O Gott, warum? - Anton Schulte - E-Book

O Gott, warum? E-Book

Anton Schulte

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Beschreibung

Hermine Schulte war 36 Jahre mit dem Evangelisten und Gründer des Missionswerkes „Neues Leben“, Anton Schulte, verheiratet. Als Mutter von zwei Söhnen und Ergänzung ihres Mannes hinterließ sie viel Segen. Anton Schulte lässt die Leser seiner Tagebuchnotizen Einblick nehmen in das Vertrauen, aber auch in das Bangen Fragen und Zweifeln seines Herzens. Ebenso gibt er Einblicke in die Glaubenszuversicht seiner krebserkrankten Frau. Ein sehr offenes, persönliches, aber auch mutmachendes Buch für angefochtene Leute und ein Trostbuch im Blick auf die Ewigkeit. ---- Anton Schulte war mehr als ein halbes Jahrhundert Jahre als Evangelist tätig und gehörte zu einem der engagiertesten Verfechtern des christlichen Glaubens in Deutschland. Er war Gründer des Missionswerkes „Neues Leben“ und Wegbereiter der christlichen Medienarbeit in Deutschland. Tausende erhielten durch seinen Dienst entscheidende Lebenshilfen. Bei aller Ernsthaftigkeit hat sich der Autor von über 30 Büchern ein gesundes Maß an Humor und Lebensnähe bewahrt. Gerade diese Mischung macht seine Schriften so interessant und für jedermann zugänglich.

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O Gott, warum?

Im Leid geborgen – Tagebuchnotizen

Anton Schulte

Impressum

© 2014 Folgen Verlag, Wensin

Autor: Anton Schulte

Cover: Eduard Rempel, Düren

Lektorat: Mark Rehfuss, Schwäbisch Gmünd

ISBN: 978-3-944187-65-5

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

 

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Inhalt

Vorwort: Novembergedanken

»O Gott, warum? Warum?«

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Vorwort: Novembergedanken

Am 1. November 1952 haben wir geheiratet. In jenem Jahr lasen wir das Andachtsbuch »Kleinode göttlicher Verheißungen« von Charles Haddon Spurgeon. Für diesen Tag hieß es da: »Draußen mögen Nebel ziehen, drinnen soll die Sonne scheinen.« Und besser hätte man unseren Hochzeitstag nicht beschreiben können: Äußerlich grau und trüb, aber voller Jubel und Freude.

Der November wurde in den folgenden Jahren für uns zu einem besonderen Monat. Die Evangelisationsverpflichtungen gingen zu Ende. Wenn ich auf dem Weg zu den letzten Veranstaltungen des Jahres, Nebel an den Häusern mit den erleuchteten Fenstern vorbeikam, freute ich mich auf die kommende Zeit im Kreis meiner Familie. So wurde der als trüb verschriene Monat für uns zum Beginn einer der schönsten Zeit des Jahres. Auch für unsere beiden Söhne hatte ich nun mehr Zeit, für die Mutti zwar die Liebste und Wichtigste war – aber in bestimmten Fragen wollten sie die Meinung des Vaters hören. Um beim gemeinsamen Spiel zu begreifen, dass sie auch wirklich einen Vater hatten.

Als meine Frau nach 36 Jahren und 19 Tagen einer glücklichen Ehe am 19. November 1988 starb, war das zweifellos der gefühlsmäßig stärkste Einbruch in meinem Leben. Aber sie hatte, auf ihre Art getrost, elf Monate lang den Tod erwartet. Und uns damit die Zeit des Abschiednehmen und zum Einstellen auf eine Tatsache gegeben, mit der sich abzufinden kaum denkbar schien.

Wir beide haben in dieser Zeit erfahren, dass das, was wir anderen gepredigt hatten, der Wahrheit entspricht: Gott gibt einem Menschen genau soviel Kraft, wie er für den jeweiligen Tag braucht. Und wenn es sein muss, gibt er über Bitten und Verstehen. Der Körper Hermines verfiel, doch ihr innerer Mensch wurde von Tag zu Tag erneuert. Mancher, der gekommen war, um sie zu trösten, ging anschließend selbst als Getrösteter nach Hause.

Ich habe in dieser schweren Zeit die Kraft empfangen, meinen Aufgaben auch weiterhin nachzukommen. Der irdische Abschied war nicht nur ein grauverhangenes Novembererlebnis. Es war zugleich ein Tag der Gewissheit und der Zuversicht im Blick auf die Zukunft.

Christen sehen einander nie zum letzten Mal. Sie gehen ihrem wiederkehrenden Herrn und dem Tag der Auferstehung entgegen. Darin liegt Trost und Geborgenheit trotz Krankheit, Leid und Tod. Um zu diesem Vertrauen auf Jesus Christus und seine Hilfe vielen Menschen Mut zu machen, habe ich mein Tagebuch der letzten Jahre durchgearbeitet und die Aufzeichnungen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, herausgeschrieben.

Anton Schulte

»O Gott, warum? Warum?«

4. November 1986

Auf einer Pastorenkonferenz in Brüssel sollte ich vier Vorträge halten. Aber in den letzten Wochen waren wir, meine Frau und ich, so viel unterwegs und ich hatte große Schwierigkeiten durch Umstrukturierung und Personalabbau die wirtschaftliche Zukunft des Missionswerkes zu sichern. So fuhren wir drei Tage früher nach Belgien, um in einer kleinen Ferienwohnung Zeit zur Stille und Vorbereitung für den Dienst zu finden.

Mit großem Schrecken wachte meine Frau auf, als sie das Blut sah. Es musste ein Blutgeschwür im Darm geplatzt sein. Wir fuhren sofort nach Hause.

Schweigen.

Angst.

Mir ging es gesundheitlich nicht gut. Ich hatte wieder Schwierigkeiten mit meinem Herzen. Einige Male hielten wir auf einem Parkplatz und beteten zu Gott, er möge uns helfen. Es war alles wie ein Platzregen über uns hereingebrochen.

Wir fuhren gleich zu unserem Arzt. Nach der Untersuchung machte er ein sehr bedenkliches Gesicht: »Es sieht nach einem geplatzten Karzinom im Dickdarm aus. Aber ich kann nichts Endgültiges sagen. Sie müssen zur Untersuchung ins Krankenhaus.«

»Wann?«

»Sofort. Mit so etwas darf man nicht zögern.«

»Ist es Krebs?«

Diese Frage kam wie aus einem Mund. Wir kannten diese Krankheit. An zu vielen Krankenbetten hatten wir gestanden, für Menschen gebetet, ihnen Trost zugesprochen.

Der Arzt zögerte: »Das muss näher untersucht werden.«

Wir fuhren nach Waldbröl ins Krankenhaus. Die Untersuchung ergab die Bestätigung des Verdachtes, aber darüber hinaus auch noch den Verdacht auf Brustkrebs.

Wir sprachen nicht viel auf unserer Fahrt zum Hausarzt. Jeder hing seinen Gedanken nach. Ich konnte es gar nicht fassen. Hermine schaute nur vor sich hin und sagte: »Wir haben so vielen Menschen Trost zugesprochen, sie ermahnt und ermuntert dem Herrn zu vertrauen. Jetzt müssen wir es selber ausleben.«

»Ja«, sagte ich nur und schluckte, um überhaupt sprechen zu können.

Als wir beim Hausarzt ankamen, hatten wir uns wieder etwas gefangen. Es war Mittagszeit. Er hatte seinen Arztkittel schon ausgezogen, wartete aber noch auf uns. Unsere Auskunft reichte ihm nicht. Er rief nochmal den Arzt im Krankenhaus an.

»Ja, es ist so«, sagte er. »Alles weist auf Krebs hin.« Dann schaute er uns an.

»Dass Sie das so annehmen können, das können nur Menschen aus dem Glauben heraus.«

Ich dachte mir: ›Gut, wenn du das so siehst, aber in mir wühlt sich alles vor und zurück. Ja, ich weiß, mein Leben ist in Gottes Hand, und auch das meiner Frau, aber Herr, warum?‹

Am Nachmittag zu Hause sprachen wir viel mit Gott über unser Leben. Wir legten ihm ganz bewusst alles, was wir sind und haben, neu in seine Hände. Wir erforschten uns, ob etwas in unserem Leben ist, was Gott nicht gefällt. In solchen Krisen findet sich immer etwas. Gedanken wie: ›Hätte ich nicht dieses anders machen und jenes lassen sollen?‹ gingen mir durch den Kopf.

Obwohl wir schon seit vielen Jahren bewusst aus der Vergebung Jesu lebten, lernten wir dieses Wort neu buchstabieren: »Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit« (1. Joh. 1, 9).

Wir hatten Frieden und konnten gestern Abend gut einschlafen.

5. November 1986

Wie so oft war für mich die Nacht um 4.00 Uhr zu Ende. Ich nutze die Morgenzeit, um Stille mit Gott zu haben. Da kommt kein Besuch, kein Telefonanruf. Hermine weiß ja, dass ich nebenan, in meinem kleinen Büro bin und sofort bei ihr sein kann, wenn etwas ist.

O, Gott, warum?

Warum meine Frau, warum ich?

Warum muss es uns treffen?

Ich brauche Gott gar nicht zu fragen, ich weiß es ja: Vor fast 40 Jahren, als ich am Ende meiner Kriegsgefangenschaft zum Glauben kam, hatte ich jemanden kennengelernt, der für einige Monate mein Bibellehrer wurde. Eines Tages fragte ich ihn: »Bill, du weißt, ich komme bald zurück nach Deutschland, was soll ich dort tun, was würdest du an meiner Stelle tun?« Er zögerte: »Solche Ratschläge gebe ich nicht gerne, weil ich weiß, dass Gott auch mich in dem prüfen wird, was ich dir rate. Es wird früher oder später eine Situation kommen, wo Gott prüft, ob ich meine eigenen Ratschläge in die Praxis umsetzen kann.« Dennoch gab er mir damals seinen Rat.

Dieses Gespräch kommt mir oft in den Sinn, wenn ich durch Prüfungen gehe. Auch heute erinnere ich mich wieder daran. Natürlich, wir müssen durch Anfechtungen und Prüfungen hindurch, weil Gott unseren Glauben auf die Probe stellt. Aber wer mag schon Anfechtungen? Wer trägt schon gerne Leid? Wir möchten doch alle gerne glücklich und zufrieden sein, und ich selbst habe so viel Glück und Zufriedenheit in meinem Glauben an Jesus Christus erlebt. Auch Hermine ist in ihrer fröhlichen Art ein wunderbares Zeugnis für den Frieden, den Gott gibt.

Aber jetzt solch eine Anfechtung akzeptieren?

Ich muss an eine Reise nach Israel denken, bei der es viele Probleme gab: ein Unfall in der Gruppe, ein Bombenanschlag in der Nähe, unzufriedene Teilnehmer, die nicht gleich ein gutes Zimmer bekommen hatten. Zu allem war auch Hermine diesmal nicht mitgekommen. So saß ich allein in meinem Hotelzimmer in Jerusalem und bat den Herrn, mir doch eine Ermunterung in seinem Wort zu geben. Damals mochte ich den Jakobusbrief noch nicht so sehr. Ich empfand wie Luther, der ihn als die »strohene Epistel« bezeichnete. Aber da las ich dann: »Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallet und wisst, dass euer Glaube, wenn er bewährt ist, Geduld wirkt. Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende, damit ihr vollkommen und unversehrt seid und kein Mangel an euch sei.«

»Ja«, hatte ich damals gesagt, »das auch noch. Nicht nur, dass ich Anfechtungen habe, sondern ich soll mich auch noch darüber freuen. Herr, wie kannst du mir das zutrauen? Ich soll mich über Anfechtungen freuen?« Damals begriff ich, genauso, wie ich es heute weiß, dass durch die Anfechtung der Glaube auf die Probe gestellt wird. Und durch die Bewährung in der Anfechtung wird der Glaube tragfähig.

Theoretisch war mir klar, wozu Anfechtungen dienen.

Wie einfach kommt mir die Situation in Jerusalem vor, wenn ich unsere Situation heute sehe, unser Leid, unser Bangen und Zagen.

6. November 1986

Wir hatten noch zwei Tage zu Hause, bevor sie ins Krankenhaus kam. Wir machten uns gegenseitig Mut. Irgendwie wollten wir es nicht wahrhaben, dass es Krebs sein sollte. Hatte der Arzt nicht gesagt, es besteht Krebsverdacht? Noch ist die Gewebeprobe nicht vom Institut zurück …

Aber wir wussten beide, dass es anders sein wird.

Nachdem wir wieder miteinander gebetet hatten, und ich meine Frau gesegnet hatte, sagte sie: »Ich habe noch einmal in Jakobus Kapitel 5 gelesen, dort heißt es: ›Ist jemand krank unter euch, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde.‹ Älteste steht hier in der Mehrzahl. Du bist zwar ein Ältester, und ich will deine Gebete nicht gering schätzen, aber ich hätte gerne, dass die Ältesten der Gemeinde kommen und zu mehreren über mich beten. Ich möchte genau das tun, was in der Bibel steht.«

Gerne rief ich die Ältesten und sie kamen bereitwillig, um diesen Dienst an meiner Frau zu tun. Wir lasen die Verheißungen des Herrn und vertrauten ganz seinem Wort. Alle bewusste Sünde hatten wir dem Herrn abgegeben und ihn auch um Vergebung für unbewusste Sünde und Schuld gebeten.

Hermine fühlte sich nach dem Gebet der Ältesten sehr erleichtert, ja fröhlich, munter. Sie sagte: »Der Herr wird mir helfen.« Es war für sie eine solche Glaubensstärkung, dass sie sofort begann, ihre Sachen für den Krankenhausaufenthalt zusammenzupacken.

Abends sagte sie dann: »Wenn der Herr mich jetzt heimrufen würde, dann kann ich sagen: Mein Leben ist ein reiches Leben gewesen. Ich habe so viel Schönes und Gutes erlebt, es war ein erfülltes Leben.«

Ich kann das alles gar nicht fassen. Meine Gedanken rasen im Kopf hin und her und ich frage immer wieder: Warum, Herr? Warum?

7. November 1986

Heute ist alles anders, ich bin getrost und zuversichtlich. Seit gestern Nachmittag ist Hermine im Krankenhaus. Sie wird nicht sofort operiert, sie wollen noch einige Tage die Operation vorbereiten. Professor Kessler, der sie operieren wird, ist gerade von Münster nach Waldbröl umgezogen. Eigentlich wäre er jetzt noch gar nicht vorgesehen, aber irgendwelche Umstände haben es mit sich gebracht, dass er früher kam als beabsichtigt war.

Ich kenne seine Mutter gut. Als ihr Sohn noch studierte, arbeitete sie eine Zeit lang im Versand beim Missionswerk. Sie arbeitete auch, um ihren Söhnen beim Studium zu helfen. Dieser Sohn hatte erst angefangen Theologie zu studieren, war dann aber auf Medizin umgestiegen. Er ist ein bekannter Spezialist für Darmoperationen und hat eine besondere Methode entwickelt, um einen künstlichen Ausgang zu vermeiden. Auch die Oberschwester, die wir im Krankenhaus trafen, kannte uns, weil sie schon öfter mit unserem Missionswerk zu tun gehabt hatte. Überhaupt, die Schwestern und Pfleger waren so freundlich. Selbst in der Cafeteria sagte eine Frau an der Kasse: »Wir haben einen Bibel- und Gebetskreis hier in Waldbröl und wir beten für Ihre Frau.« Auch sie war öfter schon im Neues Leben-Zentrum zu einer Freizeit oder einem Bibelseminar.

Das alles war sehr Mut machend, aber vor allen Dingen hatte mich ein Wort gestärkt, das ich an dem Tag in die Hand bekam, bevor Hermine ins Krankenhaus ging. Es war ein Traktat vom Missionswerk Werner Heukelbach, einem gesegneten Evangelisten, den ich schon während meiner Bibelschulzeit in Wiedenest kennengelernt hatte. Das Traktat lautete: »Gott macht keine Fehler.« Ich holte tief Luft und las diese Mut machenden Worte. Aber vor allen Dingen tröstete mich das Bibelwort Römer 8, 18, dort schreibt der Apostel Paulus: »Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.«

Ich hatte dieses Wort schon einmal gelesen, als ich in London war. Es war in eine Wand des Gefängnisses im Tower eingeritzt, dort wo die Gefangenen auf ihre Hinrichtung warteten. Das Schafott stand nur einige wenige Meter entfernt. Und unter dieses Bibelwort hatte ein Gefangener geschrieben: »Je mehr Leiden, umso mehr Herrlichkeit.«

Wie oft schon habe ich dies Beispiel in meiner Predigt benutzt, um Menschen Mut zu machen, Schwierigkeiten und Nöte auf sich zu nehmen. Was ist dagegen unser Leid?

Paulus, du hast recht. Die Leiden unserer Zeit sind nicht wert verglichen zu werden mit der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Uns Menschen, die wir an Jesus Christus glauben und mit der zukünftigen Herrlichkeit rechnen.

Ja, Herr, ich glaube das ja auch, aber der Himmel ist so unendlich weit weg. Und die Angst und das Leid, die sind so nah.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe.

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