Inmitten der Unendlichkeit - David Gerrold - E-Book

Inmitten der Unendlichkeit E-Book

David Gerrold

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Beschreibung

Die letzte Reise der Jona

Sie hätten als Helden von ihrer Mission zurückkommen müssen, doch der hart errungene Sieg gegen die Morthans wird der Mannschaft der "Jona" aberkannt. Sie müssen ihr Schiff aufgeben, und selbst ihre Namen werden aus den Akten gestrichen – aus politischen Gründen. Doch Captain Jon Korie gibt nicht auf. Zusammen mit seiner Mannschaft kapert er die "Jona" und bricht zu einer letzten Reise auf, die endgültig beweisen soll, dass seine Vorgesetzten im Unrecht sind – oder die ihnen allen den Tod bringt. Korie weiß, dass sein Schiff von einem Morthan sabotiert wurde. An Bord der "Jona" ist eine Bombe. Auf einem Kurs, der ihn direkt in feindliches Gebiet führt, muss Korie den Wettlauf mit der Zeit unbedingt gewinnen, wenn er sich, sein Schiff und die Besatzung retten will …

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Seitenzahl: 503

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DAVID GERROLD

INMITTEN DER

UNENDLICHKEIT

Roman

Das Buch

Sie hätten als Helden von ihrer Mission zurückkommen müssen, doch der hart errungene Sieg gegen die Morthans wird der Mannschaft der »Jona« aberkannt. Sie müssen ihr Schiff aufgeben, und selbst ihre Namen werden aus den Akten gestrichen – aus politischen Gründen. Doch Captain Jon Korie gibt nicht auf. Zusammen mit seiner Mannschaft kapert er die »Jona« und bricht zu einer letzten Reise auf, die endgültig beweisen soll, dass seine Vorgesetzten im Unrecht sind – oder die ihnen allen den Tod bringt. Korie weiß, dass sein Schiff von einem Morthan sabotiert wurde. An Bord der »Jona« ist eine Bombe. Auf einem Kurs, der ihn direkt in feindliches Gebiet führt, muss Korie den Wettlauf mit der Zeit unbedingt gewinnen, wenn er sich, sein Schiff und die Besatzung retten will …

Der Autor

David Gerrold wurde am 24. Januar 1944 als Jerrold David Friedmann in Chicago geboren. Er studierte Theaterwissenschaften in Los Angeles und schloss 1967 mit einem B.A. ab. Am 8. September 1966 sah er die erste Folge der TV-Serie Star Trek im Fernsehen und war so begeistert, dass er Produzent Gene L. Coon einen Entwurf für eine Doppelfolge schickte, die dieser allerdings ablehnte. Coon erkannte jedoch Gerrolds Talent und bat ihn um weitere Ideen. Eine davon war »Kennen Sie Tribbles?«, die für den Hugo Award nominiert wurde und heute eine der beliebtesten Star-Trek-Episoden ist. Nachdem er einige Kurzgeschichten in Magazinen veröffentlicht hatte, schrieb Gerrold zusammen mit Larry Niven seinen ersten Roman, die SF-Humoreske »Die fliegenden Zauberer«. Anfang der Siebzigerjahre folgten die hochgelobten Romane »Ich bin Harlie« und »Zeitmaschinen gehen anders«, die heute zu den Klassikern des Genres gehören. In den Achtzigern begann Gerrold mit seinem Chtorr-Zyklus, an dem er bis heute arbeitet. Daneben schreibt er weiter Drehbücher, unter anderem zu der für den Nebula-Award nominierten Star-Trek

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Titel der Originalausgabe

THE MIDDLE OF NOWHERE

Aus dem Amerikanischen von Axel Merz

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1995 by David Gerrold

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Gatineau

Der Grünschnabel war gerade eben erst auf Stardock angekommen, so dass sein Mund noch immer vor Staunen offenstand.

Er marschierte zaghaften Schrittes durch die endlosen Korridore der Station, einen Ausdruck permanenter Verwunderung im Gesicht. Über den Rücken hatte er einen schlaffen schwarzen Seesack geschlungen, in dem er seine wenigen persönlichen Habseligkeiten aufbewahrte. In der einen Hand hielt er eine gelbe Transferkarte und einen himmelblauen Sicherheitsausweis, in der anderen eine halb entfaltete Karte der Station.

Er hatte sich ganz offensichtlich verirrt. An jeder Wand überprüfte er jede einzelne Nummer anhand seiner Karte, die ein übriges tat, den Prozess des Auseinanderfaltens zu beschleunigen: In unregelmäßigen Abständen machten sich große Teile von ihr selbstständig. Schließlich blieb der Grünschnabel frustriert stehen und kniete sich nieder, um die Karte auf dem Fußboden wieder zusammenzufalten.

»Das ist aber nicht gerade ein geeigneter Ort, mein Junge …«

»Ich weiß, aber das verdammte Mistding will partout nicht …« Er blickte auf, erkannte, wen er vor sich hatte, und verstummte sofort. Er rappelte sich auf die Füße, während er automatisch Habachtstellung einnahm, und beinahe hätte er sich beim Versuch zu salutieren mit seiner Transferkarte das Auge ausgeschlagen.

Der Seesack schaukelte wild auf seiner Schulter und knallte unangenehm gegen seinen Hintern.

Der Offizier war ein streng aussehender Mann, mager, mit grauen Augen und sandfarbenem Haar. In seinem Gesichtsausdruck stand eine Härte, die dem Grünschnabel Angst einflößte. Aber die Härte in den grauen Augen war in eine unbestimmte Ferne gerichtet, nicht auf den Grünschnabel. Beinahe, als existierte der viel jüngere Mann gar nicht für den Offizier, oder wenn, dann höchstens wie ein Werkzeug, das man benutzte … wenn es gut genug war. Das Namensschild des Offiziers wies ihn als Korie aus. Die diamantförmigen Abzeichen an seinem Kragen verrieten dem Grünschnabel – er runzelte angestrengt die Stirn, während er überlegte –, dass der andere Fregattenkapitän war.

»Wie Sie meinen«, sagte der Offizier und erwiderte den militärischen Gruß mit oberflächlichem Nicken. Er streckte die Hand aus und nahm dem Grünschnabel die Transferkarte und den Sicherheitsausweis aus den Händen. »Decksmann Dritter Klasse Robert Gatineau, Ingenieursanwärter«, las er und reagierte mit einem leise gackernden Geräusch. »Regel Nummer eins«, sagte er, während er dem Grünschnabel die Papiere zurückgab, »Tragen Sie immer Ihr Namensschild.«

»Jawohl, Sir.« Gatineau kramte in seinen Taschen nach dem Namensschild, das man ihm erst wenige Augenblicke zuvor ausgehändigt hatte. Während er sich abmühte, es anzuheften, fragte er: »Noch etwas, Sir?«

»Stehen Sie nicht im Weg rum. Ziehen Sie keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich.« Und wie als nachträglichen Einfall fügte er hinzu: »Und erledigen Sie Ihre Arbeit immer so, als hinge Ihr Leben davon ab. Das tut es nämlich.«

»Ja, Sir. Danke, Sir.«

Der große Mann nickte und wollte weitergehen.

»Äh, Sir …?«

»Ja?«

»Könnten Sie mir sagen, wie ich zur Wartungsbucht Nummer T-119 komme? Zur Sternenwolf?«, stammelte Gatineau.

»Das Schiff kenne ich«, sagte der große Mann unverbindlich.

»Ist es ein gutes Schiff? Ich habe solche Geschichten gehört …«

»Das Schiff hat sich seinen Namen redlich verdient.« Korie drehte sich um und zeigte den Korridor entlang. »Da lang bis zum Ende, dann links, die Treppen hinauf, über den Rollsteig um das gesamte T-Modul. Von dort zählen Sie einfach die Nummern entlang des Korridors, es ist die neunzehnte Bucht. Aber die Sternenwolf werden Sie dort nicht finden, sondern nur ihre Beiboote. Das Schiff wartet draußen am Dekontaminationspunkt Eins.« Der Offizier warf einen raschen Blick auf seine Uhr. »Wenn Sie sich beeilen, dann kriegen Sie noch den nächsten Transfer. Wenn Sie die Fähre verpassen, dann geht in neunzig Minuten eine andere. Pinkeln Sie, bevor Sie an Bord gehen. Es ist eine lange Tour.

Wenn Sie angekommen sind, melden Sie sich bei Oberleutnant Tor. Sie hat zur Zeit das Kommando. Anschließend verstauen Sie Ihren Krempel und melden sich zur Arbeit. Sie gehören zur Mannschaft des Leitenden Ingenieurs Leen. Ich bin sicher, er kann Ihre Hilfe gut gebrauchen. Es gibt eine Menge zu tun.«

»Jawohl, Sir. Danke, Sir!« Gatineau salutierte erneut enthusiastisch.

Der Offizier erwiderte den Gruß mit kaum verborgenem Ärger. »Oh, und noch etwas. Übertreiben Sie es nicht mit Ihrer Salutiererei. Das ist nur etwas für Grundratten. Im Raum brauchen Sie eine Hand am Geländer.«

»Jawohl, Sir. Danke, Sir!«

Der große Mann nickte und stapfte durch die Passage davon. Gatineau starrte ihm mit einem Ausdruck ungetrübter Freude hinterher. Die Diamanten auf der Uniform des Offiziers blitzten in Silber, dazwischen Bänder aus leuchtenden Farben – das bedeutete, dass er die Zulassung für den interstellaren Raumflug besaß. Überlichtgeschwindigkeit! Er wäre ihm am liebsten hinterhergelaufen … Unvermittelt erinnerte sich der Decksmann Dritter Klasse Robert Gatineau, ohne Spezialgebiet, an die Worte, die der Offizier über die Fähre gesagt hatte, und er beeilte sich, seine Siebensachen aufzusammeln. Er schulterte seinen Seesack, stopfte die aufsässige Karte in seine Hemdentasche und eilte schnell den Gang hinunter.

»Bis zum Ende …«, wiederholte er die Worte, während er rannte. »Dann gehen Sie nach links, die Treppen hoch, nehmen den Rollsteig …«

Der Rollsteig umkreiste Stardock vollständig. Gatineau rannte den ganzen Weg über das Band. An der Verwaltung vorbei, durch die Versorgungsbereiche, bis er schließlich bei den Docks angekommen war. Sorgfältig studierte er jedes auftauchende Hinweisschild, als hielte es eine geheime Nachricht nur für ihn bereit, und hakte jedes Dock ab, an dem das Band ihn vorbeiführte. Schließlich erblickte er das Schild, nach dem er Ausschau gehalten hatte; ungeduldig sprang er am Eingang zum T-Modul vom Band und wäre bei der Landung beinahe hingefallen. Er fluchte wütend und ärgerlich vor sich hin, während er die breite Passage halb hinunter ging, halb rannte. Unter seinen Füßen wich der Teppich industriellen Bodenblechen, und seine Schritte begannen, hallende Echos zu werfen. Die Passage wurde durch luftdichte Türen unterbrochen. Jede einzelne Sektion war durch dreifache Schleusen gesichert, die bei seiner Ankunft automatisch zur Seite glitten und sich hinter ihm mit sanftem Zischen sofort wieder schlossen. Als Gatineau endlich den neunzehnten Liegeplatz erreicht hatte, war er bereits durch zweiundsiebzig verschiedene Schleusen gekommen. Er war beinahe den ganzen Weg gerannt und hatte sämtliche Nummern bis zum vorletzten Liegeplatz mitgezählt. T-119.

Der Liegeplatz selbst war nicht mehr als eine leere Wartungsbucht. Eine ausgedehnte, kalte Grotte, der selbst die allergeringsten Annehmlichkeiten fehlten. Sie besaß keinerlei Ähnlichkeit mit den Liegeplätzen von Handelsschiffen, wie Gatineau es erwartet hatte, mit ihren zahlreichen Bildschirm-Displays und Sesseln, den unterschiedlichsten Serviceständen und dem üblichen Komfort. Der Unterschied schockierte Gatineau auf der einen Seite, auf der anderen war er angenehm überrascht. Es war ein Beweis für ihn, dass er endlich angekommen war, endlich auf einem echten Sternendock Dienst leistete.

Das vordere Ende des Liegeplatzes wurde von einer weiten, elliptischen Schleuse eingenommen. Sie stand offen. Zögernd trat Gatineau näher.

»Hallo?«, rief er in den Verbindungsschlauch zur Fähre. »Ahoi? Ist da jemand?« Keine Antwort.

»Ist das die Fähre von der Sternenwolf?« Gatineau machte ein paar zögernde Schritte in den Schlauch hinein. »Ist jemand an Bord?«

Am anderen Ende des Schlauchs gab es eine weitere Schleuse, die allerdings geschlossen war. Das Kontrollpaneel zeigte grünes Licht, also war die Atmosphäre auf der anderen Seite zum Atmen geeignet, und der Luftdruck stimmte. Gatineau atmete tief durch und legte seine Hand auf die dafür vorgesehene Fläche des Paneels. Zu seiner Verwirrung fuhren mehrere Schleusentore gleichzeitig zurück. Er machte einen Schritt in eine winzige Luftschleuse, und die Luken fuhren hinter ihm wieder zu und verwandelten die Kammer in ein klaustrophobisches Abteil. Er war nervöser als je zuvor, aber seine Nerven waren zu angespannt, als dass er einfach hätte verharren können. Also öffnete Gatineau die nächste Schleusenluke – und starrte verblüfft in die Heckkabine des Tenders Nummer drei der Sternenwolf.

Der Tender war zur Hälfte mit Versorgungsmodulen aller Größen und Formen vollgepfropft. Gatineau schob sich seitwärts in die Kabine, und die Luke knallte hinter ihm zu. »Ahoi?«, rief er leise. »Decksmann Dritter Klasse Robert Gatineau, Ingenieursanwärter ohne Spezialgebiet, meldet sich zum Dienst!«

Noch immer keine Antwort. Gatineau machte ein paar Schritte zur nächsten Schleuse und betrat die Hauptkabine der Fähre. »Hallo? Ist da jemand?«

Niemand. Die hintere Hälfte dieser Kabine war mit verschiedenen Lebenserhaltungs- und Versorgungsmodulen gefüllt. Alle waren etikettiert. Er erkannte die Kodes für Raumanzüge und EVA-Ausrüstung sowie medizinische Notfallausrüstung.

Die vordere Hälfte bestand aus grauen, unpersönlichen Sitzreihen. Industriestandard eben. Gatineau hatte schon Busse mit mehr Atmosphäre gesehen.

Schulterzuckend hing er seinen Seesack an einen Haken in der Wand über einem der Sitze und kletterte weiter nach vorn. Dann klopfte er an die Tür zur Pilotenkanzel. Sie glitt beinah im gleichen Augenblick zur Seite, und der Pilot drehte sich in seinem Sitz, um einen Blick auf Gatineau zu werfen. Gatineau blickte auf und … auf. Und auf. Der Pilot war ein drei Meter großer morthanischer Tyger, und er grinste so breit, dass er Gatineaus Kopf mit einem einzigen Bissen hätte abreißen können. »Sie sind also das Frischfleisch?«, fragte er.

Gatineau hätte sich beinahe in die Hosen geschissen. Einen Augenblick war er wie betäubt, und sein Herz drohte ihm aus der Brust zu springen. Adrenalin strömte in einem atavistischen Schauer von Horror und Furcht und Staunen durch seinen Körper, alles in heillosem Durcheinander und zur gleichen Zeit. Er fühlte sich, als hätte man ihn plötzlich in eisigen, schieren Terror getaucht. Er schluckte und stammelte und versuchte, zurückzuweichen. »E-e-e-entschuldigen Sie«, stammelte er, während sein Verstand sich noch gegen die entsetzliche Erkenntnis sträubte. O mein Gott! Ein Morthaner! Ich werde sterben! Und während er noch überlegte, was er zu seiner Selbstverteidigung unternehmen konnte, nahm der rationale Teil seines Bewusstseins bereits von der grauen Uniform des Monsters Kenntnis, von dem Namensschild an dessen Brust – Oberleutnant Brik – und von dem amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht des menschlichen Kopiloten.

»Ich, äh … äh, ich suche nach … äh, nach der Fähre zur Sternenwolf und …«, und dann erinnerte er sich an seine Ausbildung, und er ging in Habachtstellung. »Verzeihung, Sirs. Decksmann Dritter Klasse Robert Gatineau, Ingenieursanwärter ohne Spezialgebiet, meldet sich zum Dienst, Sir!« Er hatte davon gehört, dass morthanische Offiziere in der Flotte Dienst leisteten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er selbst einen als Vorgesetzten haben könnte – er wollte eben salutieren, als er sich an den Ratschlag des anderen Offiziers erinnerte und in seiner Bewegung innehielt – nur, um sich beinah im gleichen Augenblick zu fragen, ob er nicht gerade einen noch größeren Fehler begangen hatte, indem er den morthanischen Offizier nicht gegrüßt hatte. Er schluckte und entschied sich, dass es nun sowieso zu spät war, und so streckte er dem Offizier nur schweigend seinen Marschbefehl und seinen Sicherheitsausweis entgegen, damit dieser die Dokumente überprüfen konnte.

Oberleutnant Brik nahm die Papiere mit übertriebener Freundlichkeit entgegen. Gatineaus Hand verschwand beinahe in der riesigen Hand des Morthaners, und der Grünschnabel musste seinen ganzen Willen zusammennehmen, um nicht zurückzuschrecken.

Er hatte sich nicht mehr so klein gefühlt, seit er vier Jahre alt gewesen war und seinen Vater nackt unter der Dusche gesehen hatte.

Brik legte die Papiere auf den flachen Kartenleser zwischen sich und dem Sitz des Kopiloten und betrachtete mit unbewegter Miene den Schirm. Währenddessen versuchte Gatineau, sich dadurch zu beruhigen, dass er die Konstruktion der Steuerkanzel studierte. Ein echtes Raumschiff! Er nahm einen tiefen Atemzug und spähte durch die Frontscheibe, bemüht, nach außen hin ein lässiges Erscheinungsbild zu bewahren. Hinter der Scheibe glänzten die hellen Sporne von Stardock im Licht von Tausenden von Scheinwerfern so hell, dass sie fast die Schwärze des Nichts dahinter verbargen. Gatineau warf einen Blick aus dem Seitenfenster und erkannte beinahe ein Dutzend Libertyschiffe, die hintereinander am Docksporn aufgereiht lagen. Er atmete hörbar ein. Raumschiffe! Sie waren wundervoll! Und sie waren nahe genug, dass er sie beinahe berühren konnte … Brik grunzte ungeduldig. Das Geräusch weckte Gatineau aus seiner Träumerei. Er bemerkte, dass der Morthaner ihm seine Papiere hinhielt und darauf wartete, dass er sie entgegennahm. »Oh, danke. Äh, ich …« Gatineau entschied sich, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. »Es tut mir leid, Sir, wenn ich, uh, mich nicht korrekt verhalten habe. Ich …«

»Nun fangen Sie nicht gleich an zu schwitzen, Freund«, unterbrach ihn der Kopilot. Sein Namensschild identifizierte ihn als Leutnant Mikhael Hodel. »Oberleutnant Brik wirkt auf jedermann so. Es ist Teil seines persönlichen Charmes. Und wie nennen wir Sie?«

»Äh, mein Papa hat mich immer Robby genannt, aber, äh …«

»In Ordnung«, sagte Leutnant Hodel. »Aber Sie sind ja nun schon ein großer Junge, Robby. Was halten Sie davon, wenn wir Sie Gatineau rufen … oder Mister Gatineau, wenn wir sauer sind?«

»Äh, sicher … hm, danke. Ich meine, danke, Sir.«

Hodel wandte sich wieder seinen Kontrollen zu und legte einen Finger an das rechte Ohr, um sich auf eine hereinkommende Meldung zu konzentrieren. »In Ordnung, verstanden, danke«, antwortete er. »Ende und aus.« Dann wandte er sich an Brik: »Wir haben Starterlaubnis.«

»Schnallen Sie sich fest«, sagte Brik zu Gatineau und deutete auf den Sitz, der üblicherweise vom Flugingenieur besetzt wurde. Der Startvorgang war viel unkomplizierter, als Gatineau erwartet hatte. Brik gab der Maschinenintelligenz der Fähre lediglich einen einzigen Befehl. »Fertigmachen zum Ablegen.«

Einen Augenblick später erwiderte der Schiffsrechner: »Alle Schleusen versiegelt. Alle Systeme hochgefahren und in Betrieb. Zuverlässigkeit neunzig Komma neun.«

»Ablegen.«

Unvermittelt schwand das Gefühl von Schwerkraft zu einem Nichts, und Gatineaus Magen schwand mit. Seine Eingeweide verkrampften sich alarmierend, doch dann – als er die nicht sehr vertraute Situation erst einmal erkannt hatte – begann der Grünschnabel, sich wieder zu entspannen. Beinahe im gleichen Augenblick erklang ein sanfter Schlag aus dem Heckbereich der Fähre, und die ruhige Stimme der künstlichen Intelligenz meldete: »Abgelegt.«

»Kurs setzen und Maschinen einschalten.«

Obwohl kein Gefühl von Bewegung zu spüren war, verschob sich plötzlich die Aussicht aus dem Frontfenster nach seitlich unten, und einen Augenblick später begannen die Sterne, um eine Achse zu rotieren, die sich irgendwo unter Gatineaus Füßen befinden musste.

»Wenn Sie eine bessere Aussicht haben wollen, dann klettern Sie doch einfach in die Observatoriumskuppel«, sagte Hodel.

»Kann ich? Super! Danke!« Gatineau schnallte sich los und schwebte senkrecht aus seinem Sitz. Er knallte unsanft mit dem Kopf an die Kabinendecke. »Au!« Er riss die Hand hoch, um sich an die schmerzende Stelle zu fassen, und endete in einem sehr ungünstigen Winkel, in Relation zu Hodel und Brik mit dem Kopf nach unten, während seine Füße die Kabinendecke berührten. »Hoppla. Das tut mir leid.«

Hodel ergriff den jungen Mann am Gürtel und gab ihm einen Schubs, so dass er durch die Kabinentür segelte. Er grinste Brik an und schüttelte den Kopf. Grünschnäbel! Und wie zur Bestätigung erscholl aus der Passagierkabine eine Serie dumpfer Aufpralle und schmerzerfüllter Stöhnlaute, als Gatineau sich taumelnd und hüpfend seinen Weg nach hinten in Richtung der Observatoriumskanzel bahnte. »Ich liebe meine Arbeit«, sagte Hodel grinsend. Brik grunzte. Er war zwar nicht vollkommen humorlos, aber im Gegensatz zu Hodel war er nicht der Meinung, dass Slapstick die höchste Stufe davon war.

Hinten in der Kabine zog der Grünschnabel sich voll ungetrübter Freude in die Observatoriumskanzel. Das transparente Material glänzte von den Reflexionen hunderttausender Arbeitsscheinwerfer. Stardock war eine technische Einrichtung, und seine komplexe Struktur glich einem strahlenden Bienenstock aus Licht und Farben und Bewegung, die im krassen Widerspruch zu der weiten Nacht dahinter stand. Vertikale Holme streckten sich in die Höhe, von horizontalen Plattformen unterbrochen; und überall wanden und schlängelten sich Röhren und Schläuche aller Art, einige von innen beleuchtet, durch die weite Struktur. Wohin man auch sah, überall parkten Schiffe. Schiffe aller Größen, aller Arten, aber hauptsächlich Libertyschiffe, diese schönen, kleinen Kreuzer mit ihren Polycarbonatschaumrümpfen und ihren stolzen Spieren aus Titan. Sie wurden von Monofasern und einer Menge stiller Hoffnungen zusammengehalten. Die Produktionsstraßen von Neu Amerika warfen alle zwölf Tage drei neue Libertyschiffe vom Band. In den neun Monaten seit dem Überfall auf Marathon hatten die Alliierten Welten beschlossen, in außergewöhnlicher Einigkeit auf die Bedrohung durch die Morthan-Solidarität zu reagieren. Die besetzten Liegeplätze auf der Raumstation legten bereits ein erstes Zeugnis darüber ab. Während die Fähre von der schwindlig machenden Masse aus Verstrebungen und Röhren, Modulen und Tanks davontrieb, wurde nach und nach das Gerüst der Tiefraumstation Stardock erkennbar. Es war eine gigantische, metallische Schneeflocke. Innen in dieser Schneeflocke befanden sich vereinzelt, aufgehängt wie in einem Spinnennetz, die Habitate; zylinderförmige oder sphärische Gebilde, über die gesamte Station verteilt: Wohn- und Arbeitsquartiere, die über die ursprüngliche Station hinausgewachsen waren.

In der Observatoriumskanzel gab es mit Ausnahme der von Stardock hereinfallenden Strahlen kein Licht, aber es reichte völlig aus, um die Fähre in eine helle, weiße Aura zu tauchen. Gatineaus Augen wurden plötzlich feucht.

Eine Flut von Emotionen erfüllte ihn, einige freudig, einige furchterfüllt, aber die Begeisterung überwog. Die widersprüchlichen Gefühle trugen nur noch mehr zum überwältigenden Eindruck des Augenblicks bei.

Viel zu schnell begannen die Lichter zu verblassen, und mit ihnen verging Gatineaus Begeisterung. Der Tender beschleunigte nun in die Nacht hinein. Und als die Raumstation hinter ihm schrumpfte, um schließlich in der gesprenkelten Dunkelheit zu verschwinden, wurde Gatineau plötzlich bewusst, wie klein und einsam und verletzlich er hier in diesem winzigen Schiff war. Er war noch niemals zuvor in seinem Leben so weit von jeglicher … Sicherheit entfernt gewesen. Sein Leben hing nur von der Stärke des Polycarbonats ringsherum ab. Nach einem Augenblick wurde das Gefühl unerträglich. Nervös schob der Grünschnabel sich aus der Kuppel nach unten und zog sich vorsichtig in die Pilotenkanzel zurück. Er schnallte sich in seinen Sitz und klammerte sich mit festem Griff an die Lehnen, während er seine Augen geschlossen hielt und verzweifelt gegen den überwältigenden Strom widersprüchlicher Gefühle ankämpfte. Er wurde zugleich von schwindelerregender Agoraphobie und erstickender Klaustrophobie geschüttelt, von erhebender Freude und entsetzlicher Einsamkeit, von hochgradiger Begeisterung und ausbrechender Panik. Es war viel zuviel, um damit fertig zu werden.

Sowohl Hodel als auch Brik bemerkten, wie weiß Gatineau im Gesicht geworden war, aber keiner von beiden sagte etwas. Hodel drehte sich in seinem Sitz zu Gatineau um und öffnete ein Fach, aus dem er einen Beutel mit Bouillon zog. »Hier«, sagte er und drückte ihn Gatineau in die Hand. »Trinken Sie das. Es wird Ihnen helfen. Das erste Mal kann einen etwas aus dem Gleichgewicht bringen, ich weiß.«

»Mir geht es gut«, erwiderte Gatineau. »Wirklich, ich fühle mich gut.«

Hodels Gesichtsausdruck verriet, dass er es besser wusste. »Wir haben eine sechsstündige Fahrt vor uns. Wollen Sie etwa die ganze Zeit über die Augen geschlossen halten?«

»Äh … in Ordnung.« Zögernd nahm Gatineau den Beutel. »Danke.« Er zog die Kappe vom Nippel und saugte die heiße Flüssigkeit langsam in sich hinein. Es gab ihm eine Beschäftigung, etwas, auf das er sich konzentrieren konnte. Nach ein paar Schlucken begann die Leere in seinem Magen zu verschwinden, und mit ihr schwand das Gefühl von Panik aus seinen Eingeweiden.

Jetzt war Brik an der Reihe. Er beendete die Eintragung in sein Log, schaltete das Notizbuch aus und steckte es in sein Fach. Er schwenkte seinen Sitz herum und löste die Sicherheitsgurte, dann erhob er sich. Der Morthaner war drei Meter groß, und seine massige Gestalt füllte die Kanzel beinahe aus. »Autopilot ist eingeschaltet. Ich gehe nach hinten und nehme eine Mütze Schlaf. Wenn Sie schlau sind, kommen Sie mit.«

Hodel spähte auf die Schirme vor sich. Befriedigt nickte er, dann schnallte auch er sich ab und folgte Brik. Als er an Gatineau vorbeischwebte, sagte er: »Regel Nummer eins. Versäume niemals die Gelegenheit, etwas zusätzlichen Schlaf zu finden.«

»Äh, in Ordnung.« Für einen langen Augenblick saß Gatineau alleine in der Kanzel der Fähre. Die Instrumentenpaneele vor ihm flossen fast über vor Informationen, von denen er nur den geringsten Teil verstand. Er schürzte die Lippen, runzelte die Stirn, und dann schluckte er schwer. Er war ganz allein in der Steuerkanzel eines Raumschiffes! Godzillionen von Kilometern von allem entfernt! Lichtjahreweit rings um ihn herum gab es nichts – außer noch mehr Lichtjahren.

Er überlegte, ob er in den Pilotensitz klettern sollte – nur um zu sehen, was für ein Gefühl das war –, aber dann entschied er sich dagegen. Vielleicht würde er gegen eine Art von Regel verstoßen. Irgendeinen Verhaltenskodex oder eine Tradition. Er wollte nicht riskieren, seinen Dienst auf dem falschen Fuß anzufangen. Nichtsdestotrotz – die Versuchung blieb bestehen. Er nippte an seiner Bouillon und starrte aus dem Fenster auf die weit entfernten Sterne und fragte sich, wie es wohl sein würde, ein Schiff zu steuern – egal, was für eins. Er fragte sich, ob er je gefurchte Diamanten wie die auf der Uniform des Offiziers tragen würde – wie war doch sein Name gewesen? –, der ihm auf dem Korridor weitergeholfen hatte. Nach einer Weile bemerkte er, dass der Beutel leer und er jetzt wirklich müde war. Und er bemerkte außerdem, dass er sich ganz hervorragend fühlte; die aufputschende Wirkung von drei aufeinanderfolgenden Adrenalinstößen war endlich verflogen, und nun spürte er einfach ein Gefühl erschöpfter Zufriedenheit. Er schob den Beutel in den Entsorgungsschlucker, schnallte sich los und schwebte nach hinten in die Passagierkabine. Sie war inzwischen abgedunkelt worden, und es gab nur einen schwachen Lichtschein, der gerade eben erlaubte, Umrisse wahrzunehmen. Sowohl Hodel als auch Brik hatten sich wie Balken oder Rinderhälften an die Schotten geschnallt, aber sie schliefen noch nicht. Hodel warf einen Blick auf seine Uhr und bemerkte: »Nicht schlecht. Zwanzig Minuten. Nicht gerade ein Rekord, aber auch nicht schlecht.«

Brik grunzte als Antwort. Es war weder Zustimmung noch Missbilligung, sondern nur eine Bestätigung von Hodels Worten.

Gatineau wusste nicht genau, was Hodels Worte bedeuten sollten; und obwohl er bemerkt hatte, dass die Bemerkung auf ihn gemünzt gewesen war, entschied er sich aus Sicherheitsgründen, sie einfach zu ignorieren. Er zog sich in die winzige Abteilung zurück, die als Toilette diente, und entdeckte kurz darauf das ungewöhnliche Vergnügen, das einem das Urinieren in der Schwerelosigkeit bescherte. Nachdem er sich so gut es ging gereinigt hatte, schob er sich in die Kabine zurück und hakte seinen Gürtel in einen Riemen an den Schotten. Dann richtete er sich ›waagerecht‹ aus und verband einen zweiten Riemen mit dem Vorderteil seines Hemdes. Er war noch immer viel zu aufgeregt, um Schlaf zu finden, aber Hodels Rat schien vernünftig gewesen zu sein, und zumindest konnte er ja versuchen, sich ein wenig zu entspannen. Er ließ die Arme schlaff an den Seiten herabhängen, wie man es ihm beigebracht hatte, obwohl er wusste, dass sie irgendwann nach oben schweben und ihn in einer Haltung wie ein ›Toter Mann‹ in einem Pool zurücklassen würden.

Er schloss die Augen und ließ seine Gedanken zu dem Raumschiff wandern, zu dem die Fähre ihn bringen würde. Der Grünschnabel hatte bereits so viele Risszeichnungen studiert, so viele Photos betrachtet und war durch so viele virtuelle Ansichten gelaufen, dass er das Gefühl hatte, das Libertyschiff bereits zu kennen – und doch wusste er in Wirklichkeit überhaupt nichts. Er würde sich der Besatzung erst noch beweisen müssen. Er würde sich das Recht, einer von ihnen zu sein, verdienen müssen. Er fühlte sich so schrecklich unerfahren und nackt … und plötzlich wurde er von jemandem geschüttelt, und die Lichter waren auf einmal viel zu hell, und er versuchte vergeblich, sie wegzuschieben.

»Nun kommen Sie schon, Gatineau – wir sind beinahe zu Hause. Wollen Sie Ihr Schiff nicht von außen sehen?«

»Hä? Was?«

Hodel schüttelte ihn freundlich. »Gehen Sie hinauf in die Kuppel. Das ist der beste Platz im ganzen Haus. Sie werden sehen.«

Noch immer nicht wieder völlig wach, befolgte Gatineau den Ratschlag. Er hakte sich von der Schottenwand los und zog sich wieder hinauf in das Observatorium. Diesmal ging es schon ein gutes Stück leichter. Die Gegenwart des Schiffs war nicht länger begrenzend, sondern tröstend. Und die Gelegenheit, einen Blick in das kalte Vakuum zu werfen, gab ihm ein Gefühl, als würde er unter einer warmen Bettdecke hervorspähen.

Nach hinten war nichts zu sehen; nur die Sterne, hart, hell und ewig unveränderlich.

Aber als er sich umwandte und den Blick nach vorn richtete, hielt er den Atem an.

Dort, vor der Fähre schnell weiter anwachsend, lag die Sternenwolf. Sie näherten sich ihrem Heck von der Steuerbordseite her. So nah war Gatineau einem Libertyschiff noch nie zuvor gekommen, und er prägte sich jedes Detail seines Schiffes ein.

Es war schön, und es war hässlich – schön, weil es ein Schiff mit Überlichtantrieb, und hässlich, weil es dennoch rein zweckmäßig und nicht angezogen war. Es war nicht angezogen, um auszugehen. Es war ausgezogen, weil an ihm gearbeitet wurde. Es trug kein Make-up. Seine Knochen waren unter der Haut zu sehen. Sein Rumpf wölbte sich seltsam um die Singularitätsantriebe herum und gab ihm ein buckliges Aussehen.

Es trug nicht so viele Scheinwerfer wie die Raumstation, aber vor dem Hintergrund des leeren Alls leuchtete es dennoch mit bestechender Schönheit. Überall entlang seiner Hülle brannten helle Lichter, genauso wie an den Fluktuatorsäulen. Zusätzliche Beleuchtung kam aus der mit Kuppeln übersäten Hülle selbst sowie von portablen Arbeitsmodulen, die hier und da an die metallische Hülle geheftet schienen. Während das Schiff in Gatineaus Gesichtsfeld wuchs, konnte er Männer in Raumanzügen und verschiedene spinnenbeinige Roboter erkennen, die emsig an verschiedenen Reparaturprojekten arbeiteten. Das Schiff war ein scharfkantiger Zylinder, mindestens so lang wie ein Football-Feld. Die drei langen Säulen der Fluktuatoren ragten aus der Hülle und bildeten untereinander gleichmäßige Einhundertzwanzig-Grad-Winkel. Die Fluktuatoren wuchsen aus dem Herzen des Sternenantriebs hervor, aus der Singularität selbst. Die Säule auf dem Rücken war zum All hin geöffnet, und drei Besatzungsmitglieder in Raumanzügen schwebten davor. Gatineau beneidete sie, und er fragte sich, ob er jemals die Gelegenheit zu einem Raumspaziergang erhalten würde.

Der Tender verlangsamte allmählich seine Fahrt und kroch dann neben dem Mutterschiff dahin. Jetzt konnte Gatineau erkennen, dass der Rumpf der Sternenwolf übersät war mit Maschinen aller Art: Abtastern, Waffentürmen, Strahlungsfinnen, Hyperraumlinsen, Gravitationsplatten und noch viele Geräte mehr, deren Sinn er nur erraten konnte. Über die gesamte Länge des Rumpfes liefen drei gleich lange, enge Röhren zwischen den Fluktuatorsäulen hindurch. Das waren die Massetreiber der Sternenwolf. Die Massetreiber waren imstande, gewaltige Mengen hochenergetischer Partikel bis auf nahezu Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, und sie konnten diese Partikel entweder nach vorn oder nach hinten ausstoßen; einfache Newtonsche Physik erledigte den Rest und beschleunigte oder bremste das Schiff bei Geschwindigkeiten unter Licht.

Es gab natürlich auch noch andere Wege, ein Schiff durch den Raum zu bewegen – beispielsweise Fluxorpaneele –, aber keine davon war annähernd so kosteneffektiv und für Kriegszwecke so geeignet.

Das kleine Beiboot befand sich nun beinahe am Bug des Mutterschiffs. Gatineau beugte sich erwartungsvoll vor, aber unvermittelt rotierte der Tender um seine eigene Achse, und das große Raumschiff verschwand nach oben und dann völlig aus seiner Sicht. »Verdammt«, murmelte er vor sich hin. Er war nicht sicher, ob der Pilot so etwas wie eine Siegesrolle mit der Fähre ausführte, oder ob es Bestandteil des Andockmanövers war. Offensichtlich würde die Fähre an der vorderen Luftschleuse festmachen. Das bedeutete, dass sie sich rückwärts gegen die Nase des Libertyschiffes bewegen mussten. Hoffentlich ohne heftigen Aufprall, dachte er. Und die Observationskanzel sollte noch immer den besten Ausblick gewähren …

Er behielt recht. Der Tender rotierte weiter, und als die Sternenwolf wieder in Sicht kam, befand er sich direkt hinter Gatineaus Beobachtungspunkt, und der Bug des Schiffes zeigte genau auf das Heck des Tenders. Gatineau blickte in die andere Richtung, aber er spürte die Anwesenheit beinahe augenblicklich; es war die Reflexion von Lichtern auf der inneren Oberfläche der transparenten Kuppel. Er wandte sich um und erblickte die Sternenwolf zum ersten Mal von vorn – und vergaß zu atmen. Er war vor Ehrfurcht völlig benommen.

Der vorderste Teil des Rumpfes bestand aus einem zylindrischen Gerüst, das den Andockschlauch und die Verbindungsschleuse hielt. Unmittelbar dahinter befand sich der eigentliche Bug des Schiffes, und dahinter wiederum drei stummelartige Flossen, die wie Bremsklappen aussahen; die Röhren der drei Massetreiber ragten durch sie hindurch. Die Aufgabe der Klappen bestand offensichtlich darin, die Massetreiber zu kontrollieren und ihren Ausstoß zu synchronisieren. Aber das war es nicht, was Gatineaus Aufmerksamkeit so gefesselt hatte. Es war die Bemalung.

Die beiden oberen Flossen waren mit lebendig wirkenden, wütenden roten Augen bemalt; sie leuchteten wie Feuer. Und die untere Flosse war fast über ihre gesamte Länge mit scharfen, gezackten Zähnen überzogen. Der Effekt war atemberaubend. Die Sternenwolf wirkte wie ein zur Maske erstarrtes, vor Wut und Zorn flammendes Antlitz. Und zwischen den Zähnen der unteren Flosse gefangen befand sich ein winziger, sich verzweifelt wehrender Morthaner.

Gatineau schluckte und schöpfte mühsam wieder Atem. Er war von der Wildheit des Ausdrucks der Bemalung vollkommen überrascht worden, und diese Bemalung wuchs in seinem Blickfeld noch weiter an, als der Tender sich stetig rückwärts der Schleuse näherte. Aber selbst wenn er gewarnt gewesen wäre, selbst wenn man ihm Bilder gezeigt hätte, die Intensität dieses Augenblicks hätte ihn noch immer gefangengenommen. Die Sternenwolf war ein grimmiges Schiff. Und jetzt, da er weiter an ihrem Rumpf entlang blickte, erkannte er auch die Wolfsklauen, die auf die Fluktuatorsäulen gemalt worden waren. Er grinste in ahnungsloser Anerkennung. Vergessen waren plötzlich all die eigenartigen Geschichten, die ihm über dieses Schiff zu Ohren gekommen waren, all die Gerüchte und Halbwahrheiten, genauso schnell und unvermittelt, wie seine eigenen Gefühle und Ängste und Sorgen über seine Zukunft. Wie ein Eimer Wasser verdunstete, wenn man ihn dem Vakuum aussetzte. Dies hier war sein Schiff, und er hatte sich in diesem Augenblick hoffnungslos verliebt. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Der Tender stieß sanft gegen das Andockgerüst der Sternenwolf; es gab ein paar weitere Stöße und ein vernehmbares Klicken, als die zahlreichen Streben und Sicherungen einrasteten – und dann war Gatineau zu Hause.

Erstes Blut

Das Andockgerüst besaß eine dreifache Sicherheitseinrichtung. Weil man die Fähre dekontaminiert hatte, aber nicht das Mutterschiff, war die einzige erlaubte Verbindung zwischen den beiden eine Einwegröhre, die über eine industrielle Dekontaminierungsstation hinwegführte. Ein morthanischer Assassine hatte sich an Bord der Sternenwolf aufgehalten. Es galt als sicher, dass er eine Vielzahl von Behältern mit Nanosaboteuren an Bord zurückgelassen hatte. Die Behälter lauerten auch jetzt noch in dunklen, unerkannten Verstecken, warteten und hielten ihre lautlose, tödliche Fracht, bis eine bestimmte Bedingung eintrat und die Freilassung ihrer Horden mikroskopischer Maschinen bewirkte. Die meisten Mikromaschinen waren besiegbar, häufig durch den Einsatz anderer Mikromaschinen, aber das Schiff hätte dreimal von oben bis unten durchgeprüft werden müssen, um es im militärischen Sinne als dekontaminiert zu klassifizieren. Und in der Zwischenzeit wurde alles und jeder routinemäßig mehrmals am Tag durch die Dekontaminationsabtaster geschickt.

Die künstliche Intelligenz der Sternenwolf, ein Harlie, überwachte den gesamten Prozess, und Harlie wurde seinerseits von zwei Dekontaminationsmaschinen überwacht. Mit einem skeptischen Ausdruck im Gesicht blickte Gatineau den Andockschlauch entlang. Er fühlte sich entnervt. Der Schlauch bedeutete mehr als fünfzehn Meter freien Falls, größtenteils durch Schwärze. Die Mehrzwecklichter waren bei weitem nicht ausreichend, um das düstere Gefühl zu vertreiben. Und am Ende wartete nichts außer Dunkelheit. Das Wissen, dass sich zwischen ihm und dem Vakuum nichts weiter befand außer einer papierdünnen Einwegmembran, stärkte nicht gerade sein Selbstvertrauen. Hinter ihm knurrte Brik ungeduldig. Ein Geräusch, das an einen Verbrennungsmotor im roten Bereich erinnerte. »Das geht so«, sagte Hodel und schob sich an Gatineau vorbei. Er schwebte kopfüber in den Schlauch und zog sich Hand über Hand an leiterähnlichen Streben voran, die aus dem Innern ragten. »Sehen Sie, es ist ganz einfach«, rief er über die Schulter.

»Sicher«, würgte Gatineau. »Wenn Sie meinen. Es ist nur, dass ich noch niemals …« Etwas Großes packte ihn von hinten und versetzte ihm einen Stoß. Als nächstes wurde ihm bewusst, dass er kopfüber durch den Schlauch trudelte. Er taumelte gegen eine Seite der membrandünnen Wand und von dort gegen die andere. Er fuchtelte wild und hilflos mit den Armen und krachte schließlich gegen einen Handgriff, an dem er sich verzweifelt festklammerte. »He!«, brüllte er Brik hinter sich an. »Das ist wirklich nicht nötig! Ich wäre schon alleine …«

»Bestimmt«, murmelte Brik, während er hinter Gatineau herbeischwebte. »Aber ich habe einfach nicht die Zeit, so lange zu warten.«

Beim Anblick des sich von hinten nähernden morthanischen Sicherheitsoffiziers zuckte Gatineau zusammen. Brik füllte den Schlauch mit seiner Masse förmlich aus. Gatineau wandte sich wieder um und – die Strebe löste sich mit einem üblen, reißenden Geräusch von der Wand!

»Was zur Höl…«

Die Membran dehnte sich. Wölbte sich nach außen. Und dann, nach einer Ewigkeit, die nur Bruchteile von Sekunden dauerte, löste sie sich, und Gatineau starrte für einen Augenblick in den nackten Abgrund des Alls.

Es ist nur ein winziges Loch, versuchte sein Verstand ihn zu beruhigen. Du kannst es noch schaffen. Aber alles geschah viel zu schnell. Ein schrecklich pfeifendes Geräusch wurde laut, und plötzlich dröhnten seine Ohren voller Schmerz. Und knackten, als der Druck abfiel. Seine Nase füllte sich mit einer Flüssigkeit. Ein heißer Wind kreischte und zerrte an ihm und riss ihn unvermittelt nach draußen in ein sternenfunkelndes Nichts. Instinktiv griff er nach der nächsten Leitersprosse, erwischte sie und begann, sich wieder vorwärts zu ziehen. Aber seine Hände glitten ab …

… und etwas Großes packte ihn von hinten, schlang einen gewaltigen Arm um seinen Leib, hakte sich unter seinen Achselhöhlen ein und bewegte sich mit ihm gegen den tosenden Sturm voran, entlang des Tunnels, in Richtung der fernen Tür. Gatineau schnappte verzweifelt nach Luft, aber da war nichts mehr, das er hätte atmen können. Luft entwich seinen Lungen und wollte nicht aufhören. Ich sterbe! Das ist nicht fair … Irgendetwas krachte geräuschlos, mehr fühlte er es, als dass die dünne Luft den Schall zu seinen Ohren hätte tragen können. Er kämpfte um Luft und keuchte und stellte sich vor, wie sein Blut zu kochen begann – aber dann war da nur noch ein schwacher Wind, und die Geräusche kehrten zurück. Und durch seine verschwommene Sicht hindurch bemerkte er, dass er und Brik sich in der Luftschleuse befanden, und er spürte, dass der Luftdruck rapide anstieg. Als der halbe Normaldruck erreicht war, verlangsamte sich die Zunahme. Das muss so sein, erinnerte er sich, man kann den vollen Druck nicht in einem Zug wiederherstellen. Es ist zu gefährlich. Seine Ohren knackten schmerzhaft, immer und immer wieder, und er öffnete und schloss den Mund, um seinen Nebenhöhlen Gelegenheit zu geben, den Druckanstieg auszugleichen. Es half nicht. Er klopfte sich mit den Händen an den Kopf und stöhnte, drehte und wand sich auf dem Boden und versuchte, den Schmerz zu verscheuchen.

Und dann griffen Hände nach ihm, zogen ihn aus der Schleuse und auf eine Trage; banden ihn fest. Er konnte kaum sehen, und ringsum waren nur unbekannte Gesichter. Seine Ohren waren wieder taub. Irgendjemand versuchte, ihm etwas zu erklären, aber er verstand nicht, was der andere von ihm wollte. Und dann hoben sie die Trage an und trugen ihn davon. Plötzlich spürte er wieder die Gravitation. Waren sie an Bord des Schiffes? Hatte er es geschafft?

»Wo ist Oberleutnant Brik?«, krächzte er. Niemand antwortete ihm, oder wenn, dann konnte er die Antwort nicht hören. »Brik! Wo ist Brik?«, rief er heiser und versuchte, sich auf seiner Trage aufzurichten, während sie ihn wegtrugen. Gerade als jemand ihn wieder hinunterdrückte, konnte er einen letzten Blick auf die vordere Schleuse werfen und sah, wie Brik sich nachdenklich von ihm abwandte und auf die Schleusenluke und das All dahinter starrte.

O'Hara

Das Vorzimmer war kahl und leer.

Die Wände waren nackt.

Bleich. Öde. Keine Holos. Keine Urkunden. Keine Auszeichnungen. Keine Porträts. Dunkelgrauer Teppichboden, rau und zweckmäßig. Keine Tische, keine Stühle, keinerlei Mobiliar. Der Raum war nichts als ein Zimmer, in dem man wartete.

Korie musste nicht lange warten. Ein leises Summen ertönte, und in einer Wand öffnete sich eine Tür. Er trat hindurch und befand sich im Büro von Vizeadmiralin O'Hara.

Das Büro der Vizeadmiralin war beinahe ebenso spartanisch wie das Wartezimmer. Ein Schreibtisch in der Mitte. Zwei graue Stühle, einer vor und einer hinter dem Schreibtisch. Einem leeren Schreibtisch. Nicht einmal ein Namensschild stand darauf. Offensichtlich hatte die Vizeadmiralin nicht vor, sich hier ein warmes Nest zu schaffen. Entweder war sie nicht der Typ dafür, oder sie hatte nicht vor, besonders lange hierzubleiben. Und dieser Gedanke war noch weitaus beunruhigender.

»Setzen Sie sich, Fregattenkapitän Korie«, sagte die Vizeadmiralin, während sie das Büro durch eine Tür auf der entgegengesetzten Seite betrat und auf den Stuhl vor dem Schreibtisch deutete. Korie tat, wie ihm geheißen. Er versuchte, seine Gefühle nicht zu zeigen.

Die Vizeadmiralin nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz und runzelte die Stirn über etwas, das auf dem zweidimensionalen Schirm ihres Notizbuchs zu lesen stand. Der Schirm war aufgerichtet, so dass Korie nicht sehen konnte, welche Daten er enthielt. Die Vizeadmiralin hatte ihm noch immer nicht mehr als einen oberflächlichen Blick geschenkt.

Sie brummte vor sich hin; ein leises, kaum hörbares Geräusch. Sie schien nicht gerade glücklich zu sein. Ihre Kompetenzen waren weitreichend. Die Station diente mehr als tausend Schiffen, und jede Woche kamen weitere hinzu. Einige dieser Schiffe stammten von Welten, die fünfhundert Lichtjahre oder noch weiter entfernt lagen. Mit entschlossener Bewegung und einem säuerlichen Ausdruck im Gesicht tippte die Vizeadmiralin ein Kommando in ihr Notizbuch und klappte den Apparat zusammen. Dann wandte sie Korie ihre volle Aufmerksamkeit zu. Sie besaß das Gesicht eines Buddhas. Rätselhaft. Geheimnisvoll. Möglicherweise gefährlich. Aber im Augenblick war ihre Stimmung nicht zu erkennen.

»Danke, dass Sie mich empfangen haben, Ma'am«, begann Korie.

Ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert gespannt. »Ich fürchte, ich habe keine guten Neuigkeiten.« Langsam lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück. Ihre Bewegungen wirkten beinahe, als habe sie Schmerzen. Sie schien müde. Für einen Augenblick sah sie überhaupt nicht aus wie ein Offizier der Flotte, sondern eher wie eine grauhaarige, dunkelhäutige Großmutter, die sich mit einem ungezogenen Kind auseinandersetzen musste.

Sie verschränkte die Finger unter ihrem Kinn, als wollte sie beten. Es war offensichtlich, dass es ihr schwerfiel, die richtigen Worte zu finden. Dann seufzte sie und kam zur Sache. »Die LS-1187 wird keine Abschussprämie für die Zerstörung der Drachenfürst erhalten. Es tut mir leid.«

»Entschuldigung?«, wollte Korie protestieren.

Sein Gesicht lief vor Wut rot an.

»Die Prämie geht an die Besatzung der Burke«, fuhr die Vizeadmiralin fort, als hätte Korie kein Wort gesagt. »Oder, besser gesagt, an ihre Erben. Die Zerstörung der Drachenfürst wird der Burke zugeschrieben.«

Korie erhob sich halb aus seinem Stuhl. »Frau Admiralin! Das ist nicht fair! Das wissen Sie genauso gut wie ich! Die gesamte Besatzung der Burke wurde von dem Morthan-Assassinen Cinnabar getötet. Das Schiffsgehirn war zerstört, und das Schiff lag tot im All und wartete darauf, von der Drachenfürst aufgenommen zu werden. Wenn wir nicht dagewesen wären und Gegenmaßnahmen ergriffen hätten, dann wäre die Burke mitsamt ihrem Sternenantrieb von der Morthan-Solidarität gekapert worden. Wir waren es, die die Solidarität daran gehindert haben, drei vollkommen funktionsfähige ultrazyklische Fluktuatoren zu erbeuten! Wir waren das! Nicht die Besatzung der Burke! Wir verloren dreizehn Besatzungsmitglieder …« Unvermittelt hielt Korie inne. Ihm war aufgefallen, dass seine Stimme einen schrillen Klang angenommen hatte. Der Ausdruck auf dem Gesicht der Vizeadmiralin ließ keine Regung erkennen. Korie kannte diesen Blick. Sie würde dort hinter ihrem Schreibtisch sitzen und ruhig zuhören, bis er geendet hätte – sie konnte außerordentlich geduldig sein –, aber nichts, was Korie vorbringen würde, könnte ihre Entscheidung ändern. Er konnte alles in ihren Augen lesen. Er schloss den Mund und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Also gut«, fuhr er schließlich fort. »Warum?«

»Die Burke hat die Drachenfürst zerstört. Es war nicht die LS-1187.«

»Das ist nicht wahr!« Korie bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen.

»Das ist jedenfalls der Schluss, zu dem die Überprüfungskommission der Admiralität gelangt ist …«

»Ich werde die Entscheidung anfechten. Ihre Schlussfolgerungen sind danebengegriffen …«

»Sie werden verlieren.« Etwas Endgültiges lag in dem Ton, in dem sie das sagte.

»Das ist einfach nicht fair …«, wiederholte Korie. Ihm war ganz schlecht. »Sehen Sie, ich weiß, dass unser Schiff eine böse Vergangenheit hat. Ich weiß, dass Sie mich nicht besonders gut leiden können. Ich weiß, dass Sie die Sternenwolf nicht mögen. Sie kennen die Gerüchte genauso gut wie ich selbst – dass meine Mannschaft inkompetent sei und dass Kapitän Lowell kriminell nachlässig gehandelt und das morthanische Wolfsrudel direkt zum Seidenstraßenkonvoi geführt habe; dass unser Schiff verflucht sei, ein Jonas, ein Pechvogel, wie er im Buche steht, ein Ort, wo man all die faulen Äpfel der gesamten Flotte abladen könne und so weiter. Wollen Sie die gesamte Litanei hören? Das war nur die erste Zeile.« Korie wartete nicht auf die höfliche Verneinung der Vizeadmiralin. Er platzte heraus: »Wissen Sie eigentlich, wie weh das tut? Nicht mir – aber der Mannschaft! Haben Sie eine Ahnung, wie es um die Moral an Bord der Sternenwolf bestellt ist? Haben Sie eine Ahnung, wie schwer meine Leute daran arbeiten, den schlimmen Namen vergessen zu machen, den man unserem Schiff unfairerweise gegeben hat? Sie brauchen dringend eine Anerkennung. Sie können uns nicht weiterhin wie ein Stiefkind behandeln! Die Sternenwolf hat sich ihren Namen verdient! Wir haben die Morthaner bluten lassen! Die Zerstörung der Drachenfürst stellt unseren guten Ruf wieder her. Ich trete hier nicht für mich ein, sondern für meine Mannschaft. Sie hat sich das Recht verdient, stolz zu sein auf das, was sie geleistet hat …«

Die Vizeadmiralin wiederholte ungerührt ihre Worte: »Mister Korie, die Entscheidung steht fest. Die Burke hat die Drachenfürst zerstört, nicht die LS-1187.«

»Sie werden sich verdammt anstrengen müssen, um mich davon zu überzeugen. Ich war schließlich dabei!«

Vizeadmiralin O'Hara seufzte. »Ich werde Ihnen jetzt etwas verraten, Mister Korie. Die Information ist streng geheim. Doppelrot-Beta.«

»Ich besitze keine so hohe Geheimhaltungsstufe, Ma'am.«

»Die Information ist dienstlich notwendig. Ich trage die Verantwortung.« Vizeadmiralin O'Hara atmete tief durch und fuhr leise fort: »Die Burke war mit einer Selbstmordmission unterwegs. Wir haben nicht erwartet, dass sie zurückkommen könnte.«

»Ma'am?«

»Ein morthanischer Emissär näherte sich uns durch geheime Kanäle und berichtete von einer ›Koalition morthanischer Kriegsfürsten‹, die angeblich willens waren, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Wir glaubten nicht daran. Hätten Sie es getan? Ihre Flotte hat uns so übel mitgespielt, dass wir die nächsten fünf Jahre nur noch Überfälle aus dem Hinterhalt durchführen können, bis wir uns wieder von diesem Schlag erholt haben. Warum sollten sie ausgerechnet jetzt den Krieg beenden, wo wir auf der Verliererseite stehen? Wir wussten, dass es eine Falle war. Schon lange, bevor unsere künstlichen Intelligenzen alles durchdacht hatten.«

»Und Sie haben die Burke dennoch ausgeschickt?«

»Die Morthaner wollen die ultrazyklischen Fluktuatoren. Und das einzige Schiff in der Nähe, das groß genug gewesen wäre, um die Burke zu entführen, war die Drachenfürst. Die Burke war voller Fallen. Nicht einmal ihr Schiffsgehirn wusste von den Bomben an Bord, geschweige denn, wo sie installiert waren. Niemand wusste etwas. Es war der schwierigste Teil der gesamten Umrüstungsaktion.«

»Aber ihr Kapitän hat doch sicherlich …«

»Nicht einmal der Kapitän.«

»Uff!«

Korie fühlte sich, als hätte man ihm in den Unterleib getreten. »Sie haben sie losgeschickt, damit sie gefressen werden!«

»Das ist richtig. Und ich würde diese Entscheidung jederzeit wieder treffen, wenn ich die Gelegenheit hätte, dadurch ein Kriegsschiff der Armageddon-Klasse zu zerstören. Wir haben die morthanische Flotte geschwächt. Und zwar stark genug, um ihr Vorrücken in die Gebiete der Allianz zu verzögern. Für den Preis eines einzigen Schiffes haben wir mindestens eine Milliarde Menschenleben und unschätzbare Produktionskapazitäten gerettet. Was hätten Sie unter diesen Umständen denn für Befehle erteilt?«

Korie ignorierte die Frage. Sein Interesse konzentrierte sich auf einen anderen Punkt. »Und die Sternenwolf …?«

»Die LS-1187 war nur ein Täuschungsmanöver. Niemand hat erwartet, dass Sie überleben würden. Genauso wenig wie die Burke. Sie waren am Ort des Geschehens, um die Morthaner zu beschäftigen und abzulenken. Das haben Sie auch getan, und die Mission gelang.«

»Dann geben Sie also zu, dass wir unseren Anteil an diesem Sieg haben! Wir haben ebenfalls Fallen aufgestellt. Nakahari hat …«

»Der Assassine hat Ihre Bomben gefunden und entschärft. Ihr Schiffsgehirn hat den gesamten Hergang in einem gesicherten Archiv gespeichert.«

Korie spürte, wie sich seine Kiefermuskeln verkrampften. Schon wieder die gleiche Geschichte. Immer und immer wieder. Ganz egal, was du tust – es ist einfach nicht gut genug. Frustration klang aus seinen Worten: »Werden wir denn wenigstens an der Prämie beteiligt?«

O'Hara schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht rechtfertigen, jedenfalls nicht im Augenblick. Und ich bin auch nicht geneigt, es zu versuchen.« Korie lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hielt dem Blick der Vizeadmiralin stand. Er wusste, dass er verloren hatte.

»Sicher werden Sie auch verstehen, dass die LS-1187 unter diesen Umständen ihren Namen nicht behalten kann. Es gibt keine Sternenwolf.«

Kories Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sagen Sie das noch mal?«

»Ein Schiff muss sich im Feuer bewähren, um einen Namen zu verdienen. Die Vernichtung der Drachenfürst wird der Burke zugeschrieben. Es tut mir leid«, sagte O'Hara. »Wirklich, es tut mir leid.«

Korie starrte die Vizeadmiralin über den Tisch hinweg an. »Nein, das tut es nicht«, entgegnete er. »Das sagen Sie nur, weil es Ihnen in der Situation angemessen erscheint.«

Die Vizeadmiralin hob ihre Hände von der Tischfläche, als wollte sie auf diese Weise verdeutlichen, dass sie nicht wünschte, sich weiter über dieses Thema auszulassen. »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, wenn Sie sich betrogen fühlen.«

»Betrogen?« Korie funkelte O'Hara an. »Das ist ja wohl eine ziemliche Untertreibung. Das Verhalten der Admiralität ist schlicht gesagt widerwärtig.«

»Überlegen Sie gut, was Sie sagen, Fregattenkapitän …!«, unterbrach O'Hara ihn.

»Ich soll überlegen? Den gleichen Rat könnte ich genauso gut Ihnen geben.« Korie beugte sich in seinem Stuhl vor. »Haben Sie überhaupt eine Ahnung, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf meine Mannschaft haben wird? Es wird sie vernichten. Es wird schon schwer genug zu ertragen sein, dass die Abschussprämie den Erben der Mannschaft der Burke zugeteilt wird. Meine Leute besitzen ebenfalls Familien, die sie unterstützen müssen. Sie haben fest damit gerechnet, dass sie Geld nach Hause schicken können. Und jetzt nehmen Sie ihnen auch noch den Namen wieder weg! Warum schneiden Sie ihnen nicht einfach das Herz heraus? Es geht viel schneller.«

»Ich habe ein Empfehlungsschreiben aufsetzen lassen, und es wird Tapferkeitsmedaillen geben …«

»Nein! Das reicht nicht. Behalten Sie Ihr Schreiben für sich! Und Ihre Medaillen ebenfalls!« Korie erhob sich. »Nein! Ich werde nicht zurückgehen und meiner Mannschaft erzählen, dass sie sich ihre Kriegsfarben schon wieder abschminken müssen. Ich werde ihnen nicht befehlen, die Farbe wieder vom Bug des Schiffes abzuwaschen. Wir werden den Namen behalten.«

»Wie bitte?«

»Wir haben ihn verdient. Wir werden ihn behalten. Die Sternenwolf hat morthanisches Blut vergossen. Wir haben den Morthan-Assassinen Esker Cinnabar getötet. Wir waren das. Er hat die Burke zerstört, und wir haben ihn getötet. Es. Was auch immer. Wir haben den Schiffszerstörer zerstört. Wir verlangen unseren Namen und die damit verknüpfte Prämie!«

In O'Haras Gesicht regte sich kein Muskel. Die Vizeadmiralin antwortete nicht sofort. Sie dachte über die Bedeutung von Kories Worten nach. Schließlich sagte sie: »Ein interessanter Standpunkt. Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht sogar bereit, Ihnen in diesem Punkt zuzustimmen. Es wäre gut für die Moral. Aber im Augenblick … Die ganze Angelegenheit ist vollkommen irrelevant. Das Schiff wird sowieso außer Dienst gestellt.« Jetzt war Korie an der Reihe. Zuerst ergaben die Worte der Admiralin überhaupt keinen Sinn für ihn. Sie waren einfach nur irgendwelche Laute. Dann sanken sie in seinen Verstand, und er setzte sich wieder. Langsam sagte er: »Wie bitte?«

»Die sicherste Möglichkeit für uns ist«, erklärte O'Hara, »die LS-1187 zu zerstören …«

»Die Sternenwolf«, verbesserte Korie automatisch.

»Fregattenkapitän Korie, Sie hatten für die Dauer von zweiundsiebzig Stunden einen Morthan-Assassinen an Bord Ihres Raumschiffes. Alles, buchstäblich alles an diesem Schiff steht nun im Verdacht, eine Falle zu sein. Die Anstrengungen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass das Schiff wieder sauber ist …«

Korie unterbrach sie erneut: »… gehören bei anderen Schiffen zur Routine.«

»Andere Schiffe sind andere Schiffe und nicht die LS-1187«, schnappte die Vizeadmiralin zurück. »Wenn wir die Burke so verminen können, dass kein Morthaner die Fallen entdeckt, dann können die Morthaner die LS-1187 genauso präparieren. Wir haben nur drei Dekontaminationsmannschaften auf der gesamten Station. Und wir stehen erst am Anfang, was das Repertoire von Tricks angeht, die die Morthaner sich für uns ausgedacht haben.« Jonathan Thomas Korie atmete lang und tief ein und wieder aus.

»Ich werde die Dekontamination persönlich überwachen. Ich habe Libertyschiffe gebaut, erinnern Sie sich? Die Sternenwolf steht unter Quarantäne. Das ist eine Routineprozedur. Sie wird weiter unter Quarantäne bleiben, bis wir sie dreimal hintereinander mit negativem Resultat überprüft haben.«

»Eine bewundernswerte Haltung. Die Antwort lautet trotzdem nein. Wir brauchen Ersatzteile.«

»Und was, wenn die Fallen in den Ersatzteilen selbst stecken …?«

»Es ist immer noch einfacher, einzelne Module zu dekontaminieren, als das komplexe, integrierte System eines ganzen Schiffs. Und wir brauchen die Teile wirklich dringend.«

»Wir brauchen das Schiff noch viel dringender. Wir haben in diesem Raumsektor mehr als vierzig Prozent unserer Kampfkraft eingebüßt. Muss ich Ihnen all die Schiffe aufzählen, die wir verloren haben? Allein in den letzten drei Monaten die Aronica, die Stout, die Mitchell … Sie können es sich nicht leisten, die Sternenwolf aufzugeben.«

»… und außerdem die Silberstein und die McConnell. Wir haben viel mehr Schiffe verloren, als Sie auch nur ahnen. Aber zumindest die Dupree ist noch raumtüchtig. Oder wissen Sie mehr als ich? Ich kann es mir nicht leisten, weitere Schiffe zu verlieren. Und das ist genau, was Sie verlangen. Unsere Nachrichtendienste sammeln Hinweise auf einen bevorstehenden Schlag der Morthaner gegen das Taalamar-System. Ich muss jedes Schiff losschicken, das mir zur Verfügung steht. Ich habe allein dreizehn Schiffe einschließlich der LS-1187, die wegen Ersatzteilmangels manövrieruntüchtig im Dock liegen. Wenn wir die LS-1187 ausschlachten, dann kann ich elf von ihnen in den nächsten zehn Tagen wieder einsatzbereit machen. Selbst wenn ich Ihrem Wunsch nachkommen wollte, Mister – es geht einfach nicht.«

Korie begann, seine Offiziersinsignien abzuknöpfen.

»Was machen Sie da?«

»Ich quittiere meinen Dienst. Ich kann als Privatmann mehr für die Kriegsanstrengungen tun.«

»Ich werde Ihrer Entlassung nicht zustimmen. Wenn Sie es versuchen, werde ich Sie wegen Pflichtverletzung vor ein Kriegsgericht stellen.«

»Sie werden mich dennoch verlieren. Egal, was Sie anstellen. Ich werde vorbringen, dass ich den Anordnungen meiner Vorgesetzten nicht folgen kann, weil sie für den Kriegserfolg kontraproduktiv sind. Selbst wenn ich die Verhandlung verlieren sollte, habe ich gewonnen. Sie werden am Ende diejenige sein, die angeschmiert ist.«

»Hören Sie auf damit, Jon. Ich brauche Ihre Fähigkeiten noch …«

»Sie haben eine lustige Art und Weise, das zu zeigen.« Korie warf die diamantförmigen Knöpfe{1} auf den Schreibtisch. Sie prallten auf und hüpften einmal, bevor sie wie ein stiller Vorwurf vor der Vizeadmiralin zum Liegen kamen.

»Mein Schiff hat einen Namen verdient. Meine Mannschaft hat eine Prämie verdient. Ich habe meine Kapitänssterne verdient. Wo ist das alles? Das letzte Mal, als ich versuchte, meinen Dienst zu quittieren, erklärten Sie mir, dass es das Beste sei, was man tun könne, die Besatzung der Sternenwolf nicht auseinanderzureißen – weil der Gestank, der an ihnen haftet, ihre Arbeit auf jedem anderen Schiff unmöglich machen würde. Nun, Sie hatten recht. Sie haben noch immer recht. Aber jetzt hat die Mannschaft der Sternenwolf einen Grund, auf ihre Arbeit stolz zu sein. Verstreuen Sie sie auf den anderen Schiffen, und alles, was Sie erreichen, werden dreiundneunzig unzufriedene, frustrierte, demoralisierte Männer sein, die über die gesamte Flotte verteilt ihren Dienst verrichten. Schlecht für sie, und viel schlechter noch für die Schiffe, auf die sie versetzt werden.«

»Ich bewundere Ihre Loyalität gegenüber Ihrer Besatzung, Mister Korie. Aus diesem Holz sind großartige Kapitäne geschnitzt. Unglücklicherweise ist es immer noch die beste meiner sehr eingeschränkten Möglichkeiten, Ihr Schiff außer Dienst zu stellen. Ihre Mannschaft wird es überleben. Sie hat ihre Fähigkeiten auf diesem Gebiet bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Und außerdem – nicht ein einziges der Dekontaminationsteams an Bord der Raumstation will die LS-1187 auch nur berühren … Soweit es mich betrifft, ist das Schiff Abfall. Der einzige Nutzen, den wir noch daraus ziehen können, besteht im Ausschlachten. Verdammt, Jon! Sie hatten einen Morthan-Assassinen an Bord!

Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie ihre Insignien wieder anknöpfen, und ich werde Ihnen eine Stelle als Eins-O auf einem Schlachtkreuzer verschaffen. Das ist alles, was ich für Sie tun kann.«

»Das reicht nicht. Ich lasse mich nicht von Ihnen kaufen, Vizeadmiralin.« Kories Stimme klang leise und beherrscht. »Ich bin ein kampferfahrener Kapitän. Genau das, was Sie im Augenblick benötigen. Was dieser Krieg im Augenblick benötigt. Ich will meine Arbeit tun. Ich will tun, was ich zu tun gelernt habe. Ich bin es leid, dass meine Karriere, meine Mannschaft und mein Schiff immer nur wie Scheiße behandelt werden. Wir haben in den letzten sechs Monaten das neuntbeste Effizienzergebnis der gesamten Flotte erreicht. Ich bin bereit, mein Schiff mit jedem anderen unter Ihrem Kommando zu vergleichen. Wenn Sie uns die Dekontamination verweigern, dann lassen Sie es uns selbst erledigen und unseren Wert ohne Ihre Hilfe beweisen. Ich habe in diesem verdammten Krieg nicht nur meine Frau und meine Kinder verloren, sondern auch das Kapitänskommando, das ich redlich verdient habe – und jetzt gehen Sie hin und drohen, mir auch noch das letzte zu nehmen, das mir verblieben ist – die Möglichkeit, gegen die Morthan-Solidarität zu kämpfen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich dabei mitspiele? Nein. Und ich werde auch nicht in Ruhe zusehen. Wenn Sie uns schon nichts anderes geben können, dann lassen Sie uns wenigstens unseren Stolz. Erkennen Sie unseren Wert an. Lassen Sie uns unsere Arbeit tun.«

»Jetzt hören Sie gut zu, Mister Korie!« Plötzlich schien die Vizeadmiralin wütend. Sie zeigte ihre Frustration und ihren Ärger. »Dort draußen tobt ein Krieg. Es gibt eine ganze Menge mehr, über das ich mir den Kopf zerbrechen muss, als nur einem Haufen verzärtelter Kinder die Händchen zu halten, die losheulen, weil man ihnen ihre Plätzchen weggenommen hat. Die Rechnerintelligenzen berichten von einer morthanischen Flotte, die sich mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfundachtzig Prozent sammelt, um in meinen Raumsektor einzudringen. Wo zur Hölle bleibt da Ihre Loyalität, Jon?« Die Worte der Vizeadmiralin drangen wie aus großer Ferne in Kories Verstand. Er wusste, dass sie recht hatte, aber gleichzeitig lag sie auch falsch. Logistik bestand nicht nur aus einsatzbereiten Schiffen.

Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er vollkommen ruhig war. Was er im Begriff stand zu tun war reiner Karriereselbstmord. Wenn es nicht funktionierte, würde die Vizeadmiralin ihn vor ein Drei-Sterne-Gericht zerren. Und selbst wenn alles lief wie geplant – sie würde ihm nie wieder vertrauen. Und sie würde ihm ganz sicher niemals ein eigenes Schiff geben. Nicht einmal die Sternenwolf.

Und doch. Je länger er das Für und Wider in seinem Kopf abwog, desto weniger konnte er einen Weg sehen, der an seinem Vorhaben vorbeiführte. Er verspürte nicht die geringste Lust, auf einem Schlachtkreuzer zu dienen. Schlachtkreuzer würden diesen Krieg nicht entscheiden. Sie waren viel zu wertvoll, als dass das Flottenkommando sie aufs Spiel setzen würde. Nein. Die leichteren, kleineren Sternenkreuzer waren der Schlüssel zum Sieg.

Vorsichtig begann Korie: »Vizeadmiralin, wissen Sie was? Ich habe eine sehr schlechte Angewohnheit. Ich rede zu viel.«

»Wie bitte?«

»Ich bin nicht sicher, ob Sie darauf vertrauen können, dass ich meinen Mund halte. Ich meine, nehmen Sie einmal an, ich trinke irgendwann nachts über den Durst und beginne die Dinge auszuplaudern, die ich hier erfahren habe. Oder was, wenn ich einen Bettwärmer mit auf mein Zimmer nehme und dann im Schlaf zu reden anfange? Das ist ebenfalls möglich. Aber wenn ich im Raum wäre, weit draußen, dann hätte ich doch gar keine Gelegenheit, die Geheimhaltung zu gefährden, nicht wahr? Es wäre mit ziemlicher Sicherheit für uns beide vorteilhafter, wenn Sie meine Gelegenheiten minimieren, etwas auszuplaudern …«

»Ich bin eine alte Frau, Mister Korie. Ich verstehe nicht, was Sie mir sagen wollen. Werden Sie doch bitte deutlicher.«

»Sie haben mir Doppelrot-Beta-Informationen anvertraut. Und Sie haben sich nicht davon überzeugt, ob ich vertrauenswürdig bin, bevor Sie mir verrieten, dass Sie die Burke geopfert haben. Nun, vielleicht kann man mir wirklich nicht vertrauen? Was meinen Sie?« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich denke nicht, dass es Ihnen angenehm ist, wenn die Hinterbliebenen der Burke-Mannschaft davon erfahren. Tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass es Ihnen äußerst ungelegen käme, wenn irgendjemand außerhalb der Admiralität erfährt, welche Art von Entscheidungen Sie treffen. Und was würden erst Ihre Schiffskommandanten dazu sagen?«

»Sie können mich nicht erpressen, Mister Korie.«

»Meinen Sie wirklich?«

»Zum ersten: Niemand wird Ihnen Glauben schenken. Sie sind unglaubwürdig. Und Sie haben keine Beweise.«

»Kann sein, dass Sie recht haben. Aber Sie müssten trotzdem etwas gegen mich unternehmen, oder nicht? Und je ernsthafter Sie gegen mich einschreiten, desto glaubwürdiger wird meine Geschichte. Und selbst wenn Sie überhaupt nichts machen, kann ich Ihrer Glaubwürdigkeit noch immer nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen. Ganz besonders gegenüber Ihren Vorgesetzten, die wissen, dass ich die Wahrheit erzähle. Und Ihre Karriere wäre genauso zu Ende wie die meine. Wir könnten zusammen den Dienst quittieren.«

Zu Kories Überraschung lächelte O'Hara. Sie lehnte sich zurück. »Ich bewundere Ihren Mut, Mister Korie. Eine sehr nützliche Eigenschaft. Aber ich bin nicht durch Zufall auf diese Seite des Schreibtisches gekommen, Jon. Erinnern Sie sich an Regel Nummer eins? Jugend und Begeisterung sind niemals ein Ersatz für Alter und Erfahrung. Von ein klein wenig Verrat ganz zu schweigen.«

»Die Sache mit dem Verrat stehe ich im Begriff zu lernen«, entgegnete Korie. Und dann fiel ihm etwas auf. Sie hatte nicht gekniffen, aber sie war seiner Herausforderung auch nicht entgegengetreten. Korie musterte die Vizeadmiralin leidenschaftslos. Sie starrte zurück. Der Augenblick dehnte sich schmerzhaft in die Länge, während jeder der beiden versuchte, die Absichten des anderen einzuschätzen. Korie überlegte, ob er noch deutlicher werden sollte. Er wusste, dass Vizeadmiralin O'Hara glaubte, er wäre verrückt genug, seine Drohungen wahrzumachen. Er verließ sich darauf. Es musste reichen. »Wollen Sie herausfinden, ob ich bluffe, Ma'am?«