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Isabella Mey

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Beschreibung

Band II der Trilogie

Nachdem die Zeitung ausführlich über die Ereignisse auf dem Schulhausdach berichtet hat,
bricht für Leisa eine schwere Zeit in der Schule an.
Obendrein kehrt Timon an sein Institut zurück und Leisa muss
jederzeit damit rechnen, verschleppt zu werden.

Weitere Bücher der Autorin

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Band I – FarbelFarben
Band II – Goldenes Glück
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In der gleichen Welt: Romantasy

 

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Ein fantastisch-feuriger Liebesroman

 

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Band I – Die Magie der Glanzlichter
Band II – Die Magie der Goldwinde
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Band I – Funken
Band II – Flammen
Band III – Feuer
Band IV – Brand
Band V – Glut (Finale)

WandelTräume


 

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Isabella Mey

Novisapiens

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Nacht der Lichter - Band 2 - Novisapiens

 

 

NACHT DER LICHTER

 

NOVISAPIENS

 

 

Isabella Mey

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Trilogie, Band 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gib niemals die Hoffnung auf, denn hinter allem steht ein Sinn, den wir oft erst sehr viel später erkennen können.

Neid und Eifersucht

Leisa Blum

Waldstadt

 

Es kommt, wie es kommen muss: Die Gerüchteküche brodelt und mir ist bislang keine plausible Ausrede eingefallen, was mich in einer Gewitternacht zusammen mit meinem Lehrer auf das Schulhausdach verschlagen haben könnte. Scheinbar gibt es niemanden in Waldstadt, der diese Fakten nicht der Lokalzeitung entnommen hat und da sowohl Timon als auch ich nach der Unwetternacht nicht in der Schule aufgetaucht sind, benötigt man keinen hohen Intelligenzquotienten, um zu erraten, um welchen Lehrer und um welche Schülerin es sich bei denen vom Blitz getroffenen Personen handelt.

 

* * *

 

Nach drei Tagen Krankenhaus bin ich wieder fit für die Schule, zumindest körperlich. Dennoch haben die Erlebnisse Spuren hinterlassen. Ich wage mich kaum aus dem Haus, ohne mich wachsam umzusehen und vermute in jedem denkbaren Versteck eine schwarz gekleidete Gestalt. Die Nacht vor dem Unterricht habe ich in meinem eigenen Bett verbracht, doch die Ängste in der Dunkelheit haben solche Ausmaße angenommen, dass ich meine Schreibtischlampe als Nachtlicht missbrauchen musste, um endlich einzuschlafen.

So betrete ich also noch etwas mitgenommen von meinen Ängsten am nächsten Tag den Pausenhof und da passiert das Unvermeidliche: Die Schüler verstummen, sobald ich mich nähere, und stecken ihre Köpfe zusammen. Die neugierigen Blicke bohren sich penetrant bis in mein Innerstes, vor allem, da sie häufig mit Missfallen, Verachtung oder Neid durchmischt sind. Noch nie zuvor habe ich mich so unwohl in meiner Haut gefühlt.

Positiv aufzufallen war mir schon unangenehm, doch gewöhnt man sich relativ leicht an Bewunderung, im Gegensatz zu dieser boshaften Schaulust. Am liebsten würde ich mich unsichtbar machen, eine Gabe, die im Moment wesentlich hilfreicher wäre, als Strom zu erzeugen. Vielleicht ist ein gutes Stück davon auch nur pure Einbildung, aber es fühlt sich an, als bohrten sich die Blicke jedes Einzelnen bis zum Grund meiner Erinnerungen. Mein System ist permanent auf Flucht ausgerichtet, was ich natürlich nicht umsetze, der Drang fortzulaufen bewirkt jedoch, dass mir jeder Schritt wie in Zeitlupe vorkommt. Immerhin habe ich die beste Freundin der Welt, die sich keinen Deut um die Gerüchteküche schert. Auf dem Schulhof kommt mir Laura freudestrahlend entgegen. Dankbar blende ich alles um sie herum aus und strahle sie erleichtert an.

»Hallo Leisa! Wie geht’s? Bist du denn schon wieder fit genug für den täglichen Schulterror?«, fragt sie, während sie mich in die Arme zieht.

»Danke, mir geht’s gut«, antworte ich und versuche, die gaffenden Mitschüler auszublenden.

Dennoch entgehen mir die lauernden Blicke nicht.

»Habt ihr euch geküsst?«, platzt Christiane unverblümt heraus. Alle Augenpaare sprühen vor Neugier und ich spüre sofort, dass niemand mir glauben würde, ganz gleich, was ich behaupte.

»Nein, haben wir nicht«, antworte ich dennoch wahrheitsgemäß.

»Gib’s zu! Da läuft doch was zwischen euch!«, stochert Tiffy.

»Habt ihr sie noch alle? Wird das ein Verhör, oder was?«, verteidigt mich Laura. Sie stemmt die Hände in die Hüften und lässt ihren Blick erbost durch die Runde schweifen. »Was geht euch das überhaupt an?«

»Schließlich ist Herr Trawor unser Lehrer. Wenn er wegen Leisachen von der Schule fliegt, weil er was mit ihr anfängt, geht uns das wohl was an«, protestiert Jochen, wobei er grimmig die Augenbrauen zusammenzieht.

»Was habt ihr Frauen eigentlich immer mit diesem Mister Supermann Timon Trawor? Also echt! Ich kapier das nicht, dass du tatsächlich was mit diesem Schleimer anfängst, Leisa«, knurrt Mario. Er verdreht theatralisch die Augen und schüttelt durch die Lippen pustend den Kopf. »Da hättest du echt was Besseres bekommen können.«

»Du meinst wohl dich selbst, oder was?«, spottet Laura.

Mir wird das ganze Gerede langsam zu blöd.

»Ich hab gar nichts mit ihm!«, protestiere ich. »Wir haben nur die gleichen Interessen.«

Obwohl ich mittlerweile mehr wütend als genervt klinge, trifft mein Herausredeversuch auf taube Ohren.

»Sterne gucken, oder was?«, giftet mich Julia an.

Es klingt dermaßen bösartig, dass ich erschrocken zusammenzucke. Unvermittelt hebt sie die Hand, um meinen Zopf zu packen, doch Laura reagiert beinahe reflexartig und schlägt ihren Arm geschickt zur Seite. Julia weicht keuchend zurück.

»Jule, was soll das?«, schimpft meine Freundin. »Du bist doch nur eifersüchtig! Du würdest doch alles darum geben, mit Timon auf dem Schulhausdach in die Sterne zu schauen.«

»Pah, hab ich doch gar nicht nötig«, schnaubt Jule mit erhobener Nase.

»Leisa hat nichts verbrochen und so auf ihr rumzuhacken, nur weil ihr eifersüchtig seid, find ich gemein«, wettert Laura.

Vor lauter Rührung, wie sehr sie mich verteidigt, kämpfe ich gegen feuchte Augen. Der Schulgong läutet, was den Strom Richtung Schulgebäude in Gang setzt. Ich ziehe meine Freundin beiseite.

»Danke, Laura. Du bist eine echte Freundin.«

»Kein Thema! Jemand muss den Nasen doch mal den Kopf waschen. Außerdem kann es dir nun wirklich niemand verdenken, dass du in Timon verknallt bist. Und ein tolles Paar seid ihr auf jeden Fall.«

Ein leiser Seufzer entweicht meiner Kehle.

Ein Paar! Sind wir das denn überhaupt? Dass er mich sehr mag, hat er mir zwar gezeigt, aber etwas Offizielles ist das doch nicht, oder? Geküsst haben wir uns jedenfalls nicht und wie soll es denn jetzt überhaupt weitergehen? Eine heimliche Affäre?

»Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob wir tatsächlich ein Paar sind oder ob wir eines werden können«, flüstere ich, obwohl der Hof schon ziemlich leer gefegt ist.

»Ach, mach dir keinen Kopf. Ich weiß, dass das jetzt alles unmöglich aussieht, aber du liebst ihn und es spricht einiges dafür, dass er das gleiche fühlt. Alles andere wird sich schon ergeben.«

Doch ihre zuversichtlichen Worte können die Schatten über meiner Seele nicht auflösen. In der folgenden Mathestunde fällt mir das Konzentrieren unendlich schwer und ich bilde mir immer wieder ein, dass alle Augen nur auf mich gerichtet sind. Frau Summer hat sich krank gemeldet und wird in Deutsch durch Frau Maibaum vertreten. Die Deutschstunde verläuft aber auch nicht besser, vor allem, weil ich bemerke, wie Frau Maibaum mir immer wieder kritische Blicke zuwirft. Zwar geschieht das nur kurz und kaum merklich, doch auch ihre Stimme klingt seltsam verändert, als sie mich aufruft:

»Leisa, lies bitte deine Hausaufgabe vor!«, fordert sie mich mit spitzer Stimme auf.

»Ich war im Krankenhaus«, erwidere ich und beäuge meine Lehrerin mit kritisch verwundertem Blick.

»Hat dir niemand die Aufgaben mitgebracht?«, fragt sie, wobei ihre Tonhöhe beinahe um eine komplette Oktave nach oben schnellt. Ihr Ausdruck und das bleiche Gesicht erinnern mich an Fräulein Rottenmeier aus der Kinderserie Heidi – fehlt lediglich die Brille auf der Nase. Der Vergleich hinkt natürlich, weil Frau Maibaum wesentlich jünger ist und die braunen Haare offen trägt. Auch das blaue Kleid, das für die Schule einen Tick zu elegant wirkt, erinnert wenig an die strenge Haushälterin.

»Nein.«

»Seit wann muss man Hausaufgaben machen, wenn man krank ist?«, platzt Laura dazwischen.

Doch Frau Maibaum würdigt sie keines Blickes, stattdessen fixiert sie mich mit zusammengekniffenen Augenbrauen.

»Das kommt ganz auf den Schweregrad einer Krankheit an. Dir scheint es ja wieder ganz gut zu gehen, oder?«

»Ja«, antworte ich verhalten.

»Das freut mich«, erwidert sie so spitz, dass von der angeblichen Freude nichts herauszuhören ist. »Dann kannst du die Aufgaben ja nachholen.«

Was könnte ich darauf schon entgegnen?

Mangels einer schlagkräftigen Antwort schweige ich. Vor meinem Krankenhausaufenthalt war Frau Maibaum immer freundlich zu mir und jetzt sprüht sie vor Kälte. Deutlicher kann eine Verhaltensänderung gar nicht ausfallen. Insofern wundert mich das nicht, weil ich ja einmal mitbekommen habe, wie sie für Timon schwärmt, was zwar den meisten Frauen genauso geht, aber vielleicht leidet meine Lehrerin unter Liebeskummer der übelsten Sorte.

Kann es sein, dass sie sich in ihrem Stolz verletzt fühlt, von einer Schülerin ausgebootet zu werden?

Mit mulmigem Gefühl kämpfe ich mich durch die Deutschstunde. Aus Angst vor weiteren Angriffen, wage ich nicht mehr, mich zu melden. Wie in alten Zeiten verkrieche ich mich zunehmend in meiner Gedankenwelt – ein deutlicher Rückschritt.

 

In der großen Pause treibt es mich wie früher in meine einsame Hofecke, doch das lässt Laura nicht zu. Sie legt einen Arm um meine Schulter und zieht mich zu den anderen aus unserer Klasse, während sie auf mich einredet:

»Es kommt gar nicht in Frage, dass du dich versteckst. Das käme einem Schuldeingeständnis gleich und du hast nichts verbrochen. Je offensiver du mit den Gerüchten umgehst, desto besser.«

»Okay. Bestimmt hast du Recht«, lenke ich seufzend ein und lasse mich ein wenig widerstrebend in die andere Richtung geleiten. »Aber es fällt mir nicht leicht.«

Wir füllen die Lücke in der Runde unserer Mitschüler und ich stelle erleichtert fest, dass das neugierige Starren nachgelassen hat. Lediglich Julia versieht mich mit giftigen Blicken, bevor sie sich wortlos umdreht und die Gruppe verlässt. Ich schaue ihr unglücklich hinterher. Auch wenn ich sie nicht zu meinen Freundinnen zähle, verletzt mich ihr Verhalten.

»Lass sie, die beruhigt sich schon wieder. Genau genommen macht sie sich dadurch nur selbst lächerlich«, kommentiert Laura.

 

Nach der Pause folgt die Stunde bei Timon, vor der ich mich schon den ganzen Tag gefürchtet habe. Es kommt mir vor, als würde mein Herzklopfen durch den ganzen Physiksaal hallen. Sämtliche Augenpaare starren mich an. Jeder wird genau beobachten, wie wir uns ansehen oder ob wir irgendeine Veränderung in unserem Verhalten zeigen. Sogar wenn Timon mich ignoriert, wird das auffallen. Ich beschließe, möglichst still dazusitzen, zuzuhören und mitzuschreiben.

Dann ist es so weit: Timon tritt durch die Tür, ich halte unwillkürlich die Luft an und die Klasse verstummt abrupt.

»Guten Morgen«, grüßt er wie immer.

Seine dunkelgrünen Augen sehen mich nicht an, als er zur Tafel geht.

Warum muss dieser Mann nur so verdammt gut aussehen, mit seinem Dreitagebart und den halblangen Haaren?

Ich ertappe mich dabei, wie eine Szene durch meinen Kopf rauscht, in der er mich stürmisch in die Arme zieht, seine Finger besitzergreifend über meinen Rücken und durch die Haare in meinen Nacken streifen, um von meinen Lippen den lang ersehnten Kuss zu fordern.

O verflixt! Haben die anderen etwas davon bemerkt? Haben sie überhaupt wie üblich mit »Guten Morgen, Herr Trawor« geantwortet, oder war es peinlich still?

Nichts davon habe ich mitbekommen, dafür spüre ich die Blicke meiner Mitschüler. Wie schon lange nicht mehr, verstecke ich mich hinter meinem Haarvorhang. In meinem Geist sehe ich förmlich, wie meine Wangen in einem satten Pink zu leuchten beginnen.

Timon klappt die Tafel auf, was einen neuen Schwall heißes Blut in mein Gesicht treibt, denn auf dem grünschwarzen Untergrund prangt ein formatfüllendes rotes Kreideherz. Im Inneren hat jemand mit dicken weißen Kreidestrichen »Leisa + Timon« gemalt. Gelächter und Rufe des Erstaunens werden von Kichern und Tuscheln der Klasse abgelöst. Ich verstecke mich noch tiefer hinter einem Vorhang aus langen blonden Haaren.

Timon dagegen lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er sieht sich das Herz gelassen an.

»Ein gelungenes Kunstwerk muss ich sagen. Allerdings hat es nicht sehr viel mit dem heutigen physikalischen Thema zu tun, deshalb muss es leider entfernt werden. Jochen, wischst du bitte die Tafel, während ich die neuen Arbeitsblätter verteile?«

»Okay«, erklärt er und fängt den Schwamm auf, den Timon ihm zuwirft.

Die Situation entspannt sich merklich und ich atme erleichtert auf. Timon hat mich weder verleugnet noch in eine peinliche Lage gebracht. Als er an meinem Tisch vorübergeht und mir dabei das Arbeitsblatt hinlegt, treffen sich unsere Blicke für den Bruchteil einer Sekunde und ich bilde mir ein, dass ein verschmitztes Lächeln über seine Augen huscht.

Ob es jemand bemerkt hat, außer mir?

Heiße und kalte Schauer wandern durch meinen Körper. Mit klopfendem Herzen wende ich mich dem Arbeitsblatt zu. Vergeblich versuche ich, mich auf den Inhalt zu konzentrieren. Wie wild gewordene Bienen surren Gefühle und Gedanken durch mein Hirn. Ich bringe gerade mal die Hälfte der Aufgaben zu Ende, über die zweifelhaften Ergebnisse denke ich lieber nicht näher nach. Ansonsten verläuft die Schulstunde ruhig.

Als der Gong den Unterricht schließlich beendet, atme ich auf. Um weiterem Gerede aus dem Wege zu gehen, verlasse ich den Physiksaal rasch und ohne Timon anzusehen, am liebsten hätte ich jedoch genau das Gegenteil getan. So wandele ich gedankenverloren durch die Flure zurück zum Klassenzimmer, lausche nur mit halbem Ohr, was Laura mir über das Abi-Abschlussfest erzählt.

Wenn ich doch noch einmal seine Hand halten könnte … Warum auch muss er ausgerechnet ein Lehrer sein? Macht das eine Beziehung nicht komplett aussichtslos? Wenn überhaupt etwas läuft, würde daraus doch nur ein elendes Versteckspiel.

Ich wälze meine Gedanken mühsam hin und her und überhöre dabei das Tuscheln auf den Gängen und übersehe den Fünftklässler, der mit dem Finger auf mich zeigt und mir dabei die Zunge rausstreckt. Die Englischstunde verbringe ich damit, die Galaxie Andromeda in mein Heft zu zeichnen, während ich mir in meiner Fantasie von Timon die Sterne zeigen lasse, unter der Kuppel auf dem Schulhausdach. Dort oben waren wir uns so nah und vertraut. Das kommt mir jetzt unerreichbar weit entfernt vor.

»Leisa, was machst du da eigentlich?«, unterbricht Laura meine Träumereien, wobei sie mich in die Seite stupst. »Wir schreiben gerade einen Englisch-Aufsatz, falls dir das entgangen sein sollte.«

»Oh«, bringe ich erschrocken hervor.

Tatsächlich habe ich nicht mitbekommen, dass wir heute eine Arbeit schreiben und statt des Aufsatzes habe ich eine Galaxie in mein Heft gemalt. Die Sterne wirbeln um ein leuchtendes Zentrum, in dem Timons Name prangt. Ich setze gerade an, das Blatt herauszureißen, als Herr Mittmann an meinen Tisch tritt, um die Hefte einzusammeln.

Muss er ausgerechnet bei mir damit anfangen?

Hektisch klappe ich das Heft zu, damit er die Zeichnung nicht sieht, und lasse es mir widerwillig aus den Händen ziehen. Dabei stöhne ich lauter als gewollt, was bewirkt, dass ich mal wieder zur Zielscheibe aller Blicke werde. Jeder hier weiß von Timons Begeisterung für die Sterne und wenn Herr Mittmann meine Zeichnung entdeckt, käme das sicher einer Bestätigung aller Gerüchte gleich. Ich widerstehe dem Drang, mir verzweifelt die Haare zu raufen und starre stattdessen auf den anwachsenden Heftestapel in den Händen meines Lehrers. Im Geiste sehe ich bereits, wie er meine Galaxie im Kollegium herumzeigt und wünsche mir einmal mehr an diesem Tag, im Keller des Schulgebäudes abzutauchen.

Der Gong läutet zur Pause und Herr Mittmann verschwindet mit den Heften unterm Arm.

»Leisa, was ist los?« Laura mustert mich mit besorgter Miene. »Geht’s dir gut? Du bist so blass.«

»Ich bin so blöd«, wispere ich durch die Zähne, ohne sie dabei anzusehen.

»Warum denn? Weil du was in dein Heft gemalt hast, statt den Aufsatz zu schreiben? Mach dir doch deshalb keinen Kopf! Das wird deine Note schon nicht herunterziehen. Du bist halt ziemlich neben der Kappe. Aber das ist doch verständlich. Vielleicht lässt Herr Mittmann mit sich reden, dass du die Klausur wiederholen kannst.«

»Verstehst du denn nicht?«, flüstere ich zerknirscht, »ich habe nicht irgendwas gemalt, sondern eine Galaxie und im Zentrum steht obendrein Timons Name.«

»Oh, okay. Versteeehe!« Das letzte Wort zieht Laura bedeutsam in die Länge. »Dann sollten wir schleunigst versuchen, das Heft zurückzubekommen.«

»Was? Wie willst du das denn anstellen?«, hauche ich, während ich meine Mitschüler misstrauisch beäuge. Fehlte noch, dass jemand uns belauscht.

»Du vergisst, dass ich Klassensprecherin bin. Ich gehe einfach unter einem Vorwand ins Lehrerzimmer und schaue nach, ob Herr Mittmann die Hefte in sein Fach gelegt hat. Wenn keiner hinschaut, reiße ich die Seite einfach aus deinem Heft heraus.«

»Echt, das würdest du machen?«

»Klar, warum nicht?!«

»Das ist total lieb von dir, aber ich halte draußen Wache, um dich zu warnen, wenn jemand kommt.«

 

Kurz darauf stehen wir wie zufällig neben der Tür zum Lehrerzimmer. Noch bevor der Gong die nächste Stunde einläutet, schwärmen etliche Lehrer wie Bienen zu ihren Klassen aus. Da steuert plötzlich Frau Maibaum auf meine Freundin zu.

»Ah, Laura! Gut, dass ich dich treffe. Ich habe eine wichtige Aufgabe für dich: Es geht um die Organisation des Abschlussfestes. Hast du eine Minute Zeit?«, fragt sie Laura.

Mich übersieht sie dabei völlig.

»Äh, eigentlich …«, stammelt Laura, doch Frau Maibaum fällt ihr ins Wort.

»Es geht ganz schnell, begleite mich doch noch ein Stück den Flur entlang, dann kommst du auch rechtzeitig zum Unterricht.«

Frau Maibaum zieht Laura förmlich mit sich, während diese mir einen entschuldigenden Blick über die Schulter zuwirft. Währenddessen redet die Lehrerin ununterbrochen auf sie ein.

Ich bleibe allein zurück und schiele hilflos nach der Tür, als zwei Frauen gefolgt von Timon aus dem Lehrerzimmer kommen.

Wer sind die? Neue Lehrerinnen? Warum strahlen die so?

Die weiblichen Personen wenden sich zum Hinterausgang, welcher zu den Parkplätzen führt. Meine Verwirrung wird jedoch überlagert von Timons Anblick. Er strahlt mich an und ich kann gar nicht anders, als zurückzustrahlen, was jedoch nicht lange anhält, denn mir fällt wieder der Grund ein, weshalb ich hier bin.

»Was ist los? Stimmt was nicht?«

Timon legt die Hände auf meine Schultern und blickt forschend in meine sich verfinsternde Miene. Seine fürsorgliche Geste bringt jedoch all die verdrängten Gefühle verstärkt an die Oberfläche, sodass ich nur mit Mühe die Tränen zurückhalten kann. Unvermittelt bedeutet mir Timon, ihm zu folgen. Wir gehen zur gegenübergelegenen Schulbücherei. Sie ist verschlossen, daher benutzt Timon seinen Schlüssel, um die Tür zu öffnen. Nachdem er hinter uns wieder abgeschlossen hat, wendet er sich mir zu. Obwohl es recht düster ist neben den Reihen an Bücherregalen, scheinen die Sprenkel in seinen dunkelgrünen Augen in einem reinen Goldton zu leuchten. Mein Herz rast. Hier sind wir ganz alleine, ohne lästige Zuschauer.

Wie es sich wohl anfühlt, diese Lippen auf meinen zu spüren?

Jetzt bewegen sie sich und ein sanftes Flüstern beduselt mein Hirn.

»Was ist passiert?«, fragt Timon, während er mit einem Finger zärtlich über meine Wange streicht.

Statt romantischer Liebesgefühle bringt das jedoch den angestauten Kummer erneut zum Ausbrechen. Je mehr ich mich darüber ärgere und die Tränen zurückzuhalten versuche, desto stärker drängen sie aus meinen Augen.

Frau Maibaums Attacken und das Gefühl, zum allgemeinen Hassobjekt geworden zu sein, wiegen schwer auf meiner Seele. Ganz zu schweigen vom Missgeschick mit der verpatzten Klausur …

Unter Schluchzen rinnen wahre Bäche an salziger Flüssigkeit über meine Wangen. Timon zieht mich betroffen an sich und wiegt mich in seinen Armen, so lange, bis mein Schluchzen abgeklungen und alle Tränen versiegt sind.

»Ich weiß, es ist schwer mit all dem Gerede …«, flüstert Timon leise.

Mehr als ein »Mhm« bringe ich jedoch nicht hervor. Dafür dringt Timons Nähe verstärkt in mein Bewusstsein, ich spüre seine Arme, die mich tröstend wiegen, nehme seinen männlich-herben Duft auf, ein wenig verschwitzt, was mich ganz und gar nicht stört. Mit einem Male erscheinen mir meine Sorgen ganz unwirklich. Doch bevor ich mich in einem Wohlgefühl verlieren kann, schiebt mich Timon ein Stück von sich fort, um mich anzusehen.

»Was ist denn passiert?«, will er wissen.

Ich schließe die Lider und atme tief durch, bevor ich mit heiserer Stimme antworte:

»Ich-ich habe versehentlich etwas in mein Englisch-Aufsatzheft gemalt, was Herr Mittmann auf keinen Fall sehen sollte«, bricht es schließlich aus mir heraus. »Laura wollte mir helfen, die Seite auszureißen, aber Frau Maibaum hat sie förmlich mit sich fortgezogen.«

»Ach so! Und ich habe mir schon eingebildet, du wolltest zu mir«, beschwert sich Timon gespielt beleidigt.

Er streicht sanft über mein Haar, dann wendet er sich entschlossen ab.

»Warte hier! Ich bin gleich wieder da.«

Er verschwindet aus der Bibliothek, doch nach kurzer Zeit taucht er wieder auf. Siegessicher lächelnd wedelt er mit einem Blatt in der Hand.

»Ist dies das Gemälde, das Herr Mittmann nicht sehen sollte?«, fragt er lächelnd.

Ich nicke und grinse beschämt, indem ich beide Zahnreihen zeige.

»Eine Galaxie! Sehr schön mit den vielen bunten Farben und meinem Namen in der Mitte. Darf ich das Bild behalten?«

»Klar«, antworte ich strahlend, während Timon es bereits sorgsam zusammenrollt und in die Brusttasche seines Hemdes steckt.

»Du hast recht, es wäre sicherlich ein gefundenes Fressen für die Gerüchteküche, wenn Herr Mittmann das Bild gefunden hätte. Müsstest du jetzt nicht im Unterricht sein?«

»Ja, eigentlich schon«, gebe ich zu. »Und du?«

»Ich habe heute keinen Unterricht mehr. Aber du solltest dich jetzt besser beeilen.«

In der Absicht, die Bibliothek zu verlassen, lege ich die Hand auf die Türklinke. Es fällt mir jedoch schwer, mich von ihm zu trennen, vor allem, weil mich Timon, entgegen seiner Worte, förmlich gefangen hält, indem er mir tief in die Augen sieht und eine Strähne meines Haares langsam um den Finger wickelt. Während meine Hand wie automatisch die Klinke runterdrückt, zieht er mich sanft zu sich.

»Warte noch, Leisa«, flüstert Timon, was sämtliche Schmetterlinge in meinem Bauch in wilden Aufruhr versetzt.

Ich liege in seinen Armen, atme den männlichen Duft, spüre, wie seine Finger über Rücken und Nacken wandern. Timon vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren und atmet tief durch. Meine Knie wackeln mal wieder, als hätte jemand Gelee in die Gelenke gefüllt.

»Du musst gehen …«, flüstert er wehmütig.

Entgegen seiner Worte schließt Timon seine Arme jedoch noch fester um mich.

»Ja, stimmt …«, antworte ich heiser und schmiege mich an ihn.

Timon vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren und atmet ihren Duft, was mich an das Schulhausdach erinnert, wo wir ähnlich wie jetzt zusammenstanden.

Ich schließe die Lider und wünsche mir, die Zeit würde genau jetzt stehenbleiben, um diesen magischen Moment auf ewig zu konservieren. Doch schon ist er wieder vorüber, denn ich bin nicht mehr zufrieden damit, ich wünsche mir mehr, viel mehr, aber vor allem einen Kuss …

Um mein Gesicht in die richtige Position dafür zu bringen, weiche ich ein wenig zurück, wo ich schier in Timons Blick zu versinken drohe. Er streichelt mit dem Handrücken über meine Wange. Als ich die Lippen erwartungsvoll öffne, huscht ein Lachen über seine Augen. Statt des ersehnten Kusses flüstert er sanft:

»Du solltest jetzt gehen.«

Dieses Mal meint er es ernst, denn er lässt mich los, öffnet die Tür für mich, dreht sich dann einfach um und verschwindet zwischen den Regalen.

Was war denn das?

Ein wenig enttäuscht, verwirrt, aber dennoch wie auf Wolken schwebend, verlasse ich die Bibliothek und wandele beschwingt die Flure entlang. Jetzt kann mir nichts mehr etwas anhaben – weder die starrenden Blicke der Mitschüler noch die genervte Frage meiner Kunstlehrerin, weshalb ich zu spät komme.

»Mir war übel«, lüge ich, während ich mich auf meinen Platz fallen lasse.

»Wo warst du so lange? Hast du das Blatt herausreißen können?«, flüstert Laura und mustert mich forschend.

»Ja, alles okay.«

»So? Wie hast du das denn geschafft? Und wer hat dir dieses selige Lächeln ins Gesicht geklebt? Warst du etwa mit Timon zusammen?«, wispert sie, für meinen Geschmack etwas zu laut, aber ich bin noch immer so elektrisiert, dass sich meine Sorgen in Grenzen halten.

Ich brauche auch nicht viel zu antworten, denn ich kann spüren, wie ein seliges Strahlen meine Augen verlässt.

Jedem, der mich jetzt ansieht, wäre sofort klar, was Sache ist.

»Mhm«, ist das einzige, was ich zu antworten vermag.

»Okay, ich denke, die ausführliche Version verschieben wir auf später, wenn du wieder auf dem Erdboden stehst«, bemerkt Laura grinsend.

Sie schüttelt den Kopf und widmet sich wieder ihrem Bild. Wie die anderen müht sie sich damit ab, die antike Vase abzuzeichnen, die Frau Maisner auf dem Pult platziert hat. Ich ziehe ebenfalls meinen Block aus der Mappe und beginne, die Umrisse abzumessen.

»Dieses Mal solltest du aber immer an Vase denken, statt an Sterne, okay?«, ermahnt mich Laura. Sie zwinkert belustigt.

Das Zeichnen bereitet mir große Mühe, weil meine Gedanken immer wieder zu Timon abschweifen. Außerdem will meine Hand lieber Sterne und Galaxien malen, als eine langweilige Vase, die mir nichts bedeutet. Als der Gong mich vom Kunstunterricht erlöst, habe ich etwas gezeichnet, das man eher mit einem Staubsauger verwechseln könnte, als mit der Vorlage auf dem Pult. Das ist mir jedoch egal. Kunst gehört sowieso nicht zu meinen Lieblingsfächern und beim Malen habe ich zwei linke Hände und einen verzerrten Blick.

 

Nach der Stunde zieht mich Laura in eine stille Ecke.

»So, jetzt will ich aber alles ganz genau wissen. Was habt ihr getrieben und hat euch jemand gesehen?«

»Ach, da gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Timon kam zufällig aus dem Lehrerzimmer. Ich hab ihm erzählt, was passiert ist und dann hat er mir das Blatt geholt und in die Bücherei gebracht.«

»Soso, ihr wart also zusammen in der Bücherei. Und was dann? Habt ihr euch geküsst?«, haucht sie aufgeregt.

Eigentlich würde ich die Details lieber für mich behalten, aber ich kann meiner Freundin ansehen, dass sie nicht lockerlassen wird.

»Nein, wir haben uns nicht geküsst. Timon hat mich getröstet, weil ich so fertig war wegen der Anfeindungen und er hat mich gefragt, ob er mein Bild behalten darf«, flüstere ich, während ich mich wachsam umschaue, ob uns jemand belauscht. Doch die Schüler um uns herum scheinen in ihre eigenen Dinge vertieft zu sein.

Was Laura wohl darüber denkt, dass Timon mich noch immer nicht geküsst hat?

Ich warte auf ihre Reaktion, doch sie schaut nur nachdenklich drein. Wahrscheinlich ist sie jetzt enttäuscht. Nach einer unangenehmen Schweigeminute murmelt sie etwas wie: »So wie ich die Dinge einschätze, bedeutest du ihm sehr viel …«

»Woran willst du das denn erkennen?«, frage ich verwundert wie elektrisiert gleichermaßen.

»Nur so ein Gefühl«, antwortet sie augenzwinkernd. »So, aber jetzt muss ich los. Französisch haben wir ja nicht zusammen. Bis morgen.«

»Ja, dann bis morgen. Tschüss!«

Ich gehe zu meinem Kurs in den zweiten Stock und bringe eine unspektakuläre Spanisch-Stunde hinter mich.

 

Froh, den ersten Schultag nach der Gewitternacht unbeschadet hinter mich gebracht zu haben, überquere ich gut gelaunt den Schulhof. Es ist kälter geworden in den letzten Tagen. Das war schon lange überfällig, denn der Herbst hat schon einige Blätter an den Bäumen und Sträuchern bunt gefärbt.

Da ich heute weder Werner noch Dr. Birkenfeld und seine Arzthelferin fürchten muss, gehe ich ohne Umwege nach Hause. Ein eisiger Schauer wandert mir über den Rücken, beim Gedanken daran, dass sie nun alle tot sind. Zum Glück sind mir der rothaarige und der dicke Freund von Werner heute nicht begegnet. Wer weiß, wie sie jetzt auf mich reagieren.

Soll Werner nicht heute beerdigt werden? Vielleicht waren seine Freunde deshalb nicht in der Schule …

Soweit ich mitbekommen habe, wurden ein paar Schüler für die Trauerfeier beurlaubt und es wundert mich nicht, dass ich keine Einladung dazu erhalten habe. Obwohl ich nicht für Werners Tod verantwortlich bin, fühle ich mich irgendwie schuldig. Immerhin hat er die mit Betäubungsmittel versehenen Pralinen gegessen, die für mich bestimmt waren. Daraufhin hat ihn Dr. Birkenfeld getötet, wahrscheinlich vergiftet. Außer mir weiß nur Timon davon und ganz sicher werde ich Laura oder sonst wen nicht auch noch in Gefahr bringen, indem ich davon erzähle. Um nicht weiter in düsteren Grübeleien zu versinken, schiebe ich das Thema beiseite und denke lieber an Timon und mich, wie wir uns in der Bücherei nahegekommen sind.

Vor der Haustür angekommen, schließe ich kurz die Augen, um ganz in dem Gefühl seiner Umarmung zu versinken, das Prickeln meiner Haut, als er mit dem Finger darüber gestreichelt hat. Ich atme tief ein, im Versuch, mir seinen Duft in Erinnerung zu rufen.

O Mann, bin ich jetzt komplett bescheuert, wie ich mich benehme? Wie kann man nur so in jemanden verschossen sein? Ich sollte langsam echt mal wieder auf dem Boden landen!, rüge ich mich selbst.

Verstohlen schaue ich mich um, ob mich jemand beobachtet hat, doch zum Glück ist die Straße menschenleer. Tief durchatmend betrete ich unser kleines Reihenhaus. Beim routinemäßigen Leeren des Postkastens finde ich einen Brief ohne Absender und Briefmarke. Lediglich »Leisa Blum«, steht in schwarzen Druckbuchstaben auf dem weißen 0-8-15 Umschlag.

 

Anonymer Brief

Mein Herz donnert. Mit zittrigen Fingern reiße ich das Kuvert Stück für Stück auf, halte in der Bewegung jedoch inne. Eine schlimme Ahnung macht sich in mir breit:

Könnte das eine Briefbombe sein? Oder wäre sie in diesem Fall jetzt schon explodiert?

Ich mustere das gewöhnlich weiße Papier argwöhnisch. Der Inhalt kann kaum mehr als aus einem einzelnen Blatt bestehen, so dünn wie sich das Kuvert anfühlt. Auch ertaste ich keinerlei Unebenheiten. Vorsichtig ziehe ich die Seiten an der bereits aufgerissenen Stelle auseinander und luge durch die Öffnung hinein, kann aber nichts entdecken.

Ein leerer Briefumschlag, auf dem nichts weiter als mein Name steht? Was soll denn das?

Etwas mutiger ziehe ich den Finger Stück für Stück unter der oberen Kante hinweg, bis er am Ende des Kuverts anlangt. Auch jetzt finde ich keinen Inhalt, egal wie ich den Umschlag drehe, wende und begutachte.

Ein blöder Scherz von Werners Freunden oder hat es etwas mit Dr. Birkenfeld zu tun? Komisch …gruselig …

Es schüttelt mich bei dem Gedanken, dass mir mit dieser Aktion offenbar jemand Angst einzujagen versucht – leider mit Erfolg. Ich betrachte das Papier noch eine Weile unschlüssig, dann stopfe ich es in die unterste Schublade der Kommode und versuche, mich selbst davon zu überzeugen, dass der anonyme »Brief« ganz sicher aufs Konto von Werners Freunden geht.

Diese Blödmänner können mich mal … Oder hat da jemand einfach vergessen, den Inhalt hineinzustecken?

Im Kopf hake ich damit das Thema zwar ab, das ungute Gefühl hängt mir jedoch weiter nach.

Wie so oft bin ich allein, weil meine Mutter Tina noch im Büro arbeitet. Halbherzig wende ich meine Konzentration wieder dem Alltag zu. Als nächstes steht Mittagessen auf dem Programm. Da denke ich mir etwas besonders Exotisches aus: Spaghetti mit Tomatensoße! Zugegeben, ich habe einfach keine Lust auf Kochen, so wird’s heute halt ein Allerweltessen, das ich geistesabwesend zubereite und noch geistesabwesender verzehre. So wundert es wenig, dass das Nudeleinsaugen üble kleine rote Punkte auf meinem weißen Top hinterlässt.

»Wenn man mit den Gedanken ständig woanders ist, passieren eben viel zu viele Missgeschicke«, kommentiert wenig später mein Affe Bengi das Punktemuster. »Du solltest dich umziehen, bevor Timon-Schatzi dich so sieht.«

»Ach, wo sollte er mich denn sehen? Ganz bestimmt kommt er nicht hier her.«

»Was macht dich denn da so sicher?«

»Keine Ahnung, ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Das ist alles so schwierig und verworren«, murmele ich frustriert. »Ein richtiges Paar sind wir schließlich nicht, oder?«

»Was fragst du mich? Du musst das doch wissen. Außerdem bin ich nur eine Affenpuppe. Besorg mir doch ein nettes Affenmädchen. Dann könnte ich Beziehungserfahrungen sammeln und dir Tipps geben.«

»Soweit kommt’s noch …«

Unwillkürlich schweifen meine Gedanken ab.

Timon! Ach, wenn wir uns doch zusammen irgendwo auf eine einsame Insel beamen könnten – weit weg von allen Problemen …

Irgendwie habe ich keine rechte Lust auf Bengi, außerdem sorge ich mich noch immer wegen des anonymen Briefes. Daher stopfe ich meine Bauchrednerpuppe in die Kiste und mache mich an die Hausaufgaben, aber auch das artet eher in Quälerei aus, weil ich mit üblen Konzentrationsschwierigkeiten zu kämpfen habe.

Als Tina am Abend nachhause kommt, beendet sie mit der zufallenden Haustür gerade einen meiner intensiven Tag- oder eher Abendträume.

»Hallo, Leisa«, ruft sie gut gelaunt die Treppe hinunter.

»Hallo«, antworte ich und wandele mehr oder weniger geistesabwesend die Treppe hinauf.

»Wie war’s in der Schule? Was macht dein Lieblingslehrer?«

Meine Mutter wieder!

Natürlich ist mir klar, dass sie lediglich die zweite Frage interessiert. Schule hat sie schließlich noch nie gemocht, dafür kann sie sich mit dem Thema Klatsch und Tratsch rund um menschliche Beziehungen stundenlang beschäftigen.

»Alles okay …«, murmele ich leicht kopfschüttelnd, während ich bei ihr oben im Erdgeschoss angelange (von der Hangseite aus gesehen, versteht sich).

»Aber vergiss bloß nicht die Kondome. Ich fühle mich noch viel zu jung, dass jemand Oma zu mir sagt«, ermahnt sie mich, doch ihrem Grinsen nach zu urteilen, hätte sie nicht wirklich etwas gegen Nachwuchs.

Entrüstet schnappe ich nach Luft.

»Mama, wir schlafen nicht miteinander«, protestiere ich. »Wir haben uns noch nicht einmal geküsst.«

Eigentlich könnte ich in diesem Punkt ja zufrieden mit meiner Mutter sein. Andere würden sicher riesigen Terror veranstalten, wenn die Tochter ein Verhältnis mit ihrem Lehrer hätte. Tina dagegen scheint beinahe sogar stolz auf ihre sonst-immer-brave-Tochter zu sein, wahrscheinlich weil sie mir so etwas »Unerhörtes« überhaupt nicht zugetraut hätte.

»Tatsächlich?« Tina steht mir im Hausflur gegenüber und mustert mich ungläubig wie erstaunt gleichermaßen. Sie stellt ihre Tasche auf die Kommode und wir gehen gemeinsam ins Wohnzimmer. »Bisher dachte ich, alle Männer wären gleich, aber dein Lehrer scheint da wohl eine Ausnahme zu sein. Bekomme ich diesen anständigen Kerl denn auch mal zu sehen?« Während sie das fragt, lässt sich meine Mutter erschöpft in ihren roten Ledersessel fallen und reibt sich die Schuhe von den Füßen. Ein Duft von verschwitzten Nylons macht sich breit, aber das ignoriere ich und lasse mich auf der Couch nieder.

»Ähm, vielleicht … Ich weiß noch nicht so recht, ob wir ein Paar sind und was daraus noch wird. Es ist schwierig«, seufze ich frustriert.

»Weiß denn jemand in der Schule davon?«

»Na ja, es stand ja quasi in der Zeitung.«

»Ach so. Stimmt ja. Die sollen sich nicht so anstellen, ist doch nichts dabei! Immerhin bist du schon volljährig.«

Die spontan aufgeflammte Motivation, das Thema mit meiner Mutter zu diskutieren, ist genauso schnell wieder verflogen, wie sie gekommen ist. Warum, kann ich nicht sagen, vielleicht weil wir einfach zu verschieden sind in unserer Art. So stehe ich wieder auf mit dem Kommentar:

»Stimmt, aber egal, das wird schon irgendwie. Hast du Hunger? Wollen wir zusammen das Abendessen machen?«

»Zusammen? Okay, warum nicht.«

Wir gehen in die Küche, wo wir das eben Gesagte gemeinsam in die Tat umsetzen, während sich Tina unablässig über die Intrigen in ihrem Büro auslässt. Das geht auch während des Abendessens so weiter und selbst beim Abwasch werde ich nicht vom Büroklatsch verschont, den ich geistesabwesend mit »Ja«, »Ach so« und »Jaja« kommentiere. Meine Mutter merkt nicht einmal, dass ich nicht zuhöre und dann trennen sich unsere Wege, als ich in meinem Zimmer verschwinde und Tina vor ihrem neuen Flachbildfernseher abtaucht.

Vor dem Schlafengehen übe ich noch mit meinen Kraftfeldern, indem ich die Schrauben aus der Kiste mit einem Magnetfeld zu meiner Hand hochfliegen lasse, um sie dann mit einem metallabstoßenden Kraftfeld aufs Bett zu schleudern. Das wiederhole ich mehrfach. Es sieht dabei so aus, als wären die Schrauben durch ein unsichtbares Gummiband mit meinen Fingern verbunden, an dem sie vor und zurück geschleudert werden.

Wie das überhaupt funktionieren kann, weiß ich nicht, aber es ist mir mittlerweile auch gleich, warum es geht. Jedes Forschungslabor würde mich wahrscheinlich von den Haar- bis zu den Zehenspitzen durchleuchten und unendlichen Versuchsreihen aussetzen. Da kann ich froh sein, dass außer meiner Mutter nur Timon von meiner besonderen Fähigkeit weiß, Strom und Kraftfelder zu erzeugen. Die anderen drei Leute, die damit in Kontakt kamen, sind tot – bis auf die Freunde von Werner. Die beiden haben zwar auch etwas von meinem Strom mitbekommen, aber sie dachten, ich hätte einen Elektroschocker bei mir versteckt.

Erschöpft von Gedankenkreisen und Sorgen lege ich mich schließlich ins Bett und denke nur an Timon, so lange bis ich einschlafe und von ihm träume …

 

* * *

 

Seit der Gewitternacht sind meine Alpträume komplett verschwunden, so ist es eine ungewohnte Erfahrung, am nächsten Morgen ohne Schreie und schweißdurchtränktes Nachthemd aufzuwachen. Die andere Gewohnheit bleibt jedoch bestehen, denn als ich auf den Wecker schaue, ist es mal wieder Punkt sechs Uhr.

Und schon werde ich von unbehaglichen Gedanken überfallen:

Bestimmt sind Werners Freunde heute wieder in der Schule! War der anonyme Brief eine Warnung?

Am liebsten würde ich mich unterm Kissen verkriechen und den ganzen Tag zu Hause im Bett bleiben, doch dadurch ließe sich das Problem nur hinauszögern, nicht lösen. Außerdem habe ich mir ja vorgenommen, mich der Sache zu stellen. Schließlich stimmt es, was Laura gesagt hat: Ich habe nichts verbrochen.

Ich wünschte, das alles, die verstohlenen Blicke der Schüler, die veränderten Reaktionen der Lehrer und die Anfeindungen von Werners Freunden, würden an mir abprallen, wie die Metallstücke an meinem Magnetfeld.

Die Vorstellung gefällt mir. Vielleicht hat das ja wirklich einen Effekt, wenn ich mir so ein mentales Kraftfeld errichte. In meinem Geist schließt sich um mich herum ein leuchtender Ring, der alles Verletzende auflöst, nur positive Energien bis zu meiner Seele hindurch lässt. Dabei denke ich an Timon und Laura, die einzigen Menschen, die in der Schule zu mir halten. Ich wälze mich mühsam aus dem Bett und stürze mich in einen neuen Tag voller unbekannter Variablen: Die erste liegt vor meinem Bett in Form einer Schraube, die mir einen Schmerzensschrei entlockt, als sie sich in meine nackte Sohle bohrt. Die Schraube war wohl bei meiner Magnetfeldübung am Vortag liegengeblieben.

Was für ein Aufstehen!

 

* * *

 

Buntes Herbstlaub wird von kühlen Winden durch die Luft gewirbelt und flattert mir und den anderen Schülern um die Füße, als ich an diesem Morgen auf dem Schulhof eintreffe. Vereinzelte Sonnenstrahlen blinzeln zwischen rasch vorbeiziehenden Wolkenfetzen hindurch. Büsche und Bäume auf den grünen Inseln werden kräftig durchgerüttelt.

Wider Erwarten dreht sich kaum jemand nach mir um oder starrt mich an. Das Interesse an Leisa Blums Liebesleben scheint weitgehend verflogen zu sein. Nachdem man sich intensiv über mich ausgelassen hat, ist das Feuer offenbar abgebrannt, jedenfalls solange, bis ich neuen Stoff für Klatsch liefere – was ich natürlich vermeiden möchte.

Plötzlich entdecke ich den Dicken und den Rothaarigen, wie sie sich, vertieft in ein Gespräch, an anderen Schülern vorbei drängen. Sie steuern direkt auf mich zu und fixieren mich kurz, was einen schon fast komischen Wechsel in ihr Mienenspiel zaubert, so als würde ein Schauspieler vor dem Spiegel verschiedene Gesichtsausdrücke in rascher Abfolge üben: Schreck, Angst und Groll. Das wiederum löst bei mir im Gegenzug Unbehagen, Mut und unterdrücktes Lachen aus. Nach dieser bizarren Begegnung bin ich zuletzt erleichtert, dass die beiden ohne ihren Anführer offenbar zu feige sind, sich mit mir anzulegen. Dennoch merke ich, dass ich nahe dran bin, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, denn statt Lauras Nähe oder die anderer Mitschüler zu suchen, meide ich jede Begegnung und betrete als Letzte das Klassenzimmer, um keine Zeit mehr für Gespräche aufkommen zu lassen. Wie eine bleierne Decke liegt eine Schwere auf mir, die sich nur mühsam anheben lässt. Ohne jemanden anzusehen, setze ich mich auf meinen Platz und lehne meine Tasche mit sorgsamer Akribie ans Tischbein, bevor ich meine Freundin mit einem schlichten »Hallo« begrüße.

»Hallo«, echot Laura und mustert mich eindringlich.

Ihr besorgtes trifft auf mein erzwungen fröhliches Lächeln. Da ich jedoch keine gute Schauspielerin bin, wundert es mich nicht, dass der sorgenvolle Ausdruck meiner Freundin in die Untiefen meiner Pupillen abtaucht. In diesem Moment betritt Frau Maibaum den Raum und richtet die tödlichen Strahlen ihres Laserblicks direkt auf mein schutzloses Haupt. Auf ein Blickduell lasse ich mich lieber nicht ein, stattdessen beschenke ich meine Lehrerin mit einem nichtssagenden Gesichtsausdruck und tröste Laura mit einem entschuldigenden Schulterzucken.

Wider Erwarten verläuft die Geschichtsstunde ruhig. Es fühlt sich zwar einige Male so an, als ob mich Frau Maibaum kritisch mustert, ansonsten kann ich keine Änderung in ihrem Verhalten feststellen.

Dafür kommt mir nach dem Unterricht Julia in die Quere. Ich trete gerade aus der Kabine der Schultoilette, als sie mich abpasst.

»Hey Leisa, du, ich würde gern mal mit dir reden«, säuselt sie.

Erst jetzt fällt mir ihre neue Frisur auf: Ein sanft rötlicher Ton verleiht ihrem Haar einen goldenen Schimmer. Außerdem muss sie tagelang mit dem Glätteisen hantiert haben, so perfekt wie diese Schillerlocken über ihre Schultern fallen. Das blaue Sommerkleid betont die weiblichen Rundungen und wirkt für diese kühle Jahreszeit unangemessen. Nichtsdestotrotz komme ich mir neben ihr plötzlich vor wie ein Sandsack. Ich blicke sie fragend an, kämpfe gegen einen Anflug von Unsicherheit, während das ungute Gefühl in meinem Bauch weite Schleifen dreht.

»Sicher ist dir nicht entgangen, dass er ein äußerst beliebter Lehrer ist. Ich meine es nur gut, wenn ich dich vor ihm warne, denn du bist nicht die einzige, der er schöne Augen macht.«

Selbst wenn mir von vornherein klar war, dass sie mit diesem Gespräch nur ihr Gift versprühen will, kann ich kaum gegen die verunsichernde Wirkung ihrer Worte ankämpfen. Da ich mir das aber auf gar keinen Fall anmerken lassen will, nutze ich die aufkommende Wut, um ihr herausfordernd zu entgegnen:

»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, okay?«

Ich will an ihr vorbeimarschieren, doch sie packt mich am Arm und dreht mich zu sich hin.

»Leisa, jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt. Ich kann ja verstehen, dass du das Offensichtliche nicht sehen willst. Die Wahrheit tut nun mal sehr weh, aber je länger du in dieser Illusion schwebst, desto härter wirst du nachher in der Realität aufschlagen. Ich meine es doch nur gut«, redet sie so eindringlich auf mich ein, dass ich nicht anders kann, als innezuhalten und sie anzustarren.

»Wovon bitte schön redest du?«

Leider hört man meine Verunsicherung nun deutlich, die erwartete Schadenfreude in Julias Gesicht bleibt jedoch aus, was mich zusätzlich irritiert. Stattdessen zeigt sich in ihrem Ausdruck eine Note von Mutter Theresa. Sie sieht sich um in der Mädels-Toilette, wohl um mögliche Zeugen auszuschließen, während sie ihre Hand mitfühlend auf meine Schulter legt und dann gedämpft fortfährt:

»Ich verrate dir ein Geheimnis: Timon hat noch andere Frauen mit in seine Glaskuppel genommen. Ich weiß es von zweien und ich selbst war auch schon dort.« Obwohl ich überhaupt nicht darauf reagiere, gebärdet sie sich, als würde ich einen Nervenzusammenbruch erleiden, indem sie nun schuldbewusst den Blick senkt, mich beschwichtigend tätschelt und sich ihre Stimme beinahe hysterisch überschlägt, als sie fortfährt: »Ach Leisa, es tut mir schrecklich leid! Timon hat mir die Sterne gezeigt und ich muss dir noch was sagen: Wir haben uns sogar geküsst.« Sie fasst sich tief durchatmend an den Bauch. »So, jetzt ist es heraus. Bestimmt wirst du mich jetzt hassen, aber ich musste es dir einfach sagen. Es tut mir so leid, aber Timon liebt nun mal die Frauen. Man kann mit ihm seinen Spaß haben, aber für die große Liebe solltest du ihn nicht halten, sonst wird er dich nur übel verletzen.«

Ich starre sie ungläubig an.

Das kann einfach nicht wahr sein!

»Du-du lügst!«, platze ich mit anschwellender Tonlage und Lautstärke heraus.

Julia verdreht die Augen und schüttelt den Kopf, als sei ich begriffsstutzig.

»Na, dann frag ihn doch direkt ins Gesicht, deinen Timon! Er wird hier von allen angehimmelt und du glaubst doch nicht im Ernst, dass ein Mann wie er allen Versuchungen widerstehen kann. Hier, schau!«

Sie fischt etwas aus einer Handtasche, die bislang unbeachtet unter dem Waschbecken gestanden hatte, und streckt mir ein Buch entgegen – genau das gleiche Buch vom Universum, das Timon mir gegeben hatte.

»Na, klingelt’s? Gehörst du etwa zu den Auserwählten, die Timons Buch ebenfalls geschenkt bekommen haben? Glaub mir, jede Frau, die mit ihm unter der Kuppel stand, hat eines bekommen. Das ist seine Masche.«

Mir wird übel. Alles dreht sich vor meinen Augen.

Das kann doch nicht sein!

»Du lügst …«, hauche ich kraftlos.

»Mach dir nichts draus. Es ist besser, du erfährst es so, als wenn du ihn plötzlich mit einer anderen überraschst.«

Julia macht Anstalten, mich tröstend in ihre Arme zu ziehen, doch ich trete zurück und drehe angewidert den Kopf zur Seite.

Schonwieder holt sie etwas aus ihrer Tasche, dieses Mal ist es ein Zeitungsausschnitt, den sie mir auffordernd vor die Nase hält.

»Ich wollte dir das ja ersparen, aber wenn du mir nicht glauben willst – hier siehst du die Wahrheit schwarz auf weiß:«

Das Bild springt mir schier entgegen und verschwimmt vor meinen Augen. Es zeigt eindeutig Timon eng umringt von gut einem Dutzend Frauen – was es eigentlich nicht richtig ausdrückt, es könnten alles Models sein. Diejenigen an seinen Seiten drücken ihm einen Kuss auf die Wangen. Auf dem Foto wirkt er etwas jünger. Meine Knie zittern, als ich die Schlagzeile dazu überfliege:

Der angehimmelte Stern am Musikhimmel – Timarko geht auf Tour.

Timarko? Das habe ich schon mal irgendwo gehört …

Woher kann ich nicht sagen, denn logische Gedankengänge werden durch meine emotionale Erregung komplett blockiert. Das Foto hat mir den Rest gegeben und ich ringe verzweifelt um Beherrschung, verliere den Kampf jedoch kläglich.

»Hör auf! Das ist alles Lüge!«, kreische ich in einem Akt der Verzweiflung, denn die Zweifel haben meine Seele längst mit ihrem Gift getränkt.

»Bitte, wie du meinst … Wenn du mir noch immer nicht glauben willst … Aber beschwere dich später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, erwidert Julia, dann dreht sie sich auf ihrem Absatz um und marschiert davon.

Wie begossen stehe ich da, weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Das Foto hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und jede Erinnerung daran treibt eine glühende Speerspitze in mein Herz.

Der Gong beendet die kurze Pause, hallt bedrohlich in meinen Ohren, doch ich rühre mich nicht vom Fleck. Zwei schwatzende Mädchen kommen zu den Toiletten herein (vielleicht haben sie eine Freistunde), streifen mich mit ihren Blicken, aber ich wende mich rasch ab, will nicht, dass jemand den Kummer in meinen Augen sieht. Es drängt mich mit aller Macht in die Einsamkeit, deshalb eile ich hinaus in den Gang zur Treppe, keine Ahnung, warum, aber es treibt mich hinauf. Unter Schluchzen nehme ich gleich zwei Stufen auf einmal, bis ich im obersten Stockwerk ankomme.

Hier irgendwo muss es eine Tür geben, hinter der eine Treppe bis aufs Dach führt.

Beim letzten Mal, als Timon mich hier herauf getragen hat, war es stockfinster und ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wo diese Tür gewesen ist. Ich weiß, dass es hier ein Lager gibt, einen Putzraum, ein extra Büro für den Rektor und den Kunstsaal.

Hitze steigt in mir auf, als ich mich erinnere, dass ich die nächste Stunde bei Timon hätte, aber ich kann es jetzt unmöglich ertragen, ihm zu begegnen. Und trotzdem wäre ich gerne dort, wo ich ihm nahe war. Nach mehreren Fehlversuchen entdecke ich tatsächlich eine offene Tür. Dahinter führt eine Treppe in die Höhe. Mit donnerndem Herzen steige ich hinauf, doch der Ausgang zum Dach ist verschlossen.

Irgendwie ist mir das auch recht, denn ganz wohl würde ich mich alleine da oben eh nicht fühlen. Daher ziehe ich die untere Tür zu. Jetzt ist es stockfinster, nur ein heller, dünner Streifen rahmt die Tür ein.

Hier findet mich so schnell niemand.

Ich hocke mich auf die Stufen, umschlinge meine Beine und vergrabe den Kopf zwischen den Knien. Dieser Ort fühlt sich geschützt genug an, um meinem Kummer endlich freien Lauf zu lassen.

Warum tut das so schrecklich weh? War ich wirklich so ein total naives Dummchen? Was habe ich mir nur eingebildet? Wie konnte ich mich so in ihm täuschen? Das Buch und der Zeitungsausschnitt sprechen doch eine eindeutige Sprache, das kann sich Julia nicht ausgedacht haben. Ich bin nichts Besonderes für Timon und wer weiß, wie viel von dem, was er mir erzählt hat, überhaupt stimmt.

Wahrscheinlich war ich einfach viel zu benebelt von ihm, um zu bemerken, was er wirklich vorhat. Ich könnte mich ohrfeigen dafür, wie dumm und naiv ich gewesen bin, schäme mich, auf so eine blöde Masche hereingefallen zu sein und heule um meine verlorene Liebe.

Nachdem gefühlte fünf Minuten verstrichen sind, in denen ich jammere, heule und schluchze, fliegt plötzlich die Tür auf. Helles Licht fällt herein und blendet mich, sodass ich blinzle und reflexartig den Arm vor die Augen halte – als Nebeneffekt verberge ich dahinter zudem mein verheultes Gesicht. Die dunkle Silhouette eines Mannes erstrahlt im Himmelstor – so sieht es jedenfalls für mich aus.

»Leisa?«, ruft er verwundert, mit Timons Stimme, was mich erzittern lässt.

Mir wird schlecht und schwindelig gleichermaßen. Dicke Felsbrocken rumpeln in meinem Bauch.

»Was machst du hier?«, fragt er entsetzt.

Mit meinen verweinten Augen linse ich stumm unter meinem Arm hindurch. Außerstande, eine Antwort zu geben, schlucke ich lediglich die letzten Tränen weg. Ich mag nicht, dass er mich heulen sieht, schon gar nicht will ich, dass er weiß, dass es wegen ihm ist. Vielleicht ist das ja normal für Timon, zu allen Frauen so nett zu sein und ich habe mir nur viel zu viel eingebildet. Schließlich haben wir uns nicht geküsst und uns auch nichts versprochen und mir war ja ohnehin nie klar, ob wir nun ein Paar sind oder nicht.

Timon schließt die untere Tür so weit, dass lediglich ein fahler Lichtschein durch den schmalen Spalt hereinfällt. Wortlos hockt er sich neben mich und wartet auf eine Antwort.

Da kann er lange warten, denke ich mit einem Anflug von Trotz.

Meine Kehle fühlt sich dermaßen zugeschnürt an, dass es an ein Wunder grenzt, dass die Sauerstoffzufuhr für meine Lungen noch funktioniert.

»Willst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragt Timon schließlich sanft.

Wie schrecklich schön diese Stimme klingt!

Seine Worte ergießen sich wie ein prickelnder Schauer über mir und jetzt in seiner Nähe und mit diesem faszinierenden Duft in meiner Nase, kommen mir Julias Worte vollkommen unwirklich vor.

Bin ich so benebelt von ihm, dass ich gar nichts mehr kapiere, oder was geht hier ab?

Hätte ich Buch und Foto nicht mit eigenen Augen gesehen, ich hätte alles für eine Lüge gehalten. Obendrein legt Timon jetzt einen Arm um mich und drückt mich liebevoll an sich.

Macht er sowas mit jeder?

Ein schmerzlicher Stich und Wärme fluten gleichzeitig mein Sein. Diese explosive Mischung gegensätzlicher Gefühle treibt neue Tränen hervor. Ich kämpfe vergeblich dagegen an.

»Hey, was ist denn los?«, fragt er so emotional, dass ich unwillkürlich schluchzen muss, doch noch immer kann ich nicht mit ihm sprechen, denn irgendwie komme ich mir mit einem Male idiotisch eifersüchtig vor.

Ich will nicht, dass mich das so schmerzt, mir nichts einbilden, was nicht ist, und davon erzählen, will ich erst recht nicht. Aber es hilft ja nichts, eine Lügengeschichte zu meinen Tränen hätte die Sache sicher nicht besser gemacht, geklärt hätte sich auch nichts. Und natürlich interessiert es mich brennend, wie er dazu steht, was Julia mir erzählt hat. So nehme ich all meinen Mut zusammen und ringe aus meiner gepressten Kehle eine Antwort hervor.

»Julia sagt, du-du hast sie in der Kuppel ge-geküsst«, höre ich mich selbst stottern und es klingt, als würde eine fremde Person sprechen.

Unvermittelt geht Timon vor mir in die Hocke, nimmt mein Gesicht in beide Hände und sieht mich eindringlich an. Dabei kann ich von ihm im fahlen Lichtschein zwar nur die blassen Konturen seines Kopfes ausmachen, aber schon alleine diese Geste berührt mich.

»Leisa. Julia lügt! Sie will dir nur wehtun, weil sie eifersüchtig auf dich ist. Und ihre Eifersucht ist begründet«, sagt Timon so fest und bestimmt, dass es eigentlich nur wahr sein kann.

Aber was ist mit den Beweisen?

Mein abtrünniges Herz schlägt schon Saltos, obwohl noch längst nicht alle Unsicherheiten ausgeräumt sind. Timon wischt die Tränen zärtlich streichelnd mit einem Finger weg, was meine verräterische Haut dazu bringt, heftig unter seiner Berührung zu prickeln. Außerdem sammelt sich Hitze in meinen Wangen.

»Sie hatte dein Buch vom Universum, dasselbe, das du mir gegeben hast.«

Timon zuckt unbeeindruckt mit den Schultern.

»Sie könnte ein Gespräch von uns belauscht haben oder sie hat das Buch bei dir gesehen und ihre Schlüsse daraus gezogen. Bei einer intensiven Internetrecherche wird man sicher mein Buch bei den Veröffentlichungen auf der Seite des Max-Planck-Instituts von Heidelberg finden. Dort kann es auch bestellt werden.«

Ich nicke. Das klingt plausibel. Timon setzt sich wieder neben mich auf die Treppe und legt seinen Arm um meinen Nacken. Mit der anderen Hand streichelt er meine Finger, die sich in meinem Schoß fest verknotet haben. Seine Berührung lockert immerhin meinen Griff.

»Julia meinte, das Buch wäre deine Masche.«

Timon lacht leise auf.

»Glaubst du wirklich, ich brauche eine Masche?«

Auch wieder wahr. Alle Frauen sind hinter Timon her und er ist ganz sicher nicht auf eine billige Masche angewiesen. Dass mir das nicht gleich komisch vorgekommen ist …

Ich schüttele den Kopf. Jetzt komme ich mir noch alberner vor als ohnehin schon. Aber da ist ja noch etwas.

»Sie hat mir einen Zeitungsausschnitt mit einem Foto von dir gezeigt, von Timarko auf …«

»Ach, Timarko auf Tour!«, unterbricht mich Timon stöhnend. »Das war ja klar, dass das irgendwann rauskommt … Ja, ich gebe zu, ich hatte eine wilde Vergangenheit. Mein bester Freund und ich waren als musikalisches Duo eine Zeit lang unterwegs, mit großem Erfolg. Aber das Leben auf der Überholspur hat uns beiden nicht gut getan, daher haben wir dem wilden Leben abgeschworen. Damit ist das Projekt Musikkarriere für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Aber es ist mir gar nicht recht, wenn das die Runde hier macht. Noch mehr Rummel um meine Person kann ich nicht gebrauchen.«

In meinem ganzen Körper kribbelt es plötzlich, als stünde er unter Strom – hoffentlich ist es nicht wirklich welcher. Timon war also ein aufstrebender Star, allerdings noch nicht so bekannt, dass jeder ihn kennen muss. Aber gehört habe ich den Namen irgendwo schon mal, da bin ich mir sicher. Plötzlich komme ich mir noch kleiner und unbedeutender neben ihm vor.

Wie kann Mister Superperfekt überhaupt jemanden lieben wie mich? Eine einfache, schüchterne Schülerin?

Na gut, letzteres habe ich einigermaßen unter Kontrolle, auch wenn ich derzeit fürchte, Rückfälle zu erleiden. Andererseits fasziniert mich die Tatsache ungemein, dass meine große Liebe auch noch ein bisschen berühmt ist, selbst wenn ich mich bei diesen Gedanken gleichzeitig als oberflächlich beschimpfe und dagegen ankämpfe. Ich möchte Timon als Mensch mit Kanten und Schwächen sehen, ihn nicht auf einen Podest stellen und anhimmeln. Und dass er eingesehen hat, dass dieses Leben auf der Überholspur nichts für ihn ist, zeigt einerseits eine Schwäche, andererseits erhält er insgeheim von mir einen dicken Pluspunkt für die Erkenntnis, dass Erfolg nicht alles ist.

»Also hattest du mehrere Frauen in dieser Zeit?«, frage ich schüchtern nach.

Vor allem da ich selbst noch Jungfrau bin, macht mir dieser Punkt am meisten zu schaffen.

»Ja, viel zu viele, aber ich bin nicht besonders stolz darauf.« Timon lässt mein Haar über seinen Handrücken gleiten und endlich entspanne ich mich. Mittlerweile bin ich mir absolut sicher, dass Julia nur ihr Gift versprühen wollte. Timon hat sie weder geküsst noch mit anderen Frauen geflirtet, seit er an meiner Schule ist.

»Mir wäre es recht«, fährt er fort, »wenn wir diesen Teil meines Lebens nicht weiter vertiefen würden. Tun wir doch einfach so, als wäre ich ein ganz normaler Mitschüler«, schlägt er vor.

Obwohl ich es in der Dunkelheit nicht richtig erkennen kann, scheint mir, als ob ein schelmisches Grinsen um seine Mundwinkel spielt.

»Ich weiß nicht, ob ich das kann … Schließlich gibst du ja Unterricht … apropos Unterricht, müsstest du jetzt nicht eigentlich in meiner Klasse Physik geben?«, fällt mir bei dieser Gelegenheit auf.

Timon drückt mich an sich und streichelt über meinen Arm.

»Eigentlich schon, aber ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«

Vor Staunen bleibt mir der Mund offen stehen.

»Das kann ich jetzt nicht glauben. Du willst mir sagen, dass du den Unterricht sausen gelassen hast, nur um nach mir zu suchen?«

»Warum erstaunt dich das denn so, Leisa? Nach allem, was passiert ist, sind meine Sorgen doch berechtigt. Außerdem habe ich deinen Mitschülern nicht freigegeben, sie erarbeiten gerade selbständig eine Gruppenaufgabe.«

»Ach so, okay. Und woher wusstest du, dass ich hier bin?«

»Das wusste ich natürlich nicht. Deine Freundin Laura hat erzählt, dass du in der Pause verschwunden und nicht zurückgekehrt bist. Dann habe ich mich auf die Suche gemacht.«

»Hoffentlich bekommst du dafür keinen Ärger vom Rektor.«

»Keine Sorge, wir sind gute Freunde. Außerdem finde ich, so geht es ohnehin nicht weiter. Ich habe bereits die Vertretungsstelle gekündigt und nächste Woche kehrt sowieso euer eigentlicher Physiklehrer zurück.«

»Gekündigt?!«, rufe ich alarmiert. »Heißt das …«

…, dass du fort gehst und wir uns nie wiedersehen werden?, liegt mir auf der Zunge, aber ich bringe die Worte nicht heraus.

»Das bedeutet, ich werde zu meinem Institut zurückkehren. Es kann so nicht weitergehen. Ich sehe doch, wie du unter deinen Mitschülern und den Lehrern leidest. Das werde ich dir nicht länger antun. Außerdem halte ich dich vom Lernen ab.«

»Die Schüler und Lehrer sind mir egal und du hältst mich überhaupt nicht vom Lernen ab«, entgegne ich trotzig.

»Ach, und warum malst du dann eine Galaxie in dein Englisch-Aufsatzheft?«, fragt er belustigt und stupst dabei mit der Schulter gegen meine.

Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, da ist durchaus etwas dran. Seit Timon in mein Leben getreten ist, würde ein Arzt sicher ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom bei mir diagnostizieren, so oft wie meine Konzentration in Tagträumen mit Timon ertränkt wird. Auch frage ich mich, ob ich bereits an Realitätsverlust leide, durch die übermäßigen Wolkenspaziergänge in den siebten Himmel. Gesund kann das schon nicht mehr sein. Trotzdem kann ich nicht einsehen, dass er nun einfach verschwinden will.

»Bestimmt werden die anderen sauer auf mich sein, wenn du meinetwegen gehst«, wende ich ein.

»Ich kann berufliche Gründe dafür angeben.«

»Das wird dir niemand glauben, alle werden denken, dass du nur einen Vorwand suchst.«

»Kann schon sein, aber es wird nicht lange dauern, bis man mich vergessen hat und du kannst in Ruhe deinen Abschluss machen.«

In Ruhe meinen Abschluss machen … Ohne Timon! Und was wird dann aus uns? Eine Nichtbeziehung oder eine Fernbeziehung?

Ich schlucke die Tränen weg, die sich schon wieder ankündigen.

»Werden wir uns denn wiedersehen?« Meine Stimme versagt.

»Na klar! Was denkst du denn? Natürlich nicht so oft, aber ich verschwinde deshalb doch nicht aus deinem Leben, es sei denn, du willst mich loswerden.«

»Nein«, kommt von mir durch die verstopfte Nase.

»Also konnte ich alle Zweifel ausräumen, oder glaubst du immer noch, ich bin ein Playboy, der alle Frauen mit seiner Masche um den Finger wickelt?«

Er lacht neckisch. Mir ist das noch immer peinlich, aber inzwischen kann ich sogar ein bisschen mitlachen.

»Wenn ich fort bin, kannst du dich viel besser auf dein Abitur konzentrieren«, fügt Timon nun seltsam ernst hinzu, als müsste er sich damit auch selbst von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugen. Ich für meinen Teil kann mich nicht darüber freuen, der einzige Trost ist, dass ich ihn überhaupt wiedersehen werde. Und die verflixten Tränen wollen einfach nicht aufhören zu fließen – schon wieder lösen sich welche aus meinen Augen und rinnen über die Wangen. Das alles wühlt mich zu sehr auf.

»Ich bin für dich da, wann immer du mich brauchst, Leisa«, flüstert Timon und streichelt mit einem Finger die Tränen fort.

Plötzlich geht er wieder vor mir in die Hocke und beugt sich so weit vor, dass sein Atem kühl meine Haut streift. Herber Duft dringt sogar durch meine verstopfte Nase bis zu meinen Rezeptoren, wo die männlichen Sexuallockstoffe ihre Wirkung nicht verfehlen. Die Konturen seiner vollen Lippen heben sich kaum aus den Schatten hervor, was die Lust, sie auf meinen zu spüren, keinesfalls mindert. Timons Mund nähert sich behutsam. Ich halte den Atem an, öffne erwartungsvoll die Lippen. Er nimmt mein Gesicht in die Hände, doch statt seinen Mund mit meinem zu vereinen, wandert er höher, viel zu hoch und küsst mich auf die Stirn.

Hm, na immerhin, das ist schon schön, aber … hm …