Professor Zamorra 1154 - Adrian Doyle - E-Book

Professor Zamorra 1154 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

Prag.
Die alte Stadt an der Moldau. Die Stadt der tausend Gesichter.
Und Geheimnisse.
Zahllose Legenden umranken sie. Eine der bekanntesten: die um den Prager Golem, ein Geschöpf, das ein Rabbi im 16. Jahrhundert aus Lehm geformt und mit Gebeten zum Leben erweckt haben soll.
Doch die Wenigsten wissen, dass besagter Golem ein Vorbild hatte, dessen Spuren sich noch Jahrhunderte weiter zurückverfolgen lassen.
Mit diesem Ur-Golem werden Zamorra und Nicole konfrontiert - beziehungsweise mit seiner Nachkommenschaft, die bis in die Gegenwart hinein überdauert hat.

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Seitenzahl: 148

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Kinder des Golem

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Lonely_ / iStockphoto

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6832-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Die Kinder des Golem

von Adrian Doyle

Die Nixe entstieg dem Fluss und schmiegte sich eng an Tomasz. Die kalte Nässe störte ihn nicht. Milas Berührungen bereiteten ihm solche Wonne, dass er alles andere um sich herum vergaß.

Bis die Ernüchterung kam.

Ein Stein traf ihn am Kopf. Der Zauber erlosch.

Am Rand der Uferböschung entdeckte er Marek und seine Bande, die verächtlich zu ihm herunterschauten.

»Schnappt ihn euch!«, rief ihr brutaler Anführer. »Schmeißt ihn zu dem anderen Dreck in den Fluss! Wollen doch mal sehen, ob sein verdammtes Nixchen ihm beisteht oder ihn lieber ersaufen lässt!«

Böhmisches KönigreichAnfang des 12. Jahrhunderts

Tomasz gab Fersengeld.

Das Auftauchen der Bande hatte Mila verscheucht, wer konnte es ihr verdenken. Marek war ein Ungeheuer, dem selbst Erwachsene besser aus dem Weg gingen. Einmal war Tomasz Zeuge geworden, wie sich Marek im Vorbeigehen aus einem Korb Äpfel bediente, den der alte Jurek vor seinem Laden stehen hatte, um Kunden anzulocken. Als Marek ohne zu bezahlen frech grinsend weitergeschlendert war und sich auch durch die Aufforderung des Händlers, zurückzukommen und eine Münze dazulassen, nicht aufhalten ließ, war Jurek ihm mit seinem Hinkebein hinterhergehastet und hatte ihm den angebissenen Apfel förmlich aus dem Mund gerissen. Mit den Worten »Lieber füttere ich die Schweine damit, als ihn dir zu lassen!«, hatte er sich abgewandt und war zu seinem Laden zurückgehumpelt.

Nie würde Tomasz den Blick vergessen, den Marek dem Alten nachgeworfen hatte.

In der folgenden Nacht hatte Jureks kleines Häuschen lichterloh gebrannt – und der Alte mit ihm. Das halbe Viertel hatte bei den Löscharbeiten geholfen, um ein Überspringen des Feuers auf die Nachbarbauten zu verhindern. Auch Tomasz hatte in der Eimerkette gestanden, mit der aus der nächstgelegenen Zisterne Wasser beigeschleppt worden war – genau wie Marek und seine Leute, die es sich nicht nehmen ließen, sich mit eigenen Augen zu vergewissern, dass Jurek für die Demütigung bezahlte, die er dem Bandenführer zugefügt hatte.

Zur Rechenschaft gezogen worden für die Tat, die Tomasz ihm ankreidete, ohne dafür einen stichhaltigen Beweis zu haben, war Marek nie. Und Tomasz wollte gar nicht wissen, was der Halunke sonst noch auf dem Kerbholz hatte, von dem er nichts wusste. Sein übler Ruf jedenfalls eilte dem Hundsfott voraus wie kaum einem Zweiten seines Alters in ganz Prag.

Und gerade bestätigte sich auf schockierende Weise, dass manches davon noch untertrieben sein mochte. Tomasz jedenfalls hegte nicht einen Moment lang Zweifel, dass Mareks Befehl an seine »Männer« ernst gemeint war. Wenn sie ihn in die Finger bekamen, hatte sein letztes Stündlein geschlagen!

Er hatte nie schwimmen gelernt. Das Wasser der Moldau hatte ihm von Kindheit an gleichzeitig Angst eingeflößt und Faszination auf ihn ausgeübt. In diesen Widerstreit der Gefühle hinein war dann eines Tages die Begegnung mit Mila erfolgt. Die Nixe hatte ihn beim Dösen in den Ufer-Auen überrascht, war so plötzlich neben ihm aufgetaucht, dass er nur entgeistert hatte glotzen, nicht reagieren können. In die Lähmung hinein hatte er ihre seltsam salzigen Lippen auf seinen gespürt – und war ihr verfallen.

Dem Erstbesten, der ihm danach über den Weg gelaufen war, hatte er die Geschichte erzählt – und war fortan für alle nur noch der Idiot gewesen, der sich Fabelwesen einbildete und sogar mit ihnen redete.

Alle Versuche von Tomasz, das Bild wieder geradezurücken, hatten letztendlich nur dazu geführt, dass ihn die Leute im Viertel für noch verschrobener, noch übergeschnappter hielten. Trost hatte er nur in Milas Armen gefunden, denn fortan tauchte sie immer wieder bei ihm auf, sobald er sich zum Fluss begab. An guten Tagen – gut im Sinne von: Niemand hatte ihn groß drangsaliert – konnte es schon mal sein, dass sie ihn versetzte. Aber in den dunkelsten Stunden war sie immer zur Stelle, immer da, um ihm aus dem seelischen Jammertal herauszuhelfen, in das er immer wieder fiel, seit er auf der Straße lebte und alles, was er zum Leben brauchte, zusammenbetteln musste. Gestohlen hatte er nie, obwohl die Verzweiflung ihn schon manches Mal beinahe so weit getrieben hätte. Aber am Ende hatte er immer das Hungern dem Karzer vorgezogen, wohl wissend, dass er, einmal erwischt, für alle Zeit als Dieb abgestempelt sein würde.

Bislang war er darum herumgekommen. Auch weil ihn in schlimmster Not der Zufall unverhofft über ein paar Essenreste hatte stolpern lassen, einmal sogar über ein gerade erst verendetes Tier. Dessen Fleisch war das Eigenartigste gewesen, was er sich jemals über offenem Feuer am Spieß gebraten hatte. Der Geschmack war außergewöhnlich, mit so gar nichts von dem vergleichbar, was er manchmal von Bürgern zugesteckt bekam. Aber es hatte ihn auf zwei, drei Tage in noch nicht erlebter Weise satt gemacht, ehe überhaupt das Verlangen wieder etwas zu verzehren zurückgekehrt war.

Tomasz schrie auf, als ihn ein Stein, größer und schwerer als der, den er über den Fluss hatte hüpfen lassen, im Nacken traf. Irgendein Nerv musste getroffen worden sein, so unglücklich, dass die Beine einfach wegknickten. Was umso fataler war, da es ihm noch nicht gelungen war, die Uferböschung ganz zu erklimmen. Nach dem Sturz rollte er haltlos abwärts, weil der Hang an dieser Stelle auch noch besonders steil war.

Schreiend krallte Tomasz die Finger ins Gras, das aber keinen Halt bot, sondern ausgerissen wurde. Beim nächsten Versuch gruben sich die Finger tiefer, bis in den Sand. Aber auch hier fand er nichts, was seinen Körper hätte stoppen können.

Und dann klatschte er auch schon ins Wasser, wo ihn die Strömung sofort vom Ufer wegtrieb. Das Johlen der Bande verfolgte ihn noch kurz, aber schon bald ließen Panik und die Schmerzen, die in ihm wühlten – weil er unentwegt nach Luft schnappte, seine Lungen aber nur Wasser zu fassen bekamen – alles von ihm abrücken. Seine Ohren wurden von den Fluten der Moldau ebenso verstopft wie seine Atemwege. In seiner Brust explodierte der Schmerz so brennend heiß, als hätte jemand das Höllenfeuer darin entfacht.

Noch einmal sah Tomasz die Gesichter jener an sich vorbeiziehen, die ihm in seinem kurzen schlimmen Leben etwas bedeutet hatten: Vater und Mutter, ein Nachbarsjunge, der früh an Schwindsucht gestorben war, vielleicht der alte Herr Drako noch, der der Mutter auf dem Sterbebett versprochen hatte, sich um ihn zu kümmern, dann aber zwei Tage selbst mitten in seiner Arbeit als Büttel tot umgefallen war, sodass sich auch das erledigt hatte. Und ganz am Ende die teuerste von allen, die, die alles verkörperte, wonach er sich sehnte: Mila.

Die Nixe tauchte bei ihm auf, als seine Lungen vom Wasser fast gesprengt wurden. Ihr verschwommenes Lächeln beruhigte seinen Herzschlag sofort, auch die Angst wich. Das Sterben wurde plötzlich leicht wie ein Spiel. Ihre Lippen fanden seine, aber ausnahmsweise nicht, um ihn zu liebkosen und zu küssen, sondern …

Aaaah!, und Ooooh!, durchfuhr es ihn, als hätte der Herrgott selbst ihn an der Hand genommen, um ihn das letzte Stück des Weges zu führen, das ihn noch vom Paradies trennte.

… sondern um das Wasser aus seinen Lungen zu pumpen und durch Milas Atem zu ersetzen. Durch Luft, die sie ihm brachte und ihn damit selbst in den dunklen Tiefen des Stromes versorgte. Gleichzeitig hielt sie ihn in liebender Umarmung an sich gepresst und beförderte ihn zurück an Land.

Alles war wie ein Traum.

Ein einerseits schrecklicher, andererseits aber auch so berauschender Traum, dass Tomasz ihn nie wieder verlassen, nie wieder daraus erwachen wollte.

Wenn nur das Nixchen bei ihm war.

Wenn nur …

***

Als die Ohnmacht ihn wieder freigab, lag er im Ufergestrüpp, nass bis auf die Knochen und frierend. Die Dunkelheit, die sich über Stadt und Umgebung gesenkt hatte, ließ Rückschlüsse zu, wie lange er ohne Bewusstsein gewesen war: mindestens sechs Stunden. Es war früher Nachmittag gewesen, als er mit Marek und seinen Speichelleckern aneinandergeraten war. Nun spannte sich ein finsteres Himmelszelt über ihm. Finster aber nur deshalb, weil das Dickicht, in dem Tomasz sich wiederfand, kein Sternenlicht zu ihm durchdringen ließen. Als er sich zur Seite wälzte und es durchbrach, funkelten ihm unvermittelt doch die blinkenden Himmelslichter entgegen, die er so oft versucht hatte zu zählen, ohne dass es ihm je gelungen wäre. Der Mond ließ sich nicht blicken, aber das war nichts Ungewöhnliches.

Tomasz merkte, wie stark er zitterte. Nicht nur der Kälte wegen, auch weil die Erinnerung an den Traum zurückkehrte. Der Traum, in dem Mila – oder doch der Herrgott? – ihn zum rettenden Ufer zurückgetragen hatte, weil er sonst sein Grab im Fluss gefunden hätte.

Er schlang die Arme um sich und lauschte in die Dunkelheit. Lauerten dort noch Marek und seine Bande? Oder hatten sie sich, gleich nachdem sie ihn in den Fluten hatten untergehen sehen, davongemacht, um nicht dafür belangt werden zu können?

Selbst wenn dem so war, überlegte Tomasz, durfte er nicht ausschließen, dass die Bande nach Stunden wieder zurückgekehrt war, um den Ort ihrer feigen Tat noch einmal zu besuchen.

Das hatte er auch bei Jurek getan und keine Scham gezeigt.

Nur aus diesem Grund vermied es Tomasz, leise in die Nacht hinein nach Mila zu rufen. Sie hätte ihn gehört, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Aber es war zu gefährlich. Er würde es erst riskieren können, wenn der Morgen graute und er sich ein Bild von der Lage machen konnte.

Er kroch zurück ins Dickicht, das den Wind abhielt, rollte sich am Boden zusammen und sehnte den Tagesanbruch herbei.

Mit der Zeit wurde ihm wärmer, schließlich heiß. Fast übergangslos bemächtigte sich ein Fieber seiner und schenkte ihm noch wildere Träume. Vor allem einer tat es ihm an. Der, in dem Mareks Bande krepierte.

***

»Habt ihr sein Gesicht gesehen, als er baden ging?«

Seine Frage rief schrilles, schadenfrohes Gelächter hervor.

Marek und das halbe Dutzend Bandenmitglieder, das er um sich geschart hatte, wärmten sich an einem Feuer, dessen Funken wie Glühwürmchen in die Nacht aufstiegen. Ihr Stammplatz – ein baufälliger Lagerschuppen, in dem sie bei schlechtem Wetter auch unterkrochen, um zu schlafen – lag fast in Sichtweite der Stelle, wo sie auf den Kerl getroffen waren, der nicht ganz dicht im Oberstübchen war. Der, der überall rumerzählte, er würde mit Nixen verkehren.

Aber Nixen waren nicht so blöd, sich mit einem wie Tomasz abzugeben. An ihrer Existenz zweifelte Marek nicht. Es gab ja auch Hexen, Wiedergänger, Werwölfe und tausend andere Kreaturen, um die man besser einen weiten Bogen machte.

»Ob er ersoffen ist? Muss er ja. Es sei denn, er hat unter seinem wallenden Mädchenhaar Kiemen versteckt, was unwahrscheinlich ist.«

»Warum unwahrscheinlich?«, fragte der Tote Olek, der so hieß, weil er nur dadurch von einem echten Toten zu unterscheiden war, weil er sich bewegte und bei jeder sich bietenden Gelegenheit Essen in sich hineinstopfte. Eigentlich hätte er fett wie ein Mastrind sein müssen, aber das Gegenteil traf zu: Dürrer als er war niemand, den Marek kannte. Sein Gesicht sah aus wie gekalkt, so bleich war es, und selbst die Lippen waren nichts weiter als zwei blutleere Striche.

»Weil er das sonst auch schon jedem auf die Nase gebunden hätte – genau wie seine anderen Märchen! Der Kleine kann’s Maul einfach nicht halten, das weiß jeder!«

»Konnte«, grunzte Olek.

Mareks Augen lagen unnatürlich weit in den Höhlen, wodurch sie kleiner wirkten, als sie waren. Für den Betrachter ergab sich ein Eindruck, als würden die Pupillen hinter Schießscharten hervorlugen. »Hä?«

»Konnte«, wiederholte das Knochengerüst, dem die Kleidung bei jedem Schritt am Körper flatterte. »Wir glauben doch alle nicht, dass er deinen Wurf überlebt hat. Der ging unter wie der Stein, der ihn traf. Wenn er Glück hat, wird er irgendwo angeschwemmt oder herausgefischt, damit man ihn unter die Erde bringt. Aber für ein Heidenkind wird nicht mal ein Gottesdienst abgehalten. Das Gleiche blüht uns auch mal. Wir sind denen nichts wert. Gar nichts. Abschaum.«

Er ließ offen, ob er die Angehörigen ihrer Bande meinte oder die »feine Gesellschaft«, der sie ein Dorn im Auge waren, solange sie denken konnten.

Marek rieb sich die Nase. »Aber habt ihr seine Fresse gesehen? Wie ihm die Augen fast rausgequollen sind, als er unterging?« Er lachte hämisch. »Die Augen sind übrigens als Erstes dran.«

»Wo dran?«

»Bei den Fischen im Fluss. Die Augen fressen sie zuerst, heißt es. Sollen ’ne Delikatesse sein. Für die Geschuppten.«

»Nicht dein Ernst, oder?«, fragte Oleg. »Heißt das, wenn ich einen Fisch esse, kann der vorher Menschenaugen verspeist haben?« Er verzog das Gesicht.

»Und das widert dich an? Ehrlich jetzt? Bei allem, was du sonst so in dich reinstopfst?«, mischte sich der Lange Henk, das kleinste Mitglied ihrer Bande. Sein Spitzname war die blanke Verhöhnung, aber wenn einer darauf bestand, so gerufen zu werden, dann Henk selbst.

Die anderen wieherten, Marek eingeschlossen.

»Sauft nicht mehr so viel. Die heutige Ausbeute war kläglich. Wir sind abgebrannt. Morgen müssen wir uns einen der betuchteren Städter vorknöpfen, sonst können wir uns bald gegenseitig am nächsten Baum aufknüpfen.«

»Bevor’s die Büttel tun«, kicherte Henk.

Wieder stimmten die anderen ein.

»Wo willst du hin?«, fragte Oleg, als Marek sich von dem Stein erhob, auf dem er gesessen hatte.

»Ich leg mich hin. Und das Gleiche rate ich euch auch. Damit ihr morgen ausgeruht seid. Wenn die Pfeffersäcke nicht zu uns kommen, kommen wir zu ihnen – zu ihnen nach Haus. Zeugen darf es danach nicht mehr geben, das muss euch klar sein. Wen auch immer es trifft, wir müssen ihn dem Verrückten hinterherschicken.«

»Kinder auch?«

»Wenn Kinder im Haus sind, die auch. Klar. Keine Zeugen heißt keine Zeugen.«

»Aye-aye Käpt’n!« Zlatko – niemand kannte seinen Vornamen – war als Einziger von ihnen schon zur See gefahren. Zumindest behauptete er es. Und ließ keine Gelegenheit verstreichen, in den Jargon zu verfallen, der seiner Meinung nach auf Schiffen benutzt wurde. »Wird mir eine Ehre sein, ihnen die Hälse durchzuschneiden, den verdammten Bälgern!«

Selbst auf seine Kumpane wirkte die Äußerung befremdlich, weil Zlatko selbst nur unwesentlich älter war als die, die er gerade als Bälger titulierte.

»Verrückter Hund!«, blaffte Marek ihn an. Er mochte Zlatko. Aber Zlatko war auch der Einzige aus der Bande, dem er nie den Rücken zukehrte.

Er entfernte sich vom Feuer und legte sich in die strohgefüllte Kuhle, die er sich als Schlafplatz unter den Sternen hergerichtet hatte. Kniehohe Felsen bildeten einen Windschutz darum herum.

Marek ließ sich vollständig angezogen in sein Nest sinken. Es dauerte nur ein paar Atemzüge, und er war eingeschlafen.

***

»Käpt’n! Wach auf, Käpt’n!«

Zlatko rüttelte ihn aus dem Schlaf. Vom Gefühl her war er gerade erst eingenickt. Aber schon Zlatkos nächste Worte entlarvten das als Irrtum.

»Warst vielleicht ’ne Stunde weg, als es losging.«

»Losging? Was?«

»Oleg wollte seine Notdurft verrichten. Wir anderen saßen noch am Feuer. Tranken. Erzählten.«

»Ihr solltet euch doch aufs Ohr legen.«

»Weiß. Hätten wir auch. Gleich. Bestimmt.«

»Aber?«

»Oleg kam nicht zurück.«

»Wird sich auch hingelegt haben.«

»Hat er nicht. Hab nachgesehn. Aber das Schlimmste kommt noch.«

Marek richtete sich auf und versetzte Zlatko einen Stoß gegen die Schulter, der seine Gereiztheit zum Ausdruck bringen sollte. »Spann mich nicht auf die Folter! Was?«

»Als ich zum Feuer zurückkam, um’s den anderen zu erzählen … war keiner mehr da.«

»Dann pennen jetzt alle außer dir. Und mir«, gab Marek unwirsch zurück. »Zlatko, Zlatko, wenn ich dich nicht so gut leiden könnte, würde ich dir eine scheuern!«

»Tu’s nicht, Käpt’n. Ich bin dein letzter Getreuer. Die andern hat es schon alle geholt.«

»Es? Wen zur Hölle meinst du mit ›es‹?«

Die ganze Szene spielte sich unter dem Nachtfirmament ab. Aus Richtung des Feuers war keine Flamme mehr zu sehen, die die Dunkelheit erhellt hätte. Nur die Sterne, die nicht viel mehr als Umrisse der Landschaft erkennbar machten. Umrisse auch von Zlatko, der wie ein Gespenst vor Marek stand und zum ersten Mal, seit er ihn kannte, bis ins Mark verunsichert wirkte. Beherrscht von einer Furcht, die schon an Hysterie grenzte.

Marek glaubte, die Posse zu durchschauen. »Schon mal der Gedanke gekommen, dass sie dich verarschen? Dass sie dich einmal bibbern sehen wollen – was sie hiermit ja geschafft hätten.«

»Komm mit, Käpt’n.« Zlatko streckte ihm die Hand entgegen.

»Wohin?«

»Bitte.«

Marek hasste die Verfassung, in der Zlatko sich präsentierte. Gleichzeitig stellte er sich aber auch die Frage, ob er nicht längst ihm auf den Leim gegangen war – ob nicht in Wirklichkeit er, der Anführer ihrer Bande, auf den Arm genommen wurde und Zlatko dies gerade im Auftrag der anderen einfädelte.

In den Schatten nach Hinweisen suchend, die seinen Verdacht stützten, stieg Marek über die Umrandung seiner Bettstatt unter freiem Himmel und schloss sich Zlatko an. Bei den Resten des Lagerfeuers angekommen, blieb der andere stehen. Er bückte sich, sammelte mit den Händen ein bisschen herumliegendes, zundertrockenes Kleinholz zusammen und warf es in die Glut.

Sofort loderten neue Flammen auf, die die Umgebung erhellten. Zlatko richtete sich wieder auf und trat neben Marek. Sein Blick ging zu den im Rund angeordneten Steinen, auf denen sie gemeinsam gesessen hatten.

Als Marek erkannte, was der andere ihm zeigen wollte, geriet sein Verdacht ins Wanken, dass Oleg, Henk und die anderen gleich aus ihren Verstecken hervorspringen und sich grölend über ihn lustig machen würden. Wenn, dann hatten sie einigen Aufwand betrieben, um ihn hinters Licht zu führen.

»Genug der Scharade!«, knurrte Marek, ohne den Blick von all dem Blut nehmen zu können, mit dem die Steine besudelt und auch der Boden davor dunkel gefärbt war.

»Scharade?«, echote Zlatko. »Käpt’n! Das ganze Blut …! Wir …«

»Um mich reinzulegen, müsst ihr schon früher aufstehen.«