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Jan, ein pensionierter und verwitweter älterer Herr, trifft auf Svenja, eine geschiedene, wesentlich jüngere Frau. Zwei gebrannte Kinder, die Angst vor einer neuen Liebe haben. Die Hürde, welche sich unüberwindbar vor Jan auftut, heißt "Altersunterschied", und Svenjas Hürde heißt "Angst vor dem Verletztwerden". https://www.juergen-von-rehberg.at
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Seitenzahl: 78
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Jan Bornemann beobachtete die Regentropfen, die auf der Fensterscheibe um die Wette rannen, wer wohl als erster den unteren Rahmen erreichen würde.
"Es ist wohl wie im Leben auch", dachte er, "ein ewiger Wettlauf, immer bestrebt der Beste, der Erfolgreichste zu sein. Ganz egal ob im Privatleben oder im Beruf."
Jan Bornemann ist ein pensionierter Schuldirektor an einem kleinen Gymnasium und seit ein paar Jahren verwitwet. Er hatte gerade den letzten Bissen seiner Frühstückssemmel hinunter geschluckt, als ihn Frau Kramer, die Wirtin der Pension Krähennest aus seinen Gedanken riss.
"Darf ich Ihnen jetzt Ihre <Starthilfe> bringen, Herr Bornemann?" fragte Frau Kramer mit einem geschäftstüchtigen Lächeln.
Eigentlich tat Jan Bornemann der guten Frau Unrecht; denn ihr Lächeln war keineswegs geschäftstüchtig. Frau Kramer war eine Frohnatur und hatte ein aufgesetztes Lächeln gar nicht nötig.
Sie war etwa im Alter von Jan Bornemann, vielleicht ja ein paar Jährchen älter; aber immer noch recht attraktiv.
"Nein danke, Frau Kramer", antwortete Jan Bornemann, "ich lege heute einmal einen Fastentag ein. Kein Alkohol und keine Zigarren."
"Wieso das denn?" fragte Frau Kramer und sah ihren Gast erstaunt an.
"Weiß ich gar nicht so genau", antwortete Jan Bornemann, "mir ist einfach danach."
"Dann wünsche ich Ihnen viel Durchhaltevermögen", sagte Frau Kramer und wandte sich ab, wissend, dass der gute Vorsatz ihres Lieblingsgastes den Tag nicht überdauern würde.
Jan Bornemann kam schon seit vielen Jahren auf die Insel. Er wusste gar nicht mehr, wann das begonnen hatte. Er kam schon mit seinen Eltern hierher.
Und später, als er Madeleine geheiratet hatte, führte er diese Tradition fort. Und sie wohnten immer nur im Krähennest.
Jan hatte Madeleine in Paris kennen gelernt. Er hatte ein paar Auslandssemester an der Sorbonne verbracht und Madeleine war eine seiner Kommilitoninnen.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland hatten sie sich für lange Zeit aus den Augen verloren. Jeder hatte sein eigenes Leben gelebt, und umso erstaunlicher war es, dass sie sich irgendwann wieder über den Weg liefen.
Es geschah anlässlich einer Vernissage in Hamburg. Eine Jan unbekannte französische Malerin wurde von Henrik Feddersen, einem befreundeten Galeristen ausgestellt, und Jan war der Einladung seines Freundes gefolgt.
Mit dem Namen der Künstlerin "Madeleine Clichy" konnte Jan nichts anfangen, wohl aber mit ihrem Bild.
Als er ihr Konterfei auf dem Plakat ansah, erkannte er sofort seine Madeleine. Sie hatte inzwischen geheiratet und somit ihren Nachnamen geändert.
"Bonjour Toutou!"
Mit diesen Worten begrüßte Madeleine den erstaunten Jan, der nicht glauben wollte, dass seine aus den Augen verloren gegangene "Bijou" vor ihm stand.
"Bonjour ma Bijou!" sagte Jan und küsste Madeleine auf beide Wangen.
Nach der offiziellen Eröffnung zogen sich die beiden - mit einem Glas Rotwein und vielen Fragen bewaffnet - etwas zurück.
"Wieso bist du Malerin geworden?" fragte Jan aufgeregt, "du hattest doch das gleiche Studienfach wie ich gewählt, und das hatte mit Malerei nichts zu tun?"
"Danke, es geht mir gut", antwortete Madeleine mit einem spitzbübischen Lächeln, "es ist sehr lieb von dir, dass du mich danach gefragt hast."
"Entschuldige bitte, Madeleine", sagte Jan, "ich bin nur etwas aufgeregt und durcheinander. Kannst du mir bitte verzeihen?"
"Bien sûr, Toutou", antwortete Madeleine, "ich war genauso überrascht dich hier zu treffen wie du."
Jan musste lächeln. Madeleine nannte ihn immer noch "Toutou" - kleines Hündchen - wie früher. Sie hatte ihm diesen Kosenamen verpasst, weil er ihr lange nachlaufen musste, ehe sie ihn erhört hatte.
Anfänglich hatte er gegen das Stigma des "Boche" anzukämpfen, jenes Wort, das um 1860 auftauchte und den Erbfeind, den bösen Deutschen bezeichnete, und das nach dem 2. Weltkrieg in den Köpfen der Franzosen fest verankert war.
Und daher war es nicht wirklich verwunderlich, dass es einer langen "Belagerung" bedurfte, bis Madeleine endlich kapitulierte.
"Ich freue mich wirklich dich zu sehen", sagte Jan und sein Gesichtsausdruck unterstrich dies deutlich.
"Ich mich auch, Toutou", erwiderte Madeleine, und auch ihre Augen strahlten.
"Du bist verheiratet?" fragte Jan. "Hast du Kinder?"
"Nein und nochmals nein", antwortete Madeleine, "ich bin geschieden und ich habe keine Kinder, leider."
"Hättest du gern welche gehabt?" fragte Jan.
"Sehr gern sogar", antwortete Madeleine, "hast du welche?"
"Wie soll das gehen?" antwortete Jan lachend, "Ich bin ja noch nicht einmal verheiratet."
"Warum nicht? fragte Madeleine, "Wollte dich keine haben?"
"Du bist noch immer so frech wie früher, ma Bijou", sagte Jan, und ein vertrautes Gefühl erwachte gerade zu neuem Leben.
"Ist dir heiß?" fragte Madeleine besorgt.
"Nein", antwortete Jan, "wie kommst du darauf?"
"Weil du ganz rot geworden bist im Gesicht."
Jan fragte sich, warum er diese Frau, die ihm so viel bedeutet hatte, so völlig aus den Augen verloren hatte. Er konnte sich nicht erinnern, warum sie sich getrennt hatten.
Er fühlte sich in diesem Augenblick so stark zu Madeleine hingezogen, dass er Mühe hatte es nicht zu zeigen.
"Was ist mit dir?" fragte Madeleine, die bemerkt haben musste, dass in Jan etwas vor sich ging.
"Es ist nichts, ma Bijou", antwortete Jan, "es ist nur die Erinnerung."
Er entschuldigte sich bei Madeleine und suchte die Toilette auf. Dort benetzte er sein Gesicht mit kaltem Wasser, um einer plötzlich aufkommenden Übelkeit zu trotzen.
Die Erinnerung war zurück gekehrt. Die Erinnerung an jenen Tag, als er Madeleine im Bett mit Bertrand erwischte.
****
Jan Bornemann mochte es sehr, wenn der Regen mit seinem Staccato gegen die Fensterscheibe trommelte. Es hatte schon beinahe einen meditativen Charakter. Aber nur solange, wie niemand störte.
"Ob der Regen auch wieder einmal aufhören wird? So arg war es noch nie. Was meinst du, Jan?"
Gerlinde Schreiber versuchte Jan in ein Gespräch zu verwickeln. Sie saß mit ihrem Ehemann Harald am Nachbartisch.
Jan versuchte der drohenden Unterhaltung nonverbal zu entkommen, indem er mit den Schultern zuckte; aber ohne Erfolg. Gerlinde setzte nach:
"Oder kannst du dich erinnern, dass es jemals so extrem war?"
Jan kapitulierte. Er blickte in das Gesicht von Gerlinde, von dem er wünschte er hätte es nie gesehen, und er hätte den roten Mund der Besitzerin niemals geküsst.
"Es wird schon werden, Gerlinde", antwortete Jan lapidar in der vagen Hoffnung Gerlinde zu entkommen.
Ein Jahr zuvor war er ihr nicht entkommen. Die Schreibers hatten Karten für das Musical "Das Phantom der Oper", das auf dem Festland aufgeführt wurde.
Am Tag der Aufführung, es war morgens beim Frühstück, teilte Gerlinde Jan mit, dass ihr Harald das Bett hüten müsste.
"Er muss gestern etwas Schlechtes gegessen haben." Damit erklärte sie die Abwesenheit ihres Ehegatten beim Frühstück.
"Du musst unbedingt für ihn einspringen; ich kann doch nicht ohne männliche Begleitung ins Theater gehen."
Jan dachte an nichts Böses, als er zustimmte. Wie sollte er auch. Er kannte die Schreibers schon seit geraumer Zeit. Sie waren - wie er - schon seit Jahren Gäste im Krähennest.
Irgendwann war man sich näher gekommen und irgendwann hatte man Bruderschaft getrunken.
Und dann kam dieser verhängnisvolle Besuch des Musicals.
Nach der Vorstellung verschleppte Gerlinde ihren Begleiter in eine Bar, um den schönen Abend ausklingen zu lassen.
Was jedoch nicht oder nur zaghaft klingelte, waren die Alarmglocken bei Jan Bornemann.
Er war wieder einmal den Verlockungen des Alkohols erlegen und er verfügte im entscheidenden Moment nicht über die Widerstandskraft, die nötig gewesen wäre, um das drohende Ungemach abzuwenden.
Nicht dass das Schlafen mit einer schönen Frau an sich als Ungemach zu bezeichnen wäre. Anders hingegen jedoch, wenn es sich dabei um eine verheiratete Frau handelt, mit deren Ehegatten man tagtäglich - fast schon gemeinsam am Tisch sitzend - das Frühstück einzunehmen pflegt, dann schon.
Als Gerlinde mit Jan die Bar verließ, setzte sie ihn darüber in Kenntnis, dass ein Doppelzimmer in einem Hotel gebucht sei, in welchem sie die Nacht verbringen würden.
Das machten sie und ihr lieber Gatte Harald immer so, wenn sie auf dem Festland eine Veranstaltung besuchen würden. Es wäre ja auch viel zu gefährlich unter Alkoholeinfluss Auto zu fahren.
Und so ließ sich Jan von Gerlinde willenlos ins Hotel verfrachten, und er setzte auch keinerlei Widerstand, als Gerlinde ihn zum Beischlaf animierte.
Man muss wissen, dass Gerlinde eine durchaus als schön, sexy und verführerisch zu bezeichnende Frau war, und dass ihre Verführungskünste wohl jeden Mann in die Knie zu zwingen vermochten.
Als die beiden Musical-Besucher am nächsten Morgen wieder zurück auf die Insel fuhren, sprühte Gerlinde förmlich vor guter Laune.
"Das war ein toller Abend, Janni, und eine noch viel tollere Nacht; findest du nicht auch?"
Mit dieser Bemerkung riss Gerlinde ihren schweigenden Beifahrer aus seinem Grübeln. Jan fühlte sich nicht annähernd so wohllaunig wie Gerlinde.
Jan Bornemann fühlte sich mies; richtig mies. Und die Verniedlichung seines Namens in "Janni" machte es nicht besser.
"Macht es dir gar nichts aus, dass wir die Nacht miteinander verbracht haben?" fragte er Gerlinde. Er vermied bewusst die Bezeichnung "miteinander geschlafen", weil sie ihm schmutzig erschien.
"Keineswegs, mein Schatz", antwortete Gerlinde, "ich brauche das ab und zu. Und Harald bekommt schon lange keinen mehr hoch."
Jan wusste nicht, was ihn mehr anwiderte: dass Gerlinde ihn "mein Schatz" nannte oder die gossenhafte Ausdrucksweise, das sexuelle Unvermögen ihres Ehemannes betreffend.
Er wollte etwas erwidern, ließ es aber sein. Was hätte er auch sagen wollen; Jan wusste es nicht.
"Das sollten wir undbedingt einmal wiederholen", fuhr Gerlinde fort und legte zur Bekräftigung ihre Hand auf Jans Oberschenkel.
Jan zuckte unwillkürlich zusammen, fühlte aber zugleich eine leichte Erregung.
"Bitte nicht", sagte er zu sich selbst und ließ die Scheibe der Autotür ein kleines Stück herunter. Der feine Regen benetzte sein Gesicht. Jan empfand es als wohltuend.
"Mach wieder zu", sagte Gerlinde, "du wirst ja ganz nass."