Professor Zamorra 1176 E-Book

Manfred H. Rückert

• Herausgeber: Bastei Entertainment
• Kategorie: Abenteuer, Thriller, Horror
• Serie: Professor Zamorra
• Sprache: Deutsch
• Veröffentlichungsjahr: 2019

Seitenzahl: 144

Beschreibung

Verliere dein Gesicht

Die Anklägerin ließ den Blick über die Zuhörer streifen und schaute zum Schluss die zehn Beschuldigten an, die unterhalb des Holzpodests vor ihr standen. Sie waren zusammengepfercht wie Tiere. Der Gestank von Blut, Schweiß, Dreck und Fäkalien war allgegenwärtig.
"Ihr wurdet des Verrats an eurem Volk für schuldig befunden und habt daher die härteste Strafe verdient, die einen von uns treffen kann", erklärte Seanzaara.
Die Angeklagten taumelten zurück, sie schrien und stöhnten.
Mit regloser Miene fuhr Seanzaara fort:
"Das Urteil lautet auf Gesichtslosigkeit!"

Leseprobe

Inhalt

Cover

Impressum

Verliere dein Gesicht

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Pavel Chagochkin/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8178-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Verliere dein Gesicht

von Manfred H. Rückert und Oliver Müller

»… und an eurer Schuld gibt es keinen Zweifel«, sagte die Anklägerin mit schneidend scharfer Stimme. »Ihr seid Feinde des Volkes der Caltaren und von K’oandar. Bei dieser Beweislage fällt mir die Auswahl der Bestrafung nicht schwer.«

Sie ließ den Blick über die Zuhörer streifen und schaute zum Schluss die zehn Angeklagten an, die unterhalb des Holzpodests vor ihr standen. Sie waren zusammengepfercht wie Tiere, der Gestank von Blut, Schweiß, Dreck und Fäkalien war allgegenwärtig.

»Ihr wurdet des Verrats an eurem Volk für schuldig befunden und habt daher die härteste Strafe verdient, die einen von uns treffen kann«, erklärte Seanzaara.

Die Angeklagten taumelten zurück, sie schrien und stöhnten.

Seanzaaras Gesicht war ohne Leben.

»Das Urteil lautet auf Gesichtslosigkeit!«

»Lern erst die Tiefe des Abgrunds kennen, ehe du hineinspringst. Es könnten Augenblicke kommen, wo du aufwachst, und dann möcht es zu spät sein.«

Friedrich von Schiller, deutscher Dichter, Philosoph & Historiker (1759 – 1805)

Prolog

Exilplanet Exodus

»Beim ORTHOS und beim verfluchten Land Grex!«, schimpfte Tarunja Demus und erhob sich von ihrem Lager, als die Tür ins Schloss fiel. »Woher kommst du, Aysnar?«

»Es ist nur gut acht Tagesmärsche von hier entfernt«, antwortete der ehemalige Grecer und überhörte den Fluch seiner Freundin über seine einstige Heimat. Er umarmte sie, ließ sich auf einen Holzstuhl fallen und fuhr mit einer Hand durch die schulterlangen, zerzausten dunkelblonden Haare. Dankbar nahm er den Humpen Wein entgegen, den sie ihm als Willkommenstrunk reichte und stieß mit ihr an. »Dort können wir ungestört unseren Experimenten nachgehen, ohne dass uns die Sauroiden oder die Silbermondler stören.«

Er trank den Humpen auf einen Zug leer, rülpste lautstark und stellte das Gefäß auf den Tisch.

»Du willst noch einmal acht Tagesmärsche zurücklegen?« Es war deutlich zu hören, dass Tarunja nicht viel von der Idee hielt. Sie zeigte nicht, dass sie sich über die Rückkehr ihres Gefährten freute. »Du bist doch gerade erst angekommen und willst schon wieder weg?«

»Alternativ könnten wir uns einen der Gleiter ausleihen«, erwiderte der Gewürzhändler, wohl wissend, dass die Idee nicht gerade eine der sieben besten war. »Das würde die Reisezeit auf ein Minimum drücken.«

»Du weißt genau, dass die Echsenleute ihre Fluggeräte besser hüten als alles andere«, gab sie zu bedenken. Tarunja starrte auf das flackernde Feuer im Kamin. »Sie werden uns kaum eins der technischen Meisterwerke geben. Bei einem Diebstahl reagieren sie unbarmherzig.«

Aysnar Stormgaard stand auf und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor den gemauerten Kamin, in dem die Flammen unruhig tanzten. Er genoss die Wärme des Feuers und das Gefühl, zurück bei seinen Leuten zu sein. Er konzentrierte sich auf seine Geliebte und ignorierte Gorlon Hillac und Faranya Torr, die sich im Nebenzimmer bei irgendwelchen neckischen Liebesspielen aufhielten.

»Ich sagte nichts von stehlen«, stellte er klar und kratzte sich am dunkelblonden Bart. »Aber uns muss doch etwas einfallen, wie wir die Reise abkürzen können.«

»Dir muss etwas einfallen«, sagte Tarunja Demus und öffnete die Hände mit den Innenseiten nach oben. »Ich weiß nicht, wie es an deinem Traumort aussieht und ob es mir dort gefallen würde.«

»Aber natürlich würdest du dich in den Ort verlieben«, war Stormgaard sicher. »Dort sieht es ähnlich aus wie am Sooystmeer im Sooyst in der Nähe von Rhonacon.«

Er legte die Finger mit den Kuppen gegeneinander, dass sie eine Pyramide bildeten. Langsam zog er die Hände auseinander. Im Raum zwischen den Fingern erschien das Abbild jener Küstengegend, von der Stormgaard gerade berichtet hatte. Tarunja nickte anerkennend, dann verblasste das biologische Hologramm, bis es nicht mehr zu sehen war.

»Alternativ müssten wir wieder lernen, wie man einen Teppich fliegt«, hörte er Faranya Torr aus dem Nebenzimmer sagen. Die schlanke Frau mit den schulterlangen dunklen Haaren blickte durch den Türspalt. »Erinnert euch daran, das war früher in der Straße der Götter an der Tagesordnung.«

»Aber nicht bei uns kleinen Lichtern«, widersprach der Gewürzhändler. »Das war Sache der Witches und Schamanen und von dem einen oder anderen Gesindel.«

Der ehemalige Grecer verkniff sich ein bitteres Lächeln.

»Erinnerst du dich noch an Aronyx und Sestempe?«, stellte er eine Frage. »An die vielen Millionen Menschen, Dämonen und Götter, die dort lebten? Wie bunt unsere Welt damals war! Hier haben wir eine Million Sauroiden und noch keine viertausend von unserer Art, wenn man die Arbeiter von der Erde weglässt.«

Tarunja nickte und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Das Feuer im Kamin brachte ihre langen rotblonden Haare zum Leuchten.

»Nicht alles damals war gut«, sagte sie. »An die Dämonen oder den trüben König Wilard möchte ich nicht erinnert werden, da haben wir es hier weitaus besser.«

»Aber mir fehlen die unzähligen Menschen der Straße der Götter«, erklärte er. Seine Augen glänzten, als er aufzählte: »Der Krokodilfluss, Rhonacon, Khysal …«

»Das ist alles unwiederbringlich verloren«, versuchte ihn Tarunja zu beruhigen.

Stormgaard blickte über ihre Schultern hinweg in das Nebenzimmer zu Faranya Torr. Sie strich die Haare nach hinten und starrte zurück.

»Kennst du jemand, der einen Teppich fliegen kann?«, erkundigte er sich bei ihr.

Sie leckte mit der Zunge kurz über die Unterlippe und nickte. Faranya war zum einen ein logisch denkender Mensch, andererseits hatte sie während ihrer Zeit auf der Straße der Götter die Zauberkräfte von Zeus, Apollo oder Thor auf der Seite des Olympos und Dämonen wie Pluton oder Fulcor auf der Seite des Orthos miterlebt.

»Gorlon konnte es, damals als Krieger von Damon und Byanca«, antwortete sie und deutete mit dem Daumen kurz hinter sich. »Ich bin sicher, dass er es auch heute noch beherrscht.«

Ein lautstarkes, protestierendes Gähnen begleitete ihre Worte. Gorlon schien nicht von Faranyas Vorschlag begeistert zu sein.

»Ich habe restlos alles verlernt«, behauptete er und lehnte sich gegen die Tür, als müsste er sie vor dem Einstürzen bewahren. Es war ersichtlich, dass er die Arbeit scheute, die sie ihm zuweisen wollte. Er rieb mit den Händen über die Augen und gähnte erneut, allerdings erheblich leiser und kürzer als zuvor. »Absolut alles.«

»Magie verwenden verlernt man nicht. Diese Begabung bleibt fürs ganze Leben«, wies sie ihn zurecht und zeigte auf den Kamin. »Du kannst auf alle Fälle immer noch ein Feuer ohne Hilfsmittel entzünden. Und das ist eine deiner kleinsten Übungen.«

»Kann ich überhaupt nicht«, widersprach er und schüttelte den Kopf.

»Das Feuer geht aus«, sagte Tarunja wie beiläufig und warf einige kleine Zweige in den Kamin. »Dabei ist mehr als genug Holz vorhanden.«

Gorlon gähnte und schüttelte den Kopf. Er streckte die rechte Hand aus und spreizte die Finger ab. Die Flammen im Ofen wurden größer und heller. Es prasselte, als das trockene Reisig entzündet wurde.

»Na also, es geht doch«, sagte Faranya und grinste. »Darauf lässt sich aufbauen.«

Gorlon Hillac starrte sie müde an. Langsam begriff er, dass er sich auf einfachste Art und Weise hatte übertölpeln lassen.

»Das werde ich ganz bestimmt nicht«, murmelte er angefressen. »Da kannst du lange drauf warten.«

☆

Drei Tage später

»Bei Fulcor und bei Abbadon! Und bei Pluton, dem Verdammten!«, fluchte Gorlon und raufte sich die Haare. Die Namen der drei ehemaligen Dämonen auf seiner zerstörten Heimatwelt benutzte er im Allgemeinen nur, wenn er sich über sich selbst ärgerte. »Freunde, ich habe euch abgesagt. Weshalb akzeptiert ihr nicht, dass ein nein eine Ablehnung ist?«

»Weil du ein nein selbst nicht ernst nimmst und überredet werden willst«, antwortete Faranya Torr. Sie strich ihrem Gefährten liebevoll über den Oberarm. »Na komm schon, du willst doch selbst wissen, ob du es noch so gut hinkriegst, einen Teppich zu fliegen, wie damals unter König Wilard.«

»Das ist immerhin schon gut fünfunddreißig Jahre her«, widersprach Gorlon, wenn auch nicht mehr so vehement wie zuvor. »Damals war ich ein junger Bursche. Wenn ich die gaffende Meute dahinten sehe, vergeht meine Konzentration.«

Die Meute bestand aus gerade mal vier weiteren Menschen, allen voran Aysnars Gefährtin Tarunja Demus.

»Denk nicht daran, sonst versagst du«, gab Faranya zu bedenken. »Öffne deinen Geist und schmiede die Magie nach deiner Vorstellung. Falls du Energie benötigst, dann zieh sie von mir ab. Ich gebe dir gern von meiner Kraft.«

Sie umarmte und küsste ihn. Dann nahm sie die Position rechts neben ihm ein, bereit, ihn zu unterstützen, wenn er ihre Hilfe benötigte. Sie legte ihm vorsichtshalber die Hand auf die Schulter.

Sie befanden sich auf einer Wiese, über eine Tagesreise von ihrer Ansiedlung entfernt, die sie in einem Anflug von Größenwahn Straße der Götter genannt hatten. Hier, am Fuß des sogenannten Schroffen Gebirges, wollten sie die Fähigkeiten des ehemalige Grecers ausprobieren. Seinen Worten zum Trotz hatte er sich breitschlagen lassen, das Unternehmen durchzuführen.

»Sagt nichts, um meine Konzentration nicht zu stören«, forderte er seine Begleiter auf. Stormgaard saß in der Mitte hinter ihnen. »Und haltet eure Gedanken im Zaum. Am besten wäre es, wenn ihr nicht denkt, bis ich den Teppich in der Luft habe.«

Gorlon schloss die Augen und konzentrierte sich. Sein Atem wurde ruhiger, langsam entspannte er sich. Als er einen gewissen Grad zwischen Konzentration und Entspannung erreicht hatte, versetzte er sich mittels eines Schaltwortes in Trance.

Er bemerkte nichts um sich herum. Alle Sinne waren mit einem Mal wie abgeschaltet. Er hörte nichts, roch nichts, spürte nichts.

Er würde nichts bemerken, selbst dann nicht, hätte man ihn weggetragen. Die Fokussierung auf seine Magie kostete ihn unglaublich viel Energie. Aber sie war nötig, wollte er Erfolg haben.

Seine Atmung wurde flacher.

Der Kopf sank langsam nach vorne, bis die Stirn die vor der Brust gefalteten Hände berührte. Er fühlte sich losgelöst von allem; frei, ungebunden. Er murmelte mit gutturaler Stimme etwas vor sich hin, hob beide Hände und wob ein magisches Muster, um den Zauberspruch zu unterstützen.

Der Teppich erhob sich vom Boden ohne zu ruckeln. Er bildete eine gerade Fläche, einen ebenen Untergrund für seine drei Passagiere. Es schien, als existierten die Gesetze der Schwerkraft nicht mehr für ihn. In etwa einem Meter Höhe kam er zu stehen. Gorlons Begleiter hielten den Atem an. Das Experiment klappte tatsächlich.

»Dass ich das noch erleben darf«, hauchte Aysnar Stormgaard. Tränen der Freude rannen über die Wangen des Gewürzhändlers. In Gedanken rieb er sich die Hände wie ein gerissener levantinischer Händlerpatriarch, der gerade seine gesamte Sippe prachtvoll übers Ohr gehauen hatte. »Das ist fast so wie damals. Nur schöner.«

»Und jetzt flieg«, mahnte Faranya ihren Geliebten, obwohl sie wusste, dass er sie in dem Zustand nicht wahrnahm.

Das Unglaubliche geschah, der Teppich setzte sich in Bewegung. Zuerst unendlich langsam, erheblich weniger als Schrittgeschwindigkeit. Als Gorlon Hillac das Tempo steigern und den Teppich höher steigen lassen wollte, wurde der Flug gestoppt. Es erschien den Passagieren, als würden sie gegen eine Glasmauer aufprallen. Von etwas mehr als einem Meter Höhe fiel ihr textiles Fluggefährt auf das dichte Gras.

Ihre vier Freunde im Hintergrund schrien erschrocken auf und wollten sich auf den Weg machen, nachzusehen, ob etwas Schlimmes passiert war. Aysnar winkte ab, Tarunja Demus und die drei anderen zogen sich wieder zurück.

Die verhinderten Teppichflieger fluchten und standen nach wenigen Sekunden wieder auf. Glücklicherweise hatten alle nur leichte Prellungen erlitten.

Faranya massierte die Hüften, Aysnar die Schulter und den Kopf. Nur Gorlon schien noch im Bann der Konzentration zu stehen und keine Schmerzen zu spüren. Sein Gesicht war schweißüberströmt, obwohl er sich in Gedanken noch keine fünf Minuten auf sein Ziel fokussiert hatte.

»Was war das?«, flüsterte Tarunja von ihrem Beobachtungsplatz, als könnte ein lautes Wort den Zauber zerstören. »Weshalb hatte der Flug nicht funktioniert?«

»Egal«, antwortete Faranya. Ihren Worten zum Trotz sah sie ihre Begleiter kritisch an. »Wir machen weiter.«

Gorlon begann unruhig zu werden. Er stand auf und ging um den Teppich herum.

»Was hast du?« fragte Aysnar schläfrig.

Gorlon zuckte schweigend mit den Schultern. Er ging weiter herum, blickte auf die Gipfel des Schroffen Gebirges, setzte sich wieder und stand auf.

»Du bist nervös«, stellte Faranya fest und verfolgte die schlanke Gestalt des Grecers mit den Augen. »Hast du irgend etwas durch Magie vernommen oder gesehen?«

»Nichts«, brummte Gorlon. »Ich bin einfach unruhig. Ich kenne den Grund nicht.«

Sie setzten sich erneut auf den Teppich und nahmen ihre zuvor eingenommenen Ruhepositionen ein. Gorlon wiederholte die nötige Prozedur, um einen zweiten Versuch zu starten. Er konzentrierte sich auf die nötigen Beschwörungen und Handbewegungen. So gut es ging, musste er die phonetischen Übersetzungen in sein phänomenales Gedächtnis einprägen. Nur Narren wagten es, Änderungen in altüberkommenen Ritualen vorzunehmen. Im günstigsten Fall blieb die Beschwörung trotz aller Bemühungen ohne Wirkung.

Hillac murmelte Beschwörungen und malte magische Formeln in die Luft. Die Zeichen leuchteten rötlich auf und begannen zu brennen. Mittels seiner Magie versuchte er, den Teppich in die Luft zu erheben. Die Schriftzeichen glühten auf und verbrannten. Rußflocken schwebten dem Boden entgegen und senkten sich auf die Wiese nieder. Dort angekommen, schoben sie sich unter das Fluggefährt.

Der Teppich erhob sich und blieb auf Mannshöhe stehen. Er bewegte sich zuerst langsam, dann immer schneller werdend. Schlussendlich erreichte er die Geschwindigkeit eines Blitzes.

☆

Noch bevor die meisten Bewohner des Silbermonds nach Exodus umgezogen waren, hatten die ersten Erkundungstrupps den Planeten kartografiert. Mittlerweile lag eine vollständige Karte von Exodus vor. Dass die nach nur sechs Jahren Untersuchung weitaus mehr weiße Flecken als genau kartografierte Stellen besaß, war verständlich.

Ebenso wie K’oandar war auch Exodus ein Schnittpunkt zwischen den Dimensionen. Auf dem höchsten Berg dieser Region, direkt über einem Binnenmeer gelegen, stand ein seltsames Gebilde aus Stein. Es konnte unmöglich natürlichen Ursprungs sein, mit seinen verzerrten Gesichtern mit geöffneten Mündern und Augen wirkte es wie ein Ritualfelsen. Zu bestimmten Zeiten flogen Tausende von Tolkvögeln, ein Äquivalent zu irdischen Raben, dort ein und aus.

Es hieß, dass sie sich nur bei übermäßigem Gebrauch von Magie zeigen würden. Aber wer gab schon etwas auf unbewiesene Behauptungen?

☆

Die drei durchstießen mit ihrem magischen Fluggefährt das Gefüge des normalen Raums und prallten gegen etwas Unsichtbares.

Die Dunkelheit schlug nach den Menschen, erstickte sie fast und ließ sie in hilfloser Ohnmacht zurück.

Die Umgebung wurde erst konturhaft, schließlich nebelförmig, um gleich darauf völlig zu verschwinden. Der aufkommende Schmerz war grell und peinigend.

Gorlon Hillac fühlte sich wie von dem unzerreißbaren Netz einer Riesenspinne gefesselt. Ein Schwindelanfall ließ ihn in kurze Ohnmacht versinken. Wie fließende Lava breiteten sich unaufhaltsam Ströme von Schmerz aus, sie schienen dabei jeden einzelnen Muskel zu foltern. Bei seiner höchsten Empfindungsspitze brach er ab, als hätte sich das leitende Nervensystem von selbst ausgeschaltet. Und als der Teppichflieger die Augen öffnen konnte, sah er nichts als wabernde Dunkelheit, erfüllt von matten Schleiern, die von Lichtspeeren durchsetzt waren.

Er bekam den Eindruck, dass ihn Tausende von Flügeln umflatterten. Das Krächzen von unzähligen Vögeln klang ihm in den Ohren und ließ ihn beinahe ertauben. Er bemerkte nicht dass er es selbst war, der stöhnte.

Als Gorlon den Blick wieder genau ausrichten konnte, schien es, als habe sich die Düsternis teilweise zurückgezogen. Ihm war, als hätte er gegen eine vollkommen irrationale Naturbewegung gekämpft. Etwas, dass es nicht geben durfte.

Etwas Widernatürliches.

Vorsichtig probierte er einige Muskelpartien aus. Sie ließen sich zwar bewegen, schmerzten aber dafür umso heftiger. Langsam rollte Gorlon sich herum, tastete sich über den Bodenbelag und kroch wie ein mannsgroßes Insekt weiter, durch die Nacht, einer fernen Lichtquelle entgegen.

Vielen Lichtquellen, verbesserte er sich in Gedanken. Vielen tausend kleinen Lichtern entgegen.

Den Sternen von Exodus! Er kannte die Sternbilder aus den Nächten der vergangenen Jahre genau.

Die Minuten zertropften in ereignisloser Eintönigkeit. Sie schlichen dahin, zerfaserten die Zeit und schienen nicht mehr messbar zu sein. Eine seltsame Stimmung hatte Gorlon Hillac ergriffen. Er war hellwach und träumte gleichzeitig. Und dann existierte nur noch Dunkelheit um ihn herum.

☆

K’oandar, Welt der zwei Sonnen

Die Augen der kleinen Frau waren geschlossen. Sie saß im Schneidersitz auf dem blanken Boden. Langsam wiegte sie ihren halbbedeckten Oberkörper vor und zurück. In den vor der Brust verschränkten Armen hielt sie ein kopfgroßes, quaderförmiges, an den Ecken abgerundetes Objekt, das auf eigentümliche Art strahlte und wie ein Herz schlug.

Schweiß rann ihr in Strömen übers Gesicht. Die Lippen waren leicht geöffnet; bei jedem Atemzug stieß sie keuchende Laute aus, als erleide sie große Schmerzen.

Meistens war sie fast nackt und trug auch heute wieder nur einen schmalen Slip um die Hüften und eine Kette um den Hals. Dazu eine Art Stola um die Schultern.

»Haak N’ell, quo saran …« Zuerst mit brüchiger Stimme, dann mit jedem Wort lauter und kehliger werdend, zitierte sie den uralten Zauberspruch, der Seelen binden sollte.

»… al oahn … ay arrahm …«

Die Prozedur war unglaublich kräftezehrend. Die Hexe wusste genau, wie weit sie gehen musste, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Dieses Mal war es noch anstrengender als sonst, denn zehn Delinquenten auf einen Satz hatte sie bisher noch nicht bestrafen müssen. Sie musste einiges an Vorbereitung treffen, um die Vollstreckung so glatt wie möglich zu gestalten.

Die Verurteilten sollten lange und laut leiden. Seanzaara hingegen wollte ihre Tätigkeit als Scharfrichterin so kurz wie möglich gestalten. Umso stärker würde sie vor ihren eigenen Leuten dastehen. Schon seit Jahren wagten es nur wenige, gegen sie aufzubegehren. Kein Wunder, sie hatte bislang noch jeden Kampf gewonnen.