« Valentina stupste ihren großen Bruder an. »Und wer ist das?«

»Das ist Albert, mein Studienkollege und Freund aus Bordeaux.« Freundschaftlich klopfte er ihm auf die Schultern.

Sehr charmant und galant begrüßte Albert seine Herzensdame mit Handkuss. Es kribbelte in seinem ganzen Körper und die Schmetterlinge in seinem Bauch tanzten Samba.

Valentina lachte verschmitzt. »Oh, ein Gentleman. Das gibt es heutzutage doch gar nicht mehr.«

Albert Durand verschlug es die Sprache! So eine lebensfrohe Person hatte er noch nie kennenlernen dürfen. Sie wirkte wie ein kleines Zauberwesen. Ihre Ausstrahlung haute Albert sichtlich um.

Maurice kannte seinen Freund lange genug, um zu wissen, was er gerade so dachte. Für ihn war es nicht zu übersehen, dass sein guter Kumpel sich total verliebt hatte. Aber der große Bruder kannte auch seine kleine Schwester sehr gut und wusste, so schnell würde keiner ihr Herz erobern.

»Komm, mein Guter, wir gehen ins Haus.« Maurice führte Albert ein wenig im gemütlichen Haus der Lecontes herum. Romantisch verzierte Möbel, hübsche Vorhänge, ein Wohnzimmer mit Kamin, flauschige Teppiche. Da konnte man sich wohlfühlen.

»Sind Mama und Papa da?« Liebevoll nahm er die linke Hand seiner Schwester. Die Geschwister hielten schon immer wie Pech und Schwefel zusammen.

»Ja und Monique auch.« Valentina riss sich los und lief freudestrahlend vor.

Kurz erklärte Maurice seinem Begleiter: »Monique ist meine andere Schwester.«

»Ah ja, schön.«

Beim Hereinkommen in die gute Stube gab es ein großes »Hallo«. Freundlich und herzlich wurde Albert sofort in den Kreis der Familie aufgenommen. So war die Familie Leconte eben, gastfreundlich und hilfsbereit. Antoine, Eugenie und ihre vier Kinder Maurice, Olivier, Monique und Valentina.

»Wo ist Olivier?«, fragte Mutter Eugenie. Sie vermisste ihren Zweitgeborenen und hatte immer gerne die ganze Familie um sich.

»Ach, Olivier kommt morgen. Er musste noch etwas Dringendes erledigen«, antwortete Maurice und umarmte liebevoll seine Mutter. Sanft küsste er sie auf ihre Wangen.

Nun saßen alle vereint und vergnügt an der Kaffeetafel. Monique und Valentina holten aus der Küche einen frisch gebackenen Apfelkuchen. Oh, dieser Duft, da lief allen das Wasser im Mund zusammen.

In der geselligen und fröhlichen Runde lebte sogar Monique ein wenig auf. Ihre Gedanken kreisten jedoch ständig um ihre missliche Lage und den kleinen geliebten Sohn Pierre herum.

Tatsächlich wurde Pierre von seinem strengen Vater in ein Internat gebracht. Oft hatte der Junge gesehen und gehört, was in seiner Familie an Lieblosigkeiten geschah. Seine Maman gab ihm zärtliche Liebe, sein Vater wollte immer nur herrschen.

Dieses angeblich gute Internat, in das sein Erzeuger ihn nun heimlich gebracht hatte, bereitete Pierre nur noch mehr Schmerz, denn er vermisste seine Mutter sehr. Als Zehnjähriger brauchte man eben noch viel Mutterliebe. Und er hatte große Angst um seine geliebte Maman, denn er wusste, wozu der Vater fähig sein konnte.

Auch die Art und Weise, wie er abgeschoben wurde, ließ ihm keine Ruhe. Ohne Vorwarnung hatte der Vater ihn aus dem Unterricht in seiner nun ehemaligen Schule durch Handlanger abholen lassen. Wie einen Gefangenen verschleppten diese Leute ihn in eine Villa in La Rochelle. Unwohlsein überkam ihn.

Pierres Vater, Danyel Delaware, zahlte der Internatsleiterin viel Geld. Sie sollte Stillschweigen darüber bewahren, wo Pierre sich aufhielt. Natürlich sollte es seinem Sohn einerseits gut gehen, jedoch verfrachtete man ihn „standesgemäß“ in ein Einzelzimmer. Ein braunes Holzbett, ein dazu passender Tisch und Stuhl, ein zweitüriger Kleiderschrank. Nun, Zuhause hatte er ein weitaus schöneres Zimmer.

In den besten Kreisen sollte er aufwachsen und auf seine Aufgabe als Sohn eines der reichsten Männer, die es im Städtchen Montalivet-les-Bains gab, vorbereitet werden.

Danyel war durch und durch ein Macher. Erfolgreich führte er sein Unternehmen und der einzige Sohn sollte einmal sein Nachfolger werden. Durch Monique wurde sein Nachkomme nur verweichlicht. Mit der sanften Einstellung zum Leben würde Pierre es nicht weit bringen.

Pierre hingegen wollte keinesfalls so werden wie sein Vater, das wusste er jetzt schon ganz genau. Seine Gedanken waren bei seiner geliebten Mutter, die ihm stets zeigte, welche guten Eigenschaften ein Mensch mitbringen konnte. Fürsorge, Liebe, Freude, Zuneigung, füreinander da sein. Seelenverwandt waren sie ganz sicher, denn in diesem Moment spürte die Mutter den Sohn und der Sohn die Mutter.