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Im Jahr 2114: Auf der Erde und den Welten der Terranischen Union leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Gemeinsam arbeitet man am Aufbau einer positiven Zukunft. Doch alle wissen: In der fernen Galaxis M 87 lauert eine feindliche Macht namens Catron, die jederzeit angreifen kann. Mit dem riesigen Sternenschiff BASIS brechen Perry Rhodan und eine wagemutige Besatzung dorthin auf. Nach gefahrvollen Erkundungsflügen erreichen sie Monol. Dabei handelt es sich um die Hauptwelt der geheimnisumwitterten Konstrukteure des Zentrums, die womöglich zugleich der Stammsitz von Catron ist. Auf Monol bietet sich Perry Rhodan und seinen Gefährten schließlich eine Chance, um die Gefahr zu bannen, die der Menschheit durch Catron droht. Sie wagen einen riskanten Vorstoß in die uralte FESTUNG DER LOOWER ...
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Seitenzahl: 222
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Band 327
Festung der Loower
Marie Erikson
Michael Tinnefeld
Cover
Vorspann
1. Einlass – Perry Rhodan
2. Keine Ruhe – Lia Tifflor
3. Zügig voran – Perry Rhodan
4. Momente zuvor: Gebrechen – Gucky
5. Hirnscan – Lia Tifflor
6. Niederschmetternd – Perry Rhodan
7. Havarie – Avlo Sanchez
8. Wie ein Uhrwerk – Perry Rhodan
9. Station aus alter Zeit – Lia Tifflor
10. Abwärts – Perry Rhodan
11. Die Versteinerung – Avlo Sanchez
12. Der Kampf – Lia Tifflor
13. Die anderen – Perry Rhodan
14. Einsam – Gucky
15. Catrons Stammzellen – Perry Rhodan
16. Freund oder Feind? – Lia Tifflor
17. Splitter – Perry Rhodan
18. Nachdenken über Bedeutsamkeit – Perry Rhodan
19. Kein Sieg ohne Verlust – Lia Tifflor
20. Unwürdig! – Lia Tifflor
21. Post mortem
22. Instabil – Perry Rhodan
23. Endlich Ruhe – Lia Tifflor
24. Einblicke – Perry Rhodan
Impressum
Im Jahr 2114: Auf der Erde und den Welten der Terranischen Union leben die Menschen in Frieden und Freiheit. Gemeinsam arbeitet man am Aufbau einer positiven Zukunft. Doch alle wissen: In der fernen Galaxis M 87 lauert eine feindliche Macht namens Catron, die jederzeit angreifen kann.
Mit dem riesigen Sternenschiff BASIS brechen Perry Rhodan und eine wagemutige Besatzung dorthin auf. Nach gefahrvollen Erkundungsflügen erreichen sie Monol. Dabei handelt es sich um die Hauptwelt der geheimnisumwitterten Konstrukteure des Zentrums, die womöglich zugleich der Stammsitz von Catron ist.
Auf Monol bietet sich Perry Rhodan und seinen Gefährten schließlich eine Chance, um die Gefahr zu bannen, die der Menschheit durch Catron droht. Sie wagen einen riskanten Vorstoß in die uralte FESTUNG DER LOOWER ...
1.
Einlass
Perry Rhodan
»Ich hasse es hier!«
Es war ein Aufstöhnen der Verzweiflung, kein Ausruf der Wut. Der wässrige Blick aus Guckys müden Augen schmerzte Perry Rhodan.
In den meisten Situationen fanden viele den gerade mal einen Meter großen Mausbiber mit seinem weichen Fell, den großen Ohren und dem Biberschwanz niedlich. In diesem Moment jedoch machte er einen komplett anderen Eindruck. Er schleppte sich durch eine namenlose Bodenfurche am Nordhang des Kristallgebirges von Monol und bot ein Bild des Jammers.
Gucky ließ die Ohren hängen, schleifte mit dem breiten Schwanz über den Untergrund, der anmutete wie geschmolzenes Glas, und seine erschlaffte Oberlippe verdeckte den sonst so prominenten Nagezahn so weit, dass er kaum zu sehen war.
»Das kommt dir nur so vor«, versuchte Rhodan, seinen Gefährten aufzumuntern. »In Wahrheit ist es die Catron-Strahlung, die dir zu schaffen macht.«
»Aber meine Erschöpfung ist echt!«, protestierte der Ilt.
»Das ist sie für uns alle.« Die Wirkung von Catrons Blut, wie die Hyperstrahlung auch genannt wurde, war auf Monol erheblich stärker als bisher in der Galaxis M 87. Rhodan fühlte sich auch selbst reizbar, und jeder Schritt kostete ihn Überwindung, da ihnen die Anzüge der Latenz, die sie vor der Strahlung schützen sollten, zugleich beständig Kraft entzogen.
»Für mich ist alles viel schlimmer«, murmelte Gucky. »Monol hat mir mittlerweile so viel Psi-Kraft geraubt, dass ich praktisch keine Parafähigkeiten mehr habe. Ich fühle mich wie ein Krüppel.«
»Hältst du mich auch für einen Krüppel?«
»Wie meinst du das?«
»Wenn du sagst, dass du ohne deine Parafähigkeiten ein Krüppel bist, muss ich ebenfalls einer sein. Ich hatte nie welche.«
»Es ist doch etwas vollkommen anderes, ob man Fähigkeiten verliert oder ohne sie geboren wird.«
Rhodan verstand seinen Freund. Als Teleporter, Telekinet und Telepath war Gucky für gewöhnlich eins der mächtigsten Mitglieder ihrer Einsatzteams. Dass er sich ohne diese Psi-Kräfte nutzlos fühlte, war verständlich. Allerdings würde es keinen von ihnen weiterbringen, wenn Rhodan ihm das zugestände.
Gucky hatte sein Schritttempo so verlangsamt, dass er und Rhodan den Anschluss an den Rest der Gruppe verloren. Sie konnten gerade noch Icho Tolot sehen, wie er vor ihnen hinter dem Bergkamm verschwand. Sogar der dreieinhalb Meter große Haluter kämpfte mit den Gegebenheiten dieses Planeten; er nahm seine Laufarme zu Hilfe, um besser voranzukommen.
»Wir brauchen dich, Gucky. Wir alle. Ich auch. Du musst uns Mut machen.«
»Wie soll ich jemandem Mut machen, wenn ich meinen verloren habe?« Unter den patzigen Tonfall mischte sich eine Spur Hilflosigkeit.
»Findest du, wir sollten aufgeben?«
»Nicht ihr. Ich.«
»Wenn einer aufgibt, fängt das Team an, auseinanderzubrechen. Der Nächste wird folgen, und dann haben wir verloren und Catron hat gewonnen. Wir können es nur zusammen schaffen!«
»Na schön.« Gucky ließ sich auf den Hintern plumpsen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann gebe ich eben nicht auf, sondern bleibe einfach nur sitzen.«
»Wie gut kennen wir uns? Glaubst du ernsthaft, dass ich dich, nach allem, was wir schon gemeinsam durchgestanden haben, allein an diesem Ort zurücklasse?«
Die Oberfläche des Kristallgebirges war büschelweise mit etwas bedeckt, das wie speerlange, dunkelrote Kristallnadeln aussah. Rhodan zeigte hinauf zum Rand der Furche, wo diese Gebilde besonders hoch und bedrohlich aufragten. In unregelmäßigen Zeitabständen änderte sich deren Ausrichtung, sie neigten sich in verschiedene Winkel, als bewege sich ein riesiger Magnet unter dem Boden entlang und zwänge Metallspäne, sich klirrend den veränderten Feldlinien zu beugen.
»Selbstverständlich nicht hier«, erwiderte Gucky mürrisch. »Catron scheint mich als schmackhaften Snack zu betrachten, und das Gebirge verstärkt das noch. Ich merke, wie Monol mich aussaugt. Deshalb gehe ich zurück zur KARGERSOND und warte dort auf euch.«
»Und dann hörst du dir nach unserer Rückkehr Geschichten von unseren Heldentaten an, bei denen du nicht dabei warst? Wir sind die Retter, und du bewachst ein Raumschiffswrack?«
Guckys Ohren richteten sich auf, er legte den Kopf schief.
Rhodan machte einen Schritt auf ihn zu, hielt dem Mausbiber die Hand hin. Es dauerte einen Moment, bis Gucky schicksalsergeben seufzte und seine Pfote hineinlegte.
Obgleich es Rhodan schwerfiel, sich selbst auf den Beinen zu halten, zog er seinen Freund hoch. Gemeinsam quälten sie sich Schritt für Schritt weiter, die letzten Meter auf den Bergkamm zu.
Dahinter wartete Thora Rhodan da Zoltral auf sie. Ihre ohnehin fahle arkonidische Haut war noch blasser als sonst, der Blick der roten Augen auf ihr Ziel gerichtet. »Spürt ihr das auch?«
Rhodan war zunächst unsicher, was seine Frau meinte. Doch dann fühlte er es ebenfalls. Ein neues Gewicht drückte auf ihn, als wäre er in flüssigen Beton gesunken, der sich allmählich verhärtete. Der Auslöser war ein intensives Brummen. Rhodan spürte es mehr, als es zu hören. Es drückte ihm die Luft aus der Lunge und verdrehte ihm den Magen.
Die Vibration drang von der Festung heran, die etwa drei Kilometer entfernt und hundert Höhenmeter unter ihnen lag.
Acht als offener Schutzring vorgelagerte Außentürme ragten wie stumme Wächter aus der Schlucht auf. Sie umschlossen eine riesige, transparente Kuppel, aus deren Zentrum ein neunter Turm zum Himmel strebte. Im Innern der Halbkugel waberten Nebelschwaden. Sie kräuselten sich zu Wirbeln und drückten in Wogen gegen das Material der Domwandung, das Rhodan an Kristallstahl erinnerte. Wenn sich neue Schleier emporkämpften, beschlug die Kuppel an der betreffenden Stelle, als wären die Schwaden Kältenebel.
Rhodan ahnte, dass der Grundriss jedes Turms symmetrisch neuneckig war. Er hatte schon vergleichbare Neunturmanlagen gesehen. Diese Bauwerke waren von Loowern erschaffen worden, in deren Kultur die Zahl Neun eine besondere Rolle gespielt hatte.
Die Außenwand der Türme bestand aus neuneckigen Platten und Zwischenflächen. Eine Art Stahlplast und schwarzer Marmor wechselten einander ab, sodass ein perfekt regelmäßiges Muster aus schwarz glänzenden und anthrazitfarbenen Waben entstand.
Gemeinsam mit den dunklen Gebirgsketten aus Kristall bildete dieser Ort das schwarze Herz der Kristallwelt Monol. So wie die ägyptischen Pyramiden auf der Erde einst als ewige Grabmale der Pharaonen errichtet worden waren, war dies eine passende Heimstatt für Catrons Stammzellen.
Pankha-Skrin hatte sie unterwegs über diesen Teil von Catrons Geschichte informiert. Demnach war das Neuronat aus neun mentalen Keimen entstanden, aus neun sogenannten Stammzellen. Was diese genau repräsentierten und wie sie aussahen, hatte der Quellmeister nicht verraten. Aber Rhodan war sofort klar gewesen, dass diese Objekte das lohnendste Ziel seiner Bemühungen darstellten, um die Gefahr zu beseitigen, die durch Catron drohte. Er hatte vergeblich versucht, dem Loower weitere Einzelheiten zu entlocken.
Furcht einflößend, düster und unzerstörbar wartete das Bauwerk auf die Gefährten.
»Bevor ich da reingehe, gehe ich lieber zum Wrack zurück und gründe Ilt-City auf Monol.« Guckys Fell sträubte sich.
Trotzdem gab der eigentlich müde Witz Rhodan Hoffnung, dass der Mut seines Mitstreiters zurückkehrte. »Du willst also nicht wissen, was da unten auf uns wartet? Nach all den Reisen zu den Sternen, nach all den Abenteuern scheut sich Gucky, der Retter des Universums, ein simples Türmchen zu betreten?«
Eine größere Untertreibung hätte Rhodan kaum wählen können. Denn der neunte Turm, der mittig aus der Nebelkuppel stach, ließ alles um sich herum klein und bedeutungslos erscheinen.
»Das Ding ist schrecklich.« Vermutlich gingen Thora ähnliche Gedanken durch den Kopf.
»Schrecklich ist eher das, was geschieht, wenn Catron nicht aufgehalten wird«, entgegnete Rhodan. »Und das kann niemand außer uns tun.«
Thora öffnete den Mund, schloss ihn aber sogleich wieder. Sie nickte ihrem Ehemann kaum merklich zu. Sie hatte verstanden, was er versuchte.
»Außer uns ist ja auch niemand blöd genug, nach Monol zu fliegen.« Gucky ließ seinen Nagezahn mit neu erwachter Zuversicht in ganzer Pracht aufblitzen.
Aus ihrer Begleitergruppe, die sich bereits ein gutes Stück den Bergabhang hinuntergearbeitet hatte, löste sich Watson und lief auf seinen acht Beinen zu ihnen herauf. Das krötenartige Wesen hatte sich Gucky während ihres Marsches schon häufiger als Reittier angeboten. Watson schnalzte zweimal mit seiner überlangen Zunge und legte sich dann auf den Boden, sodass der Ilt bequem aufsteigen konnte.
Obwohl der kleine, pelzige Außerirdische eine verdrossene Miene aufzusetzen versuchte, verrieten Rhodan die zuckenden Schnurrhaare der Mausbiberschnauze, dass Gucky lächelte.
Auf Watson reitend, kam Gucky wieder zügig voran und schloss zu der Gruppe um Icho Tolot auf. Ihn konnte Rhodan zwischen dem zerklüfteten Kristallgestein ihrer Umgebung am besten erspähen, weil der Haluter seine drei Begleiter um fast das Doppelte überragte.
Rhodan fühlte sich beobachtet. Nicht von den anderen, sondern von der Festung. An den acht Außentürmen entdeckte er aus seiner derzeitigen Perspektive keinerlei Öffnungen, sondern sah nur glatte Mauern. Unüberwindbar, es sei denn, man war wie der Okrill Watson mit Saugnäpfen ausgestattet.
Der Hauptturm jedoch war überzogen mit verspiegelten Fenstern, Antennen und pyramidenartigen Ausstülpungen. Auch er wirkte wie ein Flickwerk aus Stahlplast und Marmor, aber zwischen den dunklen Materialien gab es zusätzlich goldglänzende Adern.
Rhodan atmete tief ein und aus. Die Festung verströmte einen süßlichen Geruch, allerdings kein angenehmes Aroma wie in einer Bäckerei, sondern mit einer Note, die ihn eher Abscheu empfinden ließ, wie von etwas Verwesendem. Dann drängte sich in seiner Wahrnehmung etwas nach vorn, überlagerte alles andere: ein Sirren, beinahe schmerzhaft hoch. Als wäre die vibrierende Saite eines Instruments bis zum Zerreißen gespannt. Damit einher ging eine Luftveränderung. Unwillkürlich verkrampften sich Rhodans Schultern. Er kannte dieses Phänomen. Es war dieselbe Spannung, die bei einem aufziehenden Gewitter in der Luft lag: das Flirren von Elektrizität.
Unter das Sirren mischte sich ein Grollen, das sich rasch näherte. Watson nieste, was bei dem krötenartigen Tier ein Zeichen des Wohlbehagens war.
Rhodan blickte in die Richtung, in die Watsons Zunge schnalzte – den Hangeinschnitt entlang, in dem sie hergekommen waren. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich.
Ein Blitz arbeitete sich die Kluft herab, sein Licht wurde von den Kristallwänden der Rinne mehrfach reflektiert. Wäre der Blitz einfach geradeaus geschossen, wären Rhodan und seine Begleiter bereits von ihm erwischt worden. Zum Glück war er aber noch weit oben am Berg und durchquerte den Graben im Zickzack. Er grollte durch den Kristallboden von links nach rechts, sprang an der Grabenkante auf die Kristallspeere über, kräuselte sich an deren Spitzen, um wieder herab in die Furche zu tauchen. Auf der anderen Seite wiederholte sich das Schauspiel.
Das verschaffte ihnen Zeit. Aber nicht viel.
»Raus hier!« Rhodan rannte auf den Rand des Bodeneinschnitts zu, auch Thora sprintete los.
Mit ausladenden Schritten erreichten sie den Wulst, der die Kante der Furche bildete. Er war scharfkantig wie Glassplitter.
Rhodan nahm Anlauf und schaffte es mithilfe des nur unzuverlässig arbeitenden Antigravaggregats seines Einsatzanzugs, die etwa drei Meter hohe Kante zu greifen und sich daran hochzuziehen. Oben legte er sich auf den Bauch zwischen zwei Büschel aus Kristallstacheln und streckte Thora die Hand entgegen. Dass ihm dabei das spitzkantige Kristallgestein durch die Montur in die Haut drückte, war ihm egal.
Er bekam ihr Handgelenk zu fassen, ihre Finger krallten sich in seinen Arm. »Ich hab dich!«, rief Rhodan.
Mit seiner Unterstützung versuchte Thora, die glatte Wand emporzuklettern. Doch das Dröhnen schwoll weiter an, der Boden vibrierte. Immer wieder rutschte sie mit den Füßen ab. Und das Antigravaggregat ihres Raumanzugs war wohl komplett ausgefallen.
Die Luft lud sich immer schneller elektrisch auf. Sie roch nach Ozon. Der Blitz knisterte die Rinne herab, immer noch von links nach rechts pendelnd. Er tauchte den Spalt in ein dunkles Orange und entzündete Glutnester auf seinem Weg. Es blieb kaum noch Zeit.
Rhodan spürte, wie ihm die Brust eng wurde. Wenn der Hochspannungsstromstoß Thora erfasste, würde das ihren sicheren Tod bedeuten. Er konnte sie nicht verlieren! Er durfte nicht mal den Gedanken daran zulassen.
Er schob sich weiter über die Kante. »Wenn ich es dir sage, springst du, verstanden?«
Sie nickte. Ihr Griff um seinen Arm verstärkte sich. Er packte ebenfalls fester zu. Die Handschuhe verhinderten, dass der Schweiß seine Handflächen rutschig machte.
Aus dem Augenwinkel sah er das orangefarbene Leuchten auf sie zuschießen, wandte den Blick aber nicht von Thora ab. Er wusste, dass ihr das ebenso viel Halt bot wie sein Arm. »Spring!«
Die Arkonidin ging leicht in die Knie und drückte sich ab. Rhodan stützte sich mit dem freien Arm auf den spitzen Steinen ab und zog sie mit dem Schwung ihres Sprungs in die Höhe. Während sie in der Luft war, knisterte und rauchte der orangefarbene Tod genau unter ihr.
Thora strampelte mit den Beinen, als sie den höchsten Punkt erreichte und die Schwerkraft sie wieder in Richtung der Furche zog.
Rhodan versuchte, sie zu sich zu zerren. Sie so lange in der Luft zu halten, bis der Blitz unter ihr vorübergezogen war. Er merkte aber schnell, dass er sie aus diesem Winkel nicht über die Kante hieven, sondern nur gegen die Felswand prallen lassen konnte. Also tat er sein Möglichstes, um Thoras Fall zu verlangsamen. Er packte sie auch mit dem anderen Arm, trotz des Risikos, dass sie ihn dann mit in die Tiefe zog. Er spannte jeden Muskel im Körper an, um den Schwung abzufangen.
»Perry!« Sie sah zu ihm empor, ihre Stimme zitterte. Unter ihr setzte der Blitz seinen Zickzackkurs ungerührt fort.
Nein, das ist nicht der Abschied!, schwor sich Rhodan. Er biss die Zähne zusammen und zerrte den schlanken Körper der Arkonidin noch einmal auf sich zu.
Es waren nur wenige Zentimeter und eine Sekunde, aber sie machten den Unterschied. Der Blitz schoss endgültig unter ihnen vorbei und hinterließ nur angeschmolzenen Kristall.
Thora stürzte zu Boden und riss Rhodan mit sich. Es gelang ihm aber, sich bereits beim Fallen über die Klippe so zur Seite zu drehen, dass er zwar hart aufschlug, aber wenigstens nicht auf der Arkonidin landete. Keuchend lagen beide nebeneinander auf dem von der Restelektrizität knackenden Kristalluntergrund. Da und dort tanzten Glutfunken durch die nach Ozon stinkende Luft. An einem Arm hielten sie sich weiterhin umklammert, als wollten sie einander nie wieder loslassen.
Rhodan sah die Hangrinne abwärts in der Hoffnung, dass auch die anderen sich hatten retten können.
Icho Tolot hatte sich ebenfalls über den Rand der Furche geflüchtet. Im oberen seiner zwei rechten Arme hielt er Gucky, den er sich offenbar von Watsons Rücken geschnappt hatte. Der Haluter drehte seinen mächtigen Oberkörper, und zu seiner Erleichterung sah Rhodan, dass er in den linken Armen Nathalie trug. Auch Thora seufzte, ihre gemeinsame Tochter war in Sicherheit.
Drunten im Graben stemmte Watson alle vier Beinpaare fest auf den Boden und schnalzte begeistert mit der langen Zunge. Die heranwogende Elektrizität erfasste ihn mit knisternden Entladungen, und er erschauderte wie jemand, der nach langer Kälte endlich unter einer warmen Dusche stand. Rhodan wusste, dass Okrills solche Stromstöße gewissermaßen als labende Mahlzeit empfanden. Auf Watsons Heimatplanet Oxtorne waren Boden wie Luft ständig von Elektrizität durchzogen und für die dortige Flora und Fauna ein natürliches, sogar unverzichtbares Umweltelement.
Omar Hawk stand neben seinem Partner. Mit den breiten Schultern und der olivbraun schimmernden Haut bot er einen eindrucksvollen Anblick. Der muskulöse Riese betrachtete seinen krötenähnlichen Begleiter. Da Hawks Epidermis eine stark isolierende Schicht aus Kohlenstoffketten und organischen Wachsen enthielt, war sie so etwas wie ein organischer Faradaykäfig. Auch er wurde von der elektrischen Ladung überspült wie eine Muschel von einer Welle, ohne irgendeinen Schaden zu nehmen.
Der Blitz zischte den Hangeinschnitt weiter hinab. Am unteren Ende der Kluft erhob er sich und sprang zu den pyramidenförmigen Ausstülpungen des Hauptturms weiter. Die Luft vibrierte vor Spannung, ein elektrisches Surren knisterte über die Kristallfelsumgebung.
Am Turm wurde die Hochspannungsentladung entlang der Goldadern außen abwärts geleitet. Rhodan sah, wie die schimmernden Einschlüsse des Edelmetalls zwischen den dunklen Materialien der Neuneckplatten aufleuchteten. Für einen Moment schien es, als wäre die Festung ein lebender Organismus mit Nervenbahnen, durch die elektrische Impulse rasten. Glühte der Stahlplast an einigen Stellen? Rhodan war sich nicht sicher. Es mochte eine optische Täuschung sein, ein Nachhall des grellen Lichts auf seiner Netzhaut.
Der Blitz erreichte die Nebelkuppel am Fuß des Zentralturms. Orangefarbenes Leuchten pulsierte in den Schwaden. Als blicke man auf eine Gewitterwolke, dachte Rhodan.
Er rappelte sich auf und strich die Glutfunken von seiner Schutzkleidung. Thora kam neben ihm eleganter auf die Beine.
»Geht es dir gut?«, fragte er.
»Ich stehe etwas unter Schock. Aber ansonsten ja.« Sie schlang ihre Arme um ihn.
Nur selten tauschten sie derartige Liebesbekundungen vor anderen aus. Aber die Erleichterung, dass er Thora nicht verloren hatte, drängte das professionelle Verhalten für fünf Sekunden in den Hintergrund. Er drückte sie an sich.
»Wir verlieren uns nicht«, versprach er.
»Hast du das gewusst?« Gucky entwand sich Icho Tolots Arm und fletschte seinen Nagezahn bedrohlich in Richtung von Pankha-Skrin.
Der Loower gehörte zu jenem Volk, das die Neunturmanlage errichtet hatte. Lange waren die Menschen davon ausgegangen, dass diese Zivilisation eigentlich schon vor Äonen ausgestorben war. Sie hatten Pankha-Skrin für den letzten überlebenden Loower gehalten, und er hatte dieser Annahme nie widersprochen. Doch dann hatten Thora und Rhodan vor einiger Zeit eine Loowerin in der irdischen Hauptstadt Terrania getroffen, und Icho Tolot hatte erst wenige Tage zuvor den Leichnam eines Loowers in M 87 gefunden. Gab es also weitere verstreute Loower? Oder existierte das Volk doch noch? Vielleicht war das unheimliche Bauwerk dort vor ihnen ... sogar bewohnt?
Pankha-Skrin hatte sie an diesen Ort geführt, daher lag Guckys Frage nahe. Der Loower stellte die Beine breiter auseinander, als suche er einen stabileren Stand. Dann reckte er den höckerartigen Kopf empor und fuhr die Stielaugen aus. Auch die Tentakelarme schwang er weit aufwärts.
Das Gebaren wirkte fast, als wolle Pankha-Skrin Gucky attackieren. Aber er begann stattdessen, mittels der Blase in der nässenden Öffnung im unteren Bereich seines Sinneshöckers zu sprechen. Rhodans Translator übersetzte: »Ich möchte um Entschuldigung bitten dafür, dass es zu diesem Zwischenfall kam. Ich hatte keine Kenntnis über die Funktion dieses Grabens. Mein Ansinnen war nicht, jemanden in Gefahr zu bringen. Ich hoffe, alle sind wohlauf.«
Mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen starrte Gucky Pankha-Skrin an. »Fein. Aber von nun an musst du die Umgebung besser im Blick behalten. Ich will nicht als Braten enden.«
»Braten?« Der Loower hatte offenbar Verständnisschwierigkeiten.
»Ein Fleischgericht, das mit großer Hitze zubereitet wird«, half Rhodan. »Es geht allen gut. Wir sollten weitergehen.«
Wie zur Bestätigung nieste Watson zufrieden.
Die Gruppe setzte sich erneut in Bewegung, achtete dieses Mal aber darauf, sich vom Graben fernzuhalten. Sie hielten auf eine Außenstruktur der Neunturmanlage zu, die wie ein Eingangstor aussah.
Rhodan schloss zu Pankha-Skrin auf. »Sie haben sich im Gespräch mit Gucky gerade so groß wie möglich gemacht. Bei uns bedeutet dieses Verhalten, dass man dem Gegenüber zeigen möchte, man sei der Überlegene, der Gefährlichere, der Stärkere. Ich dachte daher kurz, Sie wollten ihn angreifen. Aber Ihre Worte passten nicht dazu. Was also bedeutet das Verhalten bei Loowern?«
Pankha-Skrin drehte seine Stielaugen in Rhodans Richtung. »Darauf wäre ich nicht gekommen. Bei uns bedeutet das, dass wir untertänig sind.«
Rhodan dachte einen Moment über die Formulierung nach. Meist wurden die Sätze des Loowers verständlich übersetzt, auch wenn es nicht immer die treffendsten Wörter waren. Das bewies, wie schwierig die Sprache sogar für einen hochmodernen Translator zu verarbeiten war. »Sie meinen unterwürfig?«
Die Blase in der Mundöffnung des Loowers vibrierte. »Ja. Wir bieten viel Angriffsfläche, um dem Gegenüber zu zeigen, dass er uns treffen kann, wo er will – sofern er es möchte. Weil er im Recht ist und wir uns vor der Wahrheit nicht verstecken wollen.«
»Ich verstehe. Wir Menschen würden den Kopf senken und uns möglichst klein machen, um die Überlegenheit des anderen anzuerkennen.«
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinanderher, immer weiter auf das Portal zu. Zwischen dessen neun Säulen hindurch sah Rhodan die Nebelkuppel. Das Dach des Tors war wie der Hauptdom gewölbt.
»Wenn wir dort sind, wird es dann eine Kontrolle geben? Das vorige Mal, als ich im Gadenhimmel eine Neunturmanlage betrat, wurde ich abgetastet und autorisiert, was dank des Quellhäuschens gelang. Aber nicht alle in unserer Gruppe haben eins. Genau genommen nur wir beide.«
Rhodan fand den Begriff »Quellhäuschen« zwar immer noch seltsam. Aber es war die Übersetzung dessen, was in der Sprache der Loower »Skri-Marton« hieß, und bezeichnete eine Art Organ, das offenbar mindestens als Zugangsberechtigung fungierte. Damit die Translatoren das Wort richtig rückübersetzten, blieb er deshalb bei dem Ausdruck.
Rhodans eigenes Quellhäuschen hatte lange geruht. Seine Tochter Nathalie Rhodan da Zoltral hatte es gerade erst wieder aktiviert. Das hatte sie so viel Kraft gekostet, dass sie seither die meiste Zeit lethargisch wirkte. Rhodan konnte den Anblick kaum ertragen. Er gab sich selbst die Schuld dafür, dass es Nathalie so schlecht ging. Sie hatte es schließlich für ihn getan. Für die Gruppe. Für ihre Mission.
»Und die anderen können nicht draußen warten?« Pankha-Skrins Stimme holte Rhodan aus seinen Gedanken.
Rhodan sah auf die Berge, Schluchten und Gräben, von denen sie nun wussten, dass jederzeit elektrische Ladung hindurchströmen konnte. Er erinnerte sich an das Gespräch mit Gucky. »Ausgeschlossen. Ich gehe mit ihnen oder gar nicht.«
»Und wenn es nicht geht?«
Ja, was, wenn sie nicht reinkamen? Auf keinen Fall wollte Rhodan untätig vor der Festung bleiben. Aber er wusste, dass es eine sichere Möglichkeit gab. Einen Plan B. »Wenn es nicht gelingt, die anderen auch ohne Quellhäuschen zu autorisieren, müssen Sie ihnen ebenfalls eins verschaffen.« Rhodan wusste, dass das möglich war. Genauso war er seinerzeit zu seinem Quellhäuschen gekommen: mittels einer Transferinfektion, ausgelöst durch einen Biss von Pankha-Skrin in Rhodans Hand.
»Das lehne ich entschieden ab. Ich kann nicht überall Quellhäuschen verteilen.«
»Das verstehe ich. Aber die Alternative wäre, dass Tolot, Hawk und Watson versuchen, gewaltsam Zutritt zu erlangen.«
Rhodan musterte die Festung. Die Neunturmanlage hatte sich nach dem Blitzeinschlag wieder beruhigt. Zwar drückte ihm weiterhin etwas auf den Magen, wofür Rhodan eine tiefe Luftschwingung verantwortlich hielt. Aber das Bauwerk wirkte nicht mehr lebendig, nur noch genauso abweisend wie zuvor.
Es war allerdings nicht nur das Licht des Blitzes gewesen, das die Anlage hatte lebendig erscheinen lassen. Für einen Moment war Rhodan gewesen, als hätten die Mauern pulsiert, geatmet. Wahrscheinlich nur eine optische Täuschung, hervorgerufen durch den Überschlagsblitz, die Nebelschwaden und die gerade erst überwundene Angst, Thora zu verlieren. So musste es sein.
Je näher sie kamen, desto bedrohlicher wirkten die acht Außentürme, die den Saum der Festungsanlage bildeten und die Rhodan als Wächtertürme erachtete. Erst in diesem Moment bemerkte er, dass es zwischen ihnen Verbindungsbrücken gab. Vom Eingangspavillon führte jeweils ein Hochgang zum Wächterturm links und rechts des Portals. Ähnlich waren zu beiden Seiten die je drei weiteren Festungstürme angeschlossen, und von dem jeweils hintersten spannte sich ein Brückengang hoch über der Mittelkuppel zum Hauptturm.
Aber um dort hinzugelangen, mussten die Raumfahrer zunächst vier Türme durchqueren, wahlweise den Weg links oder rechts des Zugangsgebäudes.
»Einverstanden.« Pankha-Skrin klang selbst über den Translator mürrisch. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
»Und wie kommen wir da rein? Es wird ja wohl einen Trick geben, nehme ich an?« Gucky verschränkte die Pfoten vor der Brust, während sich die Gruppe vor dem Portalhaus versammelte.
Alle sahen erwartungsvoll zu Pankha-Skrin.
Der Loower trat in den offenen Rundpavillon, dessen neun Säulen ein Kuppeldach trugen. Mit etwas gutem Willen hätte mit Ausnahme von Icho Tolot die ganze Gruppe dort Platz gefunden. Aber Rhodan hielt es für ratsam, dass Pankha-Skrin den ersten Testdurchgang allein übernahm.
Die Säulen sirrten, und sofort bildete sich zwischen ihnen eine Art Haut. Sie waberte sanft, wobei ein orangefarbener Schimmer über sie glitt wie bei einer schillernden Seifenblase. Doch das Material musste um einiges robuster sein, denn plötzlich schwang es nach innen, auf Pankha-Skrin zu. Er wurde davon eingeschlossen, die Haut legte sich konturgenau um seine Beine, das Knochengerüst mit den Flughäuten an den Schulterrücken, seine Armextremitäten und um den Sinneshöcker am oberen Körperende. Ein Licht, dieses Mal mehr rötlich als orange, tastete den eingepackten Loower rundherum ab. Es begann an den Stielaugen und senkte sich langsam bis zum Boden.
Schmatzend löste sich die Haut und zog sich in die Säulen zurück. Mit einem Satz sprang der Loower aus dem Torgebäude.
»Die positive Nachricht ist, dass ich autorisiert wurde«, verkündete Pankha-Skrin. »Die negative ist, dass nicht nur das Quellhäuschen erspürt wird, sondern auch die Körperform.«
»Also dürfen nur Loower mit Quellhäuschen die Anlage betreten?«, fragte Rhodan.
»Das weiß ich nicht. Vielleicht soll nur verzeichnet werden, welche Lebewesen die Anlage betreten.«
»Ich probiere etwas aus.« Rhodan entschloss sich, die Idee nicht noch mal zu überdenken, damit er sie nicht womöglich als verrückt verwarf. Einem spontanen Impuls gehorchend, ging er in den Pavillon.
»Aber achten Sie darauf, das Gebäude danach schnell wieder zu verlassen, so wie ich es getan habe. Sie können zwar mehrmals gescannt werden, aber wenn sich der Weg für Sie öffnet, müssen Sie ihn gehen. Sie werden keine zweite Möglichkeit bekommen.«
Rhodan nickte. Da er sich nicht sicher sein konnte, dass Pankha-Skrin diese Geste richtig interpretierte, fügte er hinzu: »Verstanden.«
Die Haut schoss aus den Säulen und legte sich um ihn. Mit viel Mühe wäre es ihm vielleicht möglich gewesen, sich trotzdem zu bewegen, aber er verharrte reglos. Die Hülle, die sich anfühlte wie eine dicke Schrumpffolie, saß straff, verteilte ihren Druck aber wenigstens gleichmäßig und erträglich über seinen Körper. Weil er seinen Helm geschlossen hatte, war seine Atmung nicht beeinträchtigt. Vielleicht war das Material sogar luftdurchlässig, aber das wollte er nicht auf die Probe stellen. Der Strahl tastete ihn ab, dann löste sich die Folienhaut so abrupt, dass Rhodan reflexartig einen Ausfallschritt nach vorn machte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Schnell entfernte er sich aus dem Pavillon.
»Woher weiß ich, ob ich autorisiert bin oder nicht?«, fragte er.