Die Bestie - David Gerrold - E-Book

Die Bestie E-Book

David Gerrold

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Beschreibung

Der ultimative Nervenkitzel

Sie leben in einer Welt, in der es keine Wunder mehr gibt und keine Abenteuer, die Wissenschaft hat die Wunder ausgeräumt, das Leben ist reglementiert und bar jeder Aufregung. Aber der Mensch hat sich die Sehnsucht nach dem Wunder ebenso bewahrt wie die Sucht nach Nervenkitzel und Selbstbewährung im Augenblick äußerster Gefahr. Und die Technik hat ihm einen Weg aus der Geborgenheit ins Land der Abenteuer eröffnet. Mit Zeitmaschinen reisen Jagdgesellschaften über hundert Millionen Jahre in die Vergangenheit, in die Kreidezeit, um das mächtigste Wild zu jagen, das es je auf der Erde gegeben hat: den Tyrannosaurus Rex, die Bestie. Doch ein Dinosaurier stirbt nicht so schnell …

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Seitenzahl: 352

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DAVID GERROLD

DIE BESTIE

Roman

Das Buch

Sie leben in einer Welt, in der es keine Wunder mehr gibt und keine Abenteuer, die Wissenschaft hat die Wunder ausgeräumt, das Leben ist reglementiert und bar jeder Aufregung. Aber der Mensch hat sich die Sehnsucht nach dem Wunder ebenso bewahrt wie die Sucht nach Nervenkitzel und Selbstbewährung im Augenblick äußerster Gefahr. Und die Technik hat ihm einen Weg aus der Geborgenheit ins Land der Abenteuer eröffnet. Mit Zeitmaschinen reisen Jagdgesellschaften über hundert Millionen Jahre in die Vergangenheit, in die Kreidezeit, um das mächtigste Wild zu jagen, das es je auf der Erde gegeben hat: den Tyrannosaurus Rex, die Bestie. Doch ein Dinosaurier stirbt nicht so schnell …

Der Autor

David Gerrold wurde am 24. Januar 1944 als Jerrold David Friedmann in Chicago geboren. Er studierte Theaterwissenschaften in Los Angeles und schloss 1967 mit einem B.A. ab. Am 8. September 1966 sah er die erste Folge der TV-Serie Star Trek im Fernsehen und war so begeistert, dass er Produzent Gene L. Coon einen Entwurf für eine Doppelfolge schickte, die dieser allerdings ablehnte. Coon erkannte jedoch Gerrolds Talent und bat ihn um weitere Ideen. Eine davon war »Kennen Sie Tribbles?«, die für den Hugo Award nominiert wurde und heute eine der beliebtesten Star-Trek-Episoden ist. Nachdem er einige Kurzgeschichten in Magazinen veröffentlicht hatte, schrieb Gerrold zusammen mit Larry Niven seinen ersten Roman, die SF-Humoreske »Die fliegenden Zauberer«. Anfang der Siebzigerjahre folgten die hochgelobten Romane »Ich bin Harlie« und »Zeitmaschinen gehen anders«, die heute zu den Klassikern des Genres gehören. In den Achtzigern begann Gerrold mit seinem Chtorr-Zyklus, an dem er bis heute arbeitet. Daneben schreibt er weiter Drehbücher, unter anderem zu der für den Nebula-Award nominierten Star-Trek

Titel der Originalausgabe

DEATHBEAST

Aus dem Amerikanischen von Stephen G. Morse

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Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1978 by David Gerrold

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

»Die große Bestie, Gott vorgeschichtlicher Furcht, stand turmhoch über den winzigen Menschen, neun Tonnen Fleisch und Macht, sechzehn Meter Schrecken; ihre Haut schimmerte dunkel und ölig im grellen Strahl ihrer Scheinwerfer. Ihre Kiefer waren groß genug, um ein ausgewachsenes Pferd zu fassen; ihre Zähne waren Messer und Dolche, der gezackte Rand des Todes. Ihre Haut war ein Panzer – überlappende Schuppen, verwoben wie ein Kettenhemd, das für einen Ritter geschmiedet worden war, und doch für einen Drachen gemacht, eine pulsierende Haut aus Fleisch und Stahl. Die Strahlschüsse der Jäger brannten sich wie Blitze in sie – bis sie mit ungläubigem, albtraumhaftem Entsetzen begriffen, dass sie den Koloss nur zur Wut reizen konnten – sie konnten ihn nicht bremsen!«

Die Bestie

Zeitstrahl in die Gefahr

Sie waren zu acht – sechs Jäger und zwei offizielle Führer.

Ihr Reiseziel war die Erde, wie sie vor hundert Millionen Jahren war, lange vor der Herrschaft der Menschen, als die großen warmblütigen Dinosaurier unangefochten herrschten.

Jeder der Zeitreisenden hatte ein anderes Motiv. Einige nahmen gegen Heuer an dieser seltsamen Safari teil. Andere gingen auf psychologischen und sexuellen Urlaub von der Zivilisation. Da gab es Frauen, die beweisen wollten, dass sie Männern in nichts nachstanden – und Männer, die darauf aus waren, ihre Männlichkeit auf die Probe und unter Beweis zu stellen.

Aber was auch immer ihr Antrieb und ihr Begehr sein mochte, ihre Stärken und Schwächen waren – der Schrecken aller Schrecken erwartete sie alle …

1

Eines Nachmittags in der Spät-Kreidezeit ereignete sich etwas Ungewöhnliches …

Es begann mit einem hohen, elektronischen Heulen – ein Schrillen, das in der Luft schimmerte wie Hitzeflirren über einer Salzwüste – und dann ergoss sich knisternd und funkelnd ein Sturzbach von Blitzen aus einem Loch im Firmament – eine Sternschnuppe voll Helligkeit, die die Luft verbrannte und versengte, wo sie damit in Berührung kam.

Das Heulen wurde zum Kreischen, während die Sternschnuppe größer wurde. Das Weiß wurde glühend – und noch heißer. Die Pulsation immer höher – eine Empfindung, kein Geräusch – die Luft schrie, während sie starb, ihre Moleküle zertrümmert wurden, ihre Atome zerstoben, ihr Plasma wie bei einer Kernfusion verbrannte – dann ein plötzliches Flackern, mit dem der Vorgang abriss, und alles war still.

Das Leuchten verblich zu einem grellen, violetten Schein und begann sich zu zerstreuen. Die Luft knisterte noch – wie Metall, das in der Dämmerung abkühlt – und es spielten noch Funken um die Ränder, aber sie verzogen sich schnell –, und dann stand eine schwarze Scheibe von zehn Metern Durchmesser mitten auf einer großen, versengten Fläche. In der Mitte der Scheibe stand ein Sortiment umwickelter, geschützter Pakete. Acht behelmte Gestalten befanden sich gleichmäßig um den Rand gruppiert. Groß. Bedrohlich. Bebrillt und ausdruckslos. Verschiedenartig gewandet. Jäger. Fünf Männer, drei Frauen. Ihre Visiere waren zum Schutz vor dem grellen Lichtschein der Rematerialisierung heruntergeklappt, ihre Gesichter verborgen und geheimnisvoll – aber ihre Haltung, ihre Körpersprache, kündete von Gefahr und Misstrauen. Sie trugen Waffen, Strahlpistolen und Impulsstrahl-Gewehre. Das größte war ein verstärkter Calvella Mark VII B-Laser mit Überlastfähigkeit. Sie besaßen vier davon und vier der kleineren Mark III, verstärkt, jedoch ohne Überlastfähigkeit.

Ethab war der Anführer; er war der Größte und Stärkste. Er überblickte die steinige Ebene um den Nexus herum wie ein Heerführer, der seinen Feldzug plant. Sein Visier schimmerte im westlich einfallenden Licht wie Ebenholz. Er wandte langsam den Kopf; sein Gewehr folgte seinem Blick. Die Luft hatte angefangen, sich von dem Hitzeschock der Rematerialisierung abzukühlen. Die Temperatur war immer noch über fünfzig Grad Celsius, aber sank rasch. Flugasche schwebte gerade jenseits des Nexus dunstig in der Luft, das Überbleibsel von etwas, das sie bei ihrer Rematerialisation vernichtet hatten. Dahinter waren ein eingetrockneter Salzsee und Felsbrocken, die unwirklich einem klaren, unmöglich nahen Horizont entgegenlief – ein Hügel und dahinter eine Senke? Oder lief die Ebene leicht schräg? Es sah aus wie am Rande der Welt.

Die Geräusche kehrten jetzt zurück – Insekten summten, irgendwas Größeres zirpte wie ein Vogel, irgendwas flitzte über einen Felsen mit Krallen wie winzige Messer. Der Himmel über ihnen war von einem diamantharten Blau, fast schwarz; die Wolken von einem staubigen Rosa, die Ebene fast weiß – ein unruhiges Gemisch aus Sand und verkrustetem Salz, ein unwirtlicher Boden für die verstreute Vegetation, dünne und ferne Halme voll Einsamkeit. Mit der herannahenden Dämmerung wandte sich der Tag ins Bernsteinfarbene – alles schien verdüstert und eingefroren zu sein. Ethab holte Atem – der erste Atemzug in dieser neuen Welt; er war heiß, kratzte in seinem Hals. Er roch nach Asche und schmeckte nach Dreck.

Zu seiner Rechten war Megan, die einer der beiden Zeitjagd-Führer war, die das Gesetz vorschrieb; sie knöpfte schon das Futteral ihres Orters auf und aktivierte seine Sensoren. Während sie sich langsam um 180 Grad und wieder zurück drehte, beobachtete sie die Instrumente und Bildschirme mit sorgfältiger, aber vertrauter Gelassenheit. Auf der gegenüberliegenden Seite des Nexus tat Loevil, der andere Führer, dasselbe. Die anderen um sie herum warteten geduldig und beobachteten dabei die Landschaft mit argwöhnischen Blicken. Loevils Orter war ein anderes Modell als Megans, der Umfang seiner Fähigkeiten war nicht derselbe – die beiden Einheiten ergänzten sich und ließen keine Lücken im Ortungsspektrum.

Ethab holte ein zweites Mal Atem – die Luft war diesmal nicht so schneidend – und stieg vom Nexus ab. Die Brandkruste des Bodens knirschte unter seinem Fuß. Er schaute erst nach rechts, dann nach links. Diese vorgeschichtliche Welt erschien unmöglich unfruchtbar – die Ebene war eine unmögliche Landschaft glänzender Verlassenheit unter einer ins Gelbliche umschlagenden, grellen Beleuchtung. Es war die Nacktheit des schwarzen und rostfarbenen Gesteins, die Unfruchtbarkeit des Bodens, die weiten Salz- und Sandflecken, die diese Wirkung hervorriefen. Es gab Pflanzen, aber nur vereinzelt, hauptsächlich grüne, stachlige Dinger mit gelbfiedrigen Auswüchsen an den Spitzen. Nirgends gab es Gras – es hatte sich noch nicht entwickelt, und es war hier zu trocken für Moos oder Farne. Die wenigen Pflanzen, die dennoch hier wuchsen, wuchsen nicht wegen, sondern trotz des Bodens. Dies war eine jüngere Welt – viereinhalb Milliarden Jahre alt, aber dennoch hundert Millionen Jahre jünger – ein Ort, gleichermaßen grimmig und idyllisch, eine Welt, die auf größerem, gewalttätigerem oder ehrgeizigerem Maßstab ablief, als Menschen es gewöhnt waren – eine Herausforderung an das Mannestum einer Gattung.

Ein leichter Wind zupfte an ihrer Kleidung, pfiff und flüsterte übers Ödland. Er wehte die immer noch schwebende Asche vor sich her und auch den letzten Rest Hitze der Rematerialisierung.

»Ich hasse die Rematerialisierung.« Das war Nusa; sie sagte es sachlich und fast flüsternd, aber in der lautlosen Luft hätte es ein Schrei sein können.

Ethab blickte zu ihr hinüber. Das mattschwarze Helmvisier verdeckte sein Gesicht, ließ den Ausdruck noch düsterer und unheilvoller und jede Geste bedeutungsschwer erscheinen.

Nusa schwieg.

Ethab wandte sich mit einem Handzeichen wieder nach vorn. Mit Ausnahme von Megan und Loevil stiegen daraufhin die anderen vom Nexus, wobei sie bei jedem Schritt den Fuß prüfend aufsetzten, als seien sie unsicher, ob der Boden ihr Gewicht tragen könne. Sie hielten die Waffen im Anschlag.

Ethabs Gefährte Kalen stand zu seiner Linken. Die beiden machten jeweils zwei Schritte vorwärts, pausierten und machten wieder zwei Schritte.

Zu ihrer Linken folgten Tril und Eese mit denselben Bewegungen vorsichtig Ethabs Vormarsch.

»Es ist … gespenstisch, nicht?«, flüsterte Eese ihr zu.

Tril war verwirrt. »Ich dachte, es sollte ein Urwald sein …«

»Nicht alles. Nicht immer.«

Tril erschauerte.

»He, es wird Spaß machen – du wirst sehen!« Eese streckte die Hand aus und berührte ihre Schulter.

Ohne sich umzudrehen, sagte Kalen: »Klappe, Eese!« Er betrachtete etwas aufmerksam durch sein Visier. Er hob die Hand zu einem Regler an der Seite seines Helms und stellte ihn nach. Das durch eine Computerlogik aufgearbeitete Bild, das von der Visierplatte durch die abbildungserzeugende Schutzbrille projiziert wurde, lag mit der Schärfeebene direkt auf der Netzhaut des Trägers und vermittelte ihm ein Bild, das von verschiedenen licht- und wärmeempfindlichen Sensoren sowie Rundsuch-Radar stammte, teils innerhalb, teils um das Visier herum angebracht, wobei die verschiedenen Signale eine Datenverarbeitung durchliefen, um bei allen Bedingungen ein zusammenhängendes Bild zu bieten, ob in einem Kohlebergwerk oder einem Hurrikan, Nebelfront oder Schneesturm – sogar unter Wasser, falls notwendig. Die Visier-Schutzbrillen-Kombinationen waren auch notwendig als Schutz gegen die Hitze und blendende Helligkeit der Rematerialisierung.

Durch die Brillen erschien bei eingeschalteter Verstärkung die Landschaft in grellem Violett und Blau, mit Glanzlichtern aus heißem Rot und von den Bildzeilen untermalt. Der Landschaft überlagert war ein angepasstes, scheinbar stillstehendes Gitter, das vom Entfernungsmesser ausgelesen wurde, der Beitrag der Logikschaltungen zum Bild: Das Gitter gelber Linien trug dazu bei, ein Gefühl für Perspektive aufkommen zu lassen – waren jene Felsbrocken fünfzig oder fünfhundert Meter entfernt? Schau aufs Gitter! Wie hoch war diese Erhebung? Schau aufs Gitter. Am unteren Bildrand befand sich eine Reihe alphanumerischer Symbole, die laufend auf den neuesten Stand gebracht wurden. Die hellen blauen Buchstaben und Zahlen gaben Entfernung und Temperatur und Bildvergrößerungsfaktor an; sie gaben die Energiemenge im Gewehr und die Größe des Ziels an – sogar das Verhältnis der verfügbaren Wärmeenergie zur Masse des Ziels, was in Abschussquoten und Erfolgschancen umgerechnet wurde.

Das Abbild einer fernen Erhebung wuchs in Ethabs Brille, während er den Verstärkungsfaktor vergrößerte, und schrumpfte wieder, als er es verwarf – nein, da war nichts gewesen. Nur eine Laune des Lichts oder des Suchkreises. Zufrieden winkte er seine Leute weiter. Sie vergrößerten langsam den Kreis, wobei jeder wie ein Krieger einen Kreissektor der Landschaft deckte. Megan und Loevil standen noch auf dem Nexus und orteten immer noch. Sie gingen langsam im Kreis herum, tauschten die Plätze und begannen jeweils, den ersten Schwenk des anderen nachzuvollziehen.

Ethab schaltete seinen Sprechfunk ein und fragte: »Was haben wir?«

»Durchgehend null«, antwortete Loevils Stimme. »Auf dreihundert Meter im zweihundertsiebzig-Grad-Schwenk nichts zu orten. Etwas Störung West bei Südwest, stark magnetische Eigenschaft.« Mit unsichtbarem Grinsen fügte er hinzu: »Eine Menge Eisen in dem Gestein.«

Von ihrem Orter ablesend, stellte Megan trocken fest: »Beta drei vier fünf, Gamma drei vier sechs. Delta null sieben sieben.« Für Ethab fügte sie hinzu: »In Sichtlinie liegt nichts. Aber ich schlage vor, wir entfernen uns vom …«

… ein kehliges Kreischen unterbrach sie – es kam von den Felsen, auf die sie gerade zeigte – Loevil drehte sich überrascht um, die anderen auch – während ein kleines, blitzendes Geschöpf auf die Spitze des kleinen Hügels sprang. Sein Schrei war das Kreischen von Metall, das Schiefer zerbrach …

Es war orangefarben und echsenartig, hochgewachsen und menschenähnlich, rotgestreift, zwei oder drei Meter groß – das war schwer festzustellen, es pendelte so hin und her – sein hin- und herpeitschender Schwanz war genauso lang. Sein Maul war eine zuckende Fressmaschine, die gänzlich aus Zähnen und Kreischen zu bestehen schien. Es stand auf zwei muskulösen Beinen halb aufrecht, wobei es sein Gewicht hin und her verlagerte, als ob es ihm unbequem sei, auf einer Stelle stehenzubleiben; es gebrauchte seinen Schwanz, um das Gleichgewicht zu halten. Sein Kopf bewegte sich ruckartig von einer Seite zur anderen – seine Augen waren von einem stechenden Schwarz und scheinbar lidlos, aber dem war nicht so; orangefarbene Häute zuckten alle paar Sekunden nervös darüber hinweg. Dem Wesen fehlte die Fähigkeit zum beidäugigen Sehen; seine Augen saßen seitlich am Kopf, den es drehen musste, um seine Beute zu sehen. Seine Klauen zuckten heftig, die »Arme« waren lang und dürr – es machte andauernd hungrige Greifbewegungen. Das Wesen – ein Deinonychus – war von hinten auf die Spitze des Felsens gesprungen und studierte jetzt die Gruppe der Jäger wie eine Speisekarte. Das war Beute, mit der er nicht vertraut war – Beute, die nicht danach ausschaute, als wäre sie zum Laufen geschaffen. Die Kiefer des Wesens arbeiteten eifrig …

Noch bevor er die Überraschung verdaut hatte, hatte sich Ethab in Bewegung gesetzt, ebenso Kalen: Sie traten profihaft zur Seite und rüsteten sich, auf das Tier einen Schuss abzugeben. Nusa bewegte sich seitwärts, um einen besseren Standort zu erlangen. Eese zerrte Tril aus dem Weg, hin zu einem nahen Steinhaufen. Nur Dorik verfiel in Panik – er hatte in die entgegengesetzte Richtung geschaut und wurde durch den Angriff verwirrt, der für ihn von hinten kam. Er wirbelte herum, wobei er fast sein Gewehr fallen ließ, und sah den orangefarbenen Teufel die Felsbrocken herunterwetzen, auf ihn zu. Eine Lawine von Kieselsteinen, sein hastiges Vorstürmen, jeder Schritt schlitterte den Hang herunter; sein Kiefer und seine Vorderpfoten zuckten vor unbeherrschter Erregung. Dorik sprang zurück, drehte sich um und rannte …

Das Wesen hielt einen halben Herzschlag lang an – gerade lang genug, um Dorik anzupeilen – es kreischte das dinosaurische Wort für »Essen!« und kam angerannt, kreischte und sprang auf die letzten Felsbrocken herunter, jagte mit weiten Sätzen über die flache, verkrustete Ebene, mit jedem Tritt Salz und gelblichweißen Sand aufschleudernd.

Loevil und Megan hatten keine Zeit, ihre geschulterten Waffen in Anschlag zu bringen – die immer noch tutenden Orter in Händen, sprangen sie nach verschiedenen Richtungen vom Nexus. Megan duckte sich hinter einen Stein, Loevil schlitterte hinter einen anderen.

Ethab hatte sich zu Boden geworfen und war nach einer Seite weggerollt, damit ihn das Wesen nicht sähe, und legte schon an. Kalen und Nusa zielten auch – aber zu spät, das Wesen war schon an ihnen vorüber. Sie wandten sich hastig um, um in den Rücken zu schießen.

Das kreischende Raubtier hatte einen halben Satz gemacht und war damit über und auf dem Nexus aufgesprungen, auf den Stapel Ausrüstungsgegenstände in dessen Mitte, zermalmte und zerschmetterte Sachen, während es um Halt ruderte – dann fasste der rot- und orangefarbene Schrecken wieder Fuß und war wieder in Bewegung, wobei Körper und Schwanz beim Laufen sehnig zuckten; er sprang und flog übers Gelände mit heiseren, kehligen Schreien. Er schoss an Tril und Eese vorüber, ignorierte sie, als seien sie nicht vorhanden. All seine Aufmerksamkeit war auf Dorik gerichtet, den panikergriffenen Dorik.

Ethabs erster Schuss zischte an dem Wesen vorbei, eine flackernde Linie hellen Lichts, ein bläulichweißes Blenden, das in rotem und violettem Nachglühen nachschwang; sein Klang war ein scharfes, elektronisch klingendes Zischen und Pfeifen. Statische Aufladung ließ die Luft knistern, während der Strahlschuss verglühte.

In seinem Jagdfieber bemerkte es der brüllende Saurier nicht einmal. Dorik erklomm gerade einen gezackten Felsen, wandte sich seinem Feind zu und fummelte mit seiner Waffe herum – die Schuppen des Dinosauriers glitzerten in der Nachmittagssonne; auf dem Sand rutschte er einmal aus und stolperte, dann stürmte er weiter. Ein weiterer Strahlschuss verfehlte ihn und hinterließ ein ultraviolettes Nachglühen in der Luft und ein stechendes Gefühl in den Ohren – der flache, dreieckige Kopf zuckte stoßend und grabschend nach vorn, die Augen waren ausdruckslos wie die eines Vogels. Er sauste auf Dorik zu und streckte den Kopf zum Biss vor. Dorik schwang sein Gewehr als Keule – Zack! Schlug er dem verdutzten Wesen seitlich an den Kopf und die Schnauze. Wütend und verwirrt machte es einen halben Schritt rückwärts, wobei es sein Gewicht verlagerte und Arme und Schultern zurückwarf und das Maul zu einem Schmerzensschrei aufriss … da schlugen von hinten drei Strahlschüsse ein, einer nach dem anderen: zack, zack, zack! Die Schüsse waren blauweiß und schlugen in Rot um, bevor das Bild auch nur von der Netzhaut verarbeitet worden war; sie hinterließen in der Luft ein tiefviolettes Leuchten entlang ihres Weges, und entsprechende Nachbilder im ungeschützten Auge …

… der orangefarbene Schrecken versteifte sich, wurde zum sterbenden Geschöpf, unbeweglich hoch aufragend, als wären hunderttausend Volt eingeschlagen; er gab einen letzten, bestürzten Laut von sich, eher ein Grunzen als ein Schrei – und dann verkohlte er. Er verfärbte sich schwarz, während er innerlich verbrannte und kochte; die verkohlten Stellen breiteten sich von jedem Einschuss aus, die ledrigen Schuppen rauchten und platzten ab – plötzlich war er klein und erbärmlich. Ein letztes elektrisiertes Zucken, dann fiel er vornüber auf den Felsen, immer noch verkohlend und brennend. Rauch begann sich von den Rändern emporzuringeln; die Haut platzte an drei Stellen auf, und beißender Dampf quoll hervor, ein durchdringender, brandiger Geruch. In nur einem Augenblick hatte sich dieser rot-orange Teufel in ein schwarzes Skelett aus Knochen und verhärteter Asche verwandelt. Das Fleisch von Kopf und Schweif brauchte am längsten, um zu rösten; die Augen starrten blicklos nach oben. Die Überreste knisterten und knackten, während sie verkochten. Hitze stieg vom Kadaver auf wie von einem Ofen.

Die Luft war jetzt still, aber der Nachhall der Strahlschüsse klang noch in ihren Ohren. Die Erregung des Augenblicks wirkte in ihnen noch nach.

Dorik stand noch immer auf dem Felsen über dem von Strahlschüssen zerfetzten Wesen und hielt sein Gewehr wie eine Keule, zu einem weiteren Schlag ausgeholt – er stand da wie betäubt. Habe ich das getan? Ich hab' nur einmal zugeschlagen, und davon ist es so zusammengefallen??!

Ethab und Kalen standen auf; Nusa wischte sich mit einigen Handbewegungen den Staub von den Knien. Kalen stellte sein Gewehr nach und nahm einen Platz ein, von dem aus er wieder den Nexus decken konnte; Nusa bemerkte es und bewegte sich zur anderen Seite hin.

Megan und Loevil kamen hinter ihren Felsbrocken hervor und setzten auch schon ihre Orter wieder in Betrieb. Loevil schaute zu Megan hinüber: »Wolltest du gerade etwas sagen …?« Tril und Eese kamen aus der Deckung heraus, ihre Gewehre feuerbereit. Ethab stapfte über den Nexus und die durcheinandergewirbelte Ausrüstung auf Dorik und den toten Dinosaurier zu. Tril und Eese folgten in vorsichtigem Abstand, neugierig auf das Wesen, aber immer noch verdutzt.

Dorik sank zu einer sitzenden Haltung nieder, griff sich ans Herz und schnaufte schwer. Er hob sein Visier, als Ethab herankam. Sein Gesicht war klebrig und schweißbedeckt, das Fleisch schien schlaff herunterzuhängen. Er war kreidebleich, die Augen waren dumpf und wässrig. Sein Bart zog sich filzig über einen bleichen Kiefer hin. Sein Atem ging pfeifend aus flatternden Wangen. Er versuchte ein Lächeln, was als versöhnliche Geste gedacht war, um grollenden Zorn abzuwenden …

Es funktionierte nicht. Ethab blieb ausdruckslos hinter seinem Visier und atmete bewusst schnell und tief. Er stand wie ein Turm über Dorik und wartete. Seine helle gepanzerte Uniform schimmerte und schien Funken zu sprühen. Seine langen Beine und breiten Schultern ließen ihn als Denkmal erscheinen, seine Bewaffnung und Ausrüstung als Inkarnation einer Schlacht. Sein Helm schien insektenartig, die Augen hervorstechend, die Fühler regungslos und abwägend.

Dorik schluckte heftig und schaute Ethab an – versuchte, ihn anzuschauen; er riss seinen Blick von all der Wildheit los, als verbrenne ihm der Anblick die Netzhaut, dann versuchte er zwinkernd, abermals hinzuschauen. Er fühlte sich in dieser Lage unwohl – er ließ seinen Blick auf Ethabs Taille herabsinken – warum sagte der denn nichts? Ethab wartete weiter.

Schließlich gelang es Dorik, hervorzukeuchen: »Ich … ich wollte nicht so … so davonlaufen …«

Ethab antwortete nicht. Er schaute Dorik nur an, betrachtete ihn aufmerksam. Enttäuscht? Wütend? Dorik konnte es nicht feststellen.

»Tut mir leid!«, sagte Dorik weinerlich.

Ethab reagierte immer noch nicht. Dorik wusste nicht, was er noch sagen sollte. »Was wollen Sie denn noch?«, begehrte er zu wissen.

Ethab schüttelte abrupt den Kopf, als wolle er damit sagen: »Nichts.«

Er wollte von Dorik nichts mehr. Er atmete heftig aus und wandte sich um.

»Pffft …« Dorik schnaubte seine Gegenanklage hinaus. Er schüttelte wie in stummem Seufzen den Kopf. Das hätte schließlich jedem passieren können. Das Ding musste sich ein Ziel aussuchen – und wen auch immer er sich ausgesucht hätte, der wäre davongelaufen. Es hatte keine Möglichkeit für ihn bestanden, es mit dem Gewehr zu erwischen – und außerdem: »Ich werde für sowas eben zu alt …«

Megan hatte wieder begonnen zu orten; sie war auf einen Hügel gestiegen, von wo aus sie eine größere Reichweite erzielen konnte, aber ihr Orter schwieg jetzt. Es gab in der Nähe keine weiteren Räuber. Nusa kam die Felsen heraufgestiegen, um sich neben sie zu stellen.

Tril und Eese, die sich nicht hatten nähern wollen, als Ethab mit Dorik zusammengerückt war, gingen jetzt hinüber und fingen an, den Kadaver des toten Sauriers zu untersuchen. Sie schauten Dorik nicht an, dessen Scham ihnen peinlich war. Kalen und Loevil waren wieder auf dem Nexus und sortierten die beschädigten Ausrüstungsgegenstände; sie hatten das Visier gelüftet.

Kalen blickte auf, als sich Ethab näherte. »Schaut nicht gut aus«, meldete er. »Aber wir können damit klarkommen. Wir haben die Reserve-Überlastgeräte verloren.«

Ethab war ganz Profi. »Dann werden wir die Normaleinheiten parallelschalten.« Er drehte sich um und überblickte das Gelände. »Loevil? Megan?«

Loevil stand auf, die Brennstoffzelle, die er gerade überprüfte, noch in Händen. Sein Orter hing noch an seiner Seite; er brachte ihn beim Aufstehen in Anschlag. »Nur eine Täuschung, glaube ich.« Er warf einen prüfenden Blick auf den Bildschirm und sagte dann: »Ich glaube nicht, dass hier noch welche sind.«

Von ihrem Aussichtspunkt aus fügte Megan hinzu: »Delta ist jetzt eins null acht; die magnetischen Störungen wurden ausgefiltert.«

Ethab nickte. Er wandte sich an Eese und Tril, die mit vorsichtig angehobenem Visier dastanden. »Haltet Wache, dort und dort. Nusa, Megan, bleibt, wo ihr seid. Kalen, Loevil, schaut, was ihr retten könnt.« Er blickte zurück und zeigte mit dem Finger. »Eese, der Hohlweg. Tril, da unten.« Mit Nusa auf der Anhöhe hatte er sie im gleichseitigen Dreieck um die Scheibe des Nexus verteilt.

Schüchtern kam Dorik zu ihm hin, wobei er sein Gewehr mehr als Schutzschild denn als Waffe hielt. »Was kann ich tun?«, fragte er. Es war, als bäte er, »Nehmt mich wieder in die Gruppe auf … bitte!« Er wiederholte noch etwas weinerlicher: »Was kann ich tun?«

Ethab bemerkte ihn kaum. »Bleib' aus dem Weg!«, sagte er und rempelte vorbei.

2

Ethab betrachtete aufmerksam den glänzenden Himmel, den viel zu nahen Horizont und die umgebenden Felsen – sie ragten aus dem Salz wie Inseln heraus. Er hielt sein Gewehr schussbereit, aber mit einem Auge überwachte er die Anzeigen eines elektronischen Kombinationsgeräts aus Sextanten, Kompass und Chronometer. »Verdammt«, sagte er. »Sie haben uns am späten Nachmittag abgesetzt.«

Kalen, der sich mit einem zerbrochenen Gitter näherte, antwortete grinsend: »Sei froh, dass sie das Tageslicht erwischt haben. Sie haben ein Ziel anvisiert, das hundert Millionen Jahre entfernt lag.«

Ethab reagierte nicht. Ethab reagierte nie auf etwas – außer auf Versagen und auf Misserfolg. Er schaute das Gerät an und maß den Höhenwinkel der Sonne. »Wenigstens ist es ein hoher Breitengrad. Und es fühlt sich nach Sommer an – heute Nacht werden wir Gewissheit haben. Das heißt lange Tage und kurze Nächte. Das wird gut sein. Mehr Zeit zum Jagen.« Er schaute auf und schien Kalen erstmals zu bemerken.

Kalen hielt einen Apparat wie eine Opfergabe in die Höhe. »Wir haben auch eins der Haupt-Ladegeräte verloren.«

Ethab schaute kaum hin. Sein Blick war immer noch umwölkt. »Was ist mit der Armbrust?«

»Die ist in Ordnung.«

»Gut«, nickte er. Er deutete mit einem langen, knochigen Finger auf den zerstörten Wiederlader. »Betrachte es mal von der angenehmen Seite aus. Ein Ding weniger zu schleppen.« Er wandte sich zum Nexus hin und berührte seinen Mikrofonschalter. »Mr. Loevil?«

Auf der Scheibe stehend, schaute Loevil auf.

»Das Tiefland?«

Loevil überlegte. »Wahrscheinlich.«

Ethab wandte sich an Megan, die immer noch von ihrem felsigen Hügel aus ortete. »Megan, Ihre Meinung?«

»Es ist sicherer«, kam ihre gedämpfte Stimme zurück. »Wir haben nur drei Tage Zeit. Es ist das Beste, wir verbleiben in leichtem Gelände.«

»Wenn ich an Sicherheit interessiert wäre, würde ich nicht Tyrannosaurier jagen.«

Megan zuckte unverbindlich die Achseln. »Ich sage immer noch: das Tiefland. Sümpfe. Pflanzenfresser … Fleischfresser.«

Ethab nickte zustimmend. »Dann ins Tiefland!« Er wies nach Süden. Zu Loevil sagte er: »Stellen Sie den Leitstrahl ein. Brechen wir auf!« Er ging zum Nexus und holte sein Gepäck, schulterte es und wartete darauf, dass die anderen Aufstellung nahmen. »Eese und Tril, Sie bilden die Vorhut, Tril in Zehn-Uhr-Position, Eese auf zwei Uhr. Ich werde führen, dahinter Kalen, dann Megan und Loevil. Nusa, du bildest die Nachhut, du hast gute Augen.«

Nusa nickte, klappte ihr Visier hoch und entblößte ein jungenhaftes Lächeln. Megan nahm schon ihren Platz ein, und Loevil schaltete gerade den Leitstrahl-Sender ein. Dorik schob sich nervös vor Nusa in Position und zerrte dabei an einem lockeren Riemen; Ethab hatte ihn nicht einmal namentlich genannt. Seine Kleidung schien ihm nicht besonders zu passen, sie war an manchen Stellen zu weit, an anderen zu eng. Er sah missgestaltet aus. Allerlei Gerätschaften verschiedenster Herkunft hingen an ihm; wie die Wand eines Sportartikel-Geschäfts war er bedeckt mit Kompassen, Messern, Batteriesätzen, Strahlern, Impulsstrahlern, Ferngläsern, Feldflasche, Schlafsack, Erste-Hilfe-Täschchen, Proviant, einem tragbaren Öfchen, beheizten Socken – Dorik war ein wandelnder Räumungsverkauf, der nach einem Ort suchte, an dem er stattfinden konnte.

Ethab wartete, bis Tril und Eese bereit waren, und gab dann ein beiläufiges Handzeichen. Sie begannen auszurücken, wobei Loevil sich neben Megan einreihte. Sie hob ihr Visier, um ihn anzuschauen. Die beiden tauschten einen vertraulichen Blick aus. Warnend: Diese Jagd wird – grimmig. Loevil schaute über die Schulter auf den Nexus zurück. Er war ihre einzige Verbindung mit zuhause. Er wurde durch einen orangefarbenen Lichtstrahl markiert, der vom Generator in der Mitte der Scheibe aus himmelwärts stach; der Strahl hatte einen funkelnd weißen Kern, der sich hell vom dunkelblauen Himmel abhob; er würde Tag und Nacht sichtbar sein. Das Markierungsfeuer gab auch einen weitreichenden Funkimpuls ab, der von jedem angepeilt werden konnte, der den üblichen Sprechfunk besaß. War man dem Funkfeuer zugewandt, wurden seine Impulse zu einem Dauerton; näherte man sich dem Ursprung, stieg die Tonhöhe an. Loevil nannte es einen »transportablen Nordpol« – seit einmal eine Jagdexpedition in einer Zeit magnetischer Schwankungen gelandet war, einer jener Perioden, in der sich das Magnetfeld der Erde umkehrte. Damals waren Kompasse nutzlos gewesen.

»Mr. Loevil …« Ethabs Stimme summte in seinen Kopfhörern. »Passen Sie auf Ihren Orter auf. Dafür bezahle ich Sie schließlich.« Dann: »Wir wollen doch nicht, dass Dorik nochmals überrumpelt wird, oder?«

Leicht verärgert darüber, gerügt worden zu sein – besonders durch jemanden, den er nicht respektierte – wandte Loevil seine Aufmerksamkeit wieder seinem Orter zu. Ethab war nicht der angriffslustigste Jäger, für den Loevil je gearbeitet hatte, aber er war der überheblichste – und das war gefährlich. Er schaute zu Megan hinüber, und ihre Blicke trafen sich wieder. Sie musste dasselbe gedacht haben.

Das Licht war orangefarben – die Sonne hing niedrig im Westen über den Hügeln – und zerfurchte die Landschaft mit tiefvioletten und blauen Schatten. Die Felsen leuchteten mit ocker- und rostfarbenen Glanzlichtern an ihren Spitzen. Der Himmel verdunkelte sich über ihnen, war aber am Horizont noch hell – als ob etwas, das gerade unterhalb lag, glühte und die Luft dieses Glühen reflektierte.

Sie hatten das Flachland verlassen und waren in eine leicht gewellte Ebene gelangt. Der Pflanzenwuchs war hier nicht mehr so spärlich. Das Handbuch beschrieb die Kreidezeit mit »erstes Erscheinen von Weiden, Ulmen und Magnolien« und stellte auch die Gegenwart von »Feige, Buche und verbreiteten bedecktsamigen Pflanzen« fest. Überdies »sind heutige Farne bereits weit entwickelt, ebenso Fächerblattbäume, Bärlapp, Nadelhölzer, Farnpalmen und Schachtelhalme«. Loevil sah keine der genannten Arten. Es gab in der Kreidezeit weitaus mehr Pflanzenarten, als in Form von Versteinerungen überdauert hatten, oder von Expeditionen katalogisiert worden waren.

Sie bewegten sich durch einen »Wald« aus einer Art Gebüsch, knorrige Klumpen stachliger Zweige, die von staubig gelben gefiederten Blättern bedeckt waren; es gab vereinzelte, dünne Gewächse, die wie Bäume aussahen, aber keine waren – sie hatten keine Äste, und die »Stämme« waren grün und stängelartig. Es gab Polster, die moosartig aussahen, aber lila waren; da und dort gab es Flecken mehrfarbiger Blätter, dunkelrot und violett, rosa und weiß gestreift, die wie kränkelnder Efeu aussahen.

In der Stunde seit der Landung waren sie fast vier Kilometer weit gekommen. Morgen würden sie ihren Abstieg ins Tiefland beginnen, aber Ethab wollte noch an jenem Abend so nahe wie möglich herankommen, also marschierten sie bis tief in die Dämmerung hinein.

Tril schaute zu Eese hinüber – sie fühlte sich allmählich müde – aber er schüttelte den Kopf und lächelte aufmunternd; er konnte nichts daran ändern.

Weiter hinten versuchte Dorik, seine Ausrüstung neu zu ordnen, um sie bequemer zu machen – er trug zu viel mit sich und hatte das Gewicht falsch verteilt. Mit jedem Schritt knallte irgendwas gegen sein Bein oder seinen Rücken oder die Seite; einer der Riemen scheuerte an seiner Schulter, ein weiterer beengte seine Brust. Und dann setzte Nusa, die hinter ihm ging, dem allen noch die Krone auf mit einem ätzenden »Das haben Sie ja diesmal schön vermasselt!«

»Nein, das hab' ich nicht«, knurrte Dorik. »Ich werde es wieder gutmachen.«

»Ethab wird Ihnen keine weitere Chance geben«, sagte sie. »Er kann sich auf Sie nicht verlassen.«

Dorik war schlechter Laune. »Ich werde die Chance bekommen«, sagte er nachdrücklich. »Ich werde mich beweisen können.« Er beschleunigte seinen Schritt, um Abstand zu gewinnen. Er brauchte ihre schnippischen Bemerkungen nicht.

Weit vor ihm schritt Ethab ungerührt weiter. Die Reihe hatte sich auf hundert Meter gedehnt, und Ethab führte sie weiter, noch tiefer in die Dunkelheit hinein. Sein Schritt war kräftig und entschlossen; falls er müde war – falls er jemals müde war –, zeigte er es nicht. Die Sonne, die den Horizont berührt hatte, spiegelte sich in seinem Visier.

Mit derselben Plötzlichkeit, mit der der Sonnenuntergang über ein staubloses Land hereinbricht, schlugen sie ihr Lager auf. Die Nacht war sternenklar, glitzernd und kalt. Eine Milliarde Jahre Einsamkeit schaute auf sie herab. Sie waren hundert Millionen Jahre von zuhause entfernt, hundert Millionen Jahre von der nächsten menschlichen Stimme. Sie waren so einsam, wie es Menschen noch niemals gewesen waren.

Sie waren dieser Landschaft fremd – es war ihr eigener Planet, und doch waren sie hier die Fremden. Es gab noch keine Säuger, keine Bäume, kein Gras, keine Pflanzen oder Tiere, die sie wiedererkennen oder denen sie sich auch nur ungefährdet nähern konnten. Es gab hier nichts, was sie auch nur ungefährdet essen konnten. Nicht, dass diese Umgebung für sie giftig war – aber sie war fremd.

Ihr Lager war ein leuchtender Kreis in der Dunkelheit. In seiner Mitte befand sich ein Heizofen, am Rand eine Reihe von sanft erleuchteten Warnlampen. Innerhalb des Kreises waren sie sicher – beinahe; außerhalb konnten sie sich auf nichts verlassen. Sie hatten einen Brückenkopf errichtet zu einem Augenblick, der weder der Anfang noch das Ende der Zeit war, sondern nur ein winziger Moment in einem ewigen, leeren Ödland. In der Mitte ihres winzigen Kreises gab es Wärme und Licht; an seinem Rand, eisige Sterne. Sogar die Sternbilder waren unvertraut; sie hatten sich noch nicht zu Wegweisern wie Orion oder Großer Bär entwickelt. Die Sterne waren gefühllose Leuchtfeuer, ihr Licht kam noch hundert Millionen Jahre zu früh für menschliche Augen – sie waren hier kälter, sie waren sich selber, noch unberührt vom Wirken menschlicher Dichter und Denker. Ein kalter Wind fegte über die Hügel, ein Schleier, der unter dem grausamen Blick des Nachthimmels beiseite gezogen wurde.

In der Ferne murmelte die Dunkelheit vor sich hin. Sie flüsterte mit Insektenstimmen und, in kaum hörbaren Untertönen, mit dem Klang von Schreien und Kreischen; weit unter dem sternenumsäumten Horizont kämpfte und starb irgendetwas, und etwas anderes brüllte seinen Triumph hinaus – und da war der Wind, ein stets vorhandenes Rascheln, ein ungehörtes Wort, der sanfte, gehauchte Chor von hundert Milliarden noch ungeborener Seelen, die nach ihrer Zeit klagten. Schnell, schnell weiter, riefen sie.

Wenn man hier stirbt, überlegte Loevil, wohin geht dann die Seele? Bleibt sie hier in der vorgeschichtlichen Vergangenheit zurück? Müsste die Seele auf eine hundert Millionen Jahre lange Wanderschaft durch gottlose Himmel und leere Höllen gehen, bevor der Rest der Menschheit überhaupt anfängt …? Das Bild einer Seele, die vor Entstehung ihres Gottes verloren ging, verfolgte ihn. Wahnsinn – es war Wahnsinn … Er knöpfte seine Jacke zu gegen die abendliche Kühle, die eher Einbildung als Wirklichkeit, aber dennoch durchdringend war.

Diese Jagd bereitete ihm Unbehagen.

Er war einunddreißig und verunsichert; er fragte sich, ob er in der Mitte seines Lebens stand oder – noch schlimmer – ob er nicht dem Ende näher als dem Anfang war. Er war bärtig, ein dunkler Rand umrahmte seine Gesichtszüge; sein Haar war kurz und lockig, normalerweise braun, aber andauernde Sonneneinwirkung hatte rötliche Glanzlichter entstehen lassen. Sein Lächeln war entspannt, aber es wurde immer seltener – wenn es seinen umwölkten Gesichtsausdruck durchbrach, wurde es meistens von einer spöttischen Bemerkung begleitet, die manchmal spitz, meist jedoch nur zynisch war. Früher war er gut aufgelegt gewesen, aber dieser Wesenszug hatte sich mit zunehmendem Alter verloren; er war zu ermattet, um noch ein Kind zu sein. Seine Augen waren grün und launisch; seine Augenbrauen, die in weitem Bogen geschwungen waren, verzogen sich schnell zu einem skeptischen Stirnrunzeln. Er grämte sich oft – kam aber nicht auf den Grund. Er war analytisch und rational veranlagt, und wenn er ein Problem nicht lösen konnte, nagte die daraus entstehende Frustration an ihm und schmerzte ihn; das war der Schmerz, den er jetzt verspürte. Er kam nicht dahinter, warum er nicht dahinter kam, und er begann an sich selbst zu zweifeln.

Loevil war intelligent genug, um zu wissen, dass das bei einem Mann seines Alters ganz normal war. Wenn er zuversichtlicherer Laune war, nahm er an, dass er dem entwachsen würde; in seinen niedergeschlageneren Augenblicken fragte er sich, ob er jemals wieder Freude empfinden würde. Und er fragte sich, warum – und das war das eigentliche Warum – warum er eigentlich immer wieder auf all diesen Jagden hierher zurückkehrte. Er seufzte, da er die Frage nicht beantworten konnte, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das, was außerhalb geschah.

Dorik ging gerade auf Wache. Kalen wies ihn sorgfältig ein. Loevil schaute belustigt zu. Kalens Körpersprache sprach Bände – er bezweifelte Doriks Fähigkeit, auch nur auf seine eigenen Schnürsenkel aufzupassen. Dorik bettelte um eine Gelegenheit, alles wieder gutzumachen, und nachdem er jetzt mit dieser Verantwortung betraut worden war – wie gering sie auch sein mochte – war er entschlossen – er reckte sich auf doppelte Normalgröße – war er entschlossen, zu beweisen, dass er doch imstande war, sich allem zu stellen, was die Nacht auch aussenden mochte, um ihn herauszufordern. Er würde beweisen, dass er ein Kerl war. Er verdiente doch eine zweite Chance, nicht wahr?

Dorik klappte sein Sichtgerät herunter und rückte zum westlichen Rand aus. Kalen nahm die Ostseite. Er klappte sein Visier herunter und schaltete die Nachtsichtfähigkeit ein. Hinter der Brille wurde die Landschaft hell, in grellen Farben.

Dorik tat es ihm nach und schaltete auch seine Lauschgeräte ein. Die Geräusche der Nacht wurden verstärkt und zusammengedrängt, sie wurden so nahe herangeholt, dass sie greifbar nahe schienen. Irgendetwas Mottenartiges umflatterte seinen Kopf. Ethab packte sein Gewehr und rückte aus.

»Versuch' dran zu denken«, rief Ethab hinter ihm, »es ist ein Gewehr, keine Keule!« Er breitete gerade seinen Schlafsack aus.

Dorik reagierte nicht – nicht sichtbar – aber er richtete sich strammer auf und rückte mit noch grimmigerer Entschlossenheit aus.

Während er ihn beobachtete, lächelte Ethab fast. Fast, nicht ganz – seine Mundwinkel zuckten, als wollten sie sich aufwärts bewegen, aber das Zucken währte nur einen Augenblick und erstarb fast so schnell, wie es entstanden war. Es wäre ohnehin ein ziemlich grausames Lächeln gewesen.

Zum ersten Mal an jenem Tag klappte Ethab sein Visier zurück und nahm den Helm ab. Um sein linkes Auge war eine Adlerschwinge tätowiert, wie ein Banner der Herausforderung. Es war ein metallisches Bild, wie aus Blattgold aufgebrannt, rot und schwarz umrandet; es schien, als ob das Auge von einem Mönch des zwölften Jahrhunderts ausgemalt worden wäre, der an diesem menschlichen Pergament jahrelang unermüdlich gearbeitet habe. Das Auge war stechend und überschattet, ein glühender Rubin, der in einer schrecklichen Fassung glomm. Und doch erschien das tätowierte Auge sanfter als das andere; das war es vermutlich auch – es war ein Implantat, ein künstliches Auge. Nur das rechte Auge war Originalausstattung – es war das unerbittliche, so schwarz, dass es wie ein Fenster zur Hölle aussah.

Etwas brüllte in der Ferne. Ethab unterbrach die Bewegung, mit der er den Helm niederlegte. Dieses Brüllen war anders gewesen als das übliche undeutliche Gemisch nächtlicher Geräusche. Es stach aus ihnen heraus. Lauter. Tiefer. Kehliger. Ein Grollen, das keinem anderen Geräusch ähnelte, das sie bislang in dieser vorzeitlichen Einsamkeit gehört hatten; es schien, als erbebe die Erde vor dem Widerhall. Er lauschte angespannt, aber es kam nicht noch einmal. Dennoch wusste er … »Er ist es«, flüsterte er. »Bald werde ich ihm begegnen …«

Fast augenblicklich kam ihm etwas anderes zu Bewusstsein. Megan beobachtete ihn. Er sah zu ihr hinüber. Ihr Schlafsack war nur ein paar Meter entfernt. Sie betrachtete ihn nachdenklich.

Ethab schaute nach außen und wies auf jenes Etwas, das in der Nacht rumms gemacht hatte, was immer es auch sein mochte. »Nahe«, sagte er.

Megan schüttelte den Kopf. »Laut.« Sie zog ihren Orter nahe an sich heran und überprüfte ihn. »Nichts.« Sie schob ihn weg. »Er wird tuten.«

»Ängstlich?«, fragte er, während er sich ausstreckte und auf einen Ellbogen stützte.

Sie zog den Gedanken kaum in Betracht. »Nein.«

»??«

»Es gibt furchterregendere Dinge.«

Wieder schaute er mit gespielter Verwirrung drein. »??«

Megan blickte ihn voll an. »!!«

Ethab nickte. Kein Lächeln, nur ein kurzes Nicken. Er räusperte sich nachdenklich, als überlege er, wie er sich Megan am besten nähern solle. Er senkte langsam den Blick und hob ihn dann, um ihrem zu begegnen. Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. Es war eine wunderbare Vorstellung. »Ich geb's zu«, log er. »Ich habe Angst.« Er schaute zu ihr hinüber und schätzte ihre Reaktion ab.

Megan war unbeeindruckt. Sie wartete darauf, dass er weitermachte.

»Wirklich«, sagte er. »Die Bestie jagt mir Angst ein …«, er legte eine Kunstpause ein, »… wenn ich an sie denke.«

Megan hörte zu, verzog keine Miene – das war genug Skepsis.

»Man kann nicht tapfer sein, wenn man nicht vorher Angst hat«, erklärte Ethab. »Je mehr Angst man hat, desto tapferer muss man sein.« Er drehte die Handflächen nach oben zu einer Geste, die folglich bedeutete: »… Ich habe Angst.«

Megan schürzte nachdenklich die Lippen – denn eigentlich wollte sie »Unsinn!«, sagen. Sie hatte sich schon überlegt, wie Ethab sich ihr nähern würde. Es geschah früher oder später auf fast jeder Jagd: Der Mann, der sich irgendetwas beweisen musste, versuchte es bei ihr zu beweisen, weil sie die oberste Führerin war. Dies war ihre zwölfte Jagd; auf neun der vorhergegangenen hatte man ihr Anträge gemacht. Es war nicht einmal mehr schmeichelhaft, nur anödend. Megan war in der Echtzeit zusammen mit Loevil Teil einer Gruppenehe. Sie genoss Sex, aber mit Männern und Frauen, die sie liebte. Sie genoss Sex nicht, wenn er Ausdruck der Machtausübung eines Menschen über einen anderen war. Sie mochte Männer, die sanft und empfindsam sein konnten – nicht solche, die vorgaben, empfindsam zu sein, nur um ins Bett zu kommen.

Aber Ethab war der Kunde. Und das Motto der Zeitjagd-GmbH war: »Der Kunde mag nicht immer recht haben, aber er ist immer der Kunde.« Sie sah Ethab mit einem unverbindlichen, aber fragenden Blick an.

Ethab fuhr kühn fort: »Aber wenn die Zeit kommt, werde ich keine Angst haben.« Seine Stimme war wieder kalt. Hart. »Weil ich dann nicht überlegen werde. Nur handeln.« Er atmete tief ein. »Es ist immer so.«

Megan blieb unverbindlich. »So hab' ich's mir sagen lassen.« Sie sagte es ruhig und ungerührt.

Ethab stützte sich immer noch auf einen Ellbogen und blickte Megan unverwandt an. »Zweifeln Sie an mir?«

»Aber nein, bewahre! Ich glaube, dass sie in allem aufrichtig sind.« Sie zog ihren Orter nahe an sich heran, um ihren Gesichtsausdruck zu verbergen. Sie studierte ihn aufmerksam und fügte hinzu: »Das waren auch die letzten fünf Jäger, die dasselbe gesagt haben.«

»Und …?«, fragte Ethab gedehnt. »Was ist aus ihnen geworden?«

»Sie sind umgekommen.«

Ethab starrte sie an.

Sie bemerkte es nicht. Sie schaltete die Schmalband-Ortung aus und ging wieder auf hohe Reichweite zurück, schloss den Deckel und schob das Gerät wieder weg. Sie verzog sich wieder in ihren Schlafsack und rollte sich zusammen. Einen Herzschlag später sagte sie: »Gute Nacht!«