Nur aus Liebe, Marlies - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Nur aus Liebe, Marlies E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Marlies hat es nicht leicht. Seit dem Tod der Eltern lebt die junge Frau bei ihrer Tante Bea. Dort wird sie abschätzig behandelt und muss schwer für ihren Unterhalt arbeiten. Zudem hat sich Marlies in Lutz Bergmann, einem Freund ihres Cousins Herbert verliebt, der sich aber mehr für die hinterhältige Lulu zu interessieren scheint. Und dann verbreitet sich auch noch das Gerücht, Marlies Vater sei ein Verbrecher ... -

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Hedwig Courths-Mahler

Nur aus Liebe, Marlies

 

Saga

Nur aus Liebe, Marlies

 

Coverbild/Illustration: Shuterstock

Copyright © 1939, 2022 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728472965

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

1

jetzt aber schnell an die Arbeit, die Gastzimmer müssen noch in Ordnung gebracht werden! Marlies, steh nicht wieder da und träume! Ich habe keine Zeit, mich auch noch darum zu kümmern, habe ohnedies alle Hände voll zu tun.«

Marie Elisabeth Mainau, von ihren Verwandten Marlies genannt, kam gerade atemlos nach ziemlich schwerer Arbeit in die Halle herauf. Sie hatte keine Sekunde Zeit gehabt zu träumen, sah übrigens auch gar nicht danach aus, sondern ihre Augen blickten sehr munter und wirklichkeitsnah in die Welt. Sie wußte aber schon aus Erfahrung, daß man ihr hier im Haus meist allerlei andichtete, was ihre Tüchtigkeit in Frage stellte. Deshalb verzichtete sie auf jeden Einwand; es zuckte nur ein kleines Lächeln um ihren Mund, und dann sprang sie die Treppe schon hinauf, um auch diese Aufgabe Tante Beates nach bestem Ermessen zu lösen. Die Tante hatte aber mit scharfen Augen dieses Lächeln erspäht, und es stieg zornige Röte in ihr Gesicht.

»Warum lächelst du so spöttisch, Marlies?« rief sie ihr nach.

Marlies hielt es für besser, diese Frage zu überhören, denn Tante Beate ließ sich in solchen Fällen der »Unbotmäßigkeit« nie von einem längeren Verhör abhalten. Und es war jetzt keine Zeit dazu, wenn alle angemeldeten Gäste gut und bequem untergebracht werden sollten. Ihr Vetter Herbert hatte heute morgen erst mitgeteilt, daß er drei seiner Freunde mit zum elterlichen Gut bringen würde, man solle dafür sorgen, daß seine Gäste gut aufgenommen würden. Vetter Herbert war der einzige Sohn Tante Beates und nach seines Vaters Tod Herr auf Mattenheim, wovon er aber nicht viel mehr Gebrauch machte, als daß er alles, was das Gut abwarf, in Berlin unter die Leute brachte. Arbeit durfte es für ihn nicht geben, auch keine Verpflichtungen, und er übte seine Herrenrechte nur aus, indem er ab und zu mit einigen Freunden im Mattenheimer Herrenhaus das Unterste zuoberst kehrte. Seine Mutter, die mit Marlies so hart umging, sah dem zärtlich geliebten Sohn alles nach und hatte ihn unglaublich verzogen. Immer nahm sie ihn gegen seinen strengen Vater zu dessen Lebzeiten in Schutz, und er erreichte alles bei der Mutter, was der Vater ihm aus erzieherischen Gründen versagt hatte.

Marlies war eine Nichte des verstorbenen Besitzers von Mattenheim, die Tochter seiner einzigen Schwester. Als sie nach deren Tod als zwölfjähriges Mädchen verwaist zurückblieb, nahm der Onkel sie in sein Haus. Daß sie darin bleiben durfte, solange sie selbst es wollte, hatte er letztwillig verfügt weil er seine Frau kannte und annehmen mußte, daß sie in irgendeiner Laune Marlies einfach auf die Straße setzen könnte.

Aber Frau Beate Mattenheim ließ sich nicht wehrlos eine Nichte aufnötigen, ohne dabei ihren Vorteil zu suchen, und so mußte Marlies fleißig im Hause arbeiten, damit sie – wie Frau Beate meinte – ihr Brot nicht umsonst äße.

Das tat Marlies bestimmt nicht, wollte es auch nicht. Gewissenhaft verrichtete sie jede Arbeit, die man von ihr verlangte, aber ganz wehrlos überließ sie sich dabei doch nicht der Willkür ihrer Tante und ihres Vetters, der, sooft er in Mattenheim war, allerlei besondere Arbeiten für Marlies hatte, damit ihr ja nicht zu wohl würde. Zuweilen trumpfte Marlies auf, wenn man ihr wieder einmal eindringlich klarmachte, wie dankbar sie zu sein hätte für alles Gute, das man ihr antat. Sie sagte dann ganz ruhig und sachlich:

»Onkel Ernst habe ich zu danken, sonst keinem Menschen. Ich tue freiwillig, was ich tun kann. Und ich tue es gern. Aber, bitte, bedenkt immer daß ich es freiwillig tue.«

Das erboste Tante Beate selbstverständlich sehr, zumal sie sehr wohl wußte, daß Marlies recht hatte und sie wirklich Hervorragendes im Haus und auf dem Gut leistete. Jedenfalls viel mehr als der jetzige Herr, der ganz Mattenheim hätte verkommen lassen, wenn Marlies und seine unbedingt tüchtige und fleißige Mutter nicht alles in bestem Stand gehalten hätten. Marlies liebte Mattenheim und wollte es um keinen Preis vor die Hunde gehen lassen. Darin wenigstens war sie mit Tante Beate einer Meinung.

Diese fühlte sehr wohl, wenn sie es auch nie eingestand, daß sie sich mit allen Kräften gegen den Untergang stemmen müsse; denn ihr Sohn verbrauchte so viel, daß kaum für die notwendigsten Reparaturen etwas übrigblieb. Und sie selbst war auch nicht stark genug um aufzuhalten, was sich drohend nahte. Sie tat, was sie konnte – aber das reichte eben nicht aus. Und sie ahnte nicht, daß Marlies Mainau ihrem sterbenden Onkel in die Hand gelobt hatte, Mattenheim nicht zu verlassen. Denn er allein hatte erkannt, daß nur Marlies imstande sein würde, das Gut zu halten; sie war ungemein tüchtig, so jung sie auch war.

Marlies hatte ihm gesagt: »Man wird mich nicht im Haus lassen, Onkel Ernst, ich bin hier wahrscheinlich überflüssig, wenn du uns genommen wirst.«

Darauf hatte er geantwortet: »Du darfst dich daran nicht kehren, mein Kind, ich habe deshalb schon in meinem Testament niedergelegt, daß niemand dir verbieten kann, in Mattenheim zu bleiben. Laß es dich nicht anfechten, wenn Tante Beate und mein Sohn Herbert nicht freundlich zu dir sind, denke daran, daß du hier nötig bist, und da du das weißt, wirst du auf dem Posten bleiben. Laß sie reden und bleibe, solange du es irgend ertragen kannst. Mein Segen wird bei dir sein. Und – verrate keinem Menschen, daß ich dein Vermögen, es sind allerdings nur dreißigtausend Mark, die deine Eltern dir hinterlassen haben, in sicheren Papieren auf der Deutschen Bank hinterlegt habe, wo du sie am Tag deiner Mündigkeit abheben kannst. Ich habe schon alles mit meinem Freund Bassermann besprochen, der nach mir die Vormundschaft über dich antreten wird. Du bist erst achtzehn Jahre und kannst noch nicht über dieses Geld verfügen. Karl Bassermann wird es verwalten. Nur wenn du unbedingt etwas brauchst, wende dich an ihn, er wird dir dann von den Zinsen auszahlen lassen, was du unbedingt haben mußt. Aber wie gesagt – halte das geheim, niemand hier im Haus soll wissen, daß du dieses Geld besitzt. Ich fürchte, daß mein leichtsinniger Sohn dich bestimmen könnte, es ihm zu geben. Das darf nicht sein – auf keinen Fall, es soll dich wie es deine Eltern wollten, vor größter Not schützen. Ich habe es weder meine Frau noch meinen Sohn wissen lassen daß du dieses Geld geerbt hast. Also – versprich mir das!«

Und Marlies hatte es ihm versprochen und ihr Versprechen gehalten. Jetzt war der Onkel schon ein halbes Jahr tot, und sie hatte nach seinen Wünschen gehandelt. Im Grunde war es diesem achtzehnjährigen Mädchen zu danken, wenn auf Mattenheim noch immer erträgliche Zustände herrschten. Sie war von früh bis spät auf den Füßen in Haus und Keller, Hof und Scheunen. Und sie verstand sehr viel und wußte vor allem richtig mit den Leuten umzugehen, die sie immer wieder bei guter Laune und Arbeitswilligkeit erhielt, auch wenn Tante Beates launenhafte Art diese oft genug verstimmte. Immer renkte Marlies Mainau alles wieder ein, so daß jeder seine Pflicht tat.

Um Tante Beates kleine Feindseligkeiten kümmerte sie sich so wenig wie um die gelegentlichen Flegeleien ihres Vetters, der zum Glück nicht viel zu Hause war. Sie war auch durchaus keine »wehrlose Dulderin« damit wäre sie in Mattenheim nicht weit gekommen; sie konnte, wenn nötig, recht widerborstig ihr Recht verfechten.

Im Augenblick war sie gerade dabei, die Fremdenzimmer behaglich instand zu setzen. Mattenheim sollte seinen Ruf als gastliches Haus nicht verlieren. Es ging ihr alles flink von der Hand. Zwischen Staubwischen und Blumen in die Vasen ordnen wurde sie verschiedentlich von unten angerufen, bald von der Tante, bald von Untergebenen, die sich irgendeinen Rat bei ihr holen wollten. Mit lachendem Gesicht gab sie diesen Rat oder fuhr auch, wo es nötig war, mit einem kleinen Donnerwetter dazwischen. Tante Beates Ausfälle wehrte sie mit Humor ab und ließ sich weder die Stimmung noch die Arbeitsfreude verderben.

Als sie mit den Gastzimmern fertig war – der Sicherheit halber hatte sie fünf statt drei gerichtet, weil sie wußte, daß Herbert oft mehr Gäste mitbrachte, als er angemeldet hatte –, überblickte sie mit zufriedenem Lächeln ihr Werk und dachte: selbst wenn er wieder Damen mitbringt, ich habe vorgesorgt, wir lassen uns hier im Haus nicht lumpen.

Und dann lief sie hinunter, um noch einmal in der Küche nachzusehen, ob alles klappen würde. Die Küche lag im Kellergeschoß, und sie mußte die Halle durchqueren. Da stand Tante Beate vor einem kleinen weinenden Hausmädchen und kanzelte es ab, daß ihm Hören und Sehen verging. Marlies trat hinzu.

»Was hat Burgerl angestellt, Tante Beate?«

»Es ist zum Auswachsen mit den Hausangestellten – hat die dumme Dirn wieder vergessen, die Teppiche hier in der Halle auszulegen!«

Die Teppiche wurden der Schonung halber zusammengerollt in einem Wandschrank unter der Treppe aufbewahrt, wenn keine Gäste anwesend waren. Burgerl hatte sie am frühen Morgen mit dem Diener auslegen sollen, doch Marlies hatte ihr eine andere Arbeit gegeben. Die Gäste sollten ja erst mit dem Vieruhrzug eintreffen, würden also erst gegen halb fünf hier sein.

Burgerl wollte aber nicht verraten, daß Marlies ihr einen anderen Auftrag gegeben hatte, und heulte nun zum Steinerweichen über die harten Worte Frau Beates in ihre Schürze. Es zuckte um Marlies’ Mund.

»Aber Burgerl, warum sagst du der Herrin nicht, daß ich angeordnet habe, die Teppiche sollten erst nach Tisch ausgelegt werden?«

Burgerl ließ die Schürze sinken und sah Marlies an.

»Ich wußte doch nicht, ob ich das sagen durfte, Fräulein Marlies.«

Diese lachte.

»Warum denn nicht, dumme Burgerl? Läßt dich da an meiner Stelle ausschimpfen. Geh nur jetzt, nach Tisch ist noch Zeit, und die Teppiche werden nicht erst schmutzig getreten.«

Burgerl war wie der Wind davon, und Tante Beate wollte nun Marlies abkanzeln, aber diese winkte lachend ab.

»Nur nicht aufregen, Tante Beate, dann bekommt dir die Mahlzeit nicht. Ich denke, wir essen jetzt erst einmal.«

»Immer denkst du nur ans Essen!« murrte die Tante.

Marlies nickte vergnügt.

»Hab’ mir auch einen prachtvollen Hunger angezüchtet, Tante Beate. Und heute ist fleischloser Tag; habe von den letzten Winteräpfeln einen Strudel backen lassen. Der wird munden.«

»So? Und wovon sollen wir nun für die Abendkost Kompott bekommen?«

»Selbstverständlich ist auch noch eine Schüssel Apfelmus da, und jetzt eben will ich der Köchin sagen, daß sie morgen schon jungen Rhabarber ernten kann. Salatköpfchen haben wir auch genug, müssen ohnedies Platz machen für andere Schößlinge. Sorge dich nur nicht, wir werden Herberts Gäste schon satt bekommen; dafür liegen wir dann, wie schon oft, ein bißchen krumm, wenn er mit ihnen abgezogen ist.«

»Das sagst du wieder in so spöttischer Weise, Marlies; Herbert ist schließlich der Herr von Mattenheim, und du –«

»Weiß schon, Tante Beate, und ich bin nur die arme Verwandte, die hier das Gnadenbrot ißt. Brauchst keine Angst zu haben, daß ich das jemals vergesse.«

»Das solltest du dir auch immer vor Augen halten. Sind die Gastzimmer endlich fertig?«

»Jawohl, Tante Beate, du kannst sie dir ansehen.«

»Hast du nur drei gerichtet?«

»Nein, fünf!«

»Das ist auch nötig, damit der junge Herr von Mattenheim nicht in Verlegenheit kommt, falls er den einen oder anderen Gast mehr mitbringt.«

»An solche Überraschungen sind wir ja gewöhnt, er soll uns gewappnet finden. Und nun komm zum Essen, damit du erst noch dein Mittagsschläfchen abhalten kannst, ehe die Sintflut über uns hereinbricht.«

»Was für Ausdrücke du immer hast!«

»Laß nur, Tante Beate, es ist nicht bös gemeint.«

Die beiden Damen gingen zu Tisch, nachdem Marlies schnell noch mal in die Küche hinuntergelaufen war und dort den Duft des Apfelstrudels genüßlich in ihr Näschen gezogen hatte. Ach, würde der gut schmecken nach dem mit Arbeit angefüllten Vormittag! Marlies war ein gesundes Mädchen und brauchte nicht in Sorge um ihre schlanke Linie zu sein bei ihrer anstrengenden Arbeit.

Wie immer, wenn die Damen allein aßen, war das Mittagessen sehr bescheiden, aber trotzdem sehr schmackhaft. Die alte Köchin setzte ihren Stolz darein, auch das einfachste Mahl sorgfältig zu bereiten.

Dann sorgte Marlies dafür, daß Tante Beate zu ihrem Ruhestündchen kam; und weil sie sich gar so lieb darum mühte, war die Tante etwas weniger schroff zu ihr als sonst. Wohlig streckte sie sich aus und schloß die Augen, während Marlies leise das Zimmer verließ. Die alte Dame mußte ganz still bei sich denken, daß es zuweilen doch sehr angenehm war, Marlies in Mattenheim zu haben. Das hätte sie aber um keinen Preis ausgesprochen.

Marlies aber machte sich nun daran, den Teetisch nett und einladend zu decken. Sie legte sechs Gedecke auf, stellte aber zwei weitere auf die Anrichte, so daß sie nur eingeschoben zu werden brauchten. Und während sie hantierte, blieb sie plötzlich sinnend mitten im Zimmer stehen und rief sich das Bild eines Mannes vor Augen, das sich ihr ins Herz geschlichen hatte. Sie wußte, daß er auch heute unter Herberts Gästen sein würde, wie schon oft. Zwar konnte sie nicht verstehen, daß sich dieser Mann zu Herberts Freunden zählte, weil seine ganze Art der ihres Vetters in jeder Hinsicht unähnlich war. Sie hatte erwartet, er werde nur eine flüchtige Bekanntschaft sein und ein zweites Mal nicht wiederkommen, aber er hatte sich doch wieder eingestellt, jedesmal, wenn Herbert mit Freunden nach Mattenheim kam. Und so sehr sie sich dagegen wehrte, Lutz Bergmann hatte ihr junges Herz schon beim ersten Zusammentreffen erobert, wenn sie das auch keinem Menschen, nicht einmal sich selbst, eingestand.

Nun sollte sie ihn heute wiedersehen, und das Herz klopfte ihr bei diesem Gedanken bis zum Hals, so sehr sie sich auch darüber ärgerte. Lächerlich von ihr, an diesen Mann zu denken. Er beachtete sie gar nicht, obwohl Herberts andere Freunde sich sehr um ihre Gunst bemühten, da sie ein schönes Mädchen war. Lutz Bergmann schien das nicht zu bemerken, er hatte eine etwas überlegene, spöttische Art und war anscheinend immer kühl, beherrscht und jeder Lage gewachsen. Das machte ihn ihr gerade interessant, und es tat ihr ein wenig weh, daß er sie so gleichgültig übersah. Sie warf bei diesen Gedanken den Kopf trotzig zurück. Mochte er sich doch ausgiebig mit den jungen Damen unterhalten, die zuweilen in Herberts Begleitung waren – er sollte unbedingt glauben, daß sie dem ganz gleichgültig zusah. Wenn ihr auch darüber das Herz in Stücke zu gehen drohte, er sollte gewiß nichts davon merken. Und schließlich war es doch keine Empfehlung für ihn, daß er sich in der seichten Gesellschaft um ihren Vetter wohl zu fühlen schien und er sich angelegentlich mit den oberflächlichen Modepuppen befaßte, die mit Herbert und dessen Freunden zuweilen nach Mattenheim kamen. Sie konnte überhaupt diese modernen jungen Damen nicht ausstehen, die sich wie ungezogene Jungen benahmen und den Männern sehr deutlich entgegenkamen. Daß hierbei die Eifersucht mitsprach, hätte sie sich niemals eingestanden. Sie wußte aber, daß Tante Beate diese Damen auch nicht besonders schätzte und nur ihrem Sohn zuliebe liebenswürdig zu ihnen war. Eine von ihnen sollte eine reiche Erbin sein, und auf diese hatte Herbert Mattenheim es abgesehen. Aber es war sehr wohl zu merken, daß Fräulein Lulu Strauß sich viel mehr für Lutz Bergmann interessierte und ihn in ihre Netze zu ziehen suchte. Das war ihr freilich nicht zu verdenken, denn Herbert war ein fader, blonder nichtsnutziger Schlingel, der denn lieben Gott die Tage abstahl, Lutz Bergmann dagegen ein sehr interessanter und anscheinend vollwertiger Mensch. Er mußte aber trotzdem an der aufdringlichen Art von Fräulein Lulu Strauß Gefallen finden, da er sich viel mit ihr beschäftigte. Mochte er! Aber einen tiefen Zorn – und einen nagenden Schmerz – empfand Marlies bei diesem Gedanken doch.

Vielleicht tut er es nur, weil sie reich ist. Die Männer wollen ja alle reiche Frauen haben, dachte sie ingrimmig und warf stolz den Kopf zurück. Aber sie ergab sich nicht ganz wehrlos und wünschte nur, diesem Fräulein Lulu Strauß einmal ordentlich die Meinung sagen oder ihr sonst etwas antun zu können, um ihrem Ärger Luft zu machen. Nein – Marlies gehörte durchaus nicht zu den sanften Frauen, die klaglos alle Widrigkeiten des Schicksals auf sich nehmen. Aber was konnte sie dieser reichen Erbin antun? Wenn sie doch heute wenigstens nicht dabei sein würde!

Heftig riß sie sich aus ihren Gedanken und mühte sich mit flinken Händen weiter, den Teetisch hübsch herzurichten. Dann ging sie noch einmal hinunter in das Kellergeschoß, wo sich die Wirtschaftsräume und die Dienstbotenzimmer befanden, gab in der Küche noch einige Anweisungen und eilte hinauf in ihr Zimmer, um sich umzukleiden. Dazu brauchte sie heute entschieden mehr Zeit als sonst. Sie wählte lange unter ihrem bescheidenen Kleidervorrat, ehe sie sich für ein schlichtes, aber sehr hübsches hellblaues Leinenkleid entschied. Sorgfältig kämmte sie das in weichen, natürlichen Wellen um ihr feines Köpfchen fallende Haar, über dessen goldbraunen Ton die Sonne metallische Lichter streute. Dabei schauten ihre lichten Grauaugen, die – ein entzückender Gegensatz – von ganz dunklen Brauen und Wimpern umsäumt waren, scharf prüfend in das zart blühende Gesicht. Sie gefiel sich durchaus nicht, und widerborstig schnitt sie eine Grimasse.

Das erleichterte sie ein wenig. Hastig drehte sie sich auf dem Absatz herum und trat an das Fenster, von dem aus sie den Weg übersehen konnte, auf dem das große Auto herankommen mußte, das man zur Bahn geschickt hatte. Vor ihrem Blick lag bis zum Wald sanft abfallendes Wiesengelände, und ringsum türmten sich die Berge, als müßten sie das weite Tal beschützen.

Es war ein herrliches Landschaftsbild, mit allen Reizen der bayrischen Berge geschmückt. Mattenheim lag nicht südlich genug, als daß die Berge hier besonders hoch gewesen wären, aber bei klarem Wetter konnte man oben von der Anhöhe, auf der sich das Herrenhaus erhob, in der Ferne die Schneehäupter der Bayrischen Alpen liegen sehen.

Während Marlies hinausschaute, wurde ihr das Herz leichter. Schön war es doch in Mattenheim, das ihr eine zweite Heimat geworden war. Und der liebe Gott würde helfen, daß es erhalten bleiben konnte. Sie wollte jedenfalls ihr Onkel Ernst gegebenes Wort halten und ihre junge Kraft in die Speichen stemmen, wenn die Räder abwärts rollen wollten. Ein wenig besser ging es ja schon, und hoffentlich bescherte der liebe Gott eine gute Ernte. Das Vieh sollte dieser Tage auf die Alm hinauf, wie in jedem Frühjahr. Da mußte ebenfalls vorgesorgt werden. Die Sennerinnen mußten gut ausgestattet werden mit allem, was sie brauchten.

Da war sie schon wieder mitten in ihren Sorgen um das Gedeihen von Mattenheim. Erschrocken fuhr sie auf, als sie jetzt das Auto aus dem Wald biegen sah.

Sie erkannte sofort, daß es reich besetzt war, also Herbert mehr als drei Gäste mitbrachte. Anscheinend war auch eine Dame dabei, denn ein langer Schleier flatterte mit dem Wagen heran. Ob das wieder diese unausstehliche Lulu Strauß war?

Schnell huschte Marlies hinunter und fand Tante Beate schon mit rotgeschlafenem Gesicht und umgekleidet in der Halle vor. Marlies mußte ihr schnell noch eine Spitzengarnitur um den Hals feststecken, dann war die Tante bereit, die Gäste ihres Sohnes und diesen selbst zu begrüßen, Marlies aber eilte in das Zimmer, wo der Teetisch gedeckt war, und schob auf alle Fälle die beiden bereitstehenden Gedecke zwischen die andern. Auch zwei Sessel rückte sie noch an den Tisch heran, denn ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, daß außer den angemeldeten drei männlichen Gästen noch zwei weibliche mitgekommen waren. Unter diesen zu Marlies’ Leidwesen auch Fräulein Lulu Strauß. Nun aber ging sie pflichtgemäß hinaus in die Halle, um die Gäste zu begrüßen und dafür zu sorgen, daß sie in den für sie bestimmten Zimmern untergebracht wurden.

Eigentlich sah sie aber nur Lutz Bergmann, dessen hohe Gestalt die andern um ein gutes Stück überragte. Leider mußte sie aber auch sehen, wie er sich bemühte, den langen Schleier zu lösen, den Fräulein Strauß zu fest um ihren kleinen Hut geknüpft hatte. Daß Lulu Strauß ihn dazu aufgefordert hatte, wußte sie nicht, sie glaubte, es sei ein freiwilliger Ritterdienst, und das tat ihr weh.

Als sie ihren Vetter begrüßte, meinte dieser, ein fadblonder, schlanker Mensch mit ziemlich verlebten Zügen:

»Na, Marlies, schnell, schnell, schaff Platz auch für die beiden Damen, die sich uns angeschlossen haben, um uns die Langeweile des Landaufenthaltes zu vertreiben.«

Marlies sah ihn ernst und ruhig an und sagte kurz: »Es ist alles schon bereit – wir wissen ja, daß du uns immer Überraschungen bereitest.«

»Hoffentlich keine unangenehmen, Fräulein Mainau«, meinte Lulu Strauß, indem sie mit einem gefallsüchtig dankbaren Augenaufschlag ihren gelösten Schleier aus Lutz Bergmanns Händen entgegennahm.

Marlies stieg eine zornige Röte ins Gesicht.

»Ich habe hinzunehmen, was mein Vetter zu beschließen für gut findet; denn er ist der Herr von Mattenheim.«

Das klang durchaus nicht demütig und ergeben, sondern genau so aufsässig, wie Marlies dabei zumute war.

Herbert gab ihr einen kleinen Stoß.

»Also mach schnell, führe meine Gäste in ihre Zimmer und sorge dann für Tee und Zubehör. Und es ist sehr gut, daß du dir immer wieder in Erinnerung rufst, daß ich hier der Herr bin.«

Mit ihren leuchtenden Augen sprühte sie ihn an.

»Das brauchst du mir nicht zu sagen, ich weiß schon, was ich zu tun habe. Bitte, meine Herrschaften, wollen Sie mir nach oben folgen.«

Und ruhig, mit erhobenem Haupt, schritt Marlies die Treppe hinauf. Sie sah nicht den strahlenden Blick, den Lutz Bergmann hinter ihr her sandte. Mit einigen Sätzen war er an ihrer Seite.

»Ich bekomme hoffentlich dasselbe Zimmer, das ich schon einige Male bewohnt habe, mein gnädiges Fräulein?«

Schnell sah sie von der Seite zu ihm auf.

»Ja«, erwiderte sie nur kurz.

»O weh, Ihre Ungnade erstreckt sich auch auf mich armen unschuldigen Sterblichen?«

Sie hörte den leisen Spott aus seinen Worten und sah ihn mit funkelnden Augen an.

»Ich hindere Sie nicht, sich ebenfalls von meiner Ungnade betroffen zu fühlen, Herr Bergmann.«

»Und warum gilt sie auch mir?«

»Sie gilt Ihnen nicht im besonderen, sondern als Mitglied der ganzen Gesellschaft, die uns mein Vetter ins Haus geführt hat.«

»Ah, so feindlich sind Sie gegen Ihre Gäste eingestellt?«

»Ich habe niemals Gäste. Sie sind die Gäste meines Vetters, des Herrn von Mattenheim.«

»Gut, unterscheiden wir genau. Aber – ist es nicht eigentlich Ihre Pflicht, die Gäste des Hauses willkommen zu heißen?«

»Eigentlich gehört das mit zu meinen Pflichten, aber – Sie werden doch schon oft genug darauf hingewiesen worden sein, daß ich eine ziemlich pflichtvergessene, widersetzliche Person bin.«

Er sah von der Seite auf sie hinab. Es lag etwas Unerklärliches in seinem Blick, das ihr eine jähe Röte ins Gesicht trieb.

»Widersetzlich? Das stimmt! Ein Trotzkopf mit vielen Stacheln. Aber für pflichtvergessen halte ich Sie nicht – im Gegenteil. Ich habe beobachtet, daß Sie es sehr ernst mit Ihren Pflichten nehmen. Nur hindert Sie wohl Ihr Dickkopf, auch mir und den übrigen Gästen gegenüber Ihre Pflicht, liebenswürdig zu sein oder wenigstens zu scheinen, zu erfüllen.«

Sie hatte ihm mit geröteten Wangen zugehört und öffnete nun die Tür zu seinem Zimmer. Als hätte sie seine letzten Worte nicht gehört, sagte sie ruhig und eisig:

»Hier ist Ihr Zimmer, Herr Bergmann – wenn Sie noch etwas bedürfen, bitte zu klingeln.«

Marlies wandte sich ab und schritt den andern voran den langen Gang hinunter. Unterwegs öffnete sie ein Zimmer nach dem andern, nannte den Namen der Gäste, die jeweils das Zimmer bewohnen sollten. Das für Fräulein Lulu Strauß lag am weitesten entfernt von dem Lutz Bergmanns. Dieser hatte hinter Marlies hergesehen, und um seinen Mund zuckte ein heimliches Lächeln. Seine Augen blitzten auf, als er bemerkte, daß Fräulein Strauß ganz hinten am letzten Ende des Ganges untergebracht worden war. Als Marlies wieder zurückkam, mußte sie an ihm vorüber. Sie sagte sich, er habe nur hinter ihr her gesehen, um zu erfahren, wo Fräulein Strauß wohnen sollte, und wollte schweigend an Lutz vorübergehen, aber er vertrat ihr den Weg.

»Sie haben Fräulein Strauß woanders untergebracht als sonst.«

Ein unbeschreiblicher Blick aus ihren Augen, der ihrem Gesicht einen seltsam weichen Ausdruck gab, flog zu ihm hoch.

»Hat sie sonst in einem andern Zimmer gewohnt?« fragte sie nachlässig.

»Ja – ich glaube hier dicht neben dem meinen.«

»Das hatte ich schon für Herrn von Selbitz zurechtmachen lassen. Es wird Ihnen hoffentlich nichts ausmachen, daß Fräulein Strauß Ihnen etwas ferner gerückt ist«, stieß sie in schmerzlichem Zorn hervor.

Und dann lief sie davon, die Treppe hinab. Er sah ihr nach. Es lag ein gutes Lächeln um seinen Mund. Schnell betrat er sein Zimmer und machte sich zurecht.

Marlies aber tat das Herz furchtbar weh. Es erschien ihr immer sicherer, daß Lutz Bergmann Lulu Strauß liebte. Wie sehr er sich für die Lage ihres Zimmers interessierte! Das hatte er übrigens ihr zu verdanken, denn mit Absicht hatte sie Lulu Strauß aus seiner Nähe fortgeschafft, weil sie beobachtet hatte, daß beide sich noch aus ihren Fenstern heraus unterhalten hatten, während alle andern Gäste längst schon schliefen.

Bei einem noch spät durch den Garten unternommenen Rundgang hatte Marlies das zu beobachten vermocht.

Das wußte sie aber nicht, daß Lutz ganz harmlos noch eine Zigarette am offenen Fenster geraucht hatte, als auch Fräulein Lulu Strauß am Fenster ihres Zimmers erschien und ihn gleich in ein Gespräch zog. Das war ihm ganz und gar nicht willkommen gewesen. Er hatte damals Marlies über den Gartenweg huschen sehen und konnte sich nun sehr leicht erklären, warum Fräulein Strauß entfernt von ihm untergebracht worden war.

Und wieder spielte ein weiches, gutes Lächeln um seinen Mund.

2

eine halbe stunde später füllte Marlies am Teetisch die Tassen der Gäste und reichte ihnen leckere Fleischbrötchen und kleine knusperige Kuchen, sie versorgte auch alle mit Zucker, Zitrone und Sahne und auf Herberts besonderen Wunsch auch mit Arrak. Am Tisch herrschte eine lustige, angeregte Unterhaltung. Sie war beinahe zu laut und burschikos, in Anbetracht dessen, daß auch Damen zugegen waren. Es wurden unzählige Zigaretten geraucht, mehr oder minder gute Witze gemacht, und die Hausfrau, Herberts Mutter, und Marlies wurden dabei als ziemlich überflüssig empfunden. Sie störten, wenigstens nach Ansicht der beiden weiblichen Gäste, die Gemütlichkeit. Diese beiden Landpomeranzen waren mehr als rückständig, sahen immer sehr betroffen aus, wenn mal ein offenes, forsches Wort fiel. Diesen beiden gegenüber mußte man sich immerhin etwas vorsehen, und das mochten diese jungen Leute nicht, die sich wenig um Zucht und Sitte kümmerten und sich nur nach ihrem Belieben ausleben wollten.

Tante Beate zwang freilich ein gequältes Lächeln um ihren Mund und versuchte vor allem Fräulein Lulu Strauß gegenüber so liebenswürdig wie möglich zu sein, weil sie in dieser reichen Erbin schon die Frau ihres Sohnes sah. Dieser fahlblonde, verlebt aussehende junge Mann, der seine schlottrigen Glieder faul in einen Sessel geflegelt hatte, die Hände in den Taschen und mit gewollt betonter Lebemannmanier den Rauch seiner Zigarette von sich blies, war aber durchaus nicht Lulus Geschmack. Ihr gefiel Lutz Bergmann viel besser, und diesem machte sie immer wieder durch den leichten Rauch ihrer Zigarette hindurch verliebte Augen, was sie aber die anderen nicht merken ließ. Nur Marlies merkte das alles, und ihre sonst so hellen, strahlenden Augen wurden dunkel vor heimlicher Empörung. Lulu Strauß lockte es nun, ihren Witz ein wenig an Marlies zu üben und sie sagte nachlässig über den Tisch hinüber zu ihr:

»Sie entsetzen sich wohl heimlich über unsere losen Redensarten, Fräulein Marlies?«

Diese richtete sich zu Lutz Bergmanns Vergnügen sofort kriegerisch auf und sagte kühl:

»Nicht nur heimlich! Im übrigen heiße ich für Fremde Fräulein Mainau.«

Lulu Strauß maß diese arme Verwandte des Gutsherrn mit ein wenig erstaunten, zugleich aber auch empörten Blicken. Wie kam dieses arme Mädel, das hier, wie sie wußte, das Gnadenbrot aß, zu solcher Anmaßung? Schon wollte sie zu einem heftigen Ausfall ausholen, da nahm Herbert ihr das Wort vom Mund weg und sagte zornig zu seiner Base:

»Ich bitte mir einen liebenswürdigeren Ton aus meinen Gästen gegenüber, Marlies! Was fällt dir ein, so anmaßend zu sein!«

Marlies sah ihn furchtlos an, warf auch einen heimlich forschenden Blick zu Lutz Bergmann hinüber, um zu ergründen, ob sie ihn ebenfalls mit ihren kühlen, abweisenden Worten geärgert hätte. Er blickte sie aber lächelnd an; ein Lächeln war es, das sie für Spott hielt. Das reizte sie nur noch mehr. Ihren Vetter nun groß ansehend, sagte sie ruhig und bestimmt:

»Ich wurde von Fräulein Strauß lediglich nach meiner Meinung gefragt, im übrigen bemerkte ich nur, daß ich als Fräulein Mainau angeredet zu werden wünsche, da ich ja Fräulein Strauß auch nicht Fräulein Lulu nenne.«

»Aber da besteht doch ein großer Unterschied«, sagte Herbert zornig.

»Ah, du meinst, weil Fräulein Strauß eine reiche Erbin ist und ich nur eine arme Verwandte, die hier deiner Meinung nach das Gnadenbrot ißt?«

»Nun ja, da du es selbst aussprichst, muß ich das bestätigen.«

»Aber ich bin nicht einer Meinung mit dir, Herbert; denn ich verdiene mir ehrlich mein Brot und – außerdem war es eine letztwillige Verfügung deines Vaters, daß ich in Mattenheim eine Heimat haben sollte, solange es mir beliebt.«

Inzwischen hatte Tante Beate sich von ihrem Ärger über das unbotmäßige Benehmen ihrer Nichte erholt und warf ziemlich giftig hin:

»Und es wird dir sehr lange belieben.«

Ruhig sah Marlies in ihre Augen.

»Mindestens so lange, wie Mattenheim meiner bedarf, Tante Beate, das weißt du sehr wohl. Und solange Herbert hier nicht seine Pflichten als Gutsherr erfüllt, will und muß ich für ihn eintreten. Das habe ich seinem sterbenden Vater versprochen, und ich werde es halten.«

Dieser Meinungsaustausch drohte sich zuzuspitzen, deshalb lenkte Lutz Bergmann ein. Er hatte sich gefreut über Marlies’ Tapferkeit.

Lange schon studierte er ihr Wesen, und er kam hauptsächlich mit nach Mattenheim, um sie wiederzusehen. Denn an dem Verkehr mit Herbert und Leuten seiner Art lag ihm blitzwenig. Er war im Besitz eines großen Vermögens, dachte aber nicht daran, sich auf die faule Haut zu legen. Von Beruf Geologe, hatte er große Forschungsreisen gemacht und stand im Begriff, über ihre Ergebnisse ein Werk zu schreiben.

Marlies hatte ihm gleich großes Interesse abgenötigt. Er staunte darüber, mit welcher Ausdauer sie ihre Pflicht erfüllte, ohne sich knechten und demütigen zu lassen. Immer wieder ließ er sich von Herbert bestimmen, seine selbsterteilte Urlaubszeit in Mattenheim zu verbringen, obgleich ihm an dem Verkehr mit Herbert Mattenheim wenig gelegen war. Aber wenn er hörte, daß dieser sich auf das Gut begeben wollte und er gebeten wurde, ihn zu begleiten, da es draußen auf dem Land gar zu langweilig sei, nahm er jedesmal die Einladung an, nur um Marlies Mainau endlich wiedersehen zu können. Er freute sich ihres furchtlosen, kampfbereiten Wesens, das ganz anders war als die Oberflächlichkeit der modernen jungen Damen seiner Gesellschaftskreise. Und wenn es auch nicht seine Art war, schnell und unüberlegt eine aufblühende Neigung Macht über sich gewinnen zu lassen, wollte er die heimlich Geliebte doch immer wieder beobachten und sich und sie gründlich prüfen. Denn für leichte Liebeleien war er nicht zu haben, und eine festere Bindung einzugehen, ehe er sich genau über alles unterrichtet hätte, war er bei seinem tiefgründigen Wesen nicht imstande. So gab er sich vorläufig den Anschein, ein Herz und eine Seele zu sein mit den leichtfertigen Gästen des Hauses Mattenheim. Allein sobald er bemerkte, daß Marlies ihm ebensowenig gleichgültig gegenüberstand wie er ihr, als er erkannte, daß sie auf Lulu Strauß eifersüchtig war, wurde ihm wärmer und immer wärmer ums Herz.

Sie verhielt sich, weil er ihr nicht gleichgültig war, ihm gegenüber stets sehr abweisend, und verriet eben dadurch, wie es um sie stand.

Um sie aus ihrer Zurückhaltung herauszulocken, erweckte er hin und wieder den Anschein, als gehe er auf Lulus Entgegenkommen ein.

So war es auch heute wieder. Er schlug einen Spaziergang durch den Park vor, und man brach auf. Lulu Strauß hängte sich gleich in seinen Arm, und weil die Herren in der Überzahl waren, schob sie ihren anderen Arm unter den des Hausherrn. Herbert Mattenheim war so sehr von seiner Unwiderstehlichkeit überzeugt, daß er Lutz Bergmann als Rivalen nicht fürchtete. Mit dünkelhafter Miene nahm er den Platz an Lulus anderer Seite ein. Es eilte ihm noch gar nicht, sich den Goldfisch einzufangen, weil er damit auch seine Freiheit aufgeben mußte. Seine Mutter hätte es gern gesehen, wäre er etwas forscher vorgegangen, allein sie wagte nicht ihm Vorhaltungen zu machen, denn Herbert konnte manchmal so unausstehlich sein, daß selbst die eitle Mutter sich dadurch verletzt fühlte.

Zu Lutz Bergmanns Verdruß schloß Marlies sich dem Spaziergang nicht an, obwohl die anderen Herren sie dringend dazu aufforderten. Er selbst sagte kein Wort, sondern ging anscheinend ganz zufrieden mit den anderen davon. Marlies sah noch, wie er ritterlich besorgt eine warme Hülle um Lulus Schultern legte, denn es war an diesem Frühlingstag im Freien noch recht frisch. In ihrem reizenden Gesicht zuckte es vor unterdrücktem Kummer. Das sah Lutz noch im Fortgehen, und er wäre sehr gern bei ihr geblieben. Aber er war zu ehrenhaft, Hoffnungen in ihr zu erwecken, solange er noch nicht den festen Entschluß gefaßt hatte, ihr seine Hand anzubieten.

Marlies wurde sehr schnell aus ihrem Kummer aufgerüttelt durch eine geharnischte Strafpredigt ihrer Tante.

»Du hast dich wieder einmal unglaublich benommen, Marlies. Wie konntest du Herbert gegenüber so auftrumpfen auf dein Recht, in Mattenheim zu bleiben. Immerhin muß er dir als Herr von allem hier doch seine Erlaubnis dazu geben.«

Marlies strich sich über die Stirn, um einige widerspenstige Löckchen zurückzulegen, und sagte dann mit einer gewissen Müdigkeit:

»Laß nur gut sein, Tante Beate, ihr solltet doch beide wissen, daß ich nicht in diesem Ton mit mir reden lasse. Ich tue meine Pflicht, scheue mich vor keiner Arbeit und verlange Anerkennung für meine Leistung, die ihr mir immer wieder versagt. Eure versteckten Drohungen, mir die Tür vor der Nase zuzumachen, schrecken mich nicht. Denn erstens hat Onkel Ernst mir wirklich Heimatrecht zugesichert, und zweitens bin ich fest davon überzeugt, daß alles hier drunter und drüber gehen würde, wenn ich ginge. Sonst – das kannst du mir glauben, wäre ich schon längst auf und davon.«

»Das sagst du so! Was wolltest du anfangen, wenn du von hier fortgehen müßtest?«

»An einer anderen Stelle auf dieser Erdkugel arbeiten und eine Pflicht erfüllen; du kannst versichert sein, daß ich mich nirgends schlechter stehen würde. Aber nun laß uns dieses unerfreuliche Thema beenden – ich habe noch zu tun.«

Damit ging Marlies hoch erhobenen Hauptes davon, um in der Küche allerlei für die Abendtafel zu bestellen und Vorräte herauszugeben.