Politische Predigten - Michael Pflaum - E-Book

Politische Predigten E-Book

Michael Pflaum

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Beschreibung

Ein neues Zeichen der Zeit tritt immer deutlicher hervor: Der Zorn, der sich im Erstarken von populistischen Parteien äußert und noch zerstörerischer in terroristischen Aktionen. Der indische Soziologe Mishra hat mit seinem Buch "Das Zeitalter des Zorns" aufgezeigt, dass dieses Dilemma die ganze Moderne prägt. Wie können Christen auf dieses herausfordernde Zeichen der Zeit antworten? Die Predigten in diesem Band kreisen auf verschiedene Weise um dieses Thema und beziehen auch andere Autoren wie z. B. Bernd Stegemann und seine Analyse in "Das Gespenst des Populismus" mit ein.

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Inhalt

Vorwort

Offene Geschichte (2 C)

Das Zeitalter des Zorns – ein Zeichen der Zeit. Mishras Thesen (33 A)

Voltaire, Rousseau oder das Dilemma der Moderne (6 C)

Terrorismus ist ein Phänomen der Moderne (7C)

Aufstieg und Niedergang des Neoliberalismus (8C)

Hoffnungsvolle Impulse für die Zukunft (9 C)

Von Grillen, Ameisen und Mäusen – Nährboden für Populismus (31 A)

Ohne Negativfolie (Fronleichnam)

Moby Dick und Kapitän Ahab (1. Fastensonntag)

Wieder einbeziehen! (20 A)

Terrorkrieg: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los! (23 C)

Friedensvermittler (Pfingsten)

Die Kombination zweier Strategien ergibt eine besondere Haltung (9 B)

Traumatisierten mitfühlend begegnen (27 B)

Warum der Irrweg? (24 C)

Drei Zugänge zu Philosophien und Theologien

Weitere politische Predigten in anderen Predigtbüchern

Anmerkungen:

Vorwort

Ein neues Zeichen der Zeit tritt immer deutlicher hervor: Der Zorn, der sich im Erstarken von populistischen Parteien äußert und noch zerstörerischer in terroristischen Aktionen. Der indische Soziologe Mishra hat mit seinem Buch „Das Zeitalter des Zorns“ aufgezeigt, dass dieses Dilemma die ganze Moderne prägt. Wie können Christen auf dieses herausfordernde Zeichen der Zeit antworten?

Drei Predigten fassen auf verschiedene Weise Mishras Analyse zusammen: Das Zeitalter des Zorns – ein Zeichen der Zeit. Mishras Thesen. – Voltaire, Rousseau oder das Dilemma der Moderne – Terrorismus ist ein Phänomen der Moderne.

Vier Predigten versuchen, mit anderen Sichtweisen den heutigen Zorn zu verstehen und Auswege und hoffnungsvolle Alternativen aufzuzeigen: Aufstieg und Niedergang des Neoliberalismus – Hoffnungsvolle Impulse für die Zukunft – Von Grillen, Ameisen und Mäusen – Nährboden für Populismus – Terrorkrieg: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!

Die anderen Predigten thematisieren auf verschiedene Weise, wie eine bestimmte Haltung dem zerstörerischen Zorn entgegen wirken kann.

Offene Geschichte (2 C)

Joh 2,1-11

Mit ca. 14 Jahren reiste ich mit einer Gruppe Jugendlicher, geleitet von den Franziskanern, nach Assisi. Es war eine wunderschöne Jugendreise: Gemeinsame Gottesdienste, Bibelgespräche, Kirchenbesichtigungen. Viel Plausch und Gesang! Aber eben auch religiöse Gespräche, die ungeplant in der Gruppe zwischen Teilnehmern entstanden. Ich weiß noch, dass mir in einem solchen Gespräch über unseren Glauben folgender Gedankengang kam:

Gott hat einen Plan mit mir. Er gibt mir Begabungen. Er beruft mich zu etwas. Das ist ja auch Lehre der Kirche. Jedoch: Was ist, wenn etwas schief läuft? Wenn ich durch eine ungünstige Entwicklung z. B. ins Gefängnis komme? Habe ich dann meinen vorgesehenen Plan verfehlt? Viele traditionell Gläubige würden sagen: Ja, dann hast Du Dein göttliche Berufung nicht erreicht. Ich meinte aber in diesem Gespräch folgendes: Gott wird mir einen neuen Plan geben, er wird seine Berufung anpassen. Denn ich kann ja auch im Gefängnis als Christ leben. (Man denke nur an das Dominikanerlaienkloster in einem amerikanischen Gefängnis, deren Mitglieder nur Insassen sind.) Mein Gesprächspartner fand diese Vorstellung einen sehr beeindruckenden und barmherzigen Gedanken.

Ich bin, seitdem ich diese Hypothese damals aufgestellt habe, auch davon überzeugt. Sie hat auch mein theologisches Denken mitgeprägt.

Diese Vermutung – Gott passt seine Berufung an, wenn etwas in meinem Leben schief läuft – ist befreiend! Denn das Gegenteil kann sehr einengend wirken. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Vorstellung, Gott habe in die Welt genau eine Frau/Mann gesetzt, die/der Ihr idealer Partner ist. Wie sollen Sie Ihren einzigen idealen Partner aus Milliarden von Menschen auf der Erde herausfinden? Und woran erkennen Sie, dass es der von Gott gemachte ideale Partner ist? Manche warten ja wirklich immerzu auf den idealen Partner und verpassen dabei so viele mögliche reale Partner, mit denen eine Ehe schon klappen würde.

Diese Vermutung ist außerdem antiplatonisch: Die landläufig platonische Vorstellung geht ja genau davon aus, dass Gott uns Ideale vorgibt, Ideale von Gerechtigkeit, von Liebe, von einem gelingenden Leben, Ehe usw., denen wir uns in unserem irdischen Leben immer mehr annähern sollen. Aber mit meiner Vermutung ist das Erste nicht die Idee sondern die Wirklichkeit. In der Wirklichkeit müssen sich dann im zweiten Schritt die passende Entwicklungspotentiale dieser Wirklichkeit zeigen. Genauso verfährt der Drei-Schritt der CAJ und der Pastoralkonstitution: Sehen – Urteilen – Handeln. Nicht: Ideal – Urteil – Wirklichkeit korrigieren.

Diese Vermutung verändert auch im Kern das Gottesbild. Ohne dass ich es damals ahnen konnte, habe ich mit meiner Vermutung mein Gottesbild verändert. Erst später lernte ich das Gottesbild der Prozesstheologie kennen, die vom Philosophen Whitehead ausgeht. Für Whitehead ist Gott so eng mit der Welt verbunden, dass er alle Prozesse dieser Welt erfährt, um sie weiß und deswegen in jedem neuen Moment neue kreative Impulse zu einer neuen besseren Entwicklung geben kann. Impulse, die nicht aus einem statischen Ideal kommen, sondern Impulse, die zu der jeweiligen Situation passen. Wir Menschen verspüren diese göttlichen Impulse z. B. in unserem Gewissen oder unserer Intuition.

Diese Vorstellung verändert aber auch das Menschenbild. Es offenbart uns unsere Freiheit und Verantwortung. Im platonischen Modell müssen wir einem Ideal nachkommen. Es geht um Erfüllung einer Vorgabe. Wenn Gott aber quasi flexibel seine Berufung mit dem Fluss meines Lebens entstehen lässt, dann muss ich achtsam meinen Lebensfluss reflektieren. Und ich kann in Situationen kommen, in denen ich nicht weiter weiß, in denen ich zaudere und zögere, in denen ich mich entscheiden muss.

Um den entscheidenden Punkt dieses Themas klar zu machen, muss ich zwei Sichtweisen darlegen: Die Sichtweise im Rückblick und die Sichtweise im Fluss der Ereignisse. Mir wurde diese Differenz zwischen den zwei Sichtweisen klar, als mir ein Freund ein Beispiel aus der Geschichte erzählte. In der Reformationszeit gab es auch reformatorische Bemühungen in Irland. Im Rückblick kann der Historiker viele Gründe finden, warum in Irland die Reformatoren scheiterten. Aber Rückblick erscheint alles als eine völlige klare Entwicklung – konnte ja gar nicht anders laufen… Jedoch wenn man genauer hinschaut, entdeckt man eine Phase, in der nicht klar war: Wird Irland vielleicht doch protestantisch oder Teile davon oder bleibt es katholisch? Die Menschen, die damals um den rechten christlichen Glauben stritten, konnten in dieser Phase nicht übersehen, wohin die Entwicklung gehen würde. D. h. in dieser Phase war die Entscheidung offen. Wenn man Mensch, Akteur in dieser Phase war, wenn man im Strom der Zeit damals selber schwamm, konnte man nicht wissen, wohin es ginge. Diese Akteure mussten sich entscheiden. Im Rückblick „erscheint“ alles als Abfolge verschiedener Phasen, die durch viele Gründe verknüpft sind. Aber dieser Rückblick ist nachträglich und ein bisschen illusorisch. Er verdeckt die Offenheit des Prozesses an den Wendepunkten! Zizek schreibt zu solchen Momenten:

„Dieses [...] Moment der Offenheit konstituiert das Moment der Subjektivität: „Subjekt“ […], das in einem solchen Moment der Unentscheidbarkeit aufgerufen, plötzlich verantwortlich gemacht, in die Dringlichkeit der Entscheidung geworfen wird.“1

Einfacher ausgedrückt: In solchen Momenten zeigt sich meine Verantwortung, in Freiheit zu handeln. Ich bin dann besonders Mensch, weil ich entscheiden muss. Ich bin Subjekt!

Jesus meint bei der Hochzeit zu seiner Mutter: Meine Stunde ist noch nicht gekommen! Dieser Satz klingt nach dem alten Modell:

Jesus folgt einem vorgefertigten Plan, den Fahrplan Gottes für ihn. Aber dann entscheidet er sich doch anders. Er schaut auf die Situation und entscheidet sich, das Wunder zu vollziehen. Er handelt als Subjekt nicht mehr als Planerfüller oder Folger einer tiefen Notwendigkeit!

Auch die Lehre der Charismen, der Gnadengaben, die Paulus in der Lesung vorstellt, führt uns zu diesem neuen Verständnis vom Menschen. Die Charismen sind Potentiale, die wir im Leben verantwortlich gestalten und wachsen lassen sollen. Aber wie sie in meinem konkreten Leben wachsen und gedeihen, das ist ein Abenteuer, das ich als Subjekt mit mir selber, mit der Zeit, mit der Kraft des Heiligen Geistes eingehe.

Und das gilt für die ganze Weltgeschichte und Gott selbst: Gott geht eine Beziehung mit der Welt ein, die ein Abenteuer ist: "Er ist der Poet der Welt, leitet sie mit zärtlicher Geduld durch seine Vision von der Wahrheit, Schönheit und Güte."2

Das Zeitalter des Zorns – ein Zeichen der Zeit. Mishras Thesen (33 A)

Mt 25,14-40

Viele Bibelwissenschaftler sind sich einig, dass das gehörte Evangelium kein Gleichnis über das Reich Gottes ist, sondern ein Gleichnis über die ungerechte Welt, die die Zuhörer Jesu erlebten.

„Wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben;“ - siehe Großgrundbesitzer, die zu Wucherzinsen Geld verleihen.

„Wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat!“ – dem kleinen Bauer, der sein Land durch eine Missernte verloren hat.

Das beschreibt jedoch auch ziemlich genau unsere kapitalistische Welt! Die Superreichen werden immer reicher und die Ärmsten der Armen kommen oft nicht aus dem Teufelskreis der Armut heraus! Da könnte man wahrlich zornig werden!

Der Zorn prägt unsere Gegenwart. Und er entlädt sich immer mehr auf erschreckende und nicht konstruktive Weise! Er entlädt sich bei Wählern, die für Donald Trump oder den Brexit oder die AfD gestimmt haben! Noch schlimmer und zerstörerischer entlädt er sich in terroristischen Gewalttaten von Al Kaida und IS, in Kriegen in Syrien oder Ukraine, in strategischen Machtspielen zwischen Schiiten und Sunniten!

Der Zorn und die Gewalt sind zu einer neuen Herausforderung der Gegenwart geworden. Mit der Pastoralkonstitution würde man sagen: Es ist ein neues Zeichen der Zeit, das uns Christen herausfordert! Deswegen werde ich nicht nur heute dieses Thema in Predigten aufgreifen, weil es ebenso ein neues Zeichen der Zeit ist wie der Klimawandel!

Der indische Intellektuelle Pankaj Mishra will in seinem Buch:

„Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart.“ dieses neue Zeichen der Zeit verstehen und analysieren

Ich möchte heute seine wichtigsten Thesen vorstellen.

1. These: Profitierende und Abgehängte Mishra erläutert diese These im Spiegel-Interview: „Ich glaube, dass man die heutigen politischen Verwerfungen nicht mehr entlang der Unterscheidung zwischen rechts und links erklären kann. Ich würde eher sagen, dass wir zwischen einer Klasse von Menschen unterscheiden sollten, die von der Globalisierung profitiert haben, die weltweit vernetzt und gut ausgebildet sind. Die in den prosperierenden Städten leben. Und einer Mehrheit der Menschen, die sich von dieser Klasse abgehängt und betrogen fühlen. Die sich als Opfer sehen, die aus den ländlichen Gebieten kommen. Überall auf der Welt.“3

So wie in unserem Gleichnis: der ängstliche Diener wird ausgestoßen.

Mishra kommt selbst aus einem kleinen indischen Dorf im Himalaya und genoss durch seine Eltern eine vormoderne Erziehung. Er hat zwar durch Fleiß, Intelligenz aber auch durch Glück, wie er betont, den Aufstieg geschafft. Aber er kennt so viele junge Männer aus seiner Heimat, die nicht so viel Erfolg hatten wie er und die innerlich zerrissen sind. Denn:

2. These: Die moderne Zeit, also unsere Epoche, drängt jeden zur Entfaltung. Mishra im Spiegel-Interview „In der Moderne ist die Befreiung ja zu einer Art Pflicht des Individuums geworden. Junge Männer müssen die Vergangenheit hinter sich lassen und sich aufmachen in ein neues Zeitalter, um neue Möglichkeiten der Selbstentfaltung und Ausdehnung zu erschließen. Das birgt viele Möglichkeiten der Enttäuschung. Wenn die Gesellschaft etwa noch nicht weit genug entwickelt ist, diese Bedürfnisse aufzufangen.“ Mishra untersucht die verschiedensten frustrierten jungen Männer, deren Zorn mit Gewalt ausbricht. Er nimmt die letzten zwei Jahrhunderte in den Blick: Deutsche Befreiungskämpfer gegen Napoleon, russische und italienische Anarchisten, japanische Nationalisten, amerikanische Attentäter, militante Hindus, radikale Iraner, Islamisten verschiedenster Couleur.

3. These: Zwiespältiges Verhältnis zur Moderne Die Nachkommenden, seien das nun einzelne Menschen oder ganze Nationen und Völker, zeigen immer wieder ein zwiespältiges Verhältnis zur Moderne auf. Auch Deutschland durchlitt dieses zwiespältige Verhältnis zur Moderne im 19. Jahrhundert. Intellektuelle wie Herder oder Fichte waren erst begeistert von der französischen Revolution und dann entsetzt über die Expansion Napoleons. Ein Schwanken zwischen Faszination und Ablehnung und eine Suche nach dem Eigenen, dem Identitätsstiftenden. Das finden wir dann auch bei den Romantikern, bei Richard Wagner, in der Bismarck-Politik. Für Mishra ist gerade das deutsche Beispiel sehr erhellend. Mishra im Spiegel-Interview: „Deutschland hat sich selbst lange als „verspätete Nation“ gesehen. Als Land, das spät in die Moderne eingetreten ist, das spät zum Nationalstaat wurde. Länder mit dieser Geschichte haben oft das Gefühl, ihnen bleibe keine Zeit mehr. Alles müsse jetzt schnell gehen, Kolonien müssen her, Industrialisierung, starke Armeen. Sie müssen von den Feinden lernen. Das lässt sich im Deutschland des 19. Jahrhunderts beobachten. Dann in Japan, das sich an Deutschland orientiert. Und dann kommen viele andere Länder in Afrika und Asien. SPIEGEL: Sind die „verspäteten Nationen“ möglicherweise der Normalfall? Und nicht Frankreich, England oder die Vereinigten Staaten? Mishra: Ganz genau! Die amerikanische oder englische Erfahrung sind die historische Ausnahme.“

Nach diesen drei Thesen möchte ich zwei Bemerkungen über Mishras Vorgehensweise anführen:

Mishra versucht eine Analyse der Gegenwart, in der er bewusst auch die Position der Schwächeren und Enttäuschten einnimmt. Er schreibt keine Siegergeschichte!

Mishra zieht viele Vergleiche und stellt seine Analyse in einen großen historischen Kontext, den er mit der Aufklärung beginnen lässt.

Die Stärke und das Erhellende seiner Analyse besteht genau darin: sein größerer historischer Kontext und seine vielen Vergleiche und Parallelen.

Es ist wie mit verschiedenen Einstellungen einer Kamera: Ein Weitwinkelobjektiv liefert uns Bilder, die eine größere Gesamtschau liefern. Luftbildaufnahmen mit dem Weitwinkelobjektiv können uns größere Zusammenhänge in einer Landschaft zeigen. Jedoch Details und kleinere Differenzen können nicht erfasst werden. So ist es auch mit Mishras Analyse: Es ist eine Weitwinkelbetrachtung, die 250 Jahre in den Blick nimmt, um die Phänomene von heute zu verstehen. Nur unter dieser Perspektive kann er z. B. Ähnlichkeiten entdecken zwischen einem italienischen Führer nach dem I. Weltkrieg, namens D`Annunzio, der einen eigenen Staat errichtete, einem amerikanischen Terroristen namens Timothy McVeigh, der 1995 mit seiner Autobombe 168 Menschen tötete, dem Anarchisten Bakunin aus dem 19. Jahrhundert und dem heutigen Islamischen Staat.

Diese Ähnlichkeiten führen Mishra auch zu der erstaunlichen 4. These:

4. These: Terrorismus ist ein modernes Phänomen, nicht ein primär religiöses! Mishra in der ZEIT: „Wir haben uns bloß daran gewöhnt, zornige junge Männer, die gewalttätig werden, primär als Phänomen zu deuten, das etwas mit Religion, speziell dem Islam, zu tun hätte. Das ist intellektuell und politisch kontraproduktiv. Man ignoriert damit die lange Geschichte des Terrorismus, in der Religion nie eine entscheidende Rolle gespielt hat. Vielmehr hat das mit jungen Männern in ausweglosen Verhältnissen zu tun, die versuchen, Gefühle von Wut und Machtlosigkeit mit spektakulären Gewaltakten zu überwinden. Dieses Muster kann man bereits im 19. Jahrhundert beobachten: in Russland, Spanien, Italien und den Vereinigten Staaten. Menschen aller Religionen und Nationalitäten haben Terrorismus als Mittel benutzt, um politische Ziele zu erreichen oder um ihre Verachtung für die Gesellschaft, in der sie leben, zu zeigen. Dieser Wunsch nach Zerstörung kommt nicht von außerhalb, sondern ist Teil moderner Gesellschaften.“

Der Islam hat sicherlich genug Anhaltspunkte schon in seinen Ursprüngen, um ihn bei gewaltsamen Zorn-Projekten als Ideologie einsetzen zu können. Das hat z. B. der ägyptische Intellektuelle Abdel Samed in mehreren Büchern aufgezeigt. Jedoch bei komplexen Phänomenen können wir immer verschiedene Betrachtungsebenen nebeneinander benutzen. Eine „Weitwinkelbetrachtung“ eines Mishra und eine „Religionswinkelobjektivbetrachtung“ eines Abdel Samed ergänzen sich.