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»Ich behaupte, daß mir meine Flops im Lauf der Zeit geradezu ans Herz gewachsen sind.« (Hans Magnus Enzensberger) In diesem Schwarzbuch nimmt Enzensberger ein Thema ins Visier, das viele Künstlerkollegen scheuen, den Mißerfolg: »Wenigen Erfahrungen verdanke ich so viel; ich behaupte sogar, daß mir meine Flops im Lauf der Zeit geradezu ans Herz gewachsen sind. Sie gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und Usancen des Kulturbetriebs und helfen dem Ahnungslosen, die Fallstricke, Minenfelder und Selbstschußanlagen einzuschätzen, mit denen er auf diesem Terrain zu rechnen hat.« Das demonstriert der Autor anhand von Geschichten und Einfällen, Exposés, Treatments, Szenen und Projekten aus fünfzig Jahren. Vieles von dem, was auf dem Weg zur Kinoleinwand, zur Theater-, Opern- und Operettenbühne, zum Magazin oder zur verlegerischen Unternehmung verworfen wurde oder versandet ist, sei’s zu Recht oder zu Unrecht, passiert in diesem schwarzen Buch Revue. Wer oder was war schuld an den kleinen und großen Niederlagen? Lag es am Geld, an der Justiz oder am eigenen Übermut? Aber das ist für Enzensberger nicht der springende Punkt. Jammern, sagt er, sei ungesund. Er amüsiert sich lieber und überläßt dem Publikum zu guter Letzt noch Ideen, aus denen sich jeder gratis und portofrei bedienen kann.
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Seitenzahl: 291
Wie lustvoll Hans Magnus Enzensberger das Scheitern beherrscht, demonstriert er anhand von Einfällen, Exposés, Szenen und Projekten aus fünfzig Jahren: darunter die gestrandete Literaturzeitschrift TransAtlantik, eine mißglückte Inszenierung der Oper La Cubana und die im Wüstensand von Dubai verlaufene Idee zu einem Poesie-Brunnen. Wer die Schuld an den kleinen und großen Niederlagen trägt – lag es am Geld, an der Justiz oder am eigenen Übermut? –, das ist für ihn nicht der springende Punkt. Jammern, sagt er, sei ungesund. Er amüsiert sich lieber und überläßt dem Publikum zu guter Letzt noch Ideen, aus denen sich jeder gratis und portofrei bedienen kann.
Hans Magnus Enzensberger wurde 1929 in Kaufbeuren geboren. Als Lyriker, Essayist, Verfasser mehrerer literarischer Biographien, Herausgeber und Übersetzer einer der einflußreichsten und weltweit bekanntesten deutschen Intellektuellen. Sein jüngster großer, auch internationaler Erfolg war der Bestseller Hammerstein oder der Eigensinn (st 4095). Zuletzt erschien in der edition suhrkamp sein Essay Sanftes Monster Brüssel oder Die Entmündigung Europas.
HANS MAGNUSENZ ENSBERGER
MEINE LIEBLINGS-FLOPS,
GEFOLGT VON EINEM
IDEEN-MAGAZIN
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012
© Suhrkamp Verlag Berlin 2011
Suhrkamp Taschenbuch Verlag
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN978-3-518-77830-2
www.suhrkamp.de
Inhalt
Prämisse
Meine Kino-Flops
Jonas (1955)
Verräter (1973)
Lichtenberg (1995)
Humboldt (2007)
Hammerstein (2008)
Josefine und ich (2010)
Meine Opern-Flops
La Cubana (1975)
Politbüro (1991)
Operette morali (1999-2006)
La boîte (2007)
Meine Theater-Flops
Die Schildkröte (1961)
Parvus (1976)
Die Tochter der Luft (1992)
Ohne uns. Ein Totengespräch (1999)
Jakob und sein Herr (2009)
Meine verlegerischen Flops
Gulliver (1961-1963)
TransAtlantik (1980)
Intelligenzblatt (1981)
Die Frankfurter Allgemeine Bibliothek (2004)
Meine literarischen Flops
Kindergeld (2000-2003)
Meine Etcetera-Flops
The Fountain of Poetry (2008)
Ein Ideen-Magazin
Filmideen
Der Tausch (1954)
Die spanische Wand (1984)
Die Drei Weisen aus dem Morgenland (1989)
Bruderstreit (1996-1998)
Der Geruch der Kunst (2000)
Himmlers Geiseln (2008)
Ideen für das Musiktheater
King Kongo. Eine Operette (1988)
Rosamunde (1994)
Theaterideen
Marx und Engels. Eine Revue (1973)
Missionare (1980)
Gehirntheater (2003)
Verlegerische Ideen
Dummy (1997)
Das Bulletin (1999)
Die hundert Seiten (2002)
Story (2006)
Postskriptum. Die bedeutende Rakete
Prämisse
Flop ist ein ziemlich neues und durchaus erfreuliches Fremdwort, schon wegen der lautmalerischen Qualität, die das Oxford English Dictionary ihm zuschreibt; auch der Duden würdigt es gebührend; er übersetzt das Verbum mit »hinplumpsen« und das Substantiv mit a) »Mißerfolg« und b) mit »Niete«. Unentbehrlich ist der Begriff besonders im show business, aber auch auf anderen Märkten tut er gute Dienste.
Meist folgt dem dumpfen Geräusch, das ein Flop verursacht, ein vernehmliches, lang anhaltendes Stillschweigen. Liebe Schwestern und Brüder in Apoll, ihr mögt dichten, spielen, malen, filmen, singen, meißeln oder komponieren – warum erzählt ihr so ungern von euern kleinen oder großen Debakeln? Geniert ihr euch? Plagt euch die Sorge, ihr könntet euch blamieren? Aber in diesem Punkt möchte ich euch beruhigen. Aus allem, was ihr mir unterderhand anvertraut habt, schließe ich, daß ich nicht der einzige bin, der auf interessante Flops zurückblicken kann. Sonst würde ich mir nicht die Mühe machen, sie vor euch auszubreiten. Warum tut ihr nicht desgleichen? Ihr würdet merken, daß eine solche Übung nicht nur lehrreich und erfrischend, sondern auch amüsant sein kann.
Denn jeder Peinlichkeit wohnt eine Erleuchtung inne, und während der Arbeiter im Weinberg der Kultur seine Erfolge rasch zu vergessen pflegt, hält sich die Erinnerung an einen Flop jahre-, wenn nicht jahrzehntelang mit geradezu blendender Intensität. Triumphe halten keine Lehren bereit, Mißerfolge dagegen befördern die Erkenntnis auf mannigfaltige Art. Sie gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und Usancen der relevanten Industrien und helfen dem Ahnungslosen, die Fallstricke, Minenfelder und Selbstschußanlagen einzuschätzen, mit denen er auf diesem Terrain zu rechnen hat. Außerdem entfalten Flops eine therapeutische Wirkung: Sie können berufsbedingte Autorenkrankheiten wie Kontrollverlust oder Größenwahn wenn nicht heilen, so doch mildern.
Ich für meinen Teil gestehe, daß ich wenigen Erfahrungen so viel verdanke wie meinen Flops; ich behaupte sogar, daß sie mir im Lauf der Zeit immer mehr ans Herz gewachsen sind.
Deshalb möchte ich euch eine Revue von gescheiterten Projekten vorstellen, mit denen ich mich mehr oder weniger intensiv beschäftigt habe. Zwar fehlt es bisher an einer wissenschaftlichen Erforschung der Gründe, die zu einem Flop führen, und an einer brauchbaren Klassifikation, die Fallhöhe, Masse, Sichtbarkeit und Beobachterposition berücksichtigen müßte. Ihr vorzugreifen liegt mir fern. Auch kann die folgende kleine Sammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ein komplettes Musterbuch liefe nämlich Gefahr, schon durch seine Reichhaltigkeit zu ermüden. Außerdem habe ich wahrscheinlich eine Reihe anderer Projekte schlicht und einfach vergessen.
Hie und da werde ich meinen Bericht durch allerhand Textproben ergänzen. Wen diese Unterbrechungen stören, der sei eingeladen, sie einfach zu überblättern. Das sollte nicht schwerfallen, denn diese Passagen sind typographisch deutlich markiert. Mögen sie der Kritik mißfallen, andern hingegen zur Unterhaltung dienen.
Die bei weitem besten Flops hat bekanntlich die Bühne zu bieten. Während ein Buch, auch im ungünstigsten Fall, mit einer Lebenserwartung von Wochen oder Monaten rechnen kann, bis das Desinteresse des Publikums und der Kritik sich mit hinreichender Deutlichkeit gezeigt hat, so daß es nach einer Reihe von Verrissen sang- und klanglos dem Vergessen anheimfällt, rasselt eine gescheiterte Inszenierung mit einer Plötzlichkeit durch, die an die Arbeitsweise einer gut geölten Guillotine erinnert; man glaubt geradezu, das dumpfe Geräusch zu hören, mit dem das Fallbeil sein Werk verrichtet. Deshalb sind mir meine Theaterflops die unvergeßlichsten und die liebsten.
Autoren, die ungern an ihre kleinen oder großen Niederlagen zurückdenken, kann ich verstehen; denn daß es ungerecht zugeht auf den Schauplätzen der Künste, ist nichts Neues. Selbst der blutigste Anfänger ahnt, daß dort seit eh und je gelogen, intrigiert und getrickst wird, was das Zeug hält. Das ist die Geschäftsgrundlage des Betriebs. Darüber die ebenso üblichen Klagegesänge anzustimmen verrät zwar ein zartes Gemüt, verspricht aber keine weiterführenden Aufschlüsse. Statt sich mit solchen Beschwerden aufzuhalten, ist es sinnvoller, die nächste Karte aus dem Ärmel zu ziehen und, wie es in einem Pop-Song aus dem Jahre 1793 heißt, weiterzumachen, »weil noch das Lämplein glüht«.
Das sollte nicht allzu schwerfallen.
Meine Kino-Flops
Die Branche, die sich der größten Abtreibungsrate rühmen kann, ist bekanntlich die Filmindustrie. Ihre Sitten und Gebräuche sind, wie alle Beteiligten zu berichten wissen, barbarisch. Das hängt vermutlich damit zusammen, daß Filme maßlos teuer sind. Wer das Pech hat, in bewegten Bildern zu denken, muß mit Hürden rechnen, von denen ein Essayist oder ein Lyriker nichts ahnt, weil die Produktionskosten für sein schmales Bändchen um das Zehntausendfache niedriger liegen als die für einen Hollywood-Film. Ebenso wie auf dem globalen Kunstmarkt hängen die Erfolgschancen im Kino von einer kräftigen Kapitalzufuhr ab. Geld ist das Kokain dieser beiden Branchen.
Am Vor- und Abspann eines Spielfilms läßt sich ablesen, wohin die Injektion führt. An dieser Stelle, von dröhnender Musik untermalt, wimmelt es von Produzenten. Diese Berufsbezeichnung ist etwas irreführend, denn strenggenommen produzieren diese Personen meistens nichts und stecken auch kein eigenes Geld in das Produkt. (Ausnahmen wie Bernd Eichinger oder Nico Hofmann bestätigen diese Regel.) Man müßte sie eher als Makler bezeichnen, die von ihrer Vermittlungsprovision leben.
Dennoch oder gerade deshalb bestehen sie darauf, dem Publikum ganz zu Anfang in möglichst großem Schriftgrad ihre Namen mitzuteilen. Ihrem Einfallsreichtum sind dabei keine Grenzen gesetzt; denn neben dem eigentlichen Producer erscheinen auf der Leinwand die Namen des Executive, des Associate, des Administrative, des Consulting und des Coproducers. Alle diese Leute sind vor allem dazu da, das nötige Geld herbeizuschaffen, die Kasse zu verwalten und das Personal zu beaufsichtigen. Sie beschäftigen sich also mit Dingen, die weit wichtiger sind als der Film, denn sie müssen fortwährend mit Investoren, Banken, Versicherungen, Verleihern, Fernsehsendern, Behörden, Gewerkschaften und Fördergremien verhandeln. Erst nach ihnen folgen, in schwer umkämpfter Reihenfolge und Schriftgröße: die Stars, der Regisseur, der Kameramann und so weiter bis in die niederen Regionen des Abspanns, wo der Drehbuchautor, der Friseur, das Scriptgirl, die Chauffeure und andere mindere Chargen zu finden sind.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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