Die Reise der Jona - David Gerrold - E-Book

Die Reise der Jona E-Book

David Gerrold

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Beschreibung

Der Kampf der Sternenwölfe geht weiter

Die "LS-1187" ist ein Sternenschiff der Zerstörerklasse, bisher in keiner Schlacht erprobt und so neu, dass sie noch keinen Namen hat. Doch schon bei der ersten Mission begeht ihr Captain Jon Korie einen so schwerwiegenden Fehler, dass fast die gesamte Flotte der Menschen ihren Feinden, den Morthans zum Opfer fällt. Nur "LS-1187" kann entkommen und hat sich damit ihren Namen verdient: "Jona", der Feigling. Auf eigene Faust bricht die Mannschaft des Raumschiffes zu einer gefährlichen Mission auf, um die verlorene Ehre wiederzugewinnen – und um Rache zu üben …

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Seitenzahl: 422

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DAVID GERROLD

DIE REISE DER JONA

Roman

Das Buch

Die »LS-1187« ist ein Sternenschiff der Zerstörerklasse, bisher in keiner Schlacht erprobt und so neu, dass sie noch keinen Namen hat. Doch schon bei der ersten Mission begeht ihr Captain Jon Korie einen so schwerwiegenden Fehler, dass fast die gesamte Flotte der Menschen ihren Feinden, den Morthans zum Opfer fällt. Nur »LS-1187« kann entkommen und hat sich damit ihren Namen verdient: »Jona«, der Feigling. Auf eigene Faust bricht die Mannschaft des Raumschiffes zu einer gefährlichen Mission auf, um die verlorene Ehre wiederzugewinnen – und um Rache zu üben …

Der Autor

David Gerrold wurde am 24. Januar 1944 als Jerrold David Friedmann in Chicago geboren. Er studierte Theaterwissenschaften in Los Angeles und schloss 1967 mit einem B.A. ab. Am 8. September 1966 sah er die erste Folge der TV-Serie Star Trek im Fernsehen und war so begeistert, dass er Produzent Gene L. Coon einen Entwurf für eine Doppelfolge schickte, die dieser allerdings ablehnte. Coon erkannte jedoch Gerrolds Talent und bat ihn um weitere Ideen. Eine davon war »Kennen Sie Tribbles?«, die für den Hugo Award nominiert wurde und heute eine der beliebtesten Star-Trek-Episoden ist. Nachdem er einige Kurzgeschichten in Magazinen veröffentlicht hatte, schrieb Gerrold zusammen mit Larry Niven seinen ersten Roman, die SF-Humoreske »Die fliegenden Zauberer«. Anfang der Siebzigerjahre folgten die hochgelobten Romane »Ich bin Harlie« und »Zeitmaschinen gehen anders«, die heute zu den Klassikern des Genres gehören. In den Achtzigern begann Gerrold mit seinem Chtorr-Zyklus, an dem er bis heute arbeitet. Daneben schreibt er weiter Drehbücher, unter anderem zu der für den Nebula-Award nominierten Star-Trek

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Titel der Originalausgabe

THE VOYAGE OF THE STAR WOLF

Aus dem Amerikanischen von Axel Merz

Überarbeitete Neuausgabe

© Copyright 1990 by David Gerrold

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Draußen.

Die ewige Grenze.

Nicht die Dunkelheit kriegt dich. Auch nicht die Einsamkeit. Es ist die Leere. Die unbegreifliche, endlose Leere, die dich von innen heraus in den Wahnsinn treibt.

Sie nagt in dir, beständig, unaufhaltsam, bedrückend, bis du dich fühlst, als müsstest du jeden Augenblick implodieren. Du kannst sie nicht schmecken. Du kannst sie nicht berühren. Aber du spürst sie, ununterbrochen, so nah – nur die Schotten trennen dich von ihr.

Du weißt: Eines Tages wirst du die Luftschleuse öffnen und hinausgehen und ihr von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Du weißt, du wirst es tun, obwohl dir vollkommen klar ist, dass es dein Tod sein wird. Ganz sicher. Aber du hast keinen freien Willen, nicht in dieser Sache; die Frage ist nur, wann? Und wie? Eines Tages wirst du der Ungewissheit nicht länger widerstehen können, und nackt wirst du aus der Schleuse treten, um dieses unerklärliche, unbegreifliche Ding zu treffen, das nicht existiert und nicht geschmeckt, gesehen, oder berührt werden kann: diese Existenz, die der Inbegriff aller Nichtexistenz ist.

Das ist der Keim, aus dem der Wahnsinn sprießt, aus dem er gedeihlich wächst: Das Wissen, dass dort draußen das Unerklärliche, Unbegreifliche, Unverständliche existiert. Es fordert Erklärung, aber der menschliche Verstand ist unfähig, dieses Konzept von Existenz ohne Form oder Substanz zu erklären. Menschlicher Verstand kann sich eine Idee nicht vorstellen, kann sie nicht verstehen, kann sie nicht erfassen; eine Idee, die größer ist als er selbst – und im Angesicht von Möglichkeiten, die größer sind als die Konzepte von Konzepten, quält er sich in ewigem Nichtbegreifen.

Der Verstand kann die Leere nicht erklären, genauso wenig wie er Ewigkeit erklärt. Vollkommene Leere. Endlose Unendlichkeit. Keines von beiden kann begreifbar gemacht werden, keines findet im Bewusstsein des Menschen Raum. Und wenn die beiden erschütternden Wahrheiten sich auch noch vermischen – unendliche Leere oder leere Unendlichkeit – dann strandet der Verstand an den Klippen von Konfusion und Verzweiflung. Der menschliche Geist taumelt angesichts dieser Erfahrung; betäubt, entsetzt, hingerissen, verwandelt: Es ist wunderschön. Es ist grauenhaft. Es ist, als blicke man in das Antlitz Gottes.

Danach bist du nicht mehr die gleiche Person.

Dein Körper, dein Ausdruck, dein gesamtes Denken und Fühlen sind von der Erfahrung des Weltalls verwandelt. Die Art wie du dich bewegst, wie du denkst, wie du fühlst. Niemand, der jemals nackt vor der juwelenfunkelnden Schwärze der Nacht gestanden hat, wird je wieder von ihrem Terror und ihrer Macht frei sein.

Und selbst das alles ist nur eine Andeutung der grandiosen Schrecklichkeit des Hyperraums.

– W. Ilma Meier

Der Seidenstraßenkonvoi

Der Seidenstraßenkonvoi war schon beinahe dreihundert Jahre alt.

Sein Weg ähnelte grob einer gebogenen, gestauchten, sich windenden, mäandernden, ungleichmäßigen Ellipse, führt entlang der Kante des Abgrunds und über sie hinaus, und dann von dort wieder zurück.

Bei genauerer Betrachtung der Route wurde deutlich, dass die Spur des Konvois eigentlich eine Serie verschlungener kleinerer Bögen bildete, die sich durch den galaktischen Spiralarm wanden, bevor sie zögerlich hinausführten in den Abgrund des großen Grabens. Es gab nur je einen einzigen planmäßigen Haltepunkt bei den einsamen Welten von Marathon, Ghastly und George, bevor die Route über den Great Leap und hinüber in den Trichter des geisterhaften Bandes auf der gegenüberliegenden Seite führte, das unter dem Namen Purse bekannt ist. Anschließend wand sie sich in weitem Bogen um The Outbeyond herum in Richtung des Silver Horn, bevor sie wieder auf Gegenkurs ging, mit einem großen Satz über die Narrows und hinunter in das Tal des Todes bis zum Finsteren Herzen, wo sie einen Haken in Richtung des Sterns schlug, der von seinen Bewohnern Last Hope genannt wurde, um sich dann – endlich wieder! –, über die goldene Welt Gloria hinweggleitend, auf den Langen Weg nach Hause zu machen.

Der Seidenstraßenkonvoi war die älteste aller Karawanen auf der Strecke. Nicht die größte Flotte nach Schiffen, aber definitiv die reichste und prestigeträchtigste.

Der Konvoi reiste auf den Spuren eines alten Forschungsschiffes. Kolonien waren dem Schiff gefolgt. Händler waren den Kolonien gefolgt. Im Lauf der Jahrhunderte blühten die Geschäfte auf, und die Route erhielt den Namen Seidenstraße. Die Launen des Schicksals und die Unwägbarkeiten von Glück und Geschichte machten die Route schließlich zu einer der einträglichsten Strecken, die in der Allianz bekannt waren. Zu jeder Zeit waren mindestens dreißig verschiedene Karawanen auf der langen, gewundenen Seidenstraße unterwegs – aber nur der ursprüngliche Konvoi hatte das Recht, den Namen der Handelsstraße zu führen. Der Grund dafür lag darin, dass die Gesellschaft, die aus dem ursprünglichen Seidenstraßenkonvoi hervorgegangen war, auch den größten Teil der Vorstände und des Direktoriums der Seidenstraßenbehörde kontrollierte.

Die Seidenstraßenbehörde war mächtiger als die meisten Regierungen. Sie hielt drei Sitze im Rat der Allianz und kontrollierte beinahe den gesamten Handel – sowohl mit legalen als auch mit illegalen Gütern – innerhalb der elliptischen Sphäre ihres Einflussbereiches.

Die Behörde unterhielt auf jedem Planeten im Umkreis von dreißig Lichtjahren rechts und links der Route größere Büros. Jedes Handelsschiff im Arm hatte für das Privileg, die Route befahren und Passagiere und Fracht über die Büros der Behörde buchen zu dürfen, eine Lizenzgebühr zu entrichten.

Einige Schiffe, wie beispielsweise der berüchtigte Freibeuter Auge des Aragon, zogen es vor, alleine zu fahren. Andere bezahlten dafür, sich einer Karawane anschließen zu können.

Karawanen waren beinahe ununterbrochen unterwegs.

Man stelle sich eine Kette von Schiffen vor, die fast drei Lichttage lang ist. Inseln aus Licht, aufgereiht in der Dunkelheit.

Sie trugen Namen wie The Emerald Colony Handels-GmbH (lizenziert durch die Seidenstraßenbehörde), Great Rift AG (lizenziert durch die Seidenstraßenbehörde) und Interstellare Spedition Zetex (lizenziert durch die Seidenstraßenbehörde). Die Karawanen boten Bequemlichkeit und Sicherheit – und Sicherheit war gerade in der letzten Zeit zu einem wichtigen Gesichtspunkt für interstellare Reisen geworden.

Marathon

Die düstere Welt Marathon hatte nie eigenes Leben gekannt, und sie würde es auch in Zukunft nicht entwickeln. Sie umkreiste einen toten, kalten Stern, verloren in ewiger Finsternis. Geisterhaftes Licht illuminierte bleiche Horizonte. Leben? Hier konnte es nicht mehr sein als ein einsamer Besucher. Der Planet war rau, unfruchtbar und hässlich.

Er war nur durch Zufall entdeckt worden, und reine Notwendigkeit hatte zu seiner Besiedlung geführt. Das einzig Positive an Marathon war seine Lage: ein Drittel des Weges über den großen Abgrund hinweg.

Genau dieser Lage hatte die hässliche Welt es zu verdanken, dass sie zu einer Wegstation auf der langen, einsamen Tour hinüber zur anderen Seite geworden war. Die einzige Siedlung war ein heller Fleck Leben.

Ungeachtet seiner Isolation und abgründiger Öde war Marathon zu einem wichtigen Zwischenaufenthalt geworden, einem Knotenpunkt für kleinere Strecken, die am Rand des Abgrunds entlangführten. Marathon war im Begriff, sich zu einem selbstständigen Handelszentrum aufzuschwingen.

Marathon besaß zwei Nachbarwelten: Ghastly und George. Beide standen in dem Ruf, weit weniger attraktiv zu sein als Marathon. Kaum jemand war bisher selbst dort gewesen, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. Auf George gab es einige Eisminen, und auf Ghastly überhaupt nichts, wenn man von ein paar abgestürzten Sonden absah.

Marathon war nicht wirklich die Grenze, aber es lag in einer Ecke, und das war schlimm genug.

Zu viele dunkle Dinge lauerten hier draußen.

Und zu viele Leute machten sich plötzlich deswegen Gedanken.

Trotz der vielen Patrouillenschiffe hatten die wachsenden Ängste vor einem drohenden Krieg Marathon zu einem Ort von Dringlichkeit und Bedarf gemacht. Allerorten schwebte Panik in der Luft. Der plötzliche Zustrom von Flüchtlingen aus dem Outbeyond hatte einen florierenden Markt für Schiffspassagen entstehen lassen, ohne Rücksicht auf das Reiseziel – solange die Fahrt nur weiter von der Grenze wegführte.

Die örtlichen Büros der Seidenstraßenbehörde gerieten unter starken Druck, die ständig wachsende Nachfrage nach Schiffspassagen zu befriedigen.

Als würden die Flüchtlinge allein nicht schon genug Schwierigkeiten verursachen, hing auch noch eine riesige Zahl von Schiffen starrköpfig im Orbit von Marathon. Ihre Kapitäne weigerten sich strikt, auf ihrer Route weiterzufahren – außer, sie durften sich dem Seidenstraßenkonvoi anschließen.

Wenn er kam.

Gerüchte besagten, dass der Krieg zwischen der Allianz und der Solidarität unmittelbar bevorstand.

Gerüchte besagten, dass die Seidenstraßenbehörde so besorgt war wegen der Unabwendbarkeit der interstellaren Feuersbrunst, dass die große Karawane nicht mehr hier entlangkommen würde. Für eine lange, lange Zeit nicht.

Gerüchte besagten, dass dies hier die letzte Tour der Karawane sein würde, und dass die Route aus Furcht vor den morthanischen Marodeuren aufgegeben würde.

Gerüchte besagten allerdings auch, dass die Allianz im Begriff war, eine gewaltige Flotte aufzustellen, um die Route zu schützen …

Libertyschiffe

Das Gravitationszentrum eines Libertyschiffes bildet die Singularität, ein stecknadelkopfgroßes schwarzes Loch, das die Energieversorgung des Schiffs gewährleistet und außerdem als Fokus für sein Hyperstadium dient. Die Singularität besitzt die Masse eines kleinen Mondes und kann selbst von einem schwachen Gravitationswellenabtaster aus einer Entfernung von mehreren Lichtstunden exakt geortet werden.

Die Singularität wird von der Singularitätsflasche umschlossen, einem sphärischen Magnetkäfig, der drei Stockwerke hoch ist: dies ist der Maschinenraum des Schiffes. Drei Hyperraumfluktuatoren sind auf die Singularität fokussiert; einer von oben, einer von jeder Seite. Sie bilden zueinander Winkel von hundertzwanzig Grad. Die Fluktuatoren ragen aus dem Schiff hervor und sind in drei massiven Säulen untergebracht, die einem Sternenschiff sein charakteristisches stacheliges Aussehen verleihen.

Die Länge der Fluktuatoren ist von der Größe des Schiffes abhängig; der Grund dafür liegt in der Notwendigkeit, die Hyperraumblase präzise um das Schiff herum zu projizieren. Der Hyperraum wird auch I-Raum genannt, oder Irrationaler Raum, was als Ursache für das häufig zitierte, bekannte Sprichwort gilt: ›Man muss irrational werden, wenn man schneller als Licht sein will.‹{1}

Für Beschleunigungs- und Bremsvorgänge im Unterlichtbereich besitzen Libertyschiffe drei Massetreiber, die auf der Hülle montiert sind. Massetreiber bestehen im Prinzip aus langen, dünnen Röhren, die mit supraleitenden magnetischen Ringen umhüllt sind. Man schießt an einem Ende Ionen in die Röhren und beschleunigt sie in den Magnetfeldern auf beinahe Lichtgeschwindigkeit, bevor sie am anderen Ende wieder austreten und auf diese Weise den notwendigen Schub liefern. Die Richtung der Teilchenstrahlbeschleunigung kann zum Bremsen natürlich auch umgekehrt werden. Massetreiber sind bei weitem nicht so leicht zu orten wie der Singularitätsantrieb, dennoch kann der Schweif schneller Ionen, den das Schiff hinter sich herzieht, mit hochentwickelten Ortungsapparaturen entdeckt werden.

Hinter dem Maschinenraum befinden sich die Quartiere der Besatzung, verschiedene Lagerräume, der Hecktorpedoraum und der interne Fährhangar. Der Fährhangar ist gleichzeitig als Frachtschleuse ausgelegt, aber hinten am Heck des Schiffes befinden sich noch weitere kleine Luftschleusen. Meist führen Libertyschiffe zwei Fähren mit sich, gelegentlich zusätzlich ein Kapitänsgig. Als Rettungsboot eingesetzt, können die Fähren je zehn Personen an Bord nehmen – und fünfzig, wenn man die Passagiere kurzfristig in Kälteschlaf versetzt.

Vor dem Maschinenraum liegen drei Decks: Auf dem Oberdeck befinden sich die Offiziersquartiere, auf dem Mitteldeck das Schiffsgehirn und die Hauptmesse, und im Unter- oder Kieldeck die Ausrüstungslager. Noch weiter bugwärts liegt die Kommandozentrale, ein großer, U-förmiger Raum, dessen vorderer Teil von einem hochentwickelten Schirm eingenommen wird. Im rückwärtigen Bereich des Kommandodecks befindet sich die Brücke, eine erhobene Plattform, die durch ein Geländer vom Rest der Zentrale abgetrennt ist und von der aus man den gesamten Raum überblickt. Unterhalb der Brücke liegt ein kleineres Abteil, in dem die autonomen Funktionen des Schiffes untergebracht sind.

Vor der Kommandozentrale befinden sich weitere Mannschaftsquartiere, die Krankenabteilung, der vordere Torpedoraum, die Frontschleusen und Wartungsschächte. Der Kiel läuft durch das gesamte Schiff hindurch. Er ist eigentlich ein Versorgungsschacht, der zugleich als Haupttunnel für die elektro-optische Verkabelung und für Energieleitungen dient.

Auf der Schiffshülle finden sich drei große Bündel von Antennen, Abtastern, Detektoren, Kameras und zusätzlichen Sensoren. Außerdem gibt es zwölf Disruptorstrahlbatterien. Das Schiff besitzt eine doppelte Hülle, um die Atmosphärenintegrität über 99 Prozent zu halten. Beide Hüllen sind extern und intern gegen Partikelstrahlwaffen abgeschirmt. Die meisten Libertyschiffe sind mit Standardschilden der Klasse V ausgerüstet, aber wenn die Kapitäne die Möglichkeit haben, rüsten sie, wann immer die Ausrüstung erhältlich ist, auf Klasse VII auf.

Libertyschiffe besitzen multi-redundante optische Nervensysteme. Die autonomen Funktionen werden von Bündeln von Systemanalyseboxen unterstützt, höhere Denkfunktionen hingegen obliegen einem oder mehreren Harlie-Modulen mit synthetischem Bewusstsein. Die Harlie-Serie wurde mit dem Ziel entworfen, sich anthropomorpher als frühere künstliche Identitäten zu verhalten, und als Folge hiervon tendiert sie dazu, das Schiff als ihren eigenen Körper wahrzunehmen; dies führt zu einem merklichen Anstieg der Überlebensbemühungen der Einheit.

Die Standardstärke der Besatzung auf Libertyschiffen beträgt einhundertzwanzig Personen.

Die LS-1187

Die LS-1187 tat seit drei Jahren Dienst und hatte sich noch keinen Namen gemacht.

Sie war ein Sternenschiff der Zerstörerklasse, ein Libertyschiff. Eines von vielen.

Auf der Seite trug sie die Flagge von Neu Amerika: Dreizehn horizontale Streifen, abwechselnd in Weiß und Rot, und in der linken oberen Ecke ein dunkelblaues Feld mit sieben weißen Kreisen, in deren Zentrum ein einziger heller Stern leuchtete.

Libertyschiffe wurden am Fließband produziert; alle elf Tage verließ ein neues Schiff die Werft. Die Allianz besaß sieben Fertigungsstraßen, die Schiffe produzierten. Die LS-1187 war genau wie alle ihre Schwesterschiffe auch: klein und extrem schlecht ausgerüstet, nur mit dem Notwendigsten ausgestattet, so dass sie überleben konnte.

Die Schiffe wurden so schnell es ging zur Front geschickt, und es war Aufgabe des ihren zugewiesenen Hafens, für die weitere Ausstattung zu sorgen, für interne Annehmlichkeiten, Reservesysteme und Bewaffnung – was auch immer für ihre örtlichen Aufgaben erforderlich sein mochte.

Die LS-1187 hatte sich noch keinen Namen gemacht, denn ihr Schwert hatte noch kein Blut gesehen. Und bis es soweit war, würde sie nichts weiter als eine Nummer bleiben.

Sie war ein schlankes Schiff. Ein dunkler Pfeil, dreihundert Meter lang. Zwischen den beiden vorderen und dem hinteren Drittel ragten drei scharfe Finnen nach vorn aus dem Rumpf. Das waren ihre Fluktuatorsäulen. Das Ende jeder Finne mündete in eine bauchige Linse, die zur Erzeugung der Hyperraumblase notwendig war.

Ihre Marschgeschwindigkeit war Unterlicht.

Innerhalb der Hyperraumblase erreichte die LS-1187 siebenhundertfünfzigfache Lichtgeschwindigkeit.

Ihre Befehle waren denkbar einfach: eine Zeit, ein Ort, ein Vektor.

Zu deutsch: Setzen Sie sich in Richtung des Deep Rift in Marsch. Kommen Sie zu einem bestimmten Jetzt an einem bestimmten Hier mit einer bestimmten Geschwindigkeit in einer bestimmten Richtung aus dem Hyperraum. Achten Sie darauf, dass man Sie nicht verfolgt. Verfahren Sie nach diesen Befehlen, und Sie sind Bestandteil des Großen Konvois aus einer Tausendschaft Schiffen: Tausend verschiedene Schiffe, die alle zur gleichen Zeit an ihren zugewiesenen Plätzen erscheinen und von einem Augenblick auf den anderen in Formation fliegen.

Es war ein gewagtes Spiel, aber wenn es funktionierte, hätten die Außenwelten allen Schutz gegen die Überfälle der Marodeure, den sie nur brauchten.

Wenn es hingegen schiefging …

Admiral Wendayne stand auf der Brücke der Moral Victory und runzelte die Stirn. Er war ein stabiler Mann, sehr gedrungen, sehr kräftig und sehr solide. Außerdem sehr kahl und sehr verbittert.

Im Augenblick betrachtete er eine holographische Projektion des sich versammelnden Konvois.

Er hätte stolz sein sollen – immerhin stammte die Idee von ihm – aber er war es nicht. Er war im Gegenteil verärgert. Man hatte ihm nicht halb so viele Schiffe zugestanden, wie er angefordert und für nötig gehalten hatte; und zu viele der Schiffe des großen Konvois waren kleine Libertyschiffe, unerprobt und nicht getestet. Zu viele trugen Nummern statt Namen.

Nichts lief jemals so, wie man es geplant hatte.

Ein Adjutant trat vor den Admiral und salutierte: »Die LS-1187 hat sich dem Konvoi angeschlossen, Sir.«

Der Admiral war alles andere als überwältigt. »Hmmm.« Dann fiel ihm ein, dass der Adjutant auf eine Antwort wartete. »Na gut. Heißen Sie sie willkommen.«

Der Adjutant, ein junger Bursche, salutierte und wandte sich zu einer Konsole. Er murmelte ein Kommando an IRMA, den Schiffsrechner. Ein Schirm in der Konsole leuchtete auf, und ein Satz von Sicherheitskodes erschien, gefolgt vom Emblem der Flotte und schließlich vom Konterfei des Admirals. »Ich begrüße Sie … Kapitän Lowell, und die Mannschaft der LS-1187. Ihre Teilnahme an dieser Operation bedeutet einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Allianz. Ich heiße Sie im Namen …«

Die Botschaft wurde verschlüsselt, in eine Serie von Impulsen übersetzt und durch die Zerhacker der Hyperraumblase des Flaggschiffs geleitet. Die Blase schimmerte. Jedes Schiff in Ortungsreichweite konnte das Schimmern der Hyperraumblase auffangen, aber nur die mit den entsprechenden Kodeschlüsseln würden imstande sein, etwas mit dem Schimmern anzufangen und es in eine sinnvolle Nachricht zu übersetzen. Die Kodes der Allianz waren Wegwerfkodes. Sie wurden nur ein einziges Mal benutzt und dann nie wieder.

An Bord der LS-1187 wurde die Nachricht in Echtzeit automatisch übersetzt und abgespielt. Der Nachrichtenkopf identifizierte die Botschaft als Standardgruß. Empfangsbestätigung nicht erforderlich.

»… der Admiralität willkommen und möchte Ihnen danken, dass Sie sich der Vereinigten Alliierten Sternenflotte für Spezialaufgaben im Sektor Marathon angeschlossen haben. Sie dürfen jetzt Ihre versiegelten Befehle öffnen. Noch einmal: Herzlich willkommen!«

Kapitän Sam Lowell nickte dem Bild des Admirals ironisch zu. Lowell war ein älterer, sympathisch aussehender Mann.

Neben ihm auf der Brücke stand Jonathan Thomas Korie, sein Erster Offizier. Korie schien beschäftigt; er lauschte angestrengt in seinen Kopfhörer. Dann runzelte er die Stirn. Er wandte sich um und blickte auf den großen, elliptischen Holoprojektor in der Mitte der Kommandozentrale.

Die Brücke – der Teil der Zentrale, der als Brücke bezeichnet wurde – war eine erhöhte, geländerbewehrte Plattform im hinteren Teil der Kommandozentrale.

Die Brücke beherrschte den Raum; von hier aus konnte Korie die Tätigkeit aller acht Offiziere an den Konsolen unter sich beobachten.

Die gesamte vordere Hälfte der Zentrale wurde von einem gigantischen, gewölbten Schirm eingenommen, der sich deckenhoch entlang der runden Wand krümmte. Jetzt, in diesem Augenblick, schien das Bild vorzugaukeln, sie stünden unter freiem Sternenhimmel und hätten ein ungetrübtes Panorama auf den großen Abgrund vor sich. Der Hauptschirm zeigte eine Simulation der entfernten Sterne, überlagert von dunklen Gitternetzlinien. Das Sternenschiff schien durch ein dreidimensionales Gerüst von Linien zu schweben, die im Abstand von fünf Lichtminuten angeordnet waren.

Korie blickte sich zu seinem Kapitän um, als dieser sagte: »In Ordnung, ich habe genug gehört.« Er streckte die Hand aus und schaltete die Übertragung ab. Auf Kories fragenden Blick hin erklärte er: »Ich kenne die Rede auswendig. Wenn Sie erst selbst Kapitän sind, werden Sie sich das ganze noch oft genug anhören müssen. Sie werden rechtzeitig das ganze verdammte Repertoire auswendig können …«

Kapitän Lowell zog einen dunklen Umschlag aus einer Tasche seiner Uniformjacke und brach vorsichtig das Siegel. Er entfaltete drei Blatt graues Papier, überflog sie rasch und reichte sie nacheinander an seinen Ersten Offizier weiter.

»Hmmm …«, sagte Korie. »Keine Überraschungen.«

»Haben Sie welche erwartet?«

Korie schüttelte den Kopf.

Kapitän Lowell hakte ein Handmikro von seinem Gürtel. Seine Stimme ertönte im gesamten Schiff, als er begann: »Hier spricht der Kapitän. Wir befinden uns sieben Komma fünf Lichtjahre vor Marathon. Wir haben unsere zugewiesene Position im Konvoi eingenommen und sind offiziell von Admiral Wendayne begrüßt worden. Von diesem Augenblick an operieren wir unter höchster Alarmstufe.«

Quer durch die Kommandozentrale erklang gepresstes Stöhnen, aber nicht laut genug, um Korie zu ärgern oder Kapitän Lowell zu erheitern.

Der Kapitän fuhr fort: »In Ordnung, unterbrechen Sie Ihr Geschnatter. Der Admiral ist der Meinung, dass wir eine gute Chance haben, den Feind hier in der Gegend zu stellen. Ich persönlich glaube zwar nicht daran, aber vielleicht weiß der Admiral mehr als wir. Deshalb ist er ja auch Admiral und Sie nicht. Also, bleiben Sie wachsam, alle miteinander. Das war's schon, danke.«

Er hakte das Mikrophon wieder in seinen Gürtel und blickte den Ersten Offizier an. »Verstehen Sie, warum ich das getan habe?«

»Ich denke schon, Sir.«

»Dieses Schiff wird bald unter Ihrem Kommando stehen. Ich möchte, dass Sie gut darauf achtgeben. Es ist ein stolzes Schiff.« Er nickte in Richtung der Brückenbesatzung. »Es hat mit Vertrauen zu tun. Sie müssen ehrlich mit ihnen sein, Mister Korie. Belügen Sie niemals Ihre Besatzung.«

»Ich verspreche es, Sir. Ich werde sie nie belügen.«

»Halten Sie dieses Versprechen, und Sie werden ein guter Kapitän«, sagte Lowell. »Ich habe die Mannschaft nie belogen, und es gibt nichts, dessen ich mich schämen müsste.« Wehmütig fügte er hinzu: »Ich wünschte nur, …«

»… dass das Schiff sich einen Namen verdient hätte, Sir? Nicht wahr?«, beendete Korie den Gedanken für ihn.

Der Kapitän nickte. »Ja, Sie haben recht. Sie kennen mich zu gut.«

»Wir werden Sie vermissen, Sir.«

»Ich sterbe ja nicht, Mister Korie. Ich gehe nur in den Ruhestand. Und in der Zwischenzeit«, fuhr er grinsend fort, »schenken Sie lieber den Instrumenten etwas mehr Aufmerksamkeit.« Er zeigte mit dem Finger in Richtung eines Schirms. »Was ist das?«

Korie warf einen Blick auf die Konsole vor sich, und dann hinunter auf das Deck, wo Flugingenieur Hodel am Holoprojektor arbeitete.

Mikhail Hodel war ein junger Bursche mit professionellem Auftreten, aber er war auch temperamentvoll und unbeherrscht und bekannt für die Besessenheit, mit der er seinem Beruf und seinen Hobbys nachging. Im Augenblick studierte er intensiv ein viel zu helles Schimmern, das seine Spur durch ein sich verschiebendes Gitternetz zog.

Als Korie herunterkam und sich zu ihm stellte, blickte er auf.

»Kam eben einfach aus dem Nichts, Sir«, meldete er. »Ich kenne die Signatur nicht. Sehen Sie sich den Welleneffekt an – als würde das Schiff ihn eindämmen oder unterdrücken.«

»Wo ist es hergekommen?«, fragte Korie.

Hodel schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Sir. In einem Augenblick war es noch nicht da, und im nächsten …«

Korie starrte angestrengt auf die vor ihm schwebende Darstellung. »Ich habe noch nie einen Reflex wie diesen gesehen – nicht einmal in Simulationen.«

Hodel blickte ihn unglücklich an. »Ich glaube, das Schiff ist uns gefolgt, Sir.«

»Unmöglich. Wir hätten es sehen müssen. Wenn es unsere Hyperblase sehen kann, dann können wir auch seine entdecken.«

»Vielleicht nicht, Sir …«, platzte Hodel mit seinen Befürchtungen heraus. »Es gibt eine Möglichkeit, sich zu verbergen – eine sehr große Blase kann gedämpft werden. Sie hat dann immer noch einen viel größeren Sichtbereich als die eines kleineren Schiffes.«

Korie schüttelte zweifelnd den Kopf. »Aber die Dichte würde …«

»… aussehen wie das da«, fiel Hodel ihm ins Wort und deutete auf den Holoprojektor.

Korie enthielt sich einer Antwort. Hodel hatte recht. Der Reflex kam viel zu schnell heran. »Harlie?«

Der Schiffsrechner antwortete ohne zu zögern: »Ich schätze, ein Schlachtkreuzer der Drachenklasse. Er hat seine Antriebe gedämpft, um einer Langstreckenortung zu entgehen.«

»Wahrscheinlichkeit?«

»Sechsundachtzig Prozent.«

»Gut geraten«, sagte Korie zu Hodel, aber der Flugingenieur freute sich nicht über das Kompliment.

»Ich hätte mich lieber geirrt, Sir.«

Korie wandte sich zur Brücke, aber Kapitän Lowell kam bereits zum Holoprojektor herunter. »Es kann nur ein einziges Schiff sein – die Drachenfürst –, aber nach den Erkennungsdienstberichten befindet sie sich auf der anderen Seite des großen Abgrunds. Die Solidarität hat nicht so viele schwere Kaliber, auf die sie verzichten könnte.«

»Wie zuverlässig war die Meldung?«, fragte Korie.

»Zuverlässig genug für das Oberkommando.« Der Kapitän schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn der Admiral gewusst hätte, dass ein Schlachtkreuzer der Drachenklasse in der Gegend auf der Lauer liegt, dann hätte er niemals diesen Konvoi aufgestellt.« Nachdenklich kratzte er seinen kahlen Kopf. »Nun, es hat wahrscheinlich keine größere Bedeutung. Der Kreuzer ist allein. Er will uns nur Angst einjagen.«

»Es funktioniert jedenfalls. Ich mache mir Gedanken«, sagte Hodel.

»Beruhigen Sie sich«, entgegnete der Kapitän. »Er wird nicht angreifen. Die Solidarität ist nicht so dumm.«

Plötzlich wurde das Schimmern heller und dehnte sich aus. Und dehnte sich weiter aus. Und noch weiter …

»O mein Gott!«, stöhnte Hodel. »Sehen Sie nur, wie weit sie ihre Hyperblase aufbläht!«

»Das wird ein Angriff!« Korie hetzte bereits zu seinem Terminal.

»Nein!«, widersprach Lowell. »Nein! So dumm können sie einfach nicht sein! Niemand ist so dumm und greift ganz alleine …«

Plötzlich schaltete die Beleuchtung der Zentrale auf Rot. Alarmsirenen schrillten durch das Schiff.

Korie lauschte in seinen Kopfhörer. »Signal vom Flaggschiff, Sir!«

»Es ist die Drachenfürst«, sagte Hodel und starrte voller Entsetzen auf den schimmernden Fleck im Holoprojektor. »Die Signatur ist bestätigt.«

»Und sie hat ein Wolfsrudel hinter sich herangeführt!«, fügte Kapitän Lowell hinzu. Das Blut wich aus seinem Gesicht. Plötzlich sah er alt und grau aus.

Korie vergaß für einen Augenblick seinen Kopfhörer und wandte sich erneut dem Holoprojektor zu. Was er sah, schien seinem schlimmsten Albtraum zu entspringen. Hinter dem sich ausdehnenden Schimmern der Drachenfürst erschienen andere Flecken. Viel zu viele. Ein pinkfarbenes Schimmern nach dem anderen leuchtete auf.

Korie blickte den Kapitän an, doch der alte Mann schien zur Salzsäule erstarrt.

»Sir …?«

Kapitän Lowell hob schwach eine Hand, als wollte er etwas sagen. Ein Gedanke durchzuckte Korie: Er war noch nie in einer echten Schlacht!

Der Erste Offizier wirbelte herum. »Feuerleitstelle! Nehmen Sie sie ins Visier! Alle Mann auf Kampfstation! Bereithalten zum Feuern!«

Beinahe im gleichen Augenblick antwortete Harlie: »Ziel steht.«

Kapitän Lowell blinzelte, als würde ihm erst jetzt wieder einfallen, wo er sich befand. »Ähhh … wie lauten die Befehle vom Flaggschiff?«

»Verteilen und angreifen.«

»Ach ja. Richtig.« Kapitän Lowell nickte. »Hmmm. Disruptorbatterien, Feuer frei!«

Korie warf ihm einen scharfen Blick zu. Was dachte der alte Mann sich dabei? Die Angreifer befanden sich noch immer im Hyperraum, fünfzig Lichtminuten entfernt, zwei Minuten Realzeit! Disruptoren waren reine Nahkampfwaffen. Die einzige Möglichkeit, ein Schiff im Hyperraum anzugreifen, war, seine Hyperraumblase mit einem Feldeffekttorpedo zu treffen.

Vielleicht ist er ja nur ein wenig durcheinander, dachte Korie. Aber er erkannte im gleichen Moment die Wahrheit, in dem er versuchte, sie zu übersehen. Der Kapitän war wie betäubt vom Ausmaß der Katastrophe. Der riesige holographische Projektor beherrschte die Kommandozentrale, und jeder Offizier, der hier Dienst tat, konnte den Horror mit eigenen Augen sehen. Die hellen pinkfarbenen Flecken des morthanischen Wolfsrudels verteilten sich entlang der Flanken des Konvois. Die Schiffe der Allianz begannen schwerfällig, aus der Formation auszuscheren – aber langsam, viel zu langsam. Sie besaßen nicht das gleiche Masse-zu-Kraft-Verhältnis wie die leichteren Schiffe der Morthan-Solidarität. Die Marodeure konnten die Fracht- und Passagierschiffe nach Belieben ausmanövrieren – und die meisten Allianz-Zerstörer ebenfalls!

Die unbewaffneten Schiffe des Konvois hatten nur eine einzige Chance: sich zu zerstreuen und zu versuchen, in die dunklen Tiefen des großen Abgrunds zu fliehen, während die Kriegsschiffe zurückblieben und den Ansturm parierten. Die Schlacht würde sich über mehrere hundert Lichtstunden im Hyperraum hinziehen – aber das änderte nichts: Das einzige, was zählte, waren Sicht und Abfanggeschwindigkeit. Das Wolfsrudel würde sich auf die fettesten Ziele stürzen. Die Zerstörer würden das Wolfsrudel jagen. Die Schlachtschiffe würden komplexe Ausweichmanöver fliegen.

Und im Zentrum der Schlacht befand sich der hellste Fleck, der im Hologramm leuchtete wie eine fette rote Spinne in ihrem glitzernden Netz: die Drachenfürst. Ihre riesige Hyperraumblase bildete eine Ortungslinse mit einer Reichweite, die größer war als die aller anderen Schiffe in der Schlacht. Sie war imstande, die fliehenden Schiffe des Konvois noch tagelang zu verfolgen. Sicher, sie selbst wäre ebenso sichtbar, aber auch das war ein Vorteil: Sie konnte jedem Schiff des Wolfsrudels Anordnungen und Befehle übermitteln. Nichts und niemand könnte ihr nahekommen, aber sie würde den gesamten Verlauf der Schlacht im Auge behalten.

Die Schiffe der Allianz waren hilflos gegen einen Feind mit derartigen strategischen Vorteilen.

Mit einem Schlag durchschaute Korie den ganzen Plan. Er war schlichtweg brillant. Widerwillig musste er seine Raffinesse bewundern. Das war nicht nur ein Angriff von Marodeuren auf einen Konvoi, das hier war mehr. Sie wollten die Seidenstraße durchschneiden und die Welten der Allianz auf der anderen Seite des großen Abgrunds isolieren. Die Drachenfürst würde alles vernichten, was sich zwischen hier und Marathon befand, und weit mehr noch. Und mit dem Chaos, das in der Flotte herrschte, gäbe es keinen Schutz mehr für die abgelegenen Welten.

Unauffällig stellte sich Korie an Kapitän Lowells Seite. Es schien, als würde die gesamte Kommandozentrale blinken, summen, piepsen und klingeln. Er ignorierte die Orgie aus Licht und Tönen. »Was ist mit Raketen, Sir?«, schlug er vor.

»Ja, ja. Natürlich.« Der alte Mann blickte ihn beinahe dankbar an. »Raketen fertigmachen!«

»Ich schlage ein Ausweichmanöver vor, Sir!«, sagte Korie.

»Ja, gut! Machen Sie das.« Der Kapitän gab bereitwillig nickend seine Zustimmung.

Hat er Angst?, überlegte Korie. Bis jetzt konnte nur Hodel etwas bemerkt haben – und der Flugingenieur war viel zu sehr mit seinen Kontrollen beschäftigt, um etwas dazu zu sagen.

Hodels Paneel blinkte und flackerte. Er schlug mit der Faust auf die Konsole, heftig – eher als wütende Reaktion denn als Heilmittel, weil der Computer sich aufgehängt hatte und am laufenden Band widersprüchliche Informationen ausspuckte; vom Schlag erwachten die Schirme sofort wieder zum Leben. Hodel murmelte einen erstickten Fluch und wandte sich erneut seiner Arbeit zu, indem er komplexe Serien von Ausweichmanövern berechnete.

Und dann warf er Korie einen vielsagenden Blick zu. »Es wird nicht funktionieren.«

»Halten Sie den Mund, Mann!«, erwiderte Korie. »Oder wollen Sie ewig leben?«

»Es ist eine Falle«, sagte Lowell. Er hatte sichtlich die Fassung verloren. »Wir können nicht zugleich gegen die Drachenfürst und ein Wolfsrudel kämpfen.«

Korie bemerkte, dass der Mann von Sekunde zu Sekunde immer mehr erschlaffte, aber jetzt war keine Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Wenn ein Angriff der Albtraum jeden Kapitäns war, dann war der Zusammenbruch Kapitän Lowells der Albtraum seines Ersten Offiziers. Es würde alles an ihm hängenbleiben. Das Zielerfassungsprogramm riss ihn aus seinen finsteren Gedanken. Korie machte weiter: »Ziele in Reichweite!«

»Raketen scharf!«, rief Li von der Feuerleitstelle. »Zielerfassung … eins, zwei – feuerbereit!«

Unmerklich berührte Korie den Kapitän am Arm.

Es funktionierte.

»Alle Raketen abschießen«, sagte Lowell, ohne den Schubser Kories zu bemerken.

Die beiden Männer im Raketenleitstand, Li und Green, schlugen auf rote Knöpfe. Tafeln blinkten erst gelb, dann grün.

Torpedoklappen schwangen auf. Die Raketen fielen aus dem Leib der LS-1187 …

… und die helle Blase, die das Schiff umgab, flackerte und erlosch. Hart fiel das Schiff aus dem Hyperraum zurück. Ein Dutzend Raketen schoss beschleunigend davon. Das Schimmern der Blase kehrte plötzlich zurück, und das Schiff war erneut Überlicht. Die Raketen zündeten bereits ihre Hyperraumbrenner. Sie flammten hell vor der Schwärze des Hintergrunds auf und schossen mit einer Geschwindigkeit in Richtung ihrer Ziele, der kein Schiff entkommen konnte. Auf dem Holoprojektor waren sie als helle rote Punkte zu erkennen, viel schneller als jene pinkfarbenen, die die morthanischen Schiffe repräsentierten.

Die Raketen würden ihre Ziele suchen, sich ihnen unaufhaltsam nähern, sie verfolgen. Sie würden sie abfangen und schließlich zerstören. Man konnte ihnen nicht entkommen – aber sie hatten nicht die Ausdauer eines größeren Schiffes. Sie mussten ihr Ziel innerhalb weniger Minuten treffen, oder sie würden ausbrennen und ziellos dahintreiben.

Das Taktikdisplay erzählte die ganze Geschichte. Pinkfarbenes Schimmern blinkte auf, und ein Dutzend stecknadelkopfgroßer roter Pünktchen überbrückte den Raum und raste auf das nächstgelegene blaue Schimmern zu. Oder blaues Schimmern blinkte, warf selbst Raketen aus – aber die meisten blauen Punkte flohen, zerstreuten sich und liefen mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung der Dunkelheit davon.

Korie beobachtete ein bestimmtes Bündel von Raketen. Ein paar pinkfarbene Punkte flogen Ausweichmanöver. Wahllos verteilte helle Blitze zeigten an, wo andere Schiffe sich bereits in Nichts auflösten.

Die meisten von ihnen waren blau.

»Wir haben die Melrose verloren«, sagte Hodel. Er starrte auf die Monitore vor sich. »Und die Gover. Die Columbia ist ebenfalls erledigt.«

Korie wandte sich zu Kapitän Lowell um.

»Sie haben recht, Sir«, sagte er vorsichtig. »Wir sind zu deutlich erkennbar. Ich schlage vor, wir verschwinden aus ihren Displays und gehen Unterlicht …«

»Wir können uns nicht vor ihnen verbergen«, schrie Hodel. »Sie werden uns finden!«

»Wir haben keine Zeit, um jetzt darüber zu diskutieren«, erwiderte Korie. Er zeigte auf den Holoprojektor. »Sehen Sie! Raketen haben sich auf uns eingepeilt!«

Die Raketen kamen aus drei verschiedenen Richtungen. Die Software schrie einen Alarm nach dem nächsten. Das Display blinkte wie verrückt.

Lowell sagte etwas, aber Korie verstand ihn nicht; er nahm an, es bedeutete Zustimmung. »Machen Sie schon!«, brüllte er Hodel an, und der Flugingenieur hämmerte auf die Tasten seiner Konsole. Das Raumschiff erzitterte, als die Hyperblase ringsum kollabierte.

»Schiff riggen für ankommende Schockladung …«

Korie hatte nicht genügend Zeit, seinen Befehl zu Ende zu formulieren. Ein schwacher Ausläufer des Feldeffekts einer Hyperraumrakete traf das Schiff, und die Auswirkungen waren genauso vernichtend wie ein Volltreffer aus einer Disruptorbatterie. Jedes elektrische Feld in der LS-1187 war innerhalb eines einzigen Augenblicks entladen. Jedes Instrument, jede Maschine, jede Kommunikationseinrichtung, und jedes menschliche Wesen an Bord waren innerhalb Bruchteilen von Sekunden paralysiert.

Alle Neuronen feuerten gleichzeitig. Es war, als würde man einen elektrisch geladenen Draht berühren. Die Mitglieder der Besatzung wurden auf der Stelle stocksteif, als ihre Nervensysteme sich entluden. Ihre Herzen erstarrten und waren nicht mehr fähig zu schlagen. Ihre Muskeln verkrampften sich in Agonie.

Ungewollte Schreie pressten sich aus ihren Lungen, und ihre Gehirnzellen sanken in schwarzes Vergessen, nachdem sie massive Anfälle konvulsivischer Zuckungen ausgelöst hatten; ihre Gedärme und Blasen öffneten sich, und einige Männer ejakulierten unfreiwillig. Hodel verkrampfte sich und flog rückwärts aus seinem Sitz. Das rettete sein Leben. Seine Konsole versprühte Funken und flog in die Luft. Kapitän Lowell stolperte und wäre beinahe gestürzt. Korie packte ihn, und sie fielen gemeinsam zu Boden. Vor Kories Augen flackerten bunte Blumen aus pinkfarbenem Feuer auf, und dann nichts mehr …

Auf der Brücke dauerten die Auswirkungen der Feldeffektwelle an.

Überall flammte wildes elektrisches Feuer auf. Blitze hüpften über das Deck, tanzend, leuchtend, spuckend, brennend.

Überall auf der Brücke und in der Zentrale taumelten und zitterten und stolperten Besatzungsmitglieder über das Deck.

Hilflos. Ein purpurnes Flackern erfasste Kapitän Lowell und hüllte ihn ein.

Das gleiche Flackern raste durch den Maschinenraum und die Gänge des Schiffs, entlang des Singularitätsgitters, das die Energiequelle enthielt: ein stecknadelkopfgroßes schwarzes Loch. Die Energie fand keinen Ort, an dem sie sich entladen, ihr Potenzial abgeben konnte; sie versuchte, sich in tausend Richtungen auszubreiten und zu verteilen. Schließlich fand sie eine schwache Stelle und sprang durch die Disruptorbatterie an Backbord hinaus in den Raum. Die Waffentürme explodierten in einer Blume aus Funken und Feuer.

Und die LS-1187 trieb tot im All.

Ins Leben zurückgekehrt

Für ein Äon trieb das Schiff tot dahin.

Dann, langsam, schmerzvoll, zögernd, erwachte wieder Leben an Bord. Ein Herzschlag, ein Atemzug, ein Zucken, und schließlich sogar der Anflug eines Gedankens. Irgendjemand bewegte sich. Jemand anderes hustete. Ein Stöhnen durchdrang die Finsternis. Schrecklicher Gestank lag in der Luft.

Im Schiff herrschte völlige Dunkelheit. Und eine Stille, die einem Angst einflößen konnte.

Die gewohnten Hintergrundgeräusche waren verstummt. Schreiend erlangte Korie das Bewusstsein zurück. Er fühlte sich, als würde er brennen. Seine Nervenenden kreischten, und er war unfähig, eine Bewegung zu machen – aber er konnte auch nicht bewegungslos daliegen. Er versuchte, sich aufzurichten, aber es ging nicht. Er schwebte taumelnd durch die Zentrale, stieß irgendwo an, prallte ab und schwebte in die entgegengesetzte Richtung zurück. Er konnte sich nicht konzentrieren. In seinem Kopf klingelte alles. Schwerelosigkeit, erkannte er mühsam. Die Gravitation ist ausgefallen.

Er streckte seine Arme und stöhnte vor Schmerzen. Er versuchte, herauszufinden, wo er war; versuchte, sich festzuhalten. Sein Kopf schlug irgendwo an, und sein Körper drehte sich. Er griff ins Leere, griff erneut zu, und schließlich bekam er ein Geländer in die Hände und hielt sich daran fest. Etwas Schweres stieß gegen ihn. Etwas Weiches, Nasses. Es fühlte sich an wie ein Körper, und er griff mit der freien Hand danach und hielt ihn fest. Wer auch immer es sein mochte, er war noch bewusstlos. Oder …

»Harlie?«, fragte er in die Dunkelheit.

Das Schiffsgehirn blieb stumm.

Er hatte keine Antwort erwartet. Trotzdem, das waren schlimme Nachrichten. Wenn das Schiff tot war, dann waren sie es auch. Oder zumindest so gut wie. Die steigende CO2-Konzentration würde ihnen innerhalb von einigen Stunden den Rest geben. In seinem Kopf hämmerte es. Seine Uniform war mit Blut und Schweiß getränkt. Außerdem hatte er sich in die Hose gemacht.

»Raumanzüge«, dachte Korie laut.

Aber wenn die Energieversorgung des Schiffes zusammengebrochen war, dann wären die Raumanzüge wahrscheinlich ebenfalls unbrauchbar.

Was stimmte nicht mit der Notstromversorgung? Warum hatten sie sie noch nicht eingeschaltet?

»Sir? Kapitän?« Lis Stimme. Sie klang gepresst. »Mister Korie? Kann mich jemand hören?«

Korie brachte seinen Atem unter Kontrolle. Es war nicht zu glauben, wie seine Lungen brannten. »Hier«, antwortete er. »Können Sie sich bewegen?«

»Ich weiß nicht. Ich hänge irgendwo fest. Was stimmt nicht mit der Energieversorgung?«

»Ich habe keine Ahnung. Wer ist sonst noch bei Bewusstsein?«, rief er.

Stöhnen und Bitten um Hilfe kamen als Antwort. Irgendjemand weinte leise. Das ist ein gutes Zeichen, dachte Korie. Wenn du stark genug bist zum Weinen, dann bist du auch stark genug, um wieder gesund zu werden. »Hodel?«, fragte er in die Dunkelheit. »Hodel, wo sind Sie?«

Das Weinen verstummte.

»Hodel? Sind Sie das?«

»Hier drüben, Sir.« Eine andere Richtung.

»Sind Sie in Ordnung?«

»Bald. In einem Jahr oder so.«

»Ich glaube, die Notstromversorgung hat versagt. Wir werden die Brennstoffzellen manuell einsetzen und dem System Starthilfe geben müssen.«

Hodel stöhnte.

»Können Sie sich bewegen?«

»Kann ich. Wenn ich nur wüsste, wo ich bin.«

»In Ordnung. Ich halte ein Geländer. Und irgendeinen Körper. Warten Sie eine Minute, ich will sehen, ob ich herausfinde, wer es ist.« Vorsichtig tastete Korie mit der Hand über den Körper des anderen Mannes und versuchte, die Schulter zu finden, wo er die Rangabzeichen fühlen konnte.

Es war Kapitän Lowell.

Er zog den Kapitän dichter zu sich heran und tastete nach seiner Halsschlagader.

Er konnte nicht sagen, ob Lowell noch lebte oder nicht.

Es widerstrebte Korie, ihn gehen zu lassen.

Aber er konnte sowieso nichts für den Kapitän tun, bevor das Licht in der Kommandozentrale nicht wieder brannte. Korie tastete sich am Geländer entlang. Es war das Geländer der Brücke. Er erreichte das Ende und tastete nach unten auf das Deck. Gut. Jetzt wusste er zumindest, wo er sich befand.

Sich noch immer am Geländer haltend, fühlte er den Weg entlang des Decks zurück zu den Notfallpaneelen.

Wenn ihn nicht alles täuschte …

Er öffnete das Paneel im Boden und tastete in der Aussparung herum. Da. Er zog einen Handscheinwerfer hervor und betete im Stillen, dass er noch funktionierte. Eigentlich sollte er das, denn er besaß eine eigene Brennstoffzelle.

Und er funktionierte.

Rufe wurden laut, als er den Lichtstrahl über die Zentrale schweifen ließ. In der Nähe des Kapitäns schwebten zwei weitere bewusstlose Gestalten. Dunkle Kugeln von Blut und Erbrochenem und Kot schwebten herum. Hodel hing in seinem Sitz; ebenso Li.

»Hodel? Können Sie sich bewegen?«

»Ich hab's noch nicht versucht …« Vorsichtig schob er sich aus dem Sitz in Kories Richtung. Er schwebte durch die Kommandozentrale und klammerte sich am Geländer der Brücke fest. Als er ankam, schnitt er eine Grimasse. »Wenn sich Totsein so anfühlt, dann gefällt es mir aber gar nicht.«

»Es ist nicht das Totsein, das wehtut, Hodel. Es ist das Wiederauferstehen.«

»Verdammt langer Weg, wieder aufzuerstehen, Sir. Mir tut alles weh.«

»Den anderen geht es genauso«, sagte Korie und gab Hodel den Scheinwerfer. »Halten Sie ihn dorthin gerichtet …« Er zog sich über das Deck zum nächsten Notfallpaneel und öffnete es. Im Innern befand sich eine doppelte Reihe von Knöpfen. Er drückte sie nacheinander.

Nichts.

Korie und Hodel tauschten besorgte Blicke.

»Versuchen Sie's noch mal?«

Korie nickte und drückte die Knöpfe erneut.

Wieder nichts.

»Scheiße«, fluchte Korie. »In Ordnung, wir werden wohl in den Kiel hinunter müssen und jede einzelne Brennstoffzelle ausprobieren, bis wir eine finden, die noch funktioniert. Eine einzige reicht schon. Noch sind wir nicht tot.« Er öffnete das nächste Paneel und begann, Werkzeuge an Hodel weiterzureichen. »Ich denke, wir müssen …«

Etwas flackerte.

Die Deckenbeleuchtung begann schwach zu brennen. Korie und Hodel blickten sich um, als die Notbeleuchtung zum Leben erwachte. Sie grinsten sich schief an.

»Alles klar«, sagte Li.

»Hören Sie nur!«, sagte Hodel. »Die Umwälzanlage ist wieder in Betrieb!«

Korie hielt inne und lauschte. »Sie haben recht.« Er berührte seinen Kopfhörer. »Maschinenraum?«

Die Stimme von Chefingenieur Leen kam überraschend klar aus den Lautsprechern: »Kapitän?«

»Nein. Korie hier.« Er schluckte hart. »Schäden?«

»Kann ich nicht genau sagen. Wir sind noch immer abgeriegelt. Haben Sie Licht?«

»Die Notbeleuchtung ist eben angegangen. Danke. Was macht die Singularität?«

»Lebt noch, aber …«

»Gott sei Dank!«

»… aber wir müssen das System von Hand starten.«

»Sind Ihre Leute in Ordnung?«

»Keiner von uns ist in Ordnung, Sir. Es muss halt gehen, oder?«

»Wie lange brauchen Sie?«

»So lang es dauert.«

»Entschuldigung. Oh, und noch etwas, Mister Leen.«

»Ja?«

»Schalten Sie die Gravitation erst wieder ein, wenn wir das gesamte Schiff gesichert haben. Hier schweben zu viele bewusstlose Körper herum.«

»Mach' ich. Ende.«

Korie war aufgefallen, dass der Leitende Ingenieur nicht nach dem Kapitän gefragt hatte. Er schwang sich zu dem Flugingenieur herum. »Hodel?«

»Sir?«

»Bringen Sie den Kapitän in die Krankenabteilung. Dann kommen Sie zurück und schaffen die anderen auch dorthin.«

»Ja, Sir.« Hodel drückte sich ab und schwebte quer über die Brücke. Er stieß unbeholfen mit dem Kapitän zusammen. Er bekam den alten Mann an seinem Kragen zu fassen und zog ihn unter der Decke entlang in Richtung des hinteren Ausgangs.

Korie schwebte zu Li. »Halten Sie still, Wan.« Li war in seinem Sitz verklemmt. Korie leuchtete mit dem Handscheinwerfer über das zertrümmerte Möbelstück. »Sieht nicht allzu schlimm aus.« Er klemmte sich mit den Beinen fest und zog. Li kam frei. »Fehlt Ihnen was?«

»Ging mir schon besser, Sir.«

Korie zeigte auf eines der Notfallfächer.

»Dort drüben finden sie ein Medipack. Und dann fangen Sie an, diese Scheiße aus der Luft zu fischen.« Noch immer schwebten überall Kugeln von Blut und Exkrementen durch die Zentrale.

Korie hatte sich umgewandt und war bereits dabei, die anderen Offiziere der Brückenwache zu untersuchen. Zwei hingen tot in ihren Sitzen. Der dritte war bewusstlos. Langsam kamen ihm Zweifel, ob genügend Leute überlebt hatten, um das Schiff nach Hause zu bringen.

»Wissen Sie, wir können nicht hierbleiben«, sagte Li hinter ihm. Er war damit beschäftigt, nasse Kugeln aufzusammeln, die durch die Gegend trieben. »Unsere Hyperraumblase ist nicht aufgeblitzt. Sie werden wissen, dass wir noch leben und uns im Normalraum verstecken.«

»Aber es ist gar nicht so einfach, ein totes Schiff zu finden«, entgegnete Korie. »Sie müssen uns fast auf den Kopf spucken können.«

»Sie werden unsere Singularität mit einem Massedetektor aufspüren«, widersprach Li. »Jedenfalls würde ich es so machen. Sie wissen, wo wir in den Normalraum gefallen sind. Ich bin sicher, dass sie herkommen und nachsehen werden, um uns den Rest zu geben. Sie können einfach nicht riskieren, uns hier zurückzulassen. Wir könnten die Drachenfürst angreifen.«

»Wir können gar nichts angreifen. Zumindest im Augenblick nicht«, sagte Korie. Er schwebte durch die Zentrale zur Reservenavigationskonsole und versuchte, den Rechner hochzufahren.

»Sie wissen nicht, dass sie uns getroffen haben«, fuhr der Waffenspezialist fort.

Korie grunzte. Die Konsole blieb tot. Er schwebte zum Sockel hinunter und öffnete eine Wartungsklappe. Wenn es sein musste, würde er den Rechner mit Batteriekraft betreiben. »Was Sie sagen, stimmt alles. Aber wir haben keinerlei Handlungsspielraum. Nicht jetzt. Wenn wir den Hyperraumkern wieder aufladen, dann werden wir sofort für jedes Schiff im Umkreis von hundert Lichtstunden sichtbar, und wenn wir in den Hyperraum springen, dann sogar im Umkreis von Lichttagen. Wenn der Gegner den Sektor eingekesselt hat, werden wir ihm niemals entkommen.«

»Meinen Sie etwa, wir könnten mit Unterlicht davonschleichen? Das dauert Wochen!«

»Na und? Wir werden sowieso Wochen brauchen, um das Schiff wieder halbwegs flottzumachen.«

»Sie werden weiter nach uns suchen. Egal, was wir in der Zwischenzeit unternehmen. Wenn sie uns nicht auf der Stelle finden, dann dehnen sie ihr Suchmuster aus. Sie wissen, dass wir da sind, und dass wir uns nicht gegen ihre Abtaster abschirmen können.«

Korie warf einen Blick zu ihm herüber. »Zu diesem Zeitpunkt wissen wir nicht einmal, wie viel von der LS-1187 noch übrig ist, Wan. Das ist es, was wir zuerst herausfinden müssen – und davon ist unser weiteres Vorgehen in erster Linie abhängig. Eigentlich sollten wir allesamt tot sein.«

Die Kontrolllichter der Reservenavigationskonsole begannen zu blinken, und Korie atmete erleichtert auf. Es war zumindest ein Anfang. Nach und nach erwachten die einzelnen Knoten des Netzwerks und begannen von sich aus, den Rest des Systems zu überprüfen.

Negative Ergebnisse starteten automatisch Reihen von Restorationsprozeduren für die Teile der Ausrüstung, die ansprechbar waren. Die Wiederbelebung der Schiffsfunktionen würde in kleinen Schritten vollzogen werden. Genau wie die Wiederbelebung der einzelnen Besatzungsmitglieder.

Zwei weitere Schiffskonsolen erwachten zum Leben. Korie schwebte hinüber und forderte Statusmeldungen an. Wie er vermutet hatte, waren sie noch immer vom Rest des Schiffs isoliert. Es gab keine Informationen, die die Konsolen verarbeiten und weiterleiten konnten.

Korie überdachte die Situation.

Der Kapitän war ohne Bewusstsein. Vielleicht würde er sterben. Das Schiff trieb tot im Raum, und eine unbekannte Zahl von Besatzungsmitgliedern war tot oder bewusstlos. Sie befanden sich Lichtjahre von fremder Hilfe entfernt und waren von feindlichen Marodeuren umgeben, die nach ihnen suchen würden, sobald sie erst den Rest des Konvois aufgerieben und zerstört hatten.

Der Antrieb war außer Funktion. Ebenso die Waffen. Sie konnten nicht fliehen, weder Über- noch Unterlicht. Und als würde das nicht völlig ausreichen, war das Schiff auch noch blind. Alle Sensoren waren ausgefallen.

Er hatte keine Möglichkeit festzustellen, ob ein feindlicher Angriff bevorstand. Und keine Möglichkeit, sich zu wehren, wenn der Angriff tatsächlich erfolgte.

Das einzig Gute daran ist, sagte er sich, dass ich endlich kommandierender Offizier bin.

Die Ironie des Gedankens ließ ihn beinahe lächeln.

Er tippte an seinen Kopfhörer. »Mister Leen?«

»Ich habe schlechte Nachrichten«, sagte die Stimme in seinem Ohr. »Ich muss die gesamte Verkabelung erneuern. Es kann Tage dauern.«

»Wir haben Tage«, erwiderte Korie. »Hören Sie, ich habe eine Idee. Können Sie einen Mann mit einem Sextanten in den Ausguck schicken? Eine Positionsbestimmung durchführen?«

»Aber sie wäre nicht sehr genau.«

»Muss sie auch nicht sein. Ich will nur herausfinden, ob wir wenigstens in eine nützliche Richtung treiben.«

»Wird gemacht. Wenn nicht, können wir das Schiff mit Hilfe der Singularität um seine eigene Achse schwingen, bis die Richtung stimmt. Das geht sogar von Hand, wenn es sein muss. Wir können einen Flaschenzug auftakeln und es herumziehen.«

»Gut. Und jetzt die zweite Bitte. Können Sie die Massetreiber mit den Brennstoffzellen betreiben und wenn ja, für wie lange?«

»Sie meinen, wenn wir die Singularität weiter gedämpft lassen?«

»Genau.«

Der Leitende Ingenieur überlegte einen Augenblick. »Das ist eine sehr altmodische Methode«, sagte er schließlich. »Ich weiß nicht genau, was Sie damit gewinnen wollen, aber es ist machbar. Ich kann sie schätzungsweise für mindestens sechs Wochen laufen lassen, vielleicht auch acht – aber auf keinen Fall länger als zehn.«

»Mir reichen sechs. Wenn wir es soweit schaffen, dann liebt Gott uns wirklich. Ich möchte während der gesamten Zeit keinerlei Stressfeldaktivität. Und ich möchte, dass Sie die elektrischen Funktionen minimieren. Lassen Sie uns das Schiff so bewegen, als wäre es tot. Minimale Lebenserhaltung. Überhaupt alles minimal.«

»Das wird nicht klappen«, entgegnete der Ingenieur. »Sie werden uns trotzdem finden. Wir kommen nicht weit genug weg.«

»Rechnen Sie einmal mit«, sagte Korie. »Es ist nicht die Entfernung, die für uns arbeitet. Es ist die Geschwindigkeit. Der Normalraum ist gemein. Wenn wir nur zwölf Stunden lang mit einem Drittel g ununterbrochen beschleunigen, dann ist es beinahe unmöglich, uns abzufangen – zumindest nicht, wenn sie nicht darauf vorbereitet sind, uns tagelang zu jagen. Wahrscheinlich sogar wochenlang. Und wenn wir wissen, dass sie uns jagen, schalten wir unsere Singularität ein und gehen auf Höchstgeschwindigkeit, und niemand kann uns einholen.«

»Hmmm. Vielleicht haben Sie recht …« Aber die Idee schien den Leitenden Ingenieur trotzdem nicht zu begeistern. »Was hält sie denn davon ab, in den Hyperraum zu gehen und uns vorauszueilen, um uns dann mit ihren Feldeffektwellen wegzufegen?«

»Wenn wir lange genug überleben, um in diese Situation zu kommen, dann aktivieren wir unseren eigenen Hyperraumkern. Wenn sie versuchen, uns wegzufegen, dann werden sie sich mit uns auflösen. Nicht einmal ein Morthaner würde das als ehrenvollen Tod betrachten.«

Am anderen Ende der Verbindung herrschte Schweigen.

»Mister Leen?«

»Ich kann nicht behaupten, dass mir der Gedanke gefällt.« In der Stimme des Ingenieurs schwang Bitterkeit. »Und am Ende der Fahrt müssen wir den ganzen Rest an Treibstoff verbrennen, um zu bremsen. Wir werden ebensoviel Zeit für das Bremsmanöver benötigen, wie wir zum Beschleunigen verwendet haben. Und wir müssen abbremsen, bevor wir in den Hyperraum gehen können.«

»Nun, lassen Sie uns das doch einmal durchsprechen«, sagte Korie.

»Nein«, widersprach Leen mit aller Bestimmtheit. »Ich kann innerhalb der Blase die hohe Geschwindigkeit nicht kompensieren. Wir wären viel zu instabil, um eine Modulation konstant halten zu können.«

»In Ordnung«, sagte Korie. »Sie haben gewonnen. Wir machen es so, wie Sie wollen.«

»Sie hören auf mich, und ich bringe Sie nach Hause. Leen Ende.«