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Der höchste Repräsentant des Benediktinerordens, Abtprimas Notker Wolf, schreibt über das, was ihn antreibt, was sein Leben in den Grundfesten ausmacht. Was er formuliert, ist die Summe seiner Erkenntnisse und die Bilanz eines reichen Lebens. Mit großer Leidenschaft umkreist er die Frage: "Warum lohnt es sich zu glauben?" Für ihn ist der christliche Glaube der größte Schatz seines Lebens, sein "Ein und Alles". Lebensnah beschreibt er, wie man aus dem Glauben ein tragfähiges Lebensfundament entwickeln kann. Man kann nur staunen, wie Notker Wolf trotz dichtem Terminplan, strengen Ordensregeln und mit wenig Geld in der Tasche sein Leben als große Freiheit empfindet. Hier schreibt einer, der zahlreiche Verpflichtungen hat, der jedes Jahr Hunderttausende von Kilometern weltweit unterwegs ist und doch bei sich selbst angekommen ist. Gelassen und voller innerem Frieden geht er durch den Tag. Sein Rat wird von Managern, Politikern und einfachen Menschen gleichermaßen geschätzt. "Erinnern Sie sich daran, wie Sie sich das erste Mal verliebt haben? Vorher gab es vielleicht eine Ahnung, wie das sein könnte. Aber diese Schmetterlinge im Bauch, dieses unablässige Denken an den anderen, all das war vermutlich wie der Wechsel vom Schwarzweiß- auf den Farbfernseher. Und so ähnlich kann es sich mit dem Glauben verhalten. Halten wir es doch einfach für möglich, dass unsere bisherigen Erfahrungen nur ein Teil dessen sind, was ein Leben mit Gott ausmachen kann. Und dass da draußen eine ganze Welt zu entdecken ist, die mein Leben farbenfroh machen kann." Notker Wolf
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Seitenzahl: 263
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© 2011 der deutschen Ausgabe by adeo Verlagin der Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 Asslar
Die Bibelzitate wurden, wenn nicht anders gekennzeichnet, der Einheitsübersetzung entnommen
© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. Durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart.
Weitere verwendete Bibelausgaben:
– „Gute Nachricht Bibel“, © 1997 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (GN)
– Luther, revidierte Fassung von 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung. © 1984 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LÜ)
1. Auflage März 2011
Bestell-Nr. 814 227
ISBN 978-3-86334-703-1
Umschlaggestaltung: Buttgereit & Heidenreich GmbH, Haltern am See
Umschlagbilder: Abtprimas Notker Wolf (privat), iStockphoto (David Hillerby, Burt Johnson, Ismael Montero Verdu)
Satz: Marcellini Media GmbH, Wetzlar
„Warum sehen Sie so froh aus?“
Mit dieser Frage, die mir von einer Besucherin in Rom gestellt wurde, beginnt die Geschichte dieses Buches. Sie begegnet mir immer häufiger. Kein Wunder, denn wer möchte kein glückliches Leben führen? Wer einem anderen diese Frage stellt, ist lebendig und neugierig geblieben und offenbart die eigene Suche ebenso wie eine Offenheit für die Antwort des Gegenübers. Oft verändert diese Frage die gesamte Gesprächsatmosphäre. Denn meine Antwort hat viel damit zu tun, was mich im Leben trägt.
Die Frage nach der Freude ist viel zu wichtig, um sie mit einer raschen Floskel zu beantworten. Was verstehe ich unter Lebensfreude? Was trägt mich? Was ist Ihre Definition? Was haben Sie als Fundament Ihres Lebens erfahren?
Mein Leben als Mönch ist sicher in vieler Hinsicht ganz anders als Ihres – andererseits haben wir doch dieselben Wünsche, Sehnsüchte und Fragen.
Meine Antworten ergeben sich aus den Erfahrungen meines Lebens. Sie schenken mir – so viel sei hier verraten – eine große innere Freiheit.
Überrascht Sie das? Das Gefühl von Freiheit bei einem Mönch, der doch scheinbar einem strengen Regelwerk zu folgen hat? Vielleicht überrascht es Sie noch mehr, dass viele meiner Erfahrungen ganz ähnlich sind wie Ihre eigenen. Deshalb möchte ich von ihnen berichten.
Wer Fragen an das Leben hat, wer bereit ist, sein Leben mit allen schönen und weniger schönen Seiten zu hinterfragen, ist noch auf der Suche. Das mögen einige als Schwäche auslegen; vor allem die, die auf alles eine Antwort haben. Für mich sind suchende Menschen starke Menschen, weil sie eine Ahnung in sich spüren, dass hinter ihrem Leben ein großer Sinn steht, den es zu entdecken gilt. Suchende Menschen sind Menschen, die sich noch bewegen, die sich nicht mit vorschnellen Antworten zufrieden geben. Sie wollen stattdessen bei sich selbst ankommen. Es sind Menschen, die die Zerrissenheit des eigenen Lebens nicht ausklammern, sich ihr stellen und sich auf ihren eigenen Weg machen.
Wo stehen Sie gerade? Haben Sie Ihren Platz im Leben gefunden? Oder spüren Sie, dass es einiger Veränderungen – kleinerer oder größerer – bedarf? Was können dann Leitlinien sein?
Es wird Sie nicht überraschen: Meine Antworten werden von meinem Glauben berichten. Gleichzeitig bin ich mir nicht immer sicher, ob meine Sicht auf das Leben heute noch verstanden wird, denn der Glaube wird für viele Menschen immer mehr zur Zerreißprobe. Manche wollen gerne glauben, (ver)zweifeln aber an ihren eigenen Fragen oder den Erfahrungen, die sie mit der Kirche gemacht haben. Für andere Menschen stellt sich die Frage nach dem christlichen Glauben überhaupt nicht mehr, er ist schlicht nicht mehr relevant. Und dort, wo wir überhaupt noch religiöse Zusammenhänge wahrnehmen, lesen wir über Missbrauchsskandale, Pille und Kondome oder die Ehelosigkeit der Priester.
Ich möchte Ihnen in diesem Buch von der Schönheit, dem Trost und dem Glück des christlichen Glaubens berichten.
Glück, Trost, Schönheit: Verbinden Sie diese Worte mit dem christlichen Glauben? Wenn ja, dann lassen Sie uns von unseren Erfahrungen erzählen. Und wenn Sie genau das nicht mit dem christlichen Gott verbinden, würde es mich sehr freuen, wenn Sie sich mit mir auf den Gedanken einlassen, dass es vielleicht auch diese Seite geben könnte.
Kann ich Sie dafür gewinnen?
Durch mein Wirken als Abtprimas der Benediktiner bin ich weltweit unterwegs. Und oft berührt es mich zutiefst, wenn ich die Glaubensfreude und das Gottvertrauen in anderen Ländern erleben darf. Dann wird mir immer wieder deutlich, wie sehr unsere eigenen Glaubenserfahrungen von dem kleinen Mosaiksteinchen geprägt sind, auf dem wir, oft in der Kindheit, Erfahrungen sammeln konnten. Hinter diesem einen Teilchen steht aber ein großes Mosaik. Zusammengesetzt aus unzähligen bunten Teilen voller Gebet, Musik, Gemeinschaft. Gemalt in den Farben der Hoffnung, der Annahme, der Fürsorge; Puzzleteile, die wir vielleicht einfach noch nicht entdeckt haben.
Erinnern Sie sich daran, wie Sie sich das erste Mal verliebt haben?
Vorher hatten Sie vielleicht eine Ahnung, wie das sein könnte. Aber diese Schmetterlinge im Bauch, als es dann wirklich passierte, dieses unablässige Denken an den anderen, diese wackligen Knie, wenn Sie Ihren Traumpartner gesehen haben, all das war vermutlich wie der Wechsel vom Schwarzweiß- auf den Farbfernseher. Und so ähnlich kann es mit dem Glauben sein. Halten wir es doch einfach für möglich, dass unsere bisherigen Erfahrungen nur ein Teil dessen sind, was ein Leben mit Gott ausmachen kann. Und dass es da draußen eine ganze Welt zu entdecken gibt, die viel größer, bunter und schöner ist, als Sie es bisher für möglich gehalten haben.
Ich möchte Sie mitnehmen in das ganze, große, bunte Bild des christlichen Glaubens. Eine Reise, Schritt für Schritt.
Warum soll man überhaupt noch glauben? Darum wird es zunächst gehen – und dabei auch um die Anfangsfrage, warum ich so froh aussehe und es tatsächlich auch bin. Anschließend möchte ich Ihnen davon berichten, wie ich versuche, meinen Glauben im Alltag zu leben und wie Ihnen das auch gelingen kann, wenn Sie dies möchten. Ein Alltag, in dem ich Gott Raum gebe, verliert alle „Alltäglichkeit“, weil er von Gott selbst mitgestaltet wird und mich nicht unverändert lässt. Und deshalb kann aus dem christlichen Glauben eine Lebensperspektive werden, die Ihnen Freiheit verleiht.
Erschreckt Sie die Aussicht, dass Gott sich in Ihr Leben einmischen könnte? Ich hoffe nicht. Wer sucht, ist mutig. Wer den eigenen Fragen nicht ausweicht, setzt die Segel für ein neues, erfülltes Leben und wird von den Stürmen nicht mehr hin und her geworfen. Er steht wie ein fester Baum souverän in der Landschaft des eigenen Lebens, manchmal vom Wind zerzaust. Aber: Er steht aufrecht – weil er tief verwurzelt ist. Ein Bild, das uns zum nächsten Kapitel führt.
Was steckt eigentlich im Tiefsten hinter dem Gefühl, dass andere Menschen mehr über mein Leben bestimmen als ich? Der Chef, dem ich es nicht recht machen kann. Der Partner, von dem ich mich mit seiner permanenten Erwartungshaltung unter Druck gesetzt fühle. Die unsichtbaren Regeln im Freundeskreis, die Rollenerwartungen meiner Nachbarn, im Verein oder in der Gemeinde. Erst recht werden in einen Abtprimas die unterschiedlichsten Rollen hineinprojiziert. Flieger und E-Gitarre sollten ihm eigentlich fremd sein. Doch beides gehört zu mir.
Niemand bedenkt die Notwendigkeit meiner Präsenz bei den Versammlungen auf den verschiedenen Kontinenten; keiner scheint zu wissen, was Liebe zu den Menschen praktisch bedeutet. Und wir stecken mittendrin, versuchen, nach Luft schnappend, allen Erwartungen an uns gerecht zu werden.
Warum?
Wir alle haben eine tiefe Sehnsucht in uns: Wir möchten angenommen und geliebt werden. Das treibt die meisten Menschen letztlich an. Kann ich mir das eingestehen? Oder spüre ich den Impuls, diese Aussage zu relativieren?
Nein, der große zeitliche Aufwand für die Firma ist doch nötig, da habe ich eine wichtige Verantwortung. Die Kinder sollen doch gefördert werden, deshalb ermögliche ich ihnen all diese Freizeitaktivitäten. Und das Gemeindefest? Gemeinschaft kann nicht funktionieren, ohne dass wir uns einbringen. Den Kuchen backe ich doch gerne. Vorher schaue ich noch rasch bei der Nachbarin rein, die mich eingeladen hat. Gut, ich kann sie eigentlich nicht leiden, aber um der guten Nachbarschaft willen muss es halt sein. Mein Chef braucht allerdings noch eine Auswertung bis morgen früh, und der Einkauf ist auch noch nicht erledigt. Und abends, wenn die Kinder endlich schlafen, kehrt die Ruhe ein, nach der ich mich sehne. Aber mein Partner, ich spüre es, denkt noch nicht ans Einschlafen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Welt braucht Menschen, die nicht nur an sich denken, sondern Verantwortung für ihre Familie, ihren Beruf und ihre Umgebung übernehmen. Aber das ist immer nur die eine Seite der Medaille. Die andere erzählt von der Anerkennung, die Sie bekommen. Die Bemerkung vom Chef, Sie seien unersetzlich. Der Dank vom Pfarrer, weil Sie beim Gemeindefest auch noch beim Bierausschank eingesprungen sind. Und die Anerkennung in Form von äußeren Zeichen des Erfolgs.
Das Getriebensein unserer Tage, persönlich wie gesellschaftlich, liegt vielfach in unserem Streben nach Anerkennung begründet. Wir möchten wahrgenommen werden, einen Sinn in unserem Leben spüren. Und: funktioniert es? Ich habe da meine Zweifel.
Zu viele Menschen fühlen sich leer, die Zahl psychischer Erkrankungen steigt rapide, das Burnout-Syndrom ist an der Tagesordnung. Da ist offensichtlich etwas grundsätzlich aus dem Ruder gelaufen. Dieser Lebensentwurf führt immer mehr Menschen in eine Sackgasse, an einen Punkt, an dem sie merken, dass es so nicht weitergehen kann.
Das Problem liegt darin, dass wir uns Anerkennung und Liebe erarbeiten wollen, sie uns von außen einholen möchten. Und so lange das mein Lebensansatz ist, werde ich immer hinter der Anerkennung Dritter herjagen und muss ihren Bedingungen genügen. Es ist ein Hamsterrad geworden, dieses Leben nach dem „Schneller-Höher-Weiter“-Prinzip.
Mindestens genauso schlimm ist das ständige Vergleichen. Dass wir dieser Falle aufgesessen sind, merken wir an der Befriedigung, die wir spüren, wenn wir etwas besitzen, das andere nicht haben. Oder eben an der eigenen Unzufriedenheit, wenn Anderen Möglichkeiten offen stehen, die uns verschlossen bleiben.
Dabei wünschen wir uns doch nur das eine: Wir möchten geliebt, wahrgenommen und anerkannt werden. Wir möchten in einem Gefühl der Freiheit leben. Und hier beginnt sie, die Antwort auf die Frage nach dem Glück.
Sie tauchte für mich auch bei einem Besuch japanischer Buddhisten in Rom auf. „Warum seid ihr westlichen Mönche so frohe Menschen?“, wurde ich gefragt. Es gibt darauf eine einfache Antwort, die doch so schwer begreiflich ist:
Wir sind geliebt von unserem Gott, der über allen wohnt. Das gilt für jeden von uns, und jeder kann das auch so erfahren. Es ist eine Liebe, die nie untreu wird.
In diesen Sätzen steckt das, was mich im Tiefsten trägt. Ich bin geliebt und angenommen. Ich muss den Verlust dieser Liebe nicht fürchten, denn dieser Gott wird mich immer lieben, sogar und auch mit all den Seiten an mir, die mir selbst nicht gefallen.
Lassen wir das doch mal sacken. Der Satz ist schnell gelesen, und wir verstehen ihn intellektuell sofort. Aber atmen Sie ihn noch einmal ein. Wenn wir ihn Wort für Wort mit den Ohren des Herzens aufnehmen, geschieht Veränderung. Eine Liebe, um die ich nicht fürchten muss, eine Liebe, die ich mir nicht verdienen muss. Und damit gibt es für alle, die sich nach Angenommensein, nach einer inneren Heimat sehnen, einen Weg. Denn jeder von uns ist bereits geliebt. Innere Freiheit beginnt dort, wo ich das tief im Herzen begreife, weil es mich von dem ständigen Druck befreit, mich ständig vor mir und allen anderen beweisen zu müssen.
Damit kann die Suche nach meiner wahren Identität mit einer großen, inneren Ruhe geschehen. „Wer bin ich? Bin ich jemand?“ Ja, denn ich bin von diesem Gott bei meinem Namen gerufen worden. Ein Ruf, der nicht nur im Alltag so wohltuend sein kann, sondern der – einzigartig gegenüber anderen Glücksversprechen – über den Tod hinaus reicht und Perspektive bietet.
Ich kann Ja zu mir sagen, weil schon ein Anderer Ja zu mir gesagt hat. Das ist der Kern des Angenommenseins.
Ganz anders ist es, wenn ich selbst das Maß aller Dinge bin; dort, wo ich nichts und niemand anderes gelten lassen kann, definiere ich mich nur aus mir selbst heraus. Das sieht vielleicht oberflächlich schön aus, aber es ist manchmal so unsagbar anstrengend. Und es kann so zerbrechlich sein.
Liebe und Freundschaft zwischen zwei Menschen ist etwas Wunderschönes. Aber wenn ich mich nur über den anderen definiere, wird die Unzulänglichkeit dieses Lebensmodells spätestens dann deutlich, wenn die Liebe zerbricht. Denn dann stirbt nicht nur eine Beziehung, sondern es stirbt auch ein Teil von mir, den der andere mit Anerkennung, Liebe und Zuneigung versorgt hat.
Doch Sie und ich sind längst geliebte Menschen. Unser Wert errechnet sich nicht aus dem, was wir leisten. Wir können uns an jedem Punkt unseres Lebens auf den Weg machen, diese Wahrheit neu für uns anzunehmen und zu erfahren.
Mich berührt in diesem Zusammenhang immer wieder das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11–32). Denn es zeigt die Liebe Gottes auf eine einzigartig vielschichtige Weise.
Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen.
Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land und es ging ihm sehr schlecht. Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon.
Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben mehr als genug zu essen und ich komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner.
Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Da sagte der Sohn: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.
Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand und zieht ihm Schuhe an. Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.
Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern. Sein älterer Sohn war unterdessen auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle.
Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat.
Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte dem Vater: So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte.
Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.
Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein.
Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.
Der Vater lässt seinen Sohn ziehen, er gibt ihm – wie uns – die Freiheit, seinen Weg zu gehen und seine Erfahrungen zu machen. Anstatt ihm zu folgen oder ihn gewaltsam zurückbringen zu wollen, zahlt der Vater ihn aus und gibt ihm volle Handlungsfreiheit. Dann wartet er. Worauf? Auf die Umkehr des Sohnes. Und weit weg vom Vater geschieht sie.
Es gibt ein wunderbares Bild von Rembrandt. Der Vater legt dem verlorenen Sohn nach dessen Rückkehr liebevoll die Hand auf, und sein Kind lehnt seinen Kopf an ihn. Kindliches Vertrauen in Reinform. Und genau so dürfen wir uns angesichts unseres Gottes fühlen. Das ist unser Gott! Er lässt uns in Freiheit gehen, wir dürfen unsere Erfahrungen machen. Aber wenn einer von uns zu ihm zurückkehren möchte, wird er ihn mit offenen Armen empfangen wie der Vater in Rembrandts Bild.
Wir dürfen uns willkommen fühlen, uns vertrauensvoll an ihn lehnen. Das heißt nicht, dass unsere Lebensumstände sofort besser werden. Aber es bedeutet, dass wir keinen Weg in unserem Leben alleine gehen.
Das ist das wohl größte Geschenk unseres Lebens. Nehmen wir es wahr?
Selbst dort, wo es noch ein Gespür für diese Lebensperspektive gibt, wird ihre Tragweite, ihre Radikalität, ihre befreiende Kraft oft gar nicht mehr wirklich erfasst.
Aber stellen Sie sich doch einmal vor, Sie wären nicht angenommen. Ja, dann müssten wir uns selbst die kleinen und großen Lügen unseres Lebens als Rettungsschirm aufbauen. Den Erfolg im Beruf, die Anerkennung, die doch oft nur unsere Position und nicht die Person meint.
Wenn sich die Partnerschaft zur Routine entwickelt hat und uns die Anerkennung fehlt, dann wechseln wir den Partner, damit wir immer wieder neue Bestätigung erfahren. Und so sind wir ständig auf der Suche nach neuen, ergiebigeren Kraftquellen.
Für mich steht fest: Erst wenn wir wirklich begriffen haben, dass wir bedingungslos angenommen sind, dass da einer zu uns steht, egal, was kommt, können wir diesen ungesunden Teil unserer Sehnsüchte loslassen. Ein ungemein befreiendes Gefühl!
Dann kann ich mich auf den spannenden Weg zu mir selbst machen, ohne Angst vor dem, was ich dabei vielleicht vorfinde. Dann darf ich entdecken, welche Einzigartigkeit in mir angelegt ist, von meinem Schöpfer sorgfältig geplant und gewollt. Dann funktioniere ich nicht mehr nach den Gesetzen der Anerkennung Dritter, sondern vertraue darauf, dass ich in meinem Sein und Tun stets von meinem Gott getragen und angenommen bin und ich in ihm meinen tiefsten Grund finden kann.
Deshalb darf ich mich auch irren, Umwege gehen, hinfallen und wieder aufstehen. Mein Scheitern, meine Fehler und all das, was ich sonst vor Dritten verborgen halte – er sieht es mit liebevollem Blick an. Einem Blick – wunderbar beschrieben in Psalm 139 –, der mich spüren lässt, dass ich geliebt bin.
Atmen Sie das tief ein, denn das ermöglicht ein Leben in Freiheit. Ein Leben mit Schmetterlingen im Bauch, mit einem Glauben, der Ihnen Flügel verleiht.
Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern erkennst du meine Gedanken. Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen.
Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge – du, Herr, kennst es bereits. Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.
Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, zu hoch, ich kann es nicht begreifen. Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist, wohin mich vor deinem Angesicht flüchten? Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen.
Nehme ich die Flügel des Morgenrots und lasse mich nieder am äußersten Meer, auch dort wird deine Hand mich ergreifen und deine Rechte mich fassen. Würde ich sagen: „Finsternis soll mich bedecken, statt Licht soll Nacht mich umgeben“, auch die Finsternis wäre für dich nicht finster, die Nacht würde leuchten wie der Tag, die Finsternis wäre wie Licht. Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke. Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen. Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.
Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl! Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand. Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir.
(Psalm 139, 1–18)
Es geht also um Identität, um die Frage, wer ich im Tiefsten bin. Diese Frage taucht heutzutage immer drängender auf, aber das war nicht immer so. Früher war man eingebettet in eine Gemeinschaft kleinerer oder größerer Art. Niemand war absoluter Mittelpunkt, jeder hat seinen Platz und damit auch seine Identität gehabt; vor allem in der Familie, sei es der Vater, der Großvater, die Großmutter, die Mutter. Heute fühlen sich viele allein auf einer großen Insel.
Es ist doch fast natürlich, dass in der heutigen Vereinzelung – in München beispielsweise sind 47 % der Haushalte Single-Haushalte, in Berlin sogar 52 %! – immer stärker Fragen laut werden wie: „Wer bin ich eigentlich? Wie, was ist meine Identität?“
Wir sind auf der Suche nach uns selbst, doch ich befürchte, wir befinden uns auf dem Holzweg.
Die große Sehnsucht nach Selbstfindung – wir kreisen um den eigenen Bauchnabel und suchen Anerkennung von außen. Orden und Auszeichnungen sind bei Empfängen äußerst wichtig, damit jeder sieht, was ich für einer bin. Bei der Titelfrage – Herr Doktor oder Frau Professor – reagieren viele empört, wenn sie nicht so behandelt werden, wie sie das aufgrund ihres gesellschaftlichen Status für sich definiert haben. Mir wird das persönlich immer besonders deutlich, wenn ich gefragt werde, wie man mich anreden solle. Das ist doch so gleichgültig; das macht mich nicht zu einem besseren oder schlechteren Menschen.
Es bleibt für mich dabei: Der Mensch kann die eigene Identität nicht aus sich selbst heraus finden. Letzten Endes bin ich erst dadurch jemand, dass ich von Gott geschaffen bin und mich von Gott bejaht weiß, und damit habe ich auch Zuversicht in meinem Leben, das befreit mich.
Aus diesem Glauben heraus erkenne ich: Ich muss nicht der große Tausendsassa sein, ich brauche auch nicht mehr so viel Anerkennung von außen. Das hilft mir ebenfalls dabei, einen gesunden Abstand zu mir selbst einzunehmen. Oft werde ich beispielsweise gefragt, wie ich mich fühle. Das kann und möchte ich nicht beantworten, ohne diesen liebenden Blick Gottes auf mir zu spüren, denn wenn ich diesen Blick wahrnehme, relativiert das sehr viel von meiner aktuellen Befindlichkeit. Ich glaube, dass gerade dieses Mit-Gott-Sein den christlichen Glauben eigentlich ausmacht. Das schafft ein Urvertrauen, und dann bin ich auch jemand. Ich bin ein geliebtes Geschöpf Gottes.
Das hat übrigens auch Auswirkungen auf meinen Blick auf andere Menschen. Wenn Gott mich liebt, liebt er genauso den Anderen, mein Gegenüber, den ich vielleicht gar nicht so mag. Wenn ich das erkenne, muss ich mich neu fragen: „Wie stehe ich eigentlich zu diesem Menschen, der von Gott genauso geliebt wird wie ich?“ Und damit öffnet sich erst die ganze Sphäre zum anderen Menschen und ich stehe auf einmal in einem ganz anderen Verhältnis zu mir selbst und zum anderen.
Die Selbstfindung an sich ist etwas zutiefst Existenzielles, darf aber nicht ausschließlich ein Tanz, ein Kreisen um sich selbst sein. Der Frage nach der eigenen Identität auszuweichen, würde am Lebensgefühl vieler Menschen vorbeigehen. Doch das kann nicht alles sein. Es ist sehr unmodern geworden, das zu sagen, aber der letzte Bund eines Menschen liegt in seiner Beziehung zu Gott – ob man das jemals so erfahren hat oder nicht. Der Weg dahin beginnt im übertragenen Sinn damit, dass ich meine Hände, mit denen ich mich krampfhaft festhalte, löse und öffne, damit ein anderer sie ergreifen kann. Dieser andere kann Gott sein, dessen Weg aber oft über andere Menschen gehen wird. Ich finde mich selbst zunächst durch den anderen Menschen in einer Ich-Du-Beziehung, sagt Martin Buber. Der Mensch ist nun einmal dialogisch veranlagt.
Man kann natürlich anderes behaupten, doch bisher konnte mir noch niemand beweisen, dass er damit glücklicher wird. Ich kann mich total von anderen Menschen abkapseln und mich versenken, zum Beispiel in einer Zen-Meditation, in der ich mich einfach auf meinen Atem konzentriere. Das befreit mich irgendwie tatsächlich von der ganzen Umgebung, und damit kann ich vielleicht von meinen Leidenschaften frei werden, was ja auch ein Ziel des Buddhismus ist. Aber ich weiß nicht, ob daraus echte Freude erwächst, so wie sie beim Mit-Mensch-Sein entsteht.
Freude ist ein gutes Stichwort. Wahre Freude findet man nur bei Gott. Das hört sich für Sie vielleicht etwas abstrakt an. Und dann sage ich Ihnen das auch noch: ein Mönch! Dabei wissen wir doch vermeintlich genau, was uns Freude bereitet, die ganze Welt suggeriert es uns ja ständig: „Du brauchst das Haus, du brauchst das tolle Auto, du brauchst die schicken Schuhe und den edlen Anzug!“ Und keine Frage: der Besitz dieser Dinge kann ein schönes, lebendiges Gefühl verschaffen. Obwohl, meist geht das ziemlich rasch vorbei, finden Sie nicht auch?
Wie kann man es schaffen, diesen Glauben an ein Leben, in dem weniger mehr ist, attraktiv zu finden, obwohl einem die ganze Welt sagt, dass er genau das nicht ist?
Vielleicht müssen wir die Frage anders stellen. Es geht um Ihre Lebensfreude! Und um die Frage, was Sie heute und in den nächsten Jahren neben den kleinen und großen Freuden des Alltags zutiefst beglücken kann. Dieser Frage müssen wir uns behutsam nähern.
Die Beantwortung ist deshalb nicht leicht, weil das nicht nur intellektuell vollzogen werden kann. Wie kann eine Annäherung an diese Frage aussehen? Ich fange am besten mal bei mir selbst an.
Wenn ich in meinem Büro in Rom sitze, sehe ich oft – und genauso oft muss ich es leider übersehen –, wie überfüllt doch alles hier ist. Zeitschriften stapeln sich, Bücher, Texte, ganze Papierberge liegen herum. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich einen Teil davon wegwerfen kann. Das merke ich aber erst dann, wenn ich es losgeworden bin. Selbst bei Sachen, die mir vorher so wichtig schienen.
Ja, es geht bei der Freude auch darum, wieder zu sehen und zu lernen: Ich brauche all das, was ich meine zu brauchen, nicht wirklich. Denken Sie nur an den großen Erfolg der „Simplify your Life“-Bücher, die letztendlich sagen: „Entschlacke dich von allem!“ Eine Art permanente Fastenzeit, die übrigens eine der am meisten verkannten Hilfestellungen für Christen ist.
Wir brauchen die Fastenzeit nicht, um uns zu quälen, um uns zu kasteien. Es geht darum, innere Freiheit wiederzugewinnen und zu bewahren. Sie werden sich nach einer solchen Zeit viel leichter fühlen, viel wohler. Und im Titel des Buches geht es ja genau darum: wieder fliegen zu lernen. Und das fällt einem dicken Truthahn bekanntlich viel schwerer als einer Möwe.
Um die Themen wahres Glück, Reduzierung und Fasten wird es später im Buch noch gehen. Hier möchte ich erst einmal die Bibel zu Wort kommen lassen. Auch der 1. Timotheus-Brief fordert uns im 6. Kapitel zur Mäßigung auf:
Die Frömmigkeit bringt in der Tat reichen Gewinn, wenn man nur genügsam ist, denn wir haben nichts in die Welt mitgebracht und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen, wenn wir Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen, wer aber reich werden will, gerät in Versuchungen und Schlingen, er verfällt vielen sinnlosen und schädlichen Begierden, die den Menschen ins Verderben und in den Untergang stürzen, denn die Wurzel aller Übel ist die Habsucht.
Das ist ein äußerst aktueller Text. Doch „Frömmigkeit“, „Genügsamkeit“ – ist das nicht genau dieser lebensverneinende Ton, der uns vielleicht noch das kulturelle Erbe des christlichen Glaubens akzeptieren lässt, aber doch bitte für ein spannendes und glückliches Leben nun so überhaupt nicht in Frage kommt?
Aber machen wir uns klar: Es gibt auch den lauten Aufschrei derer, die unter den „schädlichen Begierden“ anderer leiden. Alles hat zwei Seiten. „Nicht wenige, die ihr verfielen, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich viele Qualen bereitet.“ Aber nicht nur sich, sondern vielen anderen auch.
Die Finanzkrise konnte uns den abgehobenen Wahnsinn des Systems in seiner globalen Vernetzung deutlich machen. Hinter ihren Auswirkungen steckt ein Leiden auf persönlicher Ebene, das nur ein Mensch verkennen kann, der weit weg von den existenziellen Nöten der Menschen lebt. Und existenziell sind sie schon lange nicht mehr nur bei denen, die zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben haben.
Existenziell bedroht sind für mich die vielen verletzten, allein gelassenen Menschen, deren Liebe verstoßen wurde. Existenziell bedroht sind die, die kurz vor dem Burnout noch immer nicht den Mut finden, auszusteigen und sich selbst so ernst zu nehmen, dass sie ihr Leben in ihre Hand nehmen.
Ein Glaube, der Flügel verleiht, hat genau damit zu tun – innehalten und wieder merken, um was es eigentlich geht. Das ist heutzutage in dieser „Ich will alles, und zwar sofort!“-Kultur nicht einfach. Wenn Sie das an sich heranlassen, ahnen Sie, dass jeder über das Leben, wie er oder sie es sich bisher für sich vorgestellt hat, nachdenken muss. Statt „Geht nicht – gibt’s nicht“ sollten wir uns sagen: „Weiter so – gibt’s nicht.“
Denn meine wahre Identität finde ich nicht im Kreisen um mich selbst und im Anhäufen von Statussymbolen oder Erfolgen, sondern in der Ausrichtung auf Gott und andere Menschen.
In Deutschland herrscht vielerorts der Irrglaube, Glaube sei eine Weltanschauung. Nein! Glaube ist eine Beziehung zwischen meinem Gott und mir, zwischen Gott und Ihnen. Dieser personale und persönliche Bezug ist untrennbar mit dem Christentum verbunden. Auch das klingt heutzutage sicher für viele komisch. Aber wir wollten uns auf Spurensuche begeben, und das setzt voraus, dass ich die Erfahrungen anderer für möglich halte, auch wenn ich sie nicht täglich in der Tagesschau sehe oder von ihnen in der Zeitung lese. Das bedeutet auch, mein und Ihr Bild vom Glauben hat immer damit zu tun, in welcher Form wir davon erfahren (haben).
Ein Gedanke dazu: Wenn ich zeit meines Lebens von einem Koch mein Steak serviert bekommen habe, der es einfach zu lange in der Pfanne hat braten lassen, dann ist das Steak immer zäh gewesen – und ich glaube, dass Steaks eben so schmecken. Komme ich dann in den Genuss eines perfekt gebratenen Steaks, kann sich meine Einstellung schlagartig ändern.
Es geht also um eine Offenheit für Dinge, die mir bisher verschlossen geblieben sind. Da muss man sicherlich manches Vorurteil einfach mal zur Seite schieben. Wenn ich selber über den Tellerrand meiner Glaubenstradition hinaus schaue, dann stelle ich fest, dass mich der Aspekt der persönlichen Gottes- und Jesusbeziehung beispielsweise in freikirchlichen Kreisen sehr berührt. Ich muss nicht jede theologische Ansicht teilen, aber dort wurde das Bedürfnis erkannt, dass Menschen diesen Gott erfahren wollen. Dort finde ich Menschen, die ihren Glauben leben, nicht nur als Feigenblatt am Sonntag, sondern in der Gesamtheit ihrer Existenz. Auch das Miteinander ist in diesen Gemeinden sehr ausgeprägt. Und es gibt zahlreiche andere katholische und evangelische Gemeinden, in denen sich viele Menschen bewusst entschieden haben, diesem Gott eine zentrale Rolle in ihrem Leben zu geben.
Wenn Ihre bisherigen Erfahrungen mit Kirche und Glauben nicht nur positiv waren, ändert das nichts an einem Punkt, der für diese Menschen und für uns alle gilt: Der Glaube führt mich zum Kern meines Lebens, weil er mich dazu ermutigt, meinen Weg in großer Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit vor mir, meinem Gott und meinen Mitmenschen zu gehen. Zum Dreiklang des erfüllten Lebens, der Wahrheit und des Wegs gibt es einen bekannten Ausspruch von Jesus: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Johannes 14,6). Schauen wir zunächst etwas genauer auf die Wahrheit.
Was heißt es, sein eigenes Leben in großer Wahrhaftigkeit vor sich selbst, vor Gott und vor seinen Mitmenschen zu leben? Nun, ich kann andere Menschen betrügen, ich kann ihnen etwas vormachen, ich kann mir vielleicht auch selbst etwas vormachen. Aber wenn ich in der Kirche vor dem Tabernakel knie und weiß, hier ist Gott gegenwärtig, dann dämmert es mir: Gott kann ich nichts vormachen, er kennt mich in- und auswendig. Damit befreit mich Gott eigentlich von meinen Illusionen.