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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Alexander von Schoenecker sah seinen Sohn lachend an. »Sieh einer an, Sascha, wir glauben, dass du in Heidelberg bist und studierst, statt dessen fährst du in der Weltgeschichte herum.« »Aber Vati!« Der zwanzigjährige Sascha sah seinen Vater ein wenig vorwurfsvoll an. »Du scheinst jetzt auf einmal deine eigene Studienzeit vergessen zu haben. Ich erinnere mich aber sehr gut an das, was du mir einmal erzählt hast. Du hast recht oft vom Blaumachen gesprochen.« Denise von Schoenecker stieß ihren Mann an. »Siehst du, Alexander, man soll den Kindern nie viel erzählen. Bei Henrik werden wir vorsichtiger sein.« Alexander von Schoenecker hob die Schultern. »Das war ja auch kein ernst gemeinter Vorwurf. Ich habe mich nur gewundert, dass Sascha mehrere Tage in Seewiesen war.« »Ganz einfach, Vati«, erwiderte Sascha. »Ich habe einen Kommilitonen, der aus dem schönen Kurort Seewiesen stammt. Er hatte Michael Langenbach und mich über das Wochenende zu sich nach Hause eingeladen. Und jetzt haben wir eben noch den Abstecher zu euch gemacht. Eigentlich aus einem besonderen Grund.« Saschas schmales Gesicht wurde ernst.
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Seitenzahl: 159
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Alexander von Schoenecker sah seinen Sohn lachend an. »Sieh einer an, Sascha, wir glauben, dass du in Heidelberg bist und studierst, statt dessen fährst du in der Weltgeschichte herum.«
»Aber Vati!« Der zwanzigjährige Sascha sah seinen Vater ein wenig vorwurfsvoll an. »Du scheinst jetzt auf einmal deine eigene Studienzeit vergessen zu haben. Ich erinnere mich aber sehr gut an das, was du mir einmal erzählt hast. Du hast recht oft vom Blaumachen gesprochen.«
Denise von Schoenecker stieß ihren Mann an. »Siehst du, Alexander, man soll den Kindern nie viel erzählen. Bei Henrik werden wir vorsichtiger sein.«
Alexander von Schoenecker hob die Schultern. »Das war ja auch kein ernst gemeinter Vorwurf. Ich habe mich nur gewundert, dass Sascha mehrere Tage in Seewiesen war.«
»Ganz einfach, Vati«, erwiderte Sascha. »Ich habe einen Kommilitonen, der aus dem schönen Kurort Seewiesen stammt. Er hatte Michael Langenbach und mich über das Wochenende zu sich nach Hause eingeladen. Und jetzt haben wir eben noch den Abstecher zu euch gemacht. Eigentlich aus einem besonderen Grund.« Saschas schmales Gesicht wurde ernst. Er sah jetzt Denise an. »Mutti, ich glaube, ich habe einen Schützling für Sophienlust gefunden.«
Alexander von Schoenecker seufzte. »Als ob Mutti ihre Schützlinge erst suchen müsste. Ich glaube, in Sophienlust ist wieder einmal das letzte Bett belegt.«
Denise winkte ab. »So weit kommt es selten, Alexander. Für Notfälle haben wir immer noch einen Platz.«
Alexander von Schoenecker legte den Arm um seine Frau. »Ich weiß, Denise, du würdest auch unsere Betten noch zur Verfügung stellen, wenn es sein müsste. Ich habe ja auch nichts dagegen, dass du hilfst, sooft es möglich ist.«
»Dann lass Sascha jetzt erzählen, Alexander«, bat Denise.
Sascha sah die Mutter dankbar an. »Ja, ich muss es endlich loswerden. Wir waren in Seewiesen einige Male im Hotel ›Regina‹. Dort gab es nämlich eine besonders gute Band, die zum Tanz aufspielte. Mein Kommilitone Hans kennt die Inhaberin dieses Hotels. Sie ist so alt wie er: ganze zweiundzwanzig Jahre.«
»Donnerwetter!«, entfuhr es Alexander von Schoenecker. »Ein jugendliches Alter für eine Hotelbesitzerin.«
»Ja«, bestätigte Sascha, »aber so freiwillig ist Elisabeth Winkler – so heißt das Mädchen – nicht Hotelbesitzerin geworden. Ihre Eltern sind vor Kurzem tödlich verunglückt. Dadurch war Elisabeth gezwungen, das Hotel nun selbst weiterzuführen. Aber zunächst ist sie wohl vor allem damit beschäftigt, den Besitz zu erhalten. Er soll stark verschuldet sein. Elisabeth Winkler hat große Sorgen. Vor allem auch dadurch, dass sie noch eine sechsjährige Schwester hat. Ein ganz liebes blondes Mädchen. Wirklich, Mutti, allein der Anblick der kleinen Marietta erschüttert einen. Sie geht ganz verloren umher, spielt mit den anderen Kindern nicht mehr und scheint den Tod der Eltern nicht verwinden zu können. Ihre Schwester Elisabeth kann sich durch den Hotelbetrieb viel zu wenig um sie kümmern. Deshalb meine ich, Marietta täte es gut, für einige Wochen in Sophienlust sein zu können. Bei anderen Kindern.«
»Meinst du denn, dass sich Elisabeth Winkler von der kleinen Schwester trennen würde?«, fragte Denise.
»Zunächst sah das nicht so aus. Als ich ihr aber von Sophienlust erzählte, davon, wie unsere Kinder leben und wie gut sie betreut werden, leuchteten ihre Augen auf. Sie sagte: ›Ja, das würde ich Marietta wünschen. Vielleicht könnte sie dann leichter vergessen.‹ Weißt du, Mutti, ich bin der Meinung, du solltest einmal nach Seewiesen fahren und mit Elisabeth Winkler sprechen. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ich das tue. Schau, ich bin jetzt eigens nach Hause gekommen, um dir von Marietta zu erzählen. Ich kümmere mich sonst nicht so sehr um Kinder, aber das kleine Mädchen ist mir aufgefallen. Übrigens hat Marietta ein Eichhörnchen. Es heißt Tuck und ist zahm wie ein Haustier. Elisabeth Winkler erzählte mir, dass ihr Vater das Eichhörnchen einst gefunden habe. Es war damals verletzt und noch ganz jung. Deshalb hat es sich wohl so gut eingelebt.«
»Ach so, und du meinst, mit dem Eichhörnchen bekäme deine Schwester Andrea wieder einmal Zuwachs für ihr Tierheim«, warf Alexander von Schoenecker ein.
»Nein, Vati, das glaube ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Marietta von ihrem Tuck trennt. Die beiden sind auf Schritt und Tritt beisammen. Ich habe Marietta nie ohne das Eichhörnchen gesehen. Ihm scheint all ihre Liebe zu gehören.«
»Warum sollte Marietta das Eichhörnchen nicht auch in Sophienlust behalten dürfen? Wenn es zahm ist und nicht zu viel anstellt, können wir es doch ertragen. Für unsere Kinder wäre das einmal etwas neues.« Denise lächelte. »Ein Eichhörnchen fehlt uns noch in unserer Sammlung.«
Alexander von Schoenecker sah seine Frau von der Seite her an. »Das heißt also, dass du nach Seewiesen fahren willst, Denise?«
»Das werde ich wohl tun müssen, Alexander, wenn Sascha die kleine Marietta so am Herzen liegt. Kommst du mit, Alexander? Ich meine, wir könnten uns auch wieder einmal zwei oder drei Tage Urlaub nehmen.
»Ja, der Meinung bin ich auch, Denise. Was unser Sohn sich leisten kann, steht auch uns zu.« Alexander von Schoenecker erhob sich und blinzelte Sascha vergnügt zu. »Ich muss jetzt aufs Gut hinüber. Ihr werdet euch sicher noch länger unterhalten wollen. Tut das ruhig mal. Viel Gelegenheit dazu bietet sich ja nicht, seitdem du in Heidelberg bist. Ich werde zusehen, dass ich bald zurückkommen kann.«
*
Das Hotel »Regina« in Seewiesen war ein alter, sehr repräsentativer Fachwerkbau. Doch es hatte modern eingerichtete Fremdenzimmer, gediegene Aufenthaltsräume und war bekannt für seine gute Küche. Zum Hotel gehörten eine Liegewiese, ein Schwimmbad und ein Fischweiher.
Dieses Schwimmbad war kurz vor dem Tod des Ehepaares Winkler der Anstoß dazu gewesen, dass eine alte Feindschaft sich von neuem entzündet hatte.
Das Nachbarhotel »Hohenstaufen« gehörte der Familie Balthoff. Oder besser – Herma Balthoff. Die zweiundfünfzigjährige Hoteliersfrau führte seit dem Tod ihres Mannes den Betrieb allein. Obwohl sie bereits einen sechsundzwanzigjährigen Sohn hatte, der überall als besonders tüchtig bekannt war, gab sie das Zepter nicht aus der Hand.
Zwischen den Balthoffs und den Winklers hatte es schon immer kleine Zwistigkeiten gegeben, die meistens auf Konkurrenzneid fußten. Doch seitdem Friedrich Winkler das Schwimmbad gebaut hatte, war Herma Balthoff besonders neidisch. Denn sie hatte inzwischen zu oft erleben müssen, dass Gäste es vorzogen, wegen des Schwimmbades im Hotel »Regina« zu wohnen.
Eigentlich hätte sich Herma Balthoff deshalb keine grauen Haare wachsen lassen müssen. Sie war sehr vermögend und stand ohne jegliche Schulden da. Auch ihr Geschäft florierte. Aber Herma Balthoff war eine herrschsüchtige Frau – in der Familie, ihren Angestellten gegenüber und auch, wenn es darum ging, das beste Hotel im Ort zu haben.
Friedrich Winkler hatte sich mit all den Neuerungen in seinem Hotel und durch den Bau des Schwimmbades in Schulden stürzen müssen. Aber ihm war trotzdem nicht bange gewesen, denn er hatte ja damit rechnen können, dass das Schwimmbad das Geschäft fördern und dass ihm die Rückzahlung der Hypotheken damit ein leichtes sein würde.
Aber der Tod hatte einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Elisabeth Winkler hatte das Hotel mit zweiundzwanzig Jahren übernehmen müssen, da sie es nicht hatte verkaufen wollen. Das hätte ihr widerstrebt. Zum einen hatten ihre Eltern das Hotel aufgebaut, zum anderen war Elisabeth darin groß geworden. Sie hatte auch die Hotelfachschule besucht und konnte sich zutrauen, das elterliche Unternehmen weiterzuführen.
Doch das wurde ihr nicht nur durch die Belastungen schwergemacht, sondern vor allem durch die Intrigen Herma Balthoffs. Elisabeths Feindin hatte nach dem Tod des Ehepaares Winkler Morgenluft gewittert. Zu gern hätte sie das Hotel »Regina« mit ihrem Hotel »Hohenstaufen« vereinigt. Es wäre ihr auch nicht schwergefallen, das Geld für das Hotel »Regina« auf den Tisch zu legen. Aber Elisabeth Winkler hatte abgelehnt.
Seither war Herma Balthoff Elisabeths eingeschworene Feindin. Es gab genug Leute im Ort, die wussten, dass Herma Balthoff gesagt hatte, früher oder später würde sie doch noch in den Besitz des Hotels »Regina« kommen.
Elisabeth hätte diese Drohungen nicht so sehr gefürchtet, wenn Herma Balthoff nicht die Mutter des Mannes gewesen wäre, den sie liebte.
Seit Langem schon traf sich Elisabeth heimlich mit Jost Balthoff.
Auch heute standen die beiden am späten Abend hinter einem Gebüsch am Fischweiher. Jost hatte diesmal lange auf Elisabeth warten müssen, weil es ihr nicht möglich gewesen war, das Hotel früher zu verlassen.
Jetzt zog Jost das hübsche, braunhaarige Mädchen an sich. »So kann es doch zwischen uns nicht weitergehen, Elisabeth. Wir müssen endlich Farbe bekennen. Ich bin es leid, mich mit dir immer so verstohlen treffen zu müssen.«
Das Licht aus den Fenstern des Hotels fiel bis zum Fischweiher. Elisabeth konnte Josts Gesicht deutlich erkennen. Dieses dunkle, von der Sonne gebräunte Gesicht mit den grauen Augen und dem dunkelblonden vollen Haar.
Elisabeth lehnte sich an Jost. Sie war groß und schlank, aber er war noch einen Kopf größer als sie. Es tat ihr wohl, die Geborgenheit in seinen Armen zu spüren, und doch war sie unruhig. »Ich wünschte auch, dass wir uns zueinander bekennen könnten, Jost, aber wie sollen wir das machen? Deine Mutter wird nie erlauben, dass du mich zur Frau nimmst. Du tust immer so, als würdest du das vergessen. Aber du kennst doch deine Mutter am besten.«
»Ja, das ist wahr.« Josts Gesicht verfinsterte sich. »Ich verstehe meine Mutter einfach nicht. Sie könnte doch froh sein, dass sie eine so tüchtige Schwiegertochter wie dich kriegen soll. Aber nein, du darfst es nicht sein.«
»Ich weiß, woher ihre Abneigung gegen mich kommt, Jost. Meine Mutter hat es mir anvertraut. Deine Mutter hat meinen Vater sehr gern gehabt. Sie hat ihm nie verziehen, dass er sie nicht genommen hat. Aber er liebte eben meine Mutter.«
»Und mit der war er ja auch sehr glücklich, Elisabeth. Wenn ich daran denke, wie friedlich es bei euch zuging, sehne ich mich nach solch einem Familienleben. Bei uns war es nie so. Mein Vater hatte kein leichtes Leben. Mutter wollte ja auch ihn beherrschen. Wenn sie dann auf Granit biss, war der Teufel los. Aber reden wir nicht von diesen Dingen. Wir sollten uns lieber überlegen, was wir tun müssen. Ich bin längst großjährig. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich kann also auch heiraten. Aber wie soll das gehen, wenn ich meine Mutter allein lasse und ein Haus weiter mit dir lebe?«
»Das ist kein Weg, Jost.« Elisabeth kämpfte mit den Tränen. »Ich will nicht, dass du meinetwegen mit deiner Mutter brichst. Das würde sie erst recht erzürnen, und wir kämen aus dem Streit nicht heraus. Ich habe jetzt schon genug auszustehen, weil mir deine Mutter überall Steine in den Weg wirft. Aber das eine sollst du wissen, Jost, unser Hotel wird sie nicht bekommen. Wenn ich nur diesen Sommer überstehen kann, dann werde ich es schon etwas leichter haben. Hoffentlich bleibt das Wetter so gut. Dann ist das Hotel immer voll besetzt. Ich sitze jeden Abend in meinem Zimmer und rechne.«
Jost seufzte. »Ich sehe dann immer das Licht in deinem Zimmer. Weißt du, wie mir dann zumute ist? Ich möchte dann am liebsten zu dir laufen und dir helfen. Es ist doch ein Widersinn, dass du deine Sorgen mit Klaus Rauscher besprechen musst, ich dir aber nicht beistehen kann. Ich verstehe doch auch genug vom Geschäft.« Josts Stimme klang aufgebracht.
»Klaus Rauscher ist nun mal unser Hoteldirektor, Jost. Hätte mein Vater nicht einen dreijährigen Vertrag mit ihm abgeschlossen, wäre mir allerdings wohler. Ich glaube nämlich, dass ich auch ohne Direktor auskommen könnte. Das hohe Gehalt für Klaus Rauscher würde ich gern sparen. Aber ich bin gezwungen zu warten, bis der Vertrag abgelaufen ist.«
»Und das dauert noch ein ganzes Jahr, Elisabeth. Vielleicht das entscheidende Jahr in deinen Sorgen. Aber ich weiß auch nicht, wie du diesen Mann loswerden könntest. Ich selbst kann ihn absolut nicht ausstehen. Abgesehen davon, dass er so gut bezahlt werden muss, stört mich seine Art. Er ist noch nicht einmal vierzig, aber er benimmt sich, als gäbe es keinen Hotelfachmann, der erfahrener wäre als er. Und wie er sich dir gegenüber verhält, das regt mich am meisten auf.«
Elisabeth versuchte Jost zu beschwichtigen. »Damit tust du ihm vielleicht doch unrecht, Jost. Gut, er hat eine etwas herausfordernde Art, aber ich lasse mir von ihm nichts vormachen. Sowenig mir das an sich liegt, aber ihm gegenüber muss ich herauskehren, wer der Herr im Hotel ist.« Jetzt lachte Elisabeth zum ersten Mal an diesem Abend. »Ich weiß, dass Klaus Rauscher sonst alles an sich reißen würde. Aber er ist beim Personal nicht sonderlich beliebt. Ich glaube, Vater hatte es auch schon bereut, diesen Mann eingestellt zu haben.« Elisabeth ging ein paar Schritte weiter. »Komm, gehen wir noch ein Stückchen um den Weiher herum, Jost. Und lass uns nun von etwas anderem reden. Mit dem Geschäft muss ich mich den ganzen Tag beschäftigen.«
Jost legte den Arm um Elisabeths Schultern. So spazierten sie den schmalenWeg am Weiher entlang. Doch schon nach einer Viertelstunde sah Elisabeth zum Hotel zurück. Sie werden mich vermissen, Jost. Ich muss zurück. Marietta wird sicher schon auf mich warten.«
»Aber Elisabeth, deine Schwester schläft doch sicher schon längst!« Jost wollte das geliebte Mädchen noch zurückhalten.
»Ich fürchte, sie wird nicht schlafen.« Elisabeths Stimme klang sehr bedrückt. »Schlimmer als die Geldsorgen ist der Kummer um Marietta. Wenn ich sie doch nur einmal wieder lachen sehen könnte!«
»Das wird sie sicher bald wieder tun, Elisabeth«, tröstete Jost. »Seit dem Tod deiner Eltern ist noch zu wenig Zeit vergangen.«
»Das denke ich auch immer, aber dann kommt wieder die große Angst über mich, Marietta könnte für alle Zeit Schaden genommen haben. Sie ist verstört und nicht wiederzuerkennen. Wenn sie wenigstens von unseren Eltern sprechen würde, aber sie vermeidet es. Wenn sie mich dann mit ihren blauen Augen so traurig ansieht, möchte ich am liebsten mitweinen. Dieses furchtbare Unglück hätte nicht passieren dürfen. Ich selbst komme mir auch oft vor, als sei ich plötzlich eine andere geworden. Manches tue ich wie unter Zwang, immer mit der Angst im Rücken, es doch falsch zu machen.«
Jost brauchte geraume Zeit, bis Elisabeth wieder Mut gefasst hatte. Als sich die beiden voneinander verabschiedeten, wussten sie nicht, wann es ihnen wieder gelingen würde, sich irgendwo heimlich zu treffen.
Elisabeth betrat das Hotel »Regina« durch eine Hintertür. Sie hoffte, dass niemand sie beobachtet hatte. Doch auf der Terrasse stand, im Schutz von Ziersträuchern, ein Mann. Es war der Hoteldirektor Klaus Rauscher. Er hatte beobachtet, dass Elisabeth verstohlen das Hotel verlassen hatte und deshalb seinen Posten bezogen.
Klaus Rauscher interessierte es brennend, was seine junge Chefin tat. Er wusste, dass sie mit Jost Balthoff mehr als befreundet war.
Jetzt zupfte Klaus Rauscher nervös an seinem schwarzen Lippenbärtchen und biss sich auf die Unterlippe. Es regte ihn auf, dass Elisabeth Winkler immer wieder eine Gelegenheit fand, sich mit Jost Balthoff zu treffen. Denn auch er wollte verhindern, dass die beiden jungen Menschen sich liebten. Sein einziger Trost war Herma Balthoff. Klaus Rauscher war überzeugt, sie würde nie zulassen, dass ihr Sohn Elisabeth heiratete. Eigentlich müsste ich ihr ein wenig beistehen, dieser Frau aus dem Hotel nebenan, dachte Klaus Rauscher jetzt. Schließlich habe ich ja dieselben Interessen wie sie.
Der Hoteldirektor blieb noch längere Zeit auf der Terrasse stehen. Als er endlich das Innere des Hotels betrat, hatte er einen Plan gefasst, der ihm schon seit Tagen vorgeschwebt war. Nun war er entschlossen, ihn zu verwirklichen. Sonst schafften es Elisabeth und Jost am Ende doch noch, Herma Balthoffs Widerstand zu brechen. Das aber durfte nicht geschehen.
*
Denise und Alexander von Schoenecker wurden im Hotel »Regina« sehr herzlich begrüßt. Elisabeth Winkler war es anzumerken, dass sie nicht ganz an Sascha von Schoeneckers Versprechen geglaubt hatte. Aber nun, da seine Mutter den Vorschlag machte, Marietta mit nach Sophienlust zu nehmen, musste Elisabeth eine Entscheidung treffen. »Ich wäre sehr dankbar dafür«, sagte sie leise. Doch in ihren dunkelbraunen Augen stand dabei Hilflosigkeit. »Aber ich habe Marietta noch gar nicht vorbereitet. Ich weiß nicht, ob sie damit einverstanden sein wird. Ich wollte sie nicht in Unruhe versetzen, bevor ich nicht wusste, ob Sie mir wirklich so entgegenkommen werden, Frau von Schoenecker.«
»Ich verstehe Sie, Frau Winkler. Vielleicht kann ich mich mit Marietta erst ein wenig anfreunden. Mein Mann und ich haben vor, drei Tage in Ihrem Hotel zu bleiben.« In ihrer ruhigen, entgegenkommenden Art, verstand es Denise von Schoenecker, Elisabeth zu beruhigen.
Wenig später stellte Elisabeth ihre Besucher Marietta vor.
Denise und Alexander sahen einander kurz an. Sascha hatte nicht zu viel gesagt. Marietta war ein reizendes Mädchen. Langes blondes Haar fiel ihr glatt bis auf die Schultern herab. Auf der Stirn war das Haar zu einem Pony geschnitten. Dadurch umrahmte es das ganze Gesicht. Und dieses Gesicht wirkte versonnen, verträumt und voller Wehmut. Das drückten besonders auch die blauen Augen aus. Der Anblick dieses ernsten Kindes musste jedem ans Herz greifen. Um wie viel mehr noch Denise, die kein Kind leiden sehen konnte. Sie verstand nun, dass sich Elisabeth Winkler Sorgen um die kleine Schwester machte.
Alexander von Schoenecker zeigte auf einen Beutel, den Marietta am Arm hängen hatte. »Sag mal, Marietta, ist dein Eichhörnchen wirklich so zahm, dass du es in der Tasche spazieren tragen kannst?«
Marietta nickte. Sie hob den Stoffbeutel hoch. Er war oben ein wenig zusammengezogen. Durch die kleine Öffnung steckte das Eichhörnchen seinen Kopf. Die schwarzen vorstehenden Augen kullerten. Doch jetzt schoben sich auch die Vorderpfötchen aus der Tasche heraus, und dann hatte sich das Eichhörnchen mit einem Sprung befreit. Es landete mit einem kühnen Satz auf Mariettas Schulter, als wollte es beweisen, wie zahm es war.
»Tuck, mein Tuck«, lockte Marietta und drehte den Kopf zur Seite. Das Eichhörnchen schob sich noch ein Stückchen vor, als wollte es in die Augen des Kindes sehen. Das wirkte so possierlich, dass alle lachen mussten.
»Ja«, sagte Elisabeth und legte den Arm um die Schwester, »Marietta und Tuck sind die dicksten Freunde. Sie würden sich nie voneinander trennen.«
Denise benutzte diese Gelegenheit sofort, Marietta mit dem Kinderheim Sophienlust vertraut zu machen. Sie erzählte, wie sehr die Kinder dort Tiere liebten und dass sie sie auch zu ihren Spielkameraden gemacht hätten.
Aber erst als Denise von dem Tierheim »Waldi & Co.« erzählte, horchte Marietta auf. Dass es dort Hunde, Katzen, Füchse, einen Esel, ja sogar eine Bärenmutter mit zwei Jungen und Schimpansen gab, schien sie zunächst nicht glauben zu wollen. Erst als sich Alexander von Schoenecker einmischte und mehrere lustige Streiche der Tiere von »Waldi & Co.« zum Besten gab, lächelte Marietta ein wenig.
Doch es dauerte noch einen ganzen Tag, bis das kleine Mädchen etwas zutraulicher wurde. Erst danach wagte Elisabeth ein Gespräch wegen Sophienlust. Sie malte Marietta aus, dass sie es in dem Kinderheim viel schöner haben würde, dass sie dort Spielgefährten finden und geborgener leben würde als hier im Hotel.
»Marietta, für einige Wochen vielleicht, bis es bei uns ein wenig ruhiger geworden ist, bis ich mehr Zeit für dich habe«, bat Elisabeth schließlich. »Ich werde dich am Wochenende sicher mal besuchen können, oder jemand bringt dich zu mir. Nächstes Jahr musst du zur Schule gehen. Dann kannst du nicht mehr für längere Zeit aus Seewiesen fort.«