Nachruf - Oliver Peters - E-Book

Nachruf E-Book

Oliver Peters

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Beschreibung

Dem alten Uhrmacher bleibt nicht mehr viel Zeit. In einer veränderten Welt ist sein Uhrengeschäft überholt und altmodisch, und doch birgt es ein Geheimnis, das er seinem jungen und vielversprechenden Auszubildenden mitgeben will. Wie kann er das drohende Ende seines Geschäfts aufhalten, seinen alten, skeptischen Freund ein letztes Geschenk machen und den ewigen Gegner, die Zeit, überlisten?

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Seitenzahl: 49

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Nachruf

Oliver Peters

Titelfoto: Epubli Coverdesigner & pixabay

Impressum

© 2018 Oliver Peters

3. Auflage

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN Softcover 978-3-746742-72-4

ISBN E-Book 978-3-746742-83-0

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Klaus-Dieter Scheer gewidmet

Es war zwölf. Die Uhren des Geschäfts schlugen zur Mittagsstunde. Aus dem sanften, immerwährenden Ticken, Klackern, Zurren, Schnappen, Einrastungen und Arretierungen von rotierenden Achsen schwoll eine Lawine hier abgestimmten, dort blechernen Alarms. Das anwachsende Crescendo durchmengte helle Kuckucksrufe, tiefe Gongschläge und hintergründige Melodien. Ein infernalischer, unstimmiger mechanischer Chor sang jäh eine Hymne von der vollen Stunde, sang sie laut und schrill, als ob es die abfließende Zeit festzuhalten galt und sie doch gleich Wasser verrann. Inbrünstig erklang der Chor, zweimal täglich um 12 Uhr: Zur Mitternacht und wie jetzt zur Mittagszeit, schnitt jedes Gespräch, jeden Gedanken der zufällig anwesenden Kunden und der Mitarbeiter ab, zwang zum Innehalten.

Die Kakophonie unterschiedlicher Klangtechniken, zwölf Schläge, Melodiefolgen, Vogelrufe und ein geheimnisvoller Tanz zweier Holzfiguren — die zweimal am Tag aus ihrem Gehäuse entlassen, mal mittags, mal im Mondlicht, ewiglich umeinander drehend vergebens ihre Liebe beschworen - klang nur langsam aus. Aus Sicht des Uhrmachers Jakob Müller bedeutete diese Asynchronität nicht Mangel an Präzision. Die Uhrwerke waren alle abgestimmt. In alter Manier achtete der Meister auf den Takt der Zeit seiner ihm anvertrauten Werke. Zu Recht vermutete er, dass kein Kunde eine Uhr kaufte, die schon im Geschäft vor- oder nachging.

Nein, das zerfaserte Abklingen der stündlichen Fanfare war den verschiedenartigen Konstruktionen der Uhren geschuldet, die mal martialisch, mal sensibel, mal hell, sakral oder schlicht gestimmt waren. Je nachdem, was ihre zukünftigen Besitzer für eine Einstellung zu Stunden und Minuten pflegen würden - ob sie für sie leicht vorbeiflogen wie ein Flügelschlag oder mit schweren Schritten aufs Ende zuparadierten. Jede Sekunde gemahnte auf diese Weise des ewigen Prinzips der Unterschiedlichkeit der Menschen im Gleichklang der Zeit.

Das Geschäft in einer Kleinstadt Norddeutschlands am Rande der Wesermarsch war bejahrt. Und in einer Ära allgegenwärtiger Zeitanzeigen auf Smartphones, Tablets, Musikplayern oder Displays in den Straßen, Bussen sowie Autos das, was man nicht treffender als einen Anachronismus bezeichnen konnte. Eine eigene Uhr hatte ihren Wert von einst verloren. Niemand zog mehr gewichtig eine prächtige Sackuhr aus der Westentasche, um damit genussvoll Macht zu demonstrieren. Ein Symbol, das sich in großbürgerlicher Arroganz über die Gesetze des naturgegebenen Tages- und Jahresrhythmus' hinwegsetzte. Das international abgestimmt dem Zeitmaß der Lokomotiven und Schichtsirenen der Industriebetriebe folgte. Selbst das Überbleibsel dieser Chiffre, die Herrenarmbanduhr, war aus Sicht des Uhrmachers auf den Hund gekommen. Im Discount für 10 Euro waren Nachahmungen prachtvoller Exemplare der Vergangenheit zum Kauf angeboten und nur Plastikspielzeug ohne Charakter. Zeit zu messen war keine Kunstform mehr. Es hatte sich eher zu einer Plage entwickelt, die die Menschen in ein enges Korsett von Produktivität zwängte.

Dass der Laden überlebt hatte, war ein Wunder. Jakob Müller, der Besitzer, sah auf ein an Magie grenzendes Lebenswerk zurück. Die Sinnlichkeit, dozierte er manchmal, die Sinnlichkeit ist es, die unseren Kaufladen rettet. Wenn die Zeitangabe überall verfügbar ist, kann es nur noch um die Art gehen, sich ihrer zu versichern. Oder war es die Erinnerung ans Ticken der Uhr im Wohnzimmer, das die Menschen zu ihm ins Geschäft führte? Sehnsucht nach der Vergangenheit? Wie paradox wäre der Gedanke, dass die hochkomplizierten Zeitmessgeräte einzig und allein eine Hommage auf das Gestrige seien?

Clemens, der Lehrling, kam aus den hinteren Werkstatträumen und trocknete mit einem Handtuch die Hände. Er war 20 Jahre, dürr, 180 cm groß, hatte einen pfiffigen, wirren Haarschnitt. Wie stets trug er einen grauen Arbeitskittel, vollgestopft mit Werkzeugen, eine schwarze Jeans und sogenannte Sneakers. Zumindest glaubte Jakob Müller, dass man amerikanische, aus zwei unterschiedlich gefärbten Lederstücken hergestellte Schuhe so nannte. Das Haar hatte Clemens über der Stirn zu einer Art Tolle aufgehäuft. Jakob Müller fühlte sich durch Clemens ständig an die Mode der 60er Jahre erinnert. Abgesehen davon, dass er bei ihm den altmodischen Beruf des Feinmechanikers erlernte, hatte sein Azubi allerdings kaum rückwärtsgewandte Attitüden. In einer der Taschen brummte dauerhaft ein Handy, ausgerechnet eine Digitaluhr zierte das Handgelenk und mit seiner Freundin, der wunderschönen Jasmina, schaute er gerne 3D-Filme im Kino. Bei den technisch faszinierten Berichten über die Vorführungen kam der Uhrmacher zum Schluss, dass er sich dort weniger um Jasmina als um das Geschehen auf der Leinwand kümmerte. Das ließ ihn bei der Einschätzung schwanken, ob eine Filmvorführung mit Brillenzwang nicht zwangsläufig einen negativen Effekt auf die Paarungskultur der Menschen haben oder, umgekehrt, diese Technologie in ihre Schranken verweisen werde.

Clemens wartete ab, bis der letzte Ton der Geräuschkaskade im Verkaufsraum verklang. Mit Genugtuung beobachtete Jakob Müller aus den Augenwinkeln, dass sein Schüler fachmännisch den Tönen nachspürte, um zu prüfen, ob mit den Uhren alles in Ordnung war. Er ist ein guter Junge, dachte er. Es war richtig, es mit ihm zu versuchen.

»Mittag, Meister«, rief Clemens frech.

»Geh und hol dir deinen Hamburger. Ich warte auf Walter«, murmelte Jakob Müller.

»Geht klar.« Clemens legte das Handtuch zurück in die Werkstatt. Ein schweres Tuch trennte den Bereich vom vorderen Verkaufsraum, so dass man, wenn man hinten am Arbeiten war, zu hören vermochte, was vorne los war. Er zog den schweren Arbeitskittel aus und hing ihn an den Haken, den Jakob Müller vor drei Jahren für ihn an die Wand geschraubt hatte. Dann zog er sich eine zerschossene Jeansjacke an. Während er die Jacke zuknöpfte, biss er auf die Unterlippe. Seine Fröhlichkeit war nur gespielt.