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"Peter hilft mir galant in den Mantel. Dann gehen wir. Sein Auto leuchtet in der Oktobersonne. Bevor er den Motor startet, greift er in die Tasche seines Jacketts. Ehe ich mich versehe, hat er meine Hände mit Handschellen an dem Griff über dem Fenster fixiert. Jeder, der an einer Ampel neben uns hält, wird es sehen können. Doch mein Schreck dauert nur Augenblicke. Dann lehne ich mich (so gut es jetzt noch geht) zurück und finde die Situation einfach nur spannend und geil. Ich habe mich ausgeliefert. Das ist es schließlich, was ich wollte." Anouk S. 15 grenzüberschreitende Erzählungen sind in dieser aufregenden Anthologie versammelt: Der Yoga-Kurs von Anna Bunt handelt von einer Frau, die ihr Familienleben aufs Spiel setzt, um dem Alltag zu entfliehen. In einem heruntergekommenen Haus wartet sie jeden Mittwoch mit verbundenen Augen auf fremde Männer und ihren Herrn. In Dein Blick, vor all den Jahren beschreibt Cornelia Jönsson die zufällige Begegnung einer Frau mit ihrer unvergessenen Jugendliebe. Es ist die Intimität der kindlichen Indianerspiele im Wald, die sie als Erwachsene mit Machtspielen vergeblich wiederzufinden versucht. Anouk S. erzählt in Angekommen die Geschichte von Sarah, einer jungen Frau, die sich mit 13 unglücklich in ihre strenge Reitlehrerin verliebt. Erst viele Jahre später, in der Großstadt, findet sie das Wort für ihre brennende Sehnsucht: Sadomasochismus. Kyrill heißt der Internetfreund, den Julia Strassburgs Protagonistin in Marionette auf Zeit nach einem Jahr intensiver Chats endlich kennenlernen will. Es ist eine heiße Sommernacht, in der sich ihre Wünsche beinahe erfüllen und sie sich in eine gefügige Puppe verwandelt. Ungewöhnliche Geschichten über die dunkle Seite der Liebe und die Schönheit des Schmerzes
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Seitenzahl: 358
steht auf meinem Stein geschrieben,
seit ich das weiß, muss ich hier liegen,
durch die Ritzen fällt das Licht
auf mein verfallenes Gesicht.
Über mir das war mein Garten,
der muss nun ewig auf mich warten,
weiche Steine moosbedeckt,
die Alge hat den Teich versteckt.
Pilze auf den kahlen Bäumen,
Brennnesseln die Wurzeln säumen,
Vögel singen hier nicht mehr,
vom Schimmel ist die Luft so schwer.
Traubensaft an deinen Lippen,
im Schilfe mit den Wellen wippen,
ohne dich ist hier kein Sinn,
wo ist der Duft des Sommers hin?
In des Grabes Einsamkeit
erhell ich mir die Dunkelheit,
seh dein Bild in Kirschbaumblüten,
ach komm zurück den Garten hüten.
S. G.
kaum eine Form der Sexualität erfordert so viel Kreativität und provoziert so sehr wie die sadomasochistische Erotik. Deswegen präsentieren wir in der Reihe ANAIS immer wieder gern Bücher, die sich mit den außergewöhnlichen Themen der Dominanz und Unterwerfung auseinandersetzen. Es sind Werke, die nicht nur intelligent und niveauvoll geschrieben sind, sondern uns auch herausfordern, indem sie Lebensentwürfe darstellen, in denen ganz andere, aber ebenso stimmige Regeln gelten.
Schwarz ist die Farbe der Liebe ist eine Anthologie, in der unsere beliebtesten SM-Autorinnen das Thema Liebe und Schmerz auf unterschiedlichste Weise ausloten. Cornelia Jönsson, Julia Strassburg, Anna Bunt und Anouk S. sind sowohl erfahrene Schriftstellerinnen als auch praktizierende SMlerinnen, die im vorliegenden Band ihre Fantasien, Erlebnisse und Erfahrungen eindrucksvoll offenbaren. Es sind Geschichten für diejenigen, die gern Grenzen überschreiten, und für diejenigen, die sich verführen lassen möchten von der dunklen Seite der Erotik.
Ein anregendes Lesevergnügen wünscht Ihnen
Ihre Jennifer Hirte
Programmleiterin ANAIS
Cornelia Jönsson
Ich habe dich in so vielen Gesichtern gesucht. Du hast kurzes schwarzes Haar und große braune Knopfaugen. Du siehst aus wie immer, bloß größer und dicker. Mit zwei Kindern, die sich schüchtern gegen deine Beine drücken, und einer schönen Frau neben dir, die überhaupt nicht schüchtern ist.
»Komm doch mit, zum Abendessen!«, sagt deine schöne, selbstbewusste Frau. »Wenn du eine alte Freundin von Murat bist, möchte ich dich kennenlernen.«
»Eigentlich sehr gern, aber ich reise morgen früh schon wieder ab, und …«
»Wir lassen es nicht spät werden.«
»Ja, nein, aber wisst ihr, ich fliege so früh und dann muss ich gleich ins Büro und das wird mir alles zu viel.«
Ich fliege überhaupt nicht. Jedenfalls nicht morgen. Ich habe bloß keine Ahnung, was ich in deinem Familienidyll soll. Ich finde, du hättest mich einladen müssen. Ich bin doch deine Freundin. Willst du mich nicht in deinem Familienidyll?
Früher wolltest du mich da. Früher saßen wir im Schneidersitz um den Esstisch, und deine Mutter mästete mich mit gefüllten Weinblättern, gebratenem Gemüse und Zaziki. Du warst stolz, weil ich mich bei euch wohlgefühlt habe, und stolz auf mich. Weil ich das schönste Mädchen auf der Welt war, wie du sagtest, und weil es deine Mutter sicher gefreut hat, dass ihr jüngster Sohn ihr das schönste Mädchen auf der Welt nach Hause bringt.
»Dann besuch uns doch einmal in Deutschland!« Wenigstens sagst du jetzt auch etwas. »Wohnst du noch in Berlin? Ja? Wir leben in Heidelberg, das ist natürlich eine Ecke weg, aber du könntest übers Wochenende kommen. Wir haben ein Gästezimmer und einen Garten, wir könnten gemeinsam entspannen, komm doch.«
Es ist sonnenklar, dass ich nicht nach Heidelberg fahren werde. Du gibst mir ja nicht einmal deine Telefonnummer.
Ich sehe, wie sich eure vier braunen Rücken unter der Sonne entfernen, Richtung Palmen, Richtung Promenade, und wenn ich jetzt nichts tue, verliere ich dich.
Ich habe dich verloren, als du in die Türkei geschickt wurdest, um dort die Schule zu besuchen und um türkische Mädchen kennenzulernen. Das war ein bisschen hinterlistig von deiner Mutter, weißt du, mich jahrelang lächelnd mit gefüllten Weinblättern zu stopfen, um dich dann doch in der Türkei zu verkuppeln.
Dabei haben wir uns so geliebt. Weißt du noch, wie ich dich an den Baum am Waldrand am Ende eurer Straße gefesselt habe, weil du mein gefangener Indianer warst, und wie du gar nicht gejammert und dich überhaupt nicht gewehrt hast und wie ich dich gefragt habe, ob du mich liebst, mehr als alles andere, und wie du gesagt hast: »Ja, mehr als alles andere.« Und wie du mich dabei mit diesem ganz besonderen Blick voll inniger Ergebenheit angesehen hast und wie ich mich dann umgedreht habe und durch den Wald geschritten bin und das Glück in mir pulsieren spürte, weil du mir gehörtest und ich dich sicher am Baum befestigt hatte und uns das beide mit tiefer Ruhe und Zufriedenheit erfüllte.
Ich habe viele Indianer gefangen seitdem. Einen habe ich eine hölzerne Säule in die Mitte meines Wohnzimmers zimmern lassen, fast wie einen Baumstamm, der, in den Dielen wurzelnd, durch die Decke hindurch in unseren alten Wald wächst, am Ende eurer Straße. An diesen urbanen Wohnzimmer-Baumstamm binde ich Männerkörper. Nackt und schön. Ich mag es, wenn sie nicht ganz so muskulös sind. Lieber ein bisschen speckig. Wenn sie weiche Haut haben, möglichst braun. Wenn sie jung sind. Ich binde sie an den Baumstamm und verlasse das Zimmer. Ich feile mir die Nägel im Bad oder lese die Zeitung auf dem Klo oder räume die Spülmaschine aus oder starre aus dem Fenster auf die Straße und das Café gegenüber und die hektischen Mütter mit den breiten Sportkinderwägen. Ich warte dabei auf dieses pulsierende Glück, das ich damals im Wald empfand. Es stellt sich nicht ein. Was fehlt, ist dieser ergebene Blick, wie nur du ihn hattest. Die Männer an meinem Wohnzimmerbaumstamm sind viel zu erregt, um ergeben zu sein. Das Pochen in ihrem Schwanz vernebelt ihnen derart den Blick, dass sie mich gar nicht mehr erkennen. Sie würden mir gern ergeben sein, aber noch viel dringender wollen sie, dass ich ihnen Lust mache. Das ist ganz natürlich. Jeder will Lust empfinden. Und jeder will Befriedigung.
Du kaufst den Kindern ein Eis. Nein, dem Jungen ein Eis und dem Mädchen Churros. Du hast einen roten Schwimmreif mit schwarzen Punkten und Käferkopf um den Arm hängen. Der Junge schleifte bis eben einen Delfin hinter sich her. Jetzt kann er das nicht mehr, weil er sich um sein Eis kümmern muss. Du nimmst auch den Delfin. Ich sehe, wie du mit dem Jungen sprichst und er energisch den Kopf schüttelt und mit dem Bein aufstampft. Wahrscheinlich willst du seinem Delfin die Luft rauslassen und er ist dagegen.
Du hattest früher auch einen Delfin, dem man die Luft nicht rauslassen durfte. Dabei schwamm der nicht im Mittelmeer, sondern in einem Planschbecken, das kleiner war als er selbst. Er war immer dort, außer in den Sommerwochen, die ihr in der Türkei verbrachtet. Ich habe euren Urlaub gehasst.
Deine Frau putzt den Kindern mit einem bespuckten Taschentuch über den Mund. Du schleppst das Gummigetier. Plötzlich drehst du dich um. Ich stürze hämmernden Herzens hinter eine Palme. Spürst du, dass ich dich verfolge? Hoffst du es?
Ich bin auf Mallorca, um mich zu entspannen. Ich will braun werden, Weißwein trinken, Muscheln schlürfen, mit dem Roller durch die Berge fahren und mich im heißen Fahrtwind frei fühlen, Stunden am Strand liegen und die Zeit so gelassen zerrinnen lassen wie den warmen Sand zwischen meinen Fingern. Ab und an einen schönen Spanier gebrauchen. Ganz einfach. Ohne große Aufregung. Das klappt ziemlich gut. Ich kann machen, dass Männer machen, was ich will. Dass sie zum Beispiel mit auf mein Zimmer kommen, sich ausziehen, mich erst vögeln, dann lecken, genauso wie ich es möchte, und sich anschließend wieder aus dem Staub machen. Ich sage ihnen, sie bekommen keine Telefonnummer, so gut waren sie nicht. Das Problem ist, dass sie mir beim Frühstück schon auflauern. Und dann nachmittags, abends. Egal. Ich ignoriere sie einfach. Sie mögen es, ignoriert zu werden, und ich mag es zu ignorieren. Weil mich das stark macht und unabhängig. Deinen Blick geben sie mir trotzdem nicht.
Ihr wohnt in einem dieser Ferienhäuschen, die sich Wand an Wand bis in den blauen Horizont hinein reihen. Eure Kinder werden bereits von ihren Freunden von nebenan erwartet. Du legst das Gummigetier in den Garten. Deine Frau hängt die nassen Handtücher über die Wäscheleine. Du trägst eine knielange Badehose und ein weißes T-Shirt. Du hast immer noch O-Beine. Vom Fußball, hattest du gesagt. Ich habe dir manchmal beim Training zugeschaut. Das hat dich wirklich glücklich gemacht.
Ich setze mich auf einen Stein vor eurem Garten. Ein paar Kakteen verbergen mich hinreichend, glaube ich. Wenn du wolltest, könntest du mich sehen. Wenn du mich spürtest.
Du hast gespürt, wann ich dich brauchte. Ich sagte nicht, dass ich dich brauchte, niemals, weil ich niemanden brauche, niemals, bis heute nicht.
Trotzdem warst du fast immer da nach dem Schrecken. Von ganz allein. Du schlurftest hinter mir her in mein Zimmer und setztest dich zu mir auf die Bettkante. Du besahst beklommen meine Wunden, ertastetest die blauen Landschaften auf meinem Körper. Ich war hart in den Stunden des Schreckens. Du hast mich bewundert, weil mich nichts erschüttern konnte. Weil ich nicht kleinzukriegen und nicht zu brechen war. Du hast deinen Kopf in meinen Schoß gelegt, ich habe dein weiches schwarzes Haar gestreichelt und es war, wie eine Katze zu halten, so beruhigend.
Du hast auch eifrig ihre leeren Flaschen weggeräumt und ihr Chaos gelichtet, wenn sie schlief oder bewusstlos war. Ich habe mit einem Kochlöffel den Takt geklopft, in dem du aufräumen solltest. Das fandest du toll. Und ich erst.
Inzwischen lasse ich mein eigenes Chaos von Männern wegräumen und ich klopfe den Takt dazu auf ihre Hintern. Du glaubst nicht, wie geil sie das macht. Mir gefällt es auch ganz gut. Aber es ist nicht wie mit dir. Weil sie es nicht tun, um mir zu helfen, sondern um sich selbst zu amüsieren. Meine Dominanz gibt ihrer Lust das Futter, das sie braucht, um weiterzuflackern. Ich halte ihre Lust gern am Brennen, weil auch ich Lust empfinden möchte und weil sie diejenigen sind, die mir Lust machen sollen, so wie ich es möchte. Lust ist schön, doch Liebe ist schöner. Denke ich. Es lässt sich bloß keiner lieben. Es lassen sich immer wieder welche mögen. Und das ist besser als nichts, aber nicht genug.
Das Fenster zum Bad steht offen und da stehst du. Es ist unpassend, aber ich weine, als du die Flipflops von deinen Füßen schüttelst, dir dein T-Shirt über den Kopf ziehst und aus deiner knielangen Hose steigst. Genau das wünsche ich mir, seit ich mir Intimität mit Männern, Intimität überhaupt wünsche: dass du in meiner Gegenwart mit ebendieser unbekümmerten Natürlichkeit nackt bist. Dass dein erwachsener Schwanz, den ich heute zum ersten Mal sehe und nicht genau erkennen kann, sich weich zwischen deine Hoden kuschelt. Dass meine Nähe für deinen Schwanz nicht Lust bedeutet, sondern die Freiheit, frei zu sein und nackt und präsent. Weil diese Innigkeit, die zwischen uns ist, alles wortlos akzeptiert, was wir sind. Die verborgenen Orte unseres Körpers. Die entsetzlichen Lüste unseres Fleisches. Die schrecklichen Regionen unserer Seele. Die Minuten, in denen wir Monster sind. Die Härte, aus der ich mich nicht befreien kann. Die Ergebenheit, die du mit dir trägst wie eine offene Wunde.
Weißt du, ich quäle Männer. Ich beiße, kratze, schlage sie. Ich habe Peitschen aus Leder und Fahrradschläuchen. Ich habe biegsame, geschmeidige Rohrstöcke. Ich habe Pfennigabsätze. Ich habe Gewichte mit Zähnen daran. Wenn ich Männer quäle, dann entäußert sich etwas in ihnen, was sonst nicht da ist. Es entfahren ihnen Geräusche, von denen sie nichts wussten. Es entfährt mir eine Gewalttätigkeit, die es sonst nicht gibt. Das ist gut, weißt du. Wir schenken uns gegenseitig meine Heftigkeit, meine Stärke, meinen Willen. Wir machen meine Macht möglich und das macht uns beide glücklich, solange es passiert. Aber ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie wenig Nähe das Spiel mit Schmerzen schafft. Schreie allein ermöglichen es mir nicht, nahbar zu werden. Der einzige Schlüssel zu dem Eisentor, das ich in mir drin mit mir durch mein Leben schleppe, ist dein ergebener Blick aus braunen Knopfaugen. Danach suche ich, seit ich dich heimlich zum Flughafen verfolgt und in die Türkei habe entschwinden sehen vor über zwanzig Jahren.
Ich höre durch das offene Fenster das Plätschern der Dusche, unter der du stehst. Es könnte so beruhigend sein, dieses Geräusch in meiner Wohnung zu hören, während ich lese oder die Wäsche aufhänge. Weißt du, ich denke, ich werde hier warten, bis du aus der Dusche steigst, und dann werde ich zum Fenster huschen und du wirst mich erstaunt, aber ergeben wie je ansehen. Du wirst dich auf das Fensterbrett stützen und hinaussteigen, um mich zu umarmen und mich zu küssen, wie es Erwachsene tun.
Ich will dich deiner Frau nicht wegnehmen, sie braucht sich keine Sorgen zu machen, und erst recht nicht deinen Kindern. Von mir aus genügt es vollkommen, wenn du ab und zu nach Berlin kommst und da bist und diese Intimität, diese tatsächliche Nähe zwischen uns spürbar wird, an die ich sonst einfach nicht herankomme, egal, wie brutal ich den Grenzen eines anderen zu Leibe rücke, weil ich nicht gegen meine eigene Grenze ankomme.
Sie müsste es nicht wissen, du müsstest sie nicht beunruhigen. Wenn du aber willst, dann erzähle es ihr, es ist mir gleich. Ich will niemandem etwas wegnehmen. Ich kann teilen. Ich brauche keinen ganzen Menschen. Ich brauche erstaunlich wenig. Ich brauche nichts weiter als die Wahrhaftigkeit eines Kontaktes, von Zeit zu Zeit.
Das Wasser verstummt, der Vorhang bewegt sich, ich bin auf dem Sprung. Und die Badezimmertür geht auf und deine schöne Frau nimmt das Handtuch, das auf dem Klodeckel liegt, und hält es dir hin. Dein Körper ist so nachgiebig, wie ich ihn kenne. Es sieht so aus, als ließest du dich in ihr Handtuch fallen, und sie trocknet dich ab, und ich kann förmlich spüren, wie weich deine Haut ist, viel weicher als das Handtuch. Deine kantigen braunen Hände legen sich auf ihre Taille, auf diese Stelle, wo die Taille sich zur Hüfte hinbiegt, und du siehst sie an mit diesem unglaublich ergebenen Blick, den ich so sehr geliebt und so dringend nötig hatte mein ganzes Leben lang, und ich weiß, du hast längst das Eisentor in mir vergessen.
Ich bleibe noch einen Augenblick sitzen, nur einen Augenblick, dann werde ich aufstehen und losgehen und sehen, ob ich in der Bar meines Hotels einen hübschen jungen Mann finde für ein paar Tränen vor dem Abendessen. Nur noch einen Augenblick.
Julia Strassburg
Kurz vor Mitternacht. Die Stadt hat sich eingeigelt. Alle brüten im eigenen Saft. Ausnahmezustand, seit über einer Woche. Der Helmholtzplatz ist voll von Erlebnishungrigen. Fast jede Bar scheint überfüllt. Dennoch ist es beinahe still auf den Straßen. Die Hitze drückt auf die Stimmbänder. Träge Gemüter. Ab und an weht eine feine Brise durch die Gesichter der Menschen. Dann ist ein allgemeines Raunen hörbar, ein Seufzen der Erleichterung. Doch der Wind hält sich bescheiden, lässt die Leute warten. Dennoch: Musik dringt aus den Kneipen, Gläser klirren. Es ist Freitagnacht. Der Beginn der freien Zeit. Wochenende.
Irgendwo dort zwischen dem Stadtkind und dem Frida Kahlo stehe ich. Eingelullt vom Klima. Schweiß perlt meinen Nacken entlang. Mein Kleid klebt am Körper.
Beim nächsten Luftzug – das nehme ich mir vor –, beim nächsten Luftzug werde ich gehen. Dort an die Ecke, unter die Laterne werde ich mich stellen. Warten? Nein. Nicht warten, sondern präsent sein. Bis er kommt. Er, der Mann, der Unsichtbare. Fast wie ein imaginärer Freund hat er mich im letzten Jahr begleitet. Tag für Tag haben wir einander geschrieben, über Skype. Er ist mein kleiner Mann im Ohr, mein Gewissen und mein Freund inzwischen. Heute werde ich ihm begegnen. Heute, ja. Wir setzen viel aufs Spiel, das wissen wir. Die Nähe, die nur zwischen Fremden entstehen kann, die keinerlei Erwartung an den anderen stellt. Wir waren ehrlich im letzten Jahr, reflektiert und gewissenhaft. Kyrill gehört in meinen Tagesablauf wie der Gang zum Briefkasten. Der morgendliche Gruß ist ebenso ein Muss wie das abendliche Resümee. Schlaf gut, bis morgen.
In den vergangenen Tagen haben sich unsere Gespräche verdichtet. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, Kyrill auf der anderen Seite des Netzes lächeln sehen zu können, ihn zu spüren. War er die Monate zuvor längst Teil meines Alltags geworden, so drängte er sich in jenem Moment auf eine Ebene, die weit entfernt davon lag. Eines führte zum anderen und keiner von uns wunderte sich über die jähe Bereitschaft für ein Treffen.
Heute setzen wir alles auf eine Karte. Heute werde ich Kyrill zum ersten Mal sehen. Und er mich. Seinen wahren Namen kenne ich nicht. Doch der ist nicht von Belang. Für mich ist er Kyrill und wird es bleiben.
Da! Ich sollte gehen. Der Wind wirft einen Pappbecher am Straßenrand auf die Seite. Ein kleiner Sprung darüber. Wenige Schritte, stolze Schritte. Da bin ich also. Illuminiert, bereit, mich durchleuchten zu lassen. Wo bist du? Wie siehst du aus? Eine Schrecksekunde nimmt mich gefangen. Nur ein Gedankenbruchteil, dennoch die Frage: Was, wenn du mir nicht gefällst? Wir haben keine Fotos ausgetauscht, wollten mutig sein, uns nicht fehlleiten lassen. Ein ganzes Jahr habe ich so viele Bilder auf dich geworfen. Du warst Projektionsfläche wunderbarer Gedanken. In letzter Zeit habe ich dich oft mitgenommen, ins Bett. Ich habe mir einen Regentanz mit dir erträumt. Kühle Tropfen, die sich zischend auf unseren Körper stürzen. Du bist der Mann ohne Gesicht. Das ist wichtig. Denn sobald ich dir zu viel Aussehen verpasse, laufe ich Gefahr, enttäuscht zu werden. Doch wo bist du? Ein wandernder Blick. Es ist schwül. Wo? Die Zeiger stehen auf Treffpunkt. Jetzt ist es zwölf. Verdammt, wo bist du? Ich will nicht die Wartende sein. Die, die stehen gelassen wird, versetzt. Jetzt nur nicht nervös werden. Keine Angst vor dem Unbekannten.
Überbrückungsgedanken helfen mir oft dabei, meine Ungeduld und die damit einhergehende Nervosität zu drosseln. Dabei stelle ich mir den nächsten Schritt vor. Wäre ich allein, schlösse ich wohl die Augen. Aber es funktioniert auch so. Um mich herum ist noch immer das Treiben der beginnenden Nacht. Doch die Temperaturen betten mich an einen Ort zwischen hier und dort. Ich stelle mir vor, wie du aussehen könntest, wie es sein könnte: Und dann sehe ich dich vor mir. Aus irgendeinem Grund ist alles plötzlich ganz klar. Natürlich, das bist du. Genau so siehst du aus. Schwarze schulterlange Haare, gewollt wüst. Die Koteletten dafür umso gepflegter. Deine Hand hebt sich, du winkst. Ja, natürlich winke ich zurück. Du bist du. Das erkenne ich. Du hast nie anders ausgesehen und das ist in Ordnung. Ich habe kein Beuteschema und wenn doch, dann sind es intensive Augen, grün am besten. Nun stehst du vor mir und blickst mich aus grünen Knöpfen an. Der Rest von dir passt sowieso in keinerlei Schema. Es sei denn, man steht auf Freaks. Das tue ich – ab jetzt. Die Luft ist komprimiert. Kein Raum mehr, kein Weg zurück. Ebenso wie mir laufen dir Schweißperlen über die Stirn.
»Schön, dass du da bist.« Deine Stimme ist heller, als ich vermutet habe. Die vielen Worte, die du mir geschrieben hast, haben tief geklungen beim Lesen. Tief, mit leichtem Kratzen. Ich werde mich an deine Stimme gewöhnen müssen.
Wir reden nicht, als wir Richtung Schönhauser Allee schlendern. Da ist nichts, was wir nicht längst besprochen hätten. Wichtig ist zu spüren, zu beobachten, zu lauschen. Dein Gang ist ruhig, meiner dagegen hektisch. Schlanke Beine, Doc Martens an den Füßen. Lang ists her, als die modern waren. Du bist ein Sonderling.
Gegenüber ist eine Bar. Draußen ist alles besetzt, also gehen wir hinein. An der Theke bestellst du zwei Gläser Weißwein. Das ist okay für mich, doch du hättest ruhig fragen können. Mit den hohen Schuhen fällt es mir schwer, auf den Barhocker zu klettern. Es gelingt, doch du schaust nicht hin. Ein zweiter langer Blick in deine Augen. Du rückst auf, dichter an mich heran. Meine Nase nähert sich deinem Hals. Ich kann dich riechen. Du duftest, nach Angel. Ein Duft aus meiner Vergangenheit. Erinnerungsfäden streifen mein Bewusstsein – kurz, aber tief. Ich seufze. Du schließt dich mir an. Wir sind uns nicht fremd, wir kennen einander besser, als es manche Freunde tun. Die Distanz hat uns mutig gemacht. Wie viele Stunden ich deinetwegen vor meinem Rechner verbracht habe. So viele Worte haben wir getauscht. Einander schreiben ist wie gemeinsam denken. Alles bleibt im Inneren, als wäre es unausgesprochen. Stummer Gedankentausch lässt keinen Raum für Oberflächlichkeiten. Zumindest haben wir niemals Belangloses in unser Chatfenster gelassen. Wir haben einander tiefe Einblicke gewährt, haben uns an die Büchse der Pandora gewagt, versucht, ihren Deckel zu öffnen.
Jetzt hat sich der erste Spalt aufgetan und wir dürfen einen weiteren Blick erhaschen. Es gibt keinen Plan. Ob das gut oder schlecht ist? Da bin ich mir nicht sicher. Dir hingegen scheinen andere Gedanken durch den Kopf zu gehen. Gedanken, die weniger die Vergangenheit betreffen. Unser Wein kommt. Du stehst auf. Deine rechte Hand legst du auf die Bar, die andere hält das Glas. »Erinnerst du dich an deine Worte? Letzte Woche hast du einen Wunsch geäußert. Den würde ich dir gern erfüllen.« Dieses Lächeln – ehrliche Verkommenheit. Natürlich weiß ich auf Anhieb, wovon du sprichst. Warum bist du nur so schnell? Warte doch, ich bin noch nicht so weit. Und warum ausgerechnet hier? Öffentlich. Womöglich werden wir hinausgeworfen. Gib mir Zeit, gib dir Zeit. Lass es wachsen. Ich spüre Hitze in meinen Wangen, spüre meine Sinne schwinden. Jetzt tu es schon. Tu es doch. Hör auf zu lächeln, tu es. Nein, tu es nicht. Warte noch. Der Abend ist noch lang. Lass uns die Verzögerung genießen, Sehnsucht wachsen lassen. Oder?
»Ich brauche einen Schluck Wein.« Das letzte Wort verschlucke ich fast, so starr ist meine Zunge. Und dann: Mein Kopf fliegt nach hinten. Wie in einer Endlosschleife fühle ich ihn immer und immer wieder fliegen. Sprung in der Platte. Mein Puls ist mir in den Schädel geschossen. Meine Wange brennt. Der Abdruck deiner Hand ist darauf, da bin ich mir sicher. Deine Stimme, noch immer nicht vertraut, holt mich zurück. »Du weißt, was Bedenkzeit mit deinem Kopf angestellt hätte. Du hättest dich umentschieden, garantiert«, sagst du. Als wären wir ein Paar, über Jahre eingespielt. Woher hast du nur dieses Wissen? Erst jetzt reichst du mir die Flasche. Ich atme laut, kann nicht mehr denken, bin feucht, unvermittelt nass. Die Blicke der anderen Gäste sind auf uns gerichtet. Ein Mann, der seine Frau schlägt, das geht doch nicht. Da sind Fragen in ihren Blicken, Wut und Sorge. Genau weiß ich nicht, ob sie wirklich alle hersehen. Ein Paar an einem Tisch gegenüber starrt mir direkt in die Augen. Ich schäme mich.
»Danke«, stammle ich. Nervöse Hände greifen nach dem Wein in deiner Hand. Du ziehst dich zurück, schüttelst den Kopf. Dann führst du das Glas an meine Lippen. Ich öffne den Mund, schließe die Augen und vertraue dir. Viel zu schnell vertraue ich dir. Weißwein auf der Zunge, Angel in der Nase, Hitze auf der Haut und dich im Kopf. Wie bist du nur dorthin gelangt? Und was mache ich hier? Du setzt das Glas ab, ich schaue dich an. Beinahe drohe ich an deinem Blick zu ersticken. Kurz darauf beschließt du, dass wir besser gehen sollten. Schließlich sind wir unangenehm aufgefallen. So verlassen wir den Tatort, sind wieder auf der Hauptstraße. Bloß meine Wange erinnert daran, was gerade geschehen ist. Die Tat selbst ist zu unwirklich, als dass ich sie rational erfassen könnte.
Wir gehen der Nacht entgegen, sind plötzlich beim Mauerpark. Zeit: schneller vergangen als genossen. Auf einer Bank vor der Max-Schmeling-Halle kommen wir zur Ruhe. Der Wein aus meiner Tasche hat sich dem Klima angepasst. Vorausschauend habe ich roten mitgebracht, der darf ruhig etwas wärmer sein. Unbeholfen pfusche ich am Korken herum, versuche, ihn herauszuziehen. Gut, dass du mir behilflich bist – das erste Mal, wie schön. Ich küsse dich. Ganz kurz nur. Das Lächeln steht dir gut. An Gläser habe ich nicht gedacht. So teilen wir die Flasche, ganz im Stil des Mauerparks. Hier fällt das niemandem auf. Hier fiele es nicht einmal auf, solltest du mir weitere Wünsche erfüllen wollen.
Die Luft hat nichts von ihrer Spannung verloren. Im Gegenteil. Wir sind Starkstrom. Du bist du, auch jetzt noch, wirst es immer mehr. Eine Weile genießen wir den Wein, den Moment, das abgeklungene Pochen meiner Wange. Ja, auch du. Deine Hand legt sich auf die Hautpartie. Dass es sich draußen abgekühlt hat, kann ich nicht unterzeichnen, als du mich darauf hinweist. Mir läuft die Suppe. Plaudern tun wir nicht. Das passt nicht zu uns. Nur wenige Worte tauschen wir. Nach einer Weile ist auch die Flasche leer wie mein Kopf. Du bietest mir deinen Schoß, ich platziere die Füße auf der Bank, den Kopf auf deinen Beinen. Kein Wort, nur spüren. Nachttiere schwirren im Licht der Laterne, es duftet nach benetztem Gras, nach Erde. Heute werden wir nicht weitergehen. Ich weiß, wie schwer es dir fällt, mir geht es nicht anders. Der Tag kündigt sich an, es wird hell um uns herum. Silhouetten werden zu Menschen, Schatten zu Büschen, die Nacht verschwindet langsam. Du bist du, ich bin ich. Das haben wir erkannt.
Als die Sonne die erste Hälfte ihres roten Korpus aus dem Horizont schiebt, triffst du eine Entscheidung: Wir gehen. Nicht zu dir, das ist dir zu nah am Alltag und zu weit weg von uns. Das verstehe ich. Auch meine Wohnung kommt nicht infrage. Wir gehören nicht in den Alltag, haben unsere eigene Zeit. Wir sind zwischen den Zeigern, ticken anders – du und ich. Gleichförmigkeit lässt sich im Alleingang besser ertragen. Zu zweit jedoch sollten wir zusehen, dass wir uns eine Insel suchen. Auf der wir Vergessen üben und anders werden, wir werden. Natürlich kennst du eine Pension, gleich in der Nähe. Ein kleines Familienunternehmen, mit wenigen Zimmern.
Eines ist noch frei. »Was für ein Zufall«, bemerke ich. Du schweigst, lächelst in dich hinein. Die Blicke der Rezeptionistin stören uns nicht. Keine Chance, uns jetzt bei der Moral zu packen. Davon haben wir uns längst befreit. Gewissen? Was ist das? Ich will ficken! Habe ich das gerade laut gesagt? Tatsächlich. Endlich schaust du mich wieder so an wie vorhin an der Bar. Ein »ungeduldiges Ding« nennst du mich. Verlangst nach dem Schlüssel. Sofort lege ich ihn in deine Hand. Mein Vorsatz, nicht vorschnell zu sein, ist mir abhandengekommen. Langsam öffnest du die Tür. Neben dir flattere ich nervös umher, bin bereit, Federn zu lassen.
Das Hotelzimmer ist klein, aber gemütlich. Sanierter Altbau, mit Fenstern, deren Rahmung man noch aus DDR-Zeiten kennt. Zarte Grüntöne an den Wänden, ein bisschen wie im Krankenhaus. Die bemühten Dekorationen der Gastgeber verleihen der sterilen Farbe nur wenig Komfort. Mir ist es egal. Wir hätten auch im Mauerpark auf der Wiese schlafen können.
Rückwärts lasse ich mich aufs Bett fallen. Im Gegensatz zu mir hast du dich deiner Schuhe entledigt, diese ordentlich neben die Tür gestellt. Der Ruhe deiner Bewegungen schenke ich keinen Glauben. Dein Blick hat dich verraten. Es ist gut, dass du ebenso durcheinander bist wie ich. Das fördert mein Vertrauen in die Situation. Wir sind Narren, wie neugierige Kinder. Der Spalt öffnet sich allmählich, wir haben den Deckel ein wenig verschoben. Ganz leicht nur, denn wir ahnen langsam, was sich darunter verbirgt. Nur weil wir nicht wissen, was wir tun, funktioniert es. In meinem Kopf ist ein Vakuum. Die Flasche Wein liegt viele Stunden zurück und kann unmöglich schuld daran sein. Höchstens ein wenig, so wie der Schlafmangel. Du trittst näher, stehst nun vor dem Bett. Während wir schweigend die Gegenwart des anderen genießen, schmiede ich heimlich Pläne.
Deine Hände sind schön, feingliedrig und lang. Ich nehme deine rechte Hand, schiebe sie dorthin, wo es nass ist, trotz des Höschens. Es ist reine Taktik, ein Ablenkungsmanöver – deine Verblüffung das Ziel. Viel zu leicht ist es erreicht. Du setzt dich zu mir aufs Bett. Ich rücke ganz nah an dich heran. Meine Zähne graben sich in deinen Hals. Fast automatisch – und damit gibst du die Verblüffung an mich zurück – drängst du dich an dem kleinen Stückchen Stoff vorbei, dringst mit einer Drehbewegung in mich ein. Meine Zähne geben dich frei. Ich stehe auf, bewege mein Becken in deine Richtung. Das gefällt dir sehr. Du greifst mir schmerzhaft ins Haar, ich erwidere deinen Griff. Dein Haar ist lang genug, um es zu packen. Kampf. Irgendwie landen wir auf dem Boden. Eines führt zum anderen. Hände, Knie, ich wehre mich. So leicht sollst du es nicht haben mit mir. Mir ist klar, dass du meine Gegenwehr genießt. Du drückst dich hoch, stehst über mir. Diesen Moment lasse ich nicht ungenutzt, rücke an die Bettkante, versuche aufzustehen. Beherzt greifst du meinen Nacken. Es tut weh, das weißt du genau. Unvermeidlich sinken meine Knie wieder auf den Dielenboden. Meine Hand fasst nach dir, deinem Unterschenkel, als sei er ein Rettungsanker. Was passiert hier gerade? Ich habe keinen Einfluss mehr.
»Zieh dich aus«, sagst du. Nur langsam löse ich die Hand von deiner Wade. Das Kleid ist schnell über den Kopf gezogen. Gut, dass ich wenigstens ein Höschen trage, denke ich bei mir. Zu dumm, dass du meine Gedanken inzwischen lesen kannst. »Ganz!« Die nächsten Augenblicke meines Lebens gehören nicht mehr mir. Ich gebe dir die Fäden in die Hand. Ursache – Wirkung. Keine Entscheidungen, es liegt an dir. Lieblos nimmst du meinen Slip, wirfst ihn in den Raum. Schritte in meine Richtung, zielgerichtet. Ein Tritt in die Seite. Ob ich nicht wüsste, was Körperspannung sei? Doch, das weiß ich. Schau her: aufrechter Oberkörper, Brust raus, ein leichtes Hohlkreuz dazu. Bedächtig umkreist du meinen Körper, musterst ihn. Mit zwei Fingern öffnest du meine Möse, ziehst an den Schamlippen. Dahinter spüre ich nachdrücklich meine Klitoris. Ungeduld lässt mich handeln: Ich schiebe deine Finger in mich hinein. Du schlägst mich dafür, hinterlässt Feuchtigkeit auf meiner Wange. Taumel, schon wieder, intensiver dieses Mal. Deine Ohrfeigen fangen an, mir gutzutun. Du ahnst es, schlägst weiter. Langsam, aber stetig. Ich kämpfe gegen die Tränen. Es geht weiter und weiter. Deine Schläge sind intimer als Küsse. Wer bist du bloß, dass ich dir erlaube, mir so nah zu kommen? Tränen, da sind sie. Mein Gesicht ist ganz nass. Das magst du. Mit dem Daumen streichst du die Feuchtigkeit von meinen Wangen. Du setzt dich zu mir auf den Boden, ziehst meinen Körper an dich, hältst mich. Ich bin weit entfernt, habe mich zurückgezogen. Irgendwohin, ganz nah bei dir. Du entscheidest, nur du. Eine Hand fährt mir durchs Haar, erst sanft, dann fester. Du willst, dass ich weiterkämpfe. Ich bleibe unten, ganz klein, als du dich wieder hinstellst. Deine Tritte, deine Stöße – du treibst mich durchs Zimmer. Die Augen geschlossen, fühle ich den Boden unter meinen Knien. Dieses Geräusch – unverkennbar. Du ziehst den Gürtel aus den Schlaufen deiner Hose. Mein Kopfkino hat mir diese Bilder oft gezeigt. Jetzt, da du zuschlägst, möchte ich am liebsten davonlaufen. Aber ich kann mich nicht bewegen. Der Gürtel trifft. »Scheiße!«, rufe ich. Jeglicher geistiger Reichtum ist mir entfallen. Du lachst. Mir ist nicht zum Lachen zumute, trotzdem kann ich nicht anders. Galgenhumor.
Während du mich mit dem Gürtel bearbeitest, scheint sich mein Geist abzuspalten. Gedanken entgleiten, mein Kopf ist leer, mein Körper taub. Da ist nichts als mein Atem. Unabhängig von meinen Körperfunktionen scheint es, als atmete es in meinem Kopf. Ich bin körperlos, doch nicht atemlos. Was für ein Widerspruch. Widersprüchlich bin ich ohnehin, denn ich kann nicht glauben, dass ich mich von einem Fremden schlagen lasse. Denn das bist du. Erst monatelang in meinem Kopf, hast du dich nun meines Körpers bemächtigt, hast ihn mir geraubt. Nicht einmal gefragt hast du. Das Geräusch des Gürtels ist in deinen Ohren. Mein Hörsinn ist außer Kraft, da ist bloß meine Atmung, die mir versichert, mich noch in meinem Körper zu befinden. Meine Lungen arbeiten, pumpen. Luft. Leben. Das bedeutet wohl, dass ich noch da bin, hier bei dir. Die gute alte Logik hat mich nicht verlassen. Und doch sind wir weit entfernt von rationalen Beweggründen. Prügel mir den letzten Verstand auch noch aus dem Leib. Bevor wir einander zu vertraut werden, als dass ich dich dies tun ließe.
Nur ein kleiner Teil in mir verlangt nach genau dieser Behandlung. Die Fühler, die ich deiner Härte entgegenstrecke, sind zu wankelmütig, als dass sie gegen meinen Alltagswillen eine Chance hätten. Tu, was du willst, aber tu es genau jetzt. Ich bin deine Marionette auf Zeit. Unsere Zeit. Also mach was draus. Komm, spiel mich. Mein Arsch brennt, die Haut scheint geschwollen. Ich soll ihn hochstrecken, meinen Arsch, höher, mir Mühe geben. So kannst du dein Werk betrachten. Keine Schläge mehr. Wie von selbst kehrt mein volles Bewusstsein zurück. Scham. Du schaust mich an, gründlich und sehr genau. Tageslicht dringt durch die hellen Gardinen. Grüne Wände. Ja richtig, wir sind in dieser Pension. Meine Haut glüht. Dein Blick frisst sich durch jede einzelne Schicht, durch mein Fleisch, bis zum Kern. Röntgenaugen. Ich bin splitternackt, bloßgestellt.
»Arsch hoch!«, höre ich dich sagen. Obwohl ich sicher bin, dass ich gemeint bin, schaue ich dich wortlos an, reagiere nicht. Der Tag bringt Zweifel mit sich, wie immer. Ich wünsche mir die Nacht zurück. Mit den Händen fasst du mein Becken, hebst es an. Ein fester Griff, entschlossen. Du fasst in meine feuchte Spalte, reibst sie, ziehst daran, steckst einen Finger hinein, dann zwei, schließlich kann ich nicht mehr sagen, wie viele Finger es sind. Vielleicht ist es die ganze Hand. Ich schließe die Augen, es ist wieder Nacht. Ich bestehe nur aus Feuchtigkeit, verflüssige mich. Deine Finger schieben nach, ziehen sich zurück. In einem eigenen Rhythmus, deinem Rhythmus. Du lässt mich danach tanzen, führst mich, spielst mich. Ich bin dein Puppentheater. Mit deiner Hand in meinem Leib.
Kurz vor meinem Höhepunkt stoppst du. Auf rätselhafte Weise hast du den Zeitpunkt abgepasst. Oder haben mich meine Laute verraten? Tatsächlich. Ich stöhne, jetzt jammere ich sogar, flehe dich an, mich kommen zu lassen. Verschlagenes Lachen kracht aus deiner Kehle. Deine Unerreichbarkeit ist mir so vertraut. Schieb deine Hand zurück und spiel mich, inszeniere mich nach deinen Wünschen! Zieh an den Fäden. Auf deiner Bühne will ich mich bewegen, heut Nacht. Denn es ist unsere Nacht, die nicht zu Ende geht. Wir haben den Tag ausgetrickst, der Sonne die Lizenz entzogen. Das Tageslicht ist Illusion und wir sind echt. Es muss so sein. Selbst wenn nicht, dann will ich jetzt dem Wahnsinn dieser Nacht erliegen. Deinem Wahnsinn. Komm, spiel mich. Ich bin deine Marionette. Zieh mich an, kämm mir das Haar, schneid es, wenn du willst. Aber hör nicht auf, mich zu spielen.
Du hörst nicht zu, schaust nicht hin. Unsere Zeit verrinnt: Wir haben nur noch diese Nacht. Sie kann enden, jetzt sofort, oder weitergehen, wenn auch nicht ewig. Es liegt an dir. Ich habe keine Entscheidungsmacht. Du spielst den König, ich bin schachmatt. Warum schaust du mich so an? Grinsend, überlegen. Unterschätze mich nicht. Meine Geilheit ist der einzige Weg zu mir. Du bist ebenso abhängig von ihr, wie ich es bin. Als sich mein Atem beruhigt, erwarte ich, dass mich das Tageslicht erwischt und aus unserer Zeit reißt. Doch es kommt nicht bei mir an. Die Fenster wirken wie zwei große Monitore, unwirklich. Neonlicht. Jetzt sind wir wohl angekommen, in jener Zwischenwelt in meinem Kopf, deinem Kopf. Es fühlt sich an, als gehörten wir zusammen, und doch ist jeder für sich. Du, der Puppenspieler, irgendwo da oben. Ich in meiner Puppenkiste, verheddert in den Fäden, die du hältst. Die Büchse der Pandora haben wir vergessen. Vielleicht sind wir längst mittendrin, haben nicht bemerkt, wie der Deckel fiel und wir mit ihm.
»Komm her«, sagst du. Ich weiß, was du willst. An deine helle Stimme habe ich mich gewöhnt. Du bist mir nicht mehr fremd. Warst es nie wirklich. Ich strecke mich dir entgegen, den Rücken durchgedrückt. Keine Scham mehr. Die Fenster werfen ausreichend Licht auf meinen Körper. Unkaschiert sollst du mich haben. Du öffnest deine Hose, ich höre es. Dann schiebst du dich in mich hinein, fickst mich. Inzwischen hat mein eigener Orgasmus an Bedeutung verloren. Ist es mir doch schon einige Male im Kopf gekommen. Ich bin zufrieden. Zumindest glaubte ich das bis eben noch. Nun, da du dich in mir versenkt hast, beginnt mein Körper, sich wieder aufzuladen. Fast ausgehungert ist er plötzlich. Es wird wieder dunkel. Die Konturen verschwimmen. Ich strecke meinen Arsch, so weit ich kann, in deine Richtung. Kurz bevor es dir kommt, ziehst du dich zurück. Auf meinem Hintern wird es warm. Auch mein Rücken bekommt eine Ladung. Du lässt von mir ab, verschwindest im Bad. Ich höre, wie du den Wasserhahn aufdrehst. In meinem Kopf rauscht es. Oder ist es das Wasser, das in die Wanne läuft? Herzschlag, Rauschen, ein zartes Ticken unter meiner Haut. Unsere Zeit pocht gegen meinen Körper, von innen diesmal. Das Aufstehen fällt mit deiner Hilfe leichter. Zittrige Knie. Knie. Ich habe also noch welche. Im Bad erschrecke ich kurz vor meinem Spiegelbild. Verwüstung. Ich fühle mich schön. Kaltes Wasser in der Wanne. Genau das brauche ich jetzt, um Kopf und Körper wieder zu verknüpfen. Sofern das möglich ist.
In ein Handtuch gewickelt, trägst du mich ins Bett. Küsse. Endlich Küsse. Du entfernst dich. Ich höre dich im Badezimmer. Schritte. Sonne hinterm Fenster. Augen zu. Schließlich überwältigt mich der Schlaf.
Als ich erwache, ist es dunkel. Wo bin ich? Ach richtig. Kein Traum, nein. Meine Finger tasten sich in deine Richtung. Leere. Kurz erschrecke ich. Du bist gegangen. Etwas Schweres legt sich auf meinen Brustkorb, Beklemmung kriecht durch meinen Körper. Ich springe aus dem Bett, eile zum Fenster. Mir schwindelt. Ich ziehe den Vorhang zur Seite, schaue hinaus. Eine defekte Laterne wirft nervöse Lichter auf die Straße. Verzerrte Schattenbilder. Bäume, eine Häuserreihe. Kein Mensch. Du bist gegangen. Es ist Nacht. Die Zeit läuft weiter, ich ticke wieder regulär. Samstagnacht, vermute ich. Wie lange ich wohl geschlafen habe? Ich muss hier raus. Du bist gegangen. Warum sollte ich bleiben?
Licht an. Ich blinzle. Schwere Lider, ein träger Körper. Jetzt, da er wieder mir gehört, die Fäden abgetrennt, fühlt er sich bleiern an. Schwerkraft – jedoch nicht deine. Ich bin wieder im Jetzt. Dort, wo alles nach logischen Gesetzen funktioniert. Dort, wo auch ich wieder funktionieren muss. Lustlos sammle ich meine Sachen zusammen. Ich habe nicht um dieses schnelle Ende gebeten. Zwischen meinen Schenkeln ist die Wahrheit noch nicht angekommen. Mein Innerstes fließt beständig aus mir heraus. Mit der Hand fahre ich dazwischen. Es ist bloß eine Frage der Zeit, wann ich mich endgültig zersetzen werde. Aus wie viel Prozent Flüssigkeit besteht der Mensch noch mal? Meinen Slip finde ich auf dem Boden. Ich werfe ihn in den Eimer im Badezimmer. Anziehen mag ich ihn nicht mehr. Schon gar nicht möchte ich ihn, klamm wie er ist, in meiner Hand verbergen auf dem Weg nach draußen. Der Spiegel zeigt mir deine Spuren. Rote Beweisstücke zieren meine Kehrseite. Langsam streife ich mein Kleid über, lasse mir Zeit. Die Fenster sind beschlagen. Also öffne ich sie. Frische Luft wird mir guttun. Die Fenster zur Welt, die gestern noch künstliche Lichter warfen. Was für ein Trip.
Die Luft bringt wenig Erfrischung. Wie am Tag zuvor ist es heiß und schwül. Regen wäre gut. Regentanz. Verbrauchte Atmosphäre mischt sich mit schwüler Luft. Da ist kaum ein Unterschied zu spüren. Nur der Verstand weiß zu unterscheiden. Ja, der Verstand ist zurück. Schneller als mir lieb ist.
Im Bad wasche ich Hände und Gesicht. Mit den Handinnenflächen halte ich das Wasser auf, beuge mich vor, trinke, schlucke. Wasser fließt durch meinen Körper, kühlt ihn von innen. Schnell meinen Flüssigkeitshaushalt auffüllen. Besser, viel besser. Ein letzter Blick in den Spiegel. Tiefes Seufzen. Wasser getankt, mit Luft versorgt.
Meine Schuhe liegen im Raum verteilt. Den rechten finde ich unterm Bett, der linke steht auf dem Tisch. Auf dem Tisch? In der Tat. Etwas Weißes ragt heraus. Ein Zeichen von dir. Mein Herz schlägt gegen meinen Brustkorb. Als ginge eine Gefahr von meinem Schuh aus, schleiche ich näher, immer näher, stehe schließlich davor. Kribblige Finger greifen nach dem Zettel, zupfen ihn aus meinem Schuh. Da stehst du, deine Handschrift – schwarz auf weiß. Ich nehme auf, was du schreibst. Kein Chat dieser Welt kann die Intimität eines handgeschriebenen Briefes erreichen. Unvermittelt wird es wärmer, heiß. Als ich deine Zeilen gelesen habe, steht fest: Es ist noch nicht vorbei. Du bist nicht gegangen, hast dich bloß räumlich entfernt. Natürlich. Neuerliche Leichtigkeit. Du bist nicht gegangen, hast dir Gedanken gemacht, damit unsere Nacht ein neues Zeitfenster öffnet.
Ich kann es kaum erwarten, schnappe meine Tasche. Eilig stapfe ich die Treppe hinab. An der Rezeption vorbei, ohne ein Wort. »Keine Sorge«, hast du geschrieben, »keine Sorge, ich habe mich um alles gekümmert.« Ja, sieht fast so aus. Die Nacht empfängt mich mit ihren Geräuschen. Großstadtlärm. Eine Hauptstraße ist ganz in der Nähe, eine Bar gleich um die Ecke. Motoren, Menschen, klirrende Gläser. Wieso lässt du mich einen solch weiten Weg gehen? Wieso nicht die Kneipe dort oder der Park? Ausgerechnet diese eine Bar soll es sein. Ich beginne zu laufen, stolpere. Verdammtes Ostpflaster. Weiter. Wie ferngesteuert. Gesteuert aus der Ferne, von dir. Ich bin deine Marionette, mit unsichtbaren Fäden. Doch ich spüre die Bewegungen deiner Hände, die Richtung, die du vorgibst.
Keuchend bleibe ich stehen. Wie lange bin ich gelaufen? Meine Zunge klebt am Gaumen. Da fällt mir ein: Ich weiß nicht einmal, wie spät es ist. Auch in deiner Nachricht war keine Uhrzeit angegeben. Wartest du die ganze Nacht auf mich? Oder ist es wirklich so, dass du mich fernsteuerst? Kontrolle. Möglicherweise weißt du, dass ich auf dem Weg zu dir bin, beobachtest mich sogar. Meine Gedanken verselbstständigen sich. Besessen bin ich. Versessen auf deine Berührung. Bewegt man sich außerhalb gewöhnlicher Zeitmessung, ist diese auch nicht notwendig. Die Logik ist ein Uhrwerk. Wir haben uns zwischen den kleinen Rädchen hindurchgezwängt, sind frei. Wir werden einander finden, da bin ich sicher. Ich werde dich finden, genau dann und dann und dann. Immer, wenn du mich willst, so wie jetzt. Wie lange laufe ich wohl schon? Ohne Zeit ist man haltlos, verloren. Ich verliere mich in dir. Wo bist du? Bin ich schon da? Meine Umgebung kenne ich gut. Die Schönhauser Allee ist mein Kiez, hier lebe und arbeite ich. Trotzdem liegt etwas Unwirkliches in der Luft. Als beobachtete ich das Leben durch eine Kamera. Lange kann ich nicht gelaufen sein. Durst, ein trockner Hals, ein feuchter Schritt. Weiter gehts. Bald bin ich da. Autos fahren an mir vorbei. Bunte Lichter – rot auf der einen, gelb auf der anderen Seite.