Mörderische Toskana - Juergen von Rehberg - E-Book

Mörderische Toskana E-Book

Juergen von Rehberg

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Beschreibung

Professor Bürger macht mit seiner Familie und einem befreundeten Ehepaar Urlaub in seinem Ferienhaus in der Toskana. Es geschieht ein Mord, dessen Schatten sich über die ganze Familie legt, und der sich zu einer schier unerträglichen Zerreißprobe verwandelt. Nach einer langen Zeit, voll Angst und Schmerz erfüllt, stellt sich ein versöhnliches Ende ein. https://www.juergen-von-rehberg.at

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"Weißt du, was die Liebe und die Zellen des Gehirns gemeinsam haben?"

Dietmar Bürger, Professor für Germanistik an der hiesigen Universität und selbsternannter Philosoph, schaute erwartungsvoll in das Gesicht seines Freundes.

"Was ist das denn für eine blöde Frage", antwortete Hans-Peter Fuchs, Inhaber der Firma "Elektro-Fuchs" und Dietmars Freund seit ewigen Zeiten.

Die beiden gingen gemeinsam zur Schule und machten gemeinsam ihr Abitur. Dietmar studierte Germanistik und Hans-Peter begann ein Medizinstudium, welches er nach drei Jahren abbrechen musste.

Als der Vater von Hans-Peter einem Herzinfarkt erlag, übernahm Hans-Peter auf Drängen seiner Mutter die Firma.

Eine drohende Depression der Mutter, welche von der Vorstellung eines Verkaufes der Firma, die seit Generationen in Familienbesitz war, gespeist wurde und das Verantwortungsgefühl von Hans-Peter, der jeden einzelnen Mitarbeiter kannte, ließen ihm keine Wahl.

Er brach schweren Herzens sein Studium ab und widmete seine ganze Kraft der Weiterführung und der Erhaltung der elterlichen Firma.

Seine Mutter, die nichts anderes von ihrem Sohn erwartet hatte, war er doch ihr geliebter "Hansi", verabschiedete sich schon bald von der ihr drohenden Depression und alles kehrte zum "business as usual" zurück.

Der Vater von Hans-Peter hasste es, wenn seine Gattin den Sohn "Hansi" nannte; sie war jedoch trotz vieler Ermahnungen nicht davon abzubringen.

Eva. die Schwester von Hans-Peter, nannte ihren Bruder gar Peter und als Krönung kam noch Dietmar mit seinem "Hape" daher, einem Wortkonstrukt aus Hans und Peter.

"Also was ist? Weißt du es oder weißt du es nicht?"

"Nein! Ich weiß es natürlich nicht!" antwortete Hans-Peter in einem eher gelangweilten Ton.

"Soll ich es dir sagen?"

"Unbedingt!" antwortete Hans-Peter, wissend, dass er um die Antwort sowieso nicht herum kommen würde.

"Sobald die Liebe und die Gehirnzellen aktiviert werden, beginnen beide langsam abzusterben!"

"Wie bitte?" fragte Hans-Peter leicht entsetzt. "Was ist das denn für ein Blödsinn?"

"Das ist kein Blödsinn, mein Lieber!" entgegnete Dietmar, "ich werde es dir erklären."

"Da bin ich aber neugierig", sagte Hans-Peter, der schon manche Abstrusitäten von Dietmar über sich hat ergehen lassen; aber diese war von einer besonderen Qualität.

"Wie du ja weißt, besitzt der Mensch Millionen von Hirnzellen."

"Milliarden, mein Lieber; Milliarden!" unterbrach Hans-Peter den Freund. "Und außerdem ist die Annahme, dass die Gehirnzellen - nach ihrem Absterben - nicht mehr erneuert werden, falsch."

"Haben sie dir diesen Quatsch beim Medizinstudium beigebracht?" sagte Dietmar erregt, der es nicht gewöhnt war, korrigiert zu werden.

"Das ist kein Quatsch, Herr Professor!" sagte Hans-Peter, der es sichtlich genoss, seinem Freund Paroli zu bieten.

"Das nennt man Neurogenese und weiß man schon seit den 90er Jahren. Während abgestorbene Zellen abgebaut werden, bilden sich in unserem Gehirn ununterbrochen neue Zellen."

Dietmar war blass geworden. Die Ausführungen, welche einen äußerst belehrenden Charakter mit sich führten, schmerzten ihn sehr. Sein Ego schäumte.

"Das setzt natürlich voraus, dass das Gehirn beschäftigt wird, um die Gehirnaktivität zu steigern, verbunden mit genügend körperlichen Aktivitäten!"

Was Dietmars Gehirnaktivität betraf, so lief diese gerade auf Hochtouren. Er überlegte krampfhaft, wie er diesem geistigen Waterloo entfliehen könnte.

Hans-Peter, der noch nicht genug hatte, konnte es sich nicht verkneifen, zu ergänzen:

"Das konntest du natürlich nicht wissen, lieber Dietmar."

Und Hans-Peter fuhr gönnerhaft fort:

"Mir ist es ja auch nur deshalb bekannt, weil ich ein paar Semester Medizin studiert habe; wie du ja weißt."

Dietmar schluckte und nickte bejahend. Er war dankbar, dass Hans-Peter ihm diese Brücke gebaut hatte, und er ging willig in leicht gebeugter Haltung darüber.

"Ungeachtet dessen, würde mich interessieren, wie du das vorhin gemeint hast mit dem Absterben der Zellen und der Liebe."

Dietmar nahm diese Einladung dankbar an und hängte sich den kurzfristig verloren gegangenen Mantel des Selbstbewusstseins wieder leicht über die Schultern.

"Machen wir uns doch nichts vor", begann er seine Ausführungen, "wir wissen doch alle, dass sich die Liebe abnützt wie ein Stück Seife!"

Hans-Peter starrte seinen Freund an wie eine Kuh, wenn es donnert. Dieser Vergleich war schon von einer außergewöhnlichen Güte.

Dietmar, dem der erstaunte Gesichtsausdruck von Hans-Peter gar nicht aufgefallen war, fuhr fort:

"Am Anfang ist man verliebt bis in die Haarspitzen und die Hormone tanzen Walzer, bis ihnen die Füße bluten. Aber schon nach kurzer Zeit übernehmen Alltag und Gewohnheit die Macht, und die Liebe beginnt zu schwinden."

Hans-Peter schaute Dietmar ins Gesicht; blieb aber stumm.

"Warum sagst du denn nichts? Bist du nicht auch meiner Meinung?"

"Nein, Dietmar! Ganz und gar nicht!"

Hans-Peter sagte das mit einer solchen Vehemenz, dass Dietmar erstaunte.

"Willst du mir vielleicht sagen, dass bei Irene und dir der Himmel noch voller Geigen hängt?"

"Ja, das will ich!" antwortete Hans-Peter zu Dietmars großem Erstaunen.

"Das kannst du deiner Großmutter erzählen, wenn du noch eine hast!" giftete Dietmar.

Der Ton zwischen den beiden Freunden war rauer geworden. Es folgte betretenes Schweigen.

"Na gut; mag sein", bemühte sich Dietmar die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen, "bei Britta und mir sind es ja schon fast dreißig Jahre und bei euch noch keine zwanzig."

"Vierzehn Jahre, um genau zu sein", sagte Hans-Peter, "und jedes Jahr davon war schön!"

"Das freut mich für euch!" sagte Dietmar und steuerte das Gespräch wieder in ruhigere Gewässer.

"Und du warst Irene in all den Jahren immer treu?"

"Was für eine Frage!" sagte Hans-Peter und nach einer kurzen Pause:

"Soll das heißen, dass du..."

"Aber ja doch", antwortete Dietmar, in dessen Stimme ein gewisser Stolz mitschwang, "das ist doch wohl die Würze in jeder Ehe oder etwa nicht?"

"In meiner nicht!" antwortete Hans-Peter entrüstet, der in diesem Augenblick seinen Freund in einem völlig neuen Licht sah.

Natürlich war ihm bewusst, dass Dietmar einen Schlag bei Frauen hatte; aber die Art und Weise, wie er sein Fremdgehen beinahe glorifizierte, befremdete Hans-Peter schon sehr.

Dietmar winkte den Kellner herbei.

"Noch einmal dasselbe bitte, Herr Franz!"

"Ein Bier - ein Korn für die beiden Herrn; kommt sofort!" antwortete Franz, eine Institution des Hauses.

Franz hätte schon vor Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen können, zog es aber vor weiterhin die Gäste zu betreuen.

Alleinstehend und ohne Anhang wäre ihm zuhause wohl die Decke auf den Kopf gefallen. So betrachtete er die Gäste als seine Familie.

Und diese brachten ihm den nötigen Respekt entgegen, indem sie ihn irgendwann vom gewöhnlichen "Franz" zum "Herrn Franz" machten.

Die meisten Gäste waren ohnedies Stammgäste, wie auch Dietmar und Hans-Peter.

"Für mich bitte nicht, Herr Franz", korrigierte Hans-Peter die Bestellung seines Freundes, "ich muss leider schon gehen."

"Warum das denn?" fragte Dietmar.

"Ich habe noch einen Zahnarzttermin; tut mir leid!" antwortete Hans-Peter, sich in diesem Augenblick nicht wirklich der Wahrheit verpflichtet fühlend.

"Schade, lieber Freund", antwortete Dietmar, "grüße bitte Irene recht lieb von mir!"

"Mach ich, Dietmar", sagte Hans-Peter, "und liebe Grüße von mir an Britta!"

****

Als Hans-Peter vor dem Lokal stand, holte er erst einmal tief Luft. Die Äußerungen von seinem Freund gaben ihm doch schon sehr zu denken.

Er musste an die Zeit denken, als er und Dietmar noch Kinder waren. Sie wuchsen in unmittelbarer Nähe zueinander auf und doch in verschiedenen Welten.

Dietmar wohnte mit seinen Eltern in der Villa, die einst seinen Großeltern gehörte. Sie waren vor Jahren verstorben; aber Hans-Peter konnte sich noch gut an sie erinnern.

Dietmars Vater war Oberlandesgerichtsrat und von Dünkel nicht ganz frei. Er goutierte es auch lange Zeit nicht, dass sein Sohn Umgang mit Hans-Peter pflegte, dessen Vater ein kleines Elektrogeschäft führte.

Ganz anders hingegen Dietmars Mutter. Sie mochte den kleinen Hans-Peter von Anfang an, und sie vermochte sich auch gegen den Widerstand ihres Gatten durchzusetzen.

Sie sah es mit großem Vergnügen, wenn die beiden Buben auf dem parkähnlichen Grundstück der Villa herum tollten.

Hans-Peters Vater, Elektromeister und ohne große Schulbildung, war von der Verbindung der beiden Knaben nicht so sehr begeistert.

"Das ist kein Umgang für dich!" Mit diesen Worten gab er seinem Bedenken Raum. "Wir gehören nicht zu denen. Suche dir lieber einen Spielkameraden bei deinesgleichen."

"Lass ihn", widersprach Hans-Peters Mutter Gerda ihrem Ehemann, "es sind Kinder und sie haben nicht dieselben dummen Ressentiments wie manche Erwachsenen."

An diese etwas gespreizte Ausdrucksweise musste sich Herr Fuchs sen. am Anfang erst einmal gewöhnen. Gerda stammte aus gutem Hause und konnte nicht anders reden. Ihr Vater war Arzt und war zeitlebens nicht glücklich über die Partnerwahl seiner Tochter.

Gerda war es auch, die später durchsetzte, dass Hans-Peter auf das Gymnasium ging, um danach Medizin zu studieren.

Elektromeister Fuchs hätte es natürlich viel lieber gesehen, wenn der Sohn in seine Fußstapfen getreten wäre.

Wer hätte je gedacht, dass das Schicksal seinen Wunsch später erfüllen würde...

Aus der kindlichen Verspieltheit wurde im Laufe der Jahre eine dicke Freundschaft und Hans-Peter und Dietmar pflegten sie auch während ihrer Studienzeit weiter.

Sandkastenfreundschaft und Blutsbrüderschaft - im Dunstnebel einer großen Alkoholmenge vollzogenen - verbinden nun einmal.

Diese Aktion brachte den beiden damals große Schwierigkeiten ein, denn zum einen waren sie noch minderjährig und zum anderen endete es bei Dietmar beinahe in einer Blutvergiftung.

Als sie später studierten, musste Hans-Peter die Exzesse mit Alkohol und Frauengeschichten stets mittragen. Dietmar duldete keinen Widerspruch und Hans-Peter fügte sich; wenn auch jedes Mal unter Protest.

Bei Dietmars Weibergeschichten - wie er dies zu nennen pflegte - klinkte sich Hans-Peter jedoch meistens aus.

Er konnte nicht damit umgehen, wie sich sein Freund dem anderen Geschlecht gegenüber verhielt. Sein überhebliches Geringschätzen, welches er dabei an den Tag legte, missfiel Hans-Peter in hohem Maße.

Er brachte das auch immer wieder einmal zur Sprache; jedoch ohne jeglichen Erfolg. Dietmar betrachtete sich selbst als Jäger und sobald er seine Beute erlegt hatte, verlor er auch schon wieder das Interesse daran.

Das führte dazu, dass Dietmars Beziehungen nie von langer Dauer waren.

Umso überraschender war die Tatsache, dass es sich mit Britta völlig atypisch verhielt. Mag vielleicht auch damit zusammen hängen, dass der Schwiegervater in spe der Rektor der Universität war.

Dafür spricht auch die Namensgebung für das erste Kind. Als es geboren war, verpassten ihm die Eltern den eher altbackenen Namen "Bernhard" in Anlehnung an den Vornamen des Herrn Schwiegervaters.

Als vier Jahre später Severin geboren wurde, war Dietmar bereits Professor und somit keine Notwendigkeit mehr vorhanden seinem Schwiegervater zu gefallen.

Die beiden Knaben waren so unterschiedlich, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Das zeigte sich schon im Kindesalter und führte sich fort bis zum Erwachsensein. Es herrschte eine ständige Rivalität.

Der Erstgeborene war Liebling des Vaters und schloss sein Studium mit "summa cum laude" ab. Dem folgten ein Bachelor of Laws, ein Master of Laws, und schließlich die Anstellung als Wirtschaftsjurist in einem großen Konzern.

Severin war der Liebling der Mutter und ein Versager auf der ganzen Linie. Er schmiss sein Studium der Medizin, brach eine Banklehre ab und hielt sich mit einem Job als Diskjockey in einer unbedeutenden Discothek mehr schlecht als recht über Wasser.

Dass er dabei einen Lebenswandel führte, der weder alkoholfrei noch drogenfrei war, lag auf der Hand.

****

"Ich soll dich von Hans-Peter grüßen!"

"Vielen Dank! Du bist heute zeitiger als sonst", sagte Britta und sah Dietmar fragend an, "war irgendetwas?"

"Nein", antwortete Dietmar, "Hans-Peter hat einen Zahnarzttermin und musste daher früher gehen."

"So, so..." sagte Britta, für welche die Begründung seltsam anmutete. "Und das hat er nicht vorher gewusst?"

"Offenkundig nicht", antwortete Dietmar lapidar und betrachtete das Gespräch mit seiner Gattin als beendet.

"Hast du ihn an unseren Besprechungsabend am kommenden Samstag erinnert?" fuhr Britta das Gespräch fort.

"Nein; habe ich vergessen" brummte Dietmar leicht missmutig, "du kannst ihn ja selber anrufen und ihn daran erinnern."

"Werde ich später machen", antwortete Britta und beendete damit ihrerseits das Gespräch.

Das Gespräch, um das es sich handelte, hatte etwas mit Ostern und Weihnachten gemeinsam; es fand alle Jahre wieder statt.

Die beiden befreundeten Familien Bürger und Fuchs fuhren seit vielen Jahren gemeinsam in den Urlaub. Dietmar hatte in der Toskana ein kleines Ferienhaus erworben, das gerade einmal Platz für die zwei Familien hatte.

Eigentlich waren diese alljährlich stattfindenden Urlaubsbesprechungen völlig überflüssig, denn wirklich Neues oder gar extrem Wichtiges gab es nicht zu besprechen; aber die beiden Frauen bestanden darauf und hielten mit aller Macht daran fest.