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Dem Geheimnis des Bösen und Gottes Schwäche auf der Spur
In diesen 52 Exerzitien erweist sich Hans Conrad Zander als Meister der wohltemperierten Satire. Er lüftet das Geheimnis des Bösen, erzählt den besten Witz, sucht nach Gottes Schwäche, erläutert anschaulich die Sieben Stufen der Keuschheit, verteidigt die Lüge, begeistert sich für die Revolutionäre Oper von Pjöngjang, begegnet Gott in der Bahnhofstraße von Zürich, fällt ein kennerhaftes Urteil über die Brüste von Babylon. Und sogar beim »Schweigen« findet er das, was in der Satire am wichtigsten ist: den richtigen Ton. Besonders dort, wo andere nur mit Tiefsinn langweilen, nämlich in der Religion, sorgt Hans Conrad Zander für erzählerische Spannung und gedankliche Überraschung.
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Seitenzahl: 118
HANS CONRAD ZANDER ist 1937 in Zürich geboren. Er war Mönch im Dominikanerorden, Reporter beim Stern (Träger des Kisch-Preises) und Gastprofessor an der Universität Essen. Bekannt geworden ist er als Autor von WDR und NDR (»Zeitzeichen«) und als Verfasser von Sachbüchern und Satiren zur Geschichte, vor allem zur Religionsgeschichte (»Als die Religion noch nicht langweilig war«). Er lebt als Journalist und Schriftsteller in Köln.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
Wichtig ist es in der Religion, seinen Glauben von Zeit zu Zeit zu ändern. Bisher habe ich nicht an die Unsterblichkeit der Seele geglaubt. Jetzt glaube ich daran. Stattgefunden hat diese Bekehrung im Gasometer in Oberhausen.
Der Zugang ist grässlich. Durch den Gestank vom schlechten Fett der Wurstbuden und durch das entsprechende Gekreisch viel zu dicker Kinder führt der Weg hinein in die enorme, stillgelegte Gaskuppel. Doch für alles, was Ohr und Nase draussen zu erdulden hatten, wird das Auge im Gasometer drin tausendfach entschädigt. Dies ist vielleicht die schönste Schau, die je in Deutschland zu sehen war. »Sternstunden« heißt sie und zeigt eine Fülle phantastischer astronomischer Farbphotographien. Riesengroß formatierte Bilder sind das, nicht nur von der Sonne und den Planeten, sondern, weit darüber hinaus, hergeholt aus den fernsten Fernen des Alls. Ein unbegrenztes Universum, photographiert in seinen eigenen kosmischen Farben, das Herz und den Verstand maßlos weitend. Vor dem rotglühenden Bild einer eben erst entstehenden Galaxie bekehrte ich mich überwältigt zum Glauben an die Unsterblichkeit der Seele.
Wohl herrscht bei uns so etwas wie eine wortlose, gedankenlose Einhelligkeit im Glauben des Unglaubens: Wenn ich sterbe, ist es aus. Doch warum glauben die vielen, ohne Überlegung, nicht mehr an ein Leben nach dem Tod? Weil sie sich den Ort dafür nicht vorstellen können. Die Menschen des Mittelalters konnten das. Hoch über allen Sphärenkreisen des geozentrischen Systems hatte der christliche Himmel seinen ptolemäischen Platz. Den hat er verloren. Mit dem astronomischen Ort verloren ging uns der Glaube an des Menschen himmlische Bestimmung.
Warum eigentlich? Der neue Kosmos, den die Bilder in Oberhausen zeigen, ist unvergleichlich weiter und schöner als das enge mittelalterliche All. In diesem grenzenlosen neuen Universum ist Platz für abertausend neue, andere Welten. Ganz physisch. Dass wir sie uns nicht vorstellen können, liegt nicht am mangelnden Fortschritt der Astronomie. Es liegt am erbärmlichen Schwund der religiösen Phantasie.
Mangels christlicher Phantasie kam mir im Gasometer von Oberhausen Seneca, der Heide, in den Sinn: »Bona rerum secundarum optabilia, adversarum mirabilia.« Das heißt ungefähr: »Im Glück erfüllen sich Wünsche, im Unglück geschieht Wunderbares.« Francis Bacon, den dieser rätselhafte Satz schon in den Bann gezogen hat, deutete ihn so, dass der Mensch dafür geschaffen ist, im Unglück über sich selbst hinauszuwachsen, weit über das hinaus, was ihm möglich wäre in den Schalheiten des Glücks.
Das stimmt. Das größte Unglück aber ist der Tod. Vielleicht ist der Gasometer von Oberhausen der richtige Ort, um über Francis Bacon hinauszudenken und Seneca ganz neu zu übersetzen: »Auf dieser Erde lang zu leben, ist, was sich alle wünschen. Doch jene neuen Welten, die der Tod verheißt, sind ungeahnt und staunenswert.«
Heikel sind alle theologischen Themen. Heute aber wollen wir todesmutig das heikelste aller theologischen Themen durchexerzieren. Das ist die Schönheit des weiblichen Leibes. Ist doch, wie Erich Kästner beim Flanieren auf deutschen Straßen schmerzlich auffiel, unter allzu vielen weiblichen Beinen höchstens eines wirklich schön. Über die Mehrheit klagte er: »Sie haben Beton in den Waden«. Ob das nicht ein Versagen des Schöpfers ist, in dessen Macht es doch läge, alle Beine aller Frauen in vollkommener Schönheit zu erschaffen?
Nein. Es ist ja, wie wir wissen, das eigentlich Menschliche, dass der Mensch sich selbst verwirklicht. Und wie es denn kein Mangel, sondern eine Chance ist, dass der Mensch nackt geboren wird, weil eben dies dem Baby ungeahnte Möglichkeiten der Integration in die höhere, die soziale Existenz eröffnet, so ist es gleichfalls nicht Mangel, sondern Chance, dass die Frau durch raffinierte Kleidung jedes schöpfungsbedingte Manko wenden kann zu höchstem ästhetisch-erotischem Reiz. Ihr werdet doch zugeben: Selbst Marlene Dietrichs Beine wurden erst durch ihre Beinkleider vollkommen schön.
Dieser Tage nun war ich im Hause eines evangelischen Pfarrers zum Abendessen eingeladen. Als Entree gab es Kürbis-Suppe mit Thymian. Doch nicht der Kürbis fesselte mein theologisches Auge. Als sich nämlich die Gastgeberin nach vorne neigte, um den Schöpflöffel zu ergreifen, sah ich durch ihr enormes Décolleté so tief hinab, dass mir schon wieder Erich Kästner in den Sinn kam: »Wenn es Mode wird, die Brust zu färben, oder, falls man die nicht hat, den Bauch … .« Tatsächlich würde ich meine Hand dafür ins höllische Feuer legen: Der Bauch der Pfarrers-Gattin war violett gefärbt!
Ist das von öffentlichem Interesse? Ja. Was da nämlich zuallerletzt bei den Pfarrersfrauen angekommen ist, beherrscht schon seit Jahren das Straßenbild deutscher Fußgängerzonen: Mit größtem Stolz entblößen abertausend Frauen lauter Busen, die, im Sinne Erich Kästners, durch raffinierte Verkleidung an erotischem Reiz viel dazugewinnen könnten.
War nicht Friedrich Dürrenmatt ein Pfarrers-Sohn? Hatte er nicht den ganzen Kopf voll Theologie, als er »Ein Engel kommt nach Babylon« schrieb? Erinnert euch: Ein Engel Gottes kommt mit einer vollkommen schönen jungen Frau namens Kurrubi in die sittenloseste aller Städte herabgeflogen. Die schöne Kurrubi findet jedoch Aufnahme nur bei einem alten Penner unter der Brücke. Aber allein schon das Gerücht, dass eine junge Frau von vollkommener Schönheit in ihre Stadt eingedrungen sei, bringt die Damen von Babylon alle gegen Kurrubi auf, vor allem die Vorsitzende des Huren-Syndikats. Stolz den Busen entblößend, fordert sie den alten Penner zu einem ästhetischen Urteil heraus: »Habe ich nicht die schönsten Brüste Babylons?« Die Antwort des alten Mannes ist von zeitloser erotischer Bedeutung: »Was haben denn diese Organe mit meiner Kurrubi zu tun?«
1. Auflage
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