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Warum interessieren sich Psychotherapeuten für den Zen-Buddhismus? Was hat die im westlichen Denken beheimatete Psychoanalyse mit der östlich-mystischen Erlösungslehre des Zen zu tun? Gemeinsam ist ihnen, so Erich Fromm, das Interesse am Wohl-Sein und am Gelingen des Menschen. Erich Fromm arbeitet in diesem Buch sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten von Psychoanalyse und Zen-Buddhismus heraus. Er zeigt, wie beide Methoden zu weniger Verdrängung und gleichzeitig zu mehr Bewusstsein führen und sich somit auf eine ganz besondere und außergewöhnliche Weise ergänzen. Nirgends sonst hat Erich Fromm die Bedeutung der Psychoanalyse so überzeugend dargestellt wie in diesem Buch.
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(Psychoanalysis and Zen Buddhism)
Erich Fromm (1960a)
Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer Funk Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marion Steipe überarbeitet von Rainer Funk.
Psychoanalyse und Zen-Buddhismus erschien erstmals 1960 unter dem Titel Psychoanalysis and Zen Buddhism, in: D. T. Suzuki, E. Fromm and R. de Martino, Zen Buddhism and Psychoanalysis beim Verlag Harper and Brothers in New York. Eine von Marion Steipe besorgte deutsche Übersetzung wurde 1972 unter dem Titel Psychoanalyse und Zen Buddhismus bei Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main veröffentlicht. Anlässlich der Veröffentlichung in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zehn Bänden 1980/1981 wurde die Übersetzung überarbeitet.
Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an der von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassung der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, Band VI, S. 301-356.
Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.
Copyright © 1960 by Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2015 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2015 by Rainer Funk.
Psychoanalyse und Zen-Buddhismus
Inhalt
Vorwort
1. Die geistige Krise der Gegenwart und die Rolle der Psychoanalyse
2. Werte und Ziele in Freuds psychoanalytischen Auffassungen
3. Das Wesen des Wohl-Seins. Die psychische Entwicklung des Menschen
4. Bewusstsein, Verdrängung und Aufhebung der Verdrängung
5. Prinzipien des Zen-Buddhismus
6. Aufhebung der Verdrängung und Erleuchtung
Literaturverzeichnis
Der Autor
Der Herausgeber
Impressum
Wenn man den Zen-Buddhismus zur Psychoanalyse in Beziehung setzt, diskutiert man zwei Systeme, die sich beide mit einer Theorie über die Natur des Menschen und mit praktischen Maßnahmen für sein Wohl beschäftigen.[1] Jedes von ihnen ist charakteristisch, das eine für das östliche, das andere für das westliche Denken. Der Zen-Buddhismus ist eine Verschmelzung der indischen Rationalität und Abstraktion mit chinesischer Konkretheit und chinesischem Realismus. Wie die Psychoanalyse ein Spezifikum des Westens ist, so ist Zen für den Osten typisch. Die Psychoanalyse ist das Kind des westlichen Humanismus und Rationalismus sowie der romantischen Suche des neunzehnten Jahrhunderts nach den dunklen Kräften, die sich dem Rationalismus entziehen. Und viel weiter zurück standen die Weisheit der Griechen und die hebräische Ethik an der Wiege dieser wissenschaftlich-therapeutischen Sicht des Menschen.
Obgleich sich sowohl die Psychoanalyse als auch das Zen mit der Natur des Menschen und mit einem Weg befassen, der zu seiner Wandlung führt, scheinen doch die Unterschiede diese Ähnlichkeiten zu überwiegen. Die Psychoanalyse ist eine wissenschaftliche und durch und durch unreligiöse Methode, das Zen hingegen eine Theorie und eine Technik, die zur „Erleuchtung“ führen, einem Erlebnis, das man im Westen religiös oder mystisch nennen würde. Die Psychoanalyse ist eine Therapie für Geisteskrankheiten; das Zen ein Weg zur geistigen Erlösung. Kann die Diskussion der Beziehungen zwischen Psychoanalyse und dem Zen-Buddhismus zu etwas anderem als der Feststellung führen, dass die einzige Beziehung zwischen ihnen eine radikale und unüberbrückbare Verschiedenheit ist?
Und doch besteht unter den Psychoanalytikern ein unverkennbares und wachsendes Interesse am Zen-Buddhismus.[2] Was sind die Quellen für dieses Interesse? Was [VI-304] bedeutet es? Hier soll versucht werden, diese Fragen zu beantworten. Ich will dabei keine systematische Darstellung der Gedanken des Zen-Buddhismus geben, eine Aufgabe, die mein Wissen und meine Erfahrung übersteigen würde, noch will ich eine vollständige Darstellung der Psychoanalyse geben, weil das über den Rahmen dieser Arbeit hinausginge. Trotzdem will ich in meinem ersten Teil einigermaßen ausführlich diejenigen Aspekte der Psychoanalyse behandeln, die für die Beziehung zwischen ihr und dem Zen-Buddhismus von unmittelbarer Bedeutung sind und die gleichzeitig Grundauffassungen jener Weiterentwicklung der Freudschen Analyse sind, die ich gelegentlich „humanistische Psychoanalyse“ genannt habe. Ich hoffe, damit zeigen zu können, warum das Studium des Zen-Buddhismus für mich von wesentlicher Bedeutung war und, wie ich glaube, für alle Psychoanalytiker wichtig ist.
Wir wollen zuerst die geistige Krise betrachten, in der sich der westliche Mensch heute befindet, sowie die Funktion der Psychoanalyse in dieser Krise. Obwohl die meisten der im Westen lebenden Menschen nicht bewusst das Gefühl haben, in einer Krise der westlichen Kultur zu leben (wahrscheinlich war sich die Mehrheit in einer wirklich kritischen Situation niemals der Krise bewusst), sind sich zumindest eine Anzahl kritischer Beobachter über das Vorhandensein und das Wesen dieser Krise einig. Es ist die Krise, die man als malaise, ennui, mal du siècle, als Abstumpfung des Lebens, Automation des Menschen und seine Entfremdung von sich selbst, seinen Mitmenschen und von der Natur bezeichnet hat.[3] Der Mensch ist dem Rationalismus bis zu dem Punkt gefolgt, wo der Rationalismus zur äußersten Irrationalität wurde. Seit Descartes hat der Mensch in immer größerem Ausmaß das Denken vom Affekt getrennt; nur das Denken wird für rational gehalten – der Affekt gilt schon seiner Natur nach als irrational; die Person, das Ich, wurde in einen Intellekt (intellect) abgespalten, der mein Selbst darstellt und mich ebenso beherrschen soll, wie er die Natur beherrscht. Die Herrschaft des Intellekts über die Natur und die Produktion von immer mehr und mehr Dingen wurden die höchsten Lebensziele. In diesem Prozess hat sich der Mensch in ein Ding verwandelt, das Leben ist dem Eigentum untergeordnet, das Sein wird vom Haben beherrscht. Während in den Anfängen der westlichen Kultur, und zwar sowohl bei den Griechen als auch bei den Juden, die Vervollkommnung des Menschen als Ziel des Lebens galt, befasst sich der moderne Mensch mit der Vervollkommnung der Dinge und mit dem Wissen, wie man sie herstellt. Der westliche Mensch befindet sich in einem Zustand schizoider Unfähigkeit, einen Affekt zu empfinden, und ist deshalb ängstlich, niedergeschlagen und verzweifelt. Mit dem Mund bezeichnet er immer noch Glück, Individualismus und Initiative als Ziele – aber in Wahrheit hat er kein Ziel. Fragen Sie ihn, wofür er lebt, was das Ziel seines Strebens ist – und er wird in Verlegenheit geraten. Manche sagen vielleicht, sie lebten für die Familie, andere „für [VI-306] das Vergnügen“, wieder andere, um Geld zu erwerben, aber in Wirklichkeit weiß keiner, wofür er lebt; er hat kein Ziel außer dem Wunsch, der Unsicherheit und dem Alleinsein zu entrinnen. Zwar gibt es heute mehr Kirchenbesucher als je zuvor, Bücher über Religion werden zu Bestsellern und mehr Menschen sprechen von Gott als je. Und doch verdeckt diese Art von religiösem Bekenntnis nur eine zutiefst materialistische und unreligiöse Einstellung und ist als ideologische Reaktion – hervorgerufen durch Unsicherheit und Konformismus – auf die Tendenz des neunzehnten Jahrhunderts zu verstehen, die Nietzsche mit seinem berühmten „Gott ist tot“ charakterisierte. Eine wahrhaft religiöse Einstellung ist sie nicht.
Es war von einem bestimmten Gesichtspunkt aus keine geringe Leistung des neunzehnten Jahrhunderts, die theistischen Ideen aufzugeben. Der Mensch stürzte sich kopfüber in die Objektivität. Die Erde war nicht mehr der Mittelpunkt des Universums; der Mensch verlor seine Hauptrolle als Geschöpf, das von Gott dazu bestimmt war, alle anderen Geschöpfe zu beherrschen. Freud untersuchte mit einer neuen Objektivität die verborgenen Motivierungen des Menschen und erkannte, dass der Glaube an einen allmächtigen und allwissenden Gott seine Wurzel in der Hilflosigkeit menschlicher Existenz hatte sowie im Versuch des Menschen, mit seiner Hilflosigkeit mittels eines Glaubens an einen helfenden Vater oder an eine solche Mutter, die von Gott im Himmel verkörpert wurden, fertig zu werden. Er sah, dass nur der Mensch sich selbst erlösen kann; die Lehren der großen Lehrer, die liebevolle Hilfe von Eltern, Freunden und geliebten Menschen kann ihm helfen – aber nur dazu, dass er es wagt, die Herausforderung der Existenz anzunehmen und sie mit ganzer Kraft und seinem ganzen Herzen zu beantworten.
Der Mensch ließ die Illusion eines väterlichen Gottes als Helfer fallen – aber er gab auch die wahren Ziele aller großen humanistischen Religionen auf: die Überwindung der Grenzen, die ein egoistisches Ich setzt, die Verwirklichung von Liebe, Objektivität und Demut und die Ehrfurcht vor dem Leben, die als Ziel des Lebens das Leben selbst sieht und den Menschen zu dem macht, was er potenziell ist. Das waren die Ziele der großen Religionen des Westens ebenso wie die des Ostens. Der Osten war jedoch nicht mit der Vorstellung eines transzendenten Vaters und Erlösers belastet, in dessen Gestalt die monotheistischen Religionen ihre Sehnsucht zum Ausdruck brachten. Der Taoismus und der Buddhismus besaßen eine Rationalität und einen Realismus, die denen der westlichen Religionen überlegen waren. Sie konnten den Menschen realistisch und objektiv sehen, da es nur die „Erweckten“ gab, um ihn zu leiten, und er konnte sich leiten lassen, weil in jedem Menschen die Fähigkeit steckt, erweckt und erleuchtet zu werden. Genau das ist der Grund, warum heute die religiösen Gedanken des Ostens, Taoismus und Buddhismus – und ihre Verschmelzung im Zen-Buddhismus – für den Westen eine solche Bedeutung annehmen. Der Zen-Buddhismus hilft dem Menschen, auf die Frage seiner Existenz eine Antwort zu finden, die im wesentlichen die gleiche ist wie die der jüdisch-christlichen Tradition und die dennoch keinen Widerspruch zur Rationalität, zum Realismus und zur Unabhängigkeit bildet, den kostbaren Errungenschaften des modernen Menschen. Paradoxerweise stellt sich heraus, dass die religiösen Gedanken des Ostens dem westlichen rationalen Denken kongenialer sind, als die religiösen Gedanken des Westens selbst.
Die Psychoanalyse ist ein charakteristischer Ausdruck der geistigen Krise des westlichen Menschen und ein Versuch, eine Lösung zu finden. Das gilt ganz besonders für die neueren Entwicklungen der Psychoanalyse, die „humanistische“ oder „existenzialistische“ Analyse. Bevor ich jedoch meine eigene „humanistische“ Auffassung diskutiere, möchte ich zeigen, dass, im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Annahme, Freuds eigenes System über eine Theorie von „Krankheit“ und „Heilung“ hinausgeht und sich mit der „Erlösung“ des Menschen und nicht nur mit einer Therapie für geisteskranke Patienten befasste. Oberflächlich gesehen war Freud der Schöpfer einer neuen Therapie für Geisteskrankheiten, und das war auch der Gegenstand, dem sein Leben lang sein Hauptinteresse und alle seine Bemühungen galten. Bei näherer Betrachtung stellen wir jedoch fest, dass sich hinter dieser Idee einer medizinischen Therapie zur Heilung von Neurosen ein vollkommen anderes Interesse verbarg, dem Freud selten Ausdruck verlieh und dessen er sich wahrscheinlich kaum bewusst war. Diese versteckte oder nur implizierte Idee betraf nicht in erster Linie die Heilung von Geisteskrankheiten, sondern etwas, das über den Begriff von Krankheit und Heilung hinausging. Was war dieses Etwas? Was war das Wesen der „psychoanalytischen Bewegung“, die er begründete? Was war Freuds Vision der Zukunft der Menschheit? Was war das Dogma, auf das sich seine Bewegung gründete?
Freud hat diese Frage vielleicht am klarsten mit dem Satz beantwortet: „Wo Es war, soll Ich werden“ (S. Freud, 1933a, S. 86). Sein Ziel war die Beherrschung irrationaler und unbewusster Leidenschaften durch die Vernunft; die Befreiung des Menschen innerhalb seiner Möglichkeiten aus der Macht des Unbewussten. Der Mensch musste sich der unbewussten Mächte in ihm bewusst werden, um sie zu beherrschen und in der Gewalt zu haben. Freuds Ziel war die optimale Erkenntnis der Wahrheit, und das heißt die Erkenntnis der Wirklichkeit; diese Erkenntnis war für ihn die einzige Richtschnur, die der Mensch auf dieser Erde besitzt. Es waren dies die traditionellen Ziele des Rationalismus, der Philosophie der Aufklärung und der puritanischen Ethik. Aber während die Religion und die Philosophie diese Ziele der Beherrschung des Selbst in einer, wie man es nennen könnte, utopischen Weise gefordert hatten, war Freud der erste – oder glaubte, der erste zu sein –, der sie (durch die Erforschung [VI-308] des Unbewussten) auf eine wissenschaftliche Grundlage stellte und so den Weg zu ihrer Verwirklichung zeigte. Obwohl Freud den Höhepunkt des westlichen Rationalismus repräsentiert, überwand er doch gleichzeitig durch sein Genie die falschen rationalistischen und oberflächlich optimistischen Aspekte des Rationalismus und schuf eine Synthese mit der Romantik, die sich im neunzehnten Jahrhundert durch ihre Wertschätzung der irrationalen, affektiven Seite des Menschen und ihre Beschäftigung damit, dem Rationalismus entgegenstellte.[4]
Was die Behandlung des Individuums betrifft, so war Freuds Ziel ebenfalls mehr philosophischer und ethischer Natur als im allgemeinen angenommen wurde. In den Einführungsvorlesungen (S. Freud, 1916-17; 1933a) spricht er von den Bemühungen gewisser mystischer Praktiken, eine grundlegende Wandlung innerhalb der Persönlichkeit herbeizuführen. „Immerhin wollen wir zugeben“, fährt er fort,
dass die therapeutischen Bemühungen der Psychoanalyse sich einen ähnlichen Angriffspunkt gewählt haben. Ihre Absicht ist ja, das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so dass es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden. Es ist Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee. (S. Freud, 1933a, S. 86.)
In der gleichen Art sagte er von der psychoanalytischen Therapie, dass sie aus der „Befreiung des Menschen von seinen neurotischen Symptomen, Hemmungen und Charakterabnormitäten“ bestehe. Auch geht die Rolle des Analytikers, wie er sie versteht, über die des Arztes, der den Patienten „heilt“, hinaus. Der Analytiker, sagt er, muss „eine gewisse Überlegenheit“ besitzen,
um auf den Patienten in gewissen analytischen Situationen als Vorbild, in anderen als Lehrer zu wirken. Und endlich ist nicht zu vergessen, dass die analytische Beziehung auf Wahrheitsliebe, d.h. auf die Anerkennung der Realität gegründet ist und jeden Schein und Trug ausschließt. (S. Freud, 1937c, S. 59 und 94; Hervorhebungen E. F.)
Es gibt noch andere Faktoren in Freuds Auffassung der Psychoanalyse, die über die herkömmliche Vorstellung von Krankheit und Heilung hinausgehen. Wer mit dem östlichen Denken und vor allem mit dem Zen-Buddhismus vertraut ist, wird bemerken, dass die Faktoren, die ich erwähnen will, nicht ohne Bezug zu Auffassungen und Gedanken des Ostens sind. Als erstes ist hier Freuds Auffassung zu nennen, dass Erkenntnis zur Wandlung führt, dass man Theorie und Praxis nicht trennen darf und dass die Wandlung schon durch bloße Selbsterkenntnis eintritt. Es ist kaum nötig, darauf hinzuweisen, wie sehr sich diese Idee von den Auffassungen der wissenschaftlichen Psychologie zu Freuds Zeit oder in der Gegenwart unterscheidet, wo die Erkenntnis an sich theoretische Erkenntnis bleibt und im Erkennenden keine Wandlung bewirkt.
Noch ein weiterer Aspekt der Methode Freuds ist mit dem Denken des Ostens und insbesondere mit dem Zen-Buddhismus eng verwandt. Freud teilte nicht die hohe Einschätzung unserer bewussten Gedanken, die so charakteristisch für den modernen Menschen des Westens ist. Im Gegenteil, er glaubte, dass unser bewusstes Denken nur ein kleiner Teil des gesamten psychischen Vorgangs sei, der in uns stattfindet, und zwar ein unbedeutender Teil im Vergleich zu der ungeheuren Macht jener Quellen in uns, die dunkel und irrational und gleichzeitig unbewusst sind. In seinem Wunsch, [VI-309] Einsicht in die wahre Natur eines Menschen zu gewinnen, wollte Freud mit seiner Methode der freien Assoziation das bewusste Gedankensystem durchbrechen. Die freie Assoziation sollte das logische, bewusste, konventionelle Denken umgehen und zu einer neuen Quelle unserer Persönlichkeit, dem Unbewussten, führen. Welche Kritik man an den Inhalten des Freudschen Unbewussten auch üben mag, die Tatsache bleibt bestehen, dass Freud durch das Hervorheben der freien Assoziation gegenüber dem logischen Denken in einem wesentlichen Punkt über die konventionelle, rationalistische Denkweise der westlichen Welt hinausging und eine Richtung einschlug, die im Denken des Ostens viel weiter und weitaus gründlicher entwickelt worden war.