Regieren Sie doch selbst, Madame! - Karin Feuerstein-Praßer - E-Book

Regieren Sie doch selbst, Madame! E-Book

Karin Feuerstein-Praßer

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Beschreibung

Als die Oranier-Prinzessin 1646 den Kurfürsten von Brandenburg heiratet, blickt sie in eine düstere Zukunft: Aufgewachsen im "goldenen Zeitalter" der Niederlande an einem der prächtigsten Höfe Europas, folgt sie ihrem Gemahl in ein armes Land, das unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges leidet. Die kluge, pragmatische Luise Henriette (1627–1667) lebt sich rasch ein und steht dem Kurfürsten mit Rat und Tat zur Seite. Doch über der glücklichen Ehe liegt ein dunkler Schatten: die Kinderlosigkeit des Paares. Erst nach Jahren kommt ein gesunder Thronfolger zur Welt, dem weitere Söhne folgen – darunter der spätere preußische König Friedrich I. Luise Henriette ist es nicht vergönnt, ihre Kinder aufwachsen zu sehen: Sie stirbt im Alter von nur 39 Jahren. Dieses Buch zeichnet ihren Weg, ihr Wesen und Handeln einfühlsam nach.

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Seitenzahl: 170

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Karin Feuerstein-Praßer

»Regieren Sie doch selbst, Madame!«

Luise Henrietteund der Große Kurfürst

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 0941/920220 | [email protected]

ISBN 978-3-7917-3349-4

Umschlaggestaltung: Heike Jörss, Regensburg

Covermotiv: Doppelporträt von Kurfürst Friedrich Wilhelm I. und seiner Gemahlin Luise Henriette. – Gemälde von Gerrit van Honthorst

(Öl auf Leinwand), um 1647

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2022

eISBN 978-3-7917-6224-1 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie unter www.verlag-pustet.de

Inhalt

Vorwort

Zwei verschiedene Welten: Die Niederlande und Brandenburg

Die republikanische Oranierprinzessin

Von Burgund zu Spanien – Die wechselvolle Geschichte der Niederlande

Wilhelm von Oranien-Nassau – Luise Henriettes charismatischer Großvater

Der Calvinismus – »Motor« des Freiheitskampfes gegen Spanien

Das »Goldene Zeitalter« der Niederlande

Freiheit – Kein Privileg der Männer

Amalie zu Solms-Braunfels – Von der Geflüchteten zur Gattin des Statthalters

Besuch aus Brandenburg

Brandenburg – Die Heimat des jungen Kurfürsten Friedrich Wilhelm

Der schwierige Neubeginn

Die Ursprünge Preußens

Das Zeitalter der »starken« Frauen

Haager Heiratspläne

Brandenburgs neue Kurfürstin

Hochzeit im Binnenhof

Kleve – Die erste Etappe im Leben als Kurfürstin

Luise Henriettes Mitgift

Das kurze Leben des Kurprinzen

Neue Heimat an der Spree

Fürstlicher Besuch an der Spree

Bötzow – Eine neue Aufgabe für Luise Henriette

Aus Bötzow wird Oranienburg

Luise Henriettes »grüner Daumen«

Ein neuer Mann am Berliner Hof: Reichsgraf Georg Friedrich von Waldeck

Calvinisten gegen Lutheraner

Die Bedeutung der Kirchenmusik

Zur Kur in Aachen

Pflichten einer »Unternehmerin«

Allzu kurzes Familienglück

Die Geburt des Kurprinzen

Unruheherd Schweden

Eine weitere starke Frau: Polens Königin Luisa Maria

Preußen in Gefahr! – Beschwerliche Reise nach Königsberg

Auf Seite der Schweden

Die »Partei der Frauenzimmer«

»Fritzchen« – Die Geburt des zweiten Sohnes

Zurück in Berlin

Auf dem Weg nach Jütland

Symptome der »Schwindsucht«

Sorge um Oranienburg

Die Erziehung der Söhne

Stiftung des Oranienburger Waisenhauses

Ein Erzieher für Fritzchen

Ein letztes Mal in Kleve

Luise Henriettes Tod

Ausblick

Kurfürstin Dorothea – Die neue Frau an Friedrich Wilhelms Seite

Die Rückkehr der Oranier

Anhang

Zeittafel

Stammbaum

Literaturverzeichnis (Auswahl)

Register

Bildnachweis

Vorwort

Dass ausgerechnet ihr Zweitgeborener, »Sorgenkind Fritzchen«, 1688 seinen Vater beerbte und sich 1701 als Friedrich I. sogar zum ersten König »in« Preußen krönte, hat sie leider nicht mehr erlebt. Sie hätte es wohl auch kaum zu hoffen gewagt. Schließlich war Brandenburg-Preußen zu Luise Henriettes Lebzeiten nur ein Zwerg im europäischen Machtgefüge gewesen und die Zukunft des Landes noch völlig ungewiss.

Als die knapp 19-jährige Oranierprinzessin am 23. November 1646 im Haager Binnenhof Friedrich Wilhelm, den Kurfürsten von Brandenburg-Preußen, heiratete, ahnte wohl niemand, dass sich diese Verbindung so rasch zu einem »Erfolgsmodell« entwickeln würde. Eigentlich sprach alles dagegen, denn die Voraussetzungen schienen denkbar schlecht: Zum einen war die Ehe, wie in Adelskreisen üblich, aus rein politischen Gründen geschlossen worden. Zwar kannten sich die beiden, die als Cousin und Cousine zweiten Grades miteinander verwandt waren. Doch bis dahin hatten sie keine großen Sympathien füreinander gehabt. Hinzu kam, dass sie eigentlich jeweils andere Ehepartner ins Auge gefasst hatten, wobei zumindest bei Luise Henriette echte Gefühle im Spiel gewesen waren. Die vielleicht größte Hypothek bestand jedoch in den höchst unterschiedlichen Lebensverhältnissen ihrer Heimatländer. Die junge Oranierin, aufgewachsen an einem der prächtigsten Höfe Europas, würde künftig im armen und zerstörten Brandenburg leben müssen, in dem der Dreißigjährige Krieg besonders heftig gewütet hatte. Doch in Luise Henriette, im Familienkreis kurz »Less« genannt, steckten viel mehr Kraft, Disziplin und Durchhaltevermögen, als man der kleinen zierlichen Person vielleicht zugetraut hätte.

Es waren Eigenschaften, die sie von ihren Eltern geerbt hatte, dem Vater Friedrich Heinrich von Oranien und Mutter Amalie aus dem hessischen Adelsgeschlecht zu Solms-Braunfels. Ausgestattet mit solchen Wesensmerkmalen wurde Luise Henriette ihrem Gemahl schon bald zu einer klugen und unverzichtbaren Partnerin, die ihn tatkräftig beim schwierigen Aufbau des kriegszerstörten Landes unterstützte. Bis zu ihrem frühen Tod konnte sie miterleben, wie sich Brandenburg allmählich erholte, auch wenn noch nicht abzusehen war, wie es tatsächlich weitergehen würde.

Aufgrund der dürftigen Quellenlage ist es leider schwierig, ein vollständiges Bild von Luise Henriette zu zeichnen. Manches muss daher im Dunkeln bleiben, zum Beispiel ihre Kindheit, aber auch Näheres darüber, sie sich ihre Beziehung zu Kurfürst Friedrich Wilhelm gestaltete. Zwar gibt es keine Belege für schwere Krisen, doch gerade die lange bedrückende Phase ihrer Kinderlosigkeit wird an der Ehe nicht spurlos vorübergegangen sein.

Gemeinsam haben die beiden schwere Zeiten gemeistert, und mit Luise Henriettes vorzeitigem Tod verlor Friedrich Wilhelm nicht nur seine geliebte und geschätzte Frau, sondern auch seine engste Vertraute und Ratgeberin. Die Lücke, die sie hinterließ, konnte nicht mehr geschlossen werden.

Zwei verschiedene Welten: Die Niederlande und Brandenburg

Die republikanische Oranierprinzessin

Luise Henriette, die am 7. Dezember 1627 im heutigen Den Haag des Licht der Welt erblickte, war zwar eine Prinzessin, allerdings kein Königskind, denn in den Niederlanden gab es damals noch keine Monarchie, sondern die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen. Während ihr Vater Friedrich Heinrich von Oranien (1584–1647) die Funktion eines Statthalters innehatte, war Mutter Amalie (1602–1675) vor ihrer Hochzeit Hofdame im böhmischen Prag gewesen, bis sie unter dramatischen Umständen nach Den Haag fliehen musste. Doch davon hat Luise Henriette erst viel später erfahren.

Zunächst einmal verlebte sie im Hag (oder Haag) eine unbeschwerte Kindheit. Der Name »Hag« bedeutet soviel wie Hecke oder Gehege, womit ursprünglich das Jagdrevier des Grafen von Holland gemeint war, bevor der Haag 1248 zum Regierungssitz wurde. Hier entstand jener Gebäudekomplex, der noch heute Binnenhof heißt und das Zentrum der niederländischen Politik bildet.

Nach Wilhelm, der 1626 zur Welt kam, war Luise Henriette das zweite Kind des Statthalterpaares. In den nächsten Jahren bekam sie noch drei Schwestern, Albertine Agnes (1634–1696), Henriette Katharina (1637–1708) und Marie Henriette (1642–1688). Weil der Altersunterschied zu den Mädchen ziemlich groß war, schloss sich Luise Henriette eher ihrem Bruder an, mit dem sie zunächst auch gemeinsam erzogen wurde.

Weil der calvinistische Glaube in der Familie eine große Rolle spielte, erhielten die Kinder schon früh einen umfassenden Religionsunterricht, den der Theologe und Hofprediger André Rivet (1572–1651) erteilte. Er führte sie nicht nur in Bibel und Katechismus ein, sondern besprach mit den Heranwachsenden auch theologische und dogmatische Fragen. Luise Henriette wurde durch diese religiöse Erziehung stark geprägt. Von der Besonderheit des calvinistischen Glaubens wird später noch die Rede sein.

Ansonsten aber gestaltete sich die Ausbildung der Prinzessin nicht besonders anspruchsvoll. Sie drehte sich eher um die Fertigkeiten, die damals von einer adligen »Hausfrau« erwartet wurden. Deshalb standen auf Luise Henriettes Stundenplan Handarbeiten wie Nähen und Sticken. Auch auf dem Tanzparkett musste sie eine gute Figur machen und erhielt daher entsprechenden Unterricht. Neben ihrer niederländischen Muttersprache, die sie ein Leben lang beibehielt, lernte sie Französisch, das damals an allen europäischen Höfen in Mode kam. Nachdem es zunächst mit ausländischen Gesandten gesprochen wurde, entwickelte es sich schon bald zur aristokratischen Umgangssprache.

Zu ihrer Erzieherin Freifrau von Merode hatte Luise Henriette eine herzliche Beziehung, während die vielbeschäftigte Mutter nur wenig Zeit mit den Kindern verbrachte. Besondere geistige Anregungen scheint sie ihrem Schützling aber nicht vermittelt zu haben. Doch als Mitglied der Statthalterfamilie entwickelte »Less« gleichwohl ein feines politisches Gespür, wobei beide Elternteile ihre großen Vorbilder waren.

Auch wenn der Schwerpunkt ihrer Ausbildung eindeutig auf dem Gebiet des calvinistischen Glaubens lag, so wird man die Prinzessin sicherlich auch mit der Geschichte ihres Heimatlandes vertraut gemacht haben, in der ihr Großvater Wilhelm von Oranien eine maßgebliche Rolle gespielt hatte.

Als Luise Henriette von Oranien 1627 geboren wurde, erlebten die Niederlande ihr „Goldenes Zeitalter“. Nach ihrer Hochzeit mit dem jungen Kurfürsten Friedrich Wilhelm wurde das im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Brandenburg ihre neue Heimat. Doch sie lebte sich rasch ein und stand ihrem Gemahl beim Wiederaufbau des Landes mit Rat und Tat zur Seite. – Gemälde von Gerrit van Honthorst, um 1650 (Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen).

Von Burgund zu Spanien – Die wechselvolle Geschichte der Niederlande

Schon zur Zeit Karls des Großen nannte man das Mündungsgebiet von Rhein, Maas und Schelde die »niederen Lande«, weil die von Deichen umfriedete Gegend zu großen Teilen unterhalb des Meeresspiegels lag. Nach dem Zerfall des Karolingerreiches im 9. Jahrhundert entstanden selbstständige Territorien: Flandern, Brabant, Artois, Hennegau, Namur, Limburg, Holland, Seeland, Geldern, dazu die Bistümer Lüttich und Utrecht.

Nachdem es den Herzögen von Burgund im 14. Jahrhundert gelungen war, in den »niederen Landen« Fuß zu fassen, kam es 1384 zur Vereinigung der bislang selbstständigen, kulturell gleichwohl verbundenen Territorien. Damit begann der Aufstieg der Niederlande zur führenden Handelsmacht. Der politische und wirtschaftliche Schwerpunkt der burgundischen Niederlande lag damals jedoch noch im Süden, in Flandern und Brabant. Dort blühte der Handel mit Stoffen, Leder und Gewürzen. Daneben sorgten Fischfang und Bierbrauerei für reichliche Einnahmen.

Dieser fulminante Erfolg stieg Karl dem Kühnen (1433–1477), Herzog von Burgund, offenbar zu Kopf. Sein Traum war ein von Frankreich unabhängiges Königreich, und im Geiste sah er sich bereits als König von Burgund. Doch dazu kam es nicht mehr, denn in der Schlacht von Nancy, die er gegen die Eidgenossenschaft führte, verlor er 1477 sein Leben.

Weil Karl der Kühne keinen männlichen Erben besaß, hatte er seine Tochter Maria vorausschauend mit dem Habsburger und späteren Kaiser Maximilian (1459–1519) verlobt. Auf diese Weise wollte er verhindern, dass Burgund wieder an Frankreich fiel. Als Frankreichs König Ludwig XI. trotzdem in Burgund einmarschierte, floh Maria nach Gent. Um von den Provinzen Flandern, Brabant, Hennegau und Holland als rechtmäßige Erbin anerkannt zu werden, musste sie sich vertraglich verpflichten, künftig nur mit Zustimmung der als »Generalstaaten« bezeichneten Provinzen zu heiraten, Steuern zu erheben und Krieg zu führen. Als Maria im August 1477 mit Maximilian vor den Traualtar trat, fiel die Herrschaft über die Niederlande somit an das Haus Habsburg.

Nach Marias frühem Tod 1482 übernahm Maximilian zunächst selbst die Regentschaft, übergab sie aber nach seiner Wahl zum römisch-deutschen König 1494 seinem Sohn Philipp (1478–1506). Als auch der starb, übernahm Maximilians einzige Tochter Margarete von Österreich (1480–1530) die Statthalterschaft der Niederlande, bevor diese 1515 an Philipps Sohn, den späteren Kaiser Karl V., überging. Weil Karl gleichzeitig König von Spanien war, wurden die Niederlande damit zur Provinz des spanischen Herrschaftsbereichs.

Wilhelm von Oranien-Nassau – Luise Henriettes charismatischer Großvater

Schon als die Niederlande 1515 an Spanien fielen, hatte sich große Unruhe breit gemacht, die durch die Reformation weiteren Auftrieb erhielt. Während sich zahlreiche Niederländer bald dem neuen protestantischen Glauben zuwandten, blieb Spanien auch weiterhin eine treue Tochter der römisch-katholischen Kirche. So wuchs der niederländische Wunsch, sich vom habsburgischen »Joch« zu befreien.

Dieser Freiheitskampf, der 1568 seinen Anfang nahm, ist untrennbar mit Luise Henriettes Großvater verbunden, dem Statthalter Wilhelm von Oranien-Nassau (1533–1584). In der niederländischen Nationalhymne Het Wilhelmus (Wilhelmslied) ist er noch heute präsent.

Dabei war Wilhelm ursprünglich ein deutscher Territorialherr aus dem Hause Nassau-Dillenburg, das seit Beginn des 13. Jahrhunderts bis 1568 auch über Besitz in den Niederlanden verfügte, darunter die »Nassau-Stadt« Breda mit ihren imposanten Gebäuden aus der damaligen Zeit. Als Erbe des Fürstentums Orange in Südfrankreich war Wilhelm gleichzeitig Prinz von Oranien – und damit der Stammvater des heutigen niederländischen Königshauses Oranien-Nassau.

Luise Henriettes Großvater Wilhelm von Oranien stand als Statthalter der Niederlande zunächst im Dienst der spanischen Habsburger. Als die den Druck auf die reformierte Bevölkerung verstärkten, stellte er sich an die Spitze des Widerstands. Durch Wilhelms Übertritt zum reformierten Glauben wurde der Calvinismus zum „Motor“ des langjährigen Freiheitskampfes. – Gemälde von Adriaen Thomasz Key, 1579 (Rijksmuseum Amsterdam).

Der Widerstand gegen die Spanier war dem jungen Mann keineswegs in die Wiege gelegt, im Gegenteil. Aufgewachsen am Hof Kaiser Karls V. wurde auch Wilhelm katholisch erzogen und trat später ganz selbstverständlich in den Dienst der Habsburger. 1553 ernannte der Kaiser den erst 20-Jährigen zum Generalleutnant der in den Niederlanden stationierten Armee. 1559 erhielt Wilhelm den Posten des Statthalters der Provinzen Holland, Seeland, Utrecht und Westfriesland mit Sitz in Breda. Bis dahin verhielt er sich gegenüber den Habsburgern völlig loyal.

1551 hatte Wilhelm die Katholikin Anna von Egmond (1533–1558) geheiratet, einziges Kind des Kapitän-Generals Maximilian von Egmond und nach dessen Tod 1548 Erbin umfangreicher Ländereien. Sie stammte aus einer der ältesten und bekanntesten Familien des Landes, zu der auch der spätere niederländische Freiheitskämpfer Lamoral von Egmond (Vorbild für Goethes »Egmont«) gehörte. Wie Briefe belegen, war die Ehe des Paares ausgesprochen glücklich und Wilhelm trauerte sehr, als Anna nach der Geburt von drei Kindern mit nur 25 Jahren verstarb.

Allmählich aber ging Wilhelm auf Distanz zu den Habsburgern. Er war nicht besonders fromm und in Glaubensfragen eher indifferent, doch für ihn besaß religiöse Toleranz die oberste Priorität. Die aber vermisste er inzwischen schmerzlich. Seit der Abdankung Karls V. 1556 saß dessen Sohn Philipp II. (1527–1598) auf dem spanischen Thron und war fest entschlossen, der weiteren Ausbreitung des Protestantismus reformierter Ausprägung in den Niederlanden Einhalt zu gebieten. Ein Mittel war die berühmt-berüchtigte »Spanische Inquisition«. Aus Angst um Leib und Leben verließen damals zahlreiche »Ketzer« das Land, während andere fest entschlossen waren, für ihren Glauben und ihre Freiheit zu kämpfen.

Wilhelm zögerte noch, verhielt sich abwartend. Doch seine zweite Ehe kann bereits als untrügliches Zeichen gewertet werden, dass er dabei war, die Seiten zu wechseln: 1561 trat er mit der Protestantin Anna von Sachsen (1544–1577) vor den Traualtar, Tochter des 1653 verstorbenen sächsischen Kurfürsten Moritz. Er tat es in der Hoffnung, für den Fall des Kampfes gegen Spanien militärische Unterstützung von den Sachsen zu erhalten. Die aber blieb ihm versagt. Ohnehin stand die Ehe mit Anna unter keinem guten Stern. Es kam schon bald zu erheblichen Spannungen, die das Paar immer weiter voneinander entfernten. Schließlich verließ Anna ihren Mann, der sich inzwischen an die Spitze des Freiheitskampfs gegen Spanien gestellt hatte, und zog mit den drei gemeinsamen Kindern nach Köln. Hier begann sie mit Jan Rubens, dem Vater des später berühmten Malers Peter Paul Rubens, eine Affäre, aus der 1571 vermutlich eine Tochter hervorging. Noch im selben Jahr ließ sich Wilhelm scheiden und heiratete 1575 die Hugenottin Charlotte von Bourbon (1546/47–1582).

Inzwischen war der Freiheitskampf der Niederlande voll entbrannt, wobei gerade der Calvinismus zum politischen Instrument wurde, das die Menschen zusammenschweißte und ihnen eine klare Identität gab. 1573 hatte auch Wilhelm von Oranien den reformierten Glauben angenommen.

Der Calvinismus – »Motor« des Freiheitskampfes gegen Spanien

Ähnlich wie die Hugenotten in Frankreich bildeten die Calvinisten (oder Reformierten) auch in den Niederlanden zunächst eine Minderheit. Sie orientierten sich an den Ideen des Schweizer Reformators Johannes Calvin (1483–1564). Neben Martin Luther (1483–1546), der 1517 durch den berühmten »Thesenanschlag« an der Wittenberger Schlosskirche der Überlieferung nach für Furore gesorgt hatte, gehörte auch Calvin zu den bedeutenden Reformatoren. Seine Theologie war jedoch weitaus radikaler als die von Luther: Allein Gott war für ihn heilig, menschengemachte Kulte und Rituale galten nichts und verhinderten seiner Ansicht nach nur den Blick auf die einzigartige Heiligkeit Gottes. Entsprechend schmucklos und nüchtern sahen auch die reformierten Kirchen aus. Nicht anders verhielt es sich mit der gesamten Lebensführung, die auf weitgehender Askese basierte. Jeglicher Genuss und Luxus wurden von Calvin strikt abgelehnt, Theateraufführungen und andere Vergnügungen als Götzendienst angesehen, weil sie angeblich den Blick auf Gott versperrten.

Im Gegensatz zu den Lutheranern war das Abendmahl in beiderlei Gestalt, das alle Gläubigen erhielten, für die Calvinisten nur ein symbolischer Akt des Gedenkens, keine Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Im Zentrum der Theologie Calvins aber stand die Prädestinationslehre. Sie sagt aus, dass Gott bereits vorherbestimmt habe, welche Menschen auserwählt seien, seine Botschaft zu verstehen und so nach ihrem Tod der ewigen Seligkeit teilhaftig zu werden. Der einzelne Mensch selbst könne nichts für sein Seelenheil tun: gute Werke, gottgefälliges Leben, Stiftungen, Buße, das alles ist nach Calvin sinnlos. (Im Gegensatz dazu ist Luthers Theologie versöhnlicher: Allein durch seinen Glauben an Jesus Christus kann sich der Mensch der göttlichen Gnade sicher sein.) Der Status des Auserwähltseins ist im calvinistischen Verständnis dauerhaft; dieses »Geschenk« kann einem nicht mehr genommen werden.

Die Prädestinationslehre ist ein durchaus problematischer Aspekt in der Lehre Calvins: Da harte Arbeit und Fleiß im Leben eine große Rolle spielen, kann daraus erwachsener Wohlstand leicht als Zeichen des Auserwähltseins interpretiert werden. Menschen, denen Glück und Erfolg beschieden sind, könnten sich so als Auserwählte fühlen. Hingegen könnten Misserfolge und Schicksalsschläge zu der Vorstellung verleiten, von Gott verdammt zu sein. Darunter hat auch Luise Henriette, die ihren Glauben sehr ernst nahm, entsetzlich gelitten. Die Angst, zu den Verdammten zu gehören, legte sich wie ein dunkler Schatten über ihr ganzes Leben.

Trotzdem folgten immer mehr Niederländer dem Beispiel ihres Statthalters Wilhelm von Oranien, traten zum Calvinismus über und machten ihn zum »Motor« des Widerstands gegen das katholische Spanien. Mit Erfolg: Im Januar 1679 gelang es Wilhelm von Oranien, die sieben nördlichen Provinzen (Holland, Seeland, Utrecht, Westfriesland, Brabant, Flandern und Mecheln) zur Utrechter Union zusammenzuschließen. Dies gilt als Gründung der Republik der Vereinigten Niederlande. Nur zwei Jahre später sagten sie sich feierlich von Spanien los.

Nach dem frühen Tod seiner dritten Gemahlin Charlotte von Bourbon ging Wilhelm 1583 eine vierte und letzte Ehe ein. Er heiratete Luise von Coligny (1555–1620), Tochter des französischen Hugenottenführers Gaspard Coligny, der in der »Bartholomäusnacht« 1572 ermordet worden war. Ein Jahr später kam das einzige Kind zur Welt, Sohn Friedrich Heinrich – Luise Henriettes Vater. Doch das Familienglück währte nur kurz, denn 1584 fiel Wilhelm dem Mordanschlag eines habsburgischen Parteigängers zum Opfer.

Das »Goldene Zeitalter« der Niederlande

Mit der Gründung der Vereinigten Republik der Niederlande war der Freiheitskampf allerdings noch nicht zu Ende. Wilhelms ältester Sohn Moritz (1567–1625) aus der Ehe mit Anna von Sachsen setzte den Kampf um die Unabhängigkeit nicht minder entschlossen fort, bis es ihm 1598 endlich gelang, die letzten spanischen Truppen von ihren Stützpunkten im Norden der Niederlande zu vertreiben. Damit blieben nur noch die südlichen Provinzen, etwa das heutige Belgien, im spanischen Herrschaftsbereich. Doch nach wie vor war der Sieg brüchig. Erst 1609 konnte ein Waffenstillstand mit Spanien unterzeichnet werden, aber die formale Unabhängigkeit erhielten die Vereinigten Provinzen erst mit dem Westfälischen Frieden 1648.

Dennoch begann mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands für die Niederländer ein »Goldenes Zeitalter«, das vor allem auf dem Seehandel beruhte. Nachdem 1595 die erste niederländische Flotte auf Java eingetroffen war, hatten sich die niederländischen Handelsgesellschaften 1602 zur Vereinigten Ostindien Companie (VOC) zusammengeschlossen. Künftig diente die Insel als Hauptumschlagplatz der Niederlande für die begehrten Importe aus Ostasien, darunter das geschätzte chinesische Porzellan.

Von Sumatra aus brachte die VOC den Gewürzhandel unter ihre Kontrolle, und exklusive Lieferverträge mit lokalen Herrschern sicherten den Niederländern das Monopol für teure Gewürze wie Nelken und Muskat. 1621 erfolgte die Gründung der Westindischen Companie (WIC).

Fischfang und Seehandel machten die Niederlande reich und katapultierten die Kaufleute zur führenden Schicht des Landes. Sie hatten also allen Grund zu der Annahme, sich von Gott »auserwählt« zu fühlen. Doch auch wenn der Calvinismus inzwischen zur beherrschenden Konfession geworden war, erfreuten sich die Niederlande einer ungewöhnlichen religiösen Toleranz und intellektuellen Liberalität, wie sie sonst nirgendwo in Europa zu finden war. Die in den Vereinigten Provinzen herrschende Religionsfreiheit zog auch zahlreiche Juden in Städte wie Den Haag, Rotterdam oder besonders Amsterdam. Unter ihnen befanden sich einige der reichsten Kaufleute der blühenden Handelsstadt, denn sie beherrschten einen wesentlichen Teil des niederländischen Handels mit der Iberischen Halbinsel sowie mit West- und Ostindien.

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Blüte entwickelte sich auch ein reiches kulturelles jüdisches Leben mit zahlreichen Rabbinern, Gelehrten, Dichtern und Philosophen. Angezogen von dieser aufgeschlossenen Atmosphäre ließen sich etliche religiöse und politische Flüchtlinge in den Vereinigten Provinzen nieder. So verbrachte der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) insgesamt 20 Jahre in den Niederlanden, bevor es ihn 1649 kurz vor seinem Tod noch an den Hof der schwedischen Königin Christine zog, die von Zeitgenossen als »Pallas des Nordens« gerühmt wurde. Descartes, der in enger Verbindung zur Luise Henriettes Familie stand, rühmte seine langjährige Wahlheimat in den höchsten Tönen: »Es gibt kein anderes Land, in dem die Freiheit vollkommener, die Sicherheit größer, das Verbrechen seltener, die Einfachheit alter Bräuche vollendeter wäre als dieses hier.«

Ähnlich empfand ein anderer Franzose, Hippolyte Taine, der die Niederlande um 1600 beschrieb: »Es gibt heute keine Gegend der Welt, die sich so großer Freiheit erfreut wie Holland … Jedermann kann das Land verlassen, wann es ihm gefällt und kann so viel Geld mitnehmen, wie er will. Die Straßen sind bei Tag und Nacht sicher, selbst für einen Menschen, der allein reist. Einem Meister ist es nicht gestattet, einen Bedienten gegen dessen Willen festzuhalten. Niemand wird wegen seiner Religion gequält. Jeder kann sagen, was er will, selbst über die Magistraten.«