Rabens Weihnacht – Der kleine Dschinn und andere Geschichten zum Fest - Hans-Jürgen Raben - E-Book

Rabens Weihnacht – Der kleine Dschinn und andere Geschichten zum Fest E-Book

Raben Hans-Jürgen

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Beschreibung

Weihnachten ist nicht immer das Fest des Friedens, der Freude, der Liebe. Manchmal spielen gerade der Neid, die Gier und kriminelle Energie eine große Rolle und stets ist es das Fest der Überraschungen.
Zehn sehr außergewöhnliche Weihnachtsgeschichten werden in diesem Band präsentiert, Geschichten, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Da geht es um einen Dachbodenfund, der ein düsteres Geheimnis verbirgt oder um den Kauf eines Gegenstandes auf einem afrikanischen Flohmarkt, der etwas ganz anderes ist, als der Käufer ahnt. Ein Bankräuber macht einen folgenschweren Fehler, und eine gierige Witwe erlebt eine unangenehme Überraschung. Die Protagonisten dieser Geschichten geraten in seltsame oder gefährliche Situationen, die in irgendeiner Weise mit dem Weihnachtsfest verknüpft sind. Doch was auch immer geschieht – alle Geschichten sind sowohl unterhaltsam als auch spannend und führen zu einem überraschenden Ende.


In diesem Band sind folgende außergewöhnliche Weihnachtsgeschichten enthalten:
› Das afrikanische Geschenk
› Das Christkind kommt
› Das Wispern der Bücher
› Der Adventskalender
› Der kleine Dschinn
› Der Madras-Diamant
› Der Mann im Tresor
› Frau über Bord
› Ohne Abschied
› Vor dem Abgrund

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Ähnliche


 

 

 

 

Hans-Jürgen Raben

 

 

Rabens Weihnacht

 

Der kleine Dschinn

und andere Geschichten zum Fest

 

 

 

10 außergewöhnliche Weihnachtsgeschichten 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Kerstin Peschel, 2022

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Das afrikanische Geschenk 

1. 

2. 

3. 

4. 

Das Christkind kommt 

Das Wispern der Bücher 

Der Adventskalender 

Der kleine Dschinn 

Der Madras-Diamant 

Der Mann im Tresor 

Frau über Bord 

Ohne Abschied 

Vor dem Abgrund 

Der Autor Hans-Jürgen Raben 

Weitere Werke des Autors 

Folgende Weihnahtbände sind ebenfalls erhältlich: 

 

Das Buch

 

 

Weihnachten ist nicht immer das Fest des Friedens, der Freude, der Liebe. Manchmal spielen gerade der Neid, die Gier und kriminelle Energie eine große Rolle und stets ist es das Fest der Überraschungen.

Zehn sehr ungewöhnliche Weihnachtsgeschichten werden in diesem Band präsentiert, Geschichten, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Da geht es um einen Dachbodenfund, der ein düsteres Geheimnis verbirgt oder um den Kauf eines Gegenstandes auf einem afrikanischen Flohmarkt, der etwas ganz anderes ist, als der Käufer ahnt. Ein Bankräuber macht einen folgenschweren Fehler, und eine gierige Witwe erlebt eine unangenehme Überraschung. Die Protagonisten dieser Geschichten geraten in seltsame oder gefährliche Situationen, die in irgendeiner Weise mit dem Weihnachtsfest verknüpft sind. Doch was auch immer geschieht – alle Geschichten sind sowohl unterhaltsam als auch spannend und führen zu einem überraschenden Ende.

 

In diesem Band sind folgende außergewöhnliche Weihnachtsgeschichten enthalten:

› Das afrikanische Geschenk

› Das Christkind kommt

› Das Wispern der Bücher

› Der Adventskalender

› Der kleine Dschinn

› Der Madras-Diamant

› Der Mann im Tresor

› Frau über Bord

› Ohne Abschied

› Vor dem Abgrund

 

***

 

 

Folgende Kurzkrimis sind in diesem Band enthalten

 

Ein tödliches Geschenk

Der Mann am Tropf

Der Weihnachtsmann ist tot

Nützliche Geschenke

Das zweite Licht

Der Baum brennt nicht

Papas alte Freundin

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft

Blut in der Krippe

 

 

***

 

 

Das afrikanische Geschenk

 

 

 

1.

 

 

Heute machte ihm das tropische Klima besonders zu schaffen, obwohl er es eigentlich gewohnt sein müsste. Auch im Dezember lagen hier die Temperaturen tagsüber kaum unter fünfundzwanzig Grad.

Gunther Jahnke wischte sich mit einem Tuch über die Stirn, doch nur Sekunden später traten erneut Schweißtröpfchen aus. Immerhin wurde die Haut damit ein wenig gekühlt.

Die hohe Luftfeuchtigkeit tat ihr Übriges, um das Leben hier im südlichen Nigeria nicht leicht zu machen, vor allem für jemanden, dessen Heimat im kühlen Norddeutschland lag.

Gunther Jahnke war mit einem Flussboot den gewaltigen Niger heruntergefahren, mit seiner Länge von über viertausend Kilometern einer der längsten Flüsse Afrikas. Schließlich war er hier in der nigerianischen Stadt Asabe ausgestiegen. Drei Tage war er unterwegs gewesen, und die Abenteuer, die er dabei erlebt und mit seiner Videokamera gefilmt hatte, würden viel Stoff für seinen YouTube-Kanal liefern. Immerhin hatte er einen gewissen Komfort genossen, da er sich eine einfache Kabine gegönnt hatte. Reisen auf dem Niger waren nicht ganz ungefährlich, weil es immer wieder zu schweren Bootsunfällen kam. Häufig durch völlig überladene Fährschiffe.

Gunther Jahnke hatte seine Vorliebe für exotische Länder zu seinem Beruf gemacht und war Reiseschriftsteller geworden. Er hatte einige Bücher und Reiseführer geschrieben und nutzte seit einiger Zeit auch die Möglichkeiten der modernen elektronischen Medien. Er berichtete über Luxusreisen ebenso wie über Reisen für Rucksacktouristen. Er kannte internationale Hotels und schmutzige Absteigen, prachtvolle Boulevards und heruntergekommene Armenviertel.

Er wollte noch einen Tag in Asabe verbringen, ehe er mit einem Bus nach Benin-City fuhr, um von dort nach Lagos zu fliegen, von wo er bequem nach Deutschland zurückkehren konnte. Schließlich stand Weihnachten kurz bevor, und er wollte die Feiertage natürlich mit seiner Frau verbringen.

Er schulterte seinen Rucksack und marschierte zum nahe gelegenen Markt hinüber. Mehr Gepäck besaß er nicht. Er hatte es sich schon lange angewöhnt, mit leichtem Gepäck zu reisen.

Er kannte den Okbogonogo Markt von einem früheren Besuch in Nigeria und wusste, dass er dort auf eine Atmosphäre stoßen würde, die den ganzen Zauber des Kontinents entfaltete, auch wenn es sich bei Asabe um eine moderne Stadt handelte.

Die Gerüche und Geräusche Westafrikas umfingen ihn und lösten ein Gefühl des Wohlbefindens aus. Er liebte diese Gegend wie überhaupt ganz Afrika. Er wusste sehr wohl, dass auf diesem Kontinent grausame Dinge geschahen, doch auf seinen Reisen hatte er zahlreiche freundliche Menschen kennengelernt, die nur in Frieden leben wollten.

Der Markt war groß und vielfältig: Verkaufsstände mit Lebensmitteln, Haushaltswaren, Elektronikartikeln oder bunten nigerianischen Stoffen. Dazwischen Imbissbuden oder Stände mit billigem Ramsch für die Touristen, der garantiert nicht in einheimischer Handarbeit hergestellt worden war. Viele der Händler besaßen keinen überdachten Stand, sondern hatten ihre Waren einfach auf dem Boden ausgebreitet.

Überwiegend waren Frauen in ihren farbig bedruckten Gewändern und mit ihren ungewohnten Kopfbedeckungen zu sehen. Überall wurde lautstark gefeilscht, Geldscheine wechselten den Besitzer, und Waren wurden nach Hause geschleppt.

Gunther Jahnke suchte nichts Bestimmtes, brauchte aber etwas, das sich als Geschenk für seine Frau eignete. Es war gute Tradition, dass er von jeder Reise ein hübsches Souvenir mitbrachte, doch diesmal stand Weihnachten vor der Tür, und daher musste er schon etwas Besonderes finden.

Er drehte sich um seine eigene Achse und musterte die Verkaufsangebote. Einige Händler hatten seine suchenden Blicke bemerkt und versuchten, auf sich aufmerksam zu machen. Schließlich erregte eine der Buden sein Interesse. Neben allerlei touristischem Schnickschnack entdeckte er holzgeschnitzte Figuren. Seine Frau liebte afrikanische Kunst, ganz besonders Schnitzarbeiten aus Holz.

Gunther Jahnke schlenderte unauffällig auf den Laden zu, doch der Händler hatte ihn bereits entdeckt. Er lächelte breit unter seiner Ballonmütze und machte eine einladende Handbewegung. Gunther trat näher.

»Ich mache Superpreis«, bot der Händler in nicht ganz flüssigem Englisch an. »Bei mir ist alles besser als anderswo. Sie werden es nicht bereuen.«

Gunther nickte nur und ließ seinen Blick über die ausgestellten Artikel schweifen. Natürlich wusste er, dass vieles von dem angeblichen afrikanischen Kunsthandwerk inzwischen in China hergestellt wurde, doch er hatte auf seinen Reisen immer wieder zwischen all dem Trödel auch interessante Dinge entdeckt.

Hier gab es alles, was das touristische Herz begehrte. Aus Messing, Holz oder Plastik, hauptsächlich aus Plastik. Dazwischen gab es Stapel von bedruckten Stoffen, Tierfelle und sogar eine kleine Vitrine mit fast echt aussehenden Markenuhren.

Im Hintergrund der Bretterbude waren zahlreiche weitere Artikel gestapelt. Im dort herrschenden Halbdunkel war nicht alles genau zu erkennen.

Eine kleine Holzfigur erregte sein Interesse. Sie sah primitiv aus, unfertig, als ob der Schnitzer mitten in seiner Arbeit die Lust verloren hätte. Gunther Jahnke deutete darauf.

»Die Figur da?«, fragte der Händler ungläubig. »Ich habe viel Schönere. Sehen Sie – hier!«

Bunt bemalte und offensichtlich industriell gefertigte Figuren von Tieren und Menschen drängten sich auf einem Bord an der Seitenwand.

»Nein, nein, zeigen Sie mir diese Figur!«

Achselzuckend beugte der Händler sich hinunter und zog die gewünschte Schnitzerei aus dem Stapel. Aus der Nähe sah sie noch einfacher aus.

Eine eindeutig männliche Figur, etwa zwanzig Zentimeter hoch und aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt. Die Figur stand auf einem runden Sockel und trug auf dem Kopf eine kegelförmige Kopfbedeckung aus angedeuteten Perlenreihen. Das Gesicht war recht einfach gearbeitet und besaß dennoch eine gewisse Ausstrahlung. Die Beine der Figur standen parallel nebeneinander, die Arme hingen an den Seiten herunter und waren mit dem Körper in ganzer Länge verbunden. Das Holz war dunkel gefärbt und wirkte wie poliert.

Gunther Jahnke hatte das Gefühl, eine moderne abstrakte Plastik zu betrachten, bei der ebenfalls auf eine realistische Darstellung keinen Wert gelegt worden war.

Er nahm die Figur in die Hand. Sie war schwerer, als er erwartet hatte. In der Unterseite war ein Riss. Die Spuren eines Schnitzmessers waren deutlich zu erkennen. Dieses Stück kam gewiss nicht aus China. Trotz ihrer primitiven Ausführung strahlte die männliche Figur eine große Faszination aus. Oder bildete er sich das nur ein?

Jedenfalls war er sich sicher, dass diese Arbeit nicht neu war. Natürlich konnte man Altersspuren künstlich erzeugen, aber das hätte bei diesem Stück wohl kaum Sinn gemacht. Nachdenklich drehte er die Figur in der Hand.

Würde sie meiner Frau gefallen? 

Gunther Jahnke entschied sich, diese Frage zu bejahen.

»Wie viel?«, fragte er schließlich.

Der Händler hatte ihn die ganze Zeit aufmerksam beobachtet und sich vermutlich Gedanken über die finanziellen Möglichkeiten seines potentiellen Kunden gemacht.

Er wiegte den Kopf hin und her. »Die Figur ist alt. Wertvoll.«

»Wie wertvoll?«

»Fünfhundert!«, sagte der Händler entschlossen.

»Naira?«, fragte Gunther völlig verblüfft. Denn in einheimischer Währung wäre dieser Betrag weniger als einen Euro wert gewesen.

Der Händler grinste wieder.

»Dollar! Amerikanische Dollar.«

Gunther ließ die Figur auf den Verkaufstresen fallen, als hätte sie ihm einen elektrischen Schlag verpasst. Er wusste, dass jetzt das Feilschen begann.

Einige Minuten später hatten sie sich auf einhundert Dollar geeinigt, und Gunther Jahnke konnte sogar mit einer Kreditkarte bezahlen. Er fand den Preis zwar immer noch zu hoch, aber Weihnachten stand vor der Tür, und er hoffte, dass sein Geschenk Anklang finden würde.

Dennoch überkam ihn plötzlich ein Gefühl von Trauer, als er seinen Kauf in den bereits gut gefüllten Rucksack stopfte.

Es war Zeit, nach Hause zu fahren.

 

 

 

2.

 

 

»Was ist es diesmal?«, fragte Sabine Jahnke ihren Mann, der mit einem kleinen Paket unter dem Arm vor ihr stand.

Gunther Jahnke stellte das fest verschnürte Päckchen vorsichtig auf einen Tisch und nahm seine Frau in den Arm. Erst nach einem langen Kuss löste er sich wieder von ihr, trat einen Schritt zurück und zog seine Jacke aus, die er über den neben ihm stehenden Rucksack warf.

»Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein.«

Seine Frau seufzte. »Ich noch mehr. Ich mache mir immer Sorgen, wenn du in solche unsicheren Gegenden wie Westafrika reist.«

»Das ist nun mal mein Job.«

Günther Jahnke hatte nach seiner Ankunft in Frankfurt in einem Laden für Geschenkartikel einen Karton und Weihnachtspapier erstanden, sodass er seinen Kauf vernünftig einpacken konnte. Doch das Päckchen lenkte seine Frau nicht ab.

»Wie war es in Nigeria?«

Sabine sah ihn scharf an. Gunther wusste, dass sie sich Sorgen machte, wenn er unterwegs war, und sie wollte alles wissen, was er erlebt hatte.

Er war schon einige Male in unangenehme Situationen geraten, von denen er seiner Frau jedoch meist nur die Hälfte erzählt hatte. Einmal war sogar auf ihn geschossen worden. Zum Glück hatte der Schuss nicht getroffen. Dennoch hatte Sabine davon nie erfahren.

Ein Ritual gab es nach jeder Rückkehr. Ein Geschenk, das er ihr von jeder Reise mitbrachte. Es war selten etwas Wertvolles, aber immer ein Gegenstand, der ihr Freude machen sollte.

Seine Frau war Kunsthistorikerin und leitete eine Abteilung des städtischen Völkerkundemuseums. Sie besaß dort einen ausgezeichneten Ruf und war bereits für zahlreiche Ausstellungen verantwortlich. Ihr Spezialgebiet war die Kunst der afrikanischen Völker.

»Ich habe dir etwas mitgebracht.«

Sie sah wieder auf das Päckchen. Ihr Interesse war erneut gewachsen.

»Also, was ist es?«, bohrte sie nach. Ihre Neugier war für ihren Beruf unerlässlich, hatte jedoch auch auf ihr Privatleben abgefärbt.

Gunther lachte. »Du weißt schon, was in wenigen Tagen stattfindet, oder?«

Sabine grinste. »Klar, dann ist Weihnachten. Willst du damit andeuten, dass dieses Paket hier irgendetwas damit zu tun hat?«

Er nickte. »Diesmal ist es ein Weihnachtsgeschenk. Ich konnte das Paket nicht verstecken, weil es nicht in meinen Rucksack passte. Daher möchte ich dich bitten, dich noch ein paar Tage zu gedulden.«

Sie schlang ihm die Arme um den Hals. »Na, schön. Ich gedulde mich. Hauptsache, du bist wieder zurück. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit für ein anderes Geschenk.«

»Mein Rucksack …«

»Den kannst du später auspacken.« Sabine zog ihren Mann ins Schlafzimmer.

Das mitgebrachte Paket blieb unbeachtet auf dem Tisch liegen. Wenn jemand genau hinhören würde, hätte er den Eindruck gehabt, dass ein leises Stöhnen aus dem Paket drang, als würde irgendetwas herauswollen, was aber nicht gelang.

Das anschließende traurige Seufzen hätte man nur hören können, wenn man das Ohr dicht an das Paket legen würde.

Wenig später herrschte wieder Stille.

 

 

 

3.

 

 

Zwei Tage vor Weihnachten siegte Sabines Neugier über ihre Beherrschung. Sie schielte zum wiederholten Male auf das Päckchen aus Afrika, das auf einem Regal im Wohnzimmer lag.

»Es ist doch nichts drin, was schlecht werden könnte, oder?«, fragte sie, während Gunther an seinem Computer arbeitete, um noch vor den Feiertagen eine Geschichte für eine Reisezeitschrift fertigzustellen.

Er drehte sich um und lächelte. »Nein, ganz gewiss nicht.«

»Falls es temperaturempfindlich ist …«

Gunther Jahnke schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich gebe mich geschlagen. Wir sind ja auch keine Kinder mehr, die auf den Weihnachtsmann warten. Also – mach’ das Päckchen auf. Wir ziehen die Bescherung ein wenig vor.«

Am Heiligabend würde er ohnehin nicht mit leeren Händen dastehen. Denn er hatte auf dem Frankfurter Flughafen ein ziemlich teures Duftwasser gekauft, das sie sehr schätzte, aber wegen des hohen Preises nicht selbst kaufte.

Sabine ließ sich nicht ein zweites Mal bitten. Sorgfältig löste sie das Klebeband, denn sie hatte die Angewohnheit, Geschenkpapier vorsichtig zu behandeln, um es bei Gelegenheit wiederzuverwenden. Dies geschah natürlich nie, und so lagerte im Keller ein Karton voller zusammengefalteter Geschenkpapiere, den sie beide regelmäßig vergaßen, wenn es galt, wieder mal etwas einzupacken.

Das Papier wurde neben das Päckchen gelegt, und Sabine nahm den Deckel vom Karton. Rasch schlug sie die Luftpolsterfolie zur Seite und starrte dann bewegungslos auf den Inhalt. Fast minutenlang stand sie so da, und Gunther wurde langsam unruhig.

Was fasziniert sie so sehr an der Figur?

Seine Frau griff in den Karton, zog die Figur ganz vorsichtig heraus und stellte sie auf den Tisch. Trotz ihrer geringen Größe besaß sie auch jetzt eine unerwartete Ausstrahlung, und Gunther wurde wieder an eine expressionistische Plastik erinnert.

»Wo hast du das her?«, fragte Sabine mit belegter Stimme.

»Von einem Marktstand in Nigeria. Was ist daran so wichtig?«

»Du hast keine Ahnung, worum es sich handelt?«

Gunther bemerkte, dass seine Frau immer aufgeregter wurde. Er kannte die Anzeichen gut genug. Ihre Stimme veränderte sich, die Wangen begannen, sich leicht rötlich zu färben, und ihre Bewegungen wurden fahriger. Wenn er die Anzeichen richtig deutete, war Sabine sehr aufgeregt.

»Es ist eine ziemlich einfach geschnitzte Figur aus Holz«, sagte er. »Sicher nicht neueren Datums. Ich habe sie genommen, weil sie offensichtlich kein billiger Schund aus Fernost ist. Ich dachte, ich mache dir eine Freude mit einem Gegenstand der Volkskunst. Ich weiß ja, dass du so etwas magst.«

Gunther war sich bei seinen Worten nicht ganz sicher, ob diese Annahme auch für das mitgebrachte Geschenk galt.

»Gefällt sie dir denn?«, fragte er vorsichtig.

»Gefallen?« Sie blickte hoch und sah ihn an. Ihre Wangen glühten. »Gefallen ist gar kein Ausdruck. Nur kann ich diese Figur kaum als Geschenk annehmen. Sie gehört nämlich ins Museum!«

»Im Ernst?«

Sabine nickte heftig. »Diese Holzschnitzerei stammt aus dem Königreich Benin, vermutlich eine Arbeit des sechzehnten oder siebzehnten Jahrhunderts.«

»Benin? Ist das Land ein Königreich? Ich war noch nie dort, aber ich dachte, in Westafrika gäbe es keine Könige mehr.«

Sabine lachte. »Die Benin-Kunst hat mit dem westafrikanischen Staat Benin nichts zu tun. Das alte Königreich Benin lag im Südwesten des heutigen Nigeria. Es war über lange Zeit ein reiches und einflussreiches Land in der Region, bis es Ende des neunzehnten Jahrhunderts von englischen Truppen erobert und in das englische Kolonialreich eingegliedert wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde die Hauptstadt mit dem Königspalast geplündert. Tausende von Kunstwerken wurden dabei geraubt und in alle Welt verkauft, hauptsächlich handelte es sich um Bronzearbeiten.«

Gunther Jahnke dachte kurz nach. »Jetzt, wo du es sagst – ich bin mit dem Bus nach Benin-City gefahren und von dort nach Lagos geflogen. Ich hatte mich schon gewundert, dass eine Stadt in Nigeria den Namen des Nachbarlandes trägt.«

»Ja, das war die ehemalige Hauptstadt des Königreiches Benin.«

»Und du meinst, dass diese Schnitzerei…?«

»Ich bin mir ziemlich sicher.« Sabine nahm die Figur wieder in die Hand und betrachtete sie von allen Seiten.

»Ich habe ein ähnliches Stück schon gesehen«, sagte sie langsam. »In meinem eigenen Museum.«

Gunther wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Überraschung war offenbar mehr als gelungen, auch wenn sein Mitbringsel die Funktion als Weihnachtsgeschenk verloren hatte. Sabine betrachtete die Schnitzerei nur noch als museales Stück, das ins Museum gehörte. In IHR Museum natürlich!

»Ich muss ins Museum«, sagte sie plötzlich.

»Du hast Urlaub«, erinnerte Gunther seine Frau.

»Ja, schon. Doch dies hier lässt mir keine Ruhe. Ich muss die andere Arbeit finden, die irgendwo in unserem Archiv schlummert. Ich muss die beiden Stücke vergleichen. Es kann zwar nicht sein … aber vielleicht … im Bereich der Kunst gibt es immer wieder Überraschungen.«

Gunther sah stumm zu, wie seine Frau in ihre dicke Jacke schlüpfte, die Figur in den Karton packte und den Autoschlüssel von der Anrichte nahm.

»Ich bin bald zurück.«

Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Ich muss es wissen.«

Mit diesen Worten war sie aus der Tür, und Gunther Jahnke blickte ihr einigermaßen fassungslos hinterher.

Was hatte er nur auf diesem Markt gekauft?

 

 

 

4.

 

 

Sabine rannte fast die Treppe zum Haupteingang des Museums hinauf, den Karton mit der Holzfigur fest unter den Arm geklemmt.

Das Museum war an den letzten Tagen vor Weihnachten noch für das Publikum geöffnet, auch wenn der Besucherstrom sich in Grenzen hielt.

Die ältere Dame an der Kasse sah ihr erstaunt entgegen. »Frau Jahnke! Ich dachte, Sie hätten Urlaub über die Feiertage.«

»Habe ich auch. Doch ich muss etwas erledigen, was keinen Aufschub erlaubt. Ist Professor Schneider im Haus?«

»Ja, der Chef ist in seinem Büro.«

Professor Schneider war der Direktor des Museums und überdies ein ausgewiesener Spezialist für die Kunst Westafrikas. Sabine verstand sich gut mit ihm, was nicht zuletzt an ihren gemeinsamen Interessen lag.

Auch er sah überrascht aus, als sie nach kurzem Anklopfen in sein Büro stürmte.

»Joachim, ich muss dir etwas zeigen!«

»Solltest du nicht …?«

»Ja, ja. Doch ich habe hier in diesem Karton etwas, das du nicht für möglich halten wirst.«

Joachim Schneider erhob sich und kam um seinen Schreibtisch herum. Seine Neugier war geweckt, denn er kannte Sabine Jahnke gut genug, um zu wissen, dass sie nicht zu Übertreibungen neigte.

Sie nahm den Deckel vom Karton und hob vorsichtig die Figur heraus.

Schneider starrte eine gefühlte Ewigkeit auf die Schnitzerei. »Das glaube ich tatsächlich nicht. Woher hast du die Statuette?«

»Ein Geschenk meines Mannes. Er hat sie auf einem Markt in Nigeria gekauft. Zunächst möchte ich wissen, ob sie tatsächlich echt ist, wie ich glaube, und dann möchte ich ins Archiv.«

Schneider nickte. »Ja, wir haben eine ganz ähnliche Figur in unserer Sammlung.«

Während Sabine die Figur in der Hand hielt, fühlte sie eine gewisse Traurigkeit in sich aufsteigen, die von dem Holz auszugehen schien. Rasch stellte sie die Figur auf den Tisch, und das seltsame Gefühl verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war. Der unbekleidete Mann aus Holz blickte sie unschuldig an.

---ENDE DER LESEPROBE---