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Nicht nur Zamorra klappte der Unterkiefer herunter, als er sah, was sich auf jenen Fliesen abzeichnete, die bis eben unter dem Futon gelegen hatten.
"Was zum Teufel ist das denn?"
"Teufel ist gut", erwiderte Nicole lakonisch. "Scheitan ist besser. Beziehungswese Dschinn. Das hier, meine Herren, ist ein Hamsa, auch Hand der Fatima genannt ..."
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Mörder, die durch Wände gehen
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Mörder, die durch Wände gehen
(Teil 1)
von Ian Rolf Hill
Umm as-Samim, irgendwo an der Grenze zwischen Oman und Saudi-Arabien
Gilbert Toussaint hasste die Wüste!
Wäre es nach ihm gegangen, wäre er zu Hause in Paris geblieben, wo einem der Sand nicht bei jeder Bewegung in der Arschritze scheuerte. Außerdem musste er da nicht mitten in der Nacht aufstehen, um noch vor Sonnenaufgang auf dem Rücken stinkender Kamele meilenweit durch die Ödnis zu schaukeln. Wo erst gerastet wurde, wenn es so heiß war, dass einem das Hirn im eigenen Schädel kochte ...
Gott, was hätte er dafür gegeben, jetzt in seinem klimatisierten Büro in den Katakomben des Instituts für Kunst und Archäologie der Universität Paris zu sitzen, um irgendwelche Artefakte zu katalogisieren! Und vielleicht noch das eine oder andere Schätzelchen zur Seite zu schaffen, um es gewinnbringend über das Darknet zu verhökern.
Gewissensbisse hatte Gilbert keine. Würde ihn die Universität anständig entlohnen und nicht wie einen Leibeigenen behandeln, der froh sein konnte, überhaupt einen Job zu haben (Zitat: Professor Doktor M. Rosseau), bräuchte er sich auch nicht selbst um seine Altersvorsorge zu kümmern.
Aber der alte Tyrann hatte ja darauf bestanden, dass er sie auf der Expedition begleitete.
»Um Ihren Horizont zu erweitern, Gilbert«, hatte Rosseau gemeint und dabei süffisant gegrinst.
Was Gilbert meinte, hatte er lieber für sich behalten. Geschluckt, wie so viele Kommentare und Demütigungen in den vergangenen Jahren, seit er wissenschaftlicher Assistent bei Professor Doktor Marcel Rosseau war, der Koryphäe, wenn es um die Geschichte Vorderasiens und des Orients ging.
Zumindest hielt er sich für die einzige ernstzunehmende Koryphäe auf diesem Gebiet. In Gilberts Augen war er bloß ein alter Zausel, dem es Spaß machte, Untergebene zu drangsalieren. Oder Studentinnen zu betatschen.
Warum sonst hätte er Mirelle und Chantalle mit auf diese Expedition nehmen sollen? Dabei hätte es mindestens zwei Dutzend qualifiziertere Kandidaten gegeben. Er musste es wissen, schließlich war er es, der die Hausarbeiten korrigierte.
Aber keiner der zwei Dutzend qualifizierten Kandidaten oder auch Kandidatinnen konnte nun mal eine solch üppige Oberweite wie Mirelle vorweisen. Oder einen Hintern wie Chantalle. Wobei sich beide nicht zu schade waren, ihre Reize einzusetzen, wenn sie sich einen Vorteil davon versprachen.
Nur ihn hatten sie bislang ignoriert.
Was hätte er ihnen auch schon bieten können? Außer einer guten Note in der Hausarbeit?
Jedenfalls wusste der alte Sack genau, dass die beiden Damen so viel von Archäologie und der Geschichte des Orients verstanden wie ein Elefant vom Fahrradfahren.
Und er machte daraus auch keinen Hehl. Schon gar nicht vor den Studentinnen selbst. Deshalb hatte er sie ja angeblich mitgenommen. Damit sie ein tieferes Verständnis für die orientalische Kultur, speziell des Omans, entwickelten.
Zu dumm, dass Mirelle vor der Abreise in die Wüste plötzlich wässerigen Durchfall bekommen und Chantalle eine Migräneattacke erlitten hatte. Unmöglich das Bett zu verlassen (oder die Toilette), geschweige denn das Hotelzimmer.
Was für ein Glück, dass sie beide am selben Abend einen Fall von Spontangenesung erlebten, wie anhand ihrer Instagram-Profile ersichtlich war.
Und während Mirelle und Chantalle in mehr als Fetzen zu bezeichnenden Bikinis am Hotelpool lagen und sich von gut gebauten Hotelangestellten die schwer erreichbaren Stellen mit Sonnenmilch eincremen ließen, hockte er auf diesem verdammten Kamel wie ein Affe auf dem Schleifstein.
Immerhin hatten sie einen Großteil der Strecke durch die Rub al-Chali, der größten Sandwüste der Welt, mit Jeeps bewältigen können, auch wenn der Spritverbrauch enorm gewesen war.
Erst nach Erreichen der Umm as-Samim waren sie im wahrsten Sinn des Wortes auf die Wüstenschiffe umgesattelt. Hauptsächlich des tückischen Treibsandes wegen, für die die Sebhkas, flache, teilweise überschwemmte Becken, berüchtigt waren.
Während der Eiszeit im Pliozän, also vor fünf Millionen Jahren, hatte sich an dieser Stelle ein Binnensee von beträchtlicher Größe befunden. Im Gegensatz zur eigentlichen Sandwüste zeichnete sich die Umm as-Samim allerdings durch deutlich üppigeren Bewuchs aus.
Seit zwei Tagen kreuzten sie nun schon auf den Rücken der Kamele durch die Sabcha, und langsam zweifelte Gilbert daran, dass sie ihr Ziel noch erreichten.
Trotz ihrer beiden Führer, die entgegen dem Klischee vom windigen Beduinen, der den Abenteurern aus dem Abendland mit listig funkelnden Augen und goldzahngeprägtem Grinsen eine sichere Passage versprach, nur um sie bei erstbester Gelegenheit im Treibsand ersaufen zu lassen, überraschend seriös und hilfsbereit waren.
Aber selbst sie schienen mit ihrem Latein am Ende. Und was Professor Doktor Rosseau betraf, der senile Sack war vermutlich nur zu stolz, um zuzugeben, dass er sich nicht nur ge- sondern auch verirrt hatte.
Obschon Gilbert einräumen musste, dass Rosseau mit seinen sechsundfünfzig Jahren eigentlich zu jung war, um bereits an altersbedingter Verkalkung zu leiden. Gleichwohl er erst vor zwei Jahren von einem schweren Verlauf des Dengue-Fiebers genesen war. Und gab es nicht auch eine sehr frühe Form der Demenz, die Betroffene schon mit Anfang fünfzig befiel?
Gilbert Toussaint überlegte gerade, wie hoch die Chancen wohl standen, dass Rosseau samt seinem Wüstenschiff direkt in eine mit Treibsand gefüllte Senke schlitterte, als sein Kamel unvermittelt stehen blieb.
Ohne es zu merken hatte sich der wissenschaftliche Assistent von der kleinen Gruppe getrennt, war mit dem Kamel ausgeschert, um einen Gürtel aus stacheligem Gestrüpp weitläufig zu umschiffen, möglichst weit von Rosseau entfernt.
Erst als sein Reittier innehielt und unwillig den Kopf in den Nacken warf, begriff Gilbert, dass die Rufe von Ben ibn Said, dem Sohn ihres Führers Ibrahim Said, offenkundig ihm galten.
Gilbert drehte sich auf dem Höcker des Kamels, so weit er es verantworten konnte, und zuckte mit den Achseln. Ben lenkte sein Wüstenschiff langsam durch eine Lücke im Gestrüpp und schloss zu dem achtunddreißigjährigen Franzosen auf.
»Was ist los?«, bellte dieser. »Was hat das störrische Vieh denn nun schon wieder?«
»Das störrische Vieh«, antwortete Ben Said ruhig, »hat Ihnen gerade das Leben gerettet, Sayyid.«
»Was?«, schnappte Gilbert und beobachtete, wie der drahtige Omane abstieg, einen faustgroßen Stein aufhob und ihn vor dem Franzosen und seinem Kamel in den Sand warf.
Er versank innerhalb einer Sekunde, wurde einfach verschluckt.
Gilbert starrte auf den Sand, der wie Wasser in die winzige Vertiefung rieselte. Einen Wimpernschlag später sah der Boden wieder genauso glatt und unberührt aus wie wenige Sekunden zuvor.
Der wissenschaftliche Assistent lief rot an. »Verdammt, warum haben Sie mich nicht gewarnt?«
»Das habe ich versucht. Sie haben nicht auf mich gehört.«
»Dann müssen Sie lauter schreien!« Gilbert zupfte ein Tuch aus der Jackentasche und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
Es dauerte zwar noch mehrere Stunden, bis die Sonne im Zenit stand, doch schon jetzt heizte sich die Luft bereits spürbar auf.
»Wie Sie meinen, Sayyid«, erwiderte Ben devot. »Aber es wäre besser, wenn sie ab sofort dicht hinter mir blieben. Der Boden hier ist sehr feucht, das bedeutet viel Treibsand. Sie mögen nicht an ihrem Leben hängen, das Kamel dagegen schon.«
Gilbert schnaufte. »Als ob man in so einem Loch krepieren würde. Wahrscheinlich würde das Vieh nicht mal komplett versinken.«
Ben nickte. »Damit mögen Sie recht haben, Sayyid. Aber wie sollen wir das Kamel herausziehen? Das Tier müsste verhungern. Sehen Sie es ihm nach, wenn es andere Pläne hat.« Er zögerte kurz. »Außerdem sind Kamele teuer«, fügte er schließlich hinzu.
Gilbert sackte das Blut aus dem Kopf. Was bildete sich dieser unverschämte Bengel ein? Am liebsten hätte er ...
Doch Ben ibn Said saß längst wieder auf seinem eigenen Kamel und erklomm die Düne, auf deren Grat sein Vater mit dem Professor wartete.
»Toussaint!«, brüllte Rosseau. »Schwingen Sie Ihren Hintern hier rauf, aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!«
Wieder schluckte Gilbert seinen Zorn herunter. Wenn das so weiterging, feierte er seinen ersten Infarkt noch vor dem vierzigsten Geburtstag.
Ruhig Blut, ermahnte sich der wissenschaftliche Assistent daher. Deine Stunde kommt noch. Ganz bestimmt. Schon sehr bald ...
Lyon, Frankreich
Der Mann lag bäuchlings vor dem Schreibtisch.
Das Gesicht war zur Seite gedreht und versank beinahe in dem hochflorigen Teppich. So wie der Rest seiner knochigen Gestalt. Die Mimik war leer und nichtssagend. Sämtliche Muskeln waren erschlafft. Die Lider halb herabgesunken. Aber auch wenn sie vollständig geöffnet gewesen wären, hätte Victor Messier nichts sehen können, denn er war tot.
Das sah selbst ein medizinischer Laie wie Professor Zamorra auf den ersten Blick.
Er hatte schließlich schon mehr als genug Leichen in seinem Leben gesehen. Allerdings waren die meisten von ihnen in einem deutlich schlechteren Zustand gewesen als die von Victor Messier.
Es gab keine äußeren Verletzungen, lediglich die bläulich verfärbte Quetschung entlang des Halses wies auf die Todesursache hin.
Strangulation.
Fast schon profan, wenn er bedachte, mit welchen Gegnern er sich herumschlug. Die wenigsten von ihnen hätten ihre Opfer auf eine solche Weise ins Jenseits befördert.
»Und? Was meinst du dazu?«
Zamorra richtete sich auf und massierte sich nachdenklich das Kinn.
»Eindeutig tot«, beantwortete er die Frage von Chefinspektor Pierre Robin, der neben ihm hockte. Die Arme auf den Knien abgestützt, die Hände steckten in Silikonhandschuhen.
»Donnerwetter«, erwiderte Pierre bissig. »Bist du sicher? Meinst du nicht, wir sollten einen richtigen Arzt hinzuziehen? Nur um eine zweite Meinung einzuholen.«
»Sie wollen eine zweite Meinung?«, meldete sich Renoir zu Wort. »Hier haben Sie eine: Der Mann ist tot!«
Robin hob den Kopf, um den mürrischen Polizeiarzt anzuschauen. »Ich sagte, richtigen Arzt. Nicht Leichenfledderer.«
Dr. Renoir schnaubte. »Sagt der Mann, der aus einem Tatort eine Vernissage macht.« Der alternde Rechtsmediziner warf Zamorra einen entschuldigenden Blick zu. »Nichts für ungut. War nicht persönlich gemeint.«
»Hab ich auch nicht so aufgefasst.«
Der Meister des Übersinnlichen schüttelte den Kopf. Das Lächeln verkniff er sich nur deshalb, weil es ihm in Anwesenheit eines gewaltsam zu Tode gebrachten Menschen unpassend erschien. Er kannte den Chef der Mordkommission Lyon und dessen grantigen Polizeiarzt lange genug, um zu wissen, wie sie zueinanderstanden. Beziehungsweise zu ihm und seiner Profession.
Er wandte sich an Renoir.
»Wie lange weilt denn Monsieur Messier bereits nicht mehr unter den Lebenden?«
Der Arzt wiegte den Kopf. »Zu lange. Ich gehe davon aus, dass er Freitag oder Samstag getötet wurde.«
»Heute ist Montag«, murmelte Zamorra. »Also hast du uns nicht kommen lassen, damit ich via Zeitschau herausfinde, was passiert ist.« Wenn er mit Hilfe von Merlins Stern die Zeitschau aktivierte, konnte er die Geschehnisse an einem Ort bis zu acht Stunden zurückverfolgen.
»Natürlich nicht«, entgegnete der Chefinspektor.
»Und weshalb sind wir dann hier?«
Robin starrte den Parapsychologen entgeistert an. »Machst du Witze? Hast du dich hier vielleicht mal umgeschaut?«
Professor Zamorra nickte. Ja, er hatte sich umgeschaut, und seine Gefährtin Nicole Duval tat es noch. »Zugegeben, dass ist ungewöhnlich.«
»Ungewöhnlich?«, echote Robin. »Das ist reichlich untertrieben, findest du nicht? Das grenzt bereits an Paranoia.«
Wieder nickte er, während er den Blick durch die Wohnhöhle des Mordopfers schweifen ließ. Anders konnte er das Zimmer beim besten Willen nicht bezeichnen. Es gab praktisch keine freie Wand. Alles war vollgestellt mit Regalen, Schränken und Kommoden.
Erstgenannte quollen über vor Bücher und Zeitschriften, was sich in Letzteren befand, konnte Zamorra nicht erkennen, da sie geschlossen waren. Allerdings war das nicht unbedingt außergewöhnlich, ja, es sah nicht einmal unordentlich aus.
Was die Wohnung von Victor Messier so einzigartig machte, war das, was von der Decke hing, sodass ein Vorankommen in aufrechter Haltung nahezu unmöglich war.
Drudenfüße, Kruzifixe, Nazar-Perlen, Achate, Gemmen, Hufeisen und sogar Hasenpfoten baumelten zwischen Knoblauchstauden und Bündel aus getrocknetem Eisenhut und Wolfskraut. Darüber hinaus identifizierte Zamorra Misteln sowie Kränze aus Johanniskraut. In einer kleinen Räucherschale auf einer Kommode fand er Reste von Sandelholz.
Kein Wunder also, dass die Luft zum Schneiden dick war. Zumal hier bereits seit Tagen oder Wochen nicht mehr richtig gelüftet worden zu sein schien.
Zamorra vermochte nicht zu sagen, ob das süßlich-erdige Aroma ausschließlich von den Kräutern und Räucherstäbchen stammte oder womöglich schon von dem Leichnam.
Wenn der seit mindestens achtundvierzig vielleicht sogar zweiundsiebzig Stunden in der überheizten Bude lag, war das nicht gänzlich ausgeschlossen.
»Wurde bei Victor Messier eine psychische Erkrankung diagnostiziert?«
»Nein«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Der Mann war ein Eigenbrötler, aber mit Sicherheit nicht schizophren oder psychotisch.«
»Und woher nimmst du deine Überzeugung? Wenn ich das richtig verstanden habe, seid ihr doch selbst erst wenig Minuten vor uns hier eingetroffen.«
»Eine Stunde und zehn Minuten, wenn du es genau wissen willst. Aber das spielt auch keine Rolle. Selbst wenn wir zeitgleich mit euch hier eingetroffen wären, hätte mich das höchstens einen Anruf gekostet, um herauszufinden, ob Messier schon einmal in Behandlung gewesen war.«
»Ach«, machte Zamorra. »Der Tote war aktenkundig?«
Renoir gluckste. »So kann man das auch nennen.«
Robin warf ihm einen bösen Blick zu, ehe er dem Parapsychologen eine Antwort gab. »Nein, er ist nicht aktenkundig. Es sei denn, du sprichst von der Personalakte.«
»Moment mal«, unterbrach Zamorra den Chefinspektor. »Willst du damit sagen, der Tote war Polizist?«
»Mitnichten. Viktor Messier war ziviler Mitarbeiter in unserem Archiv.«
Ein lautes Schaben und Dröhnen drang aus dem Nachbarzimmer.
»Herrgott.« Pierre Robin knurrte. »Brunot, was zum Geier veranstalten Sie da? Das hier ist ein Tatort und kein Möbelhaus.«
Zamorra und Dr. Renoir folgten dem Chefinspektor in den Nebenraum, wo sich Robins Assistent eben aus der gebückten Haltung erhob.
»Das ist mir klar, aber Madame Duval hat darauf bestanden.«
Die blonde Frau im modischen Jumpsuit drehte sich zu den drei Männern um und schenkte ihnen ein freundliches Lächeln.
»Nici, was um alles in der Welt tust du da?«, erkundigte sich Zamorra gelassen, überzeugt davon, dass seine Partnerin den Futon nicht umsonst mit Brunots Hilfe auf die Seite gekippt und an die Wand gelehnt hatte.
Dass sie dabei einige der Amulette und Kräuterbündel, die natürlich auch im Schlafzimmer hingen, gestreift und in Schwingungen versetzt hatte, schien sie nicht ernsthaft zu stören.
Statt ihm nun aber eine Antwort auf seine Frage zu geben, trat sie wortlos zur Seite und deutete zu Boden, der, im Gegensatz zur Wohnhöhle, nicht mit einem Teppich bedeckt war.
Es sei denn, man zählte die drei schmalen Läufer dazu, die um das Bett herum platziert waren und deren einziger Zweck wohl darin bestanden hatte, dass sich der Haus- beziehungsweise Wohnungsherr keine kalten Füße holte. Der Boden selbst war mit Cotto-Fliesen ausgelegt.
Nicht nur Zamorra klappte der Unterkiefer herunter, als er sah, was sich auf jenen Fliesen abzeichnete, die bis eben unter dem Futon gelegen hatten.
»Was zum Teufel ist das denn?«
»Teufel ist gut«, erwiderte Nicole lakonisch. »Scheitan ist besser. Beziehungswese Dschinn. Das hier, meine Herren, ist ein Hamsa, auch Hand der Fatima genannt.«
Sie deutete auf das mannshohe Symbol, das mit blauer Farbe auf die Fliesen gemalt worden war und eine flache Hand mit zusammengelegten Fingern darstellte, auf dessen Teller ein Auge prangte. Allerdings wiesen nur drei Finger nach oben, während Daumen und kleiner Finger lediglich in Form nach außen gekrümmter Spitzen angedeutet wurden.
»Und was soll das bedeuten?«
»Das Hamsa ist ein magisches Symbol«, dozierte Zamorra. »Es wurde nach der jüngsten Tochter des Propheten Mohammed benannt. Ihr allsehendes Auge soll vor dem bösen Blick schützen und Dschinns abwehren. Das Symbol selbst hat seinen Ursprung aber vermutlich schon im alten Mesopotamien und geht auf den Ischtar-Kult zurück. Die fünf Finger stehen für die fünf Segnungen: Liebe, Gesundheit, Weisheit, Macht und Geld.«
»Danke, Herr Professor«, unterbrach ihn Nicole. »Ich glaube, das Stichwort war Schutz.«
»Schutz vor wem?«, fragte Renoir.
»Vor einem Dschinn«, bellte Robin. »Hören Sie überhaupt zu, wenn man mit Ihnen spricht?«
»Und was für ein Dschinn soll das sein?«, wollte Renoir wissen und reckte dem Chefinspektor das Kinn entgegen.«
»Keine Ahnung«, ereiferte sich Robin. »Deshalb sind die beiden doch hier.« Er deutete auf die Dämonenjäger, auf die sich jetzt drei fragende Blicke richteten.
»Woher sollen wir das wissen?«, fragte Nicole, und die goldenen Tüpfelchen in ihren Augen verrieten, dass sie nicht gewillt war, als Blitzableiter für den Frust der Ermittler herzuhalten. »Wissen Sie überhaupt, wie viele verschiedene Arten von Dschinns es gibt?«
»Nein!«, erwiderten Renoir und Robin wie aus einem Munde.
»Halt«, mischte sich Brunot ein, und zückte sein Notizbuch. »Der Prophet und sein Berg sind einer Meinung, das muss ich mir gleich im Kalender rot markieren. Verdammt, ausgerechnet heute habe ich keinen farbigen Stift dabei.«
Der Chefinspektor hob die Faust. »Ich markiere Ihnen auch gleich etwas, Brunot! Dann brauchen Sie keinen Rotstift mehr.«
»Haben Sie mir gerade mit körperlicher Gewalt gedroht, Chef?«
»Darauf können Sie Ihre Pension verwetten.«
Renoir gluckste. »Sie sind ein fähiger Ermittler, Pierre, aber ein lausiger Spieler.«