Sherlock Holmes - Neue Fälle 18: Sherlock Holmes und der Wiedergänger - William Meikle - E-Book

Sherlock Holmes - Neue Fälle 18: Sherlock Holmes und der Wiedergänger E-Book

William Meikle

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Beschreibung

Der Meisterdetektiv Sherlock Holmes lässt sich auf ein höchst mysteriöses Abenteuer ein. Wie gewohnt widmet er sich aber auch diesem bizarren Fall mit größter Akribie.

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DIE NEUEN FÄLLE DES MEISTERDETEKTIVSSHERLOCK HOLMES

In dieser Reihe bisher erschienen:

3001 – Sherlock Holmes und die Zeitmaschine von Ralph E. Vaughan

3002 – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge von J. J. Preyer

3003 – Sherlock Holmes und die geheimnisvolle Wand von Ronald M. Hahn

3004 – Sherlock Holmes und der Werwolf von Klaus-Peter Walter

3005 – Sherlock Holmes und der Teufel von St. James von J. J. Preyer

3006 – Dr. Watson von Michael Hardwick

3007 – Sherlock Holmes und die Drachenlady von Klaus-Peter Walter

3008 – Sherlock Holmes jagt Hieronymus Bosch von Martin Barkawitz

3009 – Sherlock Holmes und sein schwierigster Fall von Gary Lovisi

3010 – Sherlock Holmes und der Hund der Rache von Michael Hardwick

3011 – Sherlock Holmes und die indische Kette von Michael Buttler

3012 – Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic von J. J. Preyer

3013 – Sherlock Holmes und das Freimaurerkomplott von J. J. Preyer

3014 – Sherlock Holmes im Auftrag der Krone von G. G. Grandt

3015 – Sherlock Holmes und die Diamanten der Prinzessin von E. C. Watson

3016 – Sherlock Holmes und die Geheimnisse von Blackwood Castle von E. C. Watson

3017 – Sherlock Holmes und die Kaiserattentate von G. G. Grandt

3018 – Sherlock Holmes und der Wiedergänger von William Meikle

3019 – Sherlock Holmes und die Farben des Verbrechens von Rolf Krohn

3020 – Sherlock Holmes und das Geheimnis von Rosie‘s Hall von Michael Buttler

William Meikle

SHERLOCK HOLMESUND DER WIEDERGÄNGER

Basierend auf den Charakteren vonSir Arthur Conan Doyle

Aus dem Amerikanischen vonAndreas Schiffmann

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.

© 2017 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mark FreierUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.deISBN 978-3-95719-217-2

William Meikle ist ein schottischer Schriftsteller, der heute auf ­Neufundland lebt. Er hat zwanzig Genre-Romane geschrieben und mehr als dreihundert Kurzgeschichten in dreizehn Ländern veröffentlicht.

Wenn er gerade nicht schreibt, trinkt er Bier, spielt Gitarre und träumt von Reichtum und Ruhm. Umgeben von Walen, Kahlkopfgeiern und Eisbergen.

Kapitel 1

Holmes hat mich häufig wegen meiner vermeintlichen Angewohnheit gerügt, seine Fälle allzu reißerisch aufzubauschen, indem ich sie detailliert niederschreibe. Dieser besondere Fall ist jedoch in vielen Punkten so spektakulär, dass ich befürchte, diese trotz allem nur unzureichend wiedergeben zu können.

Es begann im September. Ich verspätete mich, denn die Vorlesung im Royal Hospital hatte ungefähr dreißig Minuten länger gedauert – eine halbe Stunde trockenster Erörterungen über potenzielle Mittel zur Behandlung von Tropenkrankheiten. Als ich das Gebäude schließlich verließ, wütete ein Unwetter, weshalb schon alle Kutschen in Beschlag genommen worden waren. So stand ich vor der Wahl, entweder unter dem Dach zu bleiben, um das Ende des Regens abzuwarten, oder den Elementen zu trotzen. Da ich meinen dicken Mantel nicht dabeihatte, beschloss ich zu warten. Dies stellte sich allerdings als schlechte Entscheidung heraus, denn es prasselte noch fast eine Stunde lang konstant vom Himmel, bis sich endlich ein Gefährt näherte, das mich trocken nach Hause brachte.

Der Vormittag war bereits weit fortgeschritten, als ich endlich in der Baker Street eintraf, wohl wissend, dass Holmes allmählich die Geduld verlieren und keinerlei weitere Verzögerungen dulden würde. Dies schiebe ich bis heute zur Rechtfertigung meiner Handlungen vor. Hätte ich jene nächsten paar Sekunden aufmerksamer wahrgenommen, wäre uns später eine Menge Kummer erspart geblieben. Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch mehr als nur ein wenig ungehalten darüber, dass sich ein verwahrlost aussehender Mann vor mir aufbaute, als ich aus der Kutsche stieg.

Ich hielt ihn für einen der zahllosen Stadtstreicher, die unsere Gegend in jüngster Zeit heimsuchten. Im Herzen wusste ich, dass viele von ihnen unverschuldet dazu gezwungen waren, sich ihr Brot zu erbetteln, aber dieser Mann mit der Hasenscharte verleitete mich dazu, einen Spitzbuben und Hochstapler vor mir zu wittern. Ich hätte ihm wohl einen Penny geben können, um ihn loszuwerden, war aber im Geiste zu sehr damit beschäftigt, mir eine plausible Entschuldigung für Holmes auszudenken. Der Zerlumpte stand mir genau im Weg, und als ich versuchte, an ihm vorbeizugehen, baute er sich vor mir auf, um mich weiter zu behindern.

„Treten Sie bitte beiseite!“, sagte ich mit bemühter Beherrschung, da ich ob seines Verhaltens zunehmend zorniger wurde.

Der Mann machte mir keineswegs Platz. Er war klein und hielt sich gebückt, sodass sein Gesicht im Schatten der breiten Krempe seines Hutes verborgen blieb. Zerzauste rote Strähnen hingen darunter hervor. Seine Kleidung war aus dicker, minderwertiger Baumwolle gefertigt, abgewetzt und vom Kragen bis zu den Knöcheln mit Schlamm bespritzt. Er ging barfuß. An seinen brüchigen, eingerissenen Zehennägeln klebte ebenfalls frischer Matsch.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte ich und ­rechnete damit, dass er sogleich seine Hand für Geld aufhalten würde.

Stattdessen schien er mich zu ignorieren und murmelte stattdessen hastig vor sich hin. Ich erkannte ein sich wiederholendes Muster, als rattere er Multiplikationstabellen herunter. Zudem schien etwas mit seiner Brust nicht in Ordnung zu sein. Es klang wie ein Rasseln, das von weit fortgeschrittener Bronchitis oder einem ähnlichen Leiden zeugte. Als er endlich deutlich sprach, legte er einen breiten schottischen Akzent an den Tag. „Mister Holmes wird dies vor Ende der Woche benötigen“, sagte er und reichte mir ein Blatt Papier.

Ich nahm es an mich, warf einen kurzen Blick darauf, und als ich wieder aufsah, ging der Mann bereits zügig und mit wiegenden Schritten davon, sozusagen in einem steten Auf und Ab, wie man es manchmal bei Leuten sieht, die sich mit einem schlecht verheilten Beinbruch plagten. Möglicherweise wäre ich ihm gefolgt, hätte ich nicht ununterbrochen daran denken müssen, wie lange ich meinen Freund schon auf unser Treffen warten ließ. Allerdings war ich immer noch neugierig genug, um nachzusehen, was ich soeben in die Hand gedrückt bekommen hatte.

Aus dem Blatt wurde ich nicht schlau. Es war achtlos aus einem Buch gerissen worden, mit dem Wort ­MALAGMA betitelt und mit einem gemalten Bild illustriert. Dieses Bild zeigte eine feuerrote Schlange, die eine goldglänzende Scheibe verschlang, die über einem Ozean hing. Davon abgesehen drohte die Seite ziemlich nass zu werden, da es wieder stärker zu regnen anfing. In wenigen Minuten würden dicke Tropfen das Papier in einen durchtränkten Faserklumpen verwandelt haben. Rasch faltete ich die Seite in der Mitte und steckte sie in meine Innentasche, bevor ich die Baker Street 221 B betrat.

Sherlock Holmes wartete in der Diele auf mich. Ich weiß nicht, wie lange er dort schon gestanden hatte, aber das Warten auf mich hatte ihn offenbar verärgert. So etwas erkannte ich sofort. Mehr noch. Ich habe den Meisterdetektiv im Laufe unserer jahrelangen Bekanntschaft in den unterschiedlichsten Gemütslagen erlebt, aber ich bin überzeugt, dies war das erste und einzige Mal, dass er durcheinander wirkte.

„Sie sind säumig, Watson“, begann er, während er mich im Flur herumdrehte, noch bevor ich meinen Hut abnehmen konnte. Er gab mir meinen dicken Mantel und schubste mich förmlich hinaus, während ich hastig das Kleidungsstück überstreifte. „Ich wäre bereits ohne Sie aufgebrochen, hätte man mich nicht ausdrücklich gebeten, Sie mitzunehmen.“

„Man?“, fragte ich.

Ich erhielt keine Antwort, sondern wurde mit sanfter Gewalt auf den Gehsteig geschoben. Holmes winkte nach einer Droschke, kaum dass wir an den Bordstein getreten waren. Schon die erste hielt an. Da ich in das Wageninnere hineingedrängt wurde, konnte ich nicht hören, welche Anweisungen er dem Kutscher gab, doch sie entbehrten wohl nicht einer gewissen Dringlichkeit, denn sogleich ging es im flotten Trab über die gepflasterten Straßen Londons. Holmes ließ sich unser Ziel auch auf Nachfragen nicht entlocken und saß während der gesamten Fahrt still da. Ob gedankenverloren oder verdrossen, vermochte ich nicht zu sagen. Angesichts der Art, wie er mich empfangen und in die Kutsche komplimentiert hatte, vermutete ich Letzteres.

Ich ging davon aus, dass wir uns eines neuen Falles annehmen würden. Die Aussicht darauf stellte mich durchaus zufrieden, denn mein Freund war in letzter Zeit zunehmend gereizt gewesen, weil er nicht umtriebig sein konnte, um seinen nimmermüden Geist zu nähren. Ich selbst hatte seine Gewitterstimmung an mehreren Abenden zu spüren bekommen und bei meinen Versuchen, eine Unterhaltung zu beginnen, stets nur mürrisch schweigsame Verschlossenheit geerntet. Sollte sich Arbeit für uns auftun, hoffte ich, dass diese genügte, um ihn zumindest vorübergehend aus seinem Tief zu ziehen.

Die Droschke fuhr uns nach Süden am Piccadilly ­Circus vorbei Richtung Fluss, was mich ein wenig verstimmte. Wäre ich im Vorfeld über unseren Bestimmungsort in Kenntnis gesetzt worden, hätte ich Holmes früher treffen können und nicht erst zurück in die Baker Street kommen müssen. Auf diese Weise hätte ich auch meine Verspätung vermeiden können. Als ich diesen Umstand anmerkte, quittierte er dies mit einem unwirschen Grunzen. Ich war heilfroh, als wir endlich ankamen, denn ein schlecht gelaunter Sherlock Holmes ist ein höchst unangenehmer Reisebegleiter.

Ich wunderte mich darüber, dass wir vor dem Parlamentsgebäude ausstiegen. Flankiert von zwei griesgrämigen Polizisten wurden wir schnellen Schrittes zum Gesellschaftsraum des House of Lords geführt. Was auch immer den Detektiv in seine anhaltende Unruhe versetzt hatte, schien von besonderer Wichtigkeit zu sein.

Die Beamten ließen uns an der Tür stehen. Drei Männer befanden sich in dem ansonsten leeren Saal. Einer saß reglos zusammengesunken in einem Sessel, die beiden anderen standen beieinander und diskutierten erregt.

„Ich will hoffen“, wandte sich Holmes an den Größeren der beiden, „dass dies nicht noch einer dieser Fälle ist, derer du dich nicht selbst annehmen willst, Mycroft. Du weißt, als Gegnern gebe ich Kriminellen stets den Vorzug vor Politikern, wenngleich die beiden oftmals faktisch wenig voneinander trennt.“

Ich für meinen Teil wusste genau, was meinen Freund so aufgewühlt hatte. Von seinem älteren Bruder bestellt worden zu sein musste gewaltig an Holmes nagen, doch sein großartiger Geist hatte in letzter Zeit akut unter ­Arbeitsmangel gelitten, sodass er diese Unannehmlichkeit in der Aussicht auf einen neuen Fall hinnahm. Was andererseits nicht bedeutete, dass ihm dieser gefallen musste, geschweige denn, dass er seinen Widerwillen verbergen würde.

Mycroft schenkte den Worten seines Bruders keine Beachtung, sondern schickte seinen Gesprächspartner mit einer knappen Handbewegung aus dem Raum. Erst als wir drei mit dem Mann im Sessel alleine waren, wandte sich Mycroft an mich. „Ich möchte Ihre Einschätzung als Arzt hören, Doktor Watson“, begann er. „Wie Sie sehen, ist Lord Menzies leicht indisponiert.“

Ich glaubte nicht einen Moment daran, dass ich wegen meiner Einschätzung als Arzt zum House of Lords gebracht worden war. Das Gebäude selbst verfügte über eine hinreichend ausgestattete Krankenstube, der ein verlässlicher Kollege vorstand, ein alter Bekannter aus meiner Zeit beim Militär. Nein, dies gehörte zu dem Spiel, das die zwei Brüder ständig miteinander trieben. Ich war nur zufällig zwischen die Fronten geraten, und das nicht zum ersten und vermutlich auch nicht zum letzten Mal. Wie dem auch sei, offensichtlich bedurfte ein kranker Mann fachkundiger Aufmerksamkeit. Also nahm ich mir vor, die Brüder mit ihren Querelen alleine zu lassen und mich um Lord Menzies zu kümmern.

„Doktor?“, fragte Mycroft nach, und mich überraschte der leise Hauch von Aufruhr in seiner Stimme. Eine Seltenheit bei einem Mann, der normalerweise ein träges Gemüt an den Tag legte. Er verwies mich mit einem Nicken zur Seite an die halb liegende Gestalt, und ich fügte mich dem Unausweichlichen.

Bei dem Mann handelte es sich um einen älteren Gentleman in ordentlichen, wenn auch leicht zerknitterten Kleidern. Am rechten Aufschlag seines Wamses war ein Fleck, der nach Ei aussah, und auf der anderen Seite befanden sich mehrere Streifen Asche, die jedoch mehr eingerieben als weggewischt worden waren. Das Haar glänzte fettig, wie es eitlen Männern ab einem gewissen Alter zu gefallen scheint. Es war so schütter, dass ich die Leberflecke auf seiner Kopfhaut erkannte.

Ich beugte mich nach vorne, um ihn zu untersuchen. Lord Menzies war bewusstlos, obwohl seine Augen weit offen standen. Er atmete gleichmäßig und sein Puls glich dem eines Menschen im Tiefschlaf. Seine Pupillen reagierten weder auf direkten Lichteinfall, noch zuckte er zusammen, als ich mit den Fingern an seinen Ohren schnippte. Ich schlug eines seiner Beine über das andere, was schwierig war, da sie nicht nachgeben wollten, beinahe so als habe die Totenstarre eingesetzt. Allerdings zeigte ein kurzes Klopfen auf den unteren Bereich seines Knies den erwarteten Reflex. Obwohl sich seine Lippen bewegten, als ob er sprechen wollte, brachte er keinen Ton heraus. Seine Hände fühlten sich kalt und feucht an, doch äußere Zeichen von Gewaltanwendung ließen sich nicht ausmachen. Ich besah seinen Schädel, tastete den Schopf nach Schwellungen oder Kratzern ab, doch auch hier deutete nichts auf ein Trauma hin.

„Nun, Doktor Watson, wie lautet Ihre Diagnose?“, wollte Mycroft wissen. Er hatte sich Holmes noch immer nicht gewidmet, aber ich war zu sehr mit dem Kranken beschäftigt, um mir Gedanken über einen Zank unter den beiden ungleichen Brüdern zu machen.

Zugegebenermaßen war ich völlig ratlos. Ich hätte ein Hirnleiden unterstellen können, allerdings war mir eines dieser Art bislang noch nicht untergekommen. „Wie es aussieht, hatte er so etwas wie einen Anfall“, antwortete ich. „Dieser Mann muss schnellstmöglich in eine Klinik gebracht werden. Womöglich baut sich Druck in seinem Gehirn auf, der diese Symptome verursacht. Jeder weitere Aufschub bis zu einer anständigen Behandlung könnte sich als tödlich erweisen.“ Ich sah mich Hilfe suchend um, doch niemand ergriff die Initiative.

Mycroft schüttelte lediglich den Kopf und wirkte nicht im Geringsten besorgt. „Ich fürchte, das wird keinen Sinn machen, Doktor“, entgegnete er. „Setzen wir uns kurz und warten ab, was als Nächstes geschieht.“

„Warum hast du eigentlich verlangt, dass ich Watson mitbringe, wenn du seinem Rat nicht Folge leistest?“, fragte Holmes und nahm mir damit das Wort aus dem Mund.

Sein Bruder winkte ab. „Ich wollte Sie nicht bloß wegen eines kranken Mannes dabeihaben“, erklärte er. „Hier geht es um mehr, als Sie auf den ersten Blick zu sehen glauben. Und ich darf Ihnen versichern, dass Sie die Reise nicht vergeblich auf sich genommen haben. Jetzt nehmen Sie bitte Platz. Es dürfte nicht lange dauern.“

Ich erkannte, dass Holmes zusehends in Rage geriet, und auch ich behielt nur widerwillig die Fassung, während der Kranke weiterhin still vor mir litt. Mycroft hingegen schien dies äußerst gelassen zur Kenntnis zu nehmen, und zwar so sehr, dass er zur Tür am anderen Ende des Saales ging und hinausrief, man möge uns von der Bar etwas zu trinken bringen. Holmes gab endlich nach, und ich folgte seinem Beispiel, indem ich mich dem Kranken gegenüber niederließ und ihn aufmerksam beobachtete, bereit, ihm sofort Hilfe zu leisten, sollte sich sein Zustand verschlimmern.

Zehn unbequeme Minuten lang versuchten wir alle, das Häufchen Elend im Sessel nicht anzustarren. Mycroft wirkte gänzlich unbeeindruckt von der Not des armen ­Kerls und war sich nicht einmal zu schade, eine längere Anekdote zu irgendeiner trunkenen Tollheit zum Besten zu geben, die sich drei Abende zuvor in diesem Raum zugetragen hatte. Ich heuchelte Interesse, wohingegen Holmes mit seinen Gedanken augenscheinlich nicht bei der Sache war. Er verbrachte mehrere Minuten damit, den Mundbewegungen des Lords besondere Beachtung zu schenken, doch falls er in der Lage war, durch Lippenlesen etwas Sinnvolles zu entschlüsseln, ließ er uns an seinen Erkenntnissen nicht teilhaben.

Nach einer Weile wurde es mir zu bunt. „Es reicht, Mycroft! Ich habe einen Eid geleistet, und der erlaubt es mir nicht, auch nur eine Minute länger untätig zu bleiben. Dieser bedauernswerte Mensch verliert womöglich vor unser aller Augen sein Leben, während wir hier ruhig herumsitzen. Das werde ich nicht zulassen!“

„Ich weiß, es quält Sie, Watson“, meinte Holmes. „Aber bitte, warten Sie nur noch ein paar Minuten.“

Ich staunte nicht schlecht, als sich der Detektiv plötzlich auf die Seite seines Bruders schlug.

„Mycroft kann man vieles vorwerfen, aber bestimmt nicht, dass er irgendetwas ohne triftigen Grund tut“, fügte Holmes hinzu, stand auf und begann, im Saal auf und ab zu gehen.

Ich ahnte, dass mein Freund es nicht wagen würde, sich Mycrofts Wünschen an dem Ort zu widersetzen, wo dieser amtierte. Just als ich meine Bitte noch entschiedener vorzubringen gedachte, geschah etwas höchst Bemerkenswertes. Lord Menzies setzte sich aufrecht hin, schüttelte sich wie ein Hund, der sein nasses Fell trocknet, und sagte: „Bitte einen kleinen Port- oder Branntwein, wenn es nichts ausmacht.“

Als er Anstalten machte, sich zu erheben, sprang ich sofort auf und drückte ihn vorsichtig zurück in den Sessel. „Bitte, bleiben Sie still sitzen“, mahnte ich. „Ich bin Arzt.“

„Arzt?“, fragte er entrüstet. „Warum, zum Teufel, sollte ich einen Arzt brauchen? Ich bin gesund wie ein Fisch im Wasser.“

Was tatsächlich der Wahrheit zu entsprechen schien. Atem und Puls blieben regelmäßig wie zuvor, doch jetzt war er zudem wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.

„Ich warne Sie, mein Freund“, bemerkte Lord Menzies, als ich wieder an seinen Ohren schnippte. „Passen Sie bloß auf, sonst verletzen Sie mich noch.“

Nichts ließ erkennen, dass dieser Mann wenige Minuten zuvor bewusstlos gewesen war und keinerlei Reaktion auf meine Untersuchung gezeigt hatte. Ich fand keine Erklärung dafür, und der Lord selbst trug auch nicht gerade zur Lösung dieses Rätsels bei. Im Gegenteil.

„Bitte, meine Herren, rücken Sie mit der Sprache heraus“, echauffierte er sich darüber, im Mittelpunkt solcher Aufregung zu stehen. „Was geht hier vor sich?“

„Wir hofften eigentlich, Sie könnten uns das sagen, Lord Menzies“, erwiderte Mycroft.

„Ich bin in diesem elenden Sessel eingeschlafen, nichts weiter. Zu viel Kedgeree1 zum Frühstück, schätze ich.“

Holmes hatte noch nichts gesagt, aber ich erkannte, dass er jetzt gelassener und eindeutig an den ­Geschehnissen ­interessiert war. Meine Bewunderung für Mycroft hatte zugenommen. Er wusste offensichtlich genau, wie er seinen Bruder für etwas erwärmen konnte. Nicht, indem er ihm eine Situation schilderte, sondern indem er ihn selbst herausfinden ließ, was los war.

In diesem Moment stand Lord Menzies auf, ohne dass er auch nur leicht gewankt hätte, und wünschte uns noch einen guten Tag.

„Sie sollten es langsam angehen, Lord Menzies“, riet ich ihm. „Sie hatten so etwas wie einen Anfall.“

„Einen Anfall?“ Er starrte mich an, als würde ich ihn zum Besten halten. „Ich weiß nicht, was Ärzte in ihrer Ausbildung heutzutage so mitbekommen, aber mir ist es nie besser gegangen.“ Damit verließ er uns und ging zum Ausschank.

Ich ließ mich mit Sherlock Holmes von Mycroft in eine Ecke des Saals führen, wo wir uns einen Drink gönnten, während er endlich erklärte, warum er uns zu sich gerufen hatte.

„Spätestens jetzt dürfte dir klar geworden sein, Sherlock, dass ich euch beide nicht einfach so aus einer Laune heraus hier haben wollte. Das war nun schon der fünfte Vorfall dieser Art in diesem Monat“, begann er. „Und jedes Mal lief es bisher auf das Gleiche hinaus. Der jeweils betroffene Lord konnte sich hinterher nicht daran erinnern, dass irgendetwas Ungewöhnliches geschehen war.“ Er fuhr mit weiteren Details zu jedem einzelnen dieser Fälle fort, obwohl es eigentlich nur wenig mehr zu berichten gab.

Wir standen vor einem ziemlichen Rätsel, aber mein Freund hatte endlich einen neuen Fall.

„Also, Watson, was halten Sie davon?“ Holmes hatte geschwiegen, bis wir wieder in einer Droschke ­saßen.

Bevor ich antwortete, ließ ich in Gedanken noch einmal Mycrofts Worte Revue passieren. „Das Muster dahinter erscheint mir zu offensichtlich, um es als Zufall abzutun. Fünf prominente Politiker, alle so kurz hintereinander mit dem gleichen Leiden geschlagen, ohne sich nach ihrer Genesung an etwas davon erinnern zu können. Das ist arg befremdlich, weshalb ich nachvollziehen kann, warum sich Mycroft grämt. So etwas könnte schnell unsere nationale Sicherheit bedrohen.“

Holmes nickte zustimmend. „Arg befremdlich, in der Tat. Aber ich fürchte, hier ist jemand am Werk, der in gezielter Absicht handelt. Merken Sie es sich für später, Watson. Dieser Fall wird uns so sehr belasten wie etwas anderes zuvor. Mycroft wittert Unlauteres, deshalb hat er darum gebeten, dass ich mich einschalte. Er ist vielleicht der faulste Mann im Empire, aber auf seine Instinkte in solchen Belangen kann man sich verlassen.“

Diese Kutschfahrt erwies sich als weitaus behaglicher als die vorangegangene, und Holmes ließ sich sogar mehrmals zu einem Lächeln hinreißen. Allein die Tatsache, dass er nach langer Zeit endlich wieder seinen Intellekt anstrengen durfte, schien ihm auf sonderbare Weise Energie zuzuführen und förderte jenen Teil von ihm zutage, der besonders leidenschaftlich war und tatsächlich auch Freude am Leben verspürte. Ich stand zu ihm, egal, in welcher Stimmung er sich der Welt zeigte, doch diese war diejenige, in der ich ihn am liebsten sah.

Wir machten uns sofort an die Arbeit. Vor unserem Aufbruch aus dem Parlament hatte Mycroft veranlasst, dass wir uns das Londoner Anwesen von Lord Menzies anschauen durften. Die Kutsche setzte uns in Belgravia, einer höchst possierlichen Siedlung, vor einem hohen Block Reihenmittelhäuser ab. Ein Butler ließ uns ein und bestand darauf, uns überallhin zu folgen, als befürchte er, wir könnten uns mit dem Familiensilber auf- und davonmachen. Indes, solche Sorgen wären ohnehin unbegründet gewesen, denn Lord Menzies pflegte offensichtlich einen äußerst spartanischen Lebensstil, weshalb in seinem Haus wenig auf etwas hindeutete, das über seinen unverhohlenen Vaterlandstolz hinausging. In den Räumen hingen große Porträts seiner Vorfahren in vollem Ornat, und ein breiter Wandteppich aus feinster Handarbeit zeigte das Familienwappen.

Als wir an einem Schreibtisch im, wie es aussah, Studierzimmer von Lord Menzies standen, fragte Holmes den Diener: „Sagen Sie, ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas am Verhalten Seiner Lordschaft aufgefallen?“

Der Mann, der seinem Arbeitgeber eindeutig treu ergeben war, zauderte zunächst. Ich dachte, Holmes könne ihn möglicherweise bestechen, sah dann aber ein, dass dies nicht die richtige Art und Weise gewesen wäre, mit diesem Mann umzugehen. Ein Geldangebot hätte nur seinen Stolz verletzt und ihn echauffiert.

Holmes dachte wie üblich weiter als ich und ließ seinen Charme spielen, statt den Holzhammer zu schwingen. „Alles, was Sie uns erzählen, wird natürlich streng vertraulich bleiben“, versicherte der Detektiv. „Mein Begleiter hier ist Arzt. Er unterliegt zwar der ärztlichen Schweigepflicht, aber er hat Lord Menzies vor Kurzem untersucht und macht sich große Sorgen um das Wohlbefinden Seiner Lordschaft.“

Holmes’ Worte zeigten Wirkung, und der Butler zog mich ins Vertrauen, wie es Leute häufig tun, wenn sie mit niemand anderem als einem medizinischen Fachmann sprechen wollen. „Es war letzten Samstag“, sagte er. „Eine kalte Nacht, Sie erinnern sich? Ich machte gerade unten Feuer, als ich ein Geräusch hörte, als sei hier oben jemand umgefallen. Sofort ging ich herauf, um nach dem Rechten zu sehen, denn Sie wissen ja, Seine Lordschaft ist nicht mehr der Jüngste. Als ich gerade die Tür öffnen wollte, rief eine Stimme, alles sei in Ordnung. Sie klang etwas eigenartig, zwar durchaus wie jene Seiner Lordschaft – und trotzdem gänzlich anders. Dann nannte er meinen Namen, ich durfte eintreten und stand neben diesem Schreibtisch hier, während er zwei Briefe schrieb. Diese sollte ich trotz später Stunde noch wegbringen, denn sie beträfen, wie er meinte, dringende Staatsangelegenheiten.