1,99 €
Rowohlt E-Book Snippet Erfolgsautor Jan-Uwe Rogge schreibt über die Risiken der Pubertät und wie man sie in den Griff bekommt. In der Zeit, wenn Eltern schwierig werden - so empfinden es die Pubertisten -, kommen in allen Familien Themen in den Blick, von denen man vorher nicht mal träumte: Magersucht und Bulimie, Fettleibigkeit, Tattoos und Piercing, Drogen und Rauschtrinken, Ritzen, Körperprobleme und erster Sex, Schulverweigerung, Mobbing, Psychoterror und Leistungsdruck, Ängste, Einsamkeit, Computersucht und manches mehr. Die gute Botschaft ist, dass nach dem Umbau des Gehirns keiner mehr so genau weiß, warum die Zeit der Pubertät manchmal nicht ganz leicht war.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 87
Jan-Uwe Rogge
Pubertät - Der Akuthelfer für Eltern
Ihr Verlagsname
Rowohlt E-Book Snippet
Wenn Kinder das Trotzalter durchlebt haben, eine Entwicklungsphase, die manche als eine erste Pubertät ansehen, wenn Eltern meinen, nun wäre Licht am Ende des Tunnels, dann empfehle ich: Schaut genau hin – das sind die Scheinwerfer des entgegenkommenden Zuges. Und den nennt man Pubertät!
Sie ist aus der Sicht der Heranwachsenden eine wichtige, eine notwendige Entwicklungsphase, aber eine, die manchmal mit Minderwertigkeitsgefühlen, mit Unlust, mit «Null Bock» einhergeht. Aber dann auch wieder mit Größenphantasien, alles zu können: «Schaff ich schon!» Diese Zeit ist eine Achterbahnfahrt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Und sie hat eine widersprüchliche Dramaturgie, die die Heranwachsenden da inszenieren: Sie wollen losgelassen, aber nicht fallengelassen werden, sie möchten Halt, aber wann sie den in Anspruch nehmen, das entscheiden sie selber. Für Eltern stellt sich die Begleitung ihrer Heranwachsenden mehr als anstrengend dar. Eines ist aber gewiss: Man kann es ihnen nur schwer recht machen. Aber alleingelassen werden, das möchten sie auch nicht, dann kritisieren sie die Erwachsenen mit beleidigtem Gesichtsausdruck: «Ich bin euch wohl völlig egal, oder!»
Erziehung ist jedoch, wenn die Kinder pubertieren, nicht am Ende. Sie ist notwendiger denn je, wenn man Erziehung als Beziehung zu den Heranwachsenden und zu sich selbst begreift. Gerade Pubertierende brauchen einen Rahmen, der ihnen Halt und Sicherheit gibt, zugleich aber einen Rahmen, an dem sie sich reiben, mit dem sie sich auseinandersetzen, den sie in Frage stellen und auch mal sprengen können. Pubertierende wollen keine pädagogischen Maschinen, die alles richtig machen, die perfekt sein wollen. Sie wünschen Menschen, die heißlaufen, die durchdrehen, die neben sich stehen, außer sich sind, denn dann wissen die Heranwachsenden: «Jetzt geht’s denen wie mir!»
«Als mein Sohn in die Pubertät kam, so mit zwölf Jahren», erinnert sich Herbert Albrecht, «da dachte ich, die ganze Erziehung davor sei für die Katz gewesen. Ich hab gedacht, der tickt nicht mehr richtig.» Er schüttelt den Kopf. «Der war völlig unzugänglich, vergesslich, aufbrausend, beleidigt.» Herbert Albrecht schmunzelt. «Jetzt ist er achtzehn. Ein prima Kerl. Wenn man das vorher gewusst hätte», er stockt, «dann könnte man das eher aushalten.» Er wirkt mit einem Mal nachdenklich. «Trotzdem bleibt mir das ein Rätsel. Diese merkwürdige Veränderung! Das kann doch nicht allein an uns Eltern liegen? Oder doch?»
Charlotte Beier schmunzelt, als sie das hört. «Bei meiner Elena war es ähnlich. So um den elften Geburtstag herum erklärt sie mir, sie käme nun in die Pubertät. Und wir sollten uns da auf einiges gefasst machen. Und drei Jahre hat sie uns einiges geboten: Mal blieb sie nachts weg, zweimal war sie sturzbetrunken, nicht gewaschen, Haare gefärbt, die Schule war ihr egal.» Charlotte Beier schaut sehr ernst drein. «Wir waren peinlich, die letzten Spießer! Ich bin zur Beratung gegangen. Die haben mir Schuldgefühle genommen, dass ich versagt habe. Aber das half nur ein paar Tage. Wenn dann wieder Zoff herrschte, fühlte ich mich hilflos, ohnmächtig, meiner Tochter ausgeliefert. Irgendwie schien sie mir nicht von dieser Welt zu sein.» Ein breites Grinsen setzt sich in ihrem Gesicht fest. «Und am 15. Geburtstag kam sie zu mir, nahm mich in den Arm und meinte: ‹Genug gelitten, Mama!› Da hab ich geheult.» Charlotte Beiers Augen werden feucht. «Da hat sie mich noch fester an sich gedrückt: ‹Aber mir ging es auch absolut scheiße!›»
Elenas Mutter schüttelt den Kopf. «Und mit einem Mal war der Spuk vorbei. Diese plötzliche Veränderung vom lieben Mädchen zur grässlichen Zicke, wo du denkst, das kann nicht dein Kind sein, und dann diese Wandlung zur jungen Frau, das alles ist mir ein Rätsel und wird es auch bleiben!» Sie stockt einen Moment, sagt dann: «Ob das bei mir auch so war? Vielleicht?» Sie lacht. «Und ich habe meine schlimme Phase nur vergessen, und meine Eltern haben sie verdrängt!»
Spricht man mit den Eltern, die Pubertierende ins Leben begleiten oder schon begleitet haben, tauchen einige Argumentationsmuster immer wieder auf:
Da herrscht eine erhebliche Verunsicherung darüber, warum sich Heranwachsende mit einem Mal so merkwürdig gebärden. Zwar führen die Eltern das auf das Phänomen «Pubertät» zurück, aber was in der Phase konkret geschieht, darüber weiß man nicht viel. Zwar gibt es einige Vermutungen, doch führen diese nicht zu mehr Souveränität im erzieherischen Handeln.
Genauso wenig, wie man sich die Vehemenz erklären kann, mit der die Pubertät eines Kindes in das Familienleben einbricht und plötzlich nichts mehr so ist, wie es mal (vermeintlich) war, genauso wenig hat man Erkenntnisse darüber, warum der Spuk vorübergeht, man mit einem Mal keinen «Außerirdischen», sondern einen normalen jungen Erwachsenen vor sich hat, der Argumenten wieder zugänglich ist.
Hatte man die körperlichen und psychischen Veränderungen, die für die Pubertät so kennzeichnend sind, jahrzehntelang allein auf hormonelle Prozesse zurückgeführt, so haben Kinderpsychiater wie Jay Giedd durch ihre neurologischen Forschungen ein weiteres, nicht unwichtiges Modell geliefert, um das Handeln von Pubertierenden angemessener zu erklären und Heranwachsende damit besser zu verstehen.
Gleichwohl sei hier eine Warnung angebracht: Auch wenn die Neurologie viele Fragen aufgeworfen und manche befriedigenden Antworten geliefert hat, so darf man ihre Erkenntnisse nicht pauschal verallgemeinern, sie müssen immer vor dem Lebens- und Alltagshintergrund der einzelnen jugendlichen Persönlichkeit gewichtet werden.
So viel lässt sich aber doch festhalten: Die Neuronen im Gehirn eines Pubertierenden unterscheiden sich von denen bei einem Kind oder einem (jungen) Erwachsenen. Das hat Auswirkungen auf das Denken, Handeln und Fühlen eines Heranwachsenden. Um es noch genauer zu formulieren: Gerade zu Beginn der Pubertät sterben viele Nervenverbindungen im Gehirn ab, während sich andere immer stärker vernetzen. Dies betrifft vor allem jene, die für Motivation und Gefühl verantwortlich sind. Einhergehend mit hormonell bedingten Veränderungen bringen diese neurologischen Umstrukturierungen die für die Pubertät so typischen Stimmungsschwankungen, aber auch die fehlende Motivation (für die Schule, den Sport, Stichwort: null Bock auf nichts) oder die Faszination an riskanten Unternehmungen mit sich. Um es sehr pointiert zu formulieren: Das Gehirn eines Pubertierenden hat noch keine fertig ausgebildete Struktur, es ist im Umbruch befindlich. Dieser lässt sich vergleichen mit dem Umbau eines Kaufhauses, bei dem vieles bis auf die Stützpfeiler abgerissen wird, um es dann komplett neu zu strukturieren und wieder neu aufzubauen. Und an den Wänden findet man das Schild: «Verkauf geht trotz Umbau weiter!»
Übertragen auf den Pubertierenden, bedeutet diese Gleichung: Neuronale Strukturen, die für die Kindheit so prägend und wichtig waren, sterben ab, werden abgerissen, aber zugleich entstehen neue Verbindungen und Verschaltungen. Das Gehirn wird ganz allmählich erwachsen, aber nicht gradlinig, sondern von manchen Fehlschaltungen begleitet. Und manche Verschaltungen, die nicht häufig benutzt werden, verschwinden. Ungleichzeitigkeit zeichnet den Umbau des Gehirns aus: Manche Veränderungen (z.B. die Motorik) gehen schnell, andere (z.B. das räumliche Denken, die zeitliche Orientierung oder moralische Überzeugungen) brauchen länger. Um diese neurologische und hormonelle Prozesse zu konkretisieren: Viele Eltern klagen über ihre trödelnden Kinder am Morgen, darüber, dass sie morgens müde seien, weil sie am Abend zu spät ins Bett gehen würden. Den Grund hierfür liefert der Neurologe: Das müde machende Hormon Melatonin wird bei einem Pubertierenden am Tag mit zeitlicher Verspätung hergestellt. Das hat zur Folge: Pubertierende werden später müde, wollen dann nicht ins Bett, weil sie nicht schlafen können, und kommen morgens unausgeschlafen und müde aus dem Bett, trödeln und reagieren entsprechend langsam und unausgeglichen.
Ähnliches gilt für die Veränderung des Präfrontalhirns während der Pubertät. Es steuert Entscheidungsprozesse und Planungsfähigkeit. Dieses ist während der neurologischen Umstrukturierung nur schwer zugänglich oder steuerbar. Daraus ergibt sich manch merkwürdiges Verhaltensmuster beim Pubertierenden: Es kommt zu vielen Instinktreaktionen, weil das Präfrontalhirn nicht situationsangemessen reagiert. Es entstehen unvermutete Wutausbrüche, die Stimmung schwankt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Und Jugendliche vergessen viel. Man muss sie ständig und ununterbrochen an etwas erinnern. Vergesslichkeit ist kein böser Wille, vielmehr Ausdruck eines nur begrenzt arbeitenden Präfrontalhirns. Dies ist auch eine Erklärung für die Gleichgültigkeit, mit der sie auf ausgesprochene Konsequenzen («Ist mir doch egal!») oder auf eine fehlende Zukunftsplanung reagieren. Pubertierende denken nicht, oder nur sehr eingeschränkt, an später. Sätze wie «Wenn du nicht lernst, dann machst du keinen Abschluss» kommen bei Pubertierenden nicht an, führen zumindest zu keinen Veränderungen im Verhalten. Das nur eingeschränkt funktionierende Präfrontalhirn liefert zugleich Erklärungen für manch riskantes Verhalten in der Pubertät: Jugendliche brauchen einen starken Kick, um sich zu spüren. Gleichzeitig können sie aber Gefahren nicht konkret einschätzen oder gehen nicht selten ein hohes Verletzungsrisiko ein.