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Folge 4: Das FBI bekommt einen Hinweis und endlich gelingt es ihnen, Sams Entführer David Lester zu überwältigen und festzunehmen. Er hat eine Frau bei sich, und als Laurie ihr gegenübersteht, weiß sie: Die Frau ist Sam - ihre vermisste Schwester. Doch diese behauptet steif und fest, nicht Samantha Walsh zu sein. Offenbar hat sie in den elf Jahren in Lesters Gefangenschaft ihre eigene Identität vergessen. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es gibt keinerlei Beweise dafür, dass Lester Sam gegen ihren Willen festgehalten hat. Wenn sich der Verdacht innerhalb von achtundvierzig Stunden nicht erhärtet, müssen sie ihn frei lassen. Sam ist die Einzige, die ihn belasten kann. Laurie versucht alles, um zu ihrer Schwester durchzudringen - vergebens?
Laurie Walsh war eine erfolgreiche Polizistin. Bis sie aus Notwehr schießen musste - und ein Mensch starb. Die Bilder verfolgen sie jede Nacht - selbst jetzt, mehr als ein Jahr später. Doch dann meldet sich ihr ehemaliger Partner Jake und bittet sie um Hilfe bei einem Fall. Und Laurie wird klar, wie sehr ihr Herz noch an der Polizeiarbeit hängt. Immer wieder hilft sie Jake fortan bei harten Fällen, die die Ermittler tief erschüttern. Und gerät dabei nicht selten selbst ins Visier der Täter ...
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
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Seitenzahl: 164
Laurie Walsh war eine erfolgreiche Polizistin. Bis sie aus Notwehr schießen musste – und ein Mensch starb. Die Bilder verfolgen sie jede Nacht – selbst jetzt, mehr als ein Jahr später. Doch dann meldet sich ihr ehemaliger Partner Jake und bittet sie um Hilfe bei einem Fall. Und Laurie wird klar, wie sehr ihr Herz noch an der Polizeiarbeit hängt. Immer wieder hilft sie Jake fortan bei harten Fällen, die die Ermittler tief erschüttern. Und gerät dabei nicht selten selbst ins Visier der Täter …
Das FBI bekommt einen Hinweis und endlich gelingt es ihnen, Sams Entführer David Lester zu überwältigen und festzunehmen. Er hat eine Frau bei sich, und als Laurie ihr gegenübersteht, weiß sie: Die Frau ist Sam – ihre vermisste Schwester. Doch diese behauptet steif und fest, nicht Samantha Walsh zu sein. Offenbar hat sie in den elf Jahren in Lesters Gefangenschaft ihre eigene Identität vergessen. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es gibt keinerlei Beweise dafür, dass Lester Sam gegen ihren Willen festgehalten hat. Wenn sich der Verdacht innerhalb von achtundvierzig Stunden nicht erhärtet, müssen sie ihn frei lassen. Sam ist die Einzige, die ihn belasten kann. Laurie versucht alles, um zu ihrer Schwester durchzudringen – vergebens?
Dania Dicken, Jahrgang 1985, schrieb ihr erstes Buch als Zehnjährige – per Hand und mit dem guten Gefühl, eine Berufung gefunden zu haben, die bleiben würde. Während ihres Studiums verfasste sie dann zunächst Fantasyromane, die sie im Selbstverlag veröffentlichte. Nach einigen Semestern beschloss sie, ihr Soziologiestudium an der Universität Duisburg gegen einen interdisziplinären Psychologie- und Informatik-Studiengang zu tauschen, was sich schnell als richtige Entscheidung erwies. Mit den Grundlagen aus dem Psychologiestudium setzte sie ein lang gehegtes Vorhaben in die Tat um und schreibt seitdem spannende Profiler-Thriller. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Krefeld und widmet sich hauptberuflich dem Verfassen spannender Bücher.
Dania Dicken
Fall 4Falsches Vertrauen
beTHRILLED
Originalausgabe
»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven © Shutterstock: Mega Pixel | Daniel Tadevosyan ; © Lauren Bates/Getty Images
eBook-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-7325-5393-8
www.be-ebooks.de
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Mit dem Klebeband auf den Lippen konnte sie kaum atmen. Alles war schwarz. Sie konnte nicht aufhören, sich vorzustellen, wie sie in diesem Sarg erstickte. Er musste ja bloß jedes Loch abdichten und schon bekam sie keinen Sauerstoff mehr.
Seit Stunden lag sie in derselben Position, ohne sich bewegen zu können. Sie konnte sich nicht einmal kratzen, er hatte sie ja gefesselt.
Würde sie hier sterben?
Erneut bahnte sich eine Panikattacke an. Laurie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ja, sie würde hier sterben. Sie kam hier nie wieder lebend raus. Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht. Stattdessen weinte sie nur.
Es waren ihre Tränen, die sie hochschrecken ließen. Ihr Herz raste, sie war schweißgebadet. Neben ihr schlief Jake seelenruhig, er hatte nicht gemerkt, dass sie wieder einen Albtraum hatte. Das war auch gut so, er machte sich ohnehin zu viele Sorgen. Laurie fand das zwar lieb von ihm, aber er konnte ja nichts tun. Er hatte schon alles getan, was in seiner Macht stand – er hatte sie gesucht und er hatte sich einigen Ärger eingehandelt bei seinem Alleingang, in dem er sie schließlich vor Patrick Keener gerettet hatte. Nicht zuletzt kümmerte er sich seitdem aufmerksam um sie, hatte ganz ohne ihre Hilfe in ihrer Wohnung aufgeräumt und verbrachte eigentlich jede freie Minute mit ihr.
Trotzdem spürte Laurie ein Gefühl von Kälte und Einsamkeit. Entweder träumte sie davon, wie Keener sie in den Sarg gesperrt hatte, oder sie sah vor sich, wie er andere Menschen oder sogar sie selbst brutal tötete. Die schrecklichen Bilder wurde sie einfach nicht los.
Mucksmäuschenstill stand sie auf und schlich in die Küche. Gerade hatte sie kein Eis da, aber sie holte sich Schokolade und ein Glas Orangensaft. Mit beidem ging sie hinaus auf ihre kleine Terrasse und lauschte dem Konzert der Zikaden und dem Verkehrsrauschen der Stadt. Wirklich dunkel war es nicht, die Lichter von Phoenix erhellten den Himmel. Obwohl Laurie nur ein Top und ihren Slip trug, war ihr nicht kalt. Nur selten sanken die Temperaturen zu dieser Jahreszeit nachts unter fünfundzwanzig Grad.
Schokolade tat gut. Der Orangensaft weckte ihre Lebensgeister ein wenig, aber es begann auch schon am Horizont zu dämmern. Es war kurz vor fünf. Damit war die Nacht wohl gelaufen.
Laurie beobachtete verträumt den Sonnenaufgang und ging dann um kurz vor sechs duschen. Als sie fertig war, kam Jake müde zu ihr ins Bad und begrüßte sie mit einem Kuss.
»Guten Morgen«, sagte er. »Du bist ja schon auf.«
»Ja … Ich wollte dich nicht wecken.«
»Hast du nicht. Duschen ist eine gute Idee.« Er wollte schon seine Shorts ausziehen, doch vorher strich er sanft mit den Fingern über Lauries langsam heilende Schussverletzung. Sie lächelte und ging ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen, während er duschte.
Sie waren zwar erst seit wenigen Tagen zusammen, aber es fühlte sich so vertraut an. Das lag sicher daran, dass sie sich schon so lange kannten. Gerade war Laurie froh darüber, dass er bei ihr war.
Sie frühstückten ausgiebig und in Ruhe, bevor sie zusammen zur Arbeit fuhren. Seit ihrer Krankschreibung machten sie sich darüber keine Gedanken mehr. Sie kamen und gingen zusammen, aber bislang schien ihren Kollegen noch nicht aufgefallen zu sein, dass sie nun ein Paar waren. Bei der Arbeit ließen die beiden sich nichts anmerken, sondern arbeiteten als Kollegen zusammen wie eh und je.
Der Fall Patrick Keener beschäftigte die Polizei weiterhin ziemlich intensiv. Laurie und Jake waren nicht mehr in der Taskforce, um sich keinen Befangenheitsvorwurf gefallen lassen zu müssen, aber im Bilde waren sie trotzdem. Keener hatte sich inzwischen so weit von Jakes Kopfschuss erholt, dass die Kollegen ihn am Krankenbett verhören konnten. Tatsächlich war er sehr kooperativ und erzählte ihnen alles über seine Morde, was sie wissen wollten. Sie hatten immer noch nicht alle neunundfünfzig Leichen gefunden, Rebecca Collins mitgezählt, aber er hatte sie auch nicht alle auf seinem Grundstück verscharrt. Dort hatte er schlicht und ergreifend nicht genug Platz gehabt. Manche hatte er an irgendwelchen einsamen Orten in der Wüste vergraben und angeboten, den Ermittlern diese Orte zu zeigen. Beweisen konnten sie die Morde trotzdem, er hatte sie ja penibel aufgezeichnet.
Die Kollegen taten Jake und Laurie leid, denn sie mussten Keeners gesamte Aufzeichnungen sichten – jedes einzelne Folter- und Mordvideo. Sie hatten sein gesamtes Haus durchsucht und dabei seine grauenhaften Souvenirs und Mordwerkzeuge sichergestellt. Er war ein Sonderling, so viel stand fest, und die Staatsanwaltschaft rieb sich die Hände angesichts der wunderbaren Beweislage. Sie hatte bereits verlauten lassen, dass sie die Todesstrafe fordern wollte.
Laurie hatte an diesem Tag nicht viel zu tun und Jake musste noch einmal vor der Dienstaufsicht aussagen, damit sein Alleingang nicht den Prozess gegen Keener gefährden würde.
Als er vor der Mittagspause zurückkam, wirkte er nicht sonderlich beunruhigt. Deshalb entspannte auch Laurie sich, weil sie nicht wollte, dass er ihretwegen Ärger bekam.
»Wir reden uns mit den Grabhügeln heraus«, sagte Jake. »Ich habe zwar tatsächlich kurz gedacht, dass es Gräber sein könnten, aber ich war mir nicht sicher. Vermutlich reicht es, wenn ich sage, ich hätte die Hügel für Gräber gehalten, dann hätte nämlich ein hinreichender Tatverdacht bestanden.«
»Klingt doch gut. Mich hättest du ja niemals hören können.«
»Nicht wirklich. Aber die Hauptsache ist, dass wir ihn drankriegen.«
Laurie stimmte ihm zu. Sie gingen gemeinsam in die Mittagspause, holten sich Pasta in der Kantine und aßen zusammen mit den Kollegen. Sie verstanden sich gut mit den anderen, waren schon Teil des Teams. Das lag vermutlich nicht unmaßgeblich daran, dass sie einen ganz besonderen Einstand hingelegt hatten.
Sie waren nach der Pause noch nicht ganz in ihrem Büro, als Lauries Handy klingelte. Weil Laurie die Vorwahl erkannte, war sie gleicht gespannt. Sie durfte sich nicht zu viel davon versprechen – dass man Sam gesehen hatte, lag nun auch schon wieder über eine Woche zurück. Morrissey hatte ihr zwar versprochen, dass er ihre Schwester finden würde, aber was, wenn es wieder nicht geklappt hatte?
»Walsh«, meldete sie sich und blieb auf dem Flur stehen. Jake gab ihr mit einem Wink zu verstehen, dass er in die Kaffeeküche gehen würde.
»Agent Morrissey hier«, begrüßte der FBI-Agent sie. »Miss Walsh, ich habe gute Nachrichten für Sie.«
Laurie blickte auf, schlagartig wurde ihr heiß.
»Wir haben Samantha gefunden. Sie ist bei uns und in Sicherheit.«
Für einen Moment blieb Laurie die Luft weg. Sie stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und schloss kurz die Augen, doch sie lächelte.
»Geht es ihr gut?«
»So weit die Kollegen es mir gesagt haben, ja. Sie haben David Lester und Samantha in Rochester, Minnesota gefunden. Er war mit ihr in einem Diner und ist dort einer Kellnerin gegenüber aggressiv geworden, die daraufhin die Polizei gerufen hat. Die Officers wussten erst überhaupt nicht, mit wem sie es zu tun haben. Weil er sich aber weiterhin äußerst verdächtig benommen hat und ihnen auch das Verhalten Ihrer Schwester seltsam erschien, haben sie ihn genauer überprüft und ihn schließlich erkannt.«
Laurie hörte das alles wie in Trance. Jake kam in diesem Moment aus der Kaffeeküche zurück und machte große Augen, als er sie sah. Sie konnte sich ihren eigenen Gesichtsausdruck ungefähr vorstellen.
»Sind Sie noch dran?«, fragte Morrissey.
»Ja … Ich bin noch da.«
»David Lester sitzt jetzt in einer Zelle, wo er hingehört. Ich fahre gerade mit einem Taxi zum Flughafen und fliege gleich nach Minneapolis, um dort die Ermittlungen zu übernehmen. Sie wollen doch sicher auch dorthin kommen, oder?«
»Sofort.«
»Das ist sehr gut, denn ich denke, Sie könnten hilfreich sein.«
Laurie stutzte. »Wie meinen Sie das?«
»Ich habe von meinen Kollegen aus Minneapolis gehört, dass Samantha nicht zu wissen scheint, wer sie ist.«
Das saß. Laurie schluckte hart und biss sich auf die Lippen. »Ich bin schon unterwegs.«
»Bis nachher. Melden Sie sich, wenn Sie wissen, wann Sie ankommen. Ich veranlasse dann, dass man Sie abholt.«
Sie versprach es ihm und legte auf. Jake musterte sie noch immer fragend, aber plötzlich hatte es Laurie die Sprache verschlagen.
»Wer war das? FBI?«
Laurie nickte. »Sie haben sie gefunden, Jake.«
»Wen, Sam?«
»Ja … Sie ist in Minnesota.«
»In Minnesota?«
»Morrissey fliegt jetzt nach Minneapolis. Ich muss da hin. Meine Schwester ist dort …«
Jake stellte seine Kaffeetasse auf den Aktenschrank neben sich und umarmte Laurie. »Endlich.«
»Er sagte, Sam weiß nicht, wer sie ist.«
»Okay«, murmelte Jake verhalten und mit bestürztem Gesicht.
»Wo ist Captain Walters?«
Die beiden machten sich gleich auf die Suche nach ihrer Vorgesetzten. Laurie sah aus, als hätte sie eine Erscheinung gehabt und versuchte Walters zu erklären, was vorgefallen war. Sie hatte mit dem Captain nie über Samantha gesprochen, weil sie das nie für nötig gehalten hatte, und musste deshalb erst einmal ganz von vorne anfangen..
»Du liebe Güte«, sagte Maryann Walters schließlich erschrocken. »Fliegen Sie ruhig nach Minneapolis, das ist doch selbstverständlich!«
»Ich würde Laurie gern begleiten«, warf Jake vorsichtig von der Seite ein.
»Natürlich, gehen Sie nur. Geben Sie mir aber bitte Bescheid, wenn Sie nach dem Wochenende noch fort sein sollten.«
»Danke.« Laurie war erleichtert. Sie verließen in Windeseile das Büro und fuhren zusammen zu ihr nach Hause, wo sie rasch die nötigsten Sachen einpackten. Sie beschränkten sich darauf, Handgepäck mitzunehmen, um flexibler zu sein. Vor dem Verlassen der Wohnung holte Laurie noch das letzte gemeinsame Foto von sich und Sam. Vielleicht würde das helfen. Außerdem packte sie ihre Kopie von Liams Bericht über Sam ein.
Jake fuhr sie beide zum Flughafen, suchte einen Parkplatz und buchte ihnen auf den letzten Drücker noch zwei Plätze in der Maschine, die in einer Dreiviertelstunde mit etwas Verspätung starten würde. Weil sie nur Handgepäck hatten, bestand eine Chance, dass sie es schafften, und sie hatten den Sicherheitscheck tatsächlich zügig hinter sich gebracht. Kurz vor Ende des Boardings rannten sie in die Maschine und ließen sich atemlos auf ihre Plätze fallen. Laurie war froh, dass Jake sich um alles gekümmert hatte, denn sie fühlte sich nach wie vor wie in Trance.
»Ich kann es immer noch nicht fassen«, sagte Laurie schließlich. »Sie haben sie tatsächlich gefunden. Nach elf Jahren …«
»Ich versuche die ganze Zeit, mir vorzustellen, wie sich das für dich anfühlen muss.«
»Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Eigentlich gar nichts. Es ist so eigenartig … Ich dachte immer, dass ich mich freuen würde, aber gerade fühle ich mich wie taub.«
»Kann ich verstehen«, sagte Jake.
Bevor das Flugzeug startete, schrieb Laurie Agent Morrissey eine Nachricht, um ihn wissen zu lassen, in welcher Maschine sie saßen und dass sie gegen 19.30 Uhr Ortszeit landen würden. Minnesota lag in der benachbarten Zeitzone und war ihnen eine Stunde voraus.
Schließlich schaltete Laurie ihr Handy aus. Das Flugzeug war auf dem Rollfeld und startete wenig später.
Sie hatten sie gefunden. Durch Zufall. Sie hatten Lester festgenommen und Sam endlich befreit. Auch wenn sie wie betäubt war, wollte ihr Herzschlag sich kaum beruhigen. So lang hatte sie diesen Moment herbeigesehnt und nun, da er gekommen war, fühlte es sich surreal an.
Jake tastete über die Armlehne hinweg nach ihrer Hand und drückte sie ganz fest. Die Blicke der beiden trafen sich, er lächelte ihr ermutigend zu.
Doch Laurie musste sich eingestehen, dass sie Angst vor dem hatte, was jetzt passieren würde.
Sie waren pünktlich gelandet und hatten die Ankunftshalle gerade verlassen, als ihnen ein Mann mit gepflegtem Kurzhaarschnitt und gut sitzendem Anzug auffiel, der ein Schild mit ihren Namen in die Höhe hielt. Jake und Laurie gingen zu ihm und begrüßten ihn.
»Special Agent Lucas Hammond, FBI Minneapolis«, stellte er sich vor. »Agent Morrissey bat mich, Sie hier abzuholen.«
»Danke, das ist sehr freundlich«, sagte Jake, während Laurie stumm wie ein Fisch dastand.
»Kommen Sie«, sagte Hammond, der eiskalt seine Sonderparkerlaubnis ausgenutzt und vor dem Terminalgebäude geparkt hatte. Dort herrschte ein reges Treiben und sehr dichter Verkehr, in den er sich jedoch in aller Seelenruhe einfädelte.
»Wir fahren jetzt zum FBI-Hauptgebäude in der Stadt«, erklärte er, als sie auf dem Freeway waren. Laurie starrte aus dem Fenster, jedoch ohne bewusst etwas wahrzunehmen.
»Morrissey hat veranlasst, dass wir Samantha und Lester dorthin bringen. Wir sind jetzt seit knapp drei Stunden in der Stadt und Morrissey ist gerade bei ihnen, deshalb konnte er nicht persönlich kommen.«
»Das macht doch nichts«, sagte Jake.
Hammond musterte Laurie im Rückspiegel, ohne dass sie es merkte. »Muss seltsam sein.« Als Laurie nicht reagierte, fragte er: »Miss Walsh?«
»Entschuldigung, ich war in Gedanken.«
»Das kann ich verstehen. Ich bin kein Experte im Fall Ihrer Schwester, ich bin hier aus Minneapolis und habe mit einigen Kollegen die Stellung gehalten, bis Morrissey aus Rochester zurück war. Die lokale Polizei dort wusste ohnehin nicht recht, was sie tun soll. Das hat man ja nicht so oft. Bestimmt ist das jetzt auch für Sie seltsam. Elf Jahre …«
»Sie haben ja keine Ahnung«, murmelte Laurie. »Ich weiß nicht, ob Sie das schon wissen, aber Lester hatte ein Video meiner Schwester ins Darknet gestellt. Ich kenne einen Teil davon und ich habe eine Vorstellung davon, wie sie die letzten elf Jahre gelebt hat.«
»Morrissey hat Ihnen gesagt, dass sie leugnet, Samantha Walsh zu sein?«
»Er hat es anders formuliert.«
»Wir haben sie gefragt. Wir haben ihr Bilder von sich vorgelegt. Sie leugnet es standhaft. Vorhin haben wir eine Speichelprobe genommen und würden Sie bitten, auch eine abzugeben, damit wir Ihr Geschwisterverhältnis zweifelsfrei nachweisen können.«
»Oh. Aber Sie sind sicher, dass sie es ist?«
»Ja, schon. Sie behauptet, sie heißt Meghan. Als wir sie nach ihrem Nachnamen gefragt haben, sagte sie, sie hat keinen.«
»Das ist doch verrückt«, murmelte Jake.
»Wir stehen noch ganz am Anfang. Ich kenne nur Eckdaten des Falls, aber ich kann mir vorstellen, dass Lester sie dazu gebracht hat, ihre Identität abzulegen. Ich habe ihn vorhin nur kurz erlebt, aber seine bloße Gegenwart löst ein ungutes Gefühl aus. Er ist ein unangenehmer, manipulativer und aufbrausender Mensch.«
»Sorgen Sie bloß dafür, dass er mir nicht unter die Augen tritt«, brummte Jake. Laurie hörte sich selbst im Geiste das Gleiche sagen.
»Ich bin gespannt, wie Samantha auf Sie reagiert, Miss Walsh. Vielleicht hilft die Begegnung.«
Sie schluckte und holte tief Luft. »Um ehrlich zu sein, habe ich ein wenig Angst.«
»Das kann ich verstehen. Ich habe mich mit Morrissey darauf geeinigt, dass wir Sie von vornherein ins Bild setzen, damit Sie gleich nicht erschrecken. Diese junge Frau, mit der ich da vorhin zu tun hatte, ist David Lester hörig und verleugnet ihre eigene Identität. Das müssen Sie wissen, das wäre sonst ein Schock. Ist es ohnehin, fürchte ich.«
Laurie nickte nur. Sie hatte immer gewusst, dass das passieren konnte, aber nun Gewissheit zu haben, machte es nicht besser. Inzwischen war ihre Angst tatsächlich größer als ihre Freude. Wie würde Sam sein? War sie überhaupt noch Sam?
Nach einer guten halben Stunde hatten sie das FBI-Gebäude erreicht und folgten Hammond aus der Tiefgarage in ein Büro. In einem Besprechungsraum hatten die Ermittler bereits ein Whiteboard aufgestellt und alles daran gepinnt, was sie hatten. Hammond erkundigte sich nach Morrissey und erhielt die Auskunft, dass er gerade bei Samantha war.
»Ich hole ihn«, sagte die Kollegin und verschwand. Laurie hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und die Schultern hochgezogen. Sie war angespannt. Jake legte einen Arm um sie, ohne sich darum zu kümmern, wie das vielleicht aussah.
Augenblicke später kehrte die Agentin mit dem Mann zurück, von dem Laurie nur ein Foto und die Stimme kannte. Er lächelte, als er sie sah, und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
»Miss Walsh. Schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen«, sagte er erfreut und blickte dann zu Jake, der sich gleich vorstellte.
»Ach, Sie sind das«, sagte Morrissey.
Jake nickte und sagte: »Ich konnte Laurie unmöglich allein herkommen lassen.«
»Ja, die Situation ist speziell. Hammond hat Sie über den Stand der Dinge informiert, nehme ich an?«
Laurie nickte. »Um ehrlich zu sein, bin ich jetzt ganz schön nervös.«
»Ich möchte einfach, dass Sie nicht zu viel erwarten. Sie wird Ihnen nicht um den Hals fallen, fürchte ich. Vielleicht erkennt Samantha Sie nicht einmal, ich weiß es nicht. Ich würde vorschlagen, dass wir beide jetzt zu ihr gehen. Sie können von nebenan zuschauen, Detective«, sagte Morrissey zu Jake.
»Klar, ich gehe da besser nicht mit rein.«
Der Agent nickte zufrieden. »Wir verstehen uns. Miss Walsh, haben Sie etwas dabei, das Samantha helfen könnte, sich zu erinnern?«
»Unser letztes gemeinsames Foto.«
»Das ist nicht schlecht. Wir werden sehen. Sind Sie bereit?«
Laurie fühlte sich kein bisschen bereit, aber sie nickte. »Gehen wir zu ihr.«
Er ging voran und Laurie folgte ihm, nachdem sie Jake ihren Rucksack gegeben hatte. Ihre Füße fühlten sich bleischwer an. Damit hatte sie nicht gerechnet, gerade wäre sie am liebsten weggelaufen. Seit elf Jahren hatte sie diesen Tag herbeigesehnt und jetzt war sie vielleicht eine Fremde für Sam …
Morrissey öffnete die Tür des Befragungsraums und ging voraus. Laurie blieb hinter ihm in der Tür stehen und blickte an ihm vorbei. Erst musste sie ihre Schwester sehen. Sie musste wissen, ob sie es war.