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Das einfache Leben von Richarda Traßberg wird ganz schön durcheinander gewirbelt, als sich ein Nachlassverwalter bei der jungen Frau meldet. Sie wurde als Erbin von Gut Herrenfelde in einem Testament eingesetzt. Die ganze Sache hat nur einen Haken, der Nachlass ist mit einer besonderen Auflage verbunden. Um das Erbe antreten zu können, muss Richarda innerhalb eines Jahres heiraten...-
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Seitenzahl: 221
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Mein liebes Mädel
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1925, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950304
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Hallo, kleiner Famulus! Wir haben wohl geträumt und ganz vergessen, dass noch ein Posten Arbeit zu erledigen ist? Das ist ja etwas ganz Neues!“
Richarda Trassberg blieb reglos in ihrer verträumten Pose. „Wecken Sie mich nicht, Herr Professor — ich träume gerade so schön,“ sagte sie leise. Kopfschüttelnd sah Professor Marx die junge Dame an.
„Träumen — am hellen Vormittag? Was ist Ihnen denn?“ Sie strich langsam über ihre Stirn und zwang sich in die Wirklichkeit zurück. „Verzeihen Sie, Herr Professor, aber ich war heute wirklich nicht imstande, meine Pflicht zu erfüllen.“
„Sie sind doch hoffentlich nicht krank, kleiner Famulus?“
„Nein, nein, aber so ziemlich aus dem Gleichgewicht.“
Forschend sah Professor Marx seine sonst so pflichttreue Gehilfin an, die ihn bei all seinen Experimenten im landwirtschaftlichen Institut und im Laboratorium hilfreiche Hand leistete und ihm ausserdem noch als Sekretärin eine Menge Arbeit abnahm.
Professor Marx war der bedeutendste Lehrer an der landwirtschaftlichen Hochschule in Halle, und sein Hauptfach war Agrikulturchemie. Richardas Vater hatte an der gleichen Hochschule einen Lehrstuhl innegehabt und war sein Freund gewesen. Als Professor Trassberg starb, hinterliess er seine Frau und seine einzige Tochter in ziemlich bedrängter Lage. Richarda hatte Landwirtschaft studieren wollen, kam aber nur nicht weiter, weil sie keine Mittel besass und weil ihre schwer leidend gewordene Mutter ihrer Pflege bedurfte. Der Zustand ihrer Mutter war hoffnungslos. Die wenigen Spargroschen verschlang ihre Krankheit, und als sie einige Jahre nach ihrem Gatten starb, blieb Richarda völlig mittellos zurück.
Aber sie war eine tapfere unerschrockene Natur und nahm den Lebenskampf auf. In dieser Zeit fügte es sich, dass Professor Marx seinen Assistenten verlor. Da ging Richarda zu ihm.
„Was Ihr Assistent leistete, kann ich auch leisten, Herr Professor, ich habe Vater so viel geholfen und mich fleissig weitergebildet. Auch kann ich Ihnen als Sekretärin dienen. Und was ich nicht kann, werde ich schnell dazu lernen. Wollen Sie es nicht mit mir versuchen?“
Und er war froh, etwas für die verwaiste Tochter seines Freundes tun zu können, ohne ihr ein Almosen anbieten zu müssen.
„Gut — es gilt. Aber Sie müssen in mein Haus übersiedeln, denn ich brauche Sie zu den verschiedensten Zeiten und muss Sie immer bei der Hand haben.“
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, er wollte Richarda nur in den Schutz seines Hauses nehmen, da er wusste, dass sie sogar die letzten Möbel verpfändet hatte, um die Begräbniskosten für die Mutter zu bezahlen, und nun in einer billigen Garniwohnung hausen musste.
„Das ist mir eher eine Wohltat, als ein Zwang, Herr Professor.“
„Abgemacht — ich sage meiner Schwester noch heute Bescheid, damit sie Ihnen ein Zimmer vorrichten lässt. Morgen vormittag um zehn Uhr erwarte ich Sie.“
Und am nächsten Morgen hatte Richarda Trassberg ihren Einzug in die hübsche Villa des vermögenden Professors gehalten, die er, ein Junggeselle, nur mit seiner Schwester bewohnte.
Und frohen Mutes und unverzagt hatte Richarda ihr neues Amt angetreten und es bisher zur höchsten Zufriedenheit des Professors bekleidet. Seit zwei Jahren war sie der „kleine Famulus“ des Professors.
Sie hatte freie Station in seinem Hause und bezog ein festes Gehalt, das es ihr ermöglichte, ihre bescheidenen Bedürfnisse zu bestreiten, und sie war über die Massen froh, dass sie ihr Brot verdienen und nützen und schaffen konnte. Hatte der Professor einmal nichts für sie zu tun, dann half sie „Fräulein Settchen“, seiner Schwester, im Haushalt, wobei sie sich keiner Arbeit scheute. Wenn Fräulein Settchen Dienstbotennot hatte, was bei ihrem temperamentvollen Naturell nur zu oft geschah, trat Richarda lachend und begütigend in Aktion und schaffte im Handumdrehen Ordnung und Behagen, bis eine neue Perle angelernt war.
So fungierte sie auch als guter Hausgeist, und Professor Marx sagte oft genug: „Wenn wir Sie nicht hätten, kleiner Famulus!“
Richarda hatte kaum Zeit gehabt, sich der Trauer um ihre verstorbene Mutter hinzugeben, die sie sehr geliebt hatte. Ihr grosses Arbeitspensum lenkte sie wohltätig ab. Und da sie von Natur ein froher zielbewusster. Mensch war, kämpfte sie sich bald wieder zu Heiterkeit und freudiger Lebensbejahung durch und gab dem alternden Geschwisterpaar von ihrer lebensfreudigen Jugend so viel ab, dass es seine Herzen daran wärmen konnte. Alles, was ihr der Professor auftrug, erledigte sie zu seiner vollsten Zufriedenheit, war stets mit ganzer Seele bei seiner Arbeit und feuerte ihn gleichsam zu neuen Taten an.
Und darum war es ihm heute etwas ganz Ungewohntes, dass er nicht schon alles, zu seinen Experimenten Nötige, vorbereitet fand, dass sein kleiner Famulus ihn nicht mit frohem Lachen, sondern in träumerisches Sinnen verloren empfing.
„Also aus dem Gleichgewicht? Gibt es das bei Ihnen i auch? Was ist denn Weltbewegendes geschehen? Denn Kleinigkeiten pflegen Sie nicht zu irritieren.“
Sie strich, sich aufatmend das üppige Haar aus der Stirn, das wie flüssiges Kupfer aufleuchtete.
„Etwas sehr Schnurriges ist geschehen, Herr Professor,“ suchte sie zu scherzen.
„Etwas Schnurriges?“
Ein kleines, vor Erregung halbersticktes Lachen rang sich über ihre Lippen. „Ich meine etwas ganz Seltsames, Aussergewöhnliches.“
Er schüttelte den Kopf. „Na, nun reden Sie doch mal vernünftig, wie es sonst Ihre Art ist.“
Sie nahm sich zusammen. „Also — als ich heute morgen Ihr Haus verliess, um ins Laboratorium zu gehen, traf ich den Postboten. Er brachte ein Schreiben an mich — ein eingeschriebenes, von seltsam würdevollem Aussehen. Amtlich und offiziell sah es aus. Ich musste darüber quittieren und kam mir dabei schon sehr wichtig vor. Wer in aller Welt hatte mir etwas zu schreiben? Von Neugier geplagt eilte ich hierher. Aber ich nahm mir fest vor, erst alles fertigzumachen, damit Sie alles in Ordnung fänden, ehe ich das Schreiben öffnete.
Mit diesem festen Vorsatz trat ich über die Schwelle. Aber das geheimnisvolle Schreiben hatte es in sich — es zog all meine Gedanken an wie ein Magnet, zog sie ab von Retorten, Reagenzgläsern und Mikroskopen, die mir doch sonst so wichtige Dinge sind. Kurzum — ich konnte nicht dagegen ankommen, ich musste das gewichtige Schreiben öffnen und einen Blick hineintun. Und als das geschehen war — da tanzte das ganze Zimmer einen wilden schnurrigen Reigen um mich, und ich sank in diesen Sessel, aller Kraft beraubt — und da sitze ich noch.“
„Und darf ich nun endlich wissen, was Sie so aus den Fugen gebracht hat?“ fragte der Professor halb lachend, halb ärgerlich.
Richarda musste lachen. Und dann sprang sie auf. „Natürlich — Sie sollen es zuerst erfahren. Wie Sie mich hier sehen, bin ich plötzlich zu einer reichen Erbin avanciert. Ich habe die Nachricht erhalten, dass mich ein mir völlig fremder Herr, Sebastian Kranach, zu seiner Universalerbin eingesetzt hat — das heisst, er hat mir ein in Thüringen gelegenes grosses Gut mit ausgedehnten Forsten, einer eigenen Konservenfabrik und allem Zubehör, und ausserdem noch ein beträchtliches Barvermögen hinterlassen.“
„Alle Wetter!“ rief der Professor, „nun kann ich mir freilich erklären, dass mit dieser Eröffnung das ganze Laboratorium vor Ihren versank. Ist das aber auch kein Irrtum?“
Sie atmete gepresst. „Nicht wahr — ich bin doch Magdalena Richarda Trassberg, Tochter des Professors Richard Georg Trassberg und seiner Ehefrau Katharina, geborene Halm?“ fragte sie noch ganz benommen.
„Ja, ja, darüber kann ich Sie beruhigen, das sind Sie gewiss.“
„Nun also — dann bin ich auch die Erbin Sebastian Kranachs.“
„Aber wer ist denn dieser Herr? Oder wer war er — da er doch anscheinend tot ist?“
„Ich habe nie etwas von ihm gehört.“
„Und trotzdem setzt er Sie zu seiner Erbin ein?“
„Ja — trotzdem. Aber das ist noch nicht alles, er stellt mir auch noch drei Freier zur Verfügung — drei, Herr Professor, von denen ich mir einen auswählen soll.“
Der Professor blickte plötzlich besorgt in Richardas Gesicht. „Kind — Sie sind doch hoffentlich nicht krank?“
Sie lachte hellauf. „Nicht wahr — Sie glauben, ich spinne? Aber nein, ich bin ganz klar im Kopfe, wenn ich auch erklärlicherweise etwas aus den Fugen geraten bin. Bedenken Sie nur, ich, das arme einsame Mädel, das von Ihrer Güte abhängt, das in Ihrem Hause eine Zuflucht fand vor der krassen Not des Lebens, ich, die ich es für selbstverständlich ansehen musste, dass ich als einsame alte Jungfer mein Leben beschliessen würde, weil so eine arme Kirchenmaus doch von keinem Manne heimgeführt wird — ich soll jetzt mit einem Schlage eine reiche Gutsbesitzerin werden und die Auswahl unter den drei Freiern haben — unter dreien, Herr Professor. Ist das nicht überwältigend?“
Und der sprudelnde Frohsinn ihres Naturells brach sich nun wieder Bahn durch ihre Benommenheit.
Noch immer ein wenig besorgt sah der Professor in ihr lachendes Gesicht. „Kind, ich bin mindestens so benommen, wie Sie es waren. Ich verstehe das alles noch nicht.“
„Offen gesagt — ich auch nicht. Nur so viel weiss ich — dass ich das alles hier schwarz, auf weiss, habe mit amtlichen Stempeln und so. Wenn Sie noch ein Weilchen Ihrer kostbaren Zeit opfern wollten, dann würde ich Sie bitten, alles selbst zu lesen — aber bitte laut, damit ich es von einer menschlichen Stimme höre und mich überzeugen kann, dass ich recht gelesen habe.“
„Nun, soviel Zeit muss werden, kleiner Famulus. Ich bin selbst sehr — wissbegierig. Wenn sich da nur nicht jemand einen dummen Scherz gemacht hat.“
Sie zuckte hilflos die Achseln. „Darauf kam ich auch — aber es sind ja amtliche Stempel, und der des Notars und seine Firma steht auch auf dem Briefbogen. Das sind doch alles Garantiert. Also bitte, wollen Sie die Güte haben. Da — zuerst dieses grosse, ehrfürchtig amtlich aussehende Schreiben des Notars, dann die Testamentsabschrift und zuletzt dieser sonderbare Brief des Herrn Sebastian Kranach an mich.“
Der Professor legte diese drei Schreiben in der richtigen Reihenfolge vor sich hin und las das erste:
„Sehr geehrtes gnädiges Fräulein! Herr Sebastian Kranach auf Herrenfelde bei K… in Thüringen hat Sie zu seiner Universalerbin eingesetzt. Ich lege Ihnen eine beglaubigte Abschrift des Testamentes bei und bitte ergebenst um Ihre Erklärung, ob Sie gesonnen sind, das Erbe anzutreten und die Ihnen in diesem Falle auferlegten Bedingungen zu erfüllen. Ausser der Testamentsabschrift lege ich Ihnen im Original den versiegelten Brief des Herrn Sebastian Kranach bei, von dem im Testament die Rede ist. Ihrer baldigen Antwort entgegensehend, empfehle ich mich Ihnen Hochachtungsvoll ergeben Justizrat Dr. Seltmann, Rechtsanwalt und Notar.“
Richarda nickte, als der Professor das vorgelesen hatte.
„Und nun bitte die Testamentsabschrift, Herr. Professor.“
Dieser nahm das zweite Schreiben auf, und zwar mit allen Anzeichen der Erregung, und las:
„Mein letzter Wille. Zu meiner Universalerbin über meinen gesamten Nachlass, mit Ausnahme einiger Legate, die nachstehend näher bezeichnet werden, setze ich Fräulein Magdalena Richarda Trassberg, Tochter des verstorbenen Professors an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Halle a. d. S. Richard Georg Trassberg und seiner ebenfalls verstorbenen Ehefrau Katharina geborene Halm, ein.
Zu meinem Nachlass gehört meine Besitzung Herrenfelde mit sämtlichem lebendem und totem Inventar, mit den gesamten Forsten nebst Forsthaus und mit der vor vier Jahren erbauten und in Betrieb gesetzten Konservenfabrik. Dies alles ist völlig schuldenfreier Besitz. Auch alles, was sich im Herrenhaus zu Herrenfelde an Kunstgegenständen, Schmucksachen und andern Werten befindet, geht an meine Erbin über. Desgleichen soll mein auf der Deutschen Bank deponiertes und in Wertpapieren angelegtes Vermögen meiner Universalerbin zugehören. Ausgenommen davon sind nur folgende Legate:
Meine Haushästerin Amalie Wesemann erhält dreissigtausend Mark.
Mein langjähriger Diener Justus Gerlach erhält ebenfalls dreissigtausend Mark.
Die übrige Dienerschaft des Hauses erhält je einen Jahresgehalt extra ausbezahlt.
Alles übrige geht unbeschränkt in den Besitz meiner Universalerbin über — unter folgender Bedingung:
Ich habe in Erfahrung gebracht, dass diese meine Erbin eine tüchtige Persönlichkeit ist, trotz ihrer Jugend, aber sie ist ein Weib, und als solches nicht fähig, einem so grossen Besitz vorzustehen. Ich will aber, dass mein Besitz gut und richtig verwaltet, wird und will selbst bestimmen, wen ich für würdig halte, die Oberleitung über meinen Besitz in die Hand zu nehmen. Deshalb bestimme ich, dass meine Universalerbin einen der drei Männer, die ich ihr in Vorschlag bringe, zum Gatten erwählt und sich binnen Jahresfrist nach meinem Tode mit ihm vermählt.
Einer von den dreien muss es sein. Ich will nicht, dass mein Besitz an einen leichtsinnigen Windhund gerät, der nichts von der Sache versteht. Wenn Fräulein Richarda i Trassberg mein Erbe antreten will, muss sie einen dieser drei Männer heiraten — und wird gut dabei fahren, soviel ich von Menschen verstehe.
Spätestens vier Wochen nach meinem Tode soll Fräulein Richarda Trassberg erklären, ob sie unter dieser Bedingung mein Erbe antreten will. Weigert sie sich, diese Bedingung zu erfüllen, so fällt mein gesamter Besitz, mit Ausnahme der Legate an meine Dienerschaft, dem Fiskus zu, mit der Bedingung, dass die drei Männer, die ich Fräulein Richarda Trassberg zur Wahl stellte, auf Lebenszeit ihre Posten behalten, mit vollen Bezügen und Tantiemen, wie bisher. Auch wenn sie einen der drei Herren zum Manne wählt, sollen die beiden andern ihren Posten behalten, solange sie selbst nicht zurücktreten wollen. Diese drei Männer sind:
Herr Alfred Karl Heine, Direktor der Konservenfabrik Herrenfelde.
Herr Gerhard Rudolf Folkner, Verwalter von Herrenfelde.
Herr Fritz Herbert Stockmer, Forstmeister von Herrenfelde.
Ich hoffe, dass Fräulein Richarda Trassberg in der Vereinigung mit einem dieser Männer ihr Glück findet. Es sollte mir leid tun, wenn sie sich weigerte, diese Bestimmung zu erfüllen, wodurch sie des Erbes verlustig gehen würde. Der Grund, der mich veranlasste, sie zu meiner Universalerbin einzusetzen, ist in einem Schreiben enthalten, das ihr nach meinem Tode vom Justizrat Seltmann zugesandt wird.
Gegeben zu Herrenfelde, den 7. August 1920.
Heinrich Sebastian Kranach.“
Aufatmend sah der Professor von diesem Schreiben auf und faltete es bedächtig zusammen.
„Nun bin ich aber wirklich neugierig auf diesen Grund.“
„So lesen Sie bitte auch noch den Brief, Herr Professor“, bat Richarda.
Und Professor Marx machte sich interessiert auch an diese Lektüre:
„Fräulein Magdalena Richarda Trassberg!
Es wird Sie in Erstaunen setzen, dass ich, ein Ihnen völlig fremder Mensch, Sie zu meiner Universalerbin einsetze, und ich fühle mich verpflichtet, Ihnen eine Erklärung dafür zu geben. Ich tue es aus einem Gefühl der Dankbarkeit gegen Ihre verstorbene Mutter. Diese hat mir eines Tages, als der reiche Herr von Herrenfelde um ihre Hand anhielt, einen Korb gegeben — und somit hat sie mich vor einer unglücklichen Ehe bewahrt. Ihre Mutter zog es vor, einem armen Studenten die Treue zu bewahren, bis er sie heimführen konnte. Dass er ihr nur ein mühseliges sorgenvolles Dasein schaffen konnte, wissen Sie aus eigener Erfahrung. Aus der Ferne habe ich, weil ich nie diese eine Frau vergessen konnte, Anteil an ihrem sorgenvollen Dasein genommen. Sie hätte es besser haben können, hat es aber nicht gewollt. Ich weiss auch von Ihrer Existenz, Richarda Trassberg, und habe Sie zuweilen gesehen, ohne dass Sie es ahnten — und Sie werden von Jahr zu Jahr Ihrer Mutter ähnlicher. Deshalb sollen. Sie nach meinem Tode Herrin meines Besitzes sein, Sie sollen durch die Räume schreiten, die Ihre Mutter nicht bewohnen wollte.
Ich weiss viel über Sie, weiss, dass Sie tapfer mit einem schweren Schicksal kämpfen und Ihrer Mutter bis zum Tode freudig tausend Opfer brachten. Alles haben Sie hingegeben, um ihr Leiden erträglicher zu machen. Solange ich am Leben bin, darf ich Ihnen nicht helfen, aber — mein Leben währt nicht mehr lange — dann sollen Sie entschädigt werden. Von einem Toten dürfen Sie alles annehmen.
Ich weiss, dass Ihr Herz noch frei ist und dass Sie ein vernünftiges Frauenzimmer sind. Und unter den drei Männern, die ich Ihnen zur Wahl stelle, wird ja einer Gnade vor Ihren Augen finden. Wenn Sie klare Augen im Kopfe haben und ein wenig Menschenkenntnis, werden Sie sich den Besten von den dreien aussuchen — das ist mein Verwalter Rudolf Folkner. Ihn würde ich am liebsten an Ihrer Seite als Herrn von Herrenfelde sehen. Aber junge Mädchen haben in der Regel einen andern Geschmack als alte Männer — deshalb stelle ich Ihnen drei zur Wahl.
Und lassen Sie es sich wohl sein in Herrenfelde. Sorgen Sie dafür, dass meine alte Haushälterin, Amalie Wesemann, bald von ihrem Posten abgelöst wird. Sie braucht Ruhe und will ihren Lebensabend bei ihren Kindern verbringen. Ich traue Ihnen den nötigen praktischen Sinn zu, baldigst einen tüchtigen Ersatz für sie zu engagieren. Sie selbst werden ja auch, wie ich Sie kenne, die Hände nicht in den Schoss legen. Genügende Vorkenntnisse haben Sie gesammelt, alles übrige bringt die Praxis.
Und nun Gott befohlen, Richarda Trassberg — lassen Sie Ihr frohes Lachen bald durch mein stilles Herrenfelde klingen — ich weiss, Sie können herzlich lachen — aber auch weinen, wie ich sah, als ich von Ferne dem Begräbnis Ihrer Mutter beiwohnte. Hoffentlich brauchen Sie in Herrenfelde nie zu weinen. Bringen Sie Sonne und Glück in mein stilles Haus — und sehen Sie sich Rudolf Folkner genau an, ehe Sie wählen. Er ist der Wertvollste von den dreien. Ihr Ihnen wohlgesinnter
Sebastian Kranach.“
Nun blieb es eine Weile still im Laboratorium. Der Professor und Richarda sahen sich ernst und schweigend an. Endlich sagte der Professor: „Sebastian Kranach — aber ein guter Mensch. Er muss Ihre Mutter sehr liebgehabt haben. Es gibt also auch in unserer Zeit noch Toggenburger.“
Aufatmend nickte die junge Dame. „Und meine Mutter hat mir nie von ihm gesprochen. Sie ahnte wohl nicht, dass er sie nie vergessen hat. Wie seltsam, dass er mich die ganzen Jahre beobachtet hat und scheinbar alles von mir weiss.“
„Und nun bietet er den Reichtum, den Ihre Mutter verschmäht hat, um Ihres Vaters willen. Sie werden ja vernünftig sein, Kind, und die Erbschaft antreten. So etwas wird Ihnen nie wieder geboten.“
„Ach, lieber Herr Professor, ich weiss doch, was das für mich heissen will. Aber —“
„Nun — aber?“
Sie lachte ein wenig verwirrt. „Ach, es ist doch eine zu schnurrige Sache, so glatt sitzt mir das doch nicht. Ich habe ja keine Ahnung, wie diese drei Männer beschaffen sind. Ganz gewiss habe ich die Absicht, da mein Herz ganz frei ist, mich in einen von ihnen zu verlieben — und — bei einem wird es mir hoffentlich gelingen.“
„Nun also — das glaube ich auch.“
„Aber — jetzt kommt das Aber — wird mich denn einer auch haben wollen? Das fragt sich doch.“
Er sah sie schmunzelnd an. „Nun, den Mann möchte ich sehen, der da nicht mit beiden Händen zufasst — ganz abgesehen von dem Reichtum, den Sie ihm zubringen.“
„Nun ja — aber ansehen muss ich mir diese drei Freiev erst.“
„Das müssen Sie, ja, da Sie einen wählen sollen. Und einer wird Ihnen schon gefallen.“
„Meinen Sie?“ fragte sie schelmisch.
„Ich hoffe es für Sie, kleiner Famulus, wenn mir auch das Herz schwer wird bei dem Gedanken, dass Sie von uns gehen werden. Es ist ja ein grosses Glück, das sich Ihnen bietet.“
Sie atmete tief auf. „O ja, das verstehe ich wohl. Wenn man, wie ich, sein Lebtag mit dem Pfennig rechnen musste und das Geld oft nicht zum Nötigsten reichte, dann weiss man zu schätzen, was so ein Erbe zu bedeuten hat. Und Gutsbesitzerin! Lieber Gott, wenn ich einmal ganz verwegene Luftschlösser baute, dann schwärmte ich davon, wie schön es sein müsste, ein ganz bescheidenes Häuschen mit einem Stückchen Garten daran zu eigen zu haben, das ich selbst bebauen könnte. Und nun?“
Er nickte ihr lächelnd zu. „Und nun gehört Ihnen ein grosses schönes Gut — mit einem Herrenhaus, einer eigenen Försterei und einer Konservenfabrik. Wie gut, dass Sie in allen landwirtschaftlichen Fragen so gut Bescheid wissen. Es war doch zu etwas gut, dass Sie bei mir noch in die Lehre gingen. Ich kann Ihnen unbesorgt ein Reifezeugnis ausstellen. Sie haben mehr gelernt als mancher meiner Studenten. Volkswirtschaft und anorganische Chemie — das sitzt alles bei Ihnen, und mir haben Sie alles Theoretische abgelauscht. Dass Sie die Praxis in der Hauswirtschaft beherrschen, dessen war ich oft genug Zeuge in meinem Haushalt. Und mit den Leuten verstehen Sie prächtig umzugehen. Sie werden kaum eine andere Haushälterin zu engagieren brauchen. Wenn Sie nach Herrenfelde kommen, werden Sie alles am Schnürchen haben.“
Richardas Augen glänzten. Und plötzlich rief sie lachend: „Kneifen Sie mich doch mal tüchtig ins Ohr, damit ich weiss, dass ich nicht träume.“
Der Professor lachte auch. Aber dann sagte er seufzend: „Für mich ist es ja eigentlich ein Trauerfall, weil ich meinen tüchtigen kleinen Famulus einbüssen werde.“
„Ach, lieber Herr Professor, Sie werden schnell für mich Ersatz finden. Ich weiss sehr wohl, dass Sie sich mit mir nur beholfen haben, um mir eine Daseinsberechtigung zu geben.“
„So? Da sind wir sehr verschiedener Meinung. So bald finde ich keine so tüchtige Hilfe wieder. Aber ich darf natürlich nicht an mich denken. Geben Sie mir mal Ihre Patschhand! So — und nun meinen herzlichen Glückwunsch. Ich gönne es Ihnen von Herzen, dass sich Ihr Los gebessert hat.“
Sie drückte Herzhaft seine Hand. „Und wenn das wirklich alles Wahrheit ist und ich auf Herrenfelde sitze, dann, das müssen Sie mir versprechen, dann kommen Sie jeden Sommer in den Ferien mit Fräulein Settchen zu mir. Dann will ich mich revanchieren für alle Güte und Freundlichkeit, die Sie mir erwiesen haben. Gut sollen Sie es haben. Ich pflege Sie dann heraus, dass Sie immer wieder für ein Fahr hübsch bei Kräften bleiben.“
Er tätschelte ihre Hand. „Ich komme, ich komme ganz bestimmt! Aber erst wollen wir sehen, ob sich alles nach Wunsch regeln lässt.“
Sie seufzte tief auf. „Ja, ja — mit den drei Freiern, das ist eine harte Nuss. Aber ich gehe jedenfalls mit dem festen Vorsatz an die Sache heran, mich in einen von ihnen bis über beide Ohren zu verlieben.“
Sie lachten beide. „Das scheint mir auch das Gescheiteste zu sein,“ sagte der Professor.
Aber Richarda wurde gleich wieder ernst. „Es ist und bleibt freilich eine fatale Sache, dass ich mir gerade unter diesen drei Männern einen aussuchen soll — so auf Kommando.“
„Nun, sie werden sich schon Mühe geben, Ihnen zu gefallen, da sie sicher auch unterrichtet sind.“
„Das ist wohl anzunehmen. Schliesslich geht es auch für sie um ein reiches Erbe.“
„Und ausserdem um eine reizende und liebenswerte Frau.“
„Halten Sie ein, Herr Professor, ich bin schon ohnedies ganz verdreht. Wo soll das hinführen, wenn Sie mir nun auch noch Komplimente machen. Das ist ja etwas ganz Neues.“
„Ja! Jetzt sind Sie auch nicht mehr mein Famulus.“
„Oh, noch bin ich es. Und nun will ich endlich an die Arbeit gehen.“
„Nein, nein, heute dispensiere ich Sie.“
Energisch schüttelte sie den Kopf. „Das gibt es nicht! Ich weiss, wie Ihnen die Arbeit auf den Nähten brennt, und will nicht fahnenflüchtig werden. Bis Sie Ersatz für mich haben, erfülle ich meine Pflicht. Einen Assistenten können Sie vielleicht morgen schon haben. Heute bin ich noch Famulus.“
Er schmunzelte. „Nun also — dann ’ran an die Arbeit.“
Schnell schlüpfte sie in ihren weissen Arbeitskittel und holte eifrig nach, was sie versäumt hatte. Und sie nahm sich zusammen, damit ihre Gedanken nicht abirrten von der Arbeit. Sonst richtete sie eine fürchterliche Konfusion an.
Der Professor beobachtete lächelnd, wie sie mit zusammengebissenen Zähnen und krampfhafter Aufmerksamkeit mit den Apparaten hantierte.
Prachtkerlchen! Das wird eine famose Gutsfrau, dachte er.
Und das Pensum des Tages wurde gewissenhaft erledigt. Als beide fertig waren, sahen sie sich lachend an.
„Jetzt ist es geschafft, Herr Professor!“
„Famos haben Sie sich gehalten, kleiner Famulus. Nicht eine einzige Dummheit haben Sie gemacht. Und heute wäre es doch kein Wunder gewesen.“
„Aber geschämt hätte ich mich vor Ihnen, wenn ich versagt hätte.“
„Also jetzt machen wir Schluss und gehen nach Hause zum Essen. Meine Schwester wird staunen, wenn Sie sich plötzlich als reiche Erbin entpuppen.“
* * *
Fräulein Settchen hatte wirklich gestaunt und hatte dann ganz aufgeregt Richarda in die Speisekammer gezogen.
„Da sehen Sie doch, unsere Gemüse- und Obstkonserven. Das ist alles aus der Herrenfelder Konservenfabrik,“ sagte sie.
Richarda staunte. Und dann umarmte sie das alte Fräulein lachend und sagte schelmisch: „Sie werden mir hoffentlich in Zukunft nicht Ihre Kundschaft entziehen.“
Bei Tisch gab es gerade heute junge Schnittbohnen, die auch auf Herrenfelder Grund und Boden gewachsen waren. Richarda verzehrte sie mit Andacht.
Und nach Tisch besprach sie mit dem Professor, wie er zu einem neuen Assistenten kommen sollte. Richarda wusste Rat. Sie schlug dem Professor einen jungen Studenten vor.
„Ernst Heckner ist fleissig und tüchtig, und er wird glücklich sein, unter Ihrer Aufsicht arbeiten zu können. Er wird sich sehr gern etwas verdienen, denn seit seines Vaters Tode hat er Not, die letzten Semester durchhalten zu können. So ist ihm und Ihnen geholfen, Herr Professor.“
„Nun gut, ich werde es mit ihm versuchen. Freilich — Sie wird mir keiner völlig ersetzen.“
„Ach — Sie machen mich ganz stolz. Habe ich Ihnen wirklich so viel nützen können?“
„Aber, aber, kleiner Famulus, haben Sie das nicht selbst gemerkt? Sie denken wohl, ich habe Ihnen etwas vorgeflunkert?“
„Nun, es war doch ein Wagnis für Sie, mich anzustellen.“
„Aber es ist glänzend gelungen! Ganz abgesehen von dem, was Sie für mich geleistet haben — fragen Sie mal meine Schwester, wie die nun ohne Sie auskommen wird. Settchen, jetzt wirst du dein hitziges Temperament zügeln müssen, sonst sitzen wir alle vier Wochen ohne Dienstboten da.“
Fräulein Settchen seufzte. „Ich mag gar nicht daran denken.“
„Nun, denke daran, dass es für Fräulein Richarda ein grosses Glück ist, dann wirst du es leichter tragen.“
„Wird es denn auch ein grosses Glück für Sie sein, liebe Richarda?“
„Aber Settchen — was orakelst du da? Es ist ganz gewiss ein grosses Glück, wenn ein armes Mädel eine reiche Gutsbesitzerin wird.“
„Ja, ja — aber das mit den drei Freiern ist doch schrecklich,“ meinte Fräulein Settchen.
„Na, beruhige dich — alle drei braucht sie ja nicht zu heiraten. Einer genügt.“
Nun mussten sie alle lachen.
Der Professor musste gleich nach Tisch zu einer Konferenz aufbrechen, und er bat Richarda darum, noch einige wichtige Schriftstücke für ihn zu kopieren. Er versprach, noch diesen Nachmittag mit Ernst Heckner zu sprechen und ihn als Assistenten zu verpflichten.
„Dann sind Sie morgen aller Pflichten ledig, kleiner Famulus.“
„Es ist gut, Herr Professor.“
Und Richarda erledigte die ihr aufgetragene Arbeit und half dann auch noch Fräulein Settchen ein Stündchen im Haushalt. Aber dazwischen überlegte sie hin und her, wie sie in der Erbschaftsangelegenheit am besten entscheiden sollte.