Reiseberichte aus Tansania - Sara Schmidt - E-Book

Reiseberichte aus Tansania E-Book

Sara Schmidt

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Beschreibung

Mit diesem kleinen Buch möchten wir Tansania vorstellen. Das Land in Afrika, wo die Menschen ohne Wasser leben, aber mit der Hilfe von uns und unserem Brunnenbau ein ganz großes Stück mehr Lebensqualität bekommen. Wir werden euch einen Eindruck vermitteln, was es bedeutet, in der Stadt oder auf dem Land zu leben. Was es bedeutet, nichts zu haben. In Dar as Salaam ist es normal, dass die Menschen auf der Straße schlafen, handeln und ihre Notdurft verrichten Uns begegnet eine unglaubliche Armut, die wir uns in Europa kaum vorstellen können. In dieser Gegend werden wir einen Brunnen bauen. Ich werdet dabei sein, wie wir das Gebiet dafür aussuchen, die Verhandlungen führen, um ein Loch zu bohren und auch erzählen, wie sich die Menschen freuen, wenn der Brunnen fertig ist und ihr Leben aufwertet mit dem sehr wichtigen Gut "Wasser", das bei uns unterschätzt wird. Wir wünschen Euch eine spannende Zeit mit diesem Buch, das nicht nur ein Bericht, sondern auch eine Erzählung ist wie ein Abenteuer, welches geprägt ist von einem großen Glauben an die Aufgabe und an Gott.

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INHALTSVERZEICHNIS

Sara Schmidt

Vertraue auf Allah

Mein Leben und mein Weg zum Islam

Die erste Reise

Ein kleiner Eindruck der Gefühle

Kopfkino

Meine Tage der Vorbereitung

Kurzer Bericht vom Tag 1&2

Die schweren Prüfungen gehen weiter

Die Verzweiflung

Gebrochene Herzen

Alle Sinne neu entdecken

Khalils Unterkunft

Das Leben in Dar as Salaam

Gebrochene Herzen -> Was ist real?

Der Spiegel der islamischen Gemeinschaft -> Blind und taub!

Das Wunder von Dar as Salaam

Fastenbrechen in der Moschee und das richtige Kabel gefunden

Die erste Entscheidung ist gefallen

Szenario des Grauens

Wie im Krieg

Das Bittgebet für die Reise in den Kilomandscharo

Die Wichtigkeit der Spende

Ist unsere Ummah krank?

Ein großes Danke

Unbekannte Gefühlswelten

Die Wertschätzung

Die abgebrühten Masai

Allah vergib uns, oh vergib uns

Die Geschichte mit den Schokopralinen

Kleiner Input zum Thema Wasser

Die Wertschätzung und der Umgang mit den Sachen

Verfluche nie einen Hahn, wenn er kräht

Löcher

Zeit und Langeweile

Ein paar Worte zum Nachdenken

Die Falle des Diesseits

Silvester?

Die zweite Reise

Jet Lag Kulturschock

Wenn Allah uns Licht schenkt

Allah macht es leicht, aber manchmal prüft Er auch, doch dann macht Er wieder leicht

Andere Zeitrechnung

Eine gute Tat führt zur nächsten guten Tat - Der Waschsauger

Juma Mubarak

Schwere Gefechte an der Front

Spendenmoral

Offroad Jeep vs. Regenzeit

Dieser Weg wird kein leichter sein

Die letzte Prüfung

Wir bohren

Geschenke für die Kinder

Eine Reise ins Mittelalter

Marktplatz- Mittelpunkt der Stadt

Der Kampf mit dem Essen

Das Backoffice

Der Pumptest- alles oder nichts

Wenn die Hoffnung schwindet

Wir erleiden Verluste

Die große Baustelle

Aufruf zum Brunnenfest

Mission complete

Nachhaltig von Anfang bis zum Ende

Das Zeichen: Allahs Zufriedenheit

Final Punch Knockout

Worte zum Nachdenken

Aimal, das Mädchen mit dem Namen Hoffnung

Good News - Telegram aus Tansania

Islamische Gemeinschaft, wann kommst Du?

Das Bild, das um die Welt ging

Nachwort

Auf der ewigen Suche nach Gerechtigkeit Du bist nichts als eine Batterie!

Kein Platz mehr für Gefühle Botschaft aus meinem Herzen

SARA SCHMIDT

Vertraue auf Allah

Meine Geschichte schreibe ich, weil ich jahrelang daran kaputt gegangen bin und jetzt nach so vielen Jahren bei dem Zurückdenken, weiß, dass alles einen Sinn hat. Ich habe Freundinnen, die bei mir sitzen und wegen ihren Problemen weinen. Oft reicht es nicht, wenn ich versuche, sie mit den gängigen Worten zu trösten. Oft sind die Frauen aus der heutigen Zeit verzweifelt und denken, dass sie für immer in diesem Kreislauf gefangen bleiben.

Ich kann dazu nur sagen: „Allah, gepriesen und erhaben sei Er, hat immer eine von drei Antworten auf dein Bittgebet: 1. ja 2. ja, aber nicht jetzt und 3. nein, aber ich habe was Besseres für dich.“

Wenn du das verinnerlichst und deine Situation, sei sie noch so schwer, überstehst, ist sie leichter und du kannst dankbarer sein. Möge Allah, gepriesen und erhaben sei Er, uns zu den Dankbaren gehören lassen.

AMIN.

Ich möchte meine Geschichte erzählen, um zu zeigen, wie weit sich dein Leben ändern kann. Ich möchte euch Mut machen, nicht zu verzweifeln und auf Allah, gepriesen und erhaben sei Er, zu vertrauen und ich möchte, dass wir daran denken, dass es jemanden geben wird, der gerne mit dir tauschen würde.

Oft sind wir traurig oder wütend wegen etwas in unserem Leben und machen uns Luft bei anderen, dabei wissen wir gar nicht, wie vielleicht lächerlich die eigenen Probleme sind im Gegensatz zu deinem Gegenüber.

Mein Leben und mein Weg zum Islam

Meine entfernteste Erinnerung ist, als meine Eltern noch verheiratet waren. Mein Vater lag auf dem Sofa und ich hüpfte auf seinem Bauch und zeigte ihm, wie ich mit meiner Spucke Blasen machen konnte. Da war meine Welt noch in Ordnung.

Dann kann ich mich daran erinnern, wie meine Eltern sich laut stritten und ich und mein zwei Jahre älterer Bruder uns in unserem Hochbett versteckten und hofften, dass es bald vorbei sei. Kurz darauf wohnten mein Bruder und ich bei meiner Oma. Irgendwann holte meine Mutter uns ab und wir hatten ein neues Zuhause in einer anderen Stadt, ohne Papa.

Ich war damals ca. vier Jahre alt.

Meine Mutter redete mir meinen Papa schlecht, also weigerte ich mich nach Monaten mitzugehen, als er sein Besuchswochenende mit uns hatte. Aber nach ein paar neuen Besuchen bin ich gerne hingegangen. Mein Vater wurde zum Alkoholiker und fing meistens schon morgens um zehn Uhr an zu trinken. Er war immer lieb zu uns, aber sobald er betrunken war, wiederholte er immer wieder dieselben Sachen: Wie schlimm ja die Ausländer seien und würde ich jemals mit einem Kanaken ankommen, wäre ich nicht mehr seine Tochter. Alles Neue und Moderne wäre Mist und nur die Musik aus den Sechzigern ist gut, ganz besonders die Beatles. Daher kenne ich, so gut wie jeden Beatles-Song.

Wir waren also jedes zweite Wochenende bei unserem Alkoholiker-Vater, der meistens mit uns von morgens bis abends im Park auf einer Bank saß, um sich mit seinen Sauffreunden zu betrinken. Mein Bruder und ich spielten im Park und fütterten die Enten. Mein Vater hatte aber auch ständig ein schlechtes Gewissen, daher erlaubte er uns alles. Egal was wir vom Kiosk haben wollten, wir bekamen es. Ab und zu machten wir Ausflüge zur Kirmes, wo er auch nur trank und wir sein Geld für Karussells ausgeben durften.

Aber wir gingen zum Trinken auch mal in den Wald, wo er sich volllaufen ließ, während wir Pilze und Maikäfer sammelten, oder wir machten ein Lagerfeuer und ließen Drachen steigen. Also hatte mein Vater trotz seiner Sucht dafür gesorgt, dass schöne Erinnerungen geschaffen wurden.

Zuhause bei Mama war es anders. Sie war nach meinem Vater noch mehrmals verheiratet. Ich glaube drei bis fünf Mal. Alle Männer nach meinem Vater schlugen sie oft. Es war immer dasselbe: Neuer Mann, ein paar Monate ein ruhiges Leben und dann ging der Streit los bis sie zusammengeschlagen wurde und mittendrin mein Bruder und ich. Zu der Zeit fing meine Mutter an, Drogen zu nehmen. Trinken tat sie sowieso, aber die Drogen machten alles noch schlimmer. Vom Gras bis hin zu anderen Rauschgiften. Oft war es so, dass irgendwelche fremden Leute bei uns Party machten. Die Reggae-Musik dröhnte und die Drogen lagen frei auf dem Tisch. Also kenne ich nicht nur alle Beatles-Songs, sondern kann auch bei Bob Marley mitsingen. Ich weiß noch, wie Schmutz auf dem Tisch lag, welchen ich einfach mit der Hand wegfegte. Der Besuch, der gerade da war, rastete aus. Ich hatte wohl gerade eine Ladung Koks weggefegt.

Mein Bruder haute irgendwann ab und verbrachte Jahre bei verschiedenen Freunden, während ich immer das Gefühl hatte, meine Mutter beschützen zu müssen. Einmal brachte ich einen Rottweiler/Schäferhund-Mischling mit nach Hause, weil ich dachte, er würde sie beschützen, wenn ihr Mann sie wieder schlägt. Aber der arme Hund wurde auch nur verdroschen.

Das Seltsame an der Geschichte war, dass meine Mutter als Familienpflegerin arbeitete. Also, sie pflegte tagsüber andere Familien, die Hilfe brauchten, während zu Hause ihre beiden Kinder alleine waren im Kindergartenalter und sich selbst eine Dose Hühnersuppe und Ravioli aufwärmten, um zu essen. In dieser Zeit fing ich an, eine Abneigung meiner Mutter gegenüber zu empfinden. So oft war die Polizei bei uns zu Hause und sah uns Kinder wie wir uns vor lauter Panik versuchten zu verstecken, weil Mama`s Freund wieder am Ausrasten war. Die Polizei sah die Drogen und die Hundehaufen und den Dreck in der Wohnung, aber nichts geschah.

Manchmal, wenn meine Mutter dicht war, stand sie am Kühlschrank und stopfte das Essen in sich rein, obwohl kaum noch was zum Essen da war. Das Monatsende war immer knapp. Wir haben Flaschen zusammengesucht, um mit dem Pfandgeld noch Brot kaufen zu können, und meine Mutter stand da und quetschte sich das Essen rein.

Die Wohnung verwahrloste immer mehr, aber es war egal.

Irgendwann bin auch ich gegangen. Das war noch im Grundschulalter. Ich schlief monatelang bei meiner Klassenfreundin, ohne Wechselklamotten.

Ich hatte über zehn Warzen an den Händen und noch andere Hautpilze, weil ich nie gelernt hatte, meinen Körper richtig zu pflegen. Ich wurde deswegen in der Schule gemieden und geärgert. Die Familie, bei der ich nun schlief, hatte zwar keinen Stress, aber die Kinder waren da irgendwie immer auf sich selbst gestellt. Ich war froh, Essen zu haben und eine Freundin zu haben und nicht mehr die ganzen Drogenpartys mitzubekommen oder dabei zu sein, wenn meine Mutter wieder geschlagen wurde.

Einmal kam ich nach Hause und hörte schon im Flur meine Mutter schreien. Ich öffnete die Tür und sah einen zerbrochenen Regenschirm und wie der Mann meiner Mutter über ihr stand und mit Rollerskates auf sie einschlug. Ihr Gesicht war voller Blut und sie schrie mich an, ich soll zu den Nachbarn laufen. Ich klopfte bei den Nachbarn und meinte: „Der haut die Mama!“ Mein Nachbar rannte los und ich versteckte mich in deren Wohnung. Nach einer Zeit kam meine Mutter, um mich zu trösten. Einen Tag später stand der Mann meiner Mutter nackt unter unserem Fenster und weinte, dass er wieder rein wollte. Er war verrückt geworden, wurde von der Polizei mitgenommen und war eine Zeit lang weg. Als er zurück kam, dauerte es nicht lange, bis er wieder ausrastete. Da kam meine Mutter zu mir ins Zimmer gerannt. Ich hielt mit ihr zusammen die Tür zu, während er versuchte reinzukommen und sagte, er würde unsere Beine abreißen und unser Blut trinken.

Die Polizei holte ihn wieder ab.

Nach ein paar Wochen kam meine Mutter weinend zu mir und bat mich, zu erlauben, dass er wieder Heim kommen darf. Ich sagte nichts dazu und ging nur in mein Zimmer. Er kam zurück und versuchte mit mir zu reden, aber von da an war er Luft für mich. Ich habe nie wieder ein Wort mit ihm gewechselt. Jahre später kam er nachts mal in mein Zimmer und meinte, er braucht meine Hilfe. Ich sagte nichts und ignorierte ihn. Er legt seine Hand auf mein Bein. Ich stand auf und rannte weg. Meine Mutter schrie in ihrem Suff, dass er aus meinem Zimmer raus soll. Die Hochzeit mit diesem Mann war in Gambia. Dort lebten wir ein paar Wochen in einer Wellblechhütte. Die Nachbarskinder hatten keine Schuhe und ein Junge hatte eine schwere Wunde am Fuß, die wir mit dem, was wir im Koffer hatten, versuchten zu pflegen. Das waren meine ersten Eindrücke vom Leben in Afrika. Ich weiß noch, wie unendlich leid mir die Menschen da taten, und dass wir fast alles von unserem Gepäck dagelassen hatten.

Vor diesem Mann war meine Mutter mit einem Mann verheiratet, der hieß Musa und war Muslim. Ich weiß noch, wie er immer auf seinem Teppich betete. Ich fand das so interessant, dass ich irgendwann anfing auf meinem kleinen Kindergebetsteppich mit ihm zusammen zu beten. Vielleicht hatte er da schon bei mir den ersten Grundstein gelegt?? Allah weiß es am besten.

Also ich habe meine Jugend größtenteils alleine bzw. auf mich selbst gestellt verbracht. Mit zwölf fing ich an in die Disco zu gehen. Es gab einen Black-Musik-Club bei mir in der Nähe, wo ich sogar umsonst rein kam, weil der Besitzer den Mann meiner Mutter kannte. Ich war immer eine der Ersten, die da war und die Letzte, die ging. Ich genoss die Aufmerksamkeit der anderen, wenn ich am Tanzen war und das Gefühl der Freiheit beim Feiern. Ich ließ aber aus Abscheu immer die Finger von Drogen oder Alkohol. Irgendwann lernte ich den Vater meines ersten Sohnes kennen. Ich war sofort verliebt und wurde in meinem Kinderzimmer mit fünfzehn Jahren geschwängert. Das Wissen, das in mir ein Kind heranwuchs, hatte mich wachgerüttelt. Ich ging zum Jugendamt und erzählte das erste Mal von der Situation zu Hause. Mittlerweile war es so schlimm, dass es bei uns von Kakerlaken wimmelte und Junkies ein und aus gingen. Das Jugendamt wollte mich in ein Mutter-Kind-Heim stecken. Das kam für mich aber nicht in Frage. Ich wollte in kein kontrolliertes, überwachtes Leben. Ich wollte weiterhin frei sein und Mutter werden, aber nicht in dieser Wohnung zwischen den Drogen, dem Dreck und der Gewalt. Ich erzählte meiner Mutter von dem Gespräch mit dem Amt. Ich bekam dann nochmal einen Termin, wo mir mitgeteilt wurde, dass ich eine Wohnung bekommen würde und einen Vormund vom Jugendamt bis ich achtzehn sei. Später bekam ich raus, dass meine Mutter nochmal alleine zum Jugendamt ging und dort alles erzählte, sodass sie mich ernst nahmen und verstanden, warum ich nicht zu Hause mit dem Baby bleiben konnte, aber auch warum ein Mutter-Kind-Heim für mich keine Lösung gewesen wäre.

Ich musste meinem Vater noch sagen, dass ich von einem Ausländer schwanger bin. Er sagte, dass ich ab sofort für ihn gestorben sei. Ich habe tagelang geweint und da erst gespürt, wie sehr ich an meinem Vater hing, aber ich habe seitdem nie wieder von ihm gehört. Ich habe mich noch nie im Leben so ungeliebt gefühlt.

Mein Vormund half mir eine Wohnung zu finden und beim Renovieren und bei allem möglichen Papierkram. In der Zwischenzeit bekam ich raus, dass mein Freund, der Kindsvater, ein bekannter Bandenführer war. Also war ich mit fünfzehn schwanger, in meiner ersten eigenen Wohnung, die dann von meinem Freund genutzt wurde, um mit seinen Kollegen das nächste Ding zu planen. Ich brachte meinen Sohn mit sechzehn gesund zur Welt und war sofort unsterblich in ihn verliebt. Nachts beim Stillen weinte ich immer wieder, wenn ich ihn ansah vor lauter Glück, dass ich ihn habe. Nur noch er war wichtig für mich. Ich stillte ihn, ging jeden Tag mit ihm spazieren und war sehr glücklich mit ihm. Gleichzeitig störte mein Freund mit seinen Plänen mein Paradies. Es kam immer öfters die Polizei und durchsuchte meine Wohnung, was mir immer wieder Angst machte. Ich hatte Angst um mein Baby. Meine Mutter kam immer öfters besoffen vorbei, um mich nach Geld zu fragen oder um mich zu beklauen.

Mein Bruder war auf einmal in den kriminellen Geschichten meines Freundes verwickelt. An meinem achtzehnten Geburtstag, als ich das erste Mal ohne meinen Sohn raus ging, wurde mein Freund auf dem Weg ins Kino festgenommen. Mich hatte die Polizei auch mitgenommen zur Befragung. Danach ging ich nach Hause und mein Freund wurde erstmal für zweieinhalb Jahre weggesperrt. Ich hatte vorher schon Schluss gemacht, aber der Kinoabend sollte vielleicht eine zweite Chance werden.

Nun war ich alleine zu Hause. Jeden Freitag kam mein Vormund, um zu schauen, wie es uns geht, aber ansonsten war ich alleine mit all den Problemen. Ich wollte doch nur eine Familie haben.

Irgendwann brach ich zusammen. Mein Bruder war da und fragte, was los sei. Er dachte, ich habe was mit dem Kreislauf. Er nahm meine Beine hoch. Ich versuchte zu reden, aber ich konnte nicht. Ich wurde im Krankenhaus wach und der Arzt fragte mich mehrmals nach meinem Namen. Ich sah die Buchstaben vor meinem Auge, aber ich konnte sie nicht aussprechen. Mehrmals wurde mein Bruder gefragt, ob ich Drogen nehmen würde. Nach mehreren Tests kam die Diagnose „Burnout“. Mein Körper konnte nicht mehr und hatte dicht gemacht. Mein Gehirn konnte meine Befehle nicht mehr ausführen. Mein Bruder brachte mich nach Hause und ich schlief erstmal zwei Tage durch. Aber das Theater ging weiter. Die Polizei kam noch mehrmals, um meine Wohnung zu durchsuchen, da sie mehr Beweise suchten, um meinen Ex festzunageln. Immer wieder klingelte es einfach und die Polizisten kamen rein und nahmen meine ganze Wohnung auseinander und versuchten mich einzuschüchtern. Irgendwann erzählte ich meinem Vormund davon und dieser stellte einen Anwalt ein. Die Polizisten wurden daraufhin suspendiert. Ich klappte wieder zusammen und wurde auf Hirntumore getestet.

Mein Arzt riet mir, zur Kur zu fahren und das machte ich auch mit meinem Sohn.

Drei Wochen an der Ostsee, nur der Kleine und ich. Jeden Tag Buffet und Massage und Sport und viele Gespräche mit einem Therapeuten. In der ersten Woche schrieb ich einen Brief an meine Familie, dass ich unendlich verletzt bin und ich nicht mehr ausgenutzt werden will, dass keiner mehr was von mir bekommt und ich mich nicht mehr kümmern werde.

Als ich zurück kam von der Kur, zog ich um und kümmerte mich um eine Ausbildung als Kauffrau im Einzelhandel. Von meiner Familie hörte ich nichts mehr. Sie waren wie verschwunden. Meine Albträume wurden immer schlimmer. Ich träumte, dass eine dunkle Gestalt hinter mir her sei und alle anderen auf der Welt ermordet hatte und ich immer voller Angst auf der Flucht war, als letzter Mensch auf der Erde. Manchmal was es so schlimm, dass ich wach wurde und immer noch dachte, dass ich verfolgt werde bzw., dass diese dunkle Gestalt noch da war. Daher habe ich bis heute, mit Mitte dreißig, immer noch Angst im Dunkeln.

Seit dem Burnout habe ich Konzentrationsschwierigkeiten und je nachdem, wie viel Stress ich habe, bin ich sehr vergesslich und durcheinander.

Mein Sohn ging zur Tagesmutter, während ich meine Lehre begann. Um halb vier hatte ich Feierabend und um fünf musste ich den Kleinen abholen. Mein Leben schien in normalen Bahnen zu laufen. Natürlich reichte mir das Geld als Azubi nicht, also fing ich an, andere Wohnungen und Hausflure zu putzen und auch zu kellnern. Mein Sohn ging jetzt schon zur Schule und kam dann um 16 Uhr in das Café, wo ich am Kellnern war, um dort zu essen und wartete bis ich fertig war.

Nach ein paar Monaten im Dauerstress, merkte ich dieses Zucken in den Augen und das Flimmern. Ich merkte, dass mir das Sprechen schwer fiel, also hörte ich auf mit den Nebenjobs. Ich ging zum Amt und beantragte Hartz 4.

Gleichzeitig fing ich einen Kurs an, um Tagesmutter zu werden. Das war der ideale Job für mich. Ich liebte meine Tageskinder. Ich hatte teilweise fünf Stück und alle waren unter drei Jahre. Ich arbeitete nur in der Woche von 8 bis 16 Uhr und wenn die Kleinen weg waren, kam mein Großer und ich hatte Zeit für ihn. Das Gute war, dass das Arbeitsamt mir vom Verdienst als Tagesmutter kaum was anrechnen konnte, weil dies als Aufwandsentschädigung zählte. Mein Sohn wurde immer älter und selbständiger und ich immer einsamer. Ich war im ständigen Kontakt mit meiner iranischen Shiafreundin aus der Schule. Ihre Familie war immer gut zu mir und immer gastfreundlich. Ich war gerne da, auch wenn mich der Trubel in der Großfamilie manchmal stresste. Ihre Mutter versuchte mir immer den Islam gut zu reden, aber für mich waren die Muslime alles Frauenverächter und Bombenleger. Ich kannte Muslime nur aus der Disko.

In den ganzen Jahren, in denen ich mich alleine durchgeschlagen habe, habe ich mir einen ziemlichen Dickkopf und Sturheit angelegt. Wenn mir jemand was erzählen wollte und mich überreden wollte, dann wollte ich es erst recht nicht.

Die iranische Familie nahm mich mit in eine schiitische Moschee. Männer und Frauen, alle in einem Raum, beteten zusammen und hielten dabei den Koran auf dem Kopf. Nach dem Motto „Nur der Koran zwischen mir und meinem Allah“.

Sie weinten, als die Geschichte von Hussain, Hassan und Ali erzählt wurde. Das war mir alles so fremd.

Irgendwann fiel mir eins dieser Dawa-Bücher in die Hände. Ich weiß nicht mehr von wem ich es hatte, aber ich fing an, es zu lesen. „Koran und die Wissenschaft“, „Die Frau im Islam“, „Christen und Muslime im Dialog“ usw., usw.. Alles so kleine Heftchen, die so geschrieben sind, dass ein Nichtmuslim auch versteht, worum es geht. Besonders die „Rolle der Frau im Islam“ hat mich beeindruckt; dass die Frau so einen Wert hat und die Rolle so wichtig ist. Und der „Koran und die Wissenschaft“: Wenn bewiesen ist, dass der Koran unverfälscht ist seit über tausendvierhundert Jahren, woher wussten dann die Menschen damals, dass Berge eine Wurzel haben und wie das Kind im Mutterleib wächst?