Sein Kind - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Sein Kind E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Traude Falkner kennt Lothar Hochberg schon von Kindheitstagen an und schwärmt auch seither ein wenig für ihn. So hätte sie eigentlich sehr glücklich sein sollen, als er um ihre Hand anhielt. Doch tat er dies vor allem, um seinem Vater aus einer schwierigen finanziellen Situation zu helfen – das weiß auch Traude. Und sie kennt zudem die Gerüchte über ein Verhältnis zwischen ihrem zukünftigen Gatten und der Gesellschafterin seiner Mutter. Hat ihre Ehe dennoch eine Chance?-

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Hedwig Courths-Mahler

Sein Kind

 

Saga

Sein Kind

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1919, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726950342

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Die Hochzeitstafel war vorüber.

Das junge Paar stahl sich im Trubel des Aufbruchs von der Tafel heimlich hinweg, um sich für die bevorstehende Hochzeitsreise umzukleiden.

Es blieb ziemlich unbemerkt, dass es sich entfernte.

Die Braut drückte nur im Vorübergehen ihrem Vater die Hand und sagte: „Leb’ wohl, Papa, auf Wiedersehen!“

„Auf Wiedersehen, mein Kind! Glückliche Reise!“ erwiderte dieser und gab den Druck der kleinen Hand zurück.

Die Hochzeitsgesellschaft war eine sehr zahlreiche und glänzende und befand sich in animiertester Stimmung. Sie hätte sich auch nicht in ihrem Vergnügen stören lassen durch die Abreise des Brautpaares, wenn sie dieselbe bemerkt hätte. Es war reichlich für Kurzweil und Amüsement gesorgt. Und gleich nach der Tafel begann die Kapelle zum Tanz aufzuspielen. Zwischen die Klänge der Musik mischte sich Scherzen und Lachen.

Einige junge Damen, Freundinnen der Braut, begannen den Tanz mit einem Kostümreigen. Diesem Reigen sah die Hochzeitsgesellschaft zu. In manchen Gesichtern sah man ein spöttisches Lächeln.

„Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt,“ flüsterte ein junger Herr, verstohlen auf die Tänzerinnen deutend, seinem Freunde zu.

Dieser lachte.

„Man kann mit und ohne Grazie tanzen, wie Figura zeigt,“ erwiderte er leise lachend.

Es war wie immer in solchen Fällen: einige der jungen Damen tanzten mit Grazie, die anderen mit viel Eifer und gutem Willen. Dafür erhöhten die letzteren die vergnügte Stimmung, ohne es natürlich zu ahnen und zu wollen. Jedenfalls konnte also das Brautpaar unbemerkt entschlüpfen.

Aber das geschah nicht in zärtlich süssem, von sehnsüchtigem Verlangen nach Alleinsein erfülltem Einverständnis. Der Bräutigam hatte verstohlen nach der Uhr gesehen, und seine blassen, gespannten Züge schienen vor unterdrückter Nervosität zu beben. Mit müdem, apathischem Ausdruck flogen seine Augen über die Gesellschaft hinweg. Dies alles stand in scharsem Kontrast zu seiner kraftvoll schlanken, elastischen Gestalt, an der die Muskeln federten, als feien sie von Stahl.

Leise, aber ziemlich kühl und förmlich hatte er seiner jungen Gattin zugeflüstert: „Es ist Zeit, Traude, wir müssen uns zur Abreise fertig machen.“

Die Braut hatte kaum mit den Wimpern gezuckt. Ihre Augen blickten ruhig und gelassen in die ihres Gatten. „So lass uns aufbrechen,“ erwiderte sie ohne jede Erregung.

Aber als er dann in der Menge verschwand, um seinen Eltern Lebewohl zu sagen, sah sie ihm mit einem seltsamen Blicke nach.

War es Trauer oder Schmerz, was in den schönen tiefblauen Augen aufzuckte, oder war es Spott und Bitterkeit, gemischt mit stolzer Resignation?

Vielleicht lag von all diesen Empfindungen etwas in dem Ausdruck dieser klaren Augen, die sonst mit so viel Güte ins Leben blickten. Jedenfalls presste sie die feingeschwungenen Lippen fest aufeinander, wie in herber Abwehr aller weicheren Gefühle. Die schlanke, jugendschöne Gestalt mit den edel gerundeten Gliedern richtete sich hoch und stolz empor. So verliess sie langsam den Saal, nachdem sie sich von ihrem Vater verabschiedet hatte. Die lange, weisse Schleppe des Brautkleides, die von duftigen, kostbaren Spitzen überrieselt war, in denen kleine Myrtensträusse hie und da befestigt waren, floss hinter ihr her wie ein stolzer Schweif. Sie rauschte über die roten Teppichläufer und haftete zuweilen am Boden, als wolle sie die Trägerin zurückhalten.

Ihr Gatte hatte inzwischen von seinen Eltern Abschied genommen und war ihr zuvorgekommen. An der hohen Glastür, die das Vestibül von den Festräumen trennte, erwartete er sie. Seine hohe, schlanke Gestalt lehnte an einem Pfeiler, und seine Augen sahen düster und geistesabwesend vor sich hin. Er schrak zusammen, als sie plötzlich neben ihm stand. Aber sogleich breitete sich wieder die starre Ruhe über sein festgefügtes, energisches Gesicht. Sein schmaler, ausdrucksvoller Mund presste sich fest zusammen, als müsse er einen herben Schmerz unterdrücken. Und die Zähne bissen sich so fest aufeinander, dass die Muskeln in seinem Geicht zuckten.

Mit einer tadellosen Verbeugung trat er zu ihr heran und bot ihr den Arm.

Von der Seite warf Traude einen Blick in dies blasse, starre Männergesicht, und der herbe Zug um ihren Mund vertiefte sich noch. Stolzer hob sie das Haupt und kälter wurde der Blick ihrer sonst so gütigen Augen.

Sie legte die Fingerspitzen auf seinen Arm, und er führte sie die teppichbelegte Treppe empor. Die weisse Schleppe rauschte auf den roten Läufern hinter ihr her. Der Portier und ein Kellner sahen hinter dem jungen Paare her und tauschten einen lächelnden Blick.

Lothar Hochberg führte seine junge Frau zu dem für sie reservierten Zimmer im ersten Stock, wo sie sich umkleiden sollte für die Reise. Ihre Zofe hatte ihre Reisekleider zurechtgelegt und wartete auf sie, um ihr beim Umkleiden behilflich zu sein.

Lothar öffnete die Tür und liess seine Gattin mit einer artigen — nur zu artigen Verbeugung eintreten. Sorgsam legte er ihre Schleppe über die Schwelle, damit sie nicht eingeklemmt wurde.

„Wann kannst du fertig sein, Traude,“ fragte er artig.

Es zuckte leise um ihren Mund, aber sie sah ruhig zu ihm auf. „In einer halben Stunde,“ erwiderte sie mit derselben fühlen Höflichkeit.

„Also werde ich dich in einer halben Stunde unten im Vestibül erwarten.“

„Es ist gut, Lothar.“

Artig fasste er ihre Hand und führte sie an die Lippen. Als er sich aufrichtete, trafen die Augen der beiden jungen Gatten ineinander. Traudes Augen hatten noch den ruhig stolzen Blick, aber in seinen Augen — — — — —?

Bisher hatte Traude in den Augen ihres Gatten nur immer den kühl höflichen Blick gesehen. Aber jetzt las sie plötzlich einen Ausdruck darin, der ihre stolze Ruhe erschütterte. Es lag eine stumme Bitte um Verzeihung und ein unsäglicher Schmerz in diesen grauen Männeraugen.

,,Wie ein Mensch in tiefster Not,“ sagte sich die junge Frau voll Unruhe. Und die grosse Güte ihres Wesens weckte ein seltsames Gefühl in ihr — fast war es Mitleid und Erbarmen.

Traude konnte ruhigen Herzens seinen Menschen leiden sehen, und dass ihr Gatte litt unter einer grossen Pein, wurde ihr in diesem Moment klar.

Schnell ging er davon.

Gedankenverloren sah sie ihm nach, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Sie wusste — hatte es vom ersten Moment an gewusst, dass ihre Ehe mit Lothar Hochberg nur eine Konvenienzehe war. Zwischen ihren beiden Vätern war sie geplant und vereinbart worden, und Lothar war, genau wie sie selbst, vor die Tatsache gestellt worden, dass sie für einander bestimmt seien.

Das hatten sie einander nicht verschwiegen, als sie sich verlobten. Sie hatten sich gesagt, dass sie ohne Liebe in diese Ehe gingen.

Traude war zweiundzwanzig Jahre alt geworden, ohne dass ihr Herz energisch gesprochen hätte. Die jungen Herren ihres Gesellschaftskreises hatten alle mit ihren Bemühungen um ihre Gunst Fiasko erlitten.

Es fehlte ihr nicht an zahlreichen Bewerbern, denn sie war nicht nur jung und schön, sondern war auch, als die einzige Tochter ihres Vaters eine der reichsten Erbinnen der Stadt.

Ihr Vater war der Kommerzienrat Falkner, ein mehrfacher Millionär und Vorstandsmitglied verschiedener Aktiengesellschaften. Er hatte seine Tochter bisher ruhig gewähren lassen, wenn sie einen Freier nach dem anderen mit einem Korb abziehen liess. Denn es war seiner unter ihnen gewesen, den er sich zum Eidam gewünscht hätte. Traude wusste sehr wohl, dass sie hauptsächlich ihres Geldes wegen umworben wurde. Sie kannte genug vom Leben, um zu wissen, dass die jungen Herren ihrer Kreise zwar ihre Geliebten nach dem Herzen, ihre Frauen aber nach dem Geldbeutel wählten. Verschiedene ihrer Freundinnen waren so verheiratet, wie sie nicht verheiratet zu sein wünschte.

Denn Traude hatte trotz ihres ruhigen Stolzes ein sehr warmes Herz und junges rasches Blut. Sie hatte ihre Ideale und hoffte lange Zeit, dass ihr einmal ein Glück beschieden werden könne, wie sie es sich erträumte. Sie wehrte sich gegen die Gedanken, nur als lästige Beigabe zu ihrem Gelde in den Kauf genommen zu werden.

Aber die grosse Liebe, auf die sie Jahr um Jahr in holden Mädchenträumen gewartet hatte, war nicht gekommen. Sie fragte sich schliesslich, ob es nicht töricht sei, auf die Verwirklichung ihrer Ideale zu hoffen.

Und dann hatte ihr Vater ihr eines Tages gesagt:

„Lothar Hochberg wird morgen kommen und um deine Hand anhalten. Und ich wünsche, dass du diese Werbung annimmst. Du bist im heiratsfähigen Alter, und Lothar Hochberg ist von allen jungen Herren, die ich kenne, der vornehmste und gediegenste Charakter. Du wirst es nicht bereuen, wenn du ihm dein Jawort gibst.“

Die Worte hatten ein seltsames Gefühl ausgelöst in Traudes Herzen. Im ersten Moment wollte sie protestieren, aber dann presste sie ihren Mund zusammen und sah nachdenklich vor sich hin. Und dann erwiderte sie nur: „Lass mich das erst bedenken.“

„Du hast Zeit bis morgen, Traude, aber ich erwarte von dir, dass du vernünftig bist. Einen wertvolleren Menschen wirst du nicht finden, als ihn. Ich habe ihn lange geprüft,“ hatte ihr Vater erwidert.

Als Traude allein gewesen war, hatte sie sinnend vor sich hingesehen. Lothar Hochberg? Sie kannte ihn schon seit ihren Kindertagen. Als sie die ersten Wege zur Schule ging, war er ihr schon mit der roten Gymnasiastenmütze begegnet. Sein Vater besass ein grosses Fabriketablissement, und war mit dem ihren befreundet.

Als sie dann zum Backfisch herangewachsen war, und die Selekta besuchte, trafen sie oft im Winter auf der Eisbahn zusammen, und seine warmgrauen Augen hatten lachend in die ihren geschaut. Einmal war einer ihrer langen, dicken Hängezöpfe an seinem Paletotknopf hängen geblieben, als sie an ihm vorüberlief. Das hatte weh getan. Er hatte sorgsam den Zopf gelöst und einen Moment wohlgefällig auf der Hand gewogen.

Dann war sie so eilig weiter geeilt, dass sie stürzte. Schnell war er an ihrer Seite gewesen und hatte sie aufgehoben. Danach waren sie in ein Gespräch gekommen und waren zusammen weiter gelaufen. Sie hatten gescherzt und gelacht, wie es solche jungen Leute zusammen tun, und ein ganz klein wenig hatte er ihr den Hof gemacht. Er hatte sie dann sogar nach Hause begleitet, natürlich in Gesellschaft ihrer Duenna, die nach dem Tode ihrer Mutter als Ehrendame und als Hausdame von ihrem Vater engagiert worden war.

Traude hatte lange danach immer ein wenig Herzklopfen gehabt, wenn sie an Lothar Hochberg gedacht hatte. Aber nach jenem Tage auf der Eisbahn hatten sie einander lange Zeit nicht wiedergesehen.

Traude war bald darauf in eine Pension gekommen, und inzwischen hatte Lothar Hochberg bei der Garde sein Jahr abgedient. Als Traude aus der Pension zurückkam, weilte er schon in London, wo er bei einer befreundeten Firma als Volontär seine Kenntnisse erweiterte. Denn er sollte eines Tages der Nachfolger seines Vaters im Geschäft werden. Er war das einzige Kind seiner Eltern.

Als Lothar Hochberg nach Jahren zurückkam, war Traude inzwischen eine vielumworbene junge Dame geworden. Auf einem Balle waren sie sich zuerst wieder begegnet. Und feltsamerweise hatte Traudes Herz beim Anblick des jungen Mannes rebellisch geklopft.

Aber er schien sehr gemütsruhig zu sein, als er sie artig und höflich begrüsste. Er bat sie auch um einen Tanz — aber sie fühlte, er tat es nur, um der Form zu genügen. Da zwang sie ihr Herz zur Ruhe und wurde kühl und höflich wie er.

Bald darauf hörte sie in einer Damengesellschaft, dass Lothar Hochberg ein Liebesverhältnis mit der Gesellschafterin seiner Mutter habe, und dass diese deshalb von seiner Mutter plötzlich entlassen worden sei.

Diese Nachricht hatte ihr einen kleinen Stich versetzt, aber sie hatte den Kopf stolz zurückgeworfen. Natürlich — er war auch wie die anderen alle, er suchte sich eine Beliebte oder auch mehrere, wie es die anderen jungen Herren taten. Und wenn er dann eines Tages eine Frau heimführen wollte, dann sah er sich, wie alle anderen, mit kühler, kritischer Gelassenheit nach einer entsprechenden Partie um, die zahlenmässig zu ihm passte.

Dabei kam es nur auf das Ergebnis des Rechenexempels an — auf nichts weiter!

Von diesem Tage an war Traude Falkner noch viel stolzer und abweisender geworden.

Dann war ein Gerücht zu ihr gedrungen, dass die Firma Hochberg und Sohn mit grossen geschäftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, und schliesslich sprach man auch von enormen Verlusten, die vollends den Ruin der Firma in greifbare Nähe rückten.

Am Tage darauf sagte ihr dann ihr Vater, dass Lothar Hochberg um ihre Hand anhalten würde.

Voll tiefer Bitterkeit hatte sie gedacht:

,,Jetzt braucht er eine reiche Frau, jetzt bist du ihm gut genug. Sein Herz hat er anderweitig verschenkt, aber er wird dir nun, wie die anderen es getan haben, eine Liebe vorheucheln, die er nicht empfindet. Du wirst die Lüge in seinem Antlitz sehen, — und das wird dich verletzen und demütigen, wie nichts zuvor.

Und sie hatte sich fest vorgenommen, trotzdem ihr Vater diese Verbindung wünschte, ihn abzuweisen.

Aber als er dann mit einem seltsam blassen Gesicht vor ihr gestanden hatte, als er ehrlich bekannte, dass seines Vaters Wunsch ihn zu der Werbung veranlasst habe, die er sich mühsam genug abquälte, als er sie mit zuckenden Lippen um ihre Hand bat — hatte sie doch ja sagen müssen. Ein unerklärlicher Zwang hatte ihr das Ja auf die Lippen gedrängt, statt des schroffen Nein.

Und sie hatte sich später nicht mehr zu erklären gewusst, weshalb sie ja gesagt hatte.

Ihre Brautzeit war nicht lang gewesen. Sie war in diesen Wochen kaum einmal auf Minuten mit Lothar allein zusammengekommen.

Und sie hätten einander auch nichts zu sagen gehabt, was nicht alle Welt hätte hören dürfen.

Traude hatte die Wochen ihrer Brautzeit wie in einem drückenden Traum verlebt, aus dem sie sich nicht lösen konnte. Sie fühlte sich unfrei und gedemütigt. Wieder und wieder sagte sie sich, diese Verbindung sei eine Unmöglichkeit. Aber sie fand nicht die Kraft, sich zu befreien. Vielleicht hatte sie es auch nicht ernsthaft gewollt. Irgend etwas hatte sie neben Lother Hochberg festgehalten. Und schliesslich hatte sie sich in bitterer Resignation gesagt: Ob er — oder ein anderer —, es ist doch alles eins. Was du in der Ehe suchst, wirst du doch nie finden.

Und so stand sie nun mit dieser Resignation, umgürtet mit ihrem Stolz und doch mit echt weiblichem Zagen vor der Zukunft, auf der Schwelle ihrer Ehe, gewiss, dass diese Ehe eine glücklose sein würde.

Während diese Gedanken quälend ihre Seele durch zitterten, hatte ihr die Zofe das kostbare Brautkleid abgestreift, und sie für die Reise umgekleidet. Nicht länger als eine halbe Stunde war darüber vergangen.

Traude warf noch einen flüchtigen Blick in den Spiegel, der eine elegante junge Dame im Reifedress widerspiegelte. Sie sah nach dem Uhrarmband, um sich zu überzeugen, dass sie pünktlich war. Lässig streifte sie die Handschuhe über, gab ihrer Zofe noch einige Anweisungen und ging dann hinab in das Vestibül.

***

Als Lothar Hochberg seine junge Frau verlassen hatte, war er in das für ihn reservierte Zimmer geeilt. Er schloss es mit einem jähen Griff hinter sich ab, als fürchte er, es könne noch etwas Störendes bei ihm eindringen. Mit einem stöhnenden Aufatmen fiel er dann in einen Sessel.

Das zuckende Gesicht in den Händen bergend, schloss er die brennenden Augen. So bot er ein Bild der Verzweiflung, des Kummers.

Und doch empfand er diese wenigen Minuten des Alleinseins als eine Wohltat nach unerträglicher Qual. Diese Hochzeitsfeier hatte an seinen Nerven gerissen. Er, der sonst nicht wusste, was Nerven waren, hatte in diesen Tagen gelernt, was für eine Marter zuckende Nerven bereiten konnten. Wieder und wieder drang ein stöhnendes Aufatmen aus seiner Brut. Und plötzlich liess er die Arme schlaff herabsinken und starrte vor sich hin, als habe er eine Vision.

,,Maria — arme kleine Maria — vergib — vergib —, ich konnte es dir und mir nicht ersparen, du weisst es,“ sagte er heiser, und ein zittern lief über seinen Körper dahin.

So sass er eine Weile. Dann schrak er zusammen, sah verwirrt um sich und riss sich zusammen. Ein Blick auf seine Uhr belehrte ihn, dass er in zehn Minuten fertig sein musste. In zehn Minuten musste er seine junge Frau unten im Vestibül erwarten.

Seine Frau? —

Ein bitteres Lächeln zog seine Mundwinkel herab, und seine Hand strich durch die Luft, als weise er etwas Störendes weit von sich. Traude Falkner war ihm freilich immer sympathisch gewesen, als Kind, als Backfisch und als erwachsene junge Dame. Vor Jahren — damals auf der Eisbahn — hatte er sogar ein wenig mit dem lustigen Backfisch geflirtet. Aber das war nur vorübergehend. Nichts als eine kühlfreundliche Sympathie war übriggeblieben, als er sie nach Jahren wiedersah, denn inzwischen war sein Herz andere Bahnen gewandelt. Nie hatte er daran gedacht, Traude zu heiraten — bis er dazu gezwungen worden war.

Aber er war ihr doch dankbar, dass sie als Braut weder Zärtlichkeiten forderte noch gab. Der ruhigkühle Stolz, mit dem sie neben ihm ging, machte ihm diese Woden leichter. Nur so war es ihm möglich gewesen, diese quälende Brautzeit zu überstehen. Und ihre stolze, zurückhaltende Ruhe musste ihm nun auch helfen, eine Ehe mit ihr zu führen. Wenn er seiner Frau auch sonst nichts zu bieten hatte, an artigen Aufmerksamkeiten wollte er es nicht fehlen lassen. Hastig kleidete er sich um und eilte dann hinab in das Vestibül. Kaum war er unten angelangt, als er auch schon Traude die Treppe in dem fussfreien Reisekostüm, unter dem die schmalen, kleinen Füsse in festen Lederstiefelchen hervorsahen, herabkommen sah.

In demselben Moment betrat ein halbwüchsiger Bursche das Hotelvestibül und trat an den Portier heran. Er zeigte diesem die Adresse eines Briefes. Der Portier las sie und zeigte auf Lothar, an den der Brief adressiert war.

Der Bursche ging zu ihm hinüber, seine Mütze unter den Arm klemmend.

Gerade in dem Moment, als Lothar seiner Frau den Arm reichen wollte, sagte der Bursche neben ihm: „Herr Hochberg, diesen Brief soll ich Ihnen persönlich übergeben.“

Lothar wandte sich nach dem Burschen um, nahm den Brief und gab gewohnheitsmässig ein Trinkgeld.

„Du erlaubst, Traude? Ich will nachsehen, ob es etwas Wichtiges ist,“ wandte er sich an seine Frau, während der Bursche verschwand.

Traude neigte zustimmend das Haupt. Lothar riss schnell den Brief auf. Er enthielt nur wenige Worte. Aber sie mussten eine erschütternde Nachricht enthalten. Er taumelte einige Schritte zurück und fasste, sich krampfhaft stützend, nach einer Sessellehne.

Aus seinem Gesicht war jeder Blutstropfen gewichen, auf seiner Stirn perlte kalter Schweiss, und seine Augen starrten in verzweiflungsvollem Entsetzen vor sich hin.

Traude sah das alles, und instinktiv, ohne sich dessen bewusst zu werden, folgte sie ihrem gütigen Wesen. Sie trat an ihn heran und fasste, wie ihn stützend, seinen Arm. „Was ist dir, Lothar?“ fragte sie teilnehmend.

Er riss sich mit übermenschlicher Anstrengung zusammen. Ein qualverzerrtes Lächeln spielte um seinen Mund, und wie im Krampf drückte er das Schreiben in seiner Hand zusammen. Mit ausdruckslosen Augen starrte er Traude an. Tastend steckte er das Schreiben zu sich, verneigte sich wie ein Automat und bot ihr den Arm. ,,Es ist nichts — nichts,“ kam es wie ein Keuchen aus seiner Brust.

Besorgt und erschrocken legte sie ihre Hand auf seinen Arm, und er führte sie zu dem eleganten Auto, das ihrer am Portal harrte, um sie nach dem Bahnhof zu bringen.

Traude fühlte, dass ihr Gatte, unsicher tastend, wie ein Schlafwandler neben ihr ging.

Als sie ihren Platz im Wagen eingenommen hatte, stieg er zu ihr und fiel, wie aller Kraft beraubt, in die Wagenpolster. Es herrschte noch eine leichte Dämmerung, und Traude sah von der Seite in sein Gesicht.

Der Ausdruck dieses in Schmerz schier erstarrten Männergesichtes schnitt ihr in die Seele und weckte wieder die grosse menschliche Güte, die in ihrem Wesen lag.

Leise legte sie ihre Hand auf seinen Arm. „Lothar, hast du eine schlimme Nachricht erhalten, die dich so erschüttert hat?“

Er schrak aus seiner Erstarrung auf. Sein Gesicht zuckte, und die Zähne bissen sich hart aufeinander. Dann sagte er heiser und rauh. „Ja — eine furchtbare Nachricht —, die mich bis ins Innerste getroffen hat. Verzeih, dass ich mich nicht besser beherrschen konnte.“

,,Das bedarf doch keiner Verzeihung. Ich sehe, du leidest. Kann ich dir nicht helfen?“

Er richtete sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf und sah sie mit einem Blick an, den sie nie wieder vergessen konnte. So viel Qual und Schmerz lag darin, dass alles andere in ihr unterging in einem grossen, gütigen Mitleid.

,,Kann ich dir nicht helfen?“ fragte sie nochmals.

Er schüttelte jäh den Kopf. „Mir helfen? Nein — nein — niemand kann das — niemand. Das muss ich allein tragen — ganz allein. Aber ja — ja — helfen könntest du mir doch.“

„So sprich,“ drängte sie.

Er strich sich über die Stirn, als müsse er sich besinnen. Den Hut hatte er weit zurückgeschoben. Endlich sagte er hastig und flehend: „Traude — es ist etwas ganz Aussergewöhnliches, was ich von dir bitten möchte — etwas, das ich jetzt eigentlich nicht von dir erbitten dürfte. Vielleicht wirst du mir sehr zürnen wegen dieser Bitte. Aber ich muss es dennoch wagen.“

„Sprich doch,“ forderte sie fast zornig vor Erregung. ,,Ich will dir helfen, wenn ich kann. Da bedarf es keiner kleinlichen Rüchsichten. Was kann ich tun?“

Seine Augen bekamen einen bewussteren Ausdruck.

,,Die Nachricht, die ich eben erhalten habe, Traude — sie lässt mich nicht abreisen, bevor ich einen Weg gegangen bin, den ich gehen muss. Ich flehe dich an, lass uns unsere Reise um einige Stunden aufschieben. Es geht noch ein späterer Zug — gegen neun Uhr. Bis dahin kann ich wieder bei dir sein. Würdest du die grosse Güte haben, mich auf zwei Stunden zu beurlauben? Du dürftest aber nicht zur Hochzeitsgesellschaft zurückkehren. Es würde unliebsames Aufsehen erregen, das ich um deinetwillen vermeiden möchte. Du könntest mich vielleicht in einem Zimmer des Bahnhofshotels erwarten, ich würde dich dorthin bringen. Es ist ein unerhörtes Ansinnen, das ich dir stelle, ich weiss es, doch zürne mir nicht — hilf mir. Keinem Lebenden würde ich das Recht einräumen, mich jetzt von deiner Seite zu entfernen — aber ein Toter ruft nach mir. Forsche nicht weiter — zürne mir nicht hilf mir!“

Es lag etwas Erschütterndes in diesen hastig hervorgestossenen Worten. Traude schloss einen Moment die Augen. Sie wollte nicht forschen und grübeln, nur helfen. Wollte auch nicht fragen, ob dieser Tote nicht vielleicht eine tote Frau war.

Ihr Herz erzitterte vor Weh und Mitleid. Sie fühlte, dass sie einem Drama gegenüberstand, das vielu leicht mit ihrer Hochzeit seinen Abschluss gefunden hatte. Und sie fühlte aus, dass dieses Drama an Lothars Seele zerrte wie ein vernichtendes Verhängnis.

Sie atmete tief auf.

„Ich forsche und frage nicht, Lothar. Gehe, wohin du gehen musst, ich halte dich nicht zurück,“ sagte sie fest.

Er fasste mit einem schmerzhaften Druck ihre Hand und presste seine Lippen darauf. ,,Dank — heissen Dank. — Nie vergesse ich dir diese Grossmut.“

Sie schüttelte heftig den Kopf. Es ist keine Grossmut! Dass ich dir zu helfen versuche, da ich dich in Not und Bedrängnis weiss, ist doch selbstverständlich. Was forderst du Grosses von mir? Dass ich einige Stunden auf dich warte — das ist doch kein Opfer.“

Mit einem seltsamen Blick sah er sie an. „Du bist sehr gütig. Nochmals heissen Dank.“

Der Wagen hielt am Bahnhofsportal. Um jedes Aufsehen zu vermeiden, half Lothar seiner Frau aussteigen und schickte den Wagen zurück. Ein Diener kam ihnen entgegen mit leichtem Handgepäck, den gelösten Fahrkarten und dem Gepäckschein. Er wollte das junge Paar zum Zuge begleiten. Lothar nahm ihm alles ab und schickte ihn gleich mit dem Auto nach Hause. Dann deponierte er das Handgepäck am Gepäckschalter und wandte sich Traude wieder zu.

„Darf ich dich nun zum Bahnhofshotel führen?“ fragte er anscheinend ruhig. Sie merkte aber, dass seine Nerven vor zitternder Unruhe vibrierten, und um ihn möglichst bald zu erlösen, sagte sie: „Es ist unnötig, dass wir erst ins Hotel gehen. Ich sehe, dies Wartezimmer ist fast leer. Führe mich hinein. Ich werde dort auf dich warten.“

Er sah nach dem Wartezimmer und überzeugte sich, dass sie recht habe. So reichte er ihr den Arm. „Wie du wünschest, Traude.“

Sie betraten das Wartezimmer, und er führte sie in ein Eckchen, das hinter einer Pflanzengruppe ziemlich versteckt lag. Hinter einem runden Tisch stand ein rotes Plüschsofa, das mit weissen Deckchen belegt war. Es war ein ziemlich ungemütlicher Raum. Betreten sah Lothar seine Frau an. „Dieser Aufenthalt ist sehr primitiv, Traude.“

Sie wehrte hastig ab. ,,Lass solche Kleinigkeiten beiseite. Ich kann hier so gut warten als sonst irgendwo.“

,,Willst du es wirklich tun?“

„Gewiss, ich habe allerlei Reiselektüre bei mir, die wird mir die Zeit vertreiben. Du kannst mich unbesorgt allein lassen.“

Ein gequälter Ausdruck lag in seinen Augen. „Es ist mir peinlich, Traude, dass ich das von dir fordern muss, aber ich kann nicht anders.“

Sie hob die Hand. „Sprich nicht mehr davon. Gehe ruhig deinen Weg.“

Mit zuckendem Gesicht beugte er sich über ihre Hand. „Ich danke dir. In spätestens zwei Stunden bin ich zurück. Ich nehme ein Mietsauto.“

Sie nickte und dann fragte sie leise: „Du gehst zu einem Verstorbenen, wie du mir sagtest, Lothar. Willst du ihm diese Blumen mitnehmen? Für mich haben sie keinen Wert mehr.“