Predigten zum Lesejahr A - Michael Pflaum - E-Book

Predigten zum Lesejahr A E-Book

Michael Pflaum

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Beschreibung

Die Predigten in diesem Band widmen sich ganz verschiedenen Themen: Spirituelles, Lebensalltägliches, biblische Themen (wie z. B. Zugänge zum historischen Jesus, Einführung ins Matthäusevangelium), Themen der katholischen Soziallehre und gesellschaftspolitische Fragen. Ebenso Predigten zu grundsätzlich dogmatischen Themen (wie z. B. Christologie, Erbsünde) und zu Themen des II. Vatikanischen Konzils. Gedanken großer Theologen wie Karl Rahner oder Jon Sobrino werden genauso aufgegriffen wie berühmte Erzählungen wie Ronja Räubertochter oder Goethes Faust. Dabei ist dem Autor wichtig, verständlich, anschaulich mit lebensnahen Bezügen die Themen darzulegen.

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Seid gewiß:

Ich bin bei euch alle Tage

bis zum Ende der Welt

Mt 28,20b

Inhaltsverzeichnis

1.

Adventssonntag: Offene Augen für die Realität - gegen sozialen und kirchlichen Doketismus.

2.

Adventssonntag: Johannes der Täufer, der spirituelle Lehrer Jesu.

3.

Adventssonntag: Erzählen heilt und bringt Glauben

4.

Adventssonntag: Der heilige Josef

Christmette: Das Weihnachtsherz

1.

Weihnachtsfeiertag: Was ist „das Wort“?

2.

Weihnachtsfeiertag: Vorsicht Weihnachten! Lebensgefahr!

Fest Heilige Familie: Wie mit Gewalt umgehen?

Neujahr: Mut zu guten Vorsätzen! Lösungsorientierte Anregungen

2.

Sonntag nach Weihnachten: Die christologischen Konzilien von Nizäa bis Chalcedon.

Erscheinung des Herrn: Gold an sich und Goldformen

Taufe Jesu: Kierkegaards Menschenbild

Aschermittwoch: Mozarts tröstliche Worte über den Tod

1.

Fastensonntag: Ring des Nibelungen und die Versuchung Jesu

2.

Fastensonntag: Nach jedem Taborerlebnis muss man hinuntersteigen.

3.

Fastensonntag: Jesu Begegnung der Samaritanerin am Brunnen in 6 Akten

4.

Fastensonntag: Die Blindheit des Herzens, Jesus nicht zu erkennen

5.

Fastensonntag: Whiteheads Gottesbild

Palmsonntag: Drei philosophische Geschichten und die Passion Jesu.

Gründonnerstag: Brot und Wein

Osternacht: Ostern in der Heilsgeschichte

Ostern: Ein Brief von Paulus an unsere Gemeinde zu Ostern.

Ostermontag: Göttliche Pädagogik und unser Gottesdienst

2.

Ostersonntag: Thomas – vom Beobachter zum Angeschauten

3.

Ostersonntag: Jesu Umgangsstil ist frohe Botschaft

4.

Ostersonntag: Kurze Erzählung vom Antichrist von Solowjew

5.

Ostersonntag: Der wahre Lebensweg mit Jesus

6.

Ostersonntag: Mangel und die größte Gabe des Heiligen Geistes

Christi Himmelfahrt: Zwei Missverständnisse

7.

Ostersonntag: Der Name Jesus Christus und der russische Pilger

Pfingsten: „Wie im Himmel“

Dreifaltigkeitssonntag: Trinität nach Karl Rahner

Fronleichnam: das Heilige und das Profane

2.

Sonntag im Jahreskreis: Paulus schreibt den Korinthern

3.

Sonntag im Jahreskreis: Einführung in das Matthäusevangelium

4.

Sonntag im Jahreskreis: Was hat Jesus gesagt und getan? – Vier Testfragen für den historischen Jesus

5.

Sonntag im Jahreskreis: Über Gewissen bei Hannah Arendt und Selbsterforschung bei Ignatius und Focusing

6.

Sonntag im Jahreskreis: Bergson „Die beiden Quellen der Moral und der Religion“

7.

Sonntag im Jahreskreis: Ronja Räubertochter

8.

Sonntag im Jahreskreis: Gegenwart und Faust.

9.

Sonntag im Jahreskreis: Die Heldenreise oder: Ist Jesus ein Held?

10.

Sonntag im Jahreskreis: Prinzipen der katholischen Soziallehre

11.

Sonntag im Jahreskreis: Paulus – Garant von Ostern! Zeuge der Trotzdem Liebe Gottes! Offenbarer des inneren Lehrers

12.

Sonntag im Jahreskreis: Über Nahtoderfahrungen

13.

Sonntag im Jahreskreis: Lebenssinn nach Frankls Logotherapie

14.

Sonntag im Jahreskreis: Vom Mangel und von der Fülle, vom Vergeben und vom Heilwerden.

15.

Sonntag im Jahreskreis: Das Lebendige in der christlichen Tradition

16.

Sonntag im Jahreskreis: Böses bekämpfen?

17.

Sonntag im Lesejahr: Wo findet man das Reich Gottes? Pastoralkonstitution oder Papst Benedikt?

18.

Sonntag im Jahreskreis: Geizig mit sich selbst

19.

Sonntag im Jahreskreis: Erbsünde – ein verstaubter Begriff kann aktuell sein

20.

Sonntag im Jahreskreis: Über die Tugend des Lernens

21.

Sonntag im Jahreskreis: Über die Vielfalt der Jesusbilder und christologischen Titel

22.

Sonntag im Jahreskreis: Wie dem Schmerzkörper begegnen?

23.

Sonntag im Jahreskreis: Gemeinden und Pfarreien im Wandel

24.

Sonntag im Jahreskreis: Vergeben und Einführung in Naikan

25.

Sonntag im Jahreskreis: Was ist der eine Denar?

26.

Sonntag im Jahreskreis: Herausforderung Menschenbild

27.

Sonntag im Jahreskreis: Umwelt und Technik - neue ethische Herausforderung

28.

Sonntag im Jahreskreis: Ein Gleichnis im Wandel

29.

Sonntag im Jahreskreis: Moderne Wirtschaft nach Goethes Faust II

30.

Sonntag im Jahreskreis: Balance zwischen Selbstliebe und Nächstenliebe durchdacht mit der gewaltfreien Kommunikation

31.

Sonntag im Jahreskreis: Müssen umdeuten

32.

Sonntag im Jahreskreis: Innere Quelle nach Rahner, Ignatius und Teresa von Avila

33.

Sonntag im Jahreskreis: Ein Gleichnis vom brutalen Kapitalismus

Christkönig: Dominanz oder Kooperation?

Allerheiligen: Alle Heilige sind Jazzimprovisatoren von Jesu Melodien

1. Adventssonntag: Offene Augen für die Realität - gegen sozialen und kirchlichen Doketismus.

Mt 24, 37-44

Seid wachsam! Wer wachsam ist, sieht die Realität! Wer wachsam ist, lebt nicht in seiner Gedankenwelt, in seiner Traumwelt! Wer wachsam ist, kann Trauer und Angst, Freude und Hoffnung anderer Menschen nicht übersehen! Wer wachsam ist, weiß und lebt, dass jetzt die Zeit, jetzt die Stunde ist: immer nur heute wird getan oder auch vertan!

Dass das wirklich wichtig ist, verdeutlichte mir neu ein Text von Jon Sobrino in seinem Jesusbuch. Er beginnt mit der Einsicht: Grob gesprochen gibt es auf diesem Planeten zwei Gruppen von Menschen. Eine gewisse Minderheit von Menschen, die selbstverständlich gut leben können. Und eine größere Gruppe von Menschen, die nicht selbstverständlich gut leben können. Die um ihr Leben fürchten müssen, die unter Gewalt, Ungerechtigkeit, Ignoranz oder Mangel leiden.

Wenn wir wissen wollen, ob wir Christen sind, ob wir authentisch sind, müssen wir uns zuerst fragen, ob wir „realistisch“ sind, ob wir die Realität sehen.

Oder wie er wörtlich schreibt: „ob wir nur anekdotenhaft in einer Ausnahmesituation leben, also in einem sozialen Doketismus.“1 Sozialer Doketismus – diese Neuschöpfung von Sobrino muss erklärt werden.

Doketismus ist eine Irrlehre, die in den ersten Jahrhunderten auftrat. Diese Irrlehre behauptete, dass Jesus Christus irgendwie nur zum Schein gelitten hat. Die Anhänger dieser Irrlehre konnten sich nicht vorstellen, dass Gott leiden könne. Sie sagten zum Beispiel, „dass sich in der Taufe der leidensfähige Jesus mit dem leidensunfähigen Christus vereinigt hätte, diese Vereinigung in der Passion wieder aufgelöst worden sei.“2 Oder der menschliche Leib sei nur ein Scheinleib gewesen. Aber dass gerade Gottes Sohn wirklich die schlimmsten Qualen erleidet und damit mit den Leidenden solidarisch ist, das ist ja das Erlösende! Ignatius von Antiochien hat deswegen wie viele andere heftig widersprochen: „Einer ist der Arzt, fleischlich sowohl als geistig, geboren und ungeboren, im Fleische wandelnd ein Gott, im Tode wahrhaftiges Leben.“3 Ganz klar sagt er: Wer die wahre Menschwerdung Gottes leugnet, leugnet die Erlösung! Und die folgenden Konzilien haben immer mehr die echte Menschlichkeit Jesu Christi verteidigt.

Und was ist dann sozialer Doketismus oder auch kirchlicher Doketismus? Wenn eine Frau von ihrer Schwester erzählt, die mit Selbstmorddrohung abgehauen ist, und ihre Sorgen, ihre echte Not und Angst heraus lassen wollte, von einem Pfarrer zur Antwort bekommt: Die kommt schon wieder! Wer drüber redet, nimmt sich nicht das Leben! – dann lebt dieser Pfarrer nicht wachsam, er hört nicht hin, er ist wie der Priester im Samaritergleichnis, er ist in seiner Scheinwelt, in seiner schönen alternativen Wirklichkeit. Das ist dann sozialer und kirchlicher Doketismus!

Wenn aber ein Ehepartner hingebungsvoll den schwerkranken Partner pflegt; wenn eine Psychologin sich aufmacht, um ehrenamtlich Gespräche in einem Asylantenheim anzubieten, damit diese ihre Traumata verarbeiten können; wenn ein Familienvater großzügig spendet bei einer Hilfsaktion; überhaupt: Wenn wir wachsam sind, wenn uns das Elend der Menschen in Syrien oder Ägypten oder Indien aber auch das Elend armer, einsamer Menschen in unserem Umfeld noch das Herz und den Verstand bewegt, dann verlassen wir unseren sozialen Doketismus, unsere Ausnahmewelt, wir werden realer!

Jon Sobrino ist Befreiungstheologe in El Salvador. Ein Land, das unendlich viel Leid und Ungerechtigkeit erfahren hat. Ich finde es sehr ehrlich, dass er sich bewusst ist! Er als Priester, Professor und Jesuit gehört in dem Land El Salvador zu den Menschen, die selbstverständlich gut leben können. Aber er will wachsam sein! Denn er weiß: „Wir sind nicht „realistisch“ und nicht „real“, wenn wir nicht manchmal ein Gefühl der Scham angesichts der Tatsache verspüren, dass wir auf einem brutalen und ungerechten Planeten leben, den wir selbst mit unseren Händen gestaltet haben, und zu einer Menschheitsfamilie gehören, die keine mehr ist, sondern eher eine Spezies, die aus zwei Subspezies besteht, nämlich denen, die überleben, und denen, die vorzeitig sterben – oder noch schlimmer, wenn wir unsere armen Brüder und Schwestern, die an den Rand Gedrängten und die Opfer verachten und uns ihrer schämen. Positiv gewendet: Wenn unsere Freude nicht darin besteht, die Wahrheit, die großen und kleinen Siege der Armen zu feiern, dann sind wir nicht „real“.“4

Die Kirche in El Salvador versuchte gerade unter Erzbischof Oscar Romero, real zu sein, wachsam zu sein, nicht in einer Scheinwelt zu sein. Sie war so solidarisch mit den geknechteten und ausgebeuteten Armen, dass die Unterdrücker auch Priester erschossen und 1980 sogar den Erzbischof selbst: Oscar Romero.

Und wenn die erste Reise von Papst Franziskus nach Lampedusa ging, dann ist das auch ein Akt der Wachsamkeit, des Realismus. Er durchbrach damit den europäischen Doketismus, der die Flüchtlinge von Krisengebieten abschieben will!

Die Flüchtlinge durchbrechen unseren europäischen Doketismus. Plötzlich leben Flüchtlinge in unserer Nähe. Sie haben Bürgerkrieg, Not, Flucht erlebt. Die ungerechten Weltstrukturen bekommen ein Gesicht! Gehen wir weiter wie der Priester und der Levit, oder schauen wir hin wie der barmherzige Samariter?

Nur wer die Realität an sich heranlässt, wer wachsam ist, kann menschlich werden und somit Christus nachfolgen. Denn er ist nicht nur Gottes Sohn, sondern auch der menschlichste Mensch, gerade darin zeigt sich ja seine Göttlichkeit: Jesus ist barmherzig gegenüber den Menschen, treu zu seinem Vater und hingebungsvoll mit seinem Leben. Er ist solidarisch, Bruder aller Menschen, besonders für die Armen, Leidenden und Ausgestoßenen. Wenn wir wachsam sind, können wir unseren Nächsten sehen, barmherzig und hingebungsvoll sein und Christus nachfolgen.

2. Adventssonntag: Johannes der Täufer, der spirituelle Lehrer Jesu.

Mt 3, 1-12

Ich vermute mal, dass den meisten Christen nicht bewusst ist, welch große Bedeutung Johannes im Leben Jesu gespielt hat. Wir unterschätzen meistens, wie wichtig Johannes der Täufer für Jesus war.

Ich möchte das man mit einem Beispiel klarmachen. Jeder große Künstler hat einen Lehrer, von dem er ganz Wichtiges lernt. Dieser Lehrer ist meistens selber ein großer Künstler.

Zum Beispiel hat sich Johann Sebastian Bach 300 Kilometer auf den Weg gemacht, um von Buxtehude zu lernen. Beethoven hatte Joseph Haydn als Lehrer. Und Gustav Mahler ging bei Anton Bruckner in die Schule.

So ein ähnliches Verhältnis war zwischen Jesus und Johannes dem Täufer. Auch Jesus brauchte einen geistigen Lehrer. Wenn wir ernst nehmen, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch war - eben auch wahrer Mensch war, dann wird uns verständlich, dass Jesus auch seinen Entwicklungsprozess durchmachen musste. Auch er musste im Heranreifen erkennen, was seine Aufgabe in dieser Welt ist, was seine Berufung ist. Wozu der Vater ihn in die Welt gesandt hat, das hat Jesus nur erkennen und begreifen können durch den Kontakt und den Lernprozess mit seinem geistigen Lehrer Johannes dem Täufer.

Was hat Jesus Wichtiges von Johannes dem Täufer gelernt?

Johannes hat Jesus sein Lebensthema gegeben. Denn beiden, Johannes und Jesus, ging es um das Reich Gottes, Matthäus sagt dazu immer das Himmelreich.

Alle Gleichnisse Jesu beziehen sich auf das Reich Gottes, auf das Himmelreich; alle Wunder Jesu wollen sichtbar machen, dass das Reich Gottes jetzt anbricht.

Jesus beginnt seine Predigt mit den Worten: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.

Wir Christen sind es gewohnt, die Zeit in zwei Perioden einzuteilen. Die Zeit vor Christus und die Zeit nach Christus. Für Jesus Christus selbst lag die Zäsur woanders: für ihn gibt es eine Zeit vor Johannes dem Täufer und eine Zeit nach Johannes dem Täufer. Denn Johannes verkündet, dass das Reich Gottes jetzt wirklich nahe ist. Johannes ist für Jesus nicht irgendein Prophet, sondern er ist der Größte der Menschen. Denn Johannes steht an der Schwelle zum Beginn des Reiches Gottes. Aber er überschreitet diese Schwelle noch nicht völlig: deswegen ist der Kleinste im Himmelreich, derjenige, der die Seligkeit des Reiches Gottes erleben darf, größer als Johannes selbst.

Jesus hat von Johannes sein Lebensthema bekommen. Aber jeder gute Schüler löst sich von seinem Lehrer und geht einige Schritte weiter. Das war bei Bach so, bei Beethoven und bei Gustav Mahler. Das war aber auch bei Jesus so:

Johannes hat das Reich Gottes verkündet, aber Jesus zeigt Johannes, wer die besonderen Adressaten sind: Den Kleinsten, den Armen, den Kranken, den Traurigen, die Sehnsucht haben, all diesen Menschen wird das Reich Gottes verkündet. Um ihretwillen ist es da. Um sie dreht sich bei ihm alles. Johannes fragt Jesus, ob er der sei, der kommen soll, oder ob es notwendig ist, auf einen anderen zu warten. Jesus antwortet auf diese Frage nicht: Ja, ich bin es. Er sagt vielmehr: „Geht hin und berichtet dem Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium verkündet“ (Mt 11,4-5).

Was können wir heute von Johannes dem Täufer lernen? Vier Gedanken dazu:

Wir können Gott besonders in der Wüste entdecken. Das heißt natürlich nicht, dass wir im Advent eine echte Wüste aufsuchen sollen. Es heißt vielmehr, dass wir uns Wüstenzeiten und Wüstenräume freimachen müssen, Zeiten der Stille, Zeiten des Alleinseins, Zeiten des Gebetes.

Johannes macht uns einen wichtigen Aspekt von Advent deutlich: Advent ist nicht allein die Vorbereitungszeit für Weihnachten. Denn der Advent macht auch Gottes Kommen am Ende der Welt zum Thema. Gerade das können wir von Johannes lernen: Auch wenn das Reich Gottes immer wieder neu entsteht und aufbricht - das Reich Gottes in seiner völligen Entfaltung erleben wir erst am Ende der Zeiten. Erst da zeigt sich die Macht Gottes in voller Größe. Auch wenn sich Gottes Stärke und Gottes Gegenwart immer wieder im Hier und Jetzt zeigt, warten wir Christen trotzdem auf die große Zukunft. Wir bleiben unser ganzes Leben lang als Christen adventlich!

Wie Johannes sollen wir in unserem Leben auf Jesus Christus schauen und auf ihn zeigen. Denn es gilt auch für uns: Jesus Christus ist stärker als ich, ich bin es eigentlich nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Und trotzdem möchte er, dass ich mit meinem Leben auf ihn verweise.

Kritische Selbstkorrektur, Umkehr, sich klarmachen, dass man letztlich nichts aus eigenen Kräften sondern alles aus der Kraft Gottes tut; das können wir auch von Johannes lernen. In abgewandelter Form würde er zu uns sagen: Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könnt sagen: Wir sind doch Christen. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Christen machen.

3. Adventssonntag: Erzählen heilt und bringt Glauben

Mt 11, 2-11

Advent und Weihnachten ist eine Zeit des Erzählens: Immer neue Geschichtenbücher zu Weihnachten und Advent erscheinen. Familien setzen sich, wenn überhaupt, am ehesten im Advent und Weihnachten zusammen, um Geschichten zu lesen und zu lauschen.

Wir erzählen uns die bekannten Geschichten von der Verkündigung, der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth, von der Geburt Jesu, von den Hirten und den Sterndeutern. Weihnachtsmärchen werden von Schulklassen aufgeführt und eine Kindermette braucht ein Krippenspiel: In Szene gesetztes Erzählen!

Warum ist das Erzählen so wichtig? Warum reicht es nicht, den Katechismus zu lesen? Warum hat Jesus so viele Gleichnisse und Geschichten erzählt? Irgendetwas muss im Erzählen vermittelbar sein, das die begrifflichen Abhandlungen wie Katechismen oder dogmatische Lehrbücher nicht erreichen können. Diesem Irgendetwas möchte ich nachspüren.

Der Theologe Leonardo Boff beginnt zum Beispiel jedes Kapitel seiner „Kleinen Sakramentenlehre“ mit einer Geschichte aus seinem Leben. Die erste Geschichte ist besonders berührend: Er weilte für das Theologiestudium in München, fern der brasilianischen Heimat. Als sein Vater starb, schickte seine Schwester ihm einen langen Brief. Diesem legte sie einen Zigarettenstummel bei. Es war der Stummel der letzten Zigarette, die sein Vater geraucht hatte. Für Leonardo war dann dieser Stummel ein Sakrament, ein Erinnerungszeichen an seinen verstorbenen Vater. Leonardo Boff beginnt seine Sakramentenlehre nicht mit begrifflichen Erklärungen sondern mit dieser ergreifenden Geschichte. Was ist das spezifisch Wertvolle beim Erzählen?

Ich fange mit einem Vergleich an: Begriffliche Abhandlungen sind wie Knorr-Würfel. Das Wesentliche ist verdichtet aufbereitet. Natürlich kann man den Knorr-Würfel in den Mund nehmen und langsam zergehen lassen. Aber das ist dann schon harter Tobak. Wenn ich aber heißes Wasser über den Knorr-Würfel schütte und herumrühre, löst er sich auf und eine heiße Gemüsebrühe entsteht. Wenn ich die nun trinke, werde ich von innen gewärmt. Ich atme erleichtert auf. Sind nicht schöne Erzählungen für unser Gemüt so erwärmend wie eine heiße Brühe für den Körper?!

Erzählungen sprechen nicht nur das Gemüt an. Sie sind auch oft das Erste. Erst die Erzählung, dann die Begriffe. Erst hat man Evangelien über Jesus geschrieben, später hat man sich über die göttliche und menschliche Natur von Jesus Christus, wesensgleich oder nicht usw. in Konzilien die Köpfe eingeschlagen. Also wer gute Theologie machen will, muss immer wieder zu den Erzählungen zurückkehren: zu den Erzählungen Jesu, zu den Erzählungen über Heilige, zu den Erzählungen, die das Leben schrieb.

Erzählungen haben einiges den Begriffen voraus: Sie erfassen das Einmalige, das Individuelle-Besondere und das Fließende. Begriffe fassen normalerweise zusammen und können deswegen nur schwer das Einmalige, das Individuelle, das Besondere einfangen. Eine Erzählung hat außerdem selber etwas Fließendes. Und unser Leben ist selbst fließend, immer neu, unabgeschlossen, überraschend. Geschichten machen das Fließende unseres Lebens erlebbar. Damit sind Erzählungen letztlich in gewisser Weise näher an der Wirklichkeit als die Begriffe. Wir merken das gerade bei großen Schriftstellern. Mit ihren Erzählungen erfassen sie oft in erstaunlich tiefer Weise die Eigenheiten und Abgründe von Menschen und können das Hadern, Ringen, das Auf und Ab menschlichen Lebens sehr direkt miterleben lassen.

Erzählungen sprechen nicht nur mehr das Gemüt an und sind in gewisser Weise näher an der lebendigen Wirklichkeit,

sie animieren zum Glauben,

treiben an zur Nächstenliebe und

schenken neue Hoffnung.

Sie haben heilende Wirkung und

tragen zu mehr Gerechtigkeit bei.

Und sie offenbaren Sinn, Lebenssinn!

Diese 6 neuen Gedanken nun im Einzelnen:

Der heilige Ignatius hat auf seinem Krankenbett Heiligenlegenden und eine Zusammenfassung des Lebens Jesu gelesen. Diese Erzählungen haben ihn animiert, Pilger zu werden und seinen Glauben ganz intensiv zu leben. Oder das Weihnachtsgeheimnis: Gott wird Mensch! Gott erniedrigt sich! Aber was bedeutet das? Ein Kind, das in einem Stall zur Welt kommt und die ersten Zeugen der Geburt sind die armen ausgestoßenen Hirten! Diese Erzählung lässt uns im Herzen das große Geheimnis von Weihnachten viel mehr erahnen als ein theologischer Traktat über die Menschwerdung. Erzählungen fördern also den Glauben aber auch die Nächstenliebe.

Mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter beantwortet Jesus die Frage, wer mein Nächster ist. Was für eine heilende und inspirierende Wirkung hatte und hat diese Geschichte auf die ganze Menschheit! Sie hat bestimmt mehr Menschlichkeit bewirkt als Kants Abhandlung über den kategorischen Imperativ. Nicht nur, weil sie jeder versteht, sondern auch, weil sie uns innerlich antreibt, wirklich in Mitleid einübt.

Und Erzählungen schenken Hoffnung. Über schlimmste und dunkelste Zeiten hinweg hat so vielen Juden die Erzählung der Befreiung Israels aus Ägypten am Pessachfest Hoffnung gegeben. Oder wer zum Beispiel das Buch liest „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“, kann erleben, wie Erzählungen von schwierigen Lebensläufen Hoffnung schenken können. Sie zeigen uns, wie Menschen auf ganz eigene Weise Wege der Bewältigung von Krisen finden. Jesu Erzählungen sind oft perspektivöffnend: Die Zuhörer fangen an nachzudenken, erkennen neue Sichtweisen.

Erzählungen können auch heilen. Einmal kann das Erzählen selbst heilen. Wenn mir jemand aufmerksam, verständnisvoll zuhören kann, dann kann ich meinen Frust raus lassen, kann ich Dampf ablassen, kann ich mich beruhigen und neue Sichtweisen und Ideen entwickeln. Trauernden Menschen hilft es, wenn sie erzählen dürfen: Der Verstorbene wird im Erzählen gewürdigt, die Trauer wird nicht verdrängt.

Gerade für Menschen, die traumatische Erlebnisse erlebt haben, ist es äußerst heilend, wenn sie ihre Erlebnisse endlich erzählen können. Im Erzählen treten sie aus ihren Bildern heraus. Sie bekommen durch das Erzählen Abstand vom Erlebten. Wenn sie das Schlimme für sich behalten müssen, dann können sie immer wieder ins traumatische Erlebnis zurückfallen, sie erleben das Schlimme noch einmal – und merken nicht, dass es schon vergangen ist. Sie sind dann im traumatischen Erlebnis drin wie in einer Achterbahn. Wenn sie es aber erzählen, stellen sie sich vor die Achterbahn und können endlich mit Abstand das Vergangene anschauen – und erkennen: Es ist vorbei.

Erzählen schafft in vielen Versöhnungsprozessen den ersten wesentlichen Schritt zu mehr Gerechtigkeit. Erzählen verschafft den Opfern wieder eine gewisse Würde! Erzählen verhindert das Vergessen.

Als letzter Gedanke: Wir erzählen uns selbst immer auch unser eigenes Leben. Wir blicken immer wieder auch zurück und erzählen uns selbst Episoden aus dem eigenen Leben. Bei einer heißen Tasse Tee oder Glühwein abends im Dezember mag jeder zurückdenken. Dabei sollten wir aufmerksam sein und zwei Straßengräben vermeiden: Nicht die eigenen Fehlentscheidungen und Irrwege beschönigen und auch nicht die Spuren der Gnade und die eigenen Erfolge kleinreden oder übersehen. Nur wenn wir beide Straßengräben vermeiden, sind wir ehrlich zu uns selbst und können Sinn entdecken in der eigenen Lebensgeschichte.

Advent und Weihnachten ist eine Zeit des Erzählens: Nutzen wir sie fürs Erzählen und Zuhören. Denn das Erzählen lässt Gottes Licht unter uns aufleuchten!5

4. Adventssonntag: Der heilige Josef

Mt 1, 18-24

Wenn Sie einen Krimi lesen, ist Ihnen beim ersten Mal alles unklar. Wer ist der Mörder? Welche Verwicklungen haben zur Tat geführt? All das wissen Sie am Anfang der Lektüre nicht. Wenn Sie dann aus Freude und Begeisterung vielleicht ein halbes Jahr später den Krimi ein zweites Mal lesen, lesen Sie ihn anders. Sie wissen ja schon, wer der Mörder erst, was der versteckte Knoten des Falls ist, welche Motive im Spiel sind. Manche Leser wollen gleich die zweite Art der Lektüre genießen und schauen zuerst in die letzten Seiten des Krimis, um zu wissen, wer der Mörder ist.

Wenn wir heute das Evangelium hören, dann hören wir es vom Ende her. Wir wissen ja schon, dass Jesus Gottes Sohn ist und den Auftrag seines himmlischen Vaters erfüllt hat. Aber Josef tappte damals im Dunkeln. Er wusste nichts! Er war wie der Leser eines Krimis, der bei der ersten Seite anfing. Er konnte nicht schnell einmal hinten nachschauen.

Also kein Wunder, dass er davon ausging, Maria hätte ihn mit einem anderen Mann betrogen. Rilke hat die Enttäuschung Josefs und seine Erkenntnis in einem wunderbaren Gedicht in dem Gedichtzyklus „Marienleben“ beschrieben:

ARGWOHN JOSEPHS

UND der Engel sprach und gab sich Müh

an dem Mann, der seine Fäuste ballte:

Aber siehst du nicht an jeder Falte,

daß sie kühl ist wie die Gottesfrüh.

Doch der andre sah ihn finster an,

murmelnd nur: Was hat sie so verwandelt?

Doch da schrie der Engel: Zimmermann,

merkst du's noch nicht, daß der Herrgott handelt?

Weil du Bretter machst, in deinem Stolze,

willst du wirklich den zu Rede stelln,

der bescheiden aus dem gleichen Holze

Blätter treiben macht und Knospen schwelln?

Er begriff. Und wie er jetzt die Blicke,

recht erschrocken, zu dem Engel hob,

war der fort. Da schob er seine dicke

Mütze langsam ab. Dann sang er Lob.

Unser heutiges Evangelium hat zwei Aspekte: Erstens das große Ereignis, das angekündigt wird: die Jungfrau wird ein Kind empfangen, es soll heißen: Gott ist mit uns. Der zweite Aspekt: Josefs Reaktion auf dieses Ereignis.

Zuerst zum Ereignis: das Kind soll heißen Immánuel - Gott ist mit uns. Nun mag sich mancher fragen: Ist damit etwas Besonderes ausgesagt? Ist nicht Gott bei uns, weil er unser Schöpfer ist? Gott schenkt uns in seiner Schöpfung verschiedenste Gaben: die Natur, die Sonne, die Erde, unser Leben, unseren Körper, unsere Mitmenschen. Und in diesen können wir indirekt erkennen, dass Gott mit uns ist.

Aber mit der Geburt von Jesus Christus werden wir noch auf eine radikalere Bedeutung von diesem Wort Immanuel hingewiesen: Gott ist nicht nur mit uns indirekt durch seine Schöpfung, sondern Gott möchte sich selbst mitteilen. Ganz direkt möchte Gott uns zeigen, dass er mit uns ist. Anders formuliert: Wenn wir auf Jesus Christus schauen, auf sein Leben, seine Reden und Handeln, dann können wir in uns entdecken, dass wir Menschen dazu bestimmt sind, Gott unmittelbar zu schauen, dass der dreifaltige Gott in uns Menschen selbst anwesend ist.

Der zweite Aspekt: Wie reagiert Josef auf dieses Ereignis?

Die theologische Aussage, dass mit Jesus Christus uns klar wird, dass Gott mit uns ist, wird bei Matthäus wie bei Lukas erzählerisch und dramatisch ausbuchstabiert: Maria ist schwanger. Aber Josef weiß: Nicht von ihm! Er möchte Maria nicht bloß stellen.

Er denkt ganz menschlich: Wenn sie einen anderen Mann hat, dann trenne ich mich von ihr. Aber es ist auch sehr menschlich, dass ihn das umtreibt und auch noch im Schlaf beschäftigt.

Wie Josef von dem Engel sanft aber deutlich die Sichtweise geändert bekommt, das hat keiner schöner ausgedrückt als Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „Argwohn Josefs“. Mit großer Müh muss der Engel den Josef aufrütteln, damit dieser aus seiner engen Weltsicht ausbricht.

Welche Weltsicht ist das? Ist es nicht auch die patriarchale Weltsicht? Wenn wir auf den Stammbaum Jesu im Matthäusevangelium schauen, sehen wir fast nur Männernamen: die Väter und jeweiligen Söhne werden aufgezählt. Nur selten rutscht ein Frauenname bzw. Muttername in die Auflistung, wenn die Mutter an eine besondere Geschichte erinnert wie zum Beispiel Rut.

Aber dann: Josef ist der Mann von Maria, von ihr wurde Jesus geboren. Die patriarchale Linie ist unterbrochen. „Das Kind des Geistes ist ein Neuanfang. Es unterbricht die patriarchale Tradition und stellt sie überhaupt infrage. Ein neuer Stamm wird jetzt geboren, eine neue Generation mit einem neuen Typ von Menschen betritt den Raum des Lebens und wird zukunftsweisend sein.“6

Die Kindheitsgeschichten Jesu bei Matthias und bei Lukas sind antipatriarchal. Schluss mit der Hierarchie erst die Männer dann die Frauen! Schluss mit dem Denken, Reden und Handeln, das Frauen zu Objekten macht, über die man als Mann verfügen kann. Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, zwischen Frauen und Männern, heißt Beziehungen auf Augenhöhe, Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Ja in den Kindheitsgeschichten wird die Frau bevorzugt: Maria ist Subjekt von eigenen Entscheidungen und Trägerin des Geistes. Sie kann ihn mit ihrem ganzen Wesen verkörpern.

Erst ist Josef nicht dazu in der Lage: In der Haltung eines gönnerhaften Gentleman will er sich in Stille von ihr trennen. Aber durch den Engel angeregt findet er zu einer neuen Sichtweise, zu einer neuen Liebe zu Maria, zu einer neuen Treue zu ihr und ihrem Kind. So wird Joseph für uns zu einem vorbildhaften Mann, der die patriarchale Weltsicht und die Unterdrückung der Frau überwindet und damit etwas von der Gerechtigkeit und Liebe verkörpert, die Jesus Christus in die Welt bringen möchte.

Christmette: Das Weihnachtsherz

Lk 2, 1-14

Ich möchte Sie geistig entführen in ein Weihnachtszimmer: In der Mitte steht ein wunderschöner Christbaum. Geschmückt mit Kugeln, Figuren und kleine Lichter erhellen ihn. Daneben steht eine kleine Krippe: Auf ausgelegtem Moos sind Schafe und Hirten aufgestellt. Die heilige Familie ist im Stall zu sehen. Eine kleine Lampe leuchtet in den Stall hinein.

Unter dem Weihnachtsbaum sind verschiedene Geschenke versammelt, größere und kleinere. Und dazwischen ein unscheinbarer Brief. In meiner kleinen Weihnachtsfantasiereise nehmen Sie den Brief, weil Sie neugierig sind. Sie öffnen ihn: Ein Weihnachtsbrief liebevoll geschrieben, aber schlicht. Und Sie beginnen zu lesen:

„Liebe Christin bzw. lieber Christ. Ich wünsche Dir ein weihnachtliches Herz, also ein sanftes, geduldiges, tapfer gefasstes, leise zärtliches Herz – und dass es Dir in dieser besonderen Zeit gelingen mag, dieses Herz jenen zu schenken, die Du Dich zu lieben bemühst.“7 Sie halten kurz inne: Ein wunderbarer Wunsch! Drückt es nicht eine tiefe Sehnsucht aus, die wir mit Weihnachten verbinden? Das weihnachtliche Herz entdecken in mir selbst, ein sanftes, geduldiges, leise zärtliches Herz und so weihnachtlich herzlich zu meinen Lieben sein.

Der Brief geht weiter: „Lass Dich einladen von dem Weihnachtslied: Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben. Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen; und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen.“

Und Sie wenden Ihren Blick zur Krippe und schauen auf das Jesuskind in der Krippe. Oft haben Sie schon Krippen angeschaut – oft dachten Sie sich vielleicht: Sehr schön gestaltet, feine Figuren, liebevoll detailreich gestaltet. Aber jetzt sind diese ästhetischen Überlegungen nicht da. Sie schauen letztlich auf Jesus selbst. Das Jesusfigürchen in der Krippe steht für Jesus selbst. Sie werden innerlich still und spüren in sich hinein. Und so wie ein Liebespaar manchmal einfach sich länger schweigend anschaut, so bleiben Sie vor der Krippe stehen und schauen Jesus an.

Dann lesen Sie weiter: „Gott selbst ist gekommen in seine Schöpfung. Er ist selbst in all die Engen des Menschen hineingekrochen: in die Enge des Mutterleibes, in die Enge eines heruntergekommenen Vaterländchens mit Besatzungsmächten, in die Enge einer trostlosen Zeitsituation, einer bornierten Umgebung, einer verfahrenen Politik, eines todgeweihten Leibes, in den Kerker des Nichtverstandenwerdens, des eintönigen Arbeitsalltags, des restlosen Mißerfolges, in die dunkle Nacht der Gottverlassenheit und des Todes. Er hat sich nichts erspart. Die Menschheit ist eine heilige Familie, wenn Gott selbst darunter als Bruder ist.“8

Sie schauen wieder auf die Krippe und bleiben im Staunen, liebend dankbar schauen Sie auf Jesus. Und so merken Sie: das weihnachtliche Herz entdecken Sie in sich, wenn Sie auf das Jesuskind schauen. Weil Gott sich so verschenkt, wird uns bewusst, wie beschenkt und geliebt wir sind – und so öffnet sich unser eigenes Herz, es wird sanft, geduldig, leise zärtlich, weihnachtlich an Jesus und durch Jesus.

Dann lesen Sie den letzten Absatz im Brief: „Dieses Geschenk, das weihnachtliche Herz, ist vielleicht die eigentliche Gabe unter dem Christbaum, sonst sind alle anderen Geschenke doch nur

Ausgaben, die man auch zu anderen Zeiten machen kann. Gesegnete Weihnachten!“9

Meine Weihnachtsfantasiereise ist nun zu Ende. Aber sie ist ja gleichzeitig eine Einladung, dies einmal in einer ruhigen Minute, wenn Sie vor einer Krippe stehen, auszuprobieren. Mit Jesus ins Gespräch zu kommen, vor der Krippe still zu werden und das Herz zu öffnen, damit es Jesus selbst weihnachtlich mache.

Und wem möchten Sie dann Ihr Herz besonders weiterschenken, vielleicht mit einem lieben Wort, einer verzeihender Geste, einem Geschenk, mit einer Unterstützung? Ein lieber Mensch in der Familie? Oder einem vergessenen Menschen in Ihrem Umfeld?

Oder auch Menschen in Not in irgendeinem Teil dieser Welt?

Ja ein Mensch mit einem Weihnachtsherz sieht Menschen in Not. Im einem vergangenen Advent in einer Großstadt ist z. B. folgendes tatsächlich passiert. Eine Frau, die selber nicht viel hat, sieht eine ärmliche Frau gegenüber einem Christbaumhandel. Ihre Schuhe sind vorne offen, alt, zerschlissen. Die Frau mit dem Weihnachtsherz ahnt, dass die arme Frau sehnsuchtsvoll auf die Bäume schaut. Vielleicht kann sie sich nicht einmal einen kleinen Baum leisten? Sie geht zu ihr und knüpft auf ganz liebevoll geschickte Weise Kontakt, indem sie klagt: Oh meine Schuhe sind zu eng, ich habe solche Schmerzen, vielleicht sollte ich es wie Sie machen und die Schuhe vorne aufschneiden. Die arme Frau erwidert: Machen Sie das nicht! Seien Sie froh, dass Sie solche Schuhe haben. Naja Sie werden 42 oder 41 haben, ich habe noch welche im Keller, die ich nicht mehr anziehe, die kann ich Ihnen geben. Das wäre schön. Sie schaut traurig zu den Bäumen: Ein Baum wäre schön, mein Bruder wird 70 am Heiligen Abend. Aber mit Hartz IV können wir uns nicht beides leisten: Ein Essen oder einen Baum mit Schmuck. Er hat Krebs, es ist vielleicht sein letztes Weihnachten. Die Frau mit dem Weihnachtsherz schreitet zur Tat: Sie kauft günstig einen kleinen Baum. Der Verkäufer trägt den Baum die 20 Meter zur Wohnung. Danach holt sie aus ihrem Keller einigen Christbaumschmuck, den sie entbehren kann, und die Schuhe versteckt sie darunter und bringt den Karton der Frau. Und so wird dann vielleicht auch der beleuchtete Weihnachtsbaum ein passendes Gleichnis für das Wunder von Weihnachten: Der gütige Gott, menschgeworden, entzündet das Licht in den Herzen der Menschen, damit die Welt so vielfältig erstrahlt wie im kleinen ein Weihnachtsbaum.

1. Weihnachtsfeiertag: Was ist „das Wort“?

Joh 1, 1-18

Im Anfang war das Wort!

Groß und erhaben klingt dieser erste Satz des Johannesevangeli-ums. Aber – so will ich gleich naiv fragen – wie heißt dieses Wort? Was ist das Wort, oder griechisch logos?

Ich mache einen ersten Versuch:

Gott ist die Liebe. Also ist am Anfang die Liebe Gottes. Das Wort bedeutet eigentlich Liebe.

Nur: das Wort Liebe ist nicht die Liebe selbst. Wir müssten ein Wort finden, das seinen Inhalt selbst enthält.

Also ein zweiter Versuch:

Am Anfang der Bibel im Schöpfungsbericht spricht Gott: es werde… zum Beispiel: es werde Licht. Gott spricht „es werde“ und gleichzeitig geschieht es. Mit dem Wort entsteht gleich der Inhalt. Also ist der logos das göttliche Wort, das spricht: „es werde“?

„Es werde“ steht für Gott als Schöpfer, als der unendliche Beweger von allem, die unendliche Bewegung.

Jedoch: das „es werde“ bringt die vielen Einzeldinge hervor, die zerteilt sind und voneinander mehr oder weniger getrennt. Der Logos ist aber der absolute Grund von allem, die Einheit in der Vielfalt.

Ein dritter Versuch:

Dazu eine Geschichte. Rabbiner diskutierten im Mittelalter darüber, was Gott am Sinai Mose alles gesagt habe. Eine radikale Auslegung sagt: Gott habe nur Alef gesagt. Alef ist der erste Buchstabe im hebräischen Alphabet. Er ist nicht mehr als ein Stimmenansatz vor einem Vokal. Wenn ich das Wort „einfach“ sage, dann ist Alef nicht mehr als das Ansetzen zum Sprechen vor dem „e“ am Anfang des Wortes. Das alles ist also fast nichts, eigentlich Schweigen, Stille. Aber damit kann es Ursprung von allem sein. Ursprung der Vielfalt!

Elija hat am Horeb Gott so erlebt: in der verschweigenden Stille des Windhauchs.

Wir müssen also in die Stille gehen, um zur Einheit, zum Logos, zu Gott zu gelangen.

Ein vierter Versuch:

Ein normales Wort trennt die Gegenstände voneinander und macht Gegensätze. Zum Beispiel: Dies ist ein Tisch und kein Stuhl. Dies ist jemand anderes. Das ist lebendig, dies nicht. Der Logos müsste alle Gegensätze vereinen und müsste die Gegenüberstellungen und Trennungen der Dinge beenden. Nikolaus von Kues hat deswegen Gott bestimmt als der „Nicht andere“, als der „Zusammenfall der Gegensätze“. Wir können ein solches Wort in unserer menschlichen Sprache nicht finden, weil jedes Wort die Dinge trennt und Gegensätze schafft. Um den Logos, die Einheit allen Seins zu erfahren, müssen wir in die Stille gehen. Nur dort ist das Göttliche Alef vernehmbar.

Logos: die Liebe, „es werde“, unendlicher Beweger und Bewegung, all dies kommt aus der Stille Gottes, dem Alef Gottes, Gott als der „nicht andere“, dem „Zusammenfall aller Gegensätze“. Ist das alles nicht sehr abstrakt und hochgeistig?

Und das Wort ist Fleisch geworden. Jesus Christus lebt dieses Wort. Er verkörpert diesen Logos.

Jesus geht in die Stille, um zu beten.

In ihm fallen die Gegensätze zusammen. Wie Paulus sagt: alle sind eins in Christus.

Er liebt die Menschen wirklich.

Er bleibt in Bewegung, bei ihm gibt es keine Verkrustungen, keinen Stillstand.

Sein Wort, sein “Es werde“ wirkt, er hat verändernde Macht.

Bei ihm ist man nicht ein anderer, sondern er versteht mich besser als ich mich selber.

Aber er wurde abgelehnt! Wie Johannes sagt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1,11) Weil die Menschen der Krankheit zum Tode verfallen sind, den Grund zu verleugnen, auf dem man eigentlich steht.

Jedoch „allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ Machen wir uns also auf die Suche, den Logos in unserem Leben zu entdecken. Dann wird er eine Lebenshaltung voll Liebe, Bewegung, Kraft aus der Stille, weil man weiß, dass letztlich alles in Gott eins ist.

Wenn wir in Beziehung mit Jesus Christus bleiben, dann wird er unser Lehrer, der uns in dieses Leben hineinführt.

2. Weihnachtsfeiertag: Vorsicht Weihnachten! Lebensgefahr!

(Am Ambo hängt ein großes Schild mit der weit lesbaren Aufschrift "Vorsicht Weihnachten! Lebensgefahr!")

Gerade rechtzeitig - bevor wir uns gewöhnen könnten an ein gemütlich-idyllisches und harmloses Weihnachtsfest, voller Freizeit, Entspannung, Geschenke und guten Essens - erreicht uns diese Botschaft: Vorsicht Weihnachten! - Lebensgefahr!

Stephanus ist der erste Märtyrer der Kirche und steht genau für diese Botschaft: Wer sich auf Jesus Christus einlässt, wer Jesus Christus nachfolgt, der kann in Lebensgefahr kommen.

Da hat einer Geburtstag, der kann dich, wenn du ihm nachfolgst, wirklich ganz schön reinreißen. Der bringt dir unter Garantie Scherereien, Ärger mit den Chefs von Parteien und Betrieben, Ärger mit den großen Meinungs- und Modemachern. Dieser Ärger kann Dir die Existenzgrundlage ruinieren. Sie werden mit Steinen nach Dir werfen - so wie es Stephanus erging.