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In den Tiefen Château Montagnes gibt es Geheimnisse, die nicht einmal Professor Zamorra kennt. Insofern ist die magische Spur, die eines Tages aus den Gewölben unter dem Schloss bricht und sich quer durch Frankreich bis nach Paris zieht, in der Tat eine Überraschung.
Bei der Untersuchung der Frage, ob von dieser Spur Gefahr ausgeht oder nicht, treffen Zamorra und Nicole erneut auf den Agenten Onyx von der Section Spéciale. Er hat einen ganz besonderen Fall von Kirchenschändung auf dem Schreibtisch, der irgendwie mit der magischen Spur zusammenzuhängen scheint ...
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Seitenzahl: 146
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Impressum
Ein Engel von jenseits der Nacht
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BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Blaithiel / Rainer Kalwitz
Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-2705-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Ein Engel von jenseits der Nacht
von Adrian Doyle
Als er die Augen aufschlug, war es taghell. Er hatte bis spät in die Nacht gearbeitet und war dann erschöpft ins Bett gefallen.
Er erinnerte sich, von Paris geträumt zu haben. Von Verstorbenen, die keine Ruhe fanden, erst recht keine ewige.
»Nele …«, kam es über seine Lippen.
Sie hatte den Traum dominiert, in den er verstrickt gewesen war: die Frau, die Anno 1212 als junges Mädchen am Kinderkreuzzug teilgenommen hatte und nun schon seit Monaten als ebenso verschollen galt wie der Mann, dem sie es verdankte, dass ihr Körper vor 700 Jahren aufgehört hatte zu altern.
Zamorras erster Blick galt nicht wie sonst der Nachttisch-Uhr, um zu erfahren, wie spät es war, sondern ging zu den Fenstern, an denen etwas anders war als sonst. So faszinierend anders, dass er alles andere um sich herum vergaß, aufstand und darauf zuging.
Hinter ihm regte sich Nicole. »Hey! Was wird das? Bettflucht?«
Er schüttelte den Kopf, blieb vor dem Fenster stehen und strich gegen die Innenseite der Doppelverglasung, als könnte er berühren, was in Wahrheit außerhalb seiner Reichweite lag – zumindest, solange das Fenster geschlossen blieb.
»Wann habe ich dir das letzte Mal Blumen geschenkt?«
»Blumen? Du willst mir Blumen schenken?«
Offenbar konnte er sie noch verblüffen.
»Vielleicht nicht schenken, aber widmen. Komm her, bitte!« Er winkte sie zu sich, hörte, wie sie die Bettdecke zurückschlug und auf Zehenspitzen zu ihm huschte.
Dazu murmelte sie: »Widmen, aha. Hat dir schon jemand gesagt, dass du mit zunehmendem Alter immer merkwürdiger wirst?«
»Ich bin ewig jung«, behauptete er.
»Ewig kindisch vielleicht«, konterte sie.
Offenbar war sie so sehr auf ihn konzentriert, dass sie erst bemerkte, was ihn zum Fenster gelockt hatte, als sie neben ihm stand und sich an ihn schmiegte.
»Sieh endlich richtig hin«, forderte er sie auf. »Wann hatten wir das in den letzten Jahren mal? Sind sie nicht wunderschön? Ich würde sie dir schenken, wenn ich könnte. Deshalb lass mich sie dir wenigstens widmen.«
In ihre Züge schlich sich ein Ausdruck kindlichen Staunens, mädchenhafter Begeisterung. »Eisblumen … Wunderschöne – Eisblumen!«
Sie hauchte Zamorra einen Kuss auf die Wange. »Danke, dass du mich geweckt hast.«
»Habe ich das?«
Sie ging nicht darauf ein. Durch die Muster, die der Wetterumschwung auf die Scheiben gezaubert hatte, war zu sehen, dass sich da draußen noch sehr viel mehr verändert hatte. Über Nacht war eine Eislandschaft entstanden wie ein bizarres Märchenreich. Château Montagne thronte darin wie eine verwunschene Festung. Bei aller Begeisterung fröstelte Nicole auch prompt bei dem selten gewordenen Anblick. Zamorra glaubte, die harten Spitzen ihrer Brüste durch den eigenen Pyjama-Stoff und ihr Nachthemd zu spüren.
»Sie hatten gewarnt«, murmelte Nicole. »Gestern in den Spätnachrichten. Einfall von milderer Luft nach den Tagen zweistelliger Minusgrade. Dazu Niederschläge, die auf frostige Untergründe treffen. Vor eisglatten Straßen wurde gewarnt. Aber das hier … Das ist unfassbar schön!«
Auch Zamorra konnte sich nicht sattsehen an den frostigen Kunstwerken, die die Wetterkapriole erschaffen hatte. Zamorra riss das Fenster auf und zog sich damit den Unwillen Nicoles zu.
»Bist du verrückt? Mach wieder zu. Ich will nicht erfrier-« Sie verstummte, als sie merkte, dass ihre Sorge übertrieben war. Die Luft war lauer als befürchtet.
»So können wir es doch erst richtig sehen – und genießen. Die Eisschicht am Fenster hat alles verzerrt.«
Sie nickte. Offenbar war er entschuldigt.
Gemeinsam bestaunten sie die Kunstwerke, die am Schloss selbst und auf den Bäumen und Sträuchern entstanden waren, die seine Mauern säumten. Neben stalaktitenartigen Eiszapfen hatten sich auch Eisplatten wie kurzlebige Vordächer über Dachränder geschoben und würden irgendwann unter dem eigenen Gewicht einbrechen und in die Tiefe stürzen.
Zamorra hauchte Nicole einen Kuss auf den Mund. Dann schloss er das Fenster wieder und zog Nicole nach nebenan ins Bad, von dem aus sie freien Blick ins Tal hatten, wo die Szenerie noch unwirklicher anmutete. Im Frühlicht präsentierte sich das Dorf zu Füßen des Schlossbergs, als wäre es auf eine sonnenferne Eiswelt versetzt worden.
»Wunder-wunderschön, aber jetzt ist mir wirklich kalt. Lass uns wieder unter die Bettdecke schlüpfen.«
»Sollten wir uns nicht anziehen und rausgehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Kuscheln! Auf die Nase fallen sollen andere.«
»Oh«, machte Zamorra.
»Was ›oh‹?«
»Madame Claire! Sie kann unmöglich bei diesen Verhältnissen …« Mehr brauchte er nicht zu sagen.
Sie kehrten ins Schlafzimmer zurück und blickten auf die Uhr.
Ungefähr um diese Zeit startete die Köchin gemeinhin von zu Hause, um ins Schloss zu kommen.
»Unser Frühstück wird heute wohl etwas spartanischer ausfallen als sonst«, sagte Zamorra. »Und unser Mittagessen möglicherweise auch. Lass mich kurz verschwinden und mit William sprechen. Er soll …«
»Das kannst du doch auch bequem von hier aus. Komm schon. Früher musste ich dich nicht so bitten!«
Im Gegensatz zum Eis draußen schmolz Zamorras Widerstand binnen einer Sekunde dahin.
***
Madame Claire war dabei, sich ihren allmorgendlichen »Wachmacher« aufzubrühen – ganz traditionell mit Filterpapier und Bohnen, die sie in einer altmodischen Kaffeemühle zu feinem Pulver vermahlen hatte. Dabei blickte sie nichtsahnend durch das Sprossenfenster über der Küchenarbeitsplatte nach draußen.
Zuvor hatte sie sich nur auf das Wesentliche konzentriert und der Welt jenseits der Scheibe keine Beachtung geschenkt. Sie brauchte diesen ersten starken Kaffee wie die Luft zum Atmen und um nach dem Aufstehen überhaupt in die Gänge zu kommen. Schon der Duft, der sich beim Brühvorgang entfaltete, weckte die Lebensgeister – selbst bei Toten, wie manch einer behauptete, der schon einmal in den Genuss eines »Blackys« gekommen war.
Viele waren es nicht. Madame Claire war in Maßen gesellig und dazu auch noch extrem wählerisch, was ihren gesellschaftlichen Umgang betraf.
Eine selbstbewusste Frau in den allerbesten Jahren, wie die Freunde und Bekannten, die sie hatte, nicht müde wurden, herauszustellen.
Eine streitsüchtige alte Jungfer, wie weniger wohlmeinende Dorfbewohner dagegen hielten.
Letztlich lag die Wahrheit wahrscheinlich, wie so oft, irgendwo dazwischen.
Ob nun selbstbewusst oder Querulant, jedenfalls entfuhr der gelernten Köchin ein überraschter Aufschrei, als sie durch das Küchenfenster in den Vorgarten ihres Cottages starrte, wo sich über Nacht Erstaunliches getan hatte.
Vor Staunen vergaß Madame Claire zunächst sogar, heißes Wasser nachzugießen, als der Filter »trocken lief«. Sie holte es mit einem tiefen Seufzer nach und stellte die Wasserkanne anschließend zurück auf das Gitter des Gasherds.
Während das Wasser in die Kanne unter dem Porzellanfilter lief, eilte Madame Claire durch den kurzen Flur zur Haustür, riss sie auf und wollte ungestüm auf den mit Steinplatten belegten Weg treten, der ihr Cottage mit dem Bürgersteig entlang der Straße verband.
Im letzten Moment konnte sie sich am Türrahmen festhalten und so einen sonst unvermeidlichen Sturz verhindern. Der Fuß, den sie nach draußen gesetzt hatte, rutschte auf blankem Eis weg.
Madame Claire wahrte die Balance, aber nicht die Fassung. Sie fluchte lautstark, als sie Leidensgenossen dabei beobachtete, wie sie waghalsige Risiken eingingen, um zu ihren geparkten Autos zu gelangen oder die Zuwege ihrer Grundstücke mit Salz, Splitt oder Asche zu sichern.
Einer der Nachbarn entdeckte Madame Claire in einem Outfit, in dem er auch in arktischen Regionen hätte bestehen können, und winkte ihr mit der behandschuhten Hand zu.
Madame Claire erwiderte den stummen Gruß mechanisch. Die Vermummung des Nachbarn erinnerte sie daran, dass sie in ihrem dünnen Morgenmantel und den Hausschuhen nicht nur jämmerlich fror, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach ein sehr viel groteskeres Bild abgab als der kälteangepasst wirbelnde Jacques Bernier von gegenüber.
»Geh rein, du holst dir den Tod!«, brummelte er durch den Schal, den er sich vors Gesicht gespannt hatte. »Wenn ich hier fertig bin, komm ich rüber und streu dein Trottoir. Du kannst dich gern mit einem leckeren Frühstück revanchieren an deinem freien Tag.«
Jacques war ein freundlicher Zeitgenosse. Unglücklicherweise war seine Frau vor drei Jahren verstorben, und spätestens seit einem Jahr versäumte er keine Gelegenheit, sich der Köchin anzudienen.
»Freier Tag?« Sie schüttelte, schon im Rückzug begriffen, den Kopf, mimte Bedauern. »Schön wär’s, Jacques, schön wär’s. Ich muss in ein paar Minuten los, erst zum Bäcker, wie üblich, und dann hoch ins Schloss. Die Herrschaften sind es gewohnt, ihr Baguette genauso pünktlich auf dem Frühstückstisch zu haben wie ihre Zeitung. Ein andermal, ja?«
Jacques knirschte sicheren Fußes über das blanke Eis auf sie zu – was sie zu dem Irrglauben verleitete, sie könne das, erst einmal richtig angezogen, nachmachen. Doch dann bemerkte sie, dass ihr Nachbar sich auf mehr als gutes Schuhwerk verließ: Er hatte zusätzlich mit Gummibändern Spikes an den Sohlen fixiert. Und die nagelten bei jedem Schritt in die Eisschicht, die sich nicht nur über Wege und Vegetation gelegt hatte, sondern auch die Autobesitzer der Umgebung zur Verzweiflung brachte.
»Blitzeis«, erklärte Jacques. »Im Schloss werden sie heute ohne dich auskommen müssen. Aber das wird sie nicht gleich umbringen, oder?«
Madame Claire forschte in ihrem Gedächtnis, wann sie zum letzten Mal nicht pünktlich zur Arbeit erschienen war. Es musste schon so lange her sein, dass sie sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Entsprechend harsch kam ihr Widerspruch, während sie begehrlich auf Jacques Füße starrte.
»Hast du noch ein Paar von den Dingern da – den Spikes – übrig und würdest du sie mir leihen? Meinetwegen auch verkaufen?«
Jacques schüttelte den Kopf. »Bedaure. Brauch sie selbst. Das sind meine Einzigen, und ich hab schon mehr Leuten versprochen, ihnen den Bürgersteig zu streuen. Mein Angebot steht. Frühstück gegen Maloche? Abgemacht?«
»So viele Frühstücke, wie du dir verdienst, wenn du der ganzen Nachbarschaft den Gefallen tust, sie vor Knochenbrüchen zu bewahren, schaffst du doch gar nicht.«
»Vielleicht nicht an einem Tag, aber ich bin da flexibel.«
Er wechselte wieder auf die andere Straßenseite.
Kopfschüttelnd schloss Madame Claire die Tür. Der Flur war richtig ausgekühlt; sie würde die Heizung höher drehen müssen. Aber ihr erster Gang führte sie zum Telefon. Nachdem sie die Nummer des Schlosses gewählt hatte, wurde das Rufzeichen von Williams Stimme unterbrochen.
Die Köchin erklärte dem Butler in knappen Sätzen ihre Situation. Nachdem sie fertig war, sagte er: »Ich sollte Sie auch gerade anrufen. Die Herrschaften bestehen darauf, dass Sie sich heute nicht auf die Straße wagen – hier oben ist auch alles in Eis erstarrt. Die Straße ist nicht zu bewältigen. Und den Nachrichten zufolge ist den ganzen Tag nicht mit einer Wetterbesserung zu rechnen. Die Straßenmeistereien sind völlig überlastet. Für morgen ist Tauwetter angesagt, aber bis dahin …«
»Ich kann doch hier nicht Däumchen drehen, während oben …«
»Ich übermittele nur, was mir gesagt wurde. Und mit Stürzen ist in unserem Alter nicht zu spaßen.«
In unserem Alter. Die Köchin hatte Mühe, die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, hinunterzuschlucken. William meinte es nur gut, das wusste sie. Allerdings fragte sie sich, wie tattrig er sie einschätzte, wenn er sie in die gleiche Altersschublade steckte wie sich selbst.
»Dann wird es wohl so kommen, wie Jacques sagte«, murmelte sie.
William wurde hellhörig. »Jacques?«
»Schon gut. Ich werde die Lage im Auge behalten und stehe auf der Matte, sobald mein Velo wieder einsatzbereit ist.«
»Wehe, Sie setzen sich aufs Fahrrad, bevor die Straßen wieder gefahrlos befahrbar sind!« William verlieh seinen Worten einen so hörbaren Nachdruck, dass daraus nur ehrliche Sorge sprechen konnte.
»Ich bin ja nicht lebensmüde.«
Sie stellte sich vor, wie der Butler am anderen Ende der Leitung nickte.
»Wenn Sie das nächste Mal kommen, müssen Sie mir unbedingt von Jacques erzählen.«
Madame Claire stieg das Blut in den Kopf. »Sie können mich gernhaben!«, fauchte sie und pflanzte den Hörer auf die Gabel.
Erst danach fügte sie in gemäßigterem Ton, für William unhörbar, hinzu: »Und grüßen Sie mir die Herrschaften ganz herzlich! Sagen Sie ihnen bitte, ich bin untröstlich …«
***
Der Pyjama störte.
Das Amulett auch.
Zamorra löste es vom Schnellverschluss und legte es auf den Nachttisch; die Kette als solche war kein Problem.
»Lass nichts zwischen uns sein«, hauchte Nicole, während sie zärtlich an seinem Ohrläppchen knabberte.
Wohlige Schauer durchliefen seinen Körper. In Momenten wie diesen fielen sämtliche Sorgen von ihm ab. Momente wie diese machten, fand er, das Leben erst lebenswert.
So sehr er sich auch dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis verschrieben hatte, vergaß er doch nie, warum er all die Anstrengungen, Schmerzen und Heimsuchungen auf sich nahm, die damit untrennbar verbunden waren. Kein Sieg wurde ohne Schweiß errungen und kaum einer ohne Blutvergießen. Dass er sich immer wieder aufs Neue dafür motivieren konnte, hatte mit diesen Momenten zu tun, die er nicht nur sich selbst, sondern jedem erwachsenen Menschen auf der Welt gönnte und auch in Zukunft ermöglichen wollte. Denn hätte das Böse aus der Hölle – sein ärgster Widersacher – triumphiert, würde es dieses Glück entweder gar nicht mehr oder nur in absoluten Ausnahmefällen geben. Sollte die Hölle eines Tages offen die Menschheit regieren – und das zu verhindern war Zamorras oberstes Ziel –, würde sie die Welt so gestalten, dass für Menschlichkeit, Liebe und Zärtlichkeit kein Platz auf Erden mehr war.
Dann würde das Leben eines jeden zu dem, was man Hölle nannte; ein für viele noch abstrakter Begriff würde zur unumkehrbaren und alles beherrschenden Realität.
Du vermiest dir gerade alles, ermahnte er sich. Hör auf, an die Arbeit zu denken!
Er stöhnte leise auf.
»Wow«, interpretierte Nicole es falsch. »Beherrsch dich, ich fange doch gerade erst an.«
Er verschwendete keine Zeit auf Erklärungen, ergriff selbst die Initiative und bog sie sich so zurecht, dass er mit seiner Zunge ihren Hals lecken und sich in fließendem Übergang ihren immer noch – oder wieder – harten Brustwarzen nähern konnte. Als er an einer zu saugen begann, war es an Nicole, aufzustöhnen.
Die nächsten Minuten steigerten sie ihr Liebesspiel langsam bis zu der Ekstase, die sie nur gemeinsam erreichten. Die Experimente der Vergangenheit, was lockere Beziehung und Flirts mit anderen eingeschlossen hatte, erwiesen sich mit zunehmender Dauer ihrer einzigartigen Partnerschaft als Möglichkeiten, die keiner von ihnen zwingend nutzen musste und nutzte.
Als sich Nicole schließlich neben ihn sinken ließ, waren sie beide in einem Maße überwältigt, das keiner Worte bedurfte, um dem anderen zu verstehen zu geben, wie wichtig er war.
Nicole drehte sich auf den Bauch und maunzte etwas ins Kissen. Zamorra zog die große Decke über sie beide und gab sich ebenfalls dem Sog wohliger Müdigkeit hin.
In der nächsten Sekunde aber saß er, genau wie seine Gefährtin, kerzengerade im Bett, weil ohne Vorwarnung der M-Alarm durch die Weiten des Schlosses dröhnte.
***
Es konnte jederzeit passieren.
Das Böse schlief nie.
Eine Binsenweisheit, natürlich – aber zugleich auch eine ungeschminkte Tatsache, mit der sie sich Tag um Tag auseinandersetzen mussten. Zamorra und Nicole handelten, ohne groß nachdenken zu müssen. Und das, obwohl es noch gar nicht so lange her war, dass Zamorra das akustische Signal in die M-Abwehr eingefügt hatte. Doch es gab Dämonen, die die Schutzkuppel, die durch die weißen Kreidezeichen um die Begrenzungen des Schlossareals errichtet wurden, durchdringen konnten, wenn auch mit Schmerzen. Wie Asmodis. Und auch ohne erkennbare Qualen, wie Fu Long.
Jedenfalls hatte Zamorra es für sicher gehalten, eine Akustik einzubauen, falls die weißmagische Kuppel von etwas durchdrungen wurde, das nicht in die Wände des Loireschlosses gehörte. Obwohl der Alarm neu war, waren Nicole und Zamorra in jeder Hinsicht ein eingespieltes Team.
Die Bastion gegen die Hölle, die unter Zamorras Regie am Ufer der Loire entstanden war, galt als erklärtes Angriffsziel jener mit allen Wassern gewaschenen Mächte, die seit Urzeiten versuchten, die Menschheit auszubeuten. In einer Weise, die den Betroffenen schreckliche Schicksale, oft furchtbarer als der Tod, bescherten.
Vom Schlafraum zum Arbeitszimmer war es nur ein Katzensprung. Das Amulett, das er sich geschnappt und wieder an der Kette befestigt hatte, trommelte bei jedem Schritt gegen seine Brust, als müsste es sich permanent in Erinnerung rufen. Nötig war es nicht. Merlins Stern war mehr als eine Waffe, mehr als ein Instrument – längst war es Teil von ihm geworden.
Nicole machte sich derweil am Tresor zu schaffen, öffnete ihn und griff zielsicher nach dem darin verwahrten E-Blaster und dem Dhyarra.
Zamorra saß bereits am Primärarbeitsplatz, als seine Gefährtin sich in den Stuhl neben ihm fallen ließ und sowohl Blaster als auch Dhyarra-Kristall auf die Platte des hufeisenförmigen Tisches knallte.
»Und?«, keuchte sie.
Zamorras Blick flog über die Statusanzeigen auf dem Monitor. »Keller!«, keuchte er.
»Keller? Aber …«
»Die Meldungen sind eindeutig: Es sind nicht die magischen Symbole an der Außenmauer, die aktiviert wurden.«
»Sondern?«
»Die, die wir im Gewölbe angebracht haben – für alle Fälle.«
Er hielt sich nicht länger mit Worten auf, sondern stemmte sich aus dem Sitz und eilte auf die Tür zu.
Nicole folgte ihm wie an einem unsichtbaren Band, den E-Blaster in der einen, den Dhyarra in der anderen Hand.
Sie wusste, was die Stunde geschlagen hatte, glaubte zumindest, es zu wissen.
Dass die Attacke, unter der die M-Abwehr ächzte, im labyrinthischen unterirdischen Bereich des Felsens stattfand, auf dem Château Montagne thronte, konnte nur bedeuten, dass jemand die dortigen Regenbogenblumen missbrauchte, um eine Attacke zu fahren.
***
Der Alarm rief nicht nur Zamorra und Nicole auf den Plan. Mit William und auch dem Bibliothekar Faolan, einem wolfsähnlichen Wesen, prallten sie fast auf der Treppe zusammen. Der Butler und Faolan befanden sich offenbar auf dem für ihn direktesten Weg zur Eingangshalle, wie der Notfallplan es vorsah. Pascal war wie Madame Claire aus dem Dorf wegen Glatteis nicht ins Château gekommen.