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„Notterbooms siegreiches Ende“ ist ein zutiefst bewegendes Werk Friedrich Wolfs über Schmerz, Zweifel und den unbändigen Willen, die tiefsten Fragen des Lebens zu beantworten. Professor Notterboom, einst gefeierter Wissenschaftler, wendet sich nach einem persönlichen Schicksalsschlag den Schwächsten der Gesellschaft zu. Doch als ein unerträglicher Schmerz ihn selbst niederwirft, steht er vor einer letzten, existenziellen Entscheidung: Soll er seinen Glauben, seine Prinzipien und seine Lebensphilosophie aufgeben, um durch medizinischen Eingriff gerettet zu werden? Friedrich Wolf erzählt mit emotionaler Tiefe, poetischer Kraft und philosophischer Schärfe eine Geschichte, die zeitlose Themen von Leid, Glaube und Erlösung in ein modernes Licht rückt. Eine Novelle, die Fragen aufwirft, die uns alle betreffen: Was bedeutet Leben? Wie begegnen wir Schmerz? Und wie finden wir zu uns selbst?
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Seitenzahl: 24
Friedrich Wolf
Notterbooms siegreiches Ende
ISBN 978-3-68912-391-8 (E–Book)
Die Erzählung ist von 1925.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Begannen die alten indischen Spiele mit dem Ruf ihres Ansagers: Alle atmenden Wesen mögen ohne Schmerzen sein! und durfte auf der Schaubühne dort niemand sterben, so rief ein Jahrtausend später der jenseitsverrannte Heidenapostel über die Marterbühne des Lebens: Das Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und das Unsterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit! Der Tod ist verschlungen in den Sieg!
Was aber geht uns das heute an? Dieser Staub aus Gräbern? Diese muffende Katakombenluft? Uns, die wir in Sekunden um den Erdball funken und mit donnerndem Motor über die Meere fliegen! – Doch auch jede Menschenbrust ist ein unermesslicher Raum. Und der Wunsch nach Schmerzlosigkeit ist darin ein furchtbarer Magnet.
Notterboom – Professor des Maschinenbaues und später Leiter einer städtischen Hilfsschule für minderbegabte Kinder – Ulrich Notterboom konnte eines Tages seine Schritte nicht mehr zu dem grauen Bau lenken, darin die vier bis fünf Dutzend geistesschwacher Zöglinge auf ihren Lehrer warteten wie alle Tage. An diesem Tage, einem Junitag, da der Himmel in grauen, weichen Wolken wehte, fühlte Professor Notterboom sich nicht dienstfähig. Als er am Morgen aufstand von seinem Arbeitstisch, verspürte er unterhalb des Nabels einen jähen Schmerz, wie einen Dolchstich. Verwundert und nicht einmal erschrocken stand er da und wartete, bis die Beschwerde sich löse; doch wie er den zweiten Schritt setzen wollte, gleich drehte der geheime Gegner sein Instrument wieder in seinem Leibe. Seit den 68 Jahren seines Lebens hatte Notterboom nie solchen Schmerz verspürt. Er war eine zähe Natur, dürr und ausdauernd wie eine Saatkrähe im Winter, eine hagere Gestalt von Haut und Knochen, mit einem grauen Gerinnsel von Kinnbart. Nie war er eine Stunde krank gewesen, wenn man von einigen seelischen Narben absah, die ihn zum Sonderling gemacht.
Denn ein Sonderling war er!
Er, der ordentliche Professor des Maschinenbaues an einer technischen Hochschule, er hatte plötzlich diese Stellung preisgegeben, umgelernt und sich bemüht, den minderbegabten Kindern einer Hilfsschule das Abc und Einmaleins beizubringen.