Seelische Abgründe - Birgit Waßmann - E-Book

Seelische Abgründe E-Book

Birgit Waßmann

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Beschreibung

Die Frage nach den Ursachen seelischer Erkrankungen ist zum überwiegenden Teil leider immer noch nicht ausreichend geklärt. Das menschliche Bewusstsein ist zu vielfältigen Wahrnehmungen fähig, die den Rahmen der allgemein akzeptierten und anerkannten Normalität sprengen. Bei der Fragestellung nach der Entstehung psychischer Krankheitssymptome finden sich häufiger, als man erwartet, Antworten im magisch-mystischen Bereich. Hier lassen sich brisante Zusammenhänge entdecken, wenngleich diese auf den ersten Blick nicht klar zu erkennen sind. Tatsächlich ist eine erweiterte Wahrnehmung dem menschlichen Bewusstsein nicht immer zuträglich, wie die Vielzahl an Krankheitssymptomen unschwer erkennen lässt. Somit sind nicht immer allein persönliche Fehlentwicklungen und ungünstige Bedingungen in der Kindheit ausschlaggebend für ein seelisches Leiden.

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Der geradeste Weg in den Himmel führt mitten durch die Hölle.

Inhalt

Vorwort

Rätselhafte Hysterie

Eine Konversionsneurose

Symptom-Vielfalt

Hysterische Anfälle

Hysterie – ein ungelöstes Rätsel

Die ‚arktische Hysterie’ bei Schamanen

Religiöse und parapsychologische Deutungen

Zwänge – Tyrannei von innen

Wie Zwänge das Leben bestimmen

Zwangssymptome in der Psychose

Dem Zwang unterworfen

Zwanghafte schöpferische Inspiration

Religion und Tabu

Leben mit Tourette-Syndrom

Ursachenforschung und Behandlung

Asthmatische Atemstörung

Auslöser für Asthma

Asthma-Anfälle

Hysterisches Asthma

Der Alpdruck

Atem und Geist

Das Energiesystem

Asthma-Therapie

Epilepsie: Fluch oder heilige Krankheit?

Degenerative Veränderungen

Historische Berichte

Die Fallsucht berühmter Personen

Die epileptischen Anfälle

Die Ursachen liegen im Dunkeln

Grand Mal

und sein Bezug zur Sexualität

Einbruch des Übernatürlichen

Epilepsie-Therapie

Katatone Erstarrung

Anspannung von Kopf bis Fuß

Katatone Symptome

Riskante Katatonie-Therapie

Die astrale Starre

Die mystische Verklärung

Manische Grenzüberschreitung

Zwischen Manie und Depression

Die Stufen der Läuterung

Die Spaltung des Bewussteins

Das Unbewusste bei C.G. Jung

Autonome Komplexe

Personifikationen und Spukphänomene

Die schizophrene Spaltung

Multiple Persönlichkeiten

Magisch-mediale Spaltungen

Die zwei Naturen des Menschen

Psychose oder Inbesitznahme?

Unter fremdem Einfluss

Orakelheiler und Besessenheit

Psychologie und Geisterglaube

Multiple Persönlichkeitsstörungen

Berichte aus der Praxis

Mediale Verbindungen

Besetzungen als Prüfung

Beratungsstellen

Literaturverzeichnis

Vorwort

Die Frage nach den Ursachen seelischer Erkrankungen ist zum überwiegenden Teil leider immer noch nicht ausreichend geklärt. Außergewöhnliche Bewusstseinszustände werden seitens vieler Psychiater und Psychotherapeuten immer noch in einseitiger Weise pathologisiert, womit man dam Phänomen aber in keiner Weise gerecht wird. Das menschliche Bewusstsein ist zu vielfältigen Wahrnehmungen fähig, die den Rahmen der allgemein akzeptierten und anerkannten ‚Normalität’ sprengen.

Tatsächlich ist eine erweiterte Wahrnehmung dem menschlichen Bewusstsein nicht immer zuträglich, wie die Vielzahl an Krankheitssymptomen unschwer erkennen lässt. Dies heißt aber nicht, dass eine Erweiterung der bewussten Wahrnehmung in jedem Fall Gefahren mit sich bringt. Die Reaktionen der individuellen Psyche sind entscheidend dafür, ob eine Erfahrung krankmachenden oder die Entwicklung fördernden Charakter annimmt.

Bei der Fragestellung nach der Entstehung psychischer Krankheitssymptome finden sich häufiger, als man erwartet, Antworten im magisch-mystischen Bereich. Hier lassen sich brisante Zusammenhänge entdecken, wenngleich diese auf den ersten Blick nicht klar zu erkennen sind. Somit sind nicht immer allein persönliche Fehlentwicklungen und ungünstige Bedingungen in der Kindheit ausschlaggebend für ein seelisches Leiden.

Nicht selten findet sich in der Vorgeschichte psychisch kranker Patienten ein gesteigertes Interesse für magische und spiritistische Praktiken, wie z.B. die Mitgliedschaft in magischen Zirkeln und die Teilnahme an spiritistischen Sèancen. Oder es haben ‚Einweihungen’ stattgefunden in esoterischen Gruppierungen. Auch eine meditative Praxis ist im Vorfeld häufig anzutreffen.

In den meisten Fällen sind die magisch-meditativen Praktiken allerdings keineswegs die primären Auslöser für eine spätere Erkrankung. Auffälligkeiten in der persönlichen Psyche spielen dabei die ausschlaggebende Rolle, wobei ein wenig belastbares Nervenkostüm und die Neigung zu nervösen Überreaktionen leicht zur Überforderung in stressbedingten Situationen führen. Eine übertrieben misstrauische, feindselige Einstellung und die Tendenz, Verfolgungsideen zu entwickeln, können sich in späteren Jahren als pathologische Realitätsverzerrungen manifestieren.

Dennoch lässt sich der Bezug einiger psychischer Erkrankungen zu Mystik und Magie nicht leugnen; die Zusammenhänge sind bislang leider kaum erforscht. In manchen Fällen waren okkulte Praktiken einer der Bausteine, die zur späteren Erkrankung beitrugen. Ohne das Interesse an mystischen und okkulten Themen hätten neurotische Tendenzen womöglich nicht zu psychotischen Reaktions- und Verhaltensweisen geführt.

Die eingeschränkte Sinneswahrnehmung der meisten Menschen, die nicht für übersinnliche Mächte offen sind, wirkt wie ein Schutz, der dem inneren Gleichgewicht dient. Wenn ein psychisch unausgeglichener Mensch erweiterte Bewusstheit erfährt, ist die Gefahr von alptraumhaften Vorstellungen und Horrorvisionen sehr groß. Die daraus entstehenden massiven Ängste können zu einer Destabilisierung der Psyche bis hin zu seelischer Zerrüttung führen.

Der Zusammenhalt des Organismus ist nicht so festgefügt, wie man gemeinhin annimmt. Die einzelnen Teile sind nur lose miteinander verbunden und fügen sich erst im Laufe der Zeit zu einer festen Struktur zusammen. Für den Zusammenhalt der Kräfte ist es förderlich, disharmonische Kräfte nicht erstarken zu lassen.

Da wissenschaftliche Erklärungsversuche für psychiatrische Krankheitsbilder bereits in großem Umfang existieren, wird in dieser Publikation der Schwerpunkt auf Deutungen aus dem magischspirituellen Bereich gelegt. Vieles liegt nach wie vor im Dunkeln. Fragt man Psychiater und Psychologen nach den Ursachen der Erkrankung und den Therapieerfolgen, drängt sich die Vorstellung vom ‚hilflosen Helfer’ auf, der allein auf medikamentöse Behandlung setzt. Die meisten Ärzte und Therapeuten können nicht wirklich nachvollziehen, was in Menschen vor sich geht, die unter massiven Realitätsverzerrungen leiden, da sie deren Erlebniswelt distanziert gegenüberstehen. Meist mangelt es an der Einfühlung in die Besonderheiten der kranken Psyche und an einem tieferen Verständnis für die magisch-mystischen Anteile der innerpsychischen Konflikte.

Für die Zukunft bleibt zu wünschen, dass Therapeuten und enge Bezugspersonen die Bedeutung von Symptomen psychisch kranker Menschen, die in die Abgründe der Seele geraten sind, erkennen und ihnen grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen. Wenn sie um ein weiter gefasstes Verständnis bemüht sind, können sie von dieser Warte aus den Nöten der Patienten mit einem verbesserten Einfühlungsvermögen begegnen. Nur dann lässt sich ein erfolgversprechender therapeutischer Ansatz entwickeln, der den Patienten hilft, aus einem tiefen Tal heraus zu gelangen.

In der Neuzeit haben viele Menschen aufgehört, die Botschaften und Zeichen, die ihnen aus unterbewussten Quellen zufließen, wahrzunehmen und zu verstehen. Würden sie in schwierigen Zeiten mehr den Kern ihrer Probleme begreifen, hätten sie die Möglichkeit, den Sinn ihrer Krankheitssymptome zu erkennen und letztendlich darüber hinauszuwachsen.

In den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet immerhin einiges in Bewegung geraten. Verkrustete Strukturen wurden - zumindest teilweise - aufgebrochen und es weht ein frischer Wind, der auch die unter Symptomen leidenden Menschen in die Behandlungskonzepte mit einbezieht und ihrer Stimme Gewicht verleiht. Es bleibt zu wünschen, dass sich diese ermutigende Entwicklung auch in Zukunft weiter fortsetzt.

Bovenden, Januar 2019

Rätselhafte Hysterie

Was dem einen zum Heil gereicht, kann dem anderen Unheil bringen.

Eine Konversionsneurose

Die Ansichten über hysterische Störungen waren im Lauf der Zeit großen Schwankungen unterworfen, ebenso wie die große Anzahl an Versuchen, das Wesen der Hysterie einzugrenzen. Lange Zeit war die Ansicht vorherrschend, sexuelle Erlebnisse (Genitalreize) seien die Ursache hysterischer Verhaltensweisen. Später galten in erster Linie ‚psychische Erregungen’ als Verursacher der Krankheit. Plötzliche, intensive Gefühlsschwankungen konnten unmittelbar einen hysterischen Anfall bewirken. Besonders gefährdet waren labile, leicht erregbare Personen. Eine überspannte, ausschweifende Phantasie in Verbindung mit einem leidenschaftlichen Gefühlsüberschwang konnte leicht zu hysterischen Reaktionen führen.

Bis ins 17. Jhdt hinein wurde die Auffassung vertreten, Sitz der Hysterie sei der weibliche Uterus. Dieses Vorurteil hielt sich, bis auch Hysterie bei Männern und bei Kindern diagnostiziert wurde. Ende des 19. Jhdts setzte sich mit dem französischen Nervenarzt Charcot die Auffassung durch, Hysterie sei keine organische, sondern vor allen Dingen eine psychische Erkrankung.

Für C.L. Schleich, der den „unheimlichen Geist der Hysterie“ thematisiert, war sie „für die meisten gleich rätselhaft in ihrem Ursprung wie in ihrer Betätigungsweise“, da sie „in allen Werkstätten des Lebens herumgeistert, anklopft und herumpoltert“ (S.250). Die seinerzeit herrschende Unsicherheit der Ärzte hysterischen Patienten gegenüber charakterisiert S. Freud in treffender Weise: „Vor den Details der hysterischen Phänomene lässt ihn... (den Arzt) all sein Wissen, seine anatomisch-physiologisch und pathologische Vorbildung im Stiche. Er kann die Hysterie nicht verstehen, er steht ihr selbst wie ein Laie gegenüber. Und das ist nun niemandem recht, der sonst auf sein Wissen so große Stücke hält.

Die Hysterischen gehen also seiner Sympathie verlustig; er betrachtet sie wie Personen, welche die Gesetze seiner Wissenschaft übertreten, wie die Rechtgläubigen Ketzer ansehen; er traut ihnen alles mögliche Böse zu, beschuldigt sie der Übertreibung und der absichtlichen Täuschung, Simulation; und er bestraft sie durch die Entziehung seines Interesses.“ (In: Gesammelte Werke, Bd VIII, S.6.) Freud selbst änderte mehrfach seine Auffassung über die hysterische. Symptomatik Er erkannte die Verwandtschaft der Hysterie mit anderen Neurosenformen und zog letztlich keine scharfe Trennlinie zu den endogenen Psychosen.

Im Laufe der Entwicklung ist die klassische Symptomatik der Hysterie, die oft in dramatischer und rätselhafter Form auftrat, selten geworden. Möbius gilt als Wegbereiter einer modernen Auffassung der hysterischen Symptome. Hysterisch sind demzufolge alle diejenigen pathologischen Veränderungen des Körpers, die durch Vorstellungen in der Psyche verursacht werden. Die Hysterie sieht er als „krankhafte Steigerung einer Anlage. welche in allen vorhanden ist. Ein wenig hysterisch ist sozusagen jeder“ (zitiert in: R. Kraemer, S.8).

Während die neurologische Wissenschaft lange Zeit auf der Theorie einer physiologischen Verursachung beharrte, setzte sich schließlich die Ansicht durch, dass man zu einem Verständnis für hysterische Reaktionen nicht ohne eine Erfassung der Gesamtpersönlichkeit kommt. Die Hysterie, in früherer Zeit eine weit verbreitete gefürchtete Erkrankung, hat im Lauf der Zeit viel von ihrem Schrecken verloren. Der Begriff ‚Hysterie’ wurde Gegenstand der psychosomatischen Medizin. Dabei unterscheidet man zwischen einer Vielzahl psychosomatischer und einer geringen Anzahl hysterischer Symptome.

Die Hysterie ist zu einer Konversionsneurose geworden. Unter Konversion wird die Umwandlung unbewältigter Erlebnisse in körperliche Symptome verstanden. Belastende seelische Inhalte werden verdrängt und in den körperlichen Bereich verschoben. Mit dem Mechanismus der Konversion gelingt es der Psyche, einen seelischen Konflikt in physiologische Veränderungen umzusetzen. Damit wird der Konflikt allerdings der bewussten Kontrolle entzogen.

Dieser rätselhafte Sprung aus dem seelischen in den somatischen Bereich bedarf gewisser Voraussetzungen. Die Psychoanalyse geht von einer allgemeinen Erogeneität des menschlichen Körpers aus. Verdrängte Triebabkömmlinge finden ihren symbolischen Ausdruck in motorischen oder sensorischen Symptomen (Lähmungen, Erregungen, Schmerzen etc.) Ein heftiger aktueller Konflikt wird in ein bestimmtes Körperteil ‚übertragen’, wodurch er in symbolischer Form zum Ausdruck gelangt.

Der Begriff ‚hysterische Psychose’ hat in der Psychopathologie zu Kontroversen geführt (vgl.: Ch. Henning, S.106f.). Physische Stigmata sowie Wahrnehmungsstörungen stehen bei der Symptomatik an vorderer Stelle. Die Verbindung zur allgemein anerkannten Realität scheint unterbrochen. Verdrängte Wunschvorstellungen infantiler Natur drängen an die Oberfläche.

Die Abwendung von der als enttäuschend erlebten Realität bewirkt ein Aufblühen des Phantasielebens. Die Welt der imaginären Bilder beginnt, die Realität zu überwuchern. Das enttäuschende Dasein wird durch eine Hinwendung zur Religion, in der mehr persönliche Befriedigung gesucht wird, kompensiert. Im Vordergrund der Phantasien stehen häufig religiös-erotische Themen.

Während der akuten Phasen ist die Ähnlichkeit zwischen hysterischer Psychose und Schizophrenie unverkennbar. Nach der akuten Phase kommt es bei Hysterikern sehr schnell wieder zu einer authentischen Kontaktaufnahme mit anderen Menschen. Eine Verbindung zwischen den Inhalten der halluzinatorischen Erzeugnisse und der persönlichen Geschichte wird deutlich und von den Patienten auch selbst beobachtet. Die Prognose ist meist recht günstig.

Der Unterschied der hysterischen Symptome zur Schizophrenie besteht in den Einstellungen und in der Gefühlswelt. Während bei schizophrenen Patienten Misstrauen, Ressentiments und Kampfstimmung vorherrschen, steht bei Hysterikern der positive Aspekt ihrer auffälligen Erlebnisse im Vordergrund. Der Bruch der Verbindung mit der Welt erfolgt vielfach aufgrund einer immer intensiveren Beschäftigung mit der Religion.

Das religiöse Element wird daher gewissermaßen als Sprache der Psychose aufgefasst, als wesentliche Form, in der es zum Ausdruck kommt. Erlebnisse, die der therapeutischen Auffassung zuwiderlaufen, da sie ihm nicht bekannt sind, werden zu einem pathologischen Krankheitsbild erklärt. Religiöse Ausnahmeerlebnisse werden zu Wahnbildungen uminterpretiert (vgl. Ch. Henning, S. 106f.).

Der Therapeut ist nun der schwierigen Aufgabe enthoben, ein tieferes Verständnis für die Erklärungen seiner Patienten aufzubringen, wodurch eigene Auffassungen in Frage gestellt würden. Die mangelnde Verständnisbereitschaft des Therapeuten geht zu Lasten der Hilfesuchenden.

Um die teils verworrenen Berichte der Patienten zu entschlüsseln, wären Grundkenntnisse über spirituelle Entwicklungswege vonnöten, über die der Behandler in der Mehrzahl der Fälle nichts weiß. Als Folge davon reden Therapeut und Patient aneinander vorbei, so als befänden sie sich in völlig verschiedenen Welten. Der Ausspruch des berühmten Patienten D.P. Schreber, er sei zweifellos „der Wahrheit unendlich viel näher gekommen…, als alle anderen Menschen, denen göttliche Offenbarungen nicht zuteil geworden sind“, stößt auf seiten der Ärzteschaft auf wenig Resonanz. (Vgl.: D.P. Schreber, Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, S.1f.)

Vielleicht ist hinter dem undurchsichtig scheinenden Gespinst phantastischer Behauptungen die eine oder andere grundlegende Wahrheit verborgen, die der Wissenschaft deshalb nicht zugänglich ist, weil sie sich vor ihr verschließt? Im günstigen Fall kann die psychotische Erfahrung einer Entdeckungsreise gleichkommen, durch die der Reisende Kosmos und Umwelt besser verstehen lernt, sofern es ihm gelingt, sich anschließend wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Dieser positive Ausgang wird bei R.D. Laing erwähnt, doch vielfach misslingt er, und den Patienten gelingt es nicht, ihr früheres Niveau wieder zu erreichen.

Eine einheitliche Definition der Hysterie existiert nicht. Um verschiedene Krankheitsbilder voneinander abgrenzen zu können, wurde ein Klassifikationsschema der hysterischen Symptomatik erstellt. Die hysterischen Bewegungs- und Sinnensausfälle nennt man Konversionsstörungen, während dissoziative Störungen eine Beeinträchtigung der Bewusstseinsfunktionen bezeichnen. Diese sind als ernsthaftes Krankheitsbild aufzufassen, obwohl keine körperlichen Befunde vorliegen.

Zur Dissoziation zählt der teilweise oder völlige Verlust:

der normalen Integration von Erinnerungen an die Vergangenheit;

des Bewusstseins der eigenen Identität;

der unmittelbaren Empfindungen;

der Kontrolle der Körperbewegungen.

Bei der dissoziativen Amnesie können sich Trance- und Dämmerzustände so ausweiten, dass der Eindruck entsteht, mehrere Ichs, die im Bewusstsein des Individuums völlig getrennt sind, existieren nebeneinander. Die Fähigkeit zur bewussten Kontrolle des Seelenlebens ist empfindlich gestört.

Symptom-Vielfalt

Hysterie zählt zu den funktionellen Erkrankungen, da keine pathologischen organischen Veränderungen nachzuweisen sind. Die Symptome geben sich in einer enormen Vielfalt psychischer und physischer Auffälligkeiten zu erkennen. In Augenblicken großer Erregung neigen hysterische Menschen dazu, die Herrschaft über ihre physiologischen Funktionen zu verlieren. Auch das Orientierungsvermögen kann davon betroffen sein.

Auf der anderen Seite werden starke Reize ohne nennenswerte Reaktionen hingenommen. An die Stelle von Angstreaktionen wie Herzklopfen, Zittern, Schweißausbrüche etc. treten andere Störungen, wie z.B. die Lähmung eines Körperteils, die plötzliche Unfähigkeit, ein Wort herauszubringen, die Unempfindlichkeit der Haut oder psychische Dämmerzustände. Eine psychische Erregung wird also in ein anderes physiologisches oder psychisches Symptom, das fremd erscheint, konvertiert.

Eine gesteigerte Suggestibilität, d.h. die Beeinflussbarkeit der inneren Vorgänge durch psychische Einwirkung, ist ein weiteres Kennzeichen der Hysterie. Die Psychoanalyse kennzeichnet den hysterischen Charakter als unbeständig, leicht erregbar, mit Neigung zu Phantasterei und Theatralik. Der unsicheren, spannungsgeladenen Persönlichkeit mangelt es an der Fähigkeit, sich den Anforderungen der Realität zu stellen. Sie besitzt zwar oft eine überragende Phantasie, ist aber gleichzeitig übermäßig zerstreut, weshalb ihr Gedächtnis Erinnerungen nur mangelhaft festhält und speichert.

Dass die hysterischen Symptome sich mit der Zeit gewandelt haben, steht außer Frage. Die dramatischen Formen der klassischen Symptomatik treten weniger zahlreich in Erscheinung und sind in ihrer Wirkung abgeschwächt.

Zu den physiologischen Störungen gehören weiterhin:

Schwindelanfälle,

Krampfanfälle, die den gesamten Körper betreffen,

Ohrensausen; Sehstörungen,

Lähmungen; Zittern,

Neigung zu Ohnmacht,

Engegefühle in der Brust; anfallsweise Atemnot,

Würgen im Hals; Erbrechen; Übelkeit etc.

Hysterische Lähmungen sind charakterisiert durch ihr plötzliches Auftreten, die Resistenz gegen jedwede Behandlung sowie ihr plötzliches Verschwinden. Die Lähmungen können eine Hälfte des Körpers befallen oder verschiedene Gliedmaßen in Mitleidenschaft ziehen. Der gleichzeitige Verlust der Stimme kann zudem jede Schmerzäußerung unmöglich machen. Ein solcher Zustand kommt bei organisch bedingten Lähmungen nicht vor.

Fallbeispiele: Ein junger Mann beginnt nach einem Ortswechsel plötzlich auffällig zu stottern. Ihm ist zumute, als befände er sich permanent in einem Rauschzustand. Nur mühsam gelingt es ihm, zu sprechen und er ist kaum imstande, einen klaren Gedanken zu fassen. - Eine Patientin leidet an visuellen Halluzinationen, die Angstzustände bei ihr erzeugen. In der Nacht sieht sie einen fremden Mann mit einem Messer in der Hand an ihrem Bett stehen. - Eine andere Patientin ist unempfindlich gegen taktile Einwirkungen, die ihre Beine betreffen. Sie kann Berührungen mit spitzen und stumpfen Gegenständen nicht unterscheiden; selbst Nadelstiche nimmt sie nicht wahr.

Körperliche Stigmata, die sich bei einigen Patienten bemerkbar machen, werden als psychogen bedingte Symptome eingestuft. Dazu gehören krankhafte Zuckungen, Lach- und Weinkrämpfe, Stottern und Husten sowie Grimassenschneiden.

Hysterische Anfälle

Eine eindrucksvolle und außergewöhnliche Symptomatik kennzeichnet den hysterischen Anfall. Teilweise wurde die Hysterie, deren Symptome bereits seit alter her bekannt sind, mit der epileptischen Erkrankung vermischt (vgl.: M. Lauer, S.32).

Eine ganze Anzahl von Unterscheidungsmerkmalen charakterisieren epileptische und hysterische Anfälle: Epileptische Anfälle gehen häufig mit Bewusstlosigkeit und Schmerzunempfindlichkeit einher, während bei der Hysterie die bewusste Wahrnehmung niemals völlig erlischt. Auch die Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen weisen gravierende Unterschiede auf: Während die an Epilepsie Leidenden von Gedächtnisschwund und psychischer Degeneration bedroht sind, wird dem hysterischen Charakter gesteigerte Erregbarkeit, Launenhaftigkeit und Willensschwäche nachgesagt.

In den Anfällen treten des öfteren erotische und mystische Motive auf. PatientInnen erwecken den Eindruck, eine religiöse Ekstase zu erleben oder sie nehmen Posen ein, die Christus am Kreuz darstellen sollen. Von religionspsychologischer Seite wird der katholischen Mystikerin Theresa von Avila eine hysterische Veranlagung unterstellt. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jhdt gab es einige Wissenschaftler, die trotz der bizarren Formen der Hysterie ihr Blickfeld erweiterten, um das Religiöse als Phänomen im tieferen Sinne zu erfassen. Zu der entsprechenden Literatur gehört u.a. P. Janets De l’angoisse à l’extase (1926) und Th. Flournoys Métaphysique et psychologie (1890).

Der kleine hysterische Anfall kündigt sich durch Vorläufersymptome an. Zu ihnen gehören: allgemeines Unwohlsein, Denkhemmungen, reizbare Stimmung, die Unlust, irgendeine Tätigkeit auszuüben etc. Hinzu kommen quälende Kopfschmerzen, Angstgefühle, verstärktes Herzklopfen, starkes Pulsieren in der Schläfengegend. Selbst eine heitere, ausgelassene Stimmung oder ruhelose Geschäftigkeit können Vorläufer eines Anfalls sein.

Unmittelbar vor dem Ausbruch eines Anfalls geschieht etwas Merkwürdiges: Die Betroffenen haben das Empfinden, als steige aus der Magengrube bzw. der unteren Bauchgegend eine Kugel durch den Körper nach oben bis zur Kehle. Der quälende Eindruck, erdrosselt und erstickt zu werden, wird durch diese Empfindung ausgelöst. Das Gesichtsfeld verdunkelt sich zunehmend; Betäubung, Schwindel und Bewusstlosigkeit folgen.

Daran anschließend beginnt eine konvulsivische Periode, die als das Hauptstadium des Anfalls angesehen wird. Ähnlich wie beim epileptischen Anfall kommt es zu einem tonischen Krampf der Körpermuskulatur, der auch die Gesichtsmuskeln einschließt. Die gezwungen und gekünstelt scheinenden Körperhaltungen bzw. Gliederverrenkungen erwecken den Eindruck, als seien die Patienten mitten in der Bewegung überrascht worden und dann erstarrt.

Unterschiedliche Körperhaltungen und Gliederstellungen werden beschrieben. O. Binswanger bemerkt dazu: „... der Rumpf ist oft gerade gestreckt, der Kopf leicht nach hinten gebogen, die Arme horizontal ausgestreckt, die Finger gespreizt oder zur Faust geballt... Es kommt dann das... als Kruzifixstellung benannte Krampfbild zustande“ (S.647). Diese Phase ist in der Regel nur von kurzer Dauer.

Wenig später kommt es zu klonischen Zuckungen in verschiedenen Muskelgruppen, die ruckartig, mit enormen motorischen Entladungen der gesamten Muskulatur, den Organismus erschüttern. Der Körper wird - wie von unsichtbarer Hand - zu den sonderbarsten Gliederverzerrungen und Schleuderbewegungen gezwungen. Das Becken ist (ähnlich den Koitusbewegungen) in eine wiegende Bewegung versetzt; die Beine zucken und stoßen in sinnlosem motorischen Drang. Diese krampfhafte Motorik, die zuweilen nur vereinzelt und in unregelmäßiger Folge auftritt, wird unterbrochen von größeren Zwischenräumen, in denen der Körper wieder in die vorherige Starre zurücksinkt.

Dann beschreibt Binswanger ein merkwürdiges Phänomen, Arc de cercle (Kreisbogen) genannt, das sich auch bei anderen Autoren (z.B. bei Charcot) findet. Gleich zu Beginn der Phase kommt es zu Verzerrungen und Verdrehungen des Rumpfes und der Gliedmaßen: „... die tetanisch gespannte Wirbelsäule hebt sich langsam von der Unterlage, die... Krümmung wird immer stärker, der Hinterkopf bohrt sich immer tiefer ins Kissen, Becken und untere Extremitäten werden emporgehoben, wobei die letzteren leicht im Knie gebeugt werden. Schließlich ruht der ganze Körper nur noch auf dem Hinterkopf und auf der Fußsohle. Dann ist jene charakteristische gezwungene Körperstellung erreicht, welche als Kreisbogenstellung (Arc de cercle) bezeichnet wird...“ Zuckende Stöße, die in den Gelenken (Schulter und Hüfte) beginnen, versetzen Rumpf und Extremitäten in sich drehende und schleudernde Bewegungen.

Vorwiegend weibliche Patienten sind von dieser zwanghaften, den gesamten Körper umfassenden, bizarren Bewegungsanomalie betroffen. Einige werden aus den Betten geschleudert oder wälzen sich mit enormer Geschwindigkeit durch das Krankenzimmer. „...sie schlagen mit den Fäusten gegen Brust und Kopf, wühlen das ganze Bett auf, schleudern Kissen umher oder richten sich plötzlich im Bett hoch auf, hüpfen in weitem Sprunge zum Bett heraus, schlagen Purzelbäume auf dem Fußboden, springen über Tische und Stühle, klettern an den Fensterkreuzen empor, suchen durch die Tür zu entweichen, entreißen sich ihren Pflegerinnen, flüchten sich in eine Zimmerecke, kauern sich dort zusammen, um dann wieder plötzlich mit gewaltigen Sätzen ihrer Umgebung zu entrinnen“ (S.649). Währenddessen ist der Gesichtsausdruck starr und leer. Dann wieder spiegelt er in expressiver Weise die jeweilige Gemütsverfassung; den vehementen Zorn, den abgrundtiefen Schrecken oder die alles übersteigende Furcht.

Im Anschluss an die heftigen motorischen Entladungen erwachen einige Patientinnen ganz unvermittelt, während andere in einen ausgeprägt lethargischen Zustand versinken oder in einen leichten, unruhigen Schlaf verfallen. Einige „... liegen mit geschlossenen Augen und schlaffen Gliedern und unterhalten sich gewöhnlich mit lauter Stimme mit einer imaginären Person, ohne dabei Gesten zu vollführen. Es handelt sich um eine Art von gesprochenem Traum, welcher hauptsächlich Erinnerungsbilder mit lebhaften Affekttönen wiedergibt. Die Kranken sind dabei meistens von der Außenwelt noch abgeschlossen, antworten nicht auf Fragen, die an sie gerichtet sind. Doch gibt es Fälle, in welchen sie einsilbig auf Fragen antworten, sich selbst überlassen aber immer wieder in Träumereien zurücksinken“ (ders. S.651).

Bei vollem Wachbewusstsein können sich viele Betroffenen an nichts erinnern oder nur vereinzelte Bilder heraufbeschwören. Sie fahren plötzlich wie aus einem tiefen Schlaf empor; und groß ist ihr Erstaunen und ihr Erschrecken, wenn sie begreifen, was mit ihnen geschehen ist. Einige fühlen sich wie zerschlagen klagen über große Müdigkeit und Schmerzen in Kopf und Gliedern. „Die Hysteriekranken hören hauptsächlich beim Herannahen eines Anfalls ein durchdringendes Pfeifen, den Schreien von tausend Vögeln vergleichbar, die aus ihren unermüdlichen Kehlen die schneidendsten Töne schmettern“, so beschreibt G. Hahn den Beginn eines Anfalls (S.22).

Das Auge ist verschleiert oder bisweilen sogar mit Blindheit geschlagen für die Zeit des Anfalls.

Eindrucksvoll ist, was E. Swedenborg in diesem Zusammenhang berichtet. Für das kuriose Verhalten, das den behandelnden Ärzten völlig unverständlich erschien, liefert er eine Deutung: Wenn unreine Geister nach himmlischen Freuden verlangen, dann hätten diese bei ihnen eine gegenteilige Wirkung! Sie würden anfangen, „sich so sehr zu quälen, dass sie vor Schmerzen nicht wussten, wie sie ihren Leib verrenken sollten. Man sah, wie sie den Kopf bis zu den Füßen hinunter bogen, sich zu Boden warfen und sich dort wie ein Lindwurm vor innerer Qual krümmten“ (vgl.: Himmel und Hölle, S.241).

Die himmlische Lust sei den irdischen Trieben entgegengesetzt, und wenn Gegensätzliches aufeinander stößt, entstehen höllische Qualen.

Die Empfindung einer aufsteigenden Kugel wird bei Hahn erwähnt: „... diese hysterische Kugel steigt von der Herzgrube bis in den Hals hinauf und verursacht, hier angekommen, die ganze Angst einer regelrechten Erstickung“ (S.23). Der Hals schwillt an, während der Atem stockt und sich die Glieder verrenken. Der ‚hysterische Husten’ ist im Grunde ein Atmungskrampf. Plötzliche heftige Schmerzen in der Magengegend und im Bereich des Herzens treten auf. Dann verlieren die Kranken, von Konvulsionen geschüttelt, die Besinnung und stürzen der Länge nach zu Boden.

Interessanterweise wird bei F. Bardon eine Übung erwähnt, die Teil einer magischen Schulung ist und eine Energiestauung in Form einer Kugel zum Inhalt hat: Im Solarplexus wird eine zusammengepresste Kugel mit einem Durchmesser von 10 - 20cm, bestehend aus Elementarmagie, imaginiert. Diese Kugel soll aus dem Solarplexus heraustreten und in der Luft schweben. Nach Beendigung der Übung löst Bardon die imaginierte Kugel wieder auf (S.131f.). Auch tibetische Gläubige imaginieren im Verlauf einer rituellen Übung, Powa genannt, eine Kugel, die von der Körpermitte aus nach oben steigt und zum Scheitel hinaustritt. Die Frage scheint nicht ganz abwegig, ob mystisch-magische Übungen, die der Kontrolle entgleiten, womöglich zu einem späteren Zeitpunkt spezifische Krankheitssymptome hervorrufen können?

Die Anfallssymptomatik scheint eine unverkennbare sexuelle Komponente aufzuweisen, die Rätsel aufgibt. Lange Zeit war die Ansicht verbreitet, Hysterie sei eine ‚Genitalneurose’. Man ging davon aus, das vorherrschende Symptom sei eine gesteigerte sexuelle Erregbarkeit. In Wahrheit gibt es zwar unter Hysterikern tatsächlich eine Gruppe von Patienten, bei der sexuelle Empfindungen eine herausragende Rolle spielen. Doch häufiger ist eine Verringerung der Empfindungsfähigkeit oder gar psychosexuelle Anästhesie anzutreffen.

Bei einer relativ kleinen Gruppe sexuell übererregbarer Patientinnen und Patienten lösen bereits geringfügige körperliche Reize heftige Wollusterregungen aus mit phantastisch-erotischen Vorstellungsbildern, erklärt O. Binswanger. Es genügt dann der Anblick eines Bildes, einer Statue oder auch das Lesen einer amourösen Szene in einem Roman, um heftige libidinöse Erregungen wachzurufen. Diese gesteigerten Empfindungen können von gleichzeitigen heftigen Angstattacken begleitet sein.

Bei vielen hysterischen Menschen kann keinerlei pathologische Veränderung der sexuellen Verhaltensweisen nachgewiesen werden. Darüber hinaus sind die Ansichten darüber, welche sexuellen Reaktionen als abnorm gelten, abhängig vom jeweils herrschenden Zeitgeist.

Im Gegensatz zur Epilepsie, bei der die Anfälle im Mittelpunkt des Geschehens stehen, ist eine genaue Scheidung zwischen den Anfällen und sonstigen Symptomen bei der Hysterie nicht ohne weiteres möglich. O. Binswanger erwähnt das Fehlen einer Temperaturerhöhung und die relativ geringe Gefährdung der Kranken bei hysterischen Anfällen im Unterschied zur Epilepsie (S.662).

Bei einer der Patientinnen häuften sich die Krampfanfälle und zogen sich über mehr als zwei Monate hin. Sie verlor regelmäßig das Bewusstsein, ihr Gesicht schwoll an, die Augen verdrehten sich, Schaum trat vor den Mund. Die Körperstarre wurde immer wieder unterbrochen von Konvulsionen. An einem der Tage dauerten die Konvulsionen elf Stunden ohne Unterbrechung an! Hinterher fühlte sich die Frau wie zerschlagen. - Bei einem männlichen Patienten traten 80 Anfälle innerhalb von 12 Stunden auf, während bei einem 15-jährigen Jungen während eines Monats 2.500 Anfälle gezählt wurden!

Die Patienten überstanden alle diese Krampfanfälle, ohne in lebensgefährliche Zustände zu geraten, wie das bei der schweren Epilepsie geschieht. Die Schwierigkeit einer solchen Unterscheidung zeigt sich in Fällen, wo bei denselben Patienten abwechselnd hysterische und epileptische Anfälle vorkommen (ders. S.663).

Der große hysterische Anfall, der gekennzeichnet ist von einem bogenförmigen Aufbäumen des Körpers (Arc de Cercle) und damit einhergehenden halluzinativen Wahrnehmungen, wird nicht mehr oft beobachtet. Er gehört aber keineswegs der fernen Vergangenheit an und ist zudem auch bei epileptischen Grand Mal-Anfällen anzutreffen. A. Fadiman beschreibt den Anfall eines kleinen Mädchens namens Lia, das bereits ab dem 3.Lebensmonat unter epileptischen Anfällen litt: „Als Lia älter wurde, breitete sich die abnorme elektrische Hirnaktivität auf immer größere Areale ihres Gehirns aus und verursachte immer häufiger Grand Mal-Anfälle. Rücklings auf dem Boden liegend, bog sich ihr Körper so gewaltig durch, dass nur noch Fersen und Hinterkopf die Matratze berührten, und nach etwa einer Minute starrer Muskelkontraktionen begannen die Arme und Beine zu schlagen.“ Auch die Atemmuskulatur kontrahierte, so dass die Atmung teilweise aussetzte. Oft erlitt sie mehrere Anfälle hintereinander; das Kind spannte sich an, „streckte die Füße und gab einen merkwürdig tiefen Schrei von sich“ (S.52).

Während der dramatisch verlaufenden Anfälle ist der bewusste Geist teilweise ausgeschaltet. Die dabei auftretenden krampfartigen Bewegungen erfolgen unfreiwillig, - ohne Mitwirkung des Wachbewusstseins, - in einem nur schwer fassbaren psychischen Ausnahmezustand. Anscheinend werden Kräfte aktiv, die noch wenig erforscht sind. Die hysterischen Anfälle, die oft mit dem Stigma des Eingebildeten, Theatralischen und Unechten versehen wurden, erweisen sich bei näherer Betrachtung als etwas ganz anderes: Es sind ernstzunehmende, bis zur Bewusstlosigkeit führende pathologische Zustände, deren Genese noch ungeklärt ist.

F. Moser erwähnt die „typische Hysterika... gepeinigt von eingebildeten Leiden und Wahnideen, in einer Scheinwelt von Trug und Schrecken lebend...“ (S.244). Doch sie verweist darüber hinaus auch auf eine andere, ‚okkulte’ Seite der Hysterie, die noch weitgehend unerforscht sei.

In der Gegenwart werden die hysterischen Anfälle teilweise der Epilepsie zugerechnet. Falls keine erkennbaren Hirnschädigungen als Ursache vorliegen, sind Ärzte und Psychiater bis heute nicht in der Lage, für die keiner bewussten Steuerung unterliegenden Anfälle eine Erklärung abzugeben. Der Ausdruck kryptogenetische Epilepsien wird verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass die diagnostischen Verfahren bislang keine Ursache der Epilepsie finden konnten (vgl.: Epilepsie - Information, S. 11).

Hysterie – ein ungelöstes Rätsel

Abgesehen davon, dass Hysterie mittlerweile als Konversionsneurose gilt (d.h. eine Übertragung der psychischen Problematik auf den Körper findet statt), wird dieser Erklärungsansatz nur bedingt der hysterischen Symptomatik gerecht.

S. Freud gelang es in der Mehrzahl der Fälle nicht ohne weiteres, die Verursachung der zutage tretenden Symptome zu klären. Anfangs nahm er die hypnotische Behandlung zu Hilfe und fand traumatische Erlebnisse, die häufig den Beginn einer Erkrankung markierten. Während hysterischer Anfälle wurde oft ein und derselbe Vorgang halluziniert, der die erste ‚Attacke’ hervorgerufen hatte. (Vgl.: Gesammelte Werke, Bd XVII, S.82.)

Die verschiedenen Symptome stehen nicht selten in Zusammenhang mit einem ursächlichen traumatischen Erlebnis, das ein Unfall, ein schwerer Schock, ein sexueller Übergriff, grobe Gewaltanwendung, ein Kriegserlebnis etc. sein kann. Die Zusammenhänge sind allerdings nicht immer leicht zu erkennen; manchmal zeigt sich lediglich eine ‚symbolische Beziehung’ zwischen der Veranlassung und den pathologischen Symptomen. Anästhesien, epilepsieartige Konvulsionen, Schwindelanfälle, anfallsweise Atemnot, Würgen im Hals, Ohrensausen etc. stoßen zunächst auf Unverständnis.

Freud erklärt in diesem Zusammenhang, „dass das psychische Trauma, respektive die Erinnerung an dasselbe, nach Art eines Fremdkörpers wirkt, welcher noch lange Zeit nach seinem Eindringen als gegenwärtig wirkendes Agens gelten muss...“ (S.85). Er bekennt, dass sich die motorischen Phänomene ebenso wie die hysterischen Stigmata teilweise einer Erklärung entziehen und verhehlt nicht, dass „eben nur der Mechanismus hysterischer Symptome und nicht die inneren Ursachen der Hysterie unserer Kenntnis näher gerückt worden sind. Wir haben die Ätiologie der Hysterie nur gestreift...“ (ebd., S.95f.).

Die selbstsuggestive und psychosomatische Komponente hysterischer Erkrankungen ist mittlerweile unbestritten, doch auch die psychosomatische Medizin ist nicht in der Lage, in umfassender Weise Erklärungen zu liefern. Auch sie vermag nur zum Teil Klarheit in die verwirrende Symptomvielfalt bringen.

Ein Grundphänomen der Hysterie ist eine „Tendenz zur Dissoziation und damit zur Einengung des Bewusstseinsfeldes zugunsten des Unterbewusstseins, das sich dadurch in pathologischer Weise auf Kosten des Oberbewusstseins bereichern und emanzipieren kann“, erklärt F. Moser (S.245). Hieraus resultiert u.a. eine auffällige Zerstreutheit.

S. Freud hält ebenfalls die Annahme einer Dissoziation, einer Spaltung des Bewusstseins, zur Erklärung hysterischer Symptome für unentbehrlich. Er stellt mit kritischem Unterton fest, dass bei der Mehrzahl der Ärzte offenbar die Meinung vorherrsche, „im hysterischen Anfall eine ‚periodische Entladung der motorischen und psychischen Zentren der Hirnrinde’ zu sehen.“ (Vgl.: Gesammelte Werke, Bd XVII, S.9.) Seiner Ansicht nach sind hysterische Anfälle geprägt von der „Wiederkehr einer Erinnerung“. Diese Erinnerungen sind keineswegs beliebig, sondern sie beinhalten jenes Erlebnis, das für den hysterischen Ausbruch ursächlich verantwortlich ist.

Problematische psychische Zustände, welche die Patienten in früheren Zeiten erlebt haben, sind wesentlicher Inhalt wiederkehrender Anfälle. In der Regel liegt der Erkrankung ein psychisches Trauma zugrunde. Jedes unter Lebensgefahr durchgestandene Ereignis kann eine psychische Erkrankung hervorrufen: Ein heftiger Sturz, ein Unfall, sexueller Missbrauch, ein plötzlicher Schreck, schwere Kränkungen und Enttäuschungen können sich als Trauma auswirken. Die Erinnerung, die den Inhalt des hysterischen Anfalls bildet, ist oft unbewusst, „sie gehört dem zweiten, bei jeder Hysterie mehr oder minder hoch organisierten Bewusstseinszustande an“ (ebd., S.10f.). Im Normalzustand können sich die Betroffenen nicht oder nur bruchstückhaft an das auslösende Ereignis erinnern.

Wann wird ein Erlebnis, anstatt im normalen Bewusstsein gespeichert zu werden, in das zweite Bewusstsein aufgenommen? Dies geschieht immer dann, wenn die Betroffenen ein unangenehmes Erlebnis unter allen Umständen vergessen wollen oder wenn sie eine belastende Vorstellung gewaltsam von sich weisen. Dann werden die belastenden Inhalte in das zweite Bewusstsein verdrängt. Doch sie sind damit keineswegs verschwunden, sondern entfalten eine permanente Wirksamkeit und können letztlich als ‚hysterischer Anfall’ wiederkehren. „In den zweiten Bewusstseinszustand geraten auch jene Eindrücke, welche während eines ungewöhnlichen psychischen Zustandes (Affekt, Ekstase, Autohypnose) empfangen worden sind“, betont Freud.

Während der Anfälle befinden sich die Patienten teilweise oder völlig im zweiten Bewusstseinszustand. Gelingt es irgendwann, das verdrängte Ereignis vollständig ins normale Bewusstsein zu ziehen, verliert es seine Wirksamkeit. „Das Auftreten hysterischer Anfälle folgt leicht verständlichen Gesetzen“, bekundet Freud (ebd., S.237). Doch es hat den Anschein, als beruhe die leichte Verständlichkeit auf einer vereinfachten Sichtweise, wobei die unverständlichen Aspekte in das grobe Raster des bereits Bekannten hineingezwängt werden.

Diese Vorgehensweise, die sich hinter einer intellektuellen Terminologie verbirgt, liegt einer ganzen Anzahl wissenschaftlich begründeter Schlussfolgerungen zugrunde. Freuds genialer Scharfblick reicht nicht aus, um einen tiefgreifenden Mangel in seiner Vorstellungswelt auszugleichen: Sein fehlendes Interesse für religiöse und mystische Themen. In einer Ansprache an die Mitglieder des Vereins B’Nai B’rith im Jahr 1926 bekennt Freud: „… ich war immer ein Ungläubiger, bin ohne Religion erzogen worden, wenn auch nicht ohne Respekt vor den ‚ethisch’ genannten Forderungen der menschlichen Kultur“ (S.52).

F. Moser ist mit den Erklärungen Freuds und anderer Psychotherapeuten seiner Zeit nicht einverstanden, da diese ihrer Ansicht nach schwierige psychische Zusammenhänge zu sehr vereinfachen. Sie selbst hat sich ausgiebig mit dem Phänomen der Spaltung der Persönlichkeit befasst. Dem Unterbewusstsein gelingt es dabei, sich Teile der Fähigkeiten und Empfindungen des Wachbewusstseins zu bemächtigen und selbständig darüber zu verfügen. Hierdurch kommt es zu Ausfällen, die z.B. durch Blindheit auf einem Auge, Taubheit, Unempfindlichkeit gegen Schmerzen etc. in Erscheinung treten können.

Diese Fehlentwicklung geht bis zur Persönlichkeitsspaltung, bei der im gleichen Individuum „nebeneinander und gleichzeitig zwei Gedanken, zwei Willen, zwei getrennte Handlungen, von denen die eine bewusst, die andere dagegen unbewusst ist (existieren). Das menschliche Hirn ist dann wie ein Theater, auf dem sich zugleich mehrere Stücke auf verschiedenen Ebenen abspielen, von denen aber nur das eine im vollen Licht ist“, schreibt F. Moser, und sie ergänzt: „Dieses Nebeneinander von Ober- und Unterbewusstsein, bei dem beide um die Herrschaft ringen und sich der verschiedenen Glieder oder Sinne abwechselnd bemächtigen, kann zum Sieg bald des einen, bald des anderen führen. Siegt das Unterbewusstsein, indem es ihm gelingt, das Oberbewusstsein vollständig zu verdrängen, tritt Somnambulismus ein: das Oberbewusstsein schläft und wir haben eine Transmutation“ (S.248). Die Autorin bringt einige anschauliche Beispiele für die partielle Verdrängung des Oberbewusstseins. Eine zufriedenstellende Erklärung hierfür wird leider nicht gegeben.

Bei G. Meyrink werden gewisse Arten von Hysterie nicht als Krankheit angesehen, ganz im Gegenteil: „Zwischen Hysterie und Hysterie ist ein großer Unterschied. Nur diejenige Hysterie, die Hand in Hand geht mit Ekstase und Geistesverwirrung, ist einer Krankheit gleichzustellen und führt nach abwärts, die andere Art jedoch ist die Geistesentwirrung – das Kommen zur Klarheit, und ist der Weg nach aufwärts, der über das Erfassen der Erkenntnisse durch das Denken hinaus den Menschen zum Wissen durch direktes ‚Schauen’ führt.“ (In: Das grüne Gesicht, S.65.) Spirituelles Wissen befindet sich jenseits der anerkannten Wissenschaften. Eine geheimnisvolle Sprache, das ‚innere Wort’, führt über bloße Annahmen und Fehleinschätzungen hinaus.

Bei hysterischen Reaktionen muss man auf der Hut sein, denn Suggestion und Phantasie spielen dabei eine große Rolle. Kräfte wirken durch den Körper auf den Geist und umgekehrt. Auch Energien außerhalb der eigenen Persönlichkeit werden wirksam. Nach Initiations-Erlebnissen stellt sich bei einigen das Empfinden ein, als seien sie physisch am Ende: Die Beine gehorchen nur widerwillig und der Verstand ist umnebelt, was an die hysterischen Paralysen und Anästhesien erinnert. Derartige Zusammenhänge werden leider zu wenig erkannt.

Die ‚arktische Hysterie’ bei Schamanen

Wer körperliche Grenzen überwindet, hat Zugang zu übersinnlichen Wahrheiten

Unter den Bewohnern der arktischen Gebiete wurden in der Vergangenheit immer wieder psychische Auffälligkeiten festgestellt, die unter dem Begriff arktische Hysterie bekannt wurden. Darunter wird ein hysterisches Zustandsbild bei Bewohnern arktischer Regionen verstanden, das Peters beschreibt als: „Extreme Beeinflussbarkeit durch Suggestion bei gleichzeitig sexuellen Reizempfindungen. Tritt häufig in Form von Anfällen auf…“ (in: J.U. Haas, S.165).

Der Begriff arktische Hysterie ist schillernd und letztlich nicht eindeutig zu definieren. Verschiedene Formen auffälligen Verhaltens unter der arktischen Bevölkerung, die epidemieartig in Erscheinung traten, wurden unter diesem Begriff zusammengefasst. Vielfach wird eine nervöse Übererregung beschrieben, die sich in Zittern der Gliedmaßen, dem Ausstoßen lauter Schreie und anschließendem lethargischem Verhalten äußert. Auch Besessenheitszustände und Wutausbrüche mit obszönen Beschimpfungen werden erwähnt.

Zahlreiche Autoren stellen einen Zusammenhang her zwischen dem Schamanentum und der arktischen Hysterie. Schamanen werden als die auffälligsten Symptomträger dieser Verhaltensweisen dargestellt. Sternberg behauptet: „Die Hysterie ist… bekanntlich der günstige Boden, der die Gabe des Hellsehens, des Halluzinierens, der Zwangsvorstellungen hervorbringt“ (zitiert in: J.U. Haas, S.49).

Als Zeichen der Schamanenkrankheit treten hysterische Symptome auf zu einer Zeit, in welcher der angehende Schamane seine Berufung durch die Geister erfährt. Dieser meist dramatische Verlauf der Schamanenkrankheit währt solange, bis die Vorbereitungszeit der Adepten beendet ist.

Anfangs wirken sie zerstreut, schlafen sehr lange und sind nicht fähig, einer Beschäftigung nachzugehen. Manche leiden unter hysterischen Anfällen mit all den typischen Begleiterscheinungen. „Nach der erstem Einwohnung der Geister lässt man den Schamanenkandidaten oft für mehrere Monate in Ruhe, hin und wieder sogar auf einige Jahre“ (ebd., S.49f.).

Einen interessanten Vergleich zwischen psychotischen Symptomen und Schamanismus stellt K.E. Müller an. Er beschreibt Parallelen zwischen Hysterie, Epilepsie und schamanischen Séancen, doch gleichzeitig deutet er auf gewichtige Unterschiede hin. Während unter Epilepsie Leidende Opfer einer Erkrankung sind, der sie sich schutzlos ausgeliefert fühlen, sind Schamanen in der Lage, eine gewisse Kontrolle auszuüben.

Im Gegensatz zu vielen psychotischen Patienten verfügen Schamanen über ein ausgeprägtes soziales Verantwortungsgefühl und eine strenge Selbstdisziplin. Andernfalls wären sie kaum in der Lage, ihre Tätigkeit auszuüben. Die Schamanen, so wird allgemein anerkannt, nehmen eine wichtige Rolle bei der Heilung nervöser Erkrankungen in ihrer Gemeinschaft ein, sobald sie ihre persönlichen Schwierigkeiten überwunden haben.

Nach Auffassung europäischer Psychiater zeigen die schamanischen Ausnahmezustände deutliche Symptome der Hysterie und auch der Epilepsie. Auch Zwangsneurosen und schizophrene Symptome werden mit dem Wirken der Schamanen in Zusammenhang gebracht. Die Schamanenkrankheit mit ihren „periodisch vielfach abgestuften hystero - epileptischen Ausbrüchen“ sei dem Krankheitsbild der ‚großen Hysterie’ nicht unähnlich (ebd., S.74f.). Ein hysterischer Ausbruch kann mit Katalepsie oder Bewusstlosigkeit enden, Symptome, die auch bei Schamanen angetroffen werden.

Einige Schamanen haben das Empfinden, eine glühende Kugel trete vom Magen aus in die äußeren Körperteile ein. Dieses merkwürdige Phänomen erinnert an die ‚hysterische Kugel’, die während der ersten Phase eines Anfalls - ausgehend vom Unterleib - bis in den Hals hinaufgelangt. Eine seltsame Übereinstimmung, die bislang nicht erklärt werden konnte.

Obwohl eine ganze Anzahl hysterischer und psychotischer Symptome einer Schamanen-Séance ähneln, geht man nicht so weit, Schamanismus mit Krankheit gleichzusetzen.

Religiöse und parapsychologische Deutungen

„Die Hysterie zeigt uns den Menschen zugleich in seiner jammervollsten und seiner erhabensten Gestalt.“Fanny Moser

Täuschend echte Symptome: Hysterischen Menschen wird weitreichende Macht über die physiologischen Prozesse nachgesagt. Sie entwickeln Symptome komplizierter organischer Erkrankungen, von denen sie im bewussten Leben nicht die leiseste Ahnung haben. Dennoch ist die Wiedergabe des Krankheitsbildes oft täuschend ähnlich, so dass selbst erfahrene Ärzte irregeführt werden. Als Beispiel erwähnt F. Moser die Scheinschwangerschaften und fragt: „Woher nimmt die Seele dieses Wissen, das ihr die Nachahmung von etwas vollständig Unbekanntem ermöglicht? Dafür fehlt jede Erklärung“ (S.245).

Auf der einen Seite sieht Moser willensschwache, leidende Individuen unter Hysterikern, auf der anderen Seite finden sich geistvolle, kritische Persönlichkeiten. Bei der Hysterie findet man alle Übergänge, sie „schillert… in allen Farben und scheint jede Formel unmöglich zu machen“ S.244). Die Hysterie ist imstande, alle physischen und psychischen Fähigkeiten in erstaunlicher Weise umzuwandeln, zu steigern oder zu vermindern. Das Zentralnervensystem wird in außergewöhnlicher Weise beeinflussbar und ist zu ungewöhnlichen Leistungen befähigt. „Sie verfügt also ihrerseits über Kräfte, deren Grenzen und Quellen unbekannt sind und zu ähnlicher Steigerung führen können wie auch bei Geisteskranken, von denen Lombroso erklärte: ‚Der Psychiater kann nicht umhin, zu erkennen, dass der Verrückte alle geistigen Kräfte anspornt und die psychischen Tätigkeiten fast bis zur Höhe des Genies aufregt.’ Durch interessante Beispiele belegt er das“ (ebd.).

Notwendigerweise müssten in vielen Fällen die Grenzwissenschaften zu Rate gezogen werden, um eine Deutung zu ermöglichen, überlegt Moser. Allerdings sei die Bezeichnung ‚Grenzwissenschaften’ illusionär, wenn sie davon ausgeht, dass die Wissenschaft das Gebiet des Okkultismus bereits zu ihrem Besitz zählt. Leider hat sich daran bis in die Gegenwart hinein nicht allzu viel geändert.

Die Seele mit all ihren Kräften ist im Grunde noch immer ein Mysterium: „Die Literatur über Hysterie und Hypnotismus spricht ihrerseits eine unverkennbare Sprache: richtig besehen sind beide z.T. nicht weniger rätselhaft als viele okkulte Erscheinungen. Gewöhnung und wissenschaftliche Beschäftigung täuscht nur darüber hinweg“ (dies. S.142). Kann die wissenschaftliche Gemeinschaft mit tiefgründigen okkulten Zusammenhängen nichts anfangen, werden diese einfach ignoriert.

„Auffallend ist, wie häufig speziell bei der Hysterie sog. okkulte Fähigkeiten sind... Die Tatsache gewinnt besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Tatsache, dass das Unterbewusstsein hier eine Hauptrolle spielt, daher seine verborgenen Kräfte und Fähigkeiten leichter in Erscheinung treten und in erhöhtem Maße zur Geltung kommen“, schreibt Moser (S.254).

Bei A. Besant wird die Unbeständigkeit des Geistes erwähnt, die man sowohl bei genialen Menschen als auch bei zur Hysterie neigenden Personen antrifft. Wodurch wird diese Unbeständigkeit hervorgerufen? Die Autorin erklärt: „Entweder entsteht sie durch ein mächtiges Aufwogen des sympathischen Nervensystems oder durch den Druck höherer und feinerer Kräfte auf ein dafür nicht vorbereitetes Gehirn, das nicht imstande ist, auf diese feineren Kräfte zu reagieren, ohne dass sein Mechanismus dadurch Schaden litte und außer Ordnung geriete“ (S.41). Wie dieser Druck ‚höherer und feinerer Kräfte’ zustande kommt, wird leider nicht erklärt.

Indische Yogaübungen haben u.a. den Zweck, alle diejenigen, die mit den höheren Regionen in Berührung kommen wollen, vor den Gefahren der Hysterie zu schützen. Die Übungen schulen die Gedanken und disziplinieren und läutern Körper und Geist.

Die Erklärungen der Psychologie und Psychiatrie versagen gegenüber den außerordentlichen Leistungen hysterischer Patienten. Auch die Ansichten über die Beschaffenheit des Unterbewusstseins sind ungenügend. Je vollständiger und autonomer sekundäre Persönlichkeiten erscheinen und je mehr dieser Teil die Ich-Funktionen überragt, umso rätselhafter wird das Ganze. Unzweifelhaft aber ist, dass es sich dabei um Kräfte und Fähigkeiten handelt, die zum Teil dem Ich unerreichbar sind und tieferen Schichten außerhalb der bewussten Sphäre der Persönlichkeit angehören.

Bewusstseinsspaltung und Medialität: Hysterischen Menschen wird oft ein Mangel an Selbstkritik und Selbstbeherrschung zugeschrieben. Andererseits scheint eine geniale Geistesverfassung ohne hysterieähnliche Züge kaum möglich, betont CG. Jung: „Wie Schopenhauer mit Recht sagt, eignet dem Genie eine große Sensibilität, etwas von der Mimosenhaftigkeit und der Emotionalität der Hysterischen.“ (Vgl.: C.G. Jung, Die Psychologie und Pathologie sogen. okkulter Phänomene, S.108.) Als ‚hysterisch’ gelten bei C.G. Jung vor allem Zerstreutheit des Geistes und träumerisches Wesen. Spontan entstehende Traumzustände werden allgemein der Hysterie zugerechnet. Auch eine Störung der Aufmerksamkeit wird als Grundlage hysterischer Anästhesien betrachtet.

Die veränderten Bewusstseinszustände medialer Menschen sind für Jung „merkwürdige somnambule Anfälle“, die sich aus „Zerstreutheitszuständen“ entwickeln könnten. Das durch den Mund eines Mediums sich zu Wort meldende Wesen nennt er „überbewusste Persönlichkeiten“. Diese Persönlichkeiten seien auf „hysterische Bewusstseinsspaltungen“ zurückzuführen. Das charakteristische dieser ‚Störungen’ sei, dass sie nur die Oberfläche des Bewusstseins betreffen. Das Fundament des ‚Ich-Komplexes’ dagegen bleibe fest gegliedert und sei nicht in seiner Tiefe betroffen (ebd., S.84).

Elemente des Bewusstseins entwickeln demzufolge bei der Hysterie eine starke Tendenz zur Selbständigkeit. Das bedeutet, „neben dem Ich-Komplex, welcher seinen eigenen Vorstellungen nachhängt, existiert ein anderer Bewusstseinskomplex, welcher liest, richtig auffasst, und sich dabei einige Änderungen des Ausdrucks gestattet…“ (ebd., S.101). Psychische Funktionen werden abgespalten und erlangen damit eine gewisse Selbständigkeit.

Menschen mit medialen Fähigkeiten werden seit der Entstehung der psychoanalytischen Theorien gern mit dem Etikett ‚Hysterie’ versehen. J.M. Verweyen, dessen persönliche Bekanntschaft mit Medien ihn vor derartigen Vorurteilen bewahrte, kritisiert die einseitige Auffassung etlicher Wissenschaftler: „Was man nicht definieren kann, das sieht man im Umkreise gewisser ungewöhnlicher seelischer Erscheinungen einfach als hysterisch an und denkt sich darunter allerlei Merkmale, deren Klärung der Psychopathologie nicht geringe Schwierigkeiten bereitet“ (S.27f.). Die Persönlichkeit der Medien sei aber eher unauffällig, betont Verweyen.

Tatsächlich entsprechen einige Medien den landläufigen Vorurteilen. Doch nur eine eingeschränkte Sichtweise neigt dazu, die psychopathologischen Erscheinungen, die bei einigen medialen Menschen anzutreffen sind, zu verallgemeinern.

Zwang und Besessenheit: Eine Anzahl hysterischer Patienten wird von unangenehmen Vorstellungen heimgesucht, gegen die ihr bewusster Wille nicht viel auszurichten vermag. S. Freud bezeichnet diese als peinliche Kontrastvorstellungen: „Die Kontrastvorstellung etabliert sich sozusagen als ‚Gegenwille, während sich der Kranke mit Erstaunen eines entschiedeneren aber machtlosen Willens bewusst ist.“ (In: Gesammelte Werke, Bd I, S.10f.) Der bewusste Wille der Patienten ist nicht in der Lage, sich gegen die peinlichen Vorstellungen durchzusetzen. Freud spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚Willensperversion’, die „Staunen und Erbitterung... über den unverständlichen Zwiespalt“ hervorruft.

Mühsam unterdrückte Vorstellungen der Psyche werden - vor allem in Erschöpfungszuständen - infolge einer Art von ‚Gegenwillen’ an die Oberfläche befördert. Freud bemerkt hierzu: „Im ganzen verdankt die Hysterie diesem Hervortreten des Gegenwillens jenen dämonischen Zug, der ihr so häufig zukommt, der sich darin äußert, dass die Kranken gerade dann und dort etwas nicht können, wo sie es am sehnlichsten wollen, dass sie das genaue Gegenteil von dem tun, um was man sie gebeten hat, und dass sie, was ihnen am teuersten ist, beschimpfen und verdächtigen müssen.“

Diesem Zwang sind sie für eine zeitlang hilflos preisgegeben. Unterdrückte Vorsätze werden im Unterbewusstsein aufbewahrt; sie fristen in einer Art von ‚Schattenreich’ eine ungeahnte Existenz, „bis sie als Spuk hervortreten und sich des Körpers bemächtigen, der sonst dem herrschenden Ich-Bewusstsein gedient hat.“ Besonders peinliche Inhalte bilden die Grundlage hysterischer Zwänge. Sie sind vor allem bei wohlerzogenen Personen anzutreffen und finden sich ebenfalls häufig bei Nonnen und auch bei Heiligen.

Ebenso wie die Epilepsie wurde auch die Hysterie vielfach zu den ‚diabolischen Pseudobesessenheiten’ gezählt. Die französischen Psychiater Charcot und Richer erklärten die Phänomene der Besessenheit und Hysterie für nahe verwandt. Eine ganze Reihe gemeinsamer Symptome unterstützt diese Annahme, wie: Krampfanfälle, Lähmungen, Erregungszustände, Stigmata, somnambule Zustände, Sinnesstörungen etc. Gegen Ende des 19.Jhdts wurden Besessenheitszustände als vorwiegend psychogene Erkrankung aufgefasst.

Hysterische Personen haben nach Meinung einiger Autoren in den Hexenprozessen des Mittelalters das Heer der Zauberer und Hexen vergrößert. Charcot, Richer und auch Binswanger meinten, in den Schilderungen über Besessenheiten früherer Jahrhunderte schwere hysterische Krankheitszustände zu erkennen. Auch Kranke, die an Melancholie oder an chronischer Paranoia litten, ebenso wie Epileptiker und Psychotiker, seien dem Teufels- und Hexenglauben zum Opfer gefallen.

Geisteskranke und hysterische Personen waren dem Volksglauben nach besessen, bezaubert und verhext von böswilligen, mit Dämonen im Bunde stehenden Individuen. Den Hexenglauben stellte man zudem in Beziehung zu sexuellen Verirrungen sadistischer Natur. Die Anschuldigung, ein Schutzbündnis mit dem Bösen zu unterhalten, wurde aufgrund körperlicher Anzeichen, den Stigmata diaboli, verfestigt. Dazu gehörten u.a. unempfindliche Stellen auf der Haut. Diese sind auch bekannt unter dem Namen hysterische Stigmata.

Hysteriker zählte man zu den Besessenen, die gegen ihren Willen in die Gewalt eines Dämons geraten waren. Daher wurden exorzistische Maßnahmen angewandt, um das Böse auszutreiben. Darüber hinaus wurde nach Schuldigen gefahndet, die für diesen bedauernswerten Zustand verantwortlich gemacht wurden. Es wird angenommen, „dass die Zahl der passiv beteiligten, d.h. als Hexen und Hexer verbrannten Geisteskranken in der Zahl der Gesamtopfer eine verschwindend kleine ist, dass aber die Zahl der aktiv beteiligten eine weit größere ist, indem sie als besessen angesehen wurden und so zur Jagd auf vermeintliche Zauberer oder die Hexe anreizten oder direkt zum Angeber wurden; hier haben die Hysterischen eine besonders hervorragende Stellung eingenommen und über die Identificität zwischen Besessenen und Hysterischen besteht heute kein Zweifel mehr“ (in: H. Hoffman, S.11).

Diese These vernachlässigt allerdings die Rolle, die hysterischen Personen sehr wahrscheinlich als Angeklagte in den Prozessen zugemutet wurde. ‚Hysterische’ Unempfindlichkeit einzelner Körperstellen galt als Beweis für die Verbindung mit übernatürlichen dunklen Mächten. Offen bleibt bei alldem die Frage, wie denn diese Stigmata tatsächlich entstanden sind?

Für H. Hoffmann sind die Hexenprozesse Wirkungen von Massensuggestionen der ausschweifenden Phantasie ganzer Menschengruppen. Den Glauben an Hexerei und Besessenheit wertet der Autor als „Rückfall in eine primitive Denk- und Erlebnisweise“, ohne allerdings diese These gründlich und differenziert darzulegen. Magischmystischem Denken begegnet er mit Unverständnis und erheblichen Vorurteilen.

Psychologische Phänomene führen auch in der Gegenwartsliteratur zu unterschiedlichen Deutungen: Laut Handwörterbuch der Psychologie