1,99 €
Eigentlich soll es nur die Reise zu einem Vortrag über übernatürliche und okkulte Phänomene werden. Doch dann zeigt das malerische Venedig seine hässliche Fratze. Ein verstümmelter Toter wird aus dem Canale Grande gefischt. Zamorras Amulett bestätigt, dass die Leiche keinem normalen Verbrechen zum Opfer fiel.
Zamorra geht der Sache nach - und muss erkennen, dass er die Lage falsch eingeschätzt hat. Der unheimliche Mörder hat ihn längst ins Visier genommen und scheint noch eine Rechnung aus vergangenen Tagen mit ihm offen zu haben ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 135
Cover
Impressum
Die Hexe von Venedig
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Jean Michel de Lima / Rainer Kalwitz
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5435-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hexe von Venedig
von Adrian Doyle
Die Drohung, die sich auf der Amulett-Nachbildung gezeigt hatte, loderte wie ein Menetekel in ihm auf, während er sich der Suite näherte.
WIE KONNTEST DU ES WAGEN, WIEDERZUKEHREN?
ICH BIN NICHT MEHR SO SCHWACH WIE EINST.
NUN WIRST DU FÜR ALLES BEZAHLEN.
Wofür bezahlen? Und was sollte er, Zamorra, »gewagt« haben? Die Instanz, die hinter der Attacke in der Gerichtsmedizin steckte, schien ihn aus der Vergangenheit zu kennen.
Offenbar waren sie schon einmal aneinander geraten, und »sie« hatte den Kürzeren gezogen …
Venesia, im Jahr des Herrn 1100
Acicia Tozzi schrak aus dem Schlaf. In der lauen Nacht hörte sie ein Käuzchen schreien. War sie davon aufgewacht?
Die jüngste Tochter des Baders, der das Viertel versorgte, lauschte in die Dunkelheit ihrer Stube. Durch das nur mit einem Tuch verhängte Fenster konnte sie das Wasser der Lagune gegen die Hauswand plätschern hören.
Acicia war spät zu Bett gegangen, weil sie mit ihren älteren Schwestern noch die Badstube hatte säubern und sich um die Schröpfköpfe kümmern müssen. Insbesondere die gehörten zu ihren Pflichten, was ihr aber nichts weiter ausmachte, weil sie die schneckenartigen Egel keineswegs abstoßend fand. Im Gegenteil, sie bewunderte sie für den Tribut, den sie den Kranken zollten, die das Haus des Baders aufsuchten, damit er ihre Beschwerden wenn nicht heilte, so doch wenigstens linderte. Wunder vermochte ihr Vater, Fantino Tozzi, nicht zu wirken. Aber er hatte einen guten Ruf, weil er sich für seine Kunden interessierte, für jeden Einzelnen von ihnen. Ihr Geld nahm er auch; schließlich musste er eine siebenköpfige Familie ernähren. Aber im Gegensatz zu vielen anderen seines Standes betrachtete er die Bezahlung als nützlichen Nebeneffekt. Acicia hatte oft genug erlebt, dass er den Armen, die seine Hilfe suchten, den Lohn nicht nur gestundet, sondern ganz erlassen hatte.
Wenn sie an ihren Vater dachte, wurde ihr ganz warm im Bauch. Sie legte ihre Hand auf die Stelle, die sie die letzten Tage immer wieder streichelte, wenn sie allein war und sich unbeobachtet fühlte. Noch hatte niemand die Rundung bemerkt, die gewiss nicht mit zu reichlichen Genüssen zusammenhing – keinen lukullischen zumindest. Denn … nun, genossen hatte sie es bei aller Angst durchaus, als der gleichaltrige Renzo sie bei einem ihrer heimlichen Treffen wieder einmal sehr hartnäckig umgarnt hatte. So hartnäckig, dass sie schwach hatte werden müssen. Seine Lippen entfachten jedes Mal ein Feuer in ihr, das –
Acicia zuckte zusammen. Nicht vor Scham, sondern weil irgendwo im Haus ein polterndes Geräusch erklang, von dem sie annahm, es könnte nicht zum ersten Mal erklungen sein und schuld daran sein, dass sie aus dem Schlaf gefahren war, der seit jeher als der leichteste in der Familie galt.
War ihr Vater noch auf? Manchmal fand er gar keinen Schlaf und ging, wenn alle anderen schliefen, ruhelos durchs Haus.
Acicia wollte sich schon auf die andere Seite legen und erneut in Morpheus’ Arme fallen lassen, als sie gedämpfte Stimmen hörte, von denen eine ihrem Vater gehörte. Die andere … die andere war fremd. Männlich. Fordernd, wie das Mädchen feststellte. Dominant.
Ein Begriff – mehr noch ein Charakterzug –, der sie seit jeher faszinierte. Auch Renzo wusste zu fordern, sich durchzusetzen, aber er hatte noch so weiche, unausgereifte Züge und eine fast mädchenhafte Stimmfarbe, besonders wenn die Erregung ihn packte.
Diese Stimme hier, so gedämpft sie auch zu Acicia vordrang, beinhaltete alles, was einen echten Mann ausmachte; einen, der die Welt gesehen hatte und es verstand, für seine Träume zu kämpfen, notfalls unter Einsatz seines Lebens.
Dass sie das alles in einem einzigen Moment aus den gedämpften Worten des Fremden herauszuhören glaubte, irritierte Acicia selbst. Aber da war sie der dunklen Anziehungskraft schon verfallen.
Sie schlüpfte aus dem Bett und huschte zur Tür, schob den Riegel zurück und öffnete sie einen Spalt.
Lange war es still, als hätte sie sich alles Vorherige nur eingebildet. Doch dann klangen plötzlich harte Schritte auf, die Stiegen empor, und wenig später wurde waberndes Licht vor dem Vater hergeschoben, der die Treppe in Begleitung eines Mannes heraufkam, der ihn um Haupteslänge überragte. Nicht die Füße des Vaters, sondern die Stiefel des Fremden verursachten den harten Klang. Der Breitschultrige trug einen Reisemantel, aber kein Gepäck bei sich. Dafür ein Kurzschwert in einer mit kunstvollen Ornamenten verzierten Lederscheide, die er in der Rechten hielt, und ein kreisrundes Schmuckstück, das bei jedem Schritt vor seinem geschnürten Hemd auf und ab hüpfte. Die Scheibe zog Acicias Blick wie magisch an.
(Wie magisch …)
Eine Gänsehaut kroch ihre Arme entlang; der Haarflaum stellte sich auf. Ein Rinnsal rann die Innenseiten ihrer Schenkel hinab, was ihren Herzschlag noch mehr beschleunigte. Zuerst missdeutete sie die Feuchtigkeit, und als sie die schleimige Konsistenz realisierte, stieg ihr das Blut so sehr zu Kopfe, dass sie gegen eine Ohnmacht ankämpfen musste.
Ohne ein Wort zu wechseln schritten der Vater und der Fremde an Acicias Stube vorbei, und als das Mannsbild genau auf Höhe der Tür war, blieb es abrupt stehen. Acicia wäre am liebsten im Boden versunken. Jeden Moment erwartete sie, dass der Fremde gegen die Tür stoßen und zu ihr hereinkommen würde – zumindest hereinschauen –, aber endlich ertönten die Schritte wieder, weil er Acicias Vater nachging, der zum Ende des Korridors gegangen war, wo das älteste der Geschwister schlief.
Zuerst glaubte Acicia, ihre Sinne würden ihr einen Streich spielen, weil sie sich nicht erklären konnte, was ein Fremder so spätnachts bei Reana zu suchen haben könnte; zumal der Vater seine Töchter sonst wie seinen Augapfel hütete und bislang noch keiner gestattet hatte, ein Ehegelöbnis einzugehen.
Als eine Tür schlug, konnte Acicia sich nicht länger bezähmen. Sie streckte den Kopf in den Gang hinaus und sah, wie ihr Vater allein den Weg wieder zurückkam, den er zuvor in Begleitung des Fremden genommen hatte.
Er schien Acicia aber nicht zu bemerken, und sie musste ihn am Arm in ihre Stube ziehen, um das loszuwerden, was ihr auf der Zunge – und noch mehr auf der Seele – lag.
»Herr Vater – wer bei allen Madonnen war das?«
Fantino Tozzi glotzte seine Jüngste an wie ein Schlafwandler. Sie hatte nicht den Eindruck, dass er sie wirklich sah. Sein Blick schien in Regionen weit jenseits der Wände gerichtet zu sein.
»Geht es Euch nicht gut, Herr Vater?«
Der Blick des Baders flackerte.
»Wer … wer war das?«, wiederholte Acicia, was ihr auf der Seele brannte. »Was hat der Fremde in Reanas Stube verloren? Ich …«
»Geh schlafen, Kind. Geh schlafen. Und sei lieb zu unserem Gast. Er wird auch dich besuchen, kein Grund also zur Eifersucht. Überhaupt kein Grund zur Eifersucht …«
***
Hatte ihr Vater den Verstand verloren? Benahm er sich so seltsam, weil ihn eine der Krankheiten befallen hatte, die er bei anderen mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg behandelte?
Acicia jedenfalls war bis ins Mark geschockt, als sich die Bedeutung seiner Worte in ihr Bewusstsein senkte.
Hatte er das gerade wirklich gesagt?
Bevor sie ihn zur Rede stellen konnte, wandte er sich ab und kehrte mit hölzernen Bewegungen auf den Korridor zurück und entfernte sich barfüßig zur Treppe. Dabei schob er die Kerze und deren Licht vor sich her, das ihn wie ein Gespenst erscheinen ließ.
Acicia war außerstande, ihm nachzulaufen. Eine so noch nie zuvor empfundene Furcht legte sich wie ein Gewicht auf ihre Schultern; unsichtbare Ketten banden sie an den Boden.
Vater und Mutter hatten ihre Stube unten, wo auch der Raum lag, in dem die Schröpfköpfe aufbewahrt und die Kranken empfangen wurden. Alle vier Töchter hingegen bewohnten das obere Stockwerk, die Zimmer zu beiden Seiten des Ganges. Reanas Stube lag zuhinterst, davor war die von Erminia und zwischen deren und Acicias Kammer befand sich noch die der zweitjüngsten Schwester, Madina.
Vier Kinder und kein einziger Knabe darunter – gut hatte das Schicksal es nicht mit Fantino Tozzi gemeint, jedenfalls nach Meinung der Leute, die hinter vorgehaltener Hand darüber tuschelten. Gegenüber seinen Töchtern hatte er sich dies nicht anmerken lassen. Bis zu dieser Stunde hatte Acicia nie auch nur den leisesten Grund gehabt, an seiner Liebe zu zweifeln.
Doch die Sätze, die er gerade von sich gegeben hatte, stellten alles auf den Kopf, hatten sich wie Feuer in Acicias Hirn gebrannt.
Ihr Puls hämmerte hart in den Schläfen. Beim Gedanken, was der Unbekannte, der in Reanas Zimmer verschwunden war, dort gerade mit ihrer Schwester anstellte, verging ihr Hören und Sehen. Immer wieder schnappte sie nach Luft, ohne dass sie sich dazu durchringen konnte, Reana zu Hilfe zu eilen …
… wie es Anstand und Schwesterliebe gefordert hätten.
(Was hat Vater nur getan? Er kann doch nicht …)
Wann immer sie nach einer Erklärung für das Unerklärliche suchte, zerstoben ihre Gedanken wie Blätter in einem Herbststurm. Liebend gern hätte sie sich wieder in ihrem Bett verkrochen, die Decke über den Kopf gezogen und die Ohren mit den Fingern verstopft, um ja nicht mit anhören zu müssen, wie –
Ihre Fantasie malte ihr die schrecklichsten Szenen aus. Die schrecklichste von allen aber war die, die ihres Vaters Worte in ihr entfacht hatte, als er meinte, sie solle nicht eifersüchtig sein, der Fremde käme schon auch noch zu ihr …
Stoßgebet um Stoßgebet formten ihre Lippen, ohne dass auch nur ein Laut ihren Mund verließ. Schließlich hatte sie sich wieder so weit gefangen, dass sie die Hand nach dem Türgriff ausstrecken und die Tür aufziehen konnte. Dahinter gähnte die gleiche Dunkelheit wie in ihrem Zimmer, nachdem der Vater mit der Kerze gegangen war. Beinahe die gleiche, denn als sie den Blick zum Ende des Korridors lenkte, sah sie, dass dort aus den Türritzen ein nie gesehener Glanz wie von zu Licht gewordenem Silber hervorbrach, der die ganze Tür wie mit einem Heiligenschein umrahmte.
Sofort verließ der angesammelte Mut Acicia wieder. Erst recht, als sie ein Stöhnen zu hören glaubte, keuchenden Atem, den sie dem Unbekannten zuschrieb und der ihre Ängste um Reana noch einmal neu befeuerte.
Er vergeht sich an ihr! Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden noch übertroffen, und eine lähmende Schwäche verhinderte, dass sie imstande war, auch nur irgendetwas zu unternehmen. Sie hätte die Schwestern in den Stuben nebenan mobilisieren können (müssen!), und gemeinsam hätten sie den liederlichen Kerl, der es wagte, Reana zu besteigen, aus dem Haus jagen können …
( … in das der Vater ihm Einlass gewährt hatte – genau wie in seine Tochter …)
Aber sie schaffte es nicht. Sie schaffte es einfach nicht. Alles, was sie vermochte, war, sich wieder ganz in ihre eigene Stube zurückzuziehen und den Riegel vorzuschieben. Und endlich, endlich in ihr Bett zurückzukehren und sich dort in die Hoffnung zu flüchten, dass alles ganz anders sei, als es den Anschein hatte. Dass sie alles falsch verstanden hatte und nichts von alledem geschah, was durch ihren Verstand spukte.
Mitten in diese Fluchtgedanken drang irgendwann der harte Schritt, den sie sofort zuordnen konnte.
Der Fremde hatte Reanas Kammer verlassen. Wahrscheinlich hatte er sich befriedigt, wie Mannskerle es sonst nur bei den Hurenweibern taten, und jetzt würde er genauso selbstverständlich verschwinden, wie er gekommen war.
Stattdessen schlug die nächste Tür.
Erminia!, durchfuhr es Acicia. Das wagt dieses Scheusal nicht auch noch. Das …
In der Folge war wieder das Stöhnen zu vernehmen, aber lauter nun, weil auch die Stube, in der sich die Tragödie zutrug, näher lag.
Spätestens jetzt stellte sich für Acicia die Frage, warum Madina nicht längst aufgeschreckt war und ihrem Entsetzen Luft machte. Oder warum ihre als Erste heimgesuchte und missbrauchte älteste Schwester sich nicht bemerkbar machte, nach dem Vater – oder nach irgendjemand rief.
Sind am Ende alle so wie ich – oder Vater?Unfähig, wirklich etwas zu unternehmen, weil … SEIN Bann auf uns liegt. Ist er ein Hexer? Anders konnte es nicht sein. Er musste über übermenschliche Kräfte verfügen, die es ihm gestatteten, sich jedermann nach Belieben untertan zu machen wie in einem der finsteren Märchen, die man sich an langen Winterabenden vor dem Feuer erzählte oder anhörte.
Wenn dem tatsächlich so war, waren sie verloren. Zumindest die Frauen. Am Vater würde er sich wohl nicht vergehen – nicht in der Weise jedenfalls, die Acicias ganzes Denken beherrschte.
Aber vor mir muss er haltmachen! Ich trage Renzos Kind in meinem Bauch. Ich muss es dem Wüstling sagen, dann …
Selbst eine naive junge Frau wie sie wusste, wann sie sich in Wunschdenken flüchtete, das keinerlei Aussicht auf Erfüllung hatte. Der Unhold, den sie gesehen – und im ersten Moment ob seiner Männlichkeit beinahe angeschmachtet – hatte, würde vor nichts und niemandem haltmachen.
Wie ist er nur auf uns gekommen? Die ganze Stadt ist voller Menschen … warum ausgerechnet wir?
Wieder schlug die eine und kurz darauf die andere Tür. Jetzt war Madina an der Reihe – die letzte Station vor ihr, Acicia!
Die jüngste Tochter des Baders presste sich die Handflächen gegen die Ohren, aber gegen die schrecklichen Laute und Geräusche aus der Nachbarstube nützte dies nichts. Und obwohl sie die Erschütterungen des Bettes nebenan am eigenen Körper zu spüren glaubte, flehte etwas in ihr, es möge nicht aufhören, niemals, weil dann ja …
… weil dann ja sie an die Reihe käme, als Letzte des Quartetts.
Wie alle Bitten und Gebete zuvor wurde auch dieser Wunsch nicht erhört. Selbst der Herrgott schien sich vor so viel Grausamkeit und animalischer Lust abzuwenden.
Acicia starrte wie betäubt ins Dunkel der Stube, in Richtung der Tür, von der sie sich in dem Moment, als der silbrige Glanz von draußen durch die Ritzen zu ihr hereinfiel, erinnerte, dass sie den Riegel vorgeschoben hatte. Aber ein Tritt mit der Stiefelsohle würde genügen, die Tür aus den Angeln zu sprengen, und nichts anderes erwartete sie, dass der Schreckliche tun würde. Doch dann sah sie im vagen Licht, das zu ihr hereinstreute, wie der Riegel wie von Geisterhand bewegt zurückschnappte. Es bedurfte keiner lärmenden Gewalt.
Die Tür schwang auf, und der Hexer füllte den Rahmen aus. Anders als vermutet, hielt er keine Lampe in der Hand. Das abseitige Licht ging von einer handtellergroßen Scheibe aus, die an einer Kette befestigt war, die er um den Hals trug. In dem Licht schienen nie gesehene Zeichen und Symbole zu tanzen.
Wortlos trat der Unhold ein und stieß im Gehen beiläufig mit dem Stiefelabsatz die Tür hinter sich zu. Dann trat er an Acicias Bett und zerrte sie heraus. Seine Finger flochten sich um ihr lockiges Haar und zwangen das Mädchen mit dem Gesicht zu der Scheibe hin, die aus Licht gewordenem Silber zu bestehen schien.
Einige Symbole berührten Acicias Haut und es war, als würden glühende Nadeln hineinstechen. Der Schmerz ging bis ins Gehirn und fächerte zu Bildern auseinander, die den Willen des Mädchens vollends brachen.
»Ah«, glaubte sie die markante Stimme des fremden Betörers zu hören. »Endlich! Bei dir fühlt es sich richtig an! Du bist zu gebrauchen!«
Schatten senkten sich über die jüngste Tochter des Baders, und als sich der Vorhang nach unbestimmter Zeit wieder hob, war sie allein, lag am Boden und hörte von draußen Vogelgezwitscher. Die Nacht musste seit Stunden verflogen sein, Sonnenschein drängte herein.
Acicia nahm an, ob des Albtraums, der sie gepeinigt hatte, aus dem Bett gefallen zu sein. Sie rappelte sich auf, fühlte sich wie zerschlagen vom Liegen auf den harten Dielen. Mühsam schleppte sie sich zum Bett und ließ sich darauf sinken, legte sich aber nicht, sondern stützte die Ellbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.
Einen Traum wie diesen konnte sie niemandem erzählen, weder der Mutter noch den Schwestern. Sie spürte nicht nur im Gesicht eine unerhörte Hitze, sondern auch im Schoß. Vorsichtig tastete sie über ihren Bauch. Hatte der Sturz dem Kind geschadet, das darin heranwuchs?
Sie war hin und her gerissen, wusste nicht, ob sie sich sorgen oder hoffen sollte. Wenn sie das Kind nicht austragen musste, würde sie Vater und Mutter nicht beichten müssen, wozu sie sich mit Renzo hatte hinreißen lassen. Aber durfte man so denken? So selbstsüchtig sein?