Opfer der Liebe - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Opfer der Liebe E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Fritz Herbig hat beruflich viel erreicht, er führt erfolgreich das Unternehmen seines mittlerweile verstorbenen Vaters fort. Privat hat der Junggeselle mit fast 40 Jahren jedoch die Liebe noch nicht gefunden. Dies liegt allerdings auch ein wenig an seiner Schwester Bettina, die Fritz nach dem Tod ihres Ehemanns zusammen mit Sohn Bernhard bei sich aufgenommen hat. Sie redete ihrem Bruder bislang erfolgreich noch jede Frau aus. Doch dann fängt eine neue Angestellte bei den Herbig-Werken an zu arbeiten...-

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Hedwig Courths-Mahler

Opfer der Liebe

 

Saga

Opfer der Liebe

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1920, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726950328

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Bettina Gerold stand am Eckfenster des schönen, vornehmen Speisezimmers. Die hübsche, stattliche Frau, eine angehende Vierzigerin, schaute mit lebhafter Spannung über die weiten Rasenflächen des Gartens hinüber nach dem Fabrikgebäude der Firma Fritz Herbig.

Es war Mittagszeit. Vor wenigen Minuten hatte anhaltendes Pfeifen in der Fabrik den Beginn der Mittagspause angekündigt. Nun quoll ein Menschenstrom aus dem breiten Tore. Die Arbeiter und Arbeiterinnen hasteten den Weg hinab, der am Gartenzaun des Hauses Herbig vorbeiführte. Dieses Haus bewohnte der Besitzer der Fabrik, Fritz Herbig, mit seiner verwitweten Schwester, Bettina Gerold, und deren einzigem Sohn, Bernhard Gerold. Fritz Herbig war Junggeselle. Seine Schwester führte ihm seit acht Jahren — solange war sie Witwe — den Haushalt. Er war achtunddreissig Jahre alt und hatte, wie er seinen Bekannten lächelnd versicherte, bisher noch keine Zeit gehabt, sich eine Lebensgefährtin zu suchen.

Zum Teil entsprach das der Wahrheit. Herbig hatte vor zehn Jahren von seinem Vater die Fabrik übernommen. Damals bestand sie aus einem niedrigen Hause, in dem schlecht und recht auf einigen Webstühlen billige Möbelstoffe gewebt wurden. Fritz Herbig besass Unternehmungsgeist, Schaffenskraft und einen klaren, weiten Blick. Er fasste die Sache besser an als sein kränklicher, überängstlicher Vater. Und der Erfolg heftete sich an seine Arbeit. Fünf Jahre nach dem Tode seines Vaters wurde bereits das grosse neue Fabrikgebäude aufgeführt, und das Jahr darauf liess er das kleine, altersschwache Wohnhaus zu einem hübschen, vornehmen Landhaus umbauen.

Statt der vierzig Arbeiter schafften jetzt vierhundert in den grossen, luftigen Fabriksälen, und in einem mit Oberlicht versehenen Zeichensaal sassen mehrere Künstler und Künstlerinnen, die mit dem Entwerfen neuer Muster beschäftigt waren. Der ganze Betrieb hatte sich ausserordentlich gehoben, und die Firma zählte zu den ersten im Lande. Herbig sorgte immer wieder für besonders gewählte Neuheiten und stilgerechte Muster, und seine zahlreichen Kunden wussten, dass die Firma Herbig in dieser Beziehung die leistungsfähigste war.

Bei Fritz Herbigs rastlosem Schaffen und Vorwärtsschreiten war ihm tatsächlich nicht viel Zeit für die holde Weiblichkeit geblieben. Da ihm seine Schwester in geradezu musterhafter Weise den Haushalt führte, entbehrte er auch eine Frau bisher nicht. Bettina Gerold tat alles, was sie ihrem Bruder an den Augen absehen konnte. Freilich nicht ohne selbstische Beweggründe. Sie war arm. Ihr kleines Vermögen, welches ihr bei ihrer Verheiratung ausgezahlt worden war, reichte gerade bis zum frühen Tode ihres Mannes, der in seiner Stellung als Regierungsbeamter nur sehr geringes Gehalt bezog. Sie wäre mit ihrem sehr kleinen Ruhegehalt in grosse Not geraten, hätte sie der Bruder nicht zu sich genommen. Und nun hatte sie sich an das gute Leben im Hause gewöhnt und wünschte durchaus nicht, dass er eine junge Frau heimführte. Zu diesem Wunsche hatte sie auch noch eine viel grössere Veranlassung. Sie liebte ihren Sohn grenzenlos, war er doch das Einzige, was ihr aus ihrer kurzen, sehr glücklichen Ehe geblieben war. Und sie wollte diesem Sohn das Erbe seines Oheims sichern. Herbig sollte sich als Junggeselle so wohl fühlen, dass er gar nicht auf den Gedanken kam, sich eine Frau zu suchen.

Bisher hatte ihr der Bruder auch keinerlei Veranlassung zu Besorgnissen gegeben. Sand er einmal flüchtiges Wohlgefallen an einer jungen Dame, dann verstand es Bettina, ihm dieselbe schnell aus den Augen zu rücken oder ihm gesprächsweise so viel schlechte Eigenschaften der betreffenden aufzuzählen, dass sie allen Reiz für ihn verlor.

Fritz Herbig blieb zwar nicht lange über derartige kleine Kniffe im unklaren. Er lächelte darüber im stillen. Da aber seine Teilnahme nie gross genug war, gab er sich den Anschein, als sei er von ihr überzeugt worden.

Nun war aber seit einigen Monaten eine begabte, junge Zeichnerin angestellt worden, die Bettina einige Unruhe verursachte. Nach ihrer Ansicht beschäftigte sich ihr Bruder zu viel mit der jungen Dame. Zunächst war das freilich eine ganz harmlose Veranlassung. Ohne selbst zeichnen zu können, ersann Herbig die eigenartigsten Entwürfe. Er gab seinen Zeichnern mit etwas ungelenken Strichen die Einzelheiten eines Entwurfs an, und diese führten dann die Zeichnung aus.

Seit nun die junge Dame, Fräulein Marie Rottmann, im Zeichensaal der Firma angestellt war, hielt sich Herbig meist an diese mit seinen Aufträgen. Sie verstand es besonders gut, auf seine Gedanken einzugehen, und traf fast immer das Richtige. Herbig war sehr erfreut darüber. Es war für ihn eine grosse Erleichterung und Zeitersparnis. Manchmal bat er sie sogar Sonntag vormittags zu sich. Sie erschien dann genau so pünktlich, ruhig und verständnisvoll in der Villa wie drüben in der Fabrik. Sie nahm seinen Auftrag entgegen, führte ihn aus und legte ihm die Zeichnung vor. Dabei wurde nie ein Wort zwischen den beiden gesprochen, das nicht auf die Zeichnungen oder die Fabrik Bezug hatte.

War Maria Rottmann fertig, dann entfernte sie sich ebenso ruhig und mit Höflichen Gruss, wie sie gekommen. Sie zeigte sich nicht unterwürfig, sondern benahm sich wie ein Mensch, der sich seines Könnens und seines ehrlichen Schaffens ohne Überhebung bewusst ist. Und Herbig verkehrte mit ihr durchaus nicht anders, als er es mit einem männlichen Angestellten getan hätte.

Aber Bettina Gerold war trotzdem voll Unruhe und sah mit wenig freundlichen Augen auf das häufige Beisammensein der beiden: —

Auch jetzt galt ihr forschender Blick Maria Rottmann. Seit das Mittagszeichen ertönte, stand sie am Fenster und spähte mit scharfen Augen nach dem Fabriktor hinüber.

Und plötzlich grub sich eine unmutige Falte in ihre Stirn. Ihr Mund presste sich zusammen, und in den dunklen Augen brannte ein unruhiges Feuer. Ihr Bruder war eben aus der Fabrik getreten, der letzten einer, und neben ihm schritt, wie Bettina gefürchtet hatte, eine schlanke, jugendlich kräftige Mädchengestalt. Sie trug einen schlichten grauen Lodenrock und eine glatte weisse Hemdbluse mit einem kleinen, schwarzen Schleifchen am Kragenschluss. Dazu ein rundes, weisses Strohhütchen mit schwarzem Band.

Es war gar nichts Auffallendes an dieser jugendfrischen Erscheinung, und doch wandte Bettina ihre unruhig fladernden Augen nicht von ihr ab.

Wie selbstverständlich sie neben ihrem Arbeitsherrn dahinschritt — als wäre er ganz ihresgleichen! Sie sah zu ihm empor und schien aufmerksam seinen Worten zu lauschen, während er eifrig in sie hineinsprach.

Bettinas Finger trommelten unmutig auf dem Fensterbrett. Wahrhaftig, da ging er achtlos an der Gittertür vorüber, die zur Villa führte, und schritt noch bis zur Strassenecke mit. Erst dort blieb er stehen, zog den Hut und kam langsam zurück.

Ärgerlich wandte sie sich vom Fenster ab und trat zu der gedeckten Tafel. Mit einem prüfenden Blick überflog, sie noch einmal die drei Gedecke. Sie rückte gedankenfern an den schön geschliffenen Kelchgläsern, fuhr glättend mit der Hand über das blütenweisse Tischtuch und ging dann mit einem tiefen Seufzer hinaus in den Vorsaal, um ihren Bruder zu begrüssen. Sobald er eintrat, zwang sie einen heiteren, unbefangenen Ausdruck in ihr Gesicht.

„Tag, Bettina! Komm ich zu spät? Oder ist Bernhard auch noch nicht zu Haus?“

„Bernhard ist auch noch nicht hier, lieber Fritz.“

„Schön, dann krieg ich keine Schelte,“ sagte er lachend, Bettina umfassend und neben ihr ins Zimmer tretend. Sie lachte auch.

„Ach — darin hast du es gut, Fritz. Schelte bekommst du nie. Den Vorzug hast du als Junggeselle, dass du kommen und gehen kannst, wann du willst. Als Ehemann würde für dich wohl manches anders sein.“

Fritz sah seine Schwester mit gutmütigem Spottlächeln an. Er wusste, weshalb sie ihm bei jeder Gelegenheit die Vorzüge eines Junggesellentums in günstiges Licht rückte. Er hatte sie trotzdem herzlich lieb. Noch mehr liebte er seinen Neffen, einen prächtigen, lebensfrischen Primaner, den er wie seinen eigenen Sohn hielt. Herbig besass ausgeprägten Familiensinn, und es war für ihn selbstverständlich, dass er für seinen Neffen sorgte; wie ein Vater. Dass er aber deshalb auf die Gründung einer eigenen Familie verzichten sollte, das ging ihm doch etwas zu weit. Trotzdem er bis jetzt ledig geblieben war, wusste er doch, dass er eines Tages heiraten würde. Vorläufig war ihm nur noch nicht das weibliche Wesen begegnet, welches er für eine Ergänzung seines eigenen Ichs hätte halten können. Und je älter er wurde, je wählerischer ward sein Sinn. Übrigens fühlte er sich in der Schwester Obhut sehr wohl.

Sie entfaltete aber auch bewundernswerte Talente, um Fritz seine Häuslichkeit angenehm zu machen. Seine Mahlzeiten waren vorzüglich zubereitet und jedes Gericht seinem Geschmack angepasst. Wäsche und Kleidung wurden in tadelloser Ordnung gehalten. Wollte er plaudern, — Bettina verstand es, in anmutiger und nicht geistloser Art jeden Gegenstand zu behandeln. Hatte er Lust, Musik zu hören, — sie spielte sehr gut Klavier und sang ihm mit ihrem weichen Alt einfache Lieder, die er sehr liebte. Wollte er Ruhe haben, — sie verstand sehr wirkungsvoll zu schweigen. Sie suchte ihm in den Zeitungen die Aufsätze aus, die ihn besonders fesseln mussten, und strich sie rot an, damit er schneller mit dem Lesen fertig würde. Auf all seine Stimmungen ging sie verständnisvoll ein. Da er eine ungezwungene, anspruchslose Geselligkeit liebte, sorgte sie für reizende gesellige Abende. Kurzum, sie schaffte ihm eine beneidenswerte Häuslichkeit.

Auch das Verhältnis des Bruders zu ihrem Sohne beeinflusste sie in kluger Weise, obschon sie sich da jede Mühe hätte sparen können. Onkel und Neffe waren sich auch ohnedies in herzlicher Liebe zugetan. Bernhard Gerold schwärmte in jugendlicher Begeisterung für Onkel Fritz. Er erschien ihm als das Vorbild eines Mannes. So wie dieser zu werden, war sein eifriges Streben, so gut und so klug, so tatkräftig und zielbewusst.

Fritz liebte den frischen, aufgeweckten Jungen wahrhaft väterlich. Sein offenes, ehrliches Wesen, das wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihm lag, erfüllte ihn mit Freude. Er beeinflusste seinen Werdegang mit liebevollem Verständnis, zog ihm die Zügel nicht zu straff und liess ihn sich entfalten ohne kleinlichen Zwang. Schon frühzeitig weckte er in ihm das Bewusstsein der eigenen Verantwortlichkeit und stärkte so seine Willenskraft. Trotz des Altersunterschiedes verkehrte er mit ihm wie ein Freund, lenkte ihn dabei aber mit weiser Vorsicht unmerklich dahin, dass er selbst immer den rechten Weg fand.

Bettina Hatte gewünscht, dass Bernhard in die Fabrik des Oheims eintreten sollte. Der Sohn hatte aber keine Lust, Kaufmann zu werden. Seiner Mutter wagte er jedoch nicht zu widersprechen, die kam dann immer gleich mit Tränen und Vorwürfen. Und er merkte, dass ihr viel daran lag, ihren Wunsch durchzusetzen.

„Ich weiss, Onkel Fritz erwartet das als selbstverständlich, Bernhard,“ hatte sie ihm gesagt. Dass sie in ihm schon den künftigen Chef der Firma Herbig sah, verschwieg sie ihm wohlweislich, denn ihr Sohn hätte für ihre Wünsche und Hoffnungen kein Verständnis gehabt.

Da er aber, wie gesagt, keine Lust hatte zum Kaufmannsstand, sondern eine starke Neigung für das Maschinenbaufach besass, ging er eines Tages zu seinem Oheim. Dieser lag nach Tisch immer ein halbes Stündchen lesend auf dem Ruhesofa in seinem Zimmer. Und Bernhard ging mit all seinen kleinen und grossen Anliegen stets um diese Zeit zu ihm. Er setzte sich dann neben ihn und wippte so lange ruhelos auf und ab, bis Onkel Fritz lachend seine Zeitung weglegte. So auch an jenem Tage. Er sah seinen Neffen einen Augenblick prüfend an. Dann sagte er lächelnd:

„Na, Junge, nun schiess mal los. Was hast du auf dem Herzen?“

Bernhard hörte auf zu wippen und sah mit seinen offenen, klaren Augen in die des Onkels.

„Du — ist es wahr, dass dir so sehr viel daran liegt, dass ich Kaufmann werde?“

„Wer hat dir gesagt, dass mir so viel daran liegt?“

„Mama natürlich. Sie will, dass ich in deine Fabrik eintrete. Ist dir wirklich so viel daran gelegen?“

Herbig lächelte.

„Mir scheint, du hast diesen Gedanken nicht gerade mit Entzücken aufgefasst, hm?“

Bernhard wippte weiter.

„Erst sollst du meine Frage beantworten, ich habe zuerst gefragt.“

Herbig lachte herzlich.

„Du — dann sitz erst mal still, wenn du so weiter turnst, krieg ich die Seekrankheit. So! Nun also meine Antwort: Meinetwegen werde Schuster, Schneider oder Handschuhmacher, werde, was du willst — aber werde es ganz. Wähle deinen Beruf so, dass du ihn als ganzer Mann ausfüllen kannst und Lust und Liebe dazu mitbringst — dann wählst du recht und nach meinem Wunsch.“ Bernhard war aufgesprungen und hatte sich mit ernster Miene vor den Oheim hingepflanzt.

„Ich möchte Maschinen bauen, Ingenieur werden. Weisst du, in so grossem Eisenwerke möcht’ ich arbeiten. Neulich hab’ ich auf dem Bahnhof eine neue Lokomotive gesehen — ach Onkel Fritz, du glaubst nicht, wie herrlich die aussah! Wie die einzelnen Teile sich so leicht und schnell bewegten und in einander fügten — und ich war ganz begeistert und konnte nicht fortsehen. Siehst du, so etwas möcht’ ich bauen, aber noch schöner, noch besser. Kannst du mich verstehen?“

Herbig hatte wohlgefällig an dem schlanken Jungen emporgesehen und sich an seinen begeistert blitzenden Augen gefreut.

„Es wäre doch das erste Mal, dass wir uns nicht verstünden, Junge.“

„Und du hast nichts dagegen?“

„Nein, im Gegenteil.“

Bernhard hatte tief Atem geholt.

,,Gott sei dank.“ Aber dann machte er ein betrübtes Gesicht.

„Ach — was wird nun Mama sagen? Sollst sehen, Onkel Fritz, sie weint und denkt, ich habe dich gekränkt.“

Herbig legte seine Hand auf den Arm des Jünglings.

„Lass gut sein, Bernhard. Mit der Mutter bring’ ich das selbst in Ordnung, wenn es so weit ist. Vorläufig werde erst mal auf dem Realgymnasium fertig, eher brauchen wir gar nicht darüber zu reden. Wenn wir ,Männer‘ uns nur einig darüber sind!“ — —

Seit jenem Tage verstanden sich Onkel und Neffe noch besser als sonst. Und Bettina freute sich darüber, ohne zu ahnen, dass man ihren Wünschen entgegenarbeitete. — —

Kurze Zeit, nachdem Herbig mit seiner Schwester in das Wohnzimmer getreten war, kam auch Bernhard Gerold nach Hause. Er riss die farbige Mütze grüssend vom Kopf, als er Mutter und Oheim seiner wartend am Fenster stehen sah, und stürmte mit weiten Sätzen die breite Steintreppe empor ins Haus. Sein hübsches, gebräuntes Gesicht, welches schon jetzt ausdrucksvolle und Kraft verratende Züge hatte, strahlte vor Vergnügen beim Anblick der beiden geliebten Menschen. Wenige Minuten später sassen sich die drei bei Tisch gegenüber.

„Da hab’ ich übrigens auch eine Neuigkeit für euch. Morgen in vierzehn Tagen ist es zehn Jahre her, dass ich die Fabrik übernahm. Ich gedenke zur Feier des Tages meinen Leuten ein Fest zu geben und rechne dabei stark auf deine Hilfe, Bettina. Du hast ja ein grossartiges Geschick für derartige Feste.“

„Du kannst auf mich rechnen, Fritz,“ erwiderte die Schwester. „Sag’ mir nur kurz, wie du dir das Fest denkst, alles andere besorge ich dir.“

„Du bist eine treffliche Frau, Bettina, eine wahre Perle. Also ich dachte es mir so. Wir veranstalten nachmittags in einem grossen Wirtshausgarten vor der Stadt ein Fest mit Schiessbuden, Karussell und Preisspielen. An grossen Tafeln soll dann reichlich Kaffee und Kuchen gereicht werden. Abends, wenn die Mütter das Jungvolk heimgebracht haben, erhalten die Leute ein Festessen, und daran kann sich zur Erhöhung der Lustbarkeit auch ein Tänzchen schliessen. Zu sparen brauchst du nicht, Bettina. Ich habe in diesem Jahre einen glänzenden Abschluss gemacht und kann mir etwas leisten. Die Preisspiele sollst du so einrichten, dass jeder der Leute ein hübsches Andenken an die Feier mit nach Hause nimmt. Dabei kann dir Bernhard an die Hand gehen. Und die Damen aus dem Zeichensaal übernehmen die Spielaufsicht über die Kinder. Ich habe mit Fräulein Rottmann schon darüber gesprochen, sie ist ja doch entschieden die klügste von allen.“

Bettina empfand einen eifersüchtigen Groll auf Maria Rottmann, weil Fritz mit dieser eher über die Sache gesprochen hatte, als mit ihr selbst. Bernhard aber war begeistert. ,,Du, Mama, dann stell’ mich nur da an, wo ich mit Fräulein Rottmann zusammenwirken kann. Das ist ein prachtvolles Mädel — und bildhübsch.“

Er drehte unternehmend an der Stelle, wo einst vielleicht ein Bart sitzen würde. Fritz Herbig lachte.

„Junge — du wirst doch nicht den Schwerenöter spielen wollen?“

Bettina zitterte innerlich vor Unmut. „Bernhard, unterlass doch solche Witze. Fräulein Rottmann ist übrigens nicht einmal hübsch zu nennen.“

„Doch Mama — da muss ich ganz entschieden widersprechen. Sag selbst, Onkel Fritz, ist sie nicht ein sehr hübsches Mädel mit ihren grossen klugen Augen und den dicken braunen Zöpfen?“

„Aber Bernhard!“ rief Bettina ärgerlich und einen Augenblick die Herrschaft über sich verlierend.

Herbig sah lächelnd. in ihr gerötetes Gesicht. „Bettina — über den Geschmack lässt sich nicht streiten. Wir Männer haben unsere eigene Ansicht über Frauenschönheit. Zwar muss ich gestehen, dass ich Fräulein Rottmann daraufhin noch nicht angesehen habe, aber das lässt sich nachholen.“

Bettina war ausser sich über die Wendung, die das Gespräch genommen. Aber sie durfte sich das nicht merken lassen.

„Man muss solchen Mädchen gegenüber immer einige Zurückhaltung bewahren. Sie werden sonst leicht zu aufdringlich.“

„Das hast du wohl bei Fräulein Rottmann nicht zu fürchten. Sie ist sehr taktvoll und aus guter Familie. Ihr Vater war Offizier, und ihre Mutter ist eine stille, feine Frau.“

„Du kennst ihre Mutter?“

Ein seines Lächeln huschte bei dieser erschrocken klingenden Frage um seinen Mund.

„Gewiss, sie begleitete ihre Tochter, als ich diese anstellte.“

Bettinas Augenlider zuckten nervös.

„Das ist doch sonst nicht üblich.“

,,Allerdings nicht. Aber die Damen wohnten auswärts, und daher war Frau Rottmann mitgekommen, um gleichzeitig hier eine Wohnung zu suchen. Mutter und Tochter leben seitdem zusammen in unserer guten Stadt, und so viel ich weiss, trägt Fräulein Rottmann den grössten Teil zum Unterhalt bei, da ihre Mutter als Hauptmannswitwe nur ein sehr geringes Jahrgeld bezieht. So — das ist alles, was ich aussergeschäftlich von der jungen Dame weiss. Willst du mehr wissen, dann kann ich mich ja danach erkundigen.“

Bettina wehrte hastig ab.

,,O nein, ich danke. Wir wollen doch dies Gespräch fallen lassen. Sag mir lieber, um welche Zeit das Fest beginnen soll und welche Gartenwirtschaft dir am liebsten ist.“

Damit lenkte das Gespräch in andere Bahnen.

Als aber Fritz Herbig am Nachmittag desselben Tages oben im Zeichensaal neben Fräulein Rottmann stand, fiel ihm das Gespräch wieder ein. Und zum ersten Male betrachtete er in Maria Rottmann das Weib. Dabei musste er ehrlich zugestehen, dass sein Neffe entschieden nicht zu viel gesagt hatte, wenn er sie ,bildhübsch‘ nannte. Ja, er fand, dass sie viel beachtenswerter war als die jungen Damen seiner Gesellschaftskreise, dass sie sehr lieb lächeln konnte, dass sie die schlanken, edelgerundeten Glieder in schlichter Anmut bewegte und dass sie wirklich schöne Augen und Herrliche Flechten besass.

Inzwischen sann Bettina drüben im Hause rastlos darüber nach, wie sie ihren Bruder vor dem Zauber der Maria Rottmann bewahren konnte.

* * *

Einige Tage später lag Herbig mittags mit seiner Zeitung auf dem Ruhesofa, als Bernhard bei ihm eins trat und sich nach alter Angewohnheit zu ihm setzte.

Herbig legte die Zeitung fort und sah ihn erwartungsvoll an.

„Nun, Junge, du siehst aus, als wolltest du mir etwas furchtbar Nettes beichten.“

Bernhard nickte energisch.

„Will ich auch, was sehr Nettes. Das heisst — eigentlich nur für mich!“

„Na, dann schiess los — es ist ja ohnedies deine Beichtstunde.“

„Hm. Denke mal, die Prima will in den grossen Ferien eine Rheinreise machen. Bis Montag soll sich jeder entscheiden, ob er mithält.“

„Und du möchtest natürlich gern mithalten, nicht wahr?“

Bernhard sah etwas unbehaglich aus. Dann stiess er heraus: „Brennend gern — natürlich nur, wenn ich dich nicht wie jedes Jahr auf deiner Sommerreise begleiten soll.“

Herbig sah mit Wohlbehagen in das lebensprühende Gesicht seines Neffen.

„Also du willst mich diesmal treulos im Stich lassen?“ fragte er scheinbar beleidigt.

Bernhard sah auf seine Stiefelspitzen herab.

„Natürlich nicht ohne deinen Willen. Mama hat ja recht, ich bin schrecklich undankbar, dass ich überhaupt an so was dachte! Sie hat mir auch streng verboten, dir damit zu kommen.“

„Und doch hast du es getan?“

„Ja — eigentlich ist es schändlich. Aber weisst du — sie hat mir in ihrer Angst, ich könnte dich erzürnen, schon manchmal was verboten, was du mir dann doch erlaubt hast. Und ich kenne dich doch wirklich besser als Mama. Kleinlich bist du sonst gar nicht.“

„Damit willst du sagen, dass ich diesmal kleinlich bin?“ meinte Herbig lachend.

„Nein — das bist du nie.“

„Schön, also muss ich mich auch diesmal mit Grösse aus der Angelegenheit ziehen! Also, du möchtest lieber mit deinen Kameraden eine Rheinreise machen als mit mir wieder nach Tirol gehen? Gut, melde dich Montag zur Teilnahme an der Rheinfahrt, das nötige Geld erhältst du von mir. Mach’ aber keine zu innige Bekanntschaft mit dem Rheinwein.“

Bernhard zerdrückte ihm fast die Hände.

„Bist du auch wirklich nicht bös?“

„Bös bin ich nicht. Ich kann es dir ja gar nicht verdenken, wenn dir so eine freie, fröhliche Fahrt mit Altersgenossen lieber ist, als wenn du mit deinem alten, langweiligen Onkel Fritz in den Bergen rumkraxelst.“

„Du. — lass meinen Onkel Fritz in Ruhe! Langweilig und alt ist der nicht. Und schön, wunderschön ist es immer mit dir in den Bergen. Aber diese Fahrt möchte ich doch zu gern mitmachen.“

„Also abgemacht — du gehst an den Rhein.“

Bernhard schob nachdenklich die Brauen empor.

„So klar ist das nun doch nicht. Was wird Mama dazu sagen? Ich wage es gar nicht, ihr zu beichten.“

„Was — du wagst es nicht? Schlingel — wenn du zum Ungehorsam den Mut hast, musst du auch die Folgen auf dich nehmen.“

Bernhard bekam einen roten Kopf. „Wenn sie nur nicht immer gleich weinte vor Angst, dass ich dich gekränkt haben könnte. Du glaubst nicht, wie besorgt sie ist, und wenn sie weint, ist’s aus mit meinem Mut. Warum sie nur so ängstlich ist? Ich hab’ dich doch gewiss furchtbar lieb und möchte dich um keinen Preis tränken. Aber sie zankt immer mit mir, dass ich es die nicht genug zeige, wie lieb du mir bist, und denkt, du entziehst mir deine Liebe. Dabei büffle ich doch nur so, bis mir der Kopf brummt, um dir meine Dankbarkeit zu erweisen.“

Herbig richtete sich auf den Ellenbogen empor und strich liebevoll über den dunklen Jünglingskopf.

„Von Dankbarkeit rede mir lieber nicht, ich kann das Wort nicht ausstehen. Ein bisschen Liebe ist mir mehr als ein Berg Dankbarkeit. Da steckt immer so ein heimlicher Zwang dahinter.“ Bernhard sah ihn offen und ehrlich an. „Bei mir nicht, da kommt es ganz von selbst.“

* * *

Fritz Herbig betrat kurze Zeit darauf das Fabrikgebäude. Zuerst begab er sich in sein Arbeitszimmer, um einige wichtige Briefe selbst zu schreiben. Dann unternahm er einen Rundgang durch die Fabrik, wo das Summen und Sausen, das Klappern und Surren grossen Lärm verursachte. Er war jedoch dieses Geräusch ebenso gewöhnt wie seine Arbeiter.

Nachdem er unten seinen Rundgang beendet und überall nach dem Rechten gesehen hatte, stieg er hinauf in den Zeichensaal.

In der Mitte des grossen Raumes standen riesige Zeichentafeln, an denen die Einzelzeichnungen ausgeführt wurden. Ringsum waren durch Holzver schläge Abteilungen geschaffen worden, in denen die ersten Zeichner und Zeichnerinnen an Skizzen und Entwürfen arbeiteten.

In einer dieser Abteilungen sass auch Maria Rottmann an ihrem Zeichentisch. Herbig blieb hinter jedem Zeichner eine Weile stehen und sah zu, wie er arbeitete. Zuletzt kam er zu Maria. Sie trug denselben grauen Lodenrock wie neulich und eine ebenso schlichte, weisse Batistbluse. Als Herbig zu ihr trat, hob sie einen Augenblick den Kopf und sah zu ihm auf. Mit ruhiger Artigkeit wechselten sie einen Gruss. Dann arbeitete sie ungestört weiter. Sie wusste, wenn er einen besonderen Auftrag für sie hatte, sprach er sie an. Er sah heute aber nur zerstreut auf ihre Zeichnung herab, viel mehr fesselten ihn die schlanken, edelgeformten Hände mit den rosigen Fingernägeln. Und von den Händen glitt sein Blick unbewusst über die runden Arme und Schultern, die sich durch die leichte Bluse abzeichneten. Ein schmales Streifchen des Nackens, darüber der schöne Ansatz des braunen Haares, die starken, glänzenden Flechten, ein kleines, rosiges Ohr und das hübsche blühende Gesicht — Herbig ertappte sich plötzlich darauf, dass er das alles mit innigem Wohlgefallen betrachtete.

Und Maria Rottmann musste seine Blicke fühlen. Sie sah unruhig empor und begegnete ihnen. Es lag ein Ausdruck darin, der sie befangen machte. Sie zeichnete sofort weiter, aber die Hände verloren die ruhige Festigkeit, und ein verräterisches Rot stieg in ihre Wangen empor. Sie fühlte das und ärgerte sich darüber, ohne es hindern zu können. Ihr Atem ging unregelmässig, er sah es an dem Heben und Senken der Schultern. Ein ganz eigenartiges Wonnegefühl stieg in ihm auf. Ihre Unruhe teilte sich ihm mit. Wie ein heimlicher, süsser Zauber umwob es die zwei Menschen.

Maria Rottmann zeichnete recht unsichere, schwankende Striche. Sie schämte sich ihrer Unruhe, als sie das merkte. Entschlossen schüttelte sie den Bann ab, der sie gefangen genommen hatte, und den Stift aus der Hand legend fragte sie: „Haben Sie besondere Befehle für mich, Herr Herbig?“

Er richtete sich empor, antwortete jedoch nicht sogleich. Seine Augen sahen aber so sonderbar forschend und prüfend in die ihren, dass sie von neuem erglühte. Herbig kam nun ihre peinvolle Befangenheit zum Bewusstsein.

„Nein — ich habe nichts Besonderes, Fräulein,“ sagte er scheinbar ruhig und ging dann in sein Arbeitszimmer hinunter. Seit dieser Stunde war aber die Unbefangenheit aus ihrem Verkehr verschwunden. —

Das Gefühl, welches Herbig beherrschte, war ihm so neu und ungewohnt, dass er es sich zunächst nicht recht erklären konnte. Gewiss war ihm nur, dass ihm noch kein weibliches Wesen ein ähnliches Empfinden eingeflösst hatte. Und dies Empfinden war ein so durchaus angenehmes, dass er sich gar nicht dagegen wehrte. Im Gegenteil — mit träumerischem Behagen versenkte er sich mehr und mehr hinein. Und dieses Behagen war doch wieder mit einer wonnigen Unruhe gemischt.

Die Arbeit lockte heute den sonst so tätigen Mann gar nicht. Er warf sich in einen Sessel und sah vor sich hin. Wie war das nur gekommen? Er hatte doch sonst im Verkehr mit ihr nicht einen Augenblick seine Ruhe verloren.

Freilich, er hatte sie immer gern leiden mögen, hatte immer ein gewisses Wohlwollen für sie empfunden, aber die Sehnsüchtige, zärtliche Unruhe, die ihn jetzt beherrschte, hatte gar nichts mit diesem ruhigen Wohlwollen gemein. Sollte er wohl auf dem Weg sein, das Herz an sie zu verlieren?

Er sprang wieder auf und lief unruhig auf und ab.

„Unsinn,“ rief er halblaut in seine Gedanken hinein und trat ans Fenster, um erregt auf den Scheiben herumzutrommeln.

Es war gerade Vesperpause. Die Leute gingen, ihr Vesperbrot verzehrend, in dem grossen Hofraum auf und ab und unterhielten sich dabei. Einige der jüngeren Arbeiter bildeten mit mehreren jungen Arbeiterinnen in der einen Ecke, gerade unter seinem Fenster, eine Gruppe. Sie lachten und scherzten und tauschten wohl auch verliebte Blicke. Ein Bursche und ein Mädchen hielten sich absichtlich etwas zurück, als die Glocke das Ende der Vesperpause kündete. Sie traten als die letzten in das Gebäude, und unter der Tür küssten sie sich schnell und verstohlen, ohne zu ahnen, dass der Herr sie beobachtete.

Herbig seufzte auf.

Das fand sich alles in Liebe zueinander. Und er mit seinen achtunddreissig Jahren war noch immer allein. Ein ungestümes Sehnen wallte empor in seinem Innern. Warum sollte er diesem Alleinsein kein Ende machen? Er hatte doch auf niemand Rücksicht zu nehmen! Auf Bettina etwa?

Die konnte doch nicht von ihm verlangen, dass er ihretwegen auf Liebe und Ehe verzichten sollte.

Oder auf Bernhard?

Der würde auch, wenn er heiratete, seiner väterlichen Fürsorge sicher sein. Und der prächtige Bursche würde ein tüchtiger Mann werden und sich selbst im Leben seine Stellung erkämpfen, auch ohne des Oheims Erbe zu werden.

Bettina würde natürlich ein bisschen grollen und schmollen, damit musste er rechnen. Aber schliesslich musste sie sich fügen. Er war sich doch selbst der nächste und hatte auch Pflichten gegen sich selbst. Alt genug war er ja nun geworden, Zeit hatte er wirklich nicht viel mehr zu verlieren. Er hatte sich wahrlich das Recht verdient, ein Weib zu nehmen, eine eigene Familie zu gründen — ja — es war geradezu seine Pflicht, sich nicht auszuscheiden aus der Reihe der Familienväter.

So verteidigte er sich vor sich selbst, und dabei sah er im Geiste schon ein liebes Weib an seiner Seite schreiten, das mit klaren Augen verständnisvoll und innig zu ihm aufsah.

Und diese Augen glichen denen der jungen Zeichnerin aufs Haar.

* * *

Das Fest, das Fritz Herbig seinen Leuten gab, war vom herrlichsten Wetter begünstigt. Nur bis Mittag war in der Fabrik gearbeitet worden. Sie stellten sich alle pünktlich ein. Die verheirateten Leute brachten Weib und Kind mit, und alle trugen den besten Sonntagsstaat. Auch die Zeichner und Zeichnerinnen und die Vorsteher der einzelnen Abteilungen waren gekommen.

Der grosse Wirtshausgarten war festlich geschmückt, zwischen den Bäumen hingen farbige Lampen. Spielzelte und Reitschulen waren aufgestellt, und es herrschte reges fröhliches Treiben ringsum.

Herbig war mit Bettina und seinem Neffen zuerst am Platze. Er widmete sich seinen Gästen mit grosser Liebenswürdigkeit und Bereitwilligkeit. Jeder wollte durch ein paar Worte vom Herrn ausgezeichnet werden. Bettina stand ihm wacker zur Seite, obwohl ihre Seele mit Unruhe und Unbehagen zu kämpfen hatte. Sie liess ihren Bruder nicht aus den Augen. Gegen halb vier Uhr wurde an den grossen Tafeln der Kaffee eingenommen. Wahre Berge von Kuchen wurden aufgestellt, und die riesigen Kaffeekannen kreisten unaufhörlich.

Herbig hatte ohne Umstände zwischen einigen alten Arbeitern und ihren Frauen Platz genommen und beteiligte sich herzhaft an dem Schmaus. Erst wirkte seine Gegenwart etwas lähmend auf die Zunächstsitzenden, aber als er lustig und gemütlich plauderte und den Frauen lachend die Teller mit Kuchen belud, taute man auf. Bettina hatte erst überall nachgesehen, dass alle zu ihrem Rechte kamen. Dann ging sie langsam die Reihen entlang, den Leuten freundlich zunickend und sie zum Zulangen auffordernd. So kam sie auch an die Tafel, wo die Damen aus dem Zeichensaal sassen. Liebenswürdig trat sie heran und bat, neben Fräulein Rottmann Platz nehmen zu dürfen. Sie hatte beschlossen, die junge Dame möglichst in ihrer Nähe zu behalten. Die jungen Mädchen rückten artig zur Seite und bedienten Bettina eifrig mit Kaffee und Kuchen. Sie nickte lächelnd und dankend nach allen Seiten und plauderte liebenswürdig mit ihrer Umgebung.

Am meisten beschäftigte sie sich mit Maria Rottmann.

„Ist Ihre Frau Mutter nicht mitgekommen?“ fragte sie freundlich.

„Nein, gnädige Frau. Mama ist schon seit einiger Zeit unpässlich.“

„O, wie schade. Das tut mir sehr leid. Ich hoffe, es ist kein ernstes Unwohlsein?“

„Das zum Glück nicht. Mama ist nur leicht ermüdet und bekommt sofort Kopfweh, wenn sie sprechen muss.“

„Dann sind Sie sicher nur ungern von ihr gegangen?“

„Ach, Mama ist ja sonst auch allein, wenn ich beschäftigt bin. Vollständige Ruhe tut ihr am wohlsten.“

„Nun, sie wird sich hoffentlich bald erholen. Übrigens rechne ich nachher stark auf Ihre Hilfe bei den Preisspielen, zumal bei den Kindern.“

„Ich stehe gern zur Verfügung, gnädige Frau.“

Bettina nickte dankend und wandte sich zu den andern Zeichnerinnen.

,,Auch für Sie gibt es an den anderen Spielplätzen reichlich zu tun, meine Damen. Ich hoffe, ich kann auf Ihre Hilfe zählen.“

Die jungen Mädchen beeilten sich, ihre Zustimmung zu geben. Maria Rottmanns ruhige Artigkeit stach sehr ab gegen die unterwürfige Dienstbeflissenheit der anderen.

„Sie ist entschieden stolz und hochmütig,“ dachte Bettina, der das nicht entging.

Herbig hatte schon einige Male seinen Platz gewechselt. An jeder Tafel hielt er sich eine Weile auf und plauderte lustig mit seinen Leuten. Dabei hatte er jedoch heimlich ein Ziel im Auge, ohne es sich einzugestehen. Aber, ob mit oder ohne Eingeständnis, schliesslich sass er doch Maria gegenüber und war darüber so vergnügt, dass ihm die helle Freude aus den Augen lachte.

Bettina bemerkte sehr gut, wie er wohlgefällig sein Auge auf seinem Gegenüber ruhen liess und sie fing seine Blicke voll Unruhe auf. Ihr Bruder sah heute so gar nicht aus, als hätte er Lust, seine Tage als Junggeselle zu beschliessen. Was konnte sie tun, um Maria Rottmann ungefährlich zu machen?

Sie sann und grübelte und rückte unbehaglich auf ihrem Platz. Wenn doch wenigstens diese Kaffeetafel ein Ende hätte! Aber die Leute stippten ohne Unterlass immer neue Kuchenstücke in ihren Kaffee, und so lange nicht alle gesättigt waren, musste sie aushalten.

Endlich aber nahm ihre Qual ein Ende. Die letzten Reste wurden für die Kinder zum Mitnehmen eingepackt, und man erhob sich, um die Spiele zu beginnen.

Bettina schob ihren Arm liebenswürdig lächelnd in den Fräulein Rottmanns und zog sie mit sich fort.

„Kommen Sie schnell, liebes Fräulein, die Kinder stehen schon erwartungsvoll um die Gabentische,“ sagte sie lebhaft, und ehe Herbig noch zur Besinnung kam, waren die beiden Damen seinen Blicken entschwunden. Vorläufig musste er sich nun erst einmal um seine Arbeiter bekümmern, damit auch die an den Schiessbuden und Würfelzelten zu ihrem Rechte kamen. Einige Herren aus dem Kontor halfen ihm dabei.

Die Musik spielte auf, alle vergnügten sich. Es war ein Leben wie auf dem Jahrmarkt. Bettina überwachte, neben Fräulein Rottmann stehend, die Spiele der Kinder, während das junge Mädchen die Preise austeilte.

Einige Herren aus dem Kontor kamen herüber und stellten sich Bettina zur Verfügung. Sie aber wehrte lachend ab.

„Danke sehr, meine Herren, aber hier kann ich nur weibliche Hilfe gebrauchen. Sie würden höchstens die Verwirrung vergrössern. Drüben bei meinem Bruder können Sie sich nützlicher machen.“

Als sich die jungen Leute entfernt hatten, sah Bettina lächelnd in Marias Gesicht.

„Da hab’ ich wohl nicht in Ihrem Sinne gehandelt, Fräulein Rottmann?“

Diese sah erstaunt auf.

„Warum nicht, gnädige Frau?“

„Nun, mir schien, als habe die Herren mehr der Wunsch, Ihnen nahe zu sein, als der, zu helfen, hierhergetrieben.“

Die junge Dame nahm eine abweisende Miene an.

„Das ist sicher ein Irrtum, gnädige Frau.“

Bettina drohte lächelnd mit dem Finger. „Seien Sie nur ehrlich, Sie plauderten gewiss viel lieber mit den jungen Herren, als sich hier mit den Kindern herumzuplagen.“

„Wirklich nicht. Ich habe Kinder sehr gern.“

„Nun, Sie können sich ja auch heute abend schadlos halten. Sie freuen sich gewiss auf das Tanzen.“

„Ich habe noch gar nicht daran gedacht.“ Bettina sah sie mit lächelndem Zweifel an. ,,Eine junge Dame, die nicht an das Tanzen denkt? Das ist doch kaum glaublich. Sollte sich unter unseren jungen Herren nicht einer befinden, mit dem Sie gern tanzen möchten?“

Maria Rottmann errötete vor heimlichem Unmut. Bettina legte dies Erröten anders aus. Sollte sie da auf einer Spur sein, die ihr von Nutzen sein konnte?

„Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten,“ erwiderte Maria mit leiser Abwehr im Tone.

Bettina merkte das sehr wohl. Also die junge Dame wünschte nicht, auf ihre Herzensangelegenheiten geprüft zu werden. Das war immerhin etwas. Vielleicht hatte sie eine heimliche Neigung zu einem der Angestellten. Man konnte da vielleicht vermitteln.

„Verzeihen Sie, ich erscheine Ihnen wohl ein wenig neugierig, liebes Kind. Aber Sie sind mir ausserordentlich angenehm. Ich hege eine grosse Vorliebe für Sie und erwärme mich schon lange für Ihr Schicksal. Mein Bruder erzählte mir, dass Ihr Vater Offizier war. Sie müssen Ihre abhängige Stellung schwer empfinden, und ich glaube ganz sicher, lange werden Sie dieselbe nicht zu bekleiden brauchen. Eine so hübsche und liebenswürdige junge Dame bleibt nicht lange unbeachtet. Aber es liegt mir fern, mich in Ihr Vertrauen zu drängen. Trotzdem möchte ich wetten, dass es manchen jungen Mann gibt, der Sie gern zur Lebensgefährtin wählte.“

Maria teilte ruhig die Gaben an die Kinder aus. Aber ihre Lippen zuckten unruhig. Das Gespräch war ihr in hohem Grade unangenehm.

„Zu dieser Annahme liegt wohl kaum Veranlassung vor. Vorläufig fühle ich mich sehr wohl in meiner Stellung und sehne mich nicht nach Veränderung.“

Das klang wieder nicht sehr ermutigend für Bettina. Aber sie liess sich nicht abschrecken.

„Das freut mich für uns, unserem Geschäft wird so eine schätzenswerte Kraft erhalten. Aber nicht für Sie. Der schönste Beruf der Frau bleibt doch die Ehe. Und Sie sind doch so sehr jung nicht mehr.“

„Dreiundzwanzig Jahre, gnädige Frau.“

„Nun sehen Sie wohl, das ist das beste Alter zum Heiraten.“

„Trotzdem eilt es mir nicht damit,“ suchte Maria das Gespräch mit einem Scherz zu beenden.

Bettina aber war hartnäckig.

„Am Ende gehören Sie gar zu den freisinnigen Frauen, zu den Ehefeindinnen?“

Also gedrängt, richtete sich Maria empor und sah Bettina mit grossen, ernsten Augen an.

„Nein — keins von beiden. Ich schätze jede Frau glücklich, die einen guten Mann, ein sicheres Heim ihr eigen nennt, die in ihrer Familie einen Pflichtenkreis findet, gross genug, ihr Leben auszufüllen. Aber allen kann ja solches Glück nicht zuteil werden. Zumal arme Mädchen wie ich gehen oft leer aus. Und da meine ich, von denen, die leer ausgehen müssen, sind die am besten dran, die einen Beruf haben, der sie befriedigt und ihnen die Mittel zu einem gesicherten, wenn auch schlichten Leben verschafft.“

Bettina hatte aufmerksam zugehört. Leider fand sich in Marias Worten gar kein Anhalt für sie. Da kam ihr jedoch ein Zufall zur Hilfe. Einer der zu dem Fest herbeigeeilten Reisenden, ein hübscher, stattlicher Mensch, ging eben vorbei. Als er Maria erblickte, blieb er einen Augenblick stehen und kam dann schnell auf sie zu.

,,Liebes Fräulein Rottmann — ich habe noch gar nicht Gelegenheit gehabt, Sie zu begrüssen. Gesucht habe ich Sie schon überall, aber nicht gefunden.“

Maria erwiderte seine Begrüssung sehr erfreut, einmal, weil sie froh war, das peinliche Gespräch abbrechen zu können, dann aber auch, weil sie Kurt Lebbeck, so hiess der Reisende, schon länger kannte und eigentlich durch ihn auf die Stellung bei Herbig aufmerksam gemacht worden war. Lebbeck war ausserdem schon lange heimlich verlobt mit einer Jugendfreundin Marias und stand ihr so näher, als die übrigen Angestellten des Geschäftes.