Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
April 3112 alter Terranischer Zeitrechnung: In dieser Zeit geht die United Stars Organisation - kurz USO - gegen das organisierte Verbrechen vor. An ihrer Spitze steht der Arkonide Atlan, Perry Rhodans bester Freund. Ein Zellaktivator verleiht dem mehr als zehntausend Jahre alten einstigen Imperator des arkonidischen Imperiums die relative Unsterblichkeit. Nach seiner Rettung vom Planeten Shenzen fliegt Atlan mit dem Ultraschlachtschiff MORPHEUS zum Solsystem. Dort herrscht Alarmstimmung, denn auch im Innern des Planetoiden Ceres ist ein Monolith aktiv geworden. Diesen nutzt Malcher, der Anführer der Silberherren, um ins Herz des Solaren Imperiums vorzudringen und nach der Macht zu greifen. Als Erste begegnen die Bergleute und Lemurerforscher von Ceres der Gefahr und lernen Malchers Skrupellosigkeit kennen. Und als Atlan sich mit Santjun auf den Weg zum Monolithen von Ceres macht, wird die lächelnde Katze zum Wegweiser … Folgende Romane sind Teil des Monolith-Zyklus: 1. "Planet der Silberherren" von Uwe Anton 2. "Todeszone Zartiryt" von Rüdiger Schäfer 3. "Echo der Verlorenen" von Hans Kneifel 4. "Der Silbermann" von Marc A. Herren 5. "Ceres am Abgrund" von Manfred H. Rückert 6. "Sprung ins Jenseits" von Achim Mehnert
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Fünfter Band des Monolith-Zyklus
Ceres am Abgrund
von Manfred H. Rückert
Amelia Marcos, Ramit Claudrin und Torben Santorin – die Offiziere der IMASO begleiten Atlan in die Tiefe
Atlan – der Lordadmiral der USO will nicht die ganze Wahrheit sagen
Bakath Stromer – ein Außenseiter behält Recht und wird vergiftet
Calipher-Geist – das positronische Fragment spielt sein eigenes Spiel
Chulia – die Mutantin verändert Zellen und bringt den Tod
Ender Partack – der Chef der Eisgräber mag keine Lemurerforscher
Geoffry Abel Waringer – der Chefwissenschaftler gibt einen Überblick
Gortan Kolln – der Kommandant der MORPHEUS ahnt das Unheil voraus
Jana Andersson – die Kommandantin der BLACK SATIN DANCER unternimmt eine Rettungsmission
Jeska Torrn – die USO-Admiralin erhält einen Auftrag
Julian Tifflor – der Solarmarschall plädiert für einen harten Kurs
Lara Francowitsch – Die junge Leraur-Historikerin wird das Opfer einer Verrückten
Malcher – der Silberherr sieht sich am Ziel seiner Träume
Maroo – der Tecko liebt Kaorinüsse und macht Krümel
Mischon Arrt – der Ferrone sieht die Wega nicht wieder
Naileth Simmers – die Kommandantin der IMASO ist Santjuns Stütze
Olhian – Malchers Helfer will seine Haut retten
Perry Rhodan – der Großadministrator macht sich Sorgen um das Solsystem und um einen alten Freund
Ransonn Straika – ein harter Epsaler mit weichem Kern macht eine Fräsmaschine zur Waffe
Shalmon Kirte Dabrifa – der Imperator verliert eine wertvolle Agentin
Santjun – der Risikoagent provoziert Perry Rhodan und macht einen Fehler
Telton Kort – Galbraith Deightons Mann auf Ceres muss alles riskieren
Thom Fogarty – Malchers Forscher lässt sich gefangen nehmen
Turk Varinar – ein Wissenschaftler muss umdenken und bereut
Tyson Moorn – der Emotionaut der MORPHEUS genießt bei seinem »Chepteyn« einen Sonderstatus
Zehra Ryhan –
Danke an:
Klaus N. Frick – für die Chance
Sabine Kropp – für das Vertrauen
Michael Thiesen – als ständigen Ansprechpartner
Solsystem, Planetoid Ceres
»Zehra, wo bist du? Warum antwortest du nicht?«
Telton Kort ballte vor Zorn die Hände zu Fäusten, als er keine Antwort erhielt. Warum sollte ausgerechnet er wieder einmal seine Kollegin suchen und zurückbringen? Schließlich war er der Vorarbeiter. Sein Vorgesetzter hatte manchmal eigenartige Ideen. Ständig provozierte Zehra Ryhan derartige Situationen. Einmal blieb sie hinter ihrer Gruppe zurück, ein anderes Mal eilte sie ihren Kollegen voraus, aber nur selten war sie bei ihren Leuten. Unter Teamfähigkeit verstand Kort etwas anderes.
Warum lässt sich Ender Partack nur so ein Verhalten gefallen?, fragte er sich in Gedanken.
Er blickte in den dunklen Stollen hinein, in dem Zehra Ryhan verschwunden war, doch kein noch so kleiner Lichtschein zeigte an, ob sie sich dort befand. Kort fluchte innerlich. Er hatte genau gesehen, dass Zehra diesen Gang genommen hatte. Abgesehen davon gab es nur diesen einen Weg, eine weitere Abzweigung existierte nicht.
»Was soll der Blödsinn, Zehra?«, rief er ins Helmmikrofon. »Das ist kindisch, was du da anstellst. Ich finde dich doch sowieso!«
Erneut erhielt Telton keine Antwort. Er stellte die Helmlampe auf größere Reichweite und machte sich mit ungelenken Schritten auf den Weg. Wegen der kaum vorhandenen Schwerkraft von Ceres mussten die hier stationierten Eisgräber und Wissenschaftler aufpassen, dass sie Riesensprünge vermieden. Ein Riss im Druckanzug konnte den Tod bedeuten. Da weiträumige künstliche Schwerkraftfelder nur sehr begrenzt zum Einsatz kommen konnten – zumindest in den Bereichen, die noch nicht ausgebaut waren –,wich man auf Bleianzüge, Magnetschuhe mit wechselnder Haftung auf Stahluntergrund oder Mikrogravitatoren aus, wie sie speziell von Ertrusern oder Epsalern getragen wurden, um bei einer Schwerkraft von einem Gravo nicht abzuheben. In diesem speziellen Fall hatte sich Telton Korts Team für Letzteres entschieden.
Warte nur ab, du Miststück!, dachte er wütend. Wenn ich dich gefunden habe, werde ich dich an den Haaren zurückziehen!
Dass diese Vorgehensweise unter den gegebenen Umständen zum Tod von Zehra Ryhan führen würde, bedachte er dabei nicht. Schließlich trug auch sie einen Schutzanzug mit integriertem, abgedichtetem, oben verstärktem Helm. Das Luftgemisch, das noch aus der Zeit der Lemurer stammte, bestand lediglich zum geringsten Teil aus Sauerstoff oder Stickstoff und wurde nur abgesaugt, wenn Gefahr bestand, dass es explosiv sein könnte. Selbstverständlich würde Telton Zehra keinesfalls den Helm ausziehen, aber allein der Gedanke daran, dass er die Nervensäge auf diese Art bestrafen könnte, verschaffte ihm sofort bessere Laune.
Er war noch keine 200 Meter weit gekommen, als der Gang eine Biegung nach links machte. Ab hier herrschte Dunkelheit, nur das Licht seiner Helmlampe zeigte ihm den Weg. Kort blickte sich um. Keiner der Kollegen kam, um ihm zu helfen.
Das ist typisch für euch faulen Säcke!, fluchte er im Stillen. Natürlich wusste er, dass er den anderen damit Unrecht tat, denn Eisgräber halfen, wo sie nur konnten, aber wenn er sich ärgerte, reagierte er sich in Gedanken oft auf diese Art ab.
Auf der anderen Seite war es ihm recht, dass er seine Ruhe hatte, so konnte er sich um seine andere Aufgabe kümmern. Seine Hauptaufgabe, wie er sich immer wieder ins Gedächtnis rufen musste.
Als er die Biegung hinter sich gelassen hatte, schaltete er das Helmlicht aus. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und nicht weit vor sich sah er einen Lichtschimmer.
Er bewegte sich darauf zu, so schnell es unter diesen Umständen möglich war. Wenn etwas Außergewöhnliches passieren sollte, konnte er seine Kollegen immer noch über Helmfunk zu Hilfe rufen. Sie konnten sich in höchstens 500 Metern Entfernung aufhalten, auf keinen Fall weiter weg. So schnell hatte er sich nicht von ihnen entfernt.
Der Schimmer kam eindeutig von einer Helmlampe, aus einer der gleichen Baureihe wie seine eigene. Vor einem Geröllhaufen stand eine nicht allzu große menschliche Gestalt, eingehüllt in einen der üblichen geschlossenen Druckanzüge.
Die Gestalt hielt einen faustgroßen, silbrig leuchtenden Steinbrocken in ihren Händen. Sie schien vollkommen auf den Stein fixiert zu sein; auf jeden Fall bemerkte sie nicht sein Näherkommen.
Das ist eindeutig Zehra, da gibt es keinen Zweifel, erkannte Telton Kort. Aber was hat sie in der Hand und vor allem: Was macht sie damit?
Die Frau hielt den Stein in ihrer linken Hand und strich fast schon zärtlich mit der Rechten darüber. Kort schien es, als wollte sie den Brocken beschwören. Doch dann geschah das Unglaubliche.
Zehra Ryhan versenkte ihre rechte Hand in den Stein, gerade so, als würde es sich bei ihm um etwas Flüssiges handeln und nicht um etwas Massives. Kort traute seinen Augen nicht.
Einige Sekunden verharrte Telton Kort bewegungslos vor Staunen, dann schaltete er die Helmlampe wieder ein und sprach seine Kollegin an. »Was ist das, Zehra?«
Ryhan zuckte zusammen und blickte in seine Richtung. Sie hob langsam die Arme, um nicht geblendet zu werden. Aufgrund der Entfernung von etwa zehn Metern konnte er ihr Gesicht nicht klar erkennen, doch ihm schien, dass sie zutiefst erschrocken war.
Ein Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, als würde sie große Schmerzen leiden, dann schüttelte sie das Handgelenk und der Stein flog aus ihrer Hand auf den Geröllhaufen zurück, von dem sie ihn genommen hatte.
»Du hast mich vielleicht erschreckt, Telton!«, stieß sie vorwurfsvoll hervor und massierte die rechte Hand. »Was willst du denn hier?«
»Ich fragte dich, was das eben war«, knurrte Kort, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen. »Hast du gerade eben etwa in diesen Stein hinein gegriffen?«
Er kam sich unsagbar dumm vor, als er diese Frage stellte, vor allen Dingen weil er wusste, dass kein normaler Mensch etwas Derartiges machen konnte. Nur ahnte er noch nicht, dass Zehra Ryhan keine normale Frau war.
»Ich weiß wirklich nicht, was du meinst«, antwortete sie in schnippischem Tonfall. »Ich habe mir nur diese seltenen Steine angesehen und dabei einen in die Hand genommen.«
Kort wusste, dass sie ihn anlog. Irgendetwas verheimlichte sie vor ihm.
Warte nur, ich finde schon noch heraus, was du treibst, dachte er. Im selben Moment zitterte der Boden unter seinen Füßen erheblich. Ein lang gezogenes Geräusch ertönte, als würde etwas zerreißen. In diesem Bereich herrschte kein Vakuum. Das für Menschen unverträgliche Luftgemisch, das vor über fünfzigtausend Jahren verwendet worden war, leitete Schallwellen weiter.
Kort sah auf sein Chrono: Es war genau 11:21 Uhr Terrania-Zeit. Auf Ceres wie auch auf allen anderen Stützpunkten des Solaren Imperiums galt die Zeit der Erdhauptstadt.
»Hast du auch das Geräusch gehört, Telton? Was war das?« Zehra Ryhan drehte sich zu ihrem Begleiter um und sah ihn an. Er konnte ihr Gesicht nur schlecht hinter dem geschlossenen Kunststoffvisier des Helms erkennen. Die integrierte Lampe auf dem Helm blendete ihn. »Wir sollten besser wieder zurückgehen, ehe es zu spät ist.«
Telton Kort verdrehte die Augen und zählte innerlich bis zehn. Selbstverständlich hatte er das kratzende Geräusch gehört. Er war ja nicht taub; doch er wollte sich nicht verrückt machen lassen. Es gab des Öfteren leichte Beben auf Ceres, und seit er hier arbeitete, war dabei nie etwas passiert. Auch nicht in der Tiefe, in der sie sich aufhielten, annähernd 300 Kilometer unter der Oberfläche. Ihr wechselhaftes Wesen, einerseits auf Sicherheit bedacht zu sein, dann wieder rücksichtslos zu agieren, ging ihm außerordentlich auf die Nerven. Für Telton war Zehra Ryhan ein Fremdkörper in ihrer Gruppe. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man Zehra längst austauschen müssen, denn sie behinderte ihn nur bei seiner Aufgabe. Doch sein Chef sah das anders, obwohl Telton ihn schon mehrmals auf das Problem hingewiesen hatte. Dem Leiter der Eisgräberteams, Ender Partack, war das alles egal – er war ausschließlich an positiven Ergebnissen interessiert. Dieser Devise ordnete er alles andere unter. Misserfolge schienen in seiner Welt nicht zu existieren. Und Kort hatte noch nichts davon gehört, dass Partack jemals freiwillig Kompromisse eingegangen wäre.
»Du träumst, Zehra, die Außenmikrophone haben nichts übertragen«, versuchte er Ryhan zu beruhigen. »Das Team wartet auf uns. Lass uns endlich weiter…«
»Verdammt, Telton! Ich träume nicht!«, schnaubte die Eisgräberin. Sie kniff die Augen zusammen und zischte ihn wütend an: »Ich weiß doch genau, was ich gehört …«
Ein dunkles Geräusch ertönte, so als würden zwei riesige Mühlsteine aufeinander schleifen. Zehra Ryhan zuckte zusammen. Sie hob beide Hände, um ihren Begleiter aufmerksam zu machen.
»Da, hast du’s gehört? Da war es schon wieder«, behauptete sie. Ihre Stimme wurde um mehrere Nuancen schriller. Kort hatte den Eindruck, dass sie ihn von dem vorhergehenden Vorfall ablenken wollte. »Du hast es doch dieses Mal auch gehört?«
»Ich bin ja nicht taub!«, knurrte Kort und schüttelte den Kopf. Er blickte in den Gang hinter sich, doch von ihren Begleitern war nichts zu sehen. Verdammt, wo bleiben bloß die anderen?, dachte er.
Ihre Gruppe bestand aus zehn Personen, alles Eisgräber, wie sich die Sucher der HyBoost-Kristalle selbst nannten. Ihre Organisation war ähnlich wie die von Bergleuten vergangener Tage aufgebaut. Natürlich wurden modernste Gerätschaften verwendet, aber im Prinzip glich vieles dem Bergbau der Vergangenheit. Eine Art Walzenschrämmlader fräste die Hyperkristalle aus dem Gestein. Durch Förderbänder wurden die Kristalle in Waggons geschüttet, die das Gut an die Oberfläche des Planetoiden transportierten, wo es von Raumschiffen der Exardis/Nolan-Corporation übernommen wurde.
Weiter hinten, wo sich die anderen acht noch aufhielten, gab es wenigstens eine anständige Beleuchtung. In diesem Raum hier erhellten nur ihre Helmscheinwerfer die Szenerie und warfen gespenstisch aussehende Schatten an die grob behauenen Wände des Stollens.
»Ransonn, ich höre nichts von euch«, rief Telton Kort in sein Helmfunkgerät. »Wo befindest du dich?«
»Wir sind gleich bei euch«, antwortete Ransonn Straika. Die dunkle, vibrierende Stimme des Epsalers versetzte Kort oft in Unruhe. »Sei doch nicht immer so ungeduldig, Alter.«
Idiot!, dachte Telton Kort, doch er hütete sich, dies laut zu seinem Kollegen zu sagen. Der umweltangepasste Terranerabkömmling war an eine Schwerkraft von 2,15 Gravos gewöhnt. Der Kraft und Reaktionsschnelligkeit eines Epsalers war kein Terraner gewachsen. Kort besaß im Normalfall nicht den Hauch einer Chance gegen ihn.
Außerdem wusste er selbst gut genug, dass die Fortbewegung auf Ceres alles andere als einfach war. Der Planetoid hatte einen Äquatordurchmesser von 975 Kilometern und einen Poldurchmesser von 909 Kilometern, besaß demnach eine abgeplattete Kugelform. Die Umlaufbahn um die Sonne betrug 1682 Tage, die Schwerkraft aber nur ein Sechsunddreißigstel derjenigen auf der Erde.
Ein Mensch, der auf Terra 72 Kilogramm wog, hatte auf Ceres ein Gewicht von nur noch zwei Kilogramm. Selbst Personen, die unter normalen Bedingungen 100 oder gar 200 Kilogramm auf die Waage brachten, waren hier nur Leichtgewichte und mussten aufpassen, dass sie sich bei allzu hohen Sprüngen nicht verletzten oder sogar die Raumanzüge aufschlitzten.
All dies war Telton Kort selbstverständlich bekannt, denn es gehörte zum Grundwissen eines jeden Eisgräbers, aber ihn hielt eine innere Unruhe im Griff, seit er Zehras Hand in dem Stein gesehen hatte. Er wusste nicht, woher diese Unruhe stammte, aber er vertraute seinem Instinkt. Und der hatte ihn bisher jedes Mal gerettet, wenn es brenzlig war.
Von einer Sekunde auf die andere empfand er den Wunsch, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Instinktiv folgte er seinem Gefühl, ohne nur einen Augenblick darüber nachzudenken.
»Bleib stehen, Ransonn!«, warnte er seinen Kameraden so laut er konnte. »Geh zurück! Du und die anderen!«
Im Helmfunk herrschte für zwei Sekunden Ruhe.
»Warum denn das, Telt?«, brummte der Epsaler verständnislos. »Wir sind doch gleich bei euch!«
»Der Gang hier ist nicht sicher«, brüllte Kort. »Wir haben zweimal Geräusche von Erderschütterungen gehört.«
»Das ist mir egal. Falls etwas geschieht, können wir euch nicht im Stich lassen, das weißt du.« Es gehörte zur Philosophie der Eisgräber, dass einer für den anderen einstand. Im Notfall musste jeder jedem helfen, egal um wen es sich dabei handelte.
»Wir kommen so schnell wie möglich zu euch. Ende«, sagte Kort. Er ergriff Ryhan am Handgelenk und zog sie mit sich. Sie wehrte sich heftig.
»Was soll der Unsinn, Telton?«, schimpfte sie lautstark. »Ich bin doch kein kleines Kind mehr, das man beschützen muss.«
»Aber du benimmst dich so«, hielt er ihr vor.
»In Ordnung. Ist ja schon gut, geh du voran, ich folge dir.«
»Ich traue dir nicht.«
»Schön. Ich dir auch nicht.« Sie schüttelte seine Hand ab.
Im gleichen Augenblick ertönte direkt über ihnen ein Knirschen. Wie gebannt starrten sie auf diese Stelle. Ryhan trat mehrere Schritte zurück. Staub rieselte herunter. Ein riesiger Steinhagel ergoss sich mit lautem Poltern über Ryhan und begrub sie.
Telton Kort erfasste die Lage sofort und handelte. Er sprang zurück und versuchte, sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Sein Instinkt hatte ihm einmal mehr das Leben gerettet. Ryhan hatte weniger Glück. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er auf die Stelle, an der sie soeben noch gestanden hatte und jetzt ein riesiger Geröllberg den Stollen verstopfte.
Telton Kort blieb stehen. Es hatte den Anschein, als wäre er mitten in der Bewegung eingefroren. Die verstrichene Zeitspanne kam ihm einerseits unendlich lang, andererseits unsagbar kurz vor. Als ob er Zeitlupe und Zeitraffer in einem erleben würde.
Als er sich aus seinem Schockzustand befreit hatte, rief er hastig seine Kollegen über Funk herbei. Danach versuchte er, Zehra über die Helmverbindung zu erreichen, doch die Verbindung blieb tot. Mit bloßen Händen versuchte er, die Steine beiseite zu schieben.
Endlich hatten ihn die acht Leute seines Teams erreicht. Gemeinsam räumten sie die Steine aus dem Weg, allen voran der bullige Ransonn Straika. Wie ein Bulldozer, bahnte sich der Epsaler eine Spur, ohne darauf zu achten, dass sein Anzug hierbei beschädigt werden könnte. Die Wärmeentwicklung in dieser Tiefe war lebensbedrohlich; selbst wenn die Luft atembar gewesen wäre, die Hitze konnte kein Mensch überstehen.
»Meint ihr, dass wir es wagen können, einen Desintegrator oder einen Thermostrahler einzusetzen? Auf diese Weise könnten wir die Steine schneller entfernen«, fragte Mischon Arrt. Der kleine dürre Ferrone behauptete gegenüber seinen Kollegen immer, nur ein Gastarbeiter zu sein. Als er die entsetzten Gesichter seiner Gefährten sah, fügte er hinzu: »Wir könnten ja auf kleinstmögliche Dosierung stellen.«
»Bist du wahnsinnig, Mischon?«, schimpfte Straika so laut, dass seine Kollegen ächzten und die Leistung ihrer Empfänger drosselten. »Zehras Anzug besitzt weder Kristallfeldintensivierung noch Beschussverdichtung. Außerdem hast du anscheinend vergessen, dass unsere Strahler mit Halman-Kontakten versehen sind.«
Ein Desintegrator war in der Lage, die elektrostatischen Bindungskräfte zwischen Molekülen zu neutralisieren. Die beschossene Materie löste sich in dem betroffenen Bereich ohne Wärmeentwicklung zu atomarem Feinstaub auf. Halman-Kontakte verstärkten die Wirkung des Desintegrators. Kristallfeldintensivierung und Beschussverdichtung wiederum steigerten die Resistenz der behandelten Materie gegenüber dem Desintegrationsstrahl.
Mit anderen Worten: Wenn der grünliche Desintegrationsstrahl auf ein Wesen traf, in diesem Fall auf die Terranerin unter dem Geröllberg, dann wurde es zusammen mit den Steinen restlos aufgelöst. Ransonn Straikas Unmut war also verständlich.
»Es war ja nur ein Vorschlag.« Mischon Arrt hob die Hände abwehrend in Brusthöhe. Seinem Tonfall war anzuhören, dass er gereizt war.
Telton Kort und Ransonn Straika ließen den Ferronen einfach stehen und setzten ihre Arbeit fort. Sie durften nicht noch mehr Zeit verlieren. Möglicherweise war Zehra Ryhan schwer verletzt, weil ihr Schutzanzug defekt war, oder gar erstickt. Dann kam jede Hilfe zu spät.
Auch wenn Zehra manchmal wie ein Fremdkörper im Team war. Sie würden sie nie im Stich lassen. Die Männer verstärkten ihre Anstrengungen, um die kleine zierliche Frau zu retten.
»Hier ist nichts«, stellte Mischon Arrt fest. Sie gruben bereits seit mindestens zehn Minuten nach ihr. Ein kleiner Hügel von etwa eineinhalb Metern Höhe und die ganze Gangbreite waren übrig geblieben. Doch Zehra war nicht da.
Der Epsaler richtete sich langsam auf. »Wir müssten doch jetzt wenigstens ihre Arme oder Beine sehen – aber da ist nichts!«
»Bist du wirklich sicher, dass sie hier gestanden hat, als die Steine herabkamen?«, erkundigte sich Arrt. Er war ein Durchschnittsmitglied seines Volkes: 1,56 Meter groß, mit blauer Haut und kupferfarbenen Haaren und an eine Schwerkraft von 1,4 Gravos gewöhnt. Dass seine tief liegenden Augen unter der vorgewölbten Stirn kaum zu sehen waren, daran hatten sich seine Begleiter erst gewöhnen müssen.
»Ich habe doch selbst hier gestanden und bin nur durch Zufall entkommen«, verteidigte sich Kort. Er schwankte zwischen Zorn und Ratlosigkeit. Irgendwie hatte er den Eindruck, dass Zehra nur mit ihm spielte, deshalb behauptete er: »Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ich nicht unter Wahnvorstellungen leide.«
»Außerdem antwortet sie nicht auf Funkrufe«, fügte Straika hinzu.
»Aber sie hat hier gestanden, an diesem Fleck und nicht weiter hinten«, beharrte Telton Kort lautstark auf seiner Aussage.
»Schon gut, Telt, wir haben ja über Helmfunk mitbekommen, dass du sie gewarnt hast«, versuchte Straika ihn zu beruhigen. »Du hast dich in jedem Fall richtig verhalten.«
»Wenn sie nicht mitkommen wollte, ist das einzig und allein ihre Schuld.« Mischon Arrt schlug sich ebenfalls auf Korts Seite. Die restlichen Mitglieder des Teams stimmten ihm zu.
»Wir sollten melden, dass einem Mitglied unseres Teams etwas passiert ist«, machte Kaara Tosin sie auf das Nächstliegende aufmerksam.
Ein Husten in der Helmfunkanlage ließ alle zusammenfahren. Gleich darauf ertönte die allen wohlbekannte Stimme einer Frau. »Was ist denn hier los? Sucht ihr etwa nach mir?«
Auf einmal kletterte eine kleine zierliche Person über den Geröllhaufen und stellte sich provozierend vor die Gruppe. Ihre Helmlampe leuchtete nacheinander alle Mitglieder des Teams ab und blieb an Kort hängen.
»Beim heißen Sand von Bekesch!« Mischon Arrt stieß einen ferronischen Fluch aus. Die Wüste Bekesch war bei seinem Volk früher eine bekannte und beliebte Müllhalde gewesen.
»Zehra … Du?« Telton Korts Augen wurden groß. »Du warst doch verschüttet.«
»Ich und verschüttet? Dafür bin ich aber ziemlich lebendig. Findest du nicht auch?« Zehra Ryhan lachte laut und schrill auf, für Kort hörte es sich hämisch an. Wollte sie ihn verspotten?
»Hast du nicht unsere Rufe über den Helmfunk gehört? Warum hast du nicht geantwortet?«
»Ach, der Helmfunk. Ich glaube, er war für ein paar Minuten ausgefallen. Jetzt geht er auf jeden Fall wieder.«
Keiner der Anwesenden glaubte ihr.
Zehra ging an ihnen vorbei, als wäre nichts vorgefallen und blieb nach wenigen Metern stehen. Sie drehte sich langsam um und sagte lässig: »Ich denke, wir wollten heute zum Antares-Stollen. Wir sollten uns beeilen, damit wir das Tagesziel erreichen. Sonst ist die Gruppe von Ziska Dee wieder schneller als wir.«
Dann marschierte sie los, ohne auf ihre Gefährten zu warten.
»Ich glaub’s einfach nicht«, stöhnte Ransonn Straika und blickte Kort und Arrt fragend an. Der Ferrone antwortete nicht, sondern schüttelte den Kopf; eine Geste, die er sich bei seinen terranischen Freunden abgeschaut hatte.
»Da stimmt doch etwas nicht«, behauptete Telton Kort und machte seinen Kollegen Zeichen. Weiter sagte er nichts, er wollte sich vor Zehra Ryhan keine Blöße geben, schließlich konnte sie jedes Wort über Helmfunk mithören. Er würde ihr schon noch auf die Schliche kommen.
Einige Kilometer entfernt
»Ender, wenn du das noch einmal machst, bringe ich dich um!«, schrie Turk Varinar sein Gegenüber an. Varinars Gesicht war vor Zorn gerötet, er zitterte vor Aufregung. »Du kannst doch nicht die alten Schätze einfach so zerstören lassen!«
Ender Partack, der Anführer der Eisgräber, sechzig Jahre alt, schlank und durchtrainiert, taxierte den Historiker und Lemurerforscher abschätzend. Partack schüttelte den Kopf, dass die langen braunen Haare, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, flogen. Das konnte man selbst unter dem geschlossenen Helm sehen, der nach allen Seiten hin gute Sicht bot.
»Ich habe das Zeug nicht einfach so zerstören lassen. Im Gegenteil, das ist ein klarer Befehl von mir gewesen. Schätze nennst du das? Mach dich nicht lächerlich, Turk«, entgegnete er mit einer Spur von Hohn. Er drehte sich um neunzig Grad zur Seite und zeigte mit der geöffneten Hand auf einen Trümmerhaufen. »Woher sollen meine Leute wissen, dass du und deinesgleichen heiß auf den alten Plunder seid?«
»Alter Plunder? Bist du noch zu retten?« Die Augen schienen Varinar fast aus den Höhlen treten zu wollen. »Du nennst unbezahlbare Kostbarkeiten alter Plunder?« Er holte aus und wollte Partack am Kragen seines Einsatzanzugs fassen, doch Lara Francowitsch stellte sich ihm in den Weg.
»Halt, Professor!«, fuhr sie ihren Vorgesetzten an. »Egal, was dieser Wicht getan hat, machen Sie sich nicht die Finger an ihm schmutzig.«
Varinar sah Francowitsch mit funkelnden Augen an. Seine Assistentin konnte schließlich nichts dafür, dass er sich fast zu einer Tätlichkeit hatte hinreißen lassen. Er ärgerte sich, weil er die Beherrschung verloren hatte, besonders an einer Grabungsstätte, wo mindestens zwanzig Personen um sie herumstanden.
Es gab wieder einmal Ärger zwischen Lemurerforschern und Eisgräbern, da ein neuer Stollen eine fast völlig zerstörte lemurische Einrichtung anschnitt und Turk Varinar jedoch trotz der geringen Erfolgsaussichten für das Forschungsprojekt einen sofortigen Stopp des Ausbaus forderte. Der Streit spielte sich in fast dreihundert Kilometern Tiefe ab, in einem von großen Hohlräumen durchsetzten Abschnitt, der vermutlich durch den Einschlag eines großen Objekts entstanden war. Zu allem Unglück hatte Partack auch noch befohlen, die wenigen erhaltenen Artefakte zu zerstören, denn er wusste, dass er Varinar damit schwer treffen konnte.
»Madame sind heute wieder zu liebenswürdig«, höhnte Ender Partack. »Aber wir tun bloß unsere Pflicht, das wissen Sie genau.«
»Ist es Ihre Pflicht, unersetzbare Schätze zu zerstören, Eisgräber? Ist es auch Ihre Pflicht, uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit Steine in den Weg zu werfen? Ist es ebenfalls Ihre Pflicht …«
Partack winkte ab. »Wir drehen uns im Kreis, Verehrteste«, unterbrach er Francowitsch. »Sie wissen genau, dass wir für den Abbau der HyBoost-Kristalle verantwortlich sind. Sie hingegen kümmern sich um die Abfälle, die wir übrig lassen, weil sie nicht zu gebrauchen sind. Was interessieren einen geistig gesunden Menschen die angestaubten Hinterlassenschaften der Lemurer? Das ist doch über 50.000 Jahre her, und wir sollten langsam lernen, an die Zukunft zu denken.«
Er wusste selbstverständlich, dass er beide mit seinen Worten verletzte, aber genau das wollte er auch. Ihm ging das ›Hinterherkriechen‹ der Wissenschaftler – wie er es immer nannte – auf die Nerven.
Die Bevölkerung von Ceres bestand aus etwa fünf- bis zehntausend Humanoiden, die man ›Eisgräber‹ nannte; zur Zeit befanden sich 8971 dieser Arbeiter auf dem Planetoiden, hinzu kam eine unbekannte Zahl an Dienstleistern sowohl im gastronomischen Bereich als auch im horizontalen Gewerbe für beide Geschlechter. Es existierten mehrere Basen, jede davon stand in einer Art Konkurrenzkampf zu den anderen. Jede Basis beanspruchte für sich, die beste zu sein. Ein Umstand, den sich die Exardis/Nolan-Corporation, die Pächterin der Bergwerke, natürlich als Druckmittel auf die einzelnen Kolonnen im Kampf um bessere Ergebnisse zu eigen machte.
»Wir nehmen Ihnen das Drokarnam schon nicht weg, Partack.«
»Zivilisierte Leute sagen dazu Hyperkristalle oder wenigstens HyBoost. So wie wir.« Der Leiter der Eisgräber konnte es nicht unterlassen, Francowitsch erneut zu berichtigen. »Mir wäre es auch lieber, wenn wir nicht ständig aufeinander träfen, aber die Gegebenheiten sind nun einmal so.«
»Ceres besteht aus drei Schichten: außen eine dünne Kruste aus Wassereis und leichten Mineralien, darunter ein Mantel aus ehemals geschmolzenem Wassereis und schließlich der sogenannte Gesteinskern, der Silikate und Metalle enthält. Und genau dort treffen wir ständig aufeinander, weil unser beider Arbeitsgebiete eben genau dort liegen«, referierte Lara Francowitsch, als wüsste Partack das alles nicht längst. »Mich kotzen die ständigen Streitereien an. Wie können wir uns aus dem Weg gehen?«
»Überhaupt nicht!« Ender Partacks brachte es mit diesen knappen Worten auf den Punkt.
Die Hyperkristalle, die nur in winzigen Mengen in Ceres zu finden waren und die sich bei Kontakt mit atomaren Prozessen selbst in den Hyperraum abstrahlten, konnten hervorragend zur Optimierung technischer Anwendungen im Bereich der Felderzeugung eingesetzt werden und stellten deshalb einen großen Wert dar. Bei den Kristallen handelte es sich offenbar um Überreste des mysteriösen Drokarnam, das man aus bislang nur teilweise verstandenen lemurischen Aufzeichnungen kannte. Der Abbau des HyBoost-Kristalls war allerdings beschwerlich, da die Anwesenheit von Hyperfeldern zu so genannten »Resonanzerscheinungen« führte, bis hin zu technischen Störungen oder Wahnvorstellungen bei den Arbeitern, die von der Anwesenheit einer fremdartigen Intelligenz berichteten. Kein Eisgräber konnte bestreiten, wenigstens einmal zu den Betroffenen gehört zu haben.
Die Eisgräber arbeiteten sich in ausgedehnten Stollensystemen durch die gefrorene Kometenmasse bis hinunter zum metallischen Kern vor, um dort die Hyperkristalle zu bergen. Sie teilten sich die High-Tech-Umgebung der Stollens und Basen, die jedoch ohne ausgefeilte Hypertechnik und atomare Kraftquellen auskommen musste, mit einer Gruppe von knapp 150 Wissenschaftlern, die ihrerseits lemurische Hinterlassenschaften und Relikte aus der Zeit nach der Zerstörung Zeuts im Eis erforschten. Zeut, der ehemals zwischen Mars und Jupiter gelegene fünfte Planet des Solsystems, war im Jahr 50.068 vor Christus bei einem Großangriff der Haluter zerstört worden. Seine Überreste bildeten heute den solaren Asteroidengürtel, zu dem auch der Planetoid Ceres gehörte.
Zweck und Ausdehnung der lemurischen Einrichtungen waren unbekannt, zumal Hyperortung – mit wenigen Ausnahmen –nicht zum Einsatz gebracht werden konnte. Die Archäologen folgten also den Spuren der Eisgräber und störten dabei immer wieder deren Aktivitäten. Gelegentlich stieß man auf Laborkomplexe, deren Erforschung den Abbau reicher Kristalladern verhinderte, oder es wurden ungewollt uralte Abwehreinrichtungen aktiviert, die zu gefährlichen Situationen führten.
»Du hast recht, wir drehen uns im Kreis«, gab Varinar mit müder Stimme zu. »Beim nächsten Mal …«
»Wenn du so weitermachst, gibt es kein nächstes Mal. Du verkennst die Lage, Turk, denn wir befinden uns im Recht. Du weißt so gut wie ich, dass die Exardis/Nolan-Corporation vor 60 Jahren die alleinigen Nutzungsrechte für 200 Jahre gepachtet hat und seitdem auf Ceres mehrere Bergwerke und Siedlungen unterhält. Du selbst hast jahrelang fanatisch auf die Administration in Terrania eingewirkt, um hier arbeiten zu können. Erst die nachdrückliche Vermittlung hoher Regierungsbeamter öffnete dir und deiner Gruppe von Narren den Zugang«, resümierte Ender Partack mit schneidender Stimme. »Stelle dir einmal vor, die Lage wäre andersherum. Wie würdet ihr auf uns als Eindringlinge reagieren? Du und deinesgleichen seid für uns also nichts anderes als Parasiten.« Dabei sagte er den letzten Satz in besonders abfälligem Tonfall.
Turk Varinar starrte Ender Partack ungläubig an. Er konnte nicht fassen, dass ihn der andere dermaßen beleidigt hatte. Gerade als er zu einer Entgegnung ansetzen wollte, zitterte der Boden unter seinen Füßen für einige Sekunden.
Einige Wissenschaftler im Hintergrund riefen sich lautstark etwas zu, das Varinar nicht verstand.
»Was ist passiert?«, fragte der Lemurerforscher. Augenblicklich hatte er den Streit mit Ender Partack vergessen. Die Antwort auf seine Frage konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht richtig einschätzen. Er würde später daran erinnert werden.
»Alle Ortungsgeräte, die auf Hyperbasis arbeiten, sind für einige Sekunden ausgefallen! Es ist, als hätte uns eine Art Hyperschwall unter sich begraben.«
Nach dem Ende ihrer Schicht, der Desinfektion und dem anschließenden Duschen verließ Zehra Ryhan überraschend schnell ihre Kollegen. Sie hatte sich noch nicht einmal von ihren Gefährten verabschiedet.
»Die spinnt doch total«, echauffierte sich Ransonn Straika.
»Ich habe keine Ahnung, warum Ender sie ins Team geholt hat. Vielleicht hat sie ja gute horizontale Eigenschaften«, vermutete die bis auf einen kurzen Pferdeschwanz glatzköpfige Kaara Tosin, eine der drei Frauen in ihrer Gruppe, mit gehässigem Grinsen. »Anders ist es für mich nicht erklärbar. So gut sind ihre Fähigkeiten für diesen Job nicht. Dabei gibt es so viele einsame Jungs, die zu gerne von einer Frau aufgeheitert würden, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Alle lachten, selbstverständlich war ihnen klar, worauf Kaara anspielte.
»Wer sich als Eisgräberin hoch schläft, gehört für mich eindeutig zum Psychiater«, knurrte Growan terNort, ein Mann aus Korts Gruppe. »Den ganzen Tag im Schutzanzug stecken, ständig die Angst im Nacken haben, dass man Wahnvorstellungen erliegen könnte … Der einzige Grund für mich, diese Arbeit auszuführen, ist die hohe Entlohnung. So gut wie hier wird man selten bezahlt.«
»Und nach einigen Jahren der Plackerei hat man finanziell ausgesorgt und kann sich auf seiner Heimatwelt niederlassen oder auf einem anderen Planeten und dem Thort in Sachen Luxus Konkurrenz machen.« Mischon Arrt meinte damit Ferrol und das Wegasystem.
Kort stand auf, er streckte sich und gähnte dabei, obwohl er sich lange nicht so erschlagen fühlte, wie er sich gab.
»Schluss für heute, ich lege mich schlafen.«
»Hey, Telt. Ich dachte, wir würden noch ein Bier zusammen trinken«, beschwerte sich Ransonn Straika lautstark. »Oder wenigstens einen Vurguzz. Oder einen vom Planeten Shand’ong importierten Ssagis mit Eis.« Als er sah, dass Kort den Kopf schüttelte, fügte er flüsternd hinzu: »Aus der Stadt K’tin Ngeci.« Er erhielt ein erneutes Kopfschütteln als Antwort. »Noch nicht einmal einen Kaffee mit einer Transformladung Koffein?«
»Heute nicht, ich fühle mich ziemlich kaputt«, gestand Kort und versuchte müde auszusehen, indem er die Augen nur halboffen hielt und gähnend die Hand vor den Mund hielt. »Außerdem muss ich noch ein Gespräch mit meiner Lady in Terrania führen. Du weißt schon, die kleine schwarzhaarige aus meinem Holo …« Er zwinkerte Straika zu.
»Wenn dein Schatz wüsste, dass du schon alle Frauen auf Ceres mehrfach flachgelegt hast, würde sie die Damen sofort abkommandieren lassen«, spöttelte Kaara Tosin. Ihre Stimme klang stets rau, als würde sie jeden Tag mit einer Mischung aus Vurguzz und rostigen Nägeln gurgeln.
»Alle außer dir, mein Goldstück«, konterte Kort lachend.
Kaara schlug ihm mit der flachen Hand auf den Rücken. »Mach, dass du fort kommst, du Mistkerl!«, sagte sie, aber es hörte sich kein bisschen wütend oder gar abwertend an.
Telton Kort beeilte sich, in seine Kabine zu kommen. Unterwegs begegnete er einigen Bekannten, doch jeden Versuch ihrerseits, ein Gespräch zu beginnen, lehnte er freundlich aber bestimmt ab.
In seiner Kabine angekommen, ließ er die Tür elektronisch verriegeln, denn für das, was er vorhatte, musste er alleine sein. Mit einem Spürgerät überprüfte er, ob er abgehört werden konnte.
Zu seiner Erleichterung war das Ergebnis negativ. Kort entnahm dem Kaffeeautomaten eine gefüllte Tasse schwarzen ungezuckerten Kaffee, stellte sie auf den Nachttisch und legte sich auf sein Bett. Er zündete sich eine filterlose Zigarette der Marke ›Dunkelwolke‹ aus ferronischem Anbau an und durchdachte den Stand seiner Ermittlungen, während er der Zimmerpositronik murmelnd Befehl gab, Musik laufen zu lassen. Zum Entspannen hörte Kort gern etwas Altes, Klassisches, die Suite des brennenden Wasserfalles von Tuglan. Mit vielen neueren Musikstücken konnte er nichts anfangen. Der blaugraue Qualm seiner Zigarette, der nach oben zog, wurde von der Umwälzanlage aufgesogen. Obwohl die Zigaretten des 32. Jahrhunderts keine krebserregenden Stoffe mehr enthielten, durfte man auf Ceres nur in der Privatkabine rauchen oder in den Nachtlokalen, die kein Essen servierten.
Nachdem er die Zigarette geraucht und den Kaffee getrunken hatte, setzte Kort sich an den kleinen Tisch auf dem die Minipositronik stand und loggte sich ins Terranianet ein.
Telton Kort sprach einige Minuten mit einer Frau, die er vor seinen Eisgräberkollegen immer nur ›meine Lady‹ nannte. In Wahrheit war sie seine Kontaktperson aus Imperium-Alpha.
Telton Kort, vierzig Jahre alt und 1,80 Meter groß, war Agent der Solaren Abwehr und befand sich in einem geheimen Einsatz auf Ceres. Es hatte Berichte über angebliche Aktivitäten der terrafeindlichen Koalition des Carsualschen Bundes und des Imperiums Dabrifa auf Ceres gegeben. Galbraith Deighton, der Chef der SolAb, konnte sich nicht leisten, diese Berichte als Hirngespinste abzutun; also hatte er einen seiner besten Männer damit beauftragt, den Gerüchten nachzugehen. Der zeitlich befristete Job als Vorarbeiter in einem Eisgräbercamp war für Kort eine ideale Tarnung, denn so war er Ansprechpartner für Vorgesetzte wie für Untergebene.
Das unverfänglich klingende Gespräch war schon nach knapp vier Minuten beendet, trotzdem hatte Kort eine Menge an Informationen erhalten. Bei einer weiteren Zigarette und einem Glas halbtrockenen rubinroten Ferrolwein, bei dem er meinte, noch die blauen Gluten der Wega zu schmecken, unter denen er gereift war, entspannte er sich. Telton verbrachte noch einige Minuten mit Recherche im Terranianet, dann aktivierte er das Wandbild Küstenlandschaft und wandte sich seinem Mitbewohner zu.
In einer geöffneten Schachtel, deren Boden mit einer kleinen Decke ausgekleidet war, lag ein knapp zehn Zentimeter langes Wesen mit einem silbergrauen weichen Fell. Der Kopf mit den großen schwarzen Augen machte fast die Hälfte der Körperlänge aus. An den Mausohren befanden sich feine Haarbüschel, die bei jedem Ein- und Ausatmen wackelten. Jeder Atemzug wurde von einem dezenten Schnarchgeräusch begleitet. In den kleinen Pfoten hielt das Wesen eine angeknabberte Kaorinuss.
Telton streichelte über den kleinen Körper mit einem Finger, das Wesen schnurrte behaglich, es stellte das Schnarchen sofort ein.
»Aufwachen, kleiner Freund. Ich brauche deine Hilfe«, flüsterte Kort, nachdem er den millimetergroßen Verstärker hinter sein rechtes Ohr angeklebt hatte.
Das intelligente Wesen aus der Spezies Tecko vulgaris reckte sich, gähnte herzzerreißend dazu und setzte sich auf die kurzen, dennoch kräftigen Hinterbeine.
Ich war gerade eingeschlafen, beschwerte es sich. Ohne den winzigen Verstärker, der die Kraft der Gedankenimpulse vervielfachte, hätte Kort nichts verstanden. Du bist ein Sadist! Hat das nicht Zeit, bis ich richtig wach bin?
»Maroo, ich benötige deine Hilfe. Sonst hätte ich nicht gewagt, dich zu wecken.«
Der Kleine machte ein Geräusch, das man als Zeichen seines Unwillens interpretieren konnte.
Natürlich, sonst hättest du mich ja nicht geweckt, wisperte die Stimme in Korts Gedanken. Dass du meine Hilfe benötigst, sagst du jedes Mal, damit ich nicht weiter schimpfe, stimmt’s Telt?
Kort verbiss sich ein Grinsen und widersprach nicht, denn der Tecko hatte recht. Er verstand sich gut mit dem Kleinen, und die Geplänkel bei ihren Gesprächen gehörten dazu.
»Ich brauche dich, Maroo«, bat Kort noch einmal. »Was wäre ich ohne dich.«
Es ist nicht zu glauben, wie schön du bitten kannst, wenn du etwas von mir möchtest, schwärmte der telepathisch veranlagte Tecko.
»Die Alternative dazu ist das Streichen deiner Ration oder das Ertränken in der Salatschüssel.« Korts braune Augen funkelten, als er Maroo diese Gemeinheiten sagte.
Du bietest mir denkbar schlechte Optionen an, Telt. Wer dich zum Freund hat, braucht wirklich keine Feinde. Maroo knabberte an der Kaorinuss, die er in seinen kleinen Pfoten hielt.
»Sag ich doch immer. Aber ihr glaubt mir ja nicht.« Telton knetete seinen Nacken mit einer Hand. Dann fuhr er sich durch die kurzen schwarzen Haare.
Also, was soll ich für dich tun, Terraner? Kort wollte es nicht glauben, aber er vernahm Maroos Seufzen in seinen Gedanken. Du gibst ja doch keine Ruhe. Und mein Essen ist mir heilig.
Telton erzählte dem Tecko von seinem Erlebnis mit Zehra Ryhan. Davon, dass sie mit ihrer Hand in den Stein hineingegriffen hatte. Etwas, das für einen normalen Menschen unmöglich war. Früher hatte es Menschen gegeben, die so etwas konnten, aber die große Zeit des Mutantenkorps war seit den unseligen Tagen der Second-Genesis-Krise vorbei. Kort wusste derzeit nur von vier Personen mit parapsychischen Fähigkeiten: dem Telepathen und Orter Fellmer Lloyd, dem Teleporter Ras Tschubai, dem Mausbiber Gucky mit seinen drei Paragaben und dem Zünder Iwan Iwanowitsch Goratschin. Kort war nicht sicher, ob Letztgenannter eine oder zwei Personen darstellte. Ob das Korps mittlerweile neue Mitglieder besaß, war ihm nicht bekannt. Die Mutanten standen aus naheliegenden Gründen nicht in der Öffentlichkeit.
Und du bist dir sicher, dass es keine dieser Wahnvorstellungen war, wie sie manchmal in den Gängen und Stollens auftreten? Die Gedankenstimme des Teckos klang skeptisch.
»Absolut, mein Freund.«
Maroo konzentrierte sich auf die junge Terranerin. Doch so oft er es versuchte, er konnte ihre Gedanken nicht lesen. Ihm schien es, als würde er nach Zehras Gedanken greifen und sie würden ihm jedes Mal wieder entgleiten. Wie ein Stück nasse Seife, das einem aus der Hand rutscht. Schließlich gab er es auf, an den Inhalt von Ryhans Gedanken zu kommen.
Seine Antwort passte Telton Kort überhaupt nicht.
Ich glaube, sie ist mentalstabilisiert!
Ein paar Türen von Telton Korts Kabine entfernt befand sich die Unterkunft von Zehra Ryhan. Wie bei allen anderen Eisgräberwohnungen handelte es sich um ein Zimmer mit angeschlossener Nasszelle. Komfort wurde hier nicht sehr groß geschrieben; wer etwas benötigte, das außerhalb der leiblichen Bedürfnisse lag, war gezwungen, es sich auf eigene Kosten zu beschaffen.
Zehra legte in dieser Umgebung keinen gesteigerten Wert auf Bequemlichkeit. Sie wusste, dass sie höchstens noch drei Monate hier ausharren musste, bis sie wieder zurück in die Zivilisation kam. Sie war insgesamt für ein Jahr verpflichtet worden, und die paar Tage hielt sie noch aus.
Die dürre, dennoch muskulöse Frau mit den schulterlangen roten Haaren und den grünen Augen konnte sogar von einem auf den anderen Tag von hier verschwinden, ohne dass ihr Auftraggeber ihr einen Vorwurf gemacht hätte. Höchstens die Exardis/Nolan-Corporation, aber das war der 32-jährigen Zehra letztendlich egal.
Hauptsache war, dass sie hinter die Geheimnisse um die Hinterlassenschaften der Lemurer kam. Technische Daten und Verbesserungen bestehender Technologien konnten gewisse Kreise immer gut gebrauchen. Und sie zu beschaffen, dafür besaß Zehra Ryhan die besten Voraussetzungen.
Ihr Vorgänger hatte im Bereich von Turk Varinar und dessen ehemaligem Assistenten, Doktor Bakath Stromer, spioniert und war durch einen Zufall entdeckt worden. Kurz vor seiner Gefangennahme hatte er mittels einer implantierten Giftkapsel Selbstmord begehen können. So wusste niemand, wer sein Auftraggeber war. Dieser Auftraggeber wiederum war nach der Ausschüttung des Giftes durch einen kurzen Funkimpuls darüber informiert worden, dass sein Spion tot war. Varinar und seine Helfer würden neuen Leuten gegenüber extrem misstrauisch sein und sie noch stärker überprüfen, als es ohnehin schon der Fall war. Also hatte Ryhans Auftraggeber dafür gesorgt, dass sie in die Konkurrenzgruppe der Eisgräber versetzt wurde.
Als Zehra an ihren Auftraggeber dachte, wurde sie ruhiger. Sie setzte sich auf den einzigen Stuhl ihrer Kabine, schloss die Augen und fuhr sich mit beiden Händen über ihre kleinen festen Brüste.
Nur für ihn erledigte sie die Aufgabe auf Ceres.
Meine Aufgabe! Der Stein! Der Gedanke durchzuckte Zehra. Sie griff in die Seitentasche ihrer ausgezogenen und auf das Bett gelegte Uniform. Sie zog den noch nicht einmal fingernagelgroßen Stein heraus, den sie dank ihrer Gabe unbemerkt durch die Kontrollen geschleust hatte. Beinahe wäre ihr im Stollen der Idiot Kort auf die Schliche gekommen, aber Zehra hatte schnell die Sekunden genutzt, in denen der lästige Eisgräber nach den Erschütterungen abgelenkt gewesen war, und einen kleinen Stein in ihren Rückentornister verschwinden lassen.
Ihre rechte Hand schmerzte immer noch. Telton Kort hatte sie in ihrer Konzentration unterbrochen, dadurch war ihre Hand für eine halbe Sekunde stofflich geworden. Dabei hatte sie sich eine Quetschung zugezogen.
Zehra Ryhan war eine Halbmutantin. Sie besaß in schwacher Ausprägung die Gabe der Para-Desintegration, ähnlich wie die vor Jahrhunderten getötete Mutantin Laury Marten. Sie konnte bei höchster Konzentration durch eine geschlossene Tür hindurchgehen, oder sich – wie im Fall des Steinbrockens – in einen festen Stoff hineinbewegen. Außerdem besaß sie in geringem Umfang die Fähigkeit der Präkognition, das Vorauswissen künftiger Ereignisse.
Sie hatte sich auf der Para-Akademie von Port Teilhard auf der Venus beworben, um dort ihre Fähigkeiten ausbilden zu lassen, doch die Leiterin hatte sie nach einem Test abgewiesen. Angeblich sei sie charakterlich nicht gefestigt genug, um die große Verantwortung als Mutantin tragen zu können. Zu Zehras vorherrschenden Wesenszügen zählte, dass sie extrem nachtragend war. Sie hatte der Leiterin damals insgeheim Rache geschworen.
»Und die bekomme ich eines Tages auch noch. Verlass dich drauf«, stieß sie hervor und ballte die Hände zu Fäusten.
Ihr Auftraggeber hatte sofort zugegriffen, als sie ihm ihre Dienste angeboten hatte. Er hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, um sie so gut wie möglich schulen zu lassen.
Dafür gehörte ihm ihre Dankbarkeit und Solidarität. Abgesehen davon fand sie seine Machtfülle und die daraus resultierende Gnadenlosigkeit überaus erregend. Noch nie hatte sie ein Mann sexuell so angezogen.
»Wenn das Solare Imperium meine Gabe nicht will, werde ich sie eben gegen die solare Menschheit anwenden«, hatte sie ihrem Auftraggeber vor vier Jahren versprochen. Es wurde langsam Zeit, dieses Versprechen einzulösen.
Niemand wusste, dass sie den Steinschlag nur durch ihre Mutantenkräfte überlebt hatte. Sie hatte die Para-Desintegration über die Grenze ihres Schutzanzugs ausgeweitet, weswegen die Steine durch sie hindurchgefallen waren. Dann war sie hinter den Geröllhaufen getreten, hatte die Konzentration auf ihre Halbstofflichkeit beendet und ihren Kollegen beim Beseitigen der Steine zugesehen.
Sie hatte sich köstlich über die Reaktionen amüsiert und extra lange gewartet, ehe sie sich als unverletzt zu erkennen gab. Ihr war bewusst, dass sie damit das Misstrauen ihrer Kollegen weckte.
Zehra betrachtete den Stein in ihren Händen. Ihre Gedanken kehrten zurück in das Hier und Jetzt. Durch ihre Mutantengabe konnte sie auch in die Materie hineinsehen, in die sie eindrang.
Das Innere des Steins wirkte auf Zehras Sinne irgendwie ›durchscheinend‹ mit winzigen, kristallinen Einschlüssen. Sie schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Sie wollte nicht glauben, was sie bemerkte. Die Einschlüsse schienen sich immer wieder zu neuen Strukturen umzuordnen.
Erschrocken über ihre Entdeckung öffnete sie die Augen wieder. Das musste ihr Auftraggeber erfahren. Zehra lächelte. Ihr Auftraggeber! Nie würde sie seinen Namen an diesem Ort laut aussprechen. Niemand sollte wissen, zu wem sie gehörte.
Terrania
Imperium-Alpha in Terrania war seit fast tausend Jahren das Nervenzentrum des Solaren Imperiums; es fungierte sowohl als Herz als auch als Verwaltungszentrale, in der alle Fäden des terranischen Sternenreichs zusammenliefen. Das Regierungszentrum und die Hauptbefehlszentrale der Solaren Flotte befanden sich in den ober- und unterirdisch gelegenen Einrichtungen. Durch eigene Kraftwerke sowie durch Anlagen für die Gewinnung von Nahrung war dieses Nervenzentrum, das die gigantischen Ausmaße von fünfzig mal fünfzig Kilometern aufwies, vollkommen autark.
Es gab Kliniken und alles, was bei einem erzwungenen längeren Aufenthalt der dort arbeitenden und lebenden Menschen erforderlich wurde. Dadurch wurde die volle Handlungsfreiheit der Solaren Regierung auch in Notstandssituationen gewährleistet.
In den oberirdisch gelegenen Gebäuden wurde das Tagesgeschäft erledigt; dieser war der sogenannte offizielle, zugängliche Teil. Der größte Brocken der zwölfstöckigen Anlage lag allerdings unterirdisch.
Imperium-Alpha war der Hauptarbeitsplatz von Großadministrator Perry Rhodan und Solarmarschall Galbraith Deighton. Beide Männer trafen sich in Deightons spartanisch eingerichtetem Büro im oberirdisch gelegenen Teil. Von dort besaßen sie einen wunderbaren Ausblick auf die riesengroße Stadt. Überblicken ließ sich Terrania mit seinen mehr als 50 Millionen Einwohnern aus dieser Perspektive natürlich nicht.
Der Chef der Solaren Abwehr ließ ein drei Meter hohes und fünf Meter breites Hologramm vor seinem Schreibtisch entstehen, ein farblich identisches, maßstabgetreues Modell der Milchstraße, worin drei Orte rot hervorgehoben wurden.
»Das hier ist unzweifelhaft die Position der Erde«, sagte Perry Rhodan und deutete auf einen Punkt im Orion-Seitenarm der Darstellung. »Die beiden anderen Sonnen oder Planeten sind mir nicht bekannt. Aber wie ich Sie kenne, Gal, werden Sie mir gleich ausführlich erklären, um welche Orte es sich handelt.«
Auf ein akustisches Schaltwort von Deighton hin erschienen Zahlen und Bezeichnungen. Das Milchstraßenmodell wurde zur besseren Draufsicht ein wenig nach hinten gekippt.
»Das sind der Planet Thanaton im System Tjomen-31/438, etwa 17.000 Lichtjahre von Terra entfernt« – der rote Punkt leuchtete mehrmals auf – »und Zartiryt-System, mehr als 18.000 Lichtjahre entfernt«, erläuterte der SolAb-Chef, ein hochgewachsener schlanker Mann mit kurzen dunklen Haaren und markanten Gesichtszügen. »Halten wir fest: Am 12. April 3112 um 11.21 Uhr Terrania-Zeit gab es auf Thanaton einen schwachen Hyperimpuls. Am 15. April um genau 13.58 Uhr wurde das Zartiryt-System von einem schwachen Hyperimpuls gleicher Art durchlaufen, kurz zuvor Chonosso, die 17.001 Lichtjahre entfernte Hauptwelt der Tarey-Bruderschaft. Einem Hyperimpuls übrigens, wie wir noch nie einen aufgefangen haben. Deshalb machte ich mich schlau. Nach einiger Zeit und dreimaliger Nachfrage erhielt ich Antwort. Es soll sich um einen Schwall von Hyperenergie handeln, wie mir Geoffry Abel Waringer erklärte.«
»Deshalb bin ich ja auch vorzeitig von meinem Besuch auf Ruppet nach Terra zurückgekehrt und habe Gucky als meinen Stellvertreter dort verpflichtet.«
»Ich bin sicher, dass der Ilt Sie perfekt ersetzen wird«, stellte der Erste Gefühlsmechaniker mit einer Spur von gutmütigem Spott fest. »Sensibel und abgeklärt wie er oft ist.«
»Lästern Sie nur, Gal«, sagte Rhodan und strich sich mit der linken Hand durch die kurzen dunkelblonden Haare. »Wir wissen beide, was wir an dem Kleinen haben. Und die Großmäuligkeit soll doch letzten Endes nur seine Einsamkeit retuschieren. Schließlich ist er der Letzte seiner Art.«
»Sein Sohn Jumpy ist verschollen, also besteht noch Hoffnung, dass zumindest ein Mausbiber überlebt hat«, warf Deighton ein.
»Sie sagen es, aber irgendwann ist auch einmal die größte Hoffnung gestorben. Außerdem wäre Jumpy jetzt über siebenhundert Jahre alt, und bisher hat noch kein Ilt dieses Alter ohne Zellaktivator erreicht. Also ist auch er schon tot. Ich weiß, wie grausam es ist, wenn man seine Kinder verliert. Ich hatte auch einmal eine Tochter und einen Sohn …«
Rhodan stand auf, er trat zu dem Panoramafenster von Deightons Arbeitszimmer und blickte auf die Skyline des zum großen Teil neuerbauten Terrania bis hinüber zur Mercant-Allee. Nach dem Krieg gegen die Uleb hatte hier alles in Trümmern gelegen. Weit über zwei Milliarden Terraner waren damals beim Angriff der Dolans im August 2437 ums Leben gekommen. Es war das Schlimmste gewesen, was er je erlebt hatte. Das Terrania von heute sah zum großen Teil anders aus als damals. Perry war zu Recht stolz auf die größte Stadt des Solaren Imperiums; schließlich hatte er sie einst unter dem Namen Galakto-City gegründet, als es hier nicht als die Wüste Gobi gegeben hatte.
»Was sagt Geoffry zu diesem – wie nannte er es? – Hyperenergieschwall?«, wollte der Großadministrator wissen, als er sich wieder dem Milchstraßenholo zuwandte. Er hatte den kurzen Anflug von Melancholie überwunden. Auf Deightons Schreibtisch lag eine Datenkristallausgabe von