Lilly und der Racheengel - Helmut Exner - E-Book

Lilly und der Racheengel E-Book

Helmut Exner

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Beschreibung

Nach seinem Abitur kehrt Kevin, ein Sohn der berühmt-berüchtigten Familie Sauschläger, in seine Heimat Clausthal-Zellerfeld zurück und trifft seine Jugendliebe Miriam wieder. Doch ihr Glück währt nicht lange – ein Mord erschüttert die Stadt. Während die Polizei ermittelt, mischt sich das neugierige Fräulein Lilly Höschen ein. Mit ihrer Spürnase hält sie die Ermittler auf Trab, denn durch diesen einen Mord wird bald eine ganze Serie von Verbrechen erkennbar.

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Seitenzahl: 161

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Helmut Exner

Lilly und der Racheengel

Impressum

ISBN 978-3-96901-114-0

ePub Edition

V1.0 (02/2025)

© 2025 by Helmut Exner

Abbildungsnachweise:

Umschlag © liurii.86@gmail.com | #282509118 | depositphotos.com

Pine Tree Silhouette © Jom Plang via canva.com

Porträt des Autors © Ania Schulz | as-fotografie.com

Lektorat:

Sascha Exner

Verlag:

EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

Obertorstr. 33 · 37115 Duderstadt · Deutschland

Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21

Web: harzkrimis.de · E-Mail: mail@harzkrimis.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Schauplätze dieses Romans sind reale Orte. Die Handlung und die Charaktere hingegen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen wären reiner Zufall und sind nicht beabsichtigt.

Inhalt

Titelseite

Impressum

Der Hammer

Die Sauschlägers

Vor Gericht

Kevin und Miriam

Racheengel 1

Lilly in Sauschlägers Paradies

Verschunden

Der Frauenschwarm

Racheengel 2

Frau Zappelhose

Das Kfz-Kennzeichen

DNA

Racheengel 3

Pfleiderer ohne Häberle

Gesine Hökenschnieder

Hökenschniedel und Zappelhose

Die Eltern

Das Internat

Der Frauenschwarm 2

Bille

DNA 2

Der alberne Bengel

Das Mobiltelefon

Lilly kombiniert

Stuttgart

Alexander junior

Worms

Heißa! sprach Herr Sauerbrot

Verdacht

Anna und Bille

Alexander junior 2

Racheengel 4

Stuttgart 2

Die Beerdigung

Cold Cases

Der Privatdetektiv

Florian Seifert und der Detektiv

Lilly bei den Sauschlägers

Der Wunderbaum

Florian Seifert

Der alberne Bengel 2

Der blau bemalte Stein

Hökenschniedel in Hochform

Racheengel 5

DNA 3

Racheengel 6

Der alberne Bengel 3

Lilly und der Racheengel

Die Vollstrecker

Das Verhör

Hammer und Brillant

Ganz schön durchtrieben

Über den Autor

Mehr von Helmut Exner

Eine kleine Bitte

Der Hammer

Das kleine weiße Cabrio fuhr die Adolph-Roemer-Straße hinauf. 20 km/h waren hier erlaubt. Die Fahrerin war ungeduldig und drückte auf die Hupe. Im Straßencafé schüttelte jemand mit dem Kopf, woraufhin sie ihm den Mittelfinger zeigte. An der Kreuzung auf dem Kronenplatz nahm sie einem Auto die Vorfahrt. Endlich ging es bergab zum Zellbach. Sie drückte aufs Gas und hatte Mühe, noch die Kurve zu kriegen. Kurz danach bremste sie scharf, um ihren Wagen am Straßenrand zu parken. Sie stieg aus, griff nach dem großen Hammer, der auf dem Beifahrersitz lag, ging über den Bürgersteig zu dem kleinen Geschäft mit dem lilafarbenen Schriftzug Geschenke-Paradies. Dann holte sie aus: Einmal, zweimal – beim dritten Schlag zerbarst die Scheibe in tausend kleine Stücke. Im Laden schrie eine Frau. Das konnte nur die Inhaberin sein, denn Kunden waren nicht zu sehen. Die Täterin grinste, warf den Hammer auf den Beifahrersitz, stieg ein und brauste davon. Im selben Moment kam Lilly Höschen, die alte Dame aus Lautenthal, mit ihrem Passat angefahren, parkte, wo eben noch Ritas Wagen gestanden hatte, und sah sich die Bescherung an. Sie hatte geahnt, dass die impulsive Rita solch eine Dummheit begehen würde. Nun kam die Geschäftsinhaberin aus dem Laden gestürmt. Als Lilly ausstieg, ging sie auf die alte Dame zu und fragte: »Ham Se das gesehn? So ein dummes Luder.«

Lillys gelassene Antwort: »Man sollte Rita Sauschläger nicht einen Glasstein für einen Diamanten verkaufen.«

* * *

Was war geschehen?

Rita Sauschläger hatte diesen Laden entdeckt. Da sie immer auf der Suche nach schönen Dingen war, die sie gar nicht brauchte – Shopping war ihre absolute Lieblingsbeschäftigung – betrat sie den Laden und war erstaunt, dass sie dort ihre Cousine Hannelore antraf, die sich als Besitzerin entpuppte. Hannelore war, ebenso wie die Sauschlägers, ein Kapitel für sich. In jüngeren Jahren hatte sie ihren Lebensunterhalt im horizontalen Gewerbe verdient. Aus dieser Zeit stammten auch ihre drei Kinder, denen sie keine Väter bieten konnte. Später hatte sie eine Beziehung zu einem dreißig älteren Mann, der sie schließlich auch heiratete. Dieser war vor zwei Jahren gestorben. Das baufällige Haus, das er ihr hinterlassen hatte, brachte ihr nur ein paar Tausend Euro ein. Aber in Bezug auf Männer und deren Bedürfnisse hatte sie viel Erfahrung, sodass sie sich von einem anderen, ebenfalls ziemlich alten Mann, heiraten ließ. Diesem gehörte auch das Haus, in dem sie ihren Laden eröffnet hatte. Sie war mittlerweile Ende fünfzig und brauchte finanzielle Sicherheit.

Aufgrund ihres Lebenswandels und ihrer frechen Klappe wurde sie von allen nur das alberne Büttner-Hannel genannt. Dementsprechend wurde sie auch von Rita Sauschläger begrüßt.

»Was machst du denn hier, albernes Büttner-Hannel?«

»Das is mein Laden. Außerdem heiß ich all lange net mehr Büttner. Ich heiß jetze Maschmeyer, und vorher hieß ich Schollmeyer.«

»Das macht es aach net besser«, entgegnete Rita, die sich mit ihrer Cousine im Oberharzer Jargon unterhielt. »Ob Scholl- oder Masch – für mich bleibste es alberne Büttner-Hannel. Is dein neuer Kerrel so reich, dass er dir den Laden hier eingerichtet hat?«

»Das hab ich all selber hingekricht, Aach wenn dar Hansi net gerade arm is.«

Die Straße mit dem Namen Zellbach ist die Hauptverbindung zwischen den Stadtteilen Clausthal und Zellerfeld. Früher einmal gab es hier etliche Geschäfte und Gastwirtschaften. Im Zeitalter der Supermärkte auf der grünen Wiese haben nach und nach fast alle Geschäfte dichtgemacht. Auch Kneipen sucht man vergebens. Die Bürgersteige sind nahezu menschenleer. Nur der Autoverkehr hat zugenommen. Daher war Rita total verwundert, dass ihre Cousine ausgerechnet hier ein Geschäft eröffnet hatte, und fragte: »Meinste, dass sich hier örgend än Kunde hin verörrt? Die ganze Straaß is doch leer.«

»Wenn sich örschtemal rumgesprochen hat, was ich hier zu bieten haa, denn komme de Leut aach.«

Der Laden war voll von Kitsch und Klimbim. Auch ein paar ausgefallene Klamotten und Tücher hingen herum. In der Vitrine, die zugleich als Ladentisch diente, lag Modeschmuck herum. Ein Ring mit einem großen Brillanten stach Rita ins Auge. Auf dem Preisschild war zu lesen: 750er Gold mit 1 Karat Brillant und 6 Rubinen, 1000 Euro.

»Biste sicher, dass der echt is? Oder is das nur Glas?«

»Natürlich is der echt. Das is’n Schnäppchen.«

Rita probierte den Ring an. Er passte. Das Gold war tatsächlich mit 750 gestempelt. Sie wollte schon immer mal einen echten Brillanten haben. Sie verhandelten und wurden sich bei neunhundert Euro einig.

* * *

Beschwingt durch den Kauf eines Ein-Karäters stellte sich bei Rita gute Laune ein. Also fuhr sie bei der Bäckerei Biel vorbei und kaufte Flottkuchen, um anschließend nach Lautenthal zu fahren, um ihre Freundin Lilly mal wieder zu besuchen. Diese war hoch erfreut, Rita zu sehen, noch dazu, wo sie ihren Lieblingskuchen mitgebracht hatte. Nach dem Grund ihrer guten Laune befragt, sagte Rita, sie habe sich heute einen Brillant-Ring geleistet. Stolz präsentierte sie Lilly das Prachtstück.

»Hm, er ist geschliffen wie ein Brillant. Aber das ist echtes Kristallglas. Ich will dir mal einen echten Stein zeigen.« Lilly ging an die Schublade des Sideboards und holte eine Schmuckkassette heraus. Dann zeigte sie ihrer Freundin ihren Halbkaräter. »Siehst du das Feuer?«

»Dis verdammte Jammerluder!«, schoss es aus Rita heraus.

Gretel, Lillys Freundin und Hausgenossin, die gerade aus der Küche kam, fragte: »Wer? Ich?«

»Nä, es alberne Büttner-Hannel.«

Lilly fragte: »Was hast du denn bezahlt?«

»Neunhunnert Euro.«

»Nun, der Goldwert mag bei hundertfünfzig Euro liegen. Die kleinen Rubine sind zwar hübsch, aber wertmäßig nicht der Rede wert. Wäre es ein echter Brillant von guter Reinheit und Farbe, könnte der Ring locker zweitausend Euro oder mehr kosten. Aber für Kristallglas sind neunhundert Euro Wucher.«

»So ein verfluchtes Saubäst!«, war Ritas Reaktion. Sie verabschiedete sich noch vor dem Kaffeetrinken.

Dann fuhr sie wutschnaubend zurück nach Clausthal-Zellerfeld, parkte ihren Wagen vor dem Laden vom albernen Büttner-Hannel, stürmte hinein und brüllte: »Du hast se woll net alle! Ich will mein Geld zurück, sofort! Ich bezahl doch känee neunhunnert Euro fürn Stückl Glas.«

Die Verkäuferin weigerte sich, den Ring zurückzunehmen. Die Situation geriet aus den Fugen und stand kurz vor einer Handgreiflichkeit seitens Ritas, die sich gerade noch besann und den Laden verließ. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und brüllte: »Ich zeich dich an. Aber vorher komm ich mitm dicken Hammer und schlaach dir die Schaufensterscheib ein, du dummes Luder.«

Zehn Minuten später fuhr sie auf den Hof ihres Grundstücks, ging in den Schuppen, warf den dicken Hammer auf den Beifahrersitz und fuhr los. Ihr Mann Hannes hatte seine Frau von der Terrasse aus beobachtet, wagte es aber nicht, sie anzusprechen. Er hatte sofort erkannt, dass sie in Rage war, und zog es vor, zu schweigen.

Als sie weg war, holte er sich ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank.

Die Sauschlägers

Früher waren Familien wie die Sauschlägers nichts Au-ßergewöhnliches im Oberharz. Man sprach, wie einem der Schnabel gewachsen war, legte keinen besonderen Wert auf Schulbildung, war aber um so pragmatischer, wenn es darum ging, sich durchs Leben zu schlagen. Hannes, mittlerweile dreiundfünfzig Jahre alt, sah seine besondere Lebensleistung darin, sechs gesunde Kinder gezeugt und großgezogen zu haben. Von Arbeit hielt er nicht viel. Er hatte keinen Beruf erlernt, wusste aber, dass er über allerlei Fähigkeiten verfügte. Da dies von seinen Mitmenschen nicht erkannt wurde, zog er es vor, zu warten, bis die Dinge sich änderten. Und das taten sie dann auch. Vor etwa zehn Jahren erhielt er einen Brief von einem Erbenermittler, dass ein Verwandter, von dessen Existenz er gar nichts gewusst hatte, ihm unfreiwillig allerlei vermacht hatte. Besagter Onkel hatte es versäumt, ein Testament zu machen, weshalb seine Lebensgefährtin zugunsten von Hannes Sauschläger leer ausging. Neben einem Batzen Geld erbte er zwei gut gehende Restaurants einschließlich der Immobilien. Da er seine Ruhe brauchte und nichts mit irgendwelchen Nachbarn anfangen konnte, hatte er dieses große Anwesen mit mehreren heruntergekommenen Gebäuden am Rande von Clausthal gekauft. Es lag so versteckt hinter den Bäumen, dass niemand es fand, der nicht explizit wusste, dass es dieses Grundstück überhaupt gab.

Er ließ das Wohnhaus und zwei Gästehäuser großzügig sanieren. Und seine Frau ließ die Müllberge entfernen und machte mithilfe von Lilly Höschen das großzügige Gelände zu einem kleinen Paradies – Sauschlägers Paradies, wie Lilly es nannte. Hannes stellte für die Restaurants einen Geschäftsführer ein, der dafür zu sorgen hatte, dass für die Familie so viel abfiel, dass man ordentlich davon leben konnte. Das funktionierte auch. Aber dann kam das Finanzamt und wollte seinen Teil von dem Erbe haben. Aber das Geld war aufgebraucht.

Eines Tages standen zwei gut gekleidete Herren vor der Tür, um Hannes dazu zu bewegen, für seine Restaurants allerlei Schnickschnack zu total überhöhten Preisen zu kaufen.1 Dass es sich um die Mafia handelte, kriegte Hannes erst später mit. Jedenfalls holte Rita ein Gewehr und zwang die Herren, sich auszuziehen. Hannes warf die Klamotten in den Hof, und die Kinder zündeten sie an. Inzwischen hatte eines der Kinder mit einer Sprühdose auf die Luxuskarosse Grimmenalboleseiaudo geschrieben. Ihrer Kleider beraubt, fuhren die Herren eilig davon. Kurze Zeit später kam ein weiterer Herr dieser Organisation, der sich für seine Mitarbeiter entschuldigte und den Sauschlägers ein Angebot machte, das sie nicht ablehnen konnten. Er würde die Steuerschulden übernehmen, wenn sie bereit wären, ab und zu etwas auf ihrem weitläufigen Grundstück zu vergraben. Für jede Grabung würde es zusätzlich in der Kasse klingeln. Man stellte ihnen einen Minibagger zur Verfügung, den Rita bediente, und von Zeit zu Zeit kamen entsprechende Aufträge. Es wurde nie herausgefunden, was da vergraben war. Irgendwann wurde diese mafiöse Gesellschaft zerschlagen oder löste sich auf. Aber die Sauschlägers hatten keine Geldsorgen mehr.

Als eines Tages im Beisein von Lilly Höschen ein mexikanischer Auftragsmörder in Braunlage vom Kronleuchter erschlagen wurde, bat sie Rita, seine Leiche ebenfalls zu begraben. Denn sie hatte keine Lust, der Polizei den ganzen komplizierten Vorgang, was sich da abgespielt hatte, zu erklären. Als Belohnung für ihre Mühe bekam Rita einen Apfelkuchen.2 Zwei weitere Leichen wurden vergraben, die ein gewisser Kommissar Zorn vom Bundeskriminalamt erschossen hatte. Der Kommissar selbst versank, zusammen mit einem Geist, einem gewissen Steiger Franz, im Erdboden.3 Solche Vorgänge wurden von Lilly und ihren Freunden nicht hinterfragt, sondern einfach so hingenommen.

Inzwischen waren vier der sechs Sauschläger-Kinder aus dem Haus. Die beiden Jüngsten, sechzehn und achtzehn Jahre alt, wohnten noch bei den Eltern. Für Hannes war das Leben so in Ordnung. Er hatte seine Ruhe. Rita wollte mit ihren einundfünfzig Jahren noch etwas mehr vom Leben. Ab und zu flog sie nach Paris, Barcelona oder New York zum Shoppen. Ebenso wie ihr Mann hatte sie kaum Kontakt außerhalb der Familie. Lilly betrachtete sie als Freundin, für die sie alles tun würde, auch mal eine Leiche verbuddeln. Ansonsten legte niemand Wert auf ihre Gesellschaft. Ihr Jähzorn war gefürchtet. Sie hatte im Laufe der Zeit etliche Strafbefehle wegen Beleidigung kassiert.

Die Sache mit der Schaufensterscheibe sollte noch ein juristisches Nachspiel haben. Im Gegenzug verklagte sie das alberne Büttner-Hannel wegen Betrugs und forderte Schadensersatz.

1 Sauschlägers Paradies

2 Mörderische Harzreise

3 Sauschlägers Jammertal

Vor Gericht

Auf Anraten ihres Anwalts nahm Hannelore Maschmeyer den Ring zurück und erstattete die neunhundert Euro. Der Staatsanwalt verzichtete auf eine Anklage und erteilte einen Strafbefehl in Höhe von fünfhundert Euro. Rita Sauschläger hingegen musste sich wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung vor Gericht verantworten. Lillys Großneffe Amadeus wollte Rita nicht verteidigen, weil er schon lange nicht mehr als Strafverteidiger arbeitete. Aber gegen das Bitten und Betteln von Rita und Großtante Lilly kam er nicht an. Der Sitzungssaal im Amtsgericht Zellerfeld war gut besucht. Der Name Sauschläger war bekannt. Außerdem wurde gemunkelt, dass Lilly Höschen wohl auch involviert war. Das versprach gute Unterhaltung.

Richterin Anna Rehbein, eine durchsetzungsstarke Frau von Ende vierzig, bat Rita zunächst um die Angaben zur Person. Dann sagte sie: »Sie müssten mich bitte noch über Ihre Einkommensverhältnisse informieren. Was verdienen Sie im Monat?«

»Nüscht.« »Wie nüscht? Wovon leben Sie?«

»Mein Mann gibt mir Geld.«

»Und was verdient Ihr Mann?«

»Nüscht.«

»Arbeitet Ihr Mann nicht?«

»Nä.«

»Und wie kann er Ihnen dann Geld geben?«

»Er hat zwei Knaipen verpachtet.«

»Aha«, sagte die Richterin. »Und wie hoch sind die Pachteinnahmen?«

»Das wess ich doch net. Hauptsach, es is Geld da.«

Das Publikum fing an, sich zu amüsieren.

»Gut, da kommen wir im Moment offenbar nicht weiter.«

Nachdem der Staatsanwalt seine Anklage vorgetragen hatte, fragte die Richterin: »Frau Sauschläger, wollen Sie sich zu den Vorwürfen äußern?«

»Pfff, was soll ich mich da äußern? Is doch alles klar. Es alberne Büttner-Hannel hat mich beschissen, es hat mir ähn Glasring fürn Brillanten verkauft. Und als ich das gemerkt hab, wollt se das Scheißding net zurücknähme. Ich hah se gewarnt, dass ich ihr die Scheib einschlaach. Und das hah ich denn aach gemacht. Und Schluss.«

Der Staatsanwalt meldete sich: »Frau Vorsitzende, ich habe kein Wort verstanden.«

»Tja, Herr Staatsanwalt. Wenn man aus Schwaben kommt, ist es sicherlich nicht leicht, die Oberharzer Sprache zu verstehen. Ich weiß jetzt nicht, wie ich Ihnen da helfen soll. Auf die Schnelle kriegen wir sicherlich keinen Dolmetscher.« Und an Rita gewandt sagte sie: »Frau Sauschläger, mit es alberne Büttner-Hannel meinen Sie Frau Maschmeyer?«

»Na klar.«

»Ich würde Sie doch bitten, die Form zu wahren. Ich weiß zwar nicht, ob diese Bezeichnung eine Beleidigung ist. Aber es hört sich doch sehr geringschätzig an. Also, Sie geben die Tat zu.«

»Na klar.«

»Gut. Herr Staatsanwalt, haben Sie noch Fragen?«

»Ja. Frau Sauschläger, wie ich den Akten entnommen habe, sind Sie schon des Öfteren durch Beleidigungen und sogar durch eine Handgreiflichkeit aufgefallen. Können Sie Ihre Probleme nicht auf andere Weise lösen?«

»Ich hah käne Probleme. Wenn mir äner doof kommt, kricht er de richtiche Antwort oder ich hau ne in de Fresse.«

»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, würden Sie das wieder tun.«

»Ich saach jetz gar nüscht mehr.«

»Das ist auch besser so.«

»Herr Verteidiger, haben Sie Fragen an die Angeklagte?«, fragte die Richterin.

»Nein, Frau Vorsitzende. Meine Mandantin hat ein Geständnis abgelegt. Ich wüsste nicht, was dem noch hinzuzufügen wäre.«

»Gut, dann rufe ich Frau Hannelore Maschmeyer als Zeugin auf.«

Rita setzte sich neben ihren Anwalt und das alberne Büttner-Hannel betrat den Saal. Nach den Angaben zur Person und der üblichen Belehrung fragte die Vorsitzende, was sie denn gesehen habe.

Aufgeregt plapperte die Zeugin drauf los: »Was ich gesehn hab?« Dabei deutete sie auf ihre Cousine. »Dis verflixte Weibsbild kam mit ihrn Protzschlitten vorgefahrn und hat mitm großen Hammer gegen meine Scheib geschlagn, bis se zu Bruch gegange is. Ich ha mich fast beschissen vor Schreck.« Jetzt wandte sie sich wieder an ihre Cousine. »Aber heute krichste dein Fett weg, du dummes Luder.«

Nun verlor die Richterin die Fassung und brüllte: »Sie haben hier niemanden zu beleidigen, sondern auf meine Fragen zu antworten. Es ergeht folgender Beschluss: Gegen die Zeugin Maschmeyer wird ein Ordnungsgeld von hundert Euro, ersatzweise drei Tage Haft, verhängt.«

»Was?, brüllte das alberne Büttner-Hannel, »ich werd jetze noch bestraft?«

»Sie haben sich hier anständig zu benehmen und meine Fragen zu beantworten. Ist das jetzt klar?«

»Hm«, gab die Zeugin von sich.

»Ich nehme an, das bedeutet: ja«, sagte die Vorsitzende.

Viel mehr hatte die Zeugin auch nicht beizutragen. Staatsanwalt und Verteidiger verzichteten auf eine Befragung.

Dann rief die Vorsitzende Fräulein Lilly Höschen auf. Freundlich lächelnd beantwortete diese die Fragen der Richterin. Sie erzählte, dass sie den Glasstein in Ritas Ring identifiziert hatte, dass sie sich Sorgen gemacht hatte, dass ihre Freundin etwas Unüberlegtes tun könne und dass sie die kaputte Scheibe in Augenschein genommen hatte. Dann machte der Staatsanwalt den Fehler, Lilly zu fragen, warum sie denn mit Rita Sauschläger befreundet sei.

Antwort: »Ich habe selten eine so dumme Frage gehört.«

»Oh, Sie halten mich also für dumm?«

»Da gibt es sicherlich noch Steigerungsmöglichkeiten.«

»Fräulein Höschen, bitte!«, mahnte die Richterin.

»Sagen wir es mal so«, formulierte Lilly, »wer dumme Fragen stellt, sollte nicht mit intelligenten Antworten rechnen.«

Es gab ein Hin und Her zwischen Lilly und dem Staatsanwalt. Irgendwann riss Lilly der Geduldsfaden und sie sagte: »Für Leute wie Sie, die sich nicht an der Sache orientieren, sondern Zeugen das Wort im Mund umdrehen, gibt es einen ganz speziellen Ausdruck.«

»Und der wäre?«

»Arsch mit Ohren.«

Jetzt haute die Richterin mit der flachen Hand auf den Tisch. »Es ergeht folgender Beschluss: Gegen Fräulein Lilly Höschen wird ein Ordnungsgeld von hundert Euro, ersatzweise zwei Tage Haft, erhoben.«

»Ich hätte da mal eine Frage«, sagte Lilly. »Wie hoch wäre das Ordnungsgeld für einen Arsch ohne Ohren?«

»Ich erhöhe das Ordnungsgeld auf hundertfünfzig Euro, ersatzweise drei Tage Haft.«

Da Lilly immer das letzte Wort haben musste, sagte sie: »Ich glaube, ich nehme die Haft. Ich wollte schon immer mal wissen, wie es im Frauenknast zugeht.«

Das Publikum brach in Gelächter aus. Der Staatsanwalt hatte keine weiteren Fragen, der Verteidiger auch nicht.

Die Vorsitzende sagte: »Sie sind entlassen, Fräulein Höschen.«

Die Richterin atmete tief durch und sagte: »Herr Staatsanwalt, ich bitte um Ihren Antrag.«

»Hohes Gericht, Herr Verteidiger, ich mache es kurz. Die Angeklagte ist eine Serientäterin, die schon diverse Strafbefehle wegen Beleidigung kassiert hat. Sie hat sich nicht im Griff. Nun kommt noch schwere Sachbeschädigung dazu. Sie muss einfach merken, dass es so nicht geht. Ich beantrage daher eine Freiheitsstrafe von vier Monaten, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann.«

Dann stellte Amadeus seinen Antrag: »Hohes Gericht, Herr Staatsanwalt, in meiner juristischen Laufbahn habe ich mir selten einen so dürftigen Antrag anhören müssen. Meine Mandantin stand noch nie vor Gericht. Dass sich Menschen beleidigt fühlen, wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert werden, soll vorkommen. Dass Sprache und Ausdrucksweise als beleidigend empfunden werden können, versteht sich von selbst. Nun hat meine Mandantin, die auf das Übelste betrogen wurde, eine Sachbeschädigung begangen. Gut, dafür wird sie geradestehen. Aber sie deshalb ins Gefängnis zu stecken, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Ich beantrage, meine Mandantin zu einer Strafe von fünfzig Tagessätzen von je 25 Euro zu verurteilen.«



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