Prinzessin Mathilda - Telse Maria Kähler - E-Book

Prinzessin Mathilda E-Book

Telse Maria Kähler

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Beschreibung

Prinzessin Mathilda aus dem Seenland reist in geheimer Mission nach Trontburg, um König Heinrich von Jödland zu heiraten. Sie hat die Königsstadt schon fast erreicht, als ein Drachenei das Licht der Welt erblickt — ausgerechnet in Mathildas Prinzessinnenbett. Wenn ein neuer Drache geboren wird, ist das ein Zeichen für eine Zeitenwende. Das Ei muss also unbedingt ausgebrütet werden. Gemeinsam mit ihren beiden Drachen Feodora und Kasimir sowie Königin Isabella und Ritter George begibt sich Mathilda auf die Suche nach einer Bruthöhle.

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Inhaltsverzeichnis

Ein Drache im Prinzessinnenbett

Die Prinzessin im Kartoffelsack

Flucht aus dem Turm

Auf dem Weg ins Advillen-Gebirge

Verschollen im Berg

Zwei Prinzessinnen und ein kleiner Drache

Die Autorin:

Weitere Kinderbücher

Impressum

Ein Drache im Prinzessinnenbett

Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem Königreich namens Jödland. Das Königreich Jödland bestand aus zwölf Herzogtümern und einigen Rittergütern, deren Oberhäupter Heinrich den Starken zum König gewählt hatten. Eine Reisegruppe aus dem Nachbarland im Westen, dem Seenland, hatte sich auf den Weg zur Königsburg Dankerode in der Königsstadt Trontburg gemacht, um die Hochzeit von König Heinrich von Jödland mit ihrer Prinzessin vorzubereiten.

Auf ihrem Weg nach Trontburg passierten sie eine Furt. Die Furt befand sich nur wenige Minuten von Meseburg entfernt, einer kleinen Stadt, in der sie zwei Tage Rast machen wollten. Hinter der Furt, gut im Gehölz verborgen, lauerten einige Wegelagerer. Die sechs Männer waren guter Laune, denn sie erwarteten fette Beute. Sie wussten, einige Reisenden würden die Furt in kurzer Zeit erreichen und sie hatten drei Packpferde dabei.

„Sie kommen! Ich kann sie schon sehen!“, raunte ein ungepflegter Kerl mit einem grauen Bart.

„Du kümmerst dich um den Baumstamm!“, flüsterte der Graubart seinem Kumpan zu. Er zeigte auf einen dicken Ast, der an einem Seil über dem Weg zwischen zwei Bäumen hing. Vom Blätterdach der Bäume verborgen, war er kaum zu sehen. „Nachdem du das Seil gekappt hast und sie anhalten, stürmen wir aus dem Wald und dann holla …!“ Erwartungsvoll rieb er sich die Hände.

Die Männer nahmen ihre Positionen ein.

Ein scharfer Windzug war zu spüren und der Graubart schaute überrascht auf. Etwas Großes zischte durch die Luft. Zwei imposante Kreaturen landeten auf dem Weg, bauten sich vor den Wegelagerern auf und breiteten knurrend ihre großen Schwingen aus.

Die Männer machten große Augen.

„Das … das sind Drachen!“, flüsterte einer ehrfurchtsvoll.

„Ich an eurer Stelle würde das Weite suchen!“, dröhnte eine tiefe Stimme durch den Wald.

Die Wegelagerer sahen einander an. „Wir, das Weite suchen?“, ergriff der Graubart das Wort. „Wir greifen an!“

„Das würde ich nicht tun!“ Der zweite Drache klang etwas heller, doch nicht weniger furchterregend. Aus den Nüstern der beiden stieg Rauch hervor. Sie verzogen ihre Mäuler zu einem Grinsen, bleckten ihre Zähne und ließen kleine Flammen durch die Luft züngeln.

Die Männer erstarrten. Dann schrie der Graubart: „Los, Männer, nichts wie weg!“

Panisch vor Angst liefen die Männer in den Wald, um sich in Sicherheit zu bringen.

„Das hat ja gedauert!“, brummelte der Größere der beiden Drachen. „Sonst stürmen sie schon davon, sobald sie uns sehen!“

Inzwischen war die Reisegruppe herangekommen. Ohne Zwischenfälle überquerten sie die Furt und ritten weiter nach Meseburg.

Mitten in der kleinen Stadt Meseburg auf einem Hügel stand ein Schloss mit einer hohen Schlossmauer, einem Wassergraben und einem Schlossteich. Auf den Schlosshof gelangte man über eine Brücke, die über den Schlossgraben führte, und durch ein großes eisernes Tor, das jeden Abend sorgfältig verschlossen wurde.

Auf der Mauer des Schlossgrabens saß eine junge Frau. Sie trug ihr blondes Haar zu Zöpfen gebunden. Ihre Augen waren himmelblau. Lustlos spuckte sie Kirschkerne in das fahlgrüne Wasser des Schlossgrabens.

Ein Junge kam die Mauer entlangbalanciert, geradewegs auf sie zu. Ohne zu fragen, setzte er sich neben sie.

„Wie heißt du?“, fragte er.

„Ich heiße Mathilda“, antwortete die junge Frau.

„Ich bin Johann!“ Johann war vierzehn Jahre alt. Seine Nase war voller Sommersprossen, seine Haare leuchteten in einem dunklen Braun. Gemütlich ließ er die Beine baumeln. Unter seinen Füßen floss das Wasser des tiefen Schlossgrabens. Johann hatte keine Angst hinunterzufallen, denn er war ein geschickter Kletterer.

„Musst du gar nicht helfen? In der Küche meine ich“, fragte er. Neugierig sah er Mathilda an. Er hielt sie für ein Küchenmädchen, denn sie trug ein schlichtes blaues Kleid aus Leinen mit einer weißen Schürze. Ihre Zöpfe baumelten lustig in der Sonne. „Sie bereiten schon alles für das Festmahl vor. Die Mägde sagen, heute wäre hoher Besuch zu Gast“, fuhr Johann fort.

„Nein, mich brauchen sie in der Küche nicht. Und bis zum Abendessen dauert es noch!“, sagte Mathilda und bot dem Jungen einige ihrer Kirschen an. „Hier, die sind lecker!“

„Du kommst nicht von hier, stimmt’s?“, fragte Johann. „Gehörst du zu den Reisenden, die heute Morgen angekommen sind?“ Schnell steckte er sich eine Kirsche in den Mund. Den Kirschkern spuckte er im hohen Bogen über den Schlossgraben.

„Ja, wir kommen aus dem Seenland. Hier im Schloss sind wir zwei Nächte zu Gast. Mutter will, dass wir unsere Kleider reinigen, bevor wir weiterreisen, damit wir einen guten Eindruck auf den König machen“, berichtete die junge Frau. „Ich reise nur mit einer kleinen Reisegruppe. Weißt du, in Kürze werde ich den König Heinrich heiraten“, fuhr sie fort. „So einen alten Mann!“, fügte sie traurig hinzu.

„Wenn du das nicht willst, dann sag doch einfach Nein!“, schlug Johann vor.

„Geht nicht!“, antwortete Mathilda. Dabei zog sie ganz und gar nicht damenhaft die Nase hoch.

„Ich bin eine Prinzessin. Mein Vater ist der König vom Seenland. Er hat mich König Heinrich zur Frau versprochen. Dieses Versprechen muss gehalten werden, sonst gibt es Krieg!“, fuhr sie mit ernstem Gesicht fort.

Mathilda war die einzige Tochter König Richards vom Seenland. Seenland war eine Seefahrernation. Alte verwunschene Wälder und viele große Seen hatten dem Land seinen Namen gegeben. Da das Land vom Meer umgeben und durch den Seehandel reich geworden war, hatte es viele Feinde. Immer wieder kam es zu Überfällen auf die Bevölkerung. Doch die Seenländer waren ein wehrhaftes Volk und sie hatten treue Verbündete. Zu ihnen gehörte König Heinrich von Jödland.

König Heinrich seinerseits fühlte sich von den Nordländern bedroht. Seine Allianz mit dem Seenland stärkte seine Macht. Sehr zum Missfallen der Prinzessin besiegelten Könige ihre Allianzen gern durch eine Ehe mit einem Mitglied aus dem Königshaus. So erfüllte Mathilda ein altes Versprechen, als sie sich aufmachte, um König Heinrich zu heiraten.

„Aber … aber… du bist doch noch so jung. So jung kann man doch nicht Königin werden!“, widersprach Johann erstaunt.

Mathilda seufzte: „Da kann man nichts machen. Ein Versprechen ist ein Versprechen!“

Wie aus dem Nichts tauchten zwei Drachen über ihnen auf, umkreisten die beiden und ließen sich links und rechts von ihnen ebenfalls auf der Schlossmauer nieder. Mit großen Augen starrte Johann von dem einen Drachen zum anderen. Fast wäre er von der Mauer gefallen, aber nur fast. Mathilda freute sich über die Ankunft der beiden, daher beschloss Johann, ebenfalls mutig zu sein.

„Prinzessin Mathilda, du sollst doch nicht immer auf den Mauern herumklettern. Was hast du dir dabei gedacht. Du machst dich noch ganz schmutzig!“, klagte der Drache mit den roten Punkten auf dem Bauch.

„Ach, Feodora, nirgends habe ich meine Ruhe. Überall wollen sie etwas von mir. Mathilda hier, Prinzessin da – ich halte es nicht mehr aus. Ich will nach Hause!“, schluchzte Mathilda.

„Oh, Liebes“, antwortete Feodora nun mit ganz sanfter Stimme, „du weißt, das geht nicht.“

Kasimir, der zweite Drache, war etwas größer als Feodora, die mit ihren zweieinhalb Metern nun auch nicht gerade klein war. Er hatte rote Stacheln auf dem Rücken. Seine Schuppen waren etwas dunkler als die seiner Partnerin.

Kasimir und Feodora gehörten zur Storborger Drachengarde, einer alten Drachendynastie, die seit über tausend Jahren im Storborg-Gebirge im Norden des Seenlandes lebte. Es gab nur noch wenige Drachen. Die meisten Arten waren während der letzten Jahrhunderte ausgestorben. Die Storborger Drachen dienten keinem Herrn. Nur ganz selten stellten sie sich in den Dienst eines Königs. Als König Richard von Seenland anfragte, ob zwei der Drachen bereit seien, Prinzessin Mathilda und ihrer Mutter Königin Isabella nach Jödland zu begleiten, wurden Kasimir und Feodora für diese Aufgabe ausgewählt. Mathilda hatte die beiden Drachen sofort ins Herz geschlossen, denn sie sorgten sehr liebevoll für die Prinzessin und ihre Mutter, Königin Isabella, die genau wie Ritter George ebenfalls zur Reisegruppe gehörte. Kasimir und Feodora beherrschten viele Sprachen, zum Beispiel die von Tieren. Mit den Menschen sprachen sie jedoch nur, wenn sie die Person für würdig erachteten oder um ihnen einen Schreck einzujagen.

„Feodora braucht Hilfe, Mathilda!“, brummte Kasimir.

„Was ist los, Feo?“

Besorgt sah Mathilda ihre Drachenfreundin an.

„Ich habe Bauchschmerzen!“, murmelte die Drachenfrau.

„Drachen bekommen keine Bauchschmerzen!“, entfuhr es Johann. Er hatte schon viele Drachengeschichten gehört. Keine dieser Geschichten erzählte von einem Drachen mit Bauchschmerzen. Allerdings hatte Johann noch nie einen echten Drachen zu Gesicht bekommen. Feodora und Kasimir waren die ersten Drachen, die er mit eigenen Augen sah. Aber Bauchschmerzen?

„Ach, Feo. Du hast nur wieder zu viel Schlagrahm genascht. Eines Tages werden sie dich in der Schlossküche erwischen und dann sperren sie dich ins Verlies“, neckte Mathilda ihre Freundin.

Nur ganz wenige Menschen wussten, wie gerne sich Feodora in die Schlossküche schlich, um Schlagrahm zu schleckern, obwohl der eigentlich für die Torten bestimmt war.

„Nein, Prinzessin. Es ist schlimmer. Es zieht und rumpelt, als würden junge Hunde in meinem Bauch miteinander kämpfen. Sogar das Fliegen fällt mir schwer!“, klagte die Drachenfrau. So unglücklich hatte Mathilda ihre Drachenfreundin noch nie gesehen.

„Dein Bauch ist ja ganz geschwollen und deine Punkte sind tiefrot.“ Nachdenklich sah die junge Frau ihren Drachen an. Dann sagte sie: „Du musst ins Bett! Dort wirst du warm zugedeckt und bekommst einen heißen Tee!“

„Aber, Prinzessin, ich habe kein Bett …“, setzte Feodora gerade an, doch Mathilda kam ihr zuvor: „Du bekommst mein Bett. Keine Widerrede!“

Die Schlossherrin, Herzogin Eleonora von Meseburg, hatte Mathilda und ihrer Reisegruppe einige Räume im großen Turm des Schlosses zur Verfügung gestellt. Dazu gehörten drei Schlafräume und ein Salon.

Mathilda freute sich über ihr eigenes Prinzessinnenzimmer. Das war ein großer Luxus, der ihr auf dieser Reise nur selten zuteilwurde. Denn die Reisegruppe versuchte, möglichst unauffällig zu reisen. Zu viele Feinde wollten die Heirat von König Heinrich von Jödland und Prinzessin Mathilda vom Seenland verhindern. So reisten sie getarnt in schlichter Kleidung: Prinzessin Mathilda, Königin Isabella und Ritter George sowie die beiden Drachen Kasimir und Feodora. Auf dem Weg nach Trontburg übernachteten sie oft in Zelten oder in einfachen Wirtshäusern. Immer bemüht, möglichst unauffällig voranzukommen. Die Drachen flogen meist voraus. Oft verbargen sie sich im Wald. Für die meisten Menschen unsichtbar, sorgten sie dafür, dass die Reise zügig voranging.

Mit großen Augen sah Johann Mathilda an. War das das Mädchen von eben? Mathilda wirkte plötzlich so erwachsen. Wie eine richtige Prinzessin, die genau wusste, was sie wollte, und es gewohnt war, Befehle zu erteilen.

Mathilda zeigte auf ein Fenster im Schlossturm. „Dort oben treffen wir uns!“, sagte sie zu Feodora. Dann wandte sie sich an Johann: „Hilfst du mir? Ich kenne mich hier noch nicht so gut aus!“

Johann nickte. Die beiden Drachen setzten zum Flug an und er führte Mathilda quer über den Schlosshof in den Turm zum Prinzessinnenzimmer. Oben angekommen öffnete Mathilda ein Fenster, um ihre Drachen hereinzulassen. Dann ging sie zum gemütlichen Bett mit Baldachin und schlug die Bettdecke auf.

„Sofort ins Bett mit dir!“, wies sie Feodora an.

Feodora war eine sehr nörgelnde Patientin. Nun ja, Drachendamen waren es ja auch nicht gewohnt, in einem Bett zu liegen. Mathilda hatte alle Hände voll zu tun, um sie zu beruhigen.

Sie schickte Johann in die Küche, um Tee zu holen. Dann erhielt er den Auftrag, weitere Kissen herbeizuschaffen. Geschwind tat er alles, was die Prinzessin ihm auftrug.

Kasimir lag vor dem Kamin und beobachtete aufmerksam das emsige Treiben. Plötzlich stieß Feodora einen herzzerreißenden Schrei aus. Besorgt lief Mathilda zum Bett. Mach dir keine Sorgen, alles ist gut, signalisierte ihr die Drachenfrau.

„Ist wirklich alles gut?“ Zärtlich strich die Prinzessin Feodora über ihren Drachenarm.

Feodora seufzte: „Ja, der Schmerz ist vorbei!“

Wenige Sekunden später klopfte es an der Tür.

„Prinzessin, geht es euch gut?“, fragte eine tiefe Stimme auf dem Gang hinter der Tür.

„Ja, ja, Master George. Ich habe mich am Tisch gestoßen. Alles ist in Ordnung“, rief Mathilda schnell, um ihren Ritter zu beruhigen. „Sagt meiner Mutter, ich bin dabei, mich umzukleiden. In wenigen Minuten bin ich fertig. Dann komme ich in den Rittersaal.“

„Geht es euch auch wirklich gut?“, vergewisserte sich Ritter George. Er hatte vom König persönlich den Auftrag erhalten, Mathilda und ihre Mutter, Königin Isabella, nicht aus den Augen zu lassen. George stammte aus einem alten Adelsgeschlecht und war seinem König treu ergeben. Übrigens, George spricht man auf seeländisch „Tschortsch“ aus.

„Ja, ja! Nun geht schon, Master George. Meine Mutter wird sicherlich schon auf mich warten“, antwortete Mathilda. Sie hatte ihren Satz noch nicht beendet, als die Tür aufflog. Herein rauschte die Königin.

„Was ist hier los?“, rief sie. Missbilligend sah sie Feodora an. „Mathilda, was hat Feodora in deinem Bett zu suchen?“ Energisch stemmte sie beide Hände in die Hüften, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

Ungelenk, mit schlechtem Gewissen und vorsichtigen Bewegungen, rollte sich Feodora aus dem Bett. Liebevoll sah sie auf etwas Rundes.

„Ein Drachenei! Feodora … Auf dieser Reise können wir kein Drachenkind gebrauchen. Dafür ist diese Reise viel zu wichtig!“, schimpfte die Königin mit strenger Stimme. „Zieh dich um, Mathilda! Man erwartet uns!“ Dann verließ sie den Raum so schnell, wie sie gekommen war.

Zum Glück hatte die Königin Johann nicht bemerkt. Eingeschüchtert von Königin Isabellas schlechter Laune hatte er sich schnell hinter die geöffnete Tür gestellt.

Eigentlich war Königin Isabella eine freundliche, zugewandte Frau. Doch seit sie Meseburg betreten hatten, war sie nervös. Obwohl der Schlossherr, Herzog Albert, gebeten worden war, den Aufenthalt der Königin im Schloss geheimzuhalten, veranstaltete man ihnen zu Ehren ein großes Festbankett, zu dem die wichtigsten Bürger und Adeligen der Stadt eingeladen worden waren. Und nun auch noch das!

„Ach du dickes Ei!“, lachte Johann. Da lag doch tatsächlich ein grünlich-gelbes Ei mit dunklen Punkten in Mathildas Bett. So ein großes Ei hatte er noch nie gesehen.

„Ach du dickes Ei!“, rief auch Mathilda. Erstaunt sah sie Feodora an. Dann ging sie zu dem Bett und streichelte liebevoll das Drachenei.

Feodora sah Mathilda streng an. „Gehorche deiner Mutter, Liebes!“, sagte sie. Man sah ihr an, dass sie sehr unglücklich war. „Die Königin hat recht. Der König hat Kasimir, mich und Master George auf diese Reise gesandt, damit wir dich beschützen. Es ist nicht die Zeit für ein Drachenei. Deine Reise geht vor!“

Staunend hockte der Drachenmann am Kamin. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Mach dir keine Sorgen!“, sagte er zu Feodora.

Dann wandte er sich an Mathilda: „Gehorche deiner Mutter, Prinzessin. Zieh dich um. Es wäre unhöflich gegenüber Herzog Albert und Herzogin Eleonora, zu spät zum Festmahl zu erscheinen!“ Kasimirs Stimme signalisierte, dass er alles in Ordnung bringen würde.

Während Johann das Zimmer verließ, tauschte Mathilda ihr schlichtes blaues Kleid gegen ein Kleid aus rotem Samt mit weißer Spitze. Ihre langen Zöpfe frisierte sie zu einer Haarkrone, die sie mit kleinen Perlen verzierte. Ruckzuck wurde aus dem einfachen Mädchen eine Prinzessin.

Während Mathilda an diesem Abend auf dem Festbankett leckere Köstlichkeiten verspeiste, überlegten Feodora und Kasimir, was mit dem Drachenei geschehen sollte.

Immer noch überrascht von der Schönheit ihres Dracheneis hockten die beiden Drachen vor dem Bett. Mit zärtlicher Bewunderung streichelte Feodora das Ei. So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen.

„Was machen wir nur?“ Hilflos sah Feodora Kasimir an.

„Sollen wir … es im Schlossteich versenken?“, fragte Kasimir zögerlich. Man sah ihm an, dass er es unmöglich übers Herz bringen würde.

Feodora schluchzte auf. Große, dicke Drachentränen liefen ihr übers Gesicht. Traurig schüttelte sie den Kopf.

„Vielleicht finden wir hier im Schloss jemanden, der bereit ist, es für uns zu verwahren“, überlegte Kasimir. Nach einigem Nachdenken stellten sie fest: Nein, das war keine gute Lösung. Drachenküken schlüpften nur alle tausend Jahre und nur in einem besonders wichtigen Zeitalter. Entsprechend kostbar war ein Drachenei. Auf keinen Fall durfte das Drachenei in falsche Hände geraten!

Etwas musste geschehen. Bald würden Mathilda und die Königin vom Festmahl zurückkommen. Sollten sie die beiden in die Bedeutung des Dracheneis einweihen?

Johann war vom Prinzessinnenzimmer aus direkt in den Pferdestall gegangen. Intuitiv wusste er, dass er das Drachenei beschützen musste. Dieser kleine Drache musste unbedingt das Licht der Welt erblicken und er wollte dabei sein.

Johann war ein Waisenkind. Sein einziger Besitz war ein Koffer, der aussah wie eine kleine Truhe. Der Koffer war dunkelrot und hatte zwei schwarze Gurte, um ihn zu verschließen. Er war alt, sehr alt. In dem Koffer lagen einige alte Kleidungsstücke von Johann, ein Armreif seiner Mutter und der Dolch seines Vaters. Das mit dem Dolch durfte natürlich niemand wissen. Deshalb lag er ganz unten im Koffer, eingewickelt in ein Leinentuch, gut versteckt in dem alten Schuh seines Vaters.

Johanns Eltern waren vor drei Jahren gestorben. Damals zog eine Grippeepidemie durchs Land und forderte viele Todesopfer. Seitdem war Johann auf sich gestellt. Nach dem Tod seiner Eltern wusste zunächst niemand, was aus dem Jungen werden sollte. In der kleinen Stadt wurde er gehänselt und von einer Familie zur anderen gereicht. Schließlich bestimmte Herzogin Eleonora, dass Johann dem Koch tagsüber in der Küche helfen sollte. Seinen Schlafplatz erhielt er in der Kammer des Kochs. Dafür war Johann der Herzogin sehr dankbar.

Er liebte seine Arbeit in der Küche. Er lernte Brot zu backen, Gemüse zu putzen, durfte im Schlossgarten Kräuter ernten und manchmal sogar ein Dessert für die Herzogin zubereiten.

Am frühen Abend endete sein Dienst in der Küche. Dann lief er in den Pferdestall, um dem Stallknecht bei der Stallarbeit zu helfen. Der Stallmeister, der eigentlich für die Aufsicht der Pferde verantwortlich war, ließ sich nur selten blicken und Josef, der Stallknecht, war alt und manchmal trank er zu viel Bier.

Johann mochte die Abende im Pferdestall, den Geruch des frischen Heus und die Geräusche der Pferde, wenn sie zufrieden und satt waren und es draußen dämmerte. In einem großen alten Futterkasten, in dem altes Sattelzeug und nicht mehr benutzte Pferdedecken lagen, hatte er seinen Koffer versteckt.

An diesem Abend fasste Johann einen Entschluss: Er wollte sich bei einem edlen Ritter als Bursche verdingen. Einmal im Jahr trafen sich in Trontburg die Ritter von nah und fern auf der Burg Dankerode zu den großen Ritterspielen. Was, wenn er sich der Reisegesellschaft aus dem Seenland anschließen würde, die ja auf dem Weg nach Trontburg war? Eine bessere Gelegenheit, das Drachenei zu beschützen, würde er nicht bekommen.

Wenn er Feodora und Kasimir von seinem Plan überzeugen könnte, ihn mit nach Trontburg zu nehmen, könnte er ihnen anbieten, das Drachenei versteckt in seinem Koffer mitreisen zu lassen. Die Königin müsste davon nichts erfahren.

Ein unruhiges Hufgetrappel holte Johann aus seinen Grübeleien. Es kam aus einer der Pferdeboxen am Ende des Stalls. Viele Pferde schliefen bereits. Einige kauten noch genüsslich etwas Heu, aber dem Pferd in der hintersten Box schien es nicht gut zu gehen.

Eni hieß die Stute, die in dieser Box stand. Johann ging zu ihr. Eni stand in der dunklen Ecke und glotzte ihn teilnahmslos an. Früher war ihr Blick klar und aufmerksam gewesen, doch heute kam er dem Jungen ziemlich trübe vor.

Obwohl Johann die Schimmelstute sehr mochte, hatte er Angst, zu ihr zu gehen. Vorsichtig lugte er durch die Gitterstäbe der Boxentür.

Eine starke Hand packte ihn und schob ihn beiseite. Es war Master George. Der Ritter kümmerte sich persönlich um die Pferde der Reisegruppe aus dem Seenland. Sie standen bei den Gastpferden im vorderen Teil des Stallgebäudes. George hatte mitbekommen, dass bei einem der Pferde im hinteren Teil des Stalls etwas nicht stimmte. Nun wollte er nachsehen, ob er helfen könnte.

„Sie ist schon seit einigen Tagen so unruhig und lässt niemanden an sich heran“, murmelte Johann.

Der Ritter öffnete die Boxentür und musterte die Schimmelstute im Halbdunkeln. Mit großen Augen sah Eni ihn an und starrte doch ins Leere.

„Schau, dort unten am rechten Bein hat sie eine dicke Beule. Es sieht so aus, als wäre es ein Furunkel. Man muss die Eiterbeule aufschneiden. Wer ist denn dafür zuständig? Warum sorgt denn niemand für die Stute?“, fragte der Ritter besorgt.

„Sie steht schon eine ganze Weile hier. Sie wird von niemandem mehr geritten. Der Herzog hat jetzt ein neues Pferd“, wusste Johann.

Voller Unverständnis schüttelte Master George den Kopf. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er davon.

Es war bereits dunkel. Mit einem kribbelnden Gefühl im Bauch lief Johann zurück in den Schlossturm zum Prinzessinnenzimmer. Vielleicht waren die beiden Drachen noch dort. Zaghaft klopfte er an die Tür. Nachdem er Feodoras Stimme vernahm, huschte er so leise wie möglich ins Zimmer.

„Ich weiß, wo ihr das Drachenei verstecken könnt!“, rief er hastig, kaum dass er das Zimmer betreten hatte.

Die beiden Drachen saßen noch immer ratlos vor Mathildas Bett. Nun hoben sie den Kopf. Hoffnungsvoll sahen die baldigen Dracheneltern den kleinen Jungen an.

„Ich habe einen alten Koffer. Der steht versteckt im Pferdestall und ist groß genug für ein Drachenei“, berichtete Johann aufgeregt. Er holte tief Luft. „Und wenn ich mit euch nach Trontburg reisen darf, kann das Drachenei im Koffer mit uns reisen, ohne dass jemand etwas davon erfährt!“, platzte es aus Johann heraus. Erwartungsvoll sah er die beiden Drachen an.

Nachdenklich blickte Feodora von Kasimir zu Johann und dann wieder zu Kasimir.

„Das könnte klappen!“, sagte sie schließlich.

„Wir könnten Master George vorschlagen, dich als Bursche mitzunehmen. Er kann Hilfe bei den Pferden gebrauchen“, schlug Kasimir vor. „Zeig uns den Koffer, wir treffen uns im Stall.“

Johann öffnete das Fenster im Prinzessinnenzimmer, so dass die beiden Drachen zusammen mit dem Drachenei direkt zum Pferdestall fliegen konnten. Kaum hatte Johann das Fenster wieder geschlossen und das Zimmer verlassen, hörte er Stimmen auf dem langen Gang. Schnell drückte er sich in eine Nische, um nicht gesehen zu werden. Königin Isabella und Mathilda kamen die Treppe herauf, von der aus ein langer Gang zu den Räumen der Königin führte. Das Festbankett war beendet. Master George hielt sie auf.

„Königin Isabella, Ihr müsst Euch ein Pferd ansehen. Bitte! Es hat ein eitriges Furunkel und ist schon ganz apathisch. Wenn niemand der Stute hilft, wird sie elendig sterben.“

Ritter George konnte es kaum ertragen, wenn ein Pferd unnötig leiden musste. Die Königin wusste das und sie wusste, dass sie helfen konnte.

Obwohl Isabella als Königin über alle Privilegien des Königshofs verfügte, hatte sie ein großes Herz für verletzte Tiere. Sie verfügte über Wissen in Heil- und Kräuterkunde und war sich nicht zu schade, die Tiere selbst zu behandeln. Deshalb nannte man sie im Seenland liebevoll die königliche Heilerin.

Die Königin nickte. „Mathilda, zieh dich um. Ich brauche dich im Pferdestall. Bringe eine Laterne mit.“

Sie wollte gerade die Tür zum Schlafgemach öffnen, als ihr noch etwas einfiel.

„Mathilda, hol diesen Jungen von heute Nachmittag, mit dem du auf der Schlossmauer gesessen hast. Er soll uns helfen!“ Dann verschwand sie in ihrem Zimmer.

Ritter George nickte Mathilda zu. „Ich bereite schon mal alles vor!“ Mit großen Schritten ging er Richtung Treppe.

Ratlos stand Mathilda da. Wo sollte sie denn zu dieser Zeit nach Johann suchen? Bestimmt würde er schon schlafen. Das war der richtige Augenblick. Johann trat aus der Nische hervor und tat so, als käme er zufällig vorbei.

„Kann ich helfen?“, fragte er und freute sich über Mathildas Lächeln.

Natürlich wollte Johann gerne dem Pferd helfen, doch vorher musste er den beiden Drachen den alten Koffer zeigen. Sie warteten ja bereits auf ihn. So schnell er konnte, rannte er zum Pferdestall. Er hoffte, dass Master George nicht direkt zum Pferd zurückgegangen war.

Im Stall angekommen brauchten Johanns Augen einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann entdeckte er Feodora und Kasimir, die ihn erwartungsvoll anblickten. Kurz und außer Atem erklärte Johann ihnen, dass die Königin gleich in den Stall kommen würde. Dann lief er zu dem Futterkasten vor der Sattelkammer. Unter dem alten Sattelzeug hatte Johann seinen alten Koffer versteckt. Ohne weitere Worte legte Feodora ihr Ei zwischen die wenigen Kleidungsstücke in den Koffer. Morgen würde sie eine weiche Decke für das Drachenei besorgen. Heute musste es schnell gehen.

Kaum hatten die beiden Drachen den Pferdestall durch das Tor auf der anderen Seite verlassen, traten Mathilda und ihre Mutter gefolgt von Master George, der eine Laterne geholt hatte, ein und gingen direkt auf Johann zu.

„Bitte hol uns heißes Wasser und einige saubere Lappen!“, bat die Königin ihn.

Die Stimme gehörte zwar der Königin, Johann hatte sie sofort wiedererkannt. Doch vor ihm stand eine ganz andere Frau. Königin Isabella hatte ihr kostbares Kleid aus blauer Seide gegen das schlichte Gewand einer Magd getauscht. Auf dem Kopf trug sie eine weiße Haube, unter der eine Locke ihres blonden Haares vorwitzig hervorblitzte. In ihrer Hand hielt sie eine braune Ledertasche. Auch Mathilda trug ein schlichtes Kleid, aber das kannte Johann ja schon vom Nachmittag, als sie auf der Schlossmauer Kirschkernspucken geübt hatten.

Master George musste grinsen, als er die Verwunderung Johanns bemerkte. Ohne lange zu zögern, öffnete er die Tür zur Pferdebox und leuchtete mit seiner Laterne hinein. Behutsam ging die Königin auf die Stute zu.

„Ruhig, ganz ruhig. Wir tun dir nichts. Wir wollen dir helfen!“, flüsterte die Königin mit sanfter Stimme. In der Hand hielt sie ein Bündel Kräuter. Neugierig schnupperte Eni an den Kräutern. Die Heilkräuter sollten die Schimmelstute beruhigen.

Schon wenige Momente später begann das Pferd, langsamer und tiefer zu atmen.

---ENDE DER LESEPROBE---