Raumspringer - David Gerrold - E-Book

Raumspringer E-Book

David Gerrold

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Beschreibung

Wir sind alle Menschen – oder?

Mass kommt von Steinveldt, einem Planeten, auf dem die Schwerkraft zweieinhalbmal so hoch ist wie auf der Erde. Mittels Gentechnik wurde der Biologie auf die Sprünge geholfen, sodass Mass zwar humanoid ist, aber die höhere Schwerkraft, höheren Druck und größere Dichten problemlos aushalten kann – im Gegensatz zu seinen Vorfahren von der Erde. Die Ursprungswelt der Menschen ist für Mass nicht mehr als ein Mythos, denn das Sternenimperium der Menschen ist längst zusammengebrochen. Mass will das verschwundene Imperium wiederfinden. Er macht sich daran, ein Team zusammenzustellen: alle von verschiedenen Planeten, alle so verändert, dass sie perfekt an ihre Heimat angepasst sind – und alle so unterschiedlich, dass sie kaum miteinander kommunizieren können. Um die Erde zu erreichen, müssen sie einen Weg finden, ihre Unterschiede zu überwinden und zusammenzuarbeiten. Denn nur gemeinsam können sie den Gefahren des Alls trotzen …

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Seitenzahl: 272

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DAVID GERROLD

RAUMSPRINGER

Roman

Das Buch

Mass kommt von Steinveldt, einem Planeten, auf dem die Schwerkraft zweieinhalbmal so hoch ist wie auf der Erde. Mittels Gentechnik wurde der Biologie auf die Sprünge geholfen, sodass Mass zwar humanoid ist, aber die höhere Schwerkraft, höheren Druck und größere Dichten problemlos aushalten kann – im Gegensatz zu seinen Vorfahren von der Erde. Die Ursprungswelt der Menschen ist für Mass nicht mehr als ein Mythos, denn das Sternenimperium der Menschen ist längst zusammengebrochen. Mass will das verschwundene Imperium wiederfinden. Er macht sich daran, ein Team zusammenzustellen: alle von verschiedenen Planeten, alle so verändert, dass sie perfekt an ihre Heimat angepasst sind – und alle so unterschiedlich, dass sie kaum miteinander kommunizieren können. Um die Erde zu erreichen, müssen sie einen Weg finden, ihre Unterschiede zu überwinden und zusammenzuarbeiten. Denn nur gemeinsam können sie den Gefahren des Alls trotzen …

Der Autor

David Gerrold wurde am 24. Januar 1944 als Jerrold David Friedmann in Chicago geboren. Er studierte Theaterwissenschaften in Los Angeles und schloss 1967 mit einem B.A. ab. Am 8. September 1966 sah er die erste Folge der TV-Serie Star Trek im Fernsehen und war so begeistert, dass er Produzent Gene L. Coon einen Entwurf für eine Doppelfolge schickte, die dieser allerdings ablehnte. Coon erkannte jedoch Gerrolds Talent und bat ihn um weitere Ideen. Eine davon war »Kennen Sie Tribbles?«, die für den Hugo Award nominiert wurde und heute eine der beliebtesten Star-Trek-Episoden ist. Nachdem er einige Kurzgeschichten in Magazinen veröffentlicht hatte, schrieb Gerrold zusammen mit Larry Niven seinen ersten Roman, die SF-Humoreske »Die fliegenden Zauberer«. Anfang der Siebzigerjahre folgten die hochgelobten Romane »Ich bin Harlie« und »Zeitmaschinen gehen anders«, die heute zu den Klassikern des Genres gehören. In den Achtzigern begann Gerrold mit seinem Chtorr-Zyklus, an dem er bis heute arbeitet. Daneben schreibt er weiter Drehbücher, unter anderem zu der für den Nebula-Award nominierten Star-Trek-Fan-Serie »New Voyages«.

Titel der Originalausgabe

SPACE SKIMMER

Aus dem Amerikanischen von Leni Sobez

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Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1972 by David Gerrold

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Erstens:

Der Mann. Mass. Ein Name, zugleich eine Beschreibung.

Produkt einer Welt mit großer Schwerkraft und genetisch konstruiert für übergroße Belastungen. Vier Fuß hoch, dreihundertachtzehn Pfund schwer, nur Knochen, Muskeln und haarsträubende Kraft.

Sein Körper ist ein harter Fleischklotz, dessen Dichte lebenden Menschen fremd ist. Sein Blut kocht in Adern, die Kupferrohren gleichen, und seine Nerven knistern vor Elektrizität. Sein Körper vibriert vor ungeheurer Vitalität. Seine Beine sind Baumstümpfe, die Sehnen an seinen Armen gleichen einem Geflecht aus zähem Holz; und sein Körper scheint aus Steineiche zu bestehen, die das Alter noch gehärtet hat.

Seine Haut ist wie bronzebraunes Leder, ein wenig rötlich überhaucht; seine Haare sind grob, rot, braun und ein wenig golden; die Nase ist flach und breit, die Wangenknochen sind hoch, und die Augen …

Die Augen sind tief und dunkel wie das brütende Schweigen der Nacht. Der Blick zuckt heraus unter struppigen Augenbrauen und einer düsteren Stirn. Die Augen sind ein wenig verschleiert, wachsam, impassiv und schweigsam. Sie verraten nichts von dem Mann, keine geheimen Sorgen, keine Lasten, keine Schuld. Sie lachen auch nicht. Sie kennen kein zwinkerndes Vergnügen. Die winzigen Falten in den Augenwinkeln kommen vom jahrelangen Blinzeln in heiße Winde. Diese Augen sind vorsichtig, dunkel und tief wie bodenlose Gruben.

Viele tausend Jahre der Zuchtwahl und natürlichen Auslese hatten den Mann so und zu dem gemacht, was er ist. Er stammt aus Streinveldt.

Streinveldt. Ein Planet und ein Fluch. Einem weißglühenden Stern gefährlich nahe, unmittelbar an der Grenze der Lebensmöglichkeit. Ein junger Planet, klein und dicht, die Oberfläche mit Vulkanen gespickt, von Hurrikanen durchtost. Die Atmosphäre besteht zu mehr als dreißig Prozent aus Staub und heißer vulkanischer Asche. Die Sonne ist nur vage als etwas Rotglühendes, Geschwollenes zu erkennen, ein Himmelsfleck, der nur eine Spur heller ist als alles übrige. Die Nächte sind mondlos, finster und düster, so schwarz, dass sie Menschen zum Wahnsinn treiben können. Plötzlicher Tod schleicht durch die Schatten, und nur die Starken überleben auf Streinveldt.

Die planetare Schwerkraft ist das Zweieinhalbfache des Normalen.

Normal?

Auf Streinveldt sind 2,5 Gs normal.

Was auf Streinveldt normal ist, gilt anderswo als nicht normal.

Das heißt, nichts gleicht den Bedingungen, unter denen sich der Mensch entwickelte, jene Spezies, die noch immer als homo sapiens bekannt ist.

Für jene Welt wurde ein homo densitus gezüchtet und maßgeschneidert. Er wurde genau dafür erschaffen.

Vieles wurde im Lauf dieser Entwicklung aufgegeben. Die natürliche Lebensspanne des densitus ist zum Beispiel siebzehn Prozent kürzer als die des sapiens. Er neigt mehr als dieser zur Arteriosklerose und zu hohem Blutdruck, auch zu Herz- und Nierenkrankheiten. Rücken- und Beinmuskeln nützen sich unter der extremen Belastung schneller ab, und seine Lungen sind wesentlich anfälliger für alle möglichen Krankheiten; sie sind stumme Zeugen der täglichen Beschwernisse, der Streinveldtschen Stickluft. Emphyseme und Krebs sind alltäglich.

Homo densitus nimmt Probleme und Sorgen mit seinem inneren Ohr auf. Seine Knochen verkalken vorzeitig, und Verknöcherungen und Deformierungen sind die Folge. Auch seltene Blutkrankheiten kommen vor. Er leidet ferner unter Schleimbeutelentzündungen, Senkfüßen, O-Beinen und Sehnenzerrungen.

Trotz alledem ist er stärker als jede andere menschliche oder menschenähnliche Rasse in der ganzen bekannten Galaxis.

Die Streinveldtianer sind ein Volk von Bergleuten. Bergbau ist ihre Kultur, ihr Erbe, ihr Leben. Sie sind nach unten orientiert. Der Himmel ist nur ein Dach, das keine große Bedeutung hat. Er ist Flugasche, knirschender Schwefel, ein dicker, roter Mantel.

Streinveldt, das heißt Kraft. Ohne sie ist der Mensch nichts. Mit ihr ist er ein Mensch. Ein Mann. Auf grobe, grausame Art ist der Streinveldter schön: seine massive Brust; Arme und Beine wie Baumstämme; ein dicker, sehniger Hals.

Kraft ist auf dieser Welt der einzige Maßstab für einen Mann. Wer könnte schon eine Person achten, die sich nicht einmal aufrecht halten könnte?

Und Mass hat nun diesen Planeten verlassen.

Seit hundert Jahren war er der einzige aus seiner Familiengruppe, der Streinveldt verließ.

Er tat es, weil … Wir wollen seinen Grund einen Traum nennen.

Mass war sechzig Jahre alt und wusste, als er aufwuchs, noch immer nicht, was er einmal sein würde.

Welke Blätter waren in gelbe und grüne Häufchen vom Wind um die Füße der Säulen geweht worden. Staub und Wind und welke Blätter … Dunkler Efeu kroch über niedere, zerfallende Mauern.

Ein stechender, satter Geruch erzählte Mass von den Dingen, die er nicht kannte …

… von Sonnenlicht in einem Traum und einem hellen, schimmernden Tag. Von heißem Sommerhimmel und dem Plätschern …

Doch das Gebäude war jetzt leer und unbewohnt.

Mass war verstört. Wo waren die Roboter? Wo die Leute? Noch nie hatte Mass ein verlassenes Gebäude gesehen, auch noch nie eines, das zu einer Ruine zerfiel.

Das Haus war nur noch die leere Schale, ein Artefakt eines verschwundenen Reiches, und zudem das einzige im Umkreis von zehn Lichtjahren. Riesige Pylonen streckten sich nach oben, um eine Kuppel anzudeuten, doch auf halbem Weg waren sie zerbröckelt. Nur wenige der buntfarbigen Deckenplatten waren noch da, doch auch sie waren geborsten und von Rissen durchzogen. Der ganze Kuppelbau war eine Arena, über deren herabgefallenen Steinen sich der Dschungel ausbreitete und den verblichenen Glanz zudeckte. Und überall waren die welken Blätter.

Der Wald war tief und grün, umfing zärtlich das Gebäude und sog es in sich auf. Der Wald hatte alle Zeit der Ewigkeit für diese Umarmung. Er roch süß, echt und sehr durchdringend:

Mass stapfte vorsichtigen Schrittes durch das Gebäude. Das Blau des Nachmittagshimmels verblasste, die Luft wurde kühler, und er misstraute den Echos.

Die hellgelbe, gleißende Sonne verschwand hinter hohen Palmen. Sie waren schlanke Finger, die aus der grünen Masse des Waldes herausragten. Schräge, gelbe Lichtbahnen mit Myriaden von Stäubchen lagen zwischen den Bäumen und den Säulen, und Staubmotten wurden zu goldenen Faltern.

Irgendwo tat ein Vogel einen schrillen Schrei, und Mass wirbelte herum. Auf Streinveldt gab es keine Vögel, überhaupt keine Kreaturen, die aus purer Lebensfreude sangen. Auf Streinveldt bedeutete ein solcher Lärm den Tod. Dann wurde eine Kreatur getötet oder tötete selbst. Auf Streinveldt waren die einzigen fliegenden Kreaturen die Vampirgeier und die Luftfische, und beide waren böse. Die Vampirgeier waren ledrige Gleiter, die sich vom Wind mittragen ließen, und die Luftfische glichen dehnbaren Blasen, die im Sturm schwammen. Vögel, die aus eigener Kraft selbst flogen, waren beide nicht.

Vögel waren etwas Neues für Mass, und er staunte über sie, weil er ihre Absichten nicht kannte. Das war eine fremde Welt und schon deshalb gefährlich, weil sie fremd war, eine einzige Unbekannte. Auch diese schrillen Flatterschreie waren gefährlich. Aber die Furcht war mit Neugier gemischt. Wie viel Gefahr …?

Die Schatten bewegten sich. Seine Waffe lag kalt und hart in seiner Hand. Er schaute sich um.

Es war aber nur eine winzige Lichtkugel, die aus der Nacht heraus ihm entgegentrieb und blassblau strahlte. Die Schatten umfingen das Strahlen. Mass steckte beruhigt seine Waffe ein. Auf Streinveldt gab es auch Lichtkugeln, aber sie krochen am Boden dahin und ließen sich nicht treiben.

Er lachte und lockte die Lichtkugel und hielt ihr die Schaufel seiner Hand entgegen. Aber die KREATUR FLOH! Es war ja nur eine faustgroße mattblaue Kugel. War sie erwachsen, dann wurde die Farbe zu einem staubigen Gelb.

Mass lockte noch immer, und nun flog die Lichtkugel heran und ließ sich zierlich auf seinem Arm nieder. Mit zarten Pfötchen klammerte sie sich an und musterte den Mann. Die drei winzigen Knopfaugen waren Wärmesensoren, und sie näherten sich Tieren und menschlichen Wesen, um deren Wärme zu genießen.

Dafür strahlte sie ein bisschen sanftes Licht aus. Harmlose, nützliche Hausgefährten.

»Hast du deine Familie bei dir?«, brummte Mass. »Kleines, die Sonne verschwindet hinter dem Rand der Welt. Glaubst du, du allein könntest das Dunkel zurückhalten?«

Das Lichtwesen sah ihn an und seufzte. Es war ein wispernder Ton, der kaum gehaucht schon verflogen war. Es blies sich ein wenig auf, und das Licht wurde heller.

Mass kraulte das Wesen zart unter den Augen und hielt es hoch, damit es ihm den Weg durch die Schatten der Ruinen erhelle. Vorsichtig stieg er über lockere Steine zu den niederen Räumen und besah hier und da ein Stück, das ihm auffiel. Der kurze Tag störte ihn. Die Dämmerung war ein graublauer Himmel, und die schwarzen Palmenschatten folgten dem Horizont.

Dann verließ plötzlich die Lichtkugel seinen Arm und hob sich in die Luft. Sie verklärte mit ihrem Licht die gestürzten Steine und die welken Blätter. Die Marmorplatten warfen das Glühen zurück, und dann tanzte es über einen Tümpel mit klarem Wasser.

Ein Lächeln zerklüftete seine groben Züge. Das kleine Ding war durstig, und es brauchte Wasser, um in der Luft treiben zu können. Wenn die winzige Zunge in das Wasser tauchte und Kreise über den Tümpel schickte, dann trennten sich in dem kleinen Lichtkörper die Bestandteile des Wassers. Der Sauerstoff wurde frei, und der Wasserstoff sammelte sich in der Blase des Wesens. Er dachte wenigstens, dass es so sein könnte, aber er konnte ja auch irren.

Erst jetzt wurde sich Mass der Dunkelheit bewusst, die sehr schnell einfiel. Er pflückte eine Lichtplatte von seinem Werkzeuggürtel und aktivierte sie mit einem Daumendruck. Ihr Licht war viel zu grell, und er dämpfte es.

Die Lichtplatte stammte von Streinveldt, wo alle Dinge schwer und grob waren. Auf dieser Welt hier waren alle Dinge hart, sehr delikat und gedämpft, sehr leise. Ihm erschien es nicht richtig, hier ein starkes Licht zu brennen. Er dämpfte es also zur Helligkeit der Lichtkugel und stapfte weiter durch welke Blätter.

Die Räume auf der anderen Kuppelseite waren blassblau, fast gespenstisch. Schwarz zeichneten sich ein paar Efeuzweige ab. Vor den Türen musste Mass einige Platten wegräumen, die ihm den Weg versperrten.

Innen fand er dann das, wonach er gesucht hatte.

Ein Orakel, Modell HA-90.

Ein Tisch, ein Bildschirm, eine graue Sucherplatte; davor eine blanke Wand, so dass von der Maschine Bilder dorthin projiziert werden konnten.

Mass umrundete eine gestürzte Säule und näherte sich dem Tisch. Angewidert fuhr er mit dem Finger durch die dicke Staubschicht. Und das hier war einmal eine Station des Empire gewesen …

Möbel gab es hier nicht. Die waren schon vor unendlichen Zeiten weggeschafft worden. Vielleicht war das Orakel nur deshalb noch hier, weil es ein Teil dieses Gebäudes war. Wer oder was immer dieses Gebäude geplündert hatte, es schien nicht gewusst zu haben, was dieses Gerät war. Oder, man hatte es gewusst und es trotzdem nicht gewollt.

Egal. Er war jedenfalls hier, und er konnte es brauchen. Mass ließ seinen Rückenpack zu Boden gleiten. Aus seinem Brustbeutel nahm er einen Trinkschwamm und sog daran. Die Lichtkugel war nicht das einzige durstige Wesen.

Er setzte sich an den Tisch und blies den Staub weg, der in dicken Wolken aufwirbelte. Hustend nahm er das Tuch ab, das er als Kopfband trug und wischte damit den restlichen Staub ab. Jetzt konnte er wenigstens Schirm und Tastatur erkennen.

Den Stuhl musste er, ehe er sich setzte, auf seine kurze Gestalt einstellen. Auf einem Plastikträger rechts vom Tisch war ein flacher, dunkler, schmaler Orakelstreifen, eine Art Typenschild. Daraus war zu entnehmen, dass es eine Einwegeinheit war, die eine Situation zu berechnen vermochte. Sie fühlte sich kühl und ruhig an und war ein Stück wertvoller Information für den, der sie zu lesen verstand.

War es aber noch arbeitsfähig? Mass berührte den kleinen Hebel am Schirmrand. Sofort wurde der Schirm hell.

Worte erschienen. Seltsame, verschnörkelte Buchstaben, die er nicht kannte. Es war die Schriftform von Interlingua.

Mass suchte etwas in seinem Beutel und brachte schließlich ein Täfelchen zum Vorschein, das er flach auf den Sucher legte. Das war ein Übersetzerkode, und sofort erschienen auf dem Bildschirm die Keilschriftzeichen von Streinveldt. Die konnte er nun lesen.

EMPIRE ORIENTIERUNGS-TAFEL

Reg. JEYRU 47585

DATIERTES MATERIAL

Nicht kodiert; gültig bis

Sept 35, 988 H.K.

UNDATIERTES MATERIAL

Kodiert; Autorisation Y

und darüber.

Bitte aufbewahren.

Er legte nachdenklich die Stirn in Falten. Das war fast zu gut, um wahr zu sein – eine Tafel des Empire, die mehr als dreizehn Jahre nach dem letzten Kontakt Streinveldts datiert war. Im Jahr 975 H.K., vor mehreren hundert Jahren also, hatte das Empire zu existieren aufgehört.

Er wendete die Tafel und überflog das Inhaltsverzeichnis. Da und dort berührte er den Schirm, der mit Informationen aufblitzte. Ein Teil war mit einem roten Block unkenntlich gemacht, auf dem zu lesen war:

DIESES MATERIAL IST KODIERT FÜR ALLE LESER, AUSSER FÜR JENE MIT IDENTITÄTSMARKEN DER KLASSE Y UND DARÜBER.

Wieder runzelte er die Brauen. Ohne Identitätsmarke konnte ihm das Orakel kein kodiertes Material geben, nicht einmal dessen Titel. Selbst wenn das Orakel ihm die kodierten Data geben würde, könnte er sie nicht lesen, denn es waren Holographie-Serien. Um Interlingua in die Sprache Streinveldts zu übersetzen, brauchte er einen Übersetzerkode, und ein solcher war auch nötig, um eine Holographie in Interlingua zu übertragen. Die Identitätsmarke der Klasse Y war zugleich Informationsscheibe.

Es war enttäuschend, dass er dem Orakel keine Informationen entnehmen konnte.

Vielleicht war die letzte Y-Marke schon vor hundert Jahren zugleich mit dem Empire verschwunden.

»Krie!«, sagte er. Das war auf Streinveldt ein schlimmer Fluch.

Er wandte sich wieder dem unkodierten Material zu, das vierhundert Jahre alt war. Aber man konnte damit beginnen.

Der Index war wenig aufschlussreich. Er fand Worte, die ihm wohl bekannt waren, aber hier schien ihr Sinn verwirrend anders zu sein. Es gab auch sehr viele Dinge, bei denen vorausgesetzt wurde, dass der Leser sie kannte.

Mass seufzte enttäuscht, drückte einen Knopf am Schirm und las die Grundlagen ab.

Die menschliche Rasse hatte sich quer über den Spiralarm in Richtung des großen Wirbels der Zentralgalaxis ausgebreitet.

Um das Jahr 970 H.K. – nach dem Kalender der Heiligen Kirche –, dem Jahr der letzten bekannten Volkszählung des Empire, gab es mehr als 11 000 bewohnte Planeten im Empire, und dazu kamen etwa 1700 an dessen Grenzen und weitere 3000 jenseits davon, die zwar bekannt, aber nicht bestätigt waren. Niemand konnte auch nur annähernd schätzen, von wie vielen menschlichen Wesen diese Welten bewohnt waren.

Riesige Flotten von Sternenkreuzern pflügten durch die unendliche Raumdunkelheit, und die schnellsten von ihnen legten in dreihundert Tagen hundert Lichtjahre zurück.

Aber das Empire umspannte tausend Lichtjahre und mehr.

Wie groß auch die Geschwindigkeiten der Sternenkreuzer waren, die Entfernungen innerhalb der Galaxis waren noch viel größer. Auch bei den größten bekannten Geschwindigkeiten braucht man mehr als zehn Jahre, um von einem Ende des bekannten Raumes zum anderen zu gelangen. Und die Entfernungen wuchsen. An jedem Tag, der verging, kamen weitere 240 Lichttage zur Ausdehnung des bekannten Raumes.

Der Mensch drängte gleichzeitig in alle Richtungen. Es war eine Explosion, die nicht mehr aufzuhören schien, eine Art ungebändigter Kettenreaktion. Für jedes Schiff, das nach Westen reiste, flog auch eines zum galaktischen Osten. Der bekannte Raum wuchs zweimal so schnell wie der Mensch reisen konnte.

Hinter den Grenzen des Empire lag unerforschtes Gebiet. Jeder Mensch, der in diese Wildnis floh, nahm die Grenze mit. Sie folgte ihm willig, reifte nach einiger Zeit und wurde Teil des Empire. Der Frontgeist, wie man ihn nannte, zog weiter. So wuchs das Empire.

Aber es gab Welten, auf denen das Empire nur eine vage Legende war. Je weiter es ausgriff, desto dehnbarer war auch die Kontrolle. Innerhalb der Empiregrenzen gab es riesige unerforschte Gebiete, die man einfach übersehen hatte, als man sie überrannte. Den Handelsrouten folgten die Nachrichtenverbindungen, und im Fluss der Information gab es Sog und Wirbel, Strömung und Brackwasser.

Informationen reisten über die Handelsflotten des Empire, synthetisiert als Orakelstreifen; oder über unabhängige Händler, und das waren dann die Gerüchte. Wie Frösche sprangen sie von einem Planeten zum anderen, hielten sich an kein System, sondern nur an die merkantile Wichtigkeit, die ein Planet für seine unmittelbaren Nachbarn hatte.

Jedes Ereignis zog weite Kreise wie ein in ruhiges Wasser geworfener Stein. Wie Stafettenstäbe wurden die Orakelstreifen von Schiff zu Schiff, von Flotte zu Flotte, von Planet zu Planet weitergereicht, vervielfältigt und wieder weitergereicht. Sie brauchten vielleicht dreißig Jahre, bis sie das ganze Empire durchlaufen hatten. Wenn ein Teil der menschlichen Rasse Nachrichten von der anderen Seite erhielt, dann waren es keine Nachrichten mehr, sondern sie waren längst zur Geschichte geworden.

Und doch waren die Nachrichtenmittel des Empire die besten, die es gab. Nur waren sie trotzdem nicht gut genug.

Denn Kontrolle hatte die Nachrichtenverbindung zur Voraussetzung. Fehlte sie, gab es auch keine Kontrolle.

So war die Lage, als sich die Idee der Skimmer verwirklichen ließ. Das Empire brauchte sie.

Die Skimmer waren Raumschiffe in höchster Vollendung. Die Ultima-Raumschiffe.

Und da streikte die Orakelmaschine.

DIE VERLANGTE INFORMATION IST KODIERT. FÜR DEKODIEREN IST AUTORISATION DER KLASSE Y NÖTIG.

»Krie«, sagte Mass.

Er lehnte sich zurück und dachte. Was heißt Ultima-Raumschiff? Was, bei allen verdammten Höllen, hieß das?

Ein Sternenkreuzer war eine Hülle mit einem Lebenserhaltungssystem und zugleich eine Stasismaschine, die einen durch den Raum bewegte. Viel gab es nicht, das man hätte hinzufügen können …

… außer, dass ein Sternenkreuzer einer Geschwindigkeitsbegrenzung unterliegt und in drei Tagen nur ein Lichtjahr zurücklegen kann; das genügte durchaus, wenn man in kleinerem Rahmen reiste, aber für die ganzen Strecken des Empire war das viel zu langsam.

Diese Erkenntnis traf Mass wie ein Hammer, und kalte Schauer rieselten ihm über den Rücken.

Das Ultima-Raumschiff. Ein Schiff ganz ohne jede Geschwindigkeitsbegrenzung …

Wenn ein solches Schiff tatsächlich möglich wäre …

Seine Gedanken überstürzten sich.

Warum waren sie nicht nach Streinveldt gekommen? Wo waren sie jetzt? Und was war mit dem Empire geschehen?

Da war noch etwas. Jemand hatte einen nicht kodierten Bericht hinzugefügt.

Im Jahr 974 H.K. hieß es da, seien mehr als tausend Skimmer synthetisiert worden …

Synthetisiert? Mass wunderte sich, was das wohl heißen mochte.

Diese Skimmer waren ausgeschickt worden, um die äußersten Gebiete des Empire zu erreichen.

Im Jahr 985 waren, nach dieser Information, nur noch dreihundertvierzehn in Betrieb.

Niemand wusste, was dem Rest zugestoßen war.

Irgendetwas war geschehen und geschah noch immer. Es kamen Berichte herein sowohl von Skimmern als auch von konventionellen Schiffen, die schneller waren als das Licht. Kriege waren ausgebrochen, und neue Waffen dezimierten die Flotten, die Handelsflotte ebenso wie die Streitmacht des Empire.

In großen Gebieten waren die Nachrichtenverbindungen zusammengebrochen. Eine Erklärung dafür gab es nicht. Hatten die Skimmer irgendwie versagt? Zu viele von ihnen waren spurlos verschwunden. Oder hatte die Einflusssphäre des Menschen mit einer viel stärkeren Macht kollidiert?

Zu Beginn des Jahres 985 war ein Bericht eingegangen, der an alle erreichbaren Planeten weitergegeben werden sollte. Zehn der geheimnisvollen Skimmer sollten ihn verbreiten.

Der Bericht trug die Nummer JEYRU 47585 und enthielt die sehr wichtige kodierte Information, dass alle Vertreter des Empire mit der Identitätsmarke Y und darüber unterrichtet werden sollten.

Falls ein Skimmer ausfiel, und die Routen waren genau eingezeichnet, dann sollten die Agenten diese Information sofort über die normalen Nachrichtenkanäle des Empire verbreiten.

Hier musste der Skimmer nicht vorbeigekommen sein. Diese Nachrichtentafel war ein Duplikat, und der Skimmer konnte nicht näher als zehn Lichtjahre an dieses Sonnensystem herangekommen sein.

Der nächste vom Skimmer berührte Planet war Arias. Von da war er nach Climpitch und Slye, nach Goathe und K'nay, nach Eirenchys, Triclyn, Granther, Groab und Castola weitergereist. Dann waren Graben und Ghane gefolgt, Alt, Ribber, Kacklyk und Karnyk, schließlich Dawer, Phane und Tetra, Bovelik, Tabso und Abbov. Und …

Eine endlose Liste von mehr als vierhundert Planeten.

Ein Geräusch ließ Mass aufblicken. Er schaltete seine Leuchtplatte ab und lauschte. Samtenes Schweigen, das nur dann und wann von einem Vogelschrei unterbrochen wurde.

Eine Hand hatte er an seiner Waffe, in der anderen die Leuchtplatte. Auf kurzen Beinen huschte er zur Tür.

Etwas raschelte.

Er legte den Daumen auf die Leuchtplatte.

Wieder raschelte es.

Licht, helles, grelles, blendend weißes Licht strahlte auf. Jeder Gegenstand war in weißes Licht getaucht.

Er sah etwas durch den Schatten springen, etwas Schwarzes, Hageres, Missförmiges mit klauengleichen Armen und Händen, mit einem riesigen Buckel. Es hatte eine dunkle, ledrige Haut und glitzernde rote Augen in einem Klumpen, der einen Kopf darstellen sollte. Dann war das Ding verschwunden. Ein Nachtwesen?

Oder ein intelligenzbegabtes Individuum dieses Planeten?

Mass lauschte einen Moment, doch das Ding kam nicht zurück.

Er ging wieder zur Orakelmaschine und nahm die beiden Informationstäfelchen vom Schirm. Er hatte erfahren, was er erfahren konnte. Einmal schaute er sich noch um, ob er etwas vergessen habe, dann hob er seinen Pack vom Boden, schwang ihn über die Schultern und stapfte zur Tür.

Auf Streinveldt wäre es ein Schlurfen gewesen, aber hier mit der geringeren Schwerkraft war sein Schritt viel leichter. Manchmal hatte er das Gefühl, er schwinge von einer Seite zur anderen, mache viel längere Schritte. Mass fühlte sich zum ersten Mal im Leben ein wenig unbehaglich, schwerfällig und plump.

An der Tür lauschte er. Das Ding wartete sicher draußen; dass die Nacht still war, hatte nichts zu bedeuten. Eine fremde Welt ist und bleibt eine fremde Welt.

Vielleicht war es gefährlich, von der Leuchtplatte klar umrissen zu werden, und deshalb dämpfte er ihr Licht. Die Nacht sickerte in den Raum zurück, füllte die Ecken aus. Aber noch immer war es zu hell. Er schaltete die Leuchtplatte aus und zog eine Nachtbrille über die Augen. Jetzt war die Welt grün und weiß und hatte dunkelblaue Schatten.

Die Waffe in der Hand stürmte er durch die Tür.

Nichts.

Er kam sich lächerlich vor.

Die Sterne waren hellrosa Tupfen an einer grün-weißen Decke. Die Kuppelruine sah wie eine Schale aus graublauen Schatten aus; ein blauer Marmorboden; blauschwarze Schatten in den Winkeln.

Etwas Rotes bewegte sich.

Seine Waffe spuckte einen rot-weißen Feuerbogen. Eine orangenrote Kugel trieb langsam in einer grün-weißen Welt dahin. Der Feuerbogen speerte sie, so dass sie mit einem weichen Knall zerbarst.

Mass wusste, kaum dass er geschossen hatte, was es war, die unschuldige, schwebende Lichtkugel, die ihn und seine Wärme gesucht hatte. Seine nervöse Angst hatte ein harmloses Wesen getötet.

»Krie«, knirschte er. Das Wort klang leer. Er war zornig auf sich selbst. Die Welt wurde orangenfarbig, als er die Leuchtplatte wieder einschaltete. Er hob die Nachtbrille und schaute das kleine Ding auf dem Boden an, das zu Asche verschmorte. »Krie«, wiederholte er.

Mass war kein religiöser Mann, aber er glaubte an die Gebote der Heiligen Kirche, und eines davon hieß, eines der wichtigsten: Du sollst keine Energie vergeuden.

»Kleines«, sagte er, aber die weiteren Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Was sagt man zu einem Wesen, das man getötet hat? Vergib mir, es tut mir leid? Man sagt es nicht.

»Ich habe dir alles genommen, was du bist«, sagte er. »Sinnlos. Möge ich die Kraft aufbringen, diesen Irrtum nie zu wiederholen.«

Es war das einzige Gebet, das er kannte.

Die dunkle Kreatur schien geflohen zu sein. Mass runzelte die Brauen über sich selbst. Es war nicht gut, in der Finsternis draußen im Freien zu sein.

Er tastete nach seinem Beutel. Die beiden Täfelchen waren noch da. Dann verließ er die Ruinen.

Jetzt wusste Mass, wonach er suchte.

Er dachte es wenigstens. Er war dem Empire auf der Spur – und dem mythenhaften Skimmer.

Er ging nach Alias, nach Climpitch, nach Slye, Goathe und K'nay. Manchmal schien sein Schiff bewegungslos zwischen den Sternen zu hängen, und dann kam sich Mass töricht vor. »Was tue ich hier?«, fragte er sich. Ebenso gut hätte er nach dem Heiligen Gral suchen können.

Dann fiel ihm aber ein, weshalb er Streinveldt verlassen hatte. Das genügte. Beflügelt von neuem Eifer wanderte er weiter.

Von K'nay kam er nach Eirenchys. Zweiundvierzig Tage dauerte die Reise. Mit einem der sagenhaften Skimmer hätte sie nur Stunden gedauert, vielleicht sogar weniger.

Sein Schiff war klein und sah aus wie aneinandergefügte Gewehrläufe. Es hing im Orbit, wenn Mass die Oberfläche eines Planeten studierte. Eirenchys war ganz golden und grün und braun, und darüber schwebten gelbe Wolken. Es gab wenig Städte, und sie sahen aus wie winzige Glühwürmchen auf der Nachtseite, wie winziges Gitterwerk bei Tag. Ein friedlicher Planet.

Er beschloss zu landen, kam auf einer staubigen Steppe herunter, die ein wenig höher lag als die weit sich ausbreitende gelbe Stadt, die einst ummauert gewesen war. Die Häuser waren weiß, die flachen Dächer rot. Und der Himmel darüber war unwahrscheinlich, verwirrend blau. Über der Ebene flüsterte ein kühler Wind.

Ein Wagen schaukelte aus der Stadt, andere folgten. Mengen lachender Leute quollen heraus, große, unglaublich große Leute. Mass schmerzte der Nacken, weil er zu ihnen aufschauen musste. Ihre Haut schimmerte blass wie Perlmutter. Sie war durchsichtig, und er konnte die Adern und Venen unter der Haut sehen, delikate blaue und rote Linien. Und sie waren dünn, unwahrscheinlich dünn.

Sie grüßten ihn mit einem Lächeln und offenen Händen, sahen ihn aber voll ehrfürchtigen Staunens an – vielleicht auch ein wenig ängstlich. Für sie war er ein unförmiger, roter Zwerg von furchterregender Kraft und strotzend vor Energie.

Ihre Sprache war ein merkwürdig akzentuiertes Interlingua, und sie stellten ihm Fragen über das Empire, die er nicht beantworten konnte, weil er dieselben Fragen gerne an sie gerichtet hätte. Sie schüttelten die Köpfe und murmelten untereinander.

Schließlich führten sie ihn zu ihrer Bibliothek und ließen ihn dort allein.

In den Tagen des Imperiums war die Bibliothek von Eirenchys ein regionales Koordinationszentrum gewesen. Alle Informationstäfelchen, die im Umkreis von fünfzig Lichtjahren geschaffen worden war, hatten sich in dieser Bibliothek angesammelt und auch alle Täfelchen, die aus dem Empire selbst stammten; von allen durchlaufenden Informationen waren Duplikate genommen und der Orakelmaschine eingegeben worden.

Es war die umfassendste Sammlung menschlichen Wissens neben der berühmten Bibliothek des Empire. Mass stand fassungslos davor.

Er begriff nicht, wie es so viel geschriebenes Wissen geben konnte. Die riesigen Inhaltsverzeichnisse machten ihm Angst, und er pickte nur ein wenig an der Oberfläche herum. Sie enthielt die gesamte Geschichte des Empire bis zum Jahr 987 H.K., wenn auch leider mit großen Lücken. Über die Skimmer war nichts Nennenswertes zu finden, und das Wenige hatte er schon gewusst, wenigstens geahnt.

Mit seinem Übersetzerstreifen konnte er alle Informationen der Bibliothek lesen, nur waren es so unzählige, dass es ihn entsetzte. Da wurde ihm zum ersten Mal richtig klar, dass er ja kein gebildeter Mann war. Streinveldt war ein kleiner, unbedeutender Planet, und auch seine Bewohner waren klein, unbedeutend – und unwissend.

In verehrungsvollem Staunen musterte er die riesigen Mengen an Informationen, die hier gestapelt waren. Was konnte man eigentlich alles aufschreiben? Was war denn so wichtig, dass man es für alle Zeiten festhalten musste? Er war sich dessen gar nicht sicher, dass er dies alles wissen wollte.

Lange hielt er es in der Bibliothek nicht aus, dann ging er. Neugierig und ziellos schlenderte er durch die Stadt. Es gab breite Avenuen und riesige, stattliche Gebäude. Und Gärten.

So viel Grünes hatte er vorher noch nirgends gesehen.

Oder so viel Blau. Der Himmel war hoch und leer.

An ihn konnte er sich nicht gewöhnen. Er hatte den blauen Himmel mit der gelben Sonne auch anderswo schon gesehen. Er mochte ihn nicht, wenn er auch wusste, dass dies der Himmel der meisten von Menschen bewohnten Planeten war.

Sie nannten ihn »Himmel der Heimat«. Wo immer einer von hier hinging, er nahm ihn mit. Oder er ging nur dorthin, wo es blauen Himmel und eine gelbe Sonne gab.

Es gab darüber eine Dichtung in der Bibliothek. Rein zufällig war er darübergestolpert.

Was soll mir ein Himmel mit weinender Sonne?

Ich will ihn nicht.

Auch nicht die rostige, schwindende Luft.

Ich will nicht leben unter einem Himmel,

Der nicht blau ist.

Mein Himmel ist blau mit einer gelben Sonne,

Wolkenlos ist der Tag,

Klar sind die Farben, und ich atme tief und frei.

Meinen Heimathimmel nehme ich mit, denn ohne ihn

Will ich nicht leben.

Ehe ich in die Ferne, in die Fremde ziehe,

Erflehe ich einen blauen Traum.

Ein klarer Bach ist die Heimat, wenn du wanderst,

Und nie trinkst du süßeren Trunk als dort, wo er

Süß und zärtlich ist wie ein erster Kuss.

Die blaugoldene Erinnerung nehme ich mit,

Auf dass Sonne und Sagen

Sie zu immer neuem Leben entzünden.

Über weiten Himmeln, deren Ende

Mein Auge nicht findet, sehe ich immer

Den klaren, blauen Himmel,

Der meine Heimat ist.

Für Mass waren es fremde, bedeutungslose Worte, denn sein Heimathimmel war rot und braun und schwarz. Unter dem klaren blauen Himmel fremder Planeten fühlte er sich unbehaglich. Er liebte es, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Aber diese schönen, großen, rosahäutigen Menschen in ihren gelben Gewändern schienen kein Dach zu brauchen. Sie schwatzten und lachten fröhlich in ihren grünen Gärten.

Da kehrte er zur Bibliothek zurück. Die mageren alten Männer waren ihm behilflich, denn sie hatten Mitleid mit dem unförmigen Zwerg, der ihnen wie ein Dämon erschien, der durch ihre Hallen stampfte und eine Stimme wie rollender Kies hatte. Aber er war ein Mensch, und die Heilige Kirche sprach da eine deutliche Sprache:

Mensch bleibt Mensch.

Oder:

Liebe den, der von anderer Gestalt ist als du, so wie dich selbst.

Oder:

Lass seine Taten sprechen, nicht sein Aussehen und heb nicht ohne Not die Waffe gegen ihn.

Und:

Nimm mich auf in deinem Haus, denn ich bin dein Gott.

Das Empire war von jeher schwerfällig gewesen und daher kaum zu verwalten. Um das Jahr 970 H.K. glich es eher einer lose organisierten Föderation. Man redete von einer einheitlichen Zentralregierung für alle Menschenrassen, aber das Empire war nur so stark wie sein örtlicher Repräsentant.

War das ein Agent, der zweimal jährlich von einem Handelsschiff besucht wurde und eine Orakelmaschine hatte, so war das Empire ein Mythos. Dort aber, wo die Flotte des Imperiums ihren Standort hatte, war das Empire das Gesetz. Dazwischen gab es alle nur denkbaren Abstufungen; einige waren sinnvoll und gerecht, andere nicht.

Gesetze gab das Empire selbst nicht, es konnte sie ja nicht erzwingen. Im Rat sprach man daher von Moral und menschlichen Verhaltensweisen, und die Agenten konnten sich an die Empfehlungen halten, wenn sie mochten, oder sie ablehnen, wenn es ihnen gefiel.