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Als die amerikanischen Soldaten 1944 im Zuge ihres Kriegseintritts europäischen Boden betraten und auf Deutschland vorrückten, hatten sie dieses Buch im Gepäck: den Pocket Guide to Germany, ausgegeben vom US- Kriegsministerium. Darin wurden ihnen unmissverständliche Verhaltensregeln für den Umgang mit den Deutschen ("Ihr seid nicht in Deutschland, um Vergeltung zu üben oder die Einwohner wie Tiere zu behandeln. Wir sind nicht wie die Nazis."), eine umfassende Darstellung des deutschen Charakters ("Traut niemandem außer euresgleichen. Nehmt euch besonders vor jungen Deutschen zwischen 14 und 18 Jahren in Acht.") sowie Tipps für den Alltag vermittelt. Dieses Zeitzeugnis liegt hier in einer zweisprachigen Ausgabe vor, eingeleitet und erläutert von Sven Felix Kellerhoff, Geschichtsredakteur der WELT und der Berliner Morgenpost. Eine Lektüre zum Schmunzeln, Kopfschütteln und Nachdenken.
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Seitenzahl: 114
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8. Auflage 2023
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Übersetzung: Gene Zbikowski, Petra Dubilski
Umschlaggestaltung: Melanie Melzer, München
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN Print: 978-3-86883-701-8
ISBN E-Book (PDF): 978-3-86413-955-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-956-7
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Vorwort
Zwischen Besatzung und Befriedung
DER POCKET GUIDE TO GERMANY DER US-ARMY
»Ihr seid nicht in Deutschland, um Vergeltung zu üben oder die Einwohner wie Tiere zu behandeln. Wir sind nicht wie die Nazis.«1Eine einfache Botschaft – doch sie verlangte enorm viel von jenen jungen Männern, an die sie gerichtet war: War etwa nicht der Kampf gegen Nazideutschland, das halb Europa brutal unter seine Knute gezwungen hatte, das wichtigste Motiv für die hunderttausenden Amerikaner, die im Zweiten Weltkrieg Hitlers Wehrmacht entgegentraten? Waren nicht »die« Deutschen der Grund für all die Zerstörungen in Europa, den massenhaften Tod von Zivilisten und eigenen Kameraden, die unschätzbaren Leiden? Im US-Kriegsministerium in Washington wusste man 1944 genau, dass gerade junge, aus ihrem bisherigen Leben herausgerissene Wehrpflichtige unmissverständliche Verhaltensregeln brauchen. Nur so waren Exzesse gegen geschlagene Feinde oder gar Zivilisten zu vermeiden, die in der Heimat eine verheerende öffentliche Wirkung entwickeln konnten. Andererseits galt es, jede Verbrüderung mit dem Feind zu vermeiden. Um den eigenen GIs sowohl die Besetzung des geschlagenen Kriegsgegners wie die Befriedung Mitteleuropas zugunsten der Zukunft möglichst zu erleichtern, gab die Morale Service Division unter Leitung des US-Deutschland-Experten John J. McCloy denPocket Guide to Germanyheraus. Dieses zentrale Dokument für die deutsch-amerikanischen Beziehungen liegt hier in einer zweisprachigen Ausgabe vor.
Als einige Monate nach dem D-Day die ersten US-Truppen deutschen Boden betraten, waren rund zwei Millionen Exemplare des nur 48 Seiten starken, kleinformatigen Hefts verteilt: »Es hat wohl kein GI gegen Hitler gekämpft, der den Guide nicht irgendwann einmal in Händen gehalten hätte«, schreibt Klaus-Dietmar Henke.2Genau das macht den zeithistorischen Wert desPocket Guideaus: Das darin gezeichnete Deutschlandbild war als Basis für die Besatzungstruppen gedacht, als verallgemeinerbar. Doch so gewiss die Aufgabe der Besatzungstruppen dadurch erleichtert wurde, so wenig enthielt derPocket Guidedirekt anwendbare Lösungen. Die »New York Times« fasste das tastende Vorgehen der Besatzungsmacht Ende März 1945 treffend zusammen: »Schritt für Schritt, durch Versuch und Irrtum, entwickelt sich hier im besetzten Rheinland die amerikanische Politik gegenüber dem besetzten Deutschland.«3
Besonders in der Phase der unmittelbaren Besetzung nach der Eroberung, also je nach geographischer Länge zwischen September 1944 und April 1945, gab es heftige Ausschläge in Richtung beider Extreme, also sowohl hin zu möglicherweise zu nachsichtiger Politik gegenüber den nun ehemaligen Kriegsgegnern wie hin zu übertriebener Härte: In Aachen zum Beispiel, der ersten deutschen Großstadt unter US-Besatzung, etablierte der Kommandeur vor Ort eine deutsche Übergangsregierung, die der von teilweise berechtigtem, teilweise aber auch überschießendem Zorn getriebene Nachrichtendienst-Offizier Saul K. Padover als »faschistisch« bezeichnete – eine Bewertung, die er geschickt in einigen US-Zeitungen lancierte.4Padovers Bericht sorgte in höheren Stäben der US-Army geradezu für Panik, schien er doch das Unterlaufen der regierungsamtlich angeordneten Politik der Nicht-Verbrüderung (»Non-Fraternization«) zu beweisen. Doch wie sollten die besetzten Gebiete ohne Rückgriff auf einheimische Fachleute wieder lebensfähig gemacht werden? In die entgegengesetzte Richtung kam es gerade nach der zunehmenden Befreiung von KZ-Lagern und abgemergelten, oft mehr toten als lebendigen Gefangenen im April 1945, die in den USA zu heftigen emotionalen Reaktionen5führten, zu Übergriffen gegen deutsche Soldaten und wohl auch gegen Zivilisten. Geahndet wurden solche Aktionen offenbar nur selten, weil sie meist im Rahmen von oder direkt im Anschluss an Kampfhandlungen stattfanden. In einem Fall, der praktisch vor den Augen eines höheren Offiziers stattfand, der spontanen Ermordung von mindestens 39, maximal 50 SS-Leuten des KZ Dachau am 29. April 1945, gab es eine förmliche Untersuchung, allerdings keine kriegsrechtliche Anklage gegen die beteiligten GIs.6Nach diesem rechtswidrigen Gewaltexzess wahrte die US-Besatzungsverwaltung jedoch peinlich genau die rechtlichen Vorschriften bei der Aburteilung von mehreren hundert SS-Leuten, die in Dachau tätig gewesen waren.
DerPocket Guideillustriert die alltäglichen Schwierigkeiten, mit denen eine auf Demokratisierung ihres vormaligen Kriegsgegners zielende Armee zwangsläufig konfrontiert wird. Dabei waren Verständigungsschwierigkeiten noch die kleinsten Probleme, denen der kleine und teilweise geradezu komische Sprachführer im letzten Drittel des Heftchens abhelfen sollte. Besatzungstruppen zu vorsichtig-zurückhaltendem Verhalten gegenüber den Menschen im eroberten Land anzuhalten und sie gleichzeitig zu motivieren, eine andere, bessere Form des Zusammenlebens zu demonstrieren, ist zwangsläufig eine Gratwanderung. Sie versucht derPocket Guidezu bewältigen, indem relativ ausführlich der »Hintergrund« beschrieben wird, der zum Krieg geführt hatte. Diese Passagen sind gewiss der spannendste Teil in dem Heftchen.
Eine genaue Lektüre zeigt allerdings auch die tiefe Zerrissenheit in der Wahrnehmung der Autoren, unter denen verschiedene US-Deutschlandexperten und einige Emigranten waren. So wies derPocket Guidedie Soldaten einerseits darauf hin, dass »die Deutschen« seit Jahren nur ideologisch gefärbte und gesiebte Informationen bekamen, dass sie »in einem Vakuum in Sachen Wahrheit und echten Nachrichten« lebten, so dass man ihnen ihr Unverständnis für die Realität nicht vorwerfen könne.7»Die Reglementierung war unter den Nazis lückenlos«, stellten die Autoren fest: »Trotz dieser ungeheuren Repressionen hat ein kleiner Prozentsatz Deutscher durch Hören ausländischer Kurzwellensendungen, die von England oder den Vereinigten Staaten ausgestrahlt wurden, den Tod riskiert.«8Überraschend versöhnlich heißt es schließlich in der Schlussbemerkung: »Eine der Tragödien in Deutschlands jüngster Geschichte ist der eigene Verrat an den früheren Beiträgen zur Zivilisation. Das Land brachte große Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler, Künstler und Musiker hervor. Die Menschen besitzen enorme Tatkraft, die bisweilen der Menschheit eher gedient denn sie zerstört hat. In zukünftigen Friedenszeiten kann diese Tatkraft hoffentlich beständiger zum Wohl der Welt eingesetzt werden, beständiger als dies in der Vergangenheit der Fall war.«9
Daneben finden sich aus den Umständen verständliche Irrtümer, die jedoch bereits 1944 den Deutschlandexperten als unzutreffend erkennbar gewesen wären: »Denkt daran, dass vor elf Jahren die Mehrheit der Deutschen durchWahlden Nazis zur Macht verholfen hat. Das gesamte deutsche Volk hatte Hitlers ›Mein Kampf‹ gelesen.«10Auch die Einleitung zum Kapitel »Was die Deutschen von den USA halten« war kein Muster differenzierter Argumentation: »Ihr werdet feststellen, dass viele Deutsche mit der Meinung aufgewachsen sind, dass Amerika überwiegend von Cowboys, Indianern und reichen Onkeln bevölkert ist.«11
Doch fast im selben Atemzug stehen imPocket Guidesachlich schlicht unzutreffende Pauschalurteile, zum Beispiel über junge Deutsche: »Er wird sich nicht über Nacht nach Unterzeichnung des Waffenstillstands und dem Ende der Kämpfe ändern. Er wird in den Städten und Dörfern, die ihr beim Vormarsch in Deutschland hinter den Linien besetzt, nicht sofort bekehrt werden. Der deutsche Jugendliche ist ein nett aussehender Kerl, genauso wie der ganz normale Bursche, mit dem ihr daheim aufgewachsen seid. Ihr fragt euch vielleicht, wie ein Kerl, der so ziemlich genauso aussieht wie einer von uns, all die Dinge glauben und tun konnte, die er – wie wir wissen – tatsächlich glaubte und tat. Der Unterschied ist in seinem Inneren zu finden – seinem Charakter.«12
Diese Diskrepanz wäre wohl nur aufzuklären, wenn man den Entstehungsprozess desPocket Guidebis ins Detail ausleuchten würde – was nach mehr als sieben Jahrzehnten und dem Tod sämtlicher an dem Text beteiligter Autoren jedoch unmöglich ist. Offenbar deutet sich in diesem Text der massive Gegensatz innerhalb des US-Regierungsapparates an, der 1944 bis 1947 zeitweise die Besatzungspolitik zu lähmen drohte: Die Verfechter eines »harten« oder »Karthago-Friedens« standen unversöhnlich den Anhängern eines »weichen« oder »realpolitischen« Vorgehens gegenüber. Die einen wollten Deutschland so sehr schwächen, dass es nie wieder einen Krieg vom Zaune brechen würde – sie schlugen also einen machtpolitischen Weg vor. Dieser Kurs war in der engeren Führungsmannschaft von Franklin D. Roosevelt lange populär gewesen, doch just als sein Freund und Finanzminister Henry Morgenthau ihm eine schriftliche Form gab, distanzierte sich Roosevelt im September 1944 von der Vorstellung eines »harten Friedens« – übrigens nicht zuletzt wegen der massiv negativen Resonanz auf durchgesickerte Informationen in der US-Presse.13Die Alternative war dagegen, Deutschland so umzugestalten, dass seine Einwohner nie wieder in einen Krieg ziehen wollen: der innenpolitische Weg. Die meisten professionellen Deutschland-Experten im Washingtoner Außen- und Kriegsministerium vertraten diesen Kurs, ebenso die britischen Verbündeten, die ideologisch geprägter Politik ohnehin selten etwas abgewinnen konnten. Sie konnten zwar nicht verhindern, dass einzelne Vorstellungen der unterlegenen politischen Fraktion in Rahmenanweisungen für die Besatzungstruppen Eingang fanden, insbesondere in die grundlegende Weisung JCS 1067.14Allerdings spielte dieser Befehl in der politischen Realität eine geringe Rolle; vor allem, weil der verantwortliche US-Befehlshaber, General Lucius D. Clay, von Anfang an entschlossen war, einen realistischeren Kurs zu fahren.15Doch angesichts der Schärfe der Auseinandersetzung im US-Staatsapparat um den »richtigen« Umgang mit dem besiegten Deutschland kam es nicht wirklich überraschend, dass auch derPocket Guideto Germany Spuren dieses Konfliktes aufwies.
Viel wichtiger für den Zweck desPocket Guidewaren ohnehin die direkten, gewissermaßen soldatischen Handlungsanweisungen: »Auf deutschem Boden wird von euch erwartet, einheimische Gesetze und Regeln zu befolgen, sofern sie nicht von eurer eigenen Militärbehörde abgeändert oder berichtigt wurden. Einheimische Bräuche, insbesondere jene im Zusammenhang mit Religion, sind zu beachten und zu respektieren. Eigentumsrechte sind zu respektieren. Vandalismus ist unverzeihlich!«16Als Grund nennt die Broschüre: »Wir möchten nicht Leute treten, die schon am Boden liegen.«17
Natürlich konnten solche Vorschriften nicht verhindern, dass ein gewisser Anteil von GIs Gesetze und sogar Menschenrechte brach. Nicht nur Soldaten der Roten Armee, sondern auch US-Amerikaner vergewaltigten während und vor allem kurz nach der Einnahme deutscher Städte und Dörfer einheimische Frauen. Sicher kamen derartige Verbrechen nicht so oft vor wie in den deutschen Ostgebieten, in Brandenburg und Berlin, aber mindestens mehrere zehntausend, möglicherweise auch deutlich mehr als hunderttausend Frauen dürften Opfer sexueller Gewalt geworden sein. Eine Grundlage für irgendwelche halbwegs belastbare Schätzungen gibt es allerdings nicht. Die Historikerin Miriam Gebhardt hat jüngst die These aufgestellt, US-Soldaten hätten mindestens 190.000 deutsche Frauen vergewaltigt, doch handelt es sich um einen frei gegriffenen Wert – es könnten genauso gut halb so viele oder doppelt so viele gewesen sein. Prägend für die Wahrnehmung der Besatzung durch US-Truppen waren sexuelle Übergriffe, anders als in den sowjetisch kontrollierten Gebieten, allerdings nicht.18
Der eigentliche Kern desPocket Guideaber sind die Argumentationshilfen, die den Soldaten für Gespräche mit Deutschen an die Hand gegeben werden – obwohl es an anderen Stellen wiederholt heißt, GIs sollten mit ihnen eben nicht diskutieren. Die »deutschen Aussagen« und die vorgegebenen sechs »amerikanischen Antworten« sind erstaunlich präzise und im Gegensatz zu anderen Passagen historisch korrekt – ganz gleich, ob es um die Rolle »der« Juden, »der« Freimaurer und »der« internationalen Bankiers geht oder um die angeblich übermäßig harten Bedingungen des Versailler Vertrages. Vor allem vermittelten sie ein Gefühl der argumentativen Überlegenheit, das den Soldaten soviel Selbstbewusstsein geben sollte, dass sie auf selbstverständlich jederzeit leicht mögliche Demonstrationen ihrer Macht verzichten konnten.
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DerPocket Guide to Germanydes US-Kriegsministeriums war nicht einzigartig. Im November 1944 brachte der britische Generalstab eine ähnliche Informationsbroschüre bei den Soldaten der Invasionstruppen unter Feldmarschall Montgomery in Umlauf. Die schlicht »Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland« (»Instructions for British Servicemen in Germany«) genannte kleinformatige Broschüre19hat 64 Seiten und ist auch abgesehen von diesem größeren Umfang deutlich ausführlicher als das amerikanische Pendant. Sie erschien 2014 in einer zweisprachigen Ausgabe und entwickelte sich zum Überraschungsbestseller auf dem deutschen Buchmarkt.
Als Kolonialnation mit Jahrhunderte zurückreichender Tradition fiel es den Briten offenbar leichter, einen solchen Leitfaden für die Besatzungspolitik zu verfassen. So ist der Anteil an teilweise auf den ersten Blick einsichtigen grundsätzlichen Handlungsweisungen geringer, zudem finden sie sich erst weit hinten in der Broschüre. Sie sind auch weit weniger moralisch aufgeladen: »Immer daran denken, dass man ein Repräsentant des British Commonwealth ist!« oder: »Im Umgang mit Deutschen immer streng, aber fair sein«20Viel größeren Wert als ihre amerikanischen Alliierten legten die Briten auf die Schilderung der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges und damit auf die Gründe für die Ende 1944 absehbar bevorstehende Besetzung Deutschlands: Immerhin 17 Seiten im Original sind diesem Thema gewidmet, im Vergleich zu nur acht im US-Pocket Guide