Professor Zamorra 1170 - Adrian Doyle - E-Book

Professor Zamorra 1170 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

Der Alchimist des Augenblicks

London, Sommer 1855
Als die kleine Hetty Trigspear mitten in der Nacht erwachte, zitterte sie wie Espenlaub.
Wieso um alles in der Welt war es denn so bitterkalt?
Verwirrt richtete sich die Neunjährige auf. Ihr Blick fand die Gestalt neben ihrem Bett.
"Dad! Daddy! Du bist wieder da ...!" Sie wollte aus dem Bett springen, ihm erleichtert um den Hals fallen. Aber etwas hielt sie zurück.
Weil etwas nicht stimmte. Auf groteske Weise falsch stand Kent Trigspear dort im fahlen Dunkel.
"Hetty! Kind!", flüsterte er eindringlich. "Geh und weck deine Mum! Ihr müsst sofort das Haus verlassen! Flieht, Kind, flieht, solange ihr noch könnt!"


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Inhalt

Cover

Impressum

Der Alchemist des Augenblicks

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Kiselev Andrey Valerevich/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7747-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Alchemist des Augenblicks

von Adrian Doyle

London, Sommer 1855

Als die kleine Hetty Trigspear mitten in der Nacht erwachte, zitterte sie wie Espenlaub.

Wieso, um alles in der Welt, war es denn so bitterkalt?

Verwirrt richtete sich die Neunjährige auf. Ihr Blick fand die Gestalt neben ihrem Bett.

»Dad! Daddy! Du bist wieder da …!« Sie wollte aus dem Bett springen, ihm erleichtert um den Hals fallen. Aber etwas hielt sie zurück.

Weil etwas nicht stimmte. Auf groteske Weise falsch stand Kent Trigspear dort im fahlen Dunkel.

»Hetty! Kind!«, flüsterte er eindringlich. »Geh und weck deine Mum! Ihr müsst sofort das Haus verlassen! Flieht, Kind, flieht, solange ihr noch könnt!«

Eine Tür weiter lag auch Claire Trigspear im Bett. Sie war in einen nervösen Halbschlaf gefallen, nachdem sie ewig lange wach gelegen und um Fassung gerungen hatte. Die Betthälfte, in der sonst ihr Mann schlief, war verwaist. Und die Leere dort erinnerte schmerzlich an die Ereignisse des zurückliegenden Tages, die das Leben der Familie auf den Kopf gestellt hatten.

Wann hatten sie jemals die Polizei im Haus gehabt?

Aber es war unumgänglich geworden, weil … nun, weil die Umstände, unter denen ihr guter Mann am helllichten Tag aus dem gemeinsamen Haus verschwunden war, gar zu alarmierend gewesen waren.

Wie hätte sie es auf sich beruhen lassen und geduldig auf seine Heimkehr warten sollen, wo es doch so ganz gegen seine Gewohnheiten war, sich ohne ein Wort der Erklärung davonzumachen? Kent war ein Ausbund an Rücksichtnahme und Pflichtbewusstsein; Werte, die sie auch ihrer Tochter zu vermitteln versuchten. Hetty vergötterte ihren Dad; vielleicht auch, weil er so selten Zeit für sie hatte. Das Geschäft, das er sich im Erdgeschoss des Hauses eingerichtet hatte, florierte. Was er den Londonern anzubieten hatte, war en vogue, spätestens seit der Weltausstellung vor wenigen Jahren, deren Besuchern der Mund vor Staunen offen gestanden hatte.

Claire und Kent Trigspears hatten zu den Massen gehört, die in den Hyde Park geströmt waren, um sich von den dargebotenen Attraktionen verzaubern zu lassen. Besonders der Crystal Palace hatte es ihnen angetan, dieses gewaltige gläserne Bauwerk, in dessen Innern Kent den Entschluss gefasst hatte, sein bisheriges Berufsleben – als Buchhalter in einer der vielen Fabriken – umzukrempeln und etwas ganz Neues zu wagen.

Der Pavillon, in dem eine Bilderausstellung gezeigt wurde – keine Gemälde, sondern Daguerreotypien und Photographien nach einem ganz neuen Verfahren, das »Negative« erzeugte, von denen beliebig viele Kopien hergestellt werden konnten – hatte ihn regelrecht elektrisiert.

»Dieser Kunst gehört die Zukunft!«, hatte er Claire vorgeschwärmt, und sie hatte sich anstecken lassen von seiner Begeisterung. Gemeinsam waren sie bei ihrem vermögenden Vater vorstellig geworden und hatten ihm ein Darlehen aus den Rippen geleiert, Kents Geschäftsidee in die Tat umsetzen zu können. Die eigenen Ersparnisse waren marginal und hätten nicht ansatzweise gereicht, um die teuren Apparate anzuschaffen, die nötig waren, um die Leute nicht nur in den Laden zu locken, sondern sie so zufriedenzustellen, dass deren Mundpropaganda ihnen immer neue, gut betuchte Kunden zuführte.

Claire konnte gar nicht in Worte fassen, wie stolz sie auf ihren Mann war. Schneller als jemals erwartet, hatten sie den Kredit an ihren Vater zurückzahlen können, sogar mit Zinsen, auf die Kent bestanden hatte, obwohl sein Schwiegervater auf die gewohnt joviale Weise darauf hatte verzichten wollen.

Kents Haltung war einer der Gründe, weshalb Claire sich in ihn verliebt hatte. Und er war nicht nur ein guter Ehemann, sondern auch ein liebevoller Vater. Mit Hettys Geburt hatte ihr Glück seinen ersten Höhepunkt gefunden; dass sie sich inzwischen auch manchen Luxus leisten und erlauben konnten, machte es perfekt.

Hatte es perfekt gemacht.

Bis vor einem halben Tag schien ihre kleine Familie auf dem Weg in eine blühende Zukunft zu sein. Kents rätselhaftes Verschwinden jedoch stellte dies alles infrage.

Was war passiert?

Claire wünschte, es hätte eine einfache oder gar zufriedenstellende – beruhigende – Antwort darauf gegeben. Dem war aber ganz und gar nicht so.

Am gestrigen Nachmittag hatte sie ihrem Mann etwas vom Mittagessen, das sie für ihn warmgehalten hatte, nach unten in den Laden gebracht. Wie manches Mal war er in Arbeit erstickt und nicht dazu gekommen, die Mahlzeit mit ihnen gemeinsam oben einzunehmen. Er habe einen dringenden Auftrag zu erledigen, hatte er gesagt. Der Kunde sei überraschend zu ihm in den Laden gekommen und habe erklärt, sich auf der Durchreise zu befinden und nur noch kurze Zeit in der Stadt zu weilen. Die »Photographie« von sich, die Kent ihm herstellen sollte, sei als Geschenk für einen teuren Freund gedacht. Nachdem Kent zunächst mit Verweis auf die sich stapelnde Arbeit abgelehnt hatte, war der Fremde ihm finanziell so enorm entgegengekommen, dass eine Ablehnung Narretei gewesen wäre.

Kent hatte sich also zum Wohl der Familie noch einen Auftrag mehr aufgeladen, für eine Summe, die fast schon unanständig hoch war, ihm von dem Kunden aber, wie er sagte, regelrecht aufgedrängt worden war.

»Ich bin käuflich«, hatte er seiner Frau mit Schalk in den Augen eröffnet, »wusstest du das nicht? Aber ich bin nicht billig.«

Lachend hatte er ihr das Goldstück gezeigt, mit dem der Kunde ihn »bestochen« hatte, und auch Claire waren die Augen übergegangen.

Im Nachhinein fragte sie sich, ob die Höhe des Salärs, den der Unbekannte zu zahlen bereit war, sie nicht hätte stutzig machen, nicht hätte warnen müssen. Aber sie lebten in verrückten Zeiten voll mit verrückten Menschen. Es gab Bitterarme und Steinreiche, und Letztere wussten oft nicht, wohin mit ihrem Vermögen.

Damit hatte Kent sie und sie sich selbst beruhigt. Als ihr Gatte dann auch nach Einbruch der Dunkelheit noch nicht nach oben gekommen war, hatte sie Hetty zu ihm geschickt, um ihn daran zu erinnern, dass der Gott dem Menschen noch mehr als nur Arbeit und immer noch mehr Arbeit geschenkt hatte.

Hetty war Minuten später zurückgekommen und hatte Claire eröffnet, Daddy sei »nicht da«.

Sie hatte es erst nicht glauben wollen, war schließlich selbst nach unten gegangen, wo sie alles genauso vorgefunden hatte, wie von ihrem Töchterchen berichtet. Der Teller, den sie ihrem Mann gebracht hatte, war kaum angerührt. Mehr als ein paar Bissen hatte Kent offensichtlich nicht zu sich genommen. Das Essbesteck lag so, als hätte er es nur mal eben aus der Hand gegeben, um seiner Arbeit wieder nachzugehen, aber mit der erkennbaren Absicht, zwischendurch immer einmal weiter zu essen.

Nur war es dazu offenbar nicht gekommen.

Weil …?

Claire hatte gemeinsam mit Hetty die Nachbarschaft nach ihrem Mann abgeklappert, den alten Lennard von schräg gegenüber beispielsweise, zu dem Kent manchmal, wenn er eine Pause machte, zu einem Plausch zog. Die viele Arbeit hätte es an diesem Tag eigentlich verbieten müssen, zumal Frau und Kind auf ihn warteten, aber Claire wollte alle Eventualitäten ausschließen.

Lennard Cox betrieb eine kleine Töpferwerkstatt und ging schon auf die achtzig zu. Ein drahtiger, geistig wacher, humorvoller Zeitgenosse, mit dem sich auch Claire schon oft und gerne unterhalten hatte. Lennard war bestürzt, als er hörte, welche Sorgen sich Claire und Hetty machten. Aber Kent habe an diesem Tag nicht bei ihm vorbeigeschaut und ihm sei auch der eilige Kunde nicht aufgefallen, von dem Kent gesprochen hatte, obwohl er von seiner Werkbank aus durch das Fenster auf Claires Zuhause blicken konnte.

»Wenn ich töpfere, vergesse ich alles um mich herum«, hatte er noch entschuldigend gemeint.

Claire hatte sich bedankt und war weiter herumgeirrt. Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass Kent nicht zwischenzeitlich heimgekommen war, hatte sie Hetty bei Lennard abgesetzt und war zur nächsten Dienststelle der Stadtpolizei geeilt. Zuerst hatte man sie nicht zum Commissioner vorlassen wollen. Aber er hatte sich vor nicht allzu langer Zeit auch einmal von Kent photographieren lassen. Ein Abzug der Kollodiumplatte hing seither nicht nur hübsch gerahmt an der Wand hinter seinem Schreibtisch, sondern zierte auch mehrere Zimmer seiner heimischen Wohnung. Kent hatte sie ihm zu einem Sonderpreis überlassen – auch mit dem Hintergedanken, dass der Dienststellenleiter die Werbetrommel für ihn rührte. Honorige Persönlichkeiten der Stadt gingen bei ihm ein und aus.

Die Investition hatte sich in einem deutlichen Anstieg der Aufträge niedergeschlagen, aber auch der Commissioner hatte seiner Zufriedenheit über die Photographien mehr als einmal Ausdruck verliehen. Er kannte Kent ebenfalls als gewissenhaften, untadeligen Menschen, deshalb hatte er einen Constable mit Claire zum Laden geschickt. Der hatte sich alles genau angesehen, Notizen gemacht und darum gebeten, sich auch in den Privaträumen umschauen zu dürfen.

Geholfen, Kent wiederzufinden, hatte all das nicht. Aber immerhin hatte der Constable versprochen, dass sämtliche Polizisten des Viertels nach ihm Ausschau halten würden. Claire sollte die Nacht abwarten. Falls Kent bis zum Morgen nicht aufgetaucht war, sollte sie noch einmal vorstellig werden.

Aber bis zum Morgen schien es endlos lang zu sein. Zäh reihte sich Minute an Minute, Stunde an Stunde, in der Claire keine Ruhe, geschweige denn echten Schlaf fand. Wie gerädert würde sie aus dieser Nacht hervorgehen, würde –

Die Tür sprang auf.

Geräusch und Bewegung ließen sie auffahren. Da kam Hetty schon auf sie zugeflogen, völlig panisch, wie Claire im Licht der Lampe erkannte, die sie auf dem Nachttisch hatte brennen lassen. Schwach nur, aber die Dunkelheit hatte sie nicht ertragen.

»Hey, hey, hey! Was ist denn los, meine Schöne?«

Natürlich ahnte sie, was ihre Tochter, die sich wie eine Ertrinkende an sie schmiegte, bewegte. Für ein Kind musste es noch um ein Vielfaches schwerer zu ertragen sein, wenn ein geliebter Mensch plötzlich und ohne jede Erklärung verschwand.

Hetty löste sich von ihr, griff nach ihrem Handgelenk, zerrte an ihr.

»Was ist denn, Kind?«

»Wir – wir müssen weg!«

»Weg?«, wiederholte Claire bestürzt, während sie versuchte, sich aus Hettys Umklammerung zu befreien. »Kind, was redest du da nur. Wir können nicht weg. Wohin auch, mitten in der Nacht? Jemand muss da sein, wenn Daddy heimkommt. Wir können ihn doch nicht –«

»Aber darum geht es doch«, plapperte Hetty völlig aufgelöst. »Er ist ja schon heimgekommen! Er schickt mich – damit wir von hier fliehen. Solange…« Sie verschluckte sich fast vor Aufregung. »Solange wir noch können, hat er gesagt!«

Fünfzehn Stunden zuvor

Das Glöckchen über der Ladentür bimmelte, als Kent Trigspear gerade in der Enge seiner Dunkelkammer beschäftigt war. Ohne in seiner Konzentration nachzulassen, rief er: »Ich komme gleich! Es dauert nur eine Minute. Sehen Sie sich doch schon einmal um.«

Er zog den belichteten Bogen Papier noch ein paar Mal durch das Entwicklungsbad, bevor er ihn mit spitzen Fingern heraushob, abtropfen ließ und zum Trocknen an der über dem Arbeitstisch verlaufenden Leine festklammerte. Anschließend befreite er sich von den Gummihandschuhen, mit denen er die Hände vor der Chemikalie schützte. Gegen die Dämpfe, die seine Augen zum Tränen brachten und sich auf die Atemwege legten, gab es kein ähnlich praktikables Mittel. Außer er hätte sein Labor in den Hinterhof, also ins Freie, verlegt. Aber selbst dort hätte er eine geschlossene Verdunkelungskabine aufstellen müssen, womit sich die Situation für Trigspear nicht spürbar verbessert hätte.

Seiner Frau Claire gegenüber verschwieg er, dass er von Berufskollegen wusste, die aufgrund ihres Umgangs mit Quecksilber und Silbernitrat bleibende gesundheitliche Schäden davongetragen hatten; sogar über Todesfälle wurde gemunkelt. Er beruhigte sich selbst damit, dass er den Aufenthalt in der Kammer auf das Nötigste beschränkte und den Ladenbereich, in den natürlich auch Dämpfe entfleuchten, mehrmals am Tag lüftete.

Mit geröteten Augen schlug er den schweren Vorhang zurück, der das Tageslicht aussperrte. Im ersten Moment glaubte er, sich das Glockenbimmeln nur eingebildet zu haben, denn im Empfangsbereich, wo er einige seiner beeindruckendsten Referenzen ausstellte, schien sich außer ihm niemand aufzuhalten. Möglicherweise hatte der Interessent, als er Trigspears Bitte um etwas Geduld hörte, aber auch schlicht die gegenteilige Reaktion gezeigt und auf dem Absatz kehrtgemacht. Der Photograph hatte sich abgewöhnt, sich von solchen Reaktionen beeindrucken zu lassen. Wer ernsthaftes Interesse hatte, kam wieder. Und um die, auf die das nicht zutraf, war es nicht schade.

Er schmunzelte unbewusst, weil ein Teil von ihm fast erleichtert war. Die Auftragsbücher quollen über. Er kam gar nicht mehr zur Ruhe und hatte mit Claire schon diskutiert, ob es nicht allmählich sinnvoll wäre, sich Gedanken über einen Helfer in Festanstellung zu machen.

Damit hatte er keine Begeisterungsstürme geerntet. Claire war schon immer die Vorsichtigere von ihnen gewesen. Selbst nachdem sie den Kredit ihres Vaters zurückgezahlt hatten, verfolgte sie die Erfolgsgeschichte ihres kleinen Unternehmens mit einer – sie nannte es so – gesunden Portion Misstrauen. »Heute mögen die Leute ganz verrückt nach deinen Photographien sein – aber wer weiß, was als Nächstes erfunden wird. Dann laufen sie uns vielleicht wieder in Scharen davon!«, pflegte sie zu mahnen.

Kents Antwort war jedes Mal: »Bis dahin sind wir reich! Und wenn nicht, springen wir einfach auf den nächsten Zug mit auf. Habe ich dir nicht bewiesen, dass ich ein Näschen für Trends habe? Und weil ich es habe, sage ich dir in voller Überzeugung: Der Bilderboom wird noch lange, lange anhalten! Selbst Hetty wird noch gut davon zehren können, wenn sie das Geschäft eines Tages übernimmt.«

Beim Gedanken an seine Tochter wurde ihm warm ums Herz.

»Mister Trigspear?«

Er wirbelte halb um die eigene Achse, so sehr erschrak er. Ein Mann trat hinter einem Paravent hervor, und für einen Moment brachte sein Anblick das Blut in Trigspears Adern zum Stocken.

Er überwand seinen Schrecken und tat den Gedanken, den Besucher schon einmal gesehen zu haben, als fixe Idee ab.

»Sir? Wie kann ich Euch helfen?«

»Ist Mister Curtdale nicht da?«

Curtdale war der Name des Vorbesitzers.

Trigspear schüttelte den Kopf. »Ich führe seit drei Jahren das Geschäft. Mister Curtdale wollte sich in den Ruhestand zurückziehen. Es war ihm aber nicht vergönnt, ihn auch tatsächlich zu genießen.« Trigspear räusperte sich unbehaglich, weil ihn immer noch betrübte, unter welchen Umständen die Übergabe stattgefunden hatte.

Die Augen des Besuchers verengten sich. »Den Worten entnehme ich, dass er das Zeitliche gesegnet hat?«

Trigspear nickte. »Wart Ihr Kunde bei ihm?«

»So kann man sagen. Einer seiner Ersten, schätze ich. Hat er mich nie erwähnt?«

»Erwähnt?« Trigspear schüttelte den Kopf. Das Gespräch entwickelte sich in einer Weise, die ihm diffuses Unbehagen bereitete, ohne dass er genau hätte sagen können, warum.

Der Besucher machte eine abwiegelnde Geste. »Unwichtig.« Wie um abzulenken, zeigte er auf eine der gerahmten Porträtaufnahmen, die den Laden zierten. »Das, was Ihr anbietet, nennt man auch die Alchemie des Augenblicks. Wusstet Ihr das?«

Trigspears bejahte. In der Tat war ihm diese Analogie schon einmal vermittelt worden, und zwar ausgerechnet vom Vorbesitzer des Ladens, über den sie gerade gesprochen hatten. Trigspear hatte dem alten Mann, der im Gegensatz zu ihm als echter Pionier auf dem Gebiet der Photographie bezeichnet werden konnte, das eingeführte Geschäft abgekauft; ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung von Claires Vater. Curtdale, selbst noch reiner Daguerrotypist – andere Verfahren gab es zu der Zeit, als er sein Geschäft betrieb, noch nicht – hatte es genauso formuliert: ›Weißt du, Söhnchen, wie man das, was wir tun, in den Anfangszeiten nannte?‹, erinnerte sich Trigspear noch genau an seine Worte. ›Alchemie. Die Alchemie des Augenblicks