Das Böse - Notker Wolf - E-Book

Das Böse E-Book

Notker Wolf

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Beschreibung

»Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt« (Wilhelm Busch)

Was einst als Todsünden das Seelenheil der Menschen bedroht hat, ist heute salonfähig geworden: Neid und Gier treiben eine rücksichtslose Wirtschaftswelt an, der Zorn tobt sich auf den Straßen und in Fußballstadien aus. Die moderne Spielart: Starrsinn, Ungeduld, Narzissmus und Treulosigkeit.
Notker Wolf wirft einen Blick auf eine interessante Entwicklung. Beispiele findet er in der Bibel, in den Mythen der Antike, im aktuellen Tagesgeschehen. Sein Fazit: Die Todsünden sind aktuell wie eh und je und es ist ratsam, ihnen in unserem westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nicht das Feld zu überlassen, sondern ihnen ein zeitgemäßes Werte-Fundament entgegenzusetzen. Die Leserinnen und Leser werden im Spiegel dieses Buches sich selbst und unsere Zeit wiedererkennen.

  • Eine unverzichtbare Orientierung für ein zeitgemäßes Wertesystem
  • Mit vielen Beispielen aus der Bibel, der Geschichte und dem aktuellen Tagesgeschehen

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Seitenzahl: 315

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Notker Wolf

Leo G. Linder

DAS BÖSE

Wie unsere Kultur aus den Fugen gerät

Gütersloher Verlagshaus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2014 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das Gütersloher Verlagshaus, Verlagsgruppe Random House GmbH, weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist stets ausgeschlossen.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-14744-0

www.gtvh.de

Inhalt

Ein unerwünschter, aber hartnäckiger GastDer Junge mit der SpinneDie Macht des BösenVernunft contra GefühlWas wäre nicht das Werk der Götter?Konturen des BösenAdam und Eva werden klügerDen Teufelskreis durchbrechenAuf der Suche nach der UnschuldHatte die Schlange zu viel versprochen?Die Menschenwürde – unantastbar?Die Abschaffung der VergangenheitAll you can eatDie TodsündenAller Laster Anfang – Der NeidWer übertrumpft Bill Gates? – Die GierDas Leben als Castingshow – Der NarzissmusAuf, lasst uns einen Turm bauen – Die Hybris»Der Vorgang kann mehrere Sekunden dauern« – Die UngeduldEin belebendes Gefühl – Der ZornNach allen Seiten offen – Die TreulosigkeitQuellennachweis

1. Ein unerwünschter, aber hartnäckiger Gast

Gott kapituliert. Er verliert die Geduld und weiß sich keinen anderen Rat mehr als: »Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, von der Erde vertilgen.« Auf welche Weise? Durch eine Sintflut – »Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.« Und warum? Weil »die Bosheit der Menschen groß und alles Dichten und Trachten ihres Herzens böse ist«, weil »die Erde verderbt und voller Frevel« ist und weil er darum »bereut, die Menschen gemacht zu haben«. Also lässt er es regnen, vierzig Tage lang, und »die Wasser nahmen überhand und wuchsen so sehr auf Erden, dass alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden. Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte ... Alles, was Odem des Lebens hatte auf dem Trockenen, das starb«. Außer Noah, dem Gerechten. Dem einzigen.

Die Sintflut – was ist sie anderes als die Reaktion eines Ratlosen, eines Fassungslosen? Ratlos, fassungslos und abgrundtief enttäuscht von einer Menschheit, die nicht zur Vernunft kommen will, die stur ihr eigenes Unheil sucht, die sich wie Fäulnis über die Erde ausbreitet. Der Gott der Bibel ist aber nicht der einzige Enttäuschte. Ratlos ist auch der höchste Gott der Griechen.

»Zeus, dem Weltbeherrscher, kam schlimme Botschaft von den Freveln der Menschen zu Ohren. Da beschloss er, selber in Menschengestalt die Erde zu durchstreifen. Doch allenthalben fand er das Gerücht noch milder als die Wahrheit.« Auch er ist fassungslos. Auf den Olymp zurückgekehrt, hält Zeus mit den Göttern Rat und beschließt, das ruchlose Menschengeschlecht zu vernichten. Wie? Durch »ungeheure Wolkengüsse und Regenfluten ohne Ende«.

Das Ergebnis ist dasselbe wie im ersten Fall. Nur ein einziges Menschenpaar überlebt, Deukalion und Pyrrha, »beide unsträflich, beide Verehrer der Gottheit«. Zwar geht es mit der Menschheit hinterher weiter, da wird nach der großen Flut ein neuer Anfang gemacht, am Grundproblem aber ändert sich nichts – die Menschen sind, wie sie sind, sie bleiben, wie sie waren, und selbst Noah der Gerechte hat nach seiner Rettung nichts Besseres zu tun, als sich einen kräftigen Rausch anzusaufen. Wer hier als Einziger zur Besinnung kommt, ist Gott. Ernüchtert findet er sich mit der Unverbesserlichkeit des Menschen ab – »denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf« – und schließt seinen Frieden mit dem Pack: »Ich will hinfort nicht mehr alles schlagen, was da lebt, so wie ich es getan habe.« Zu welchem Fazit Zeus kommt, das verschweigt der griechische Mythos. Aber auch er stellt alle weiteren Versuche, das Übel bei der Wurzel zu packen, ein.

Aussichtlos. Der Mensch von Grund auf böse, verdorben bis ins Mark, und Gott selbst fassungslos. »Nichts schauerlicheres als der Mensch, weil er zu allem fähig ist«, lässt sich der griechische Tragödiendichter Sophokles aus der Tiefe der Zeit vernehmen, und Spätergeborene werden den Menschen mit einer Bestie vergleichen, für Seinesgleichen gefährlich wie ein Wolf. Wenn sich der Menschheitsgeschichte eine Lehre entnehmen lässt, dann die: Lasst alle Hoffnung fahren ...

Ist dieses Urteil zu hart? Wird es uns Menschen nicht gerecht? Eins immerhin müssen wir zugeben: Auch uns ist diese Fassungslosigkeit angesichts des Bösen nicht fremd. Wir brauchen gar keine Gerichtsakten zu studieren; ein Blick in die Geschichtsbücher genügt, ein Ohr für die Unterhaltungen am Nachbartisch in Kantinen und Cafés reicht völlig aus – tausendfach hallen Kriegs-, Rache- und Schmerzensschreie durch die Geschichte der Menschheit, und tausendfach finden sie ihr Echo in den Klagen über alltägliche Gemeinheiten, verübt von treulosen Freunden, rücksichtslosen Nachbarn, missgünstigen Verwandten, unverschämten Kollegen und selbstgefälligen Vorgesetzten. Das Böse scheint aus unerschöpflichen Quellen zu sprudeln, und wo es sich Geltung verschafft, selbst wo es bloß zur Sprache kommt, reichen die Reaktionen vom Kopfschütteln bis zu ungläubigem Entsetzen: Wie kann man bloß? Wie kann man bloß so sein, so etwas tun, sich so verhalten, verstellen, vergreifen, verrennen, vergehen? Da ist es auch ganz gleich, ob uns das Böse in der eher harmlosen Gestalt einer Bürointrige oder der abstoßenden Gestalt eines Kinderschänders begegnet – verstehen können wir es nie. Sprachlos macht es uns immer. Als wäre das Böse ein unheimlicher Eindringling mysteriöser Herkunft, etwas, das nicht zu uns gehört und in dieser Welt grundsätzlich nichts zu suchen hat.

Aber – gehört es denn zu uns, das Böse? Ist es uns nicht tatsächlich fremd? Regelrecht wesensfremd?

Das zu behaupten wäre kühn. Wer könnte bestreiten, dass es das Privileg des Menschen ist, böse zu sein? Alles, was uns sonst Ärger bereiten, bedrohen, in Panik oder Todesangst versetzen könnte – wilde Tiere, Unfälle, Naturkatastrophen –, fällt unter bedauerliche Zufälle, unter Unglück oder Tragödie. Nie würde es uns einfallen, einem Erdbeben, einem bissigen Wachhund Bosheit zu unterstellen, aus dem einfachen Grund, weil wir Tieren und Naturgewalten keine Absicht beilegen können. Zum Bösen gehört die Vernunft, der freie Wille, die Verantwortlichkeit, gehört gerade das, was den Menschen auszeichnet und vom Rest der Schöpfung unterscheidet. Wie soll ihm das Böse da fremd sein?

Und dennoch ...

Dennoch wollen wir ganz entschieden nichts damit zu tun haben. Dennoch verstehen wir sofort die Entrüstung der alten Dame, die mir sagte, als unser Gespräch auf die Beichte kam: «Ich wüsste wahrhaftig nicht, was ich zu beichten hätte! Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, soweit ich mich entsinnen kann.« Und in der Tat, beim Blick ins eigene Innere dürfte den meisten von uns nichts auffallen, was auch nur entfernt an Bosheit erinnert, und noch der überführte Serienmörder wird von sich sagen: Ich bin kein schlechter Mensch. Ist das bloßer Selbstbetrug? Bloßes Selbstmitleid? Oder können wir es bestätigen, dieses Gefühl, in etwas verstrickt zu werden, in etwas hineinzurutschen und sich mit einem Mal selbst nicht mehr zu verstehen? Scheint das Böse nicht wirklich aus heiterem oder vielmehr bedrohlich zugezogenem Himmel zu kommen – als würde es außerhalb dieser Ordnung, dieser Weltordnung existieren, in einer anderen Dimension, durch einen Abgrund von uns getrennt, die wir ein selbstverständlicher Teil dieser Ordnung sind – oder uns jedenfalls nichts sehnlicher wünschen als das?

An dieser Stelle kommt mir der Verdacht, Gott könnte im Irrtum gewesen sein, als sein Zorn gegen die Menschen ergrimmte. Hatte er die Sachlage wirklich gründlich geprüft? Mir ist klar, dass wir uns hier in die Gedankengänge desjenigen vertiefen, der die Sintfluterzählung verfasst hat – es überfordert uns, die Gedanken Gottes nachzuvollziehen. Aber bleiben wir einmal in der Geschichte, folgen wir der Logik dieses Gottes, der die Sintflut schickt. Kommt bei seinem Entschluss nicht Folgendes zu kurz: dass nämlich die Menschen das Böse genauso verfluchen. Dass sie darunter ebenfalls leiden und im Bösen einen unerwünschten, wenngleich hartnäckigen Gast erblicken – einem Parasiten vergleichbar, der sich die Menschen als Wirtstiere ausgesucht hat. Hätte Gott dann nicht in den Menschen Verbündete suchen sollen – und auch gefunden? Geändert hat die Sintflut jedenfalls nichts – sie war ein Fehlschlag, sie taugt allenfalls als Beispiel für die Unausrottbarkeit des Bösen. Denn wie in einem Horrorfilm überlebt es an Bord der Arche, eingenistet in der Seele des gerechten Noah, und bricht, als das Leben auf Erden weitergeht, erneut aus. Alles bleibt beim Alten. Gott hätte bei seinem Kampf gegen das Böse wohl anderswo ansetzen müssen. Aber wo?

Beim System zum Beispiel – um einen Bogen von der Sintflut in unsere Zeit zu schlagen. Beim perfiden politischen System oder den ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen. Armut sei das Grundübel, lautet eine Diagnose, die sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr durchgesetzt hat. Erst komme der Magen, dann die Moral, weshalb der Satte stets verträglicher als der Hungrige und der Wohlhabende grundsätzlich friedlicher als der Bedürftige sei. Solche Ansichten sind in linken Kreisen beliebt. Sie laufen auf eine partielle moralische Unzurechnungsfähigkeit des einzelnen Menschen hinaus, und es gibt ja tatsächlich genug Beispiele dafür, wie das Gewissen sich den gegebenen bösen Verhältnissen anpasst oder vor einer Verkettung widriger Umstände gänzlich kapituliert, wie dumme Zufälle und unglückliche Konstellationen unsere besten Absichten zunichtemachen.

Andere werden in der biologischen Grundausstattung des Menschen fündig. Sie sehen alle Ursachen menschlichen Verhaltens in einer Art automatischer chemischer Reaktion, die sich im menschlichen Nervenzentrum abspielt, bevor sie der Mensch in seinem Bewusstsein nachvollzieht. Oder sie entdecken den Egoismus der Gene, der uns leider keine Wahl lässt. Solchen Befunden nach zu urteilen wären wir unserer natürlich-biologischen Verfassung ähnlich willenlos ausgeliefert wie den gesellschaftlichen oder politischen Verhältnissen im ersten Fall – der Gedanke an eine Fernsteuerung drängt sich auf. In welchem System wir die Ursache des Bösen also immer ausfindig machen – im politischen, im gesellschaftlichen, im biologischen –, stets wird das Böse unserer Reichweite entzogen, und wir dürfen uns endlich verstanden fühlen: Ja, das Böse ist ein Resultat der Zwangslagen, in die wir als Menschen hineingeboren oder hineingeraten sind, unvorhersehbar wie ein Betriebsunfall und unserer Kontrolle entzogen.

Hätte Gott also dort ansetzen sollen? Bei der Gesellschaft, der Politik, der Funktionsweise des menschlichen Gehirns?

Da eröffnen sich viele Schauplätze. Halten wir unseren ersten Eindruck fest, bevor wir einen Schauplatz nach dem anderen besichtigen: Das Böse irritiert. Keiner, der noch bei Verstand ist, will es, und doch setzt es sich durch. Es führt ein beunruhigendes Eigenleben, und seine Herrschaft erscheint uns wie ein unnatürlicher, ein – um mit der Bibel zu sprechen – von Gott nicht vorgesehener Zustand. Es überschattet das Dasein des Einzelnen und braut sich wie eine Gewitterfront über dem Dasein der Völker zusammen – aus geringfügigsten Anlässen entstehen Gemetzel, als würde die Entwicklung blind einer teuflischen Logik gehorchen, und wo eine kleine Gruppe zum Gewehr greift, womöglich aus ehrenwerten Motiven, da befindet sich wenig später ein ganzes Land im Krieg mit sich selbst. Ungeheure Energien sind da am Werk, und eines lässt sich jetzt bereits sagen: Was auch immer es ist, woher auch immer es kommt, das Böse ist uns unheimlich. Und, so muss man hinzufügen, wie alles Unheimliche von einer unwiderstehlichen Faszination.

Es beschäftigt uns, es wühlt uns auf. Was wäre alle künstlerische Produktion, was wären Literatur, Malerei, Film und Theater ohne das Böse, die dunkle Seite des Menschen, seine Abgründe? Und natürlich durchzieht der Skandal des Bösen auch die Bibel fast von der ersten bis zur letzten Seite, von der Paradieserzählung bis zur Apokalypse. Aber – was ist es denn überhaupt? Dieses Böse, dem auch durch eine Sintflut nicht beizukommen war ...

2. Der Junge mit der Spinne

Mir geht es mit dem Bösen, wie es dem heiligen Augustinus mit dem Phänomen der Zeit ging: Solange ich mir keine Gedanken darüber mache, habe ich eine klare Vorstellung davon. Doch je genauer ich hinschaue, desto unsicherer werde ich. Das Bild, das ich vom Bösen habe, zerfließt, zerspringt buchstäblich in die unendlich vielen Facetten, in die sich das Böse in der Wirklichkeit des Lebens aufsplittert, von der kalten Gleichgültigkeit gegenüber fremdem Unglück über die vergiftende Wirkung der Eifersucht bis zum erschütternden Horror der Schlachtfelder, und ich frage mich: Lässt sich sein Wesen überhaupt bestimmen? Oder müssen wir uns darauf gefasst machen, dass es sich einkreisen, aber nicht fassen lässt?

Und dann fällt mir ein: Die Maler haben es versucht. Immer und immer wieder. Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie müssen das, womit Dichter, Philosophen und Theologen Bücher füllen, in konzentrierter Form sichtbar und fürs Auge greifbar machen, also eine Unmenge geistvoller Spekulationen in einem einzigen Bild zusammenfließen lassen. Bei dem Versuch, das Wesen des Bösen zu bestimmen, werde ich mich daher zunächst mit den Malern des Mittelalters beraten und mir anschauen, welche Darstellungsform sie für das absolute Gute und welche für das absolute Böse finden. Mit anderen Worten: welche charakteristischen Züge sie in ihren Gemälden Gott verleihen und welche dem Teufel.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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