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Ferien in Südfrankreich und ein abwesender Gastgeber
Max Torberg ist ein wohlhabender Mann und besitzt in den Hügeln an der Côte d'Azur ein großzügiges Ferienhaus. Dorthin lädt er fünf alte Bekannte ein, die ihm 30 Jahre zuvor bei einem Überfall das Leben gerettet haben. Seither sind sie sich nicht mehr begegnet, nun sollen sie eine Woche in seinem Haus verbringen, wo sich seine Angestellte Anja um sie kümmert. Er selbst ist noch verhindert. Bei Rotwein, Gesprächen und gutem Essen beginnen sich seine Gäste zu fragen, worin der Grund ihres Besuchs liegt. Tatsächlich verfolgt der kluge, aufmerksame Torberg ein Ziel – das auch Anja mit einschließt.
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© Thommie Bayer 2022
© Piper Verlag GmbH, München 2022
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Cover & Impressum
Zitat
Widmung
Textbeginn
Harmonie
Fransen
Schönheit
Trauma
Lichtfleck
Flirt
Weiche Knie
Schnüffler
Angebot
Die Gäste
Schauspieler
Nur kurz
Aura
Vielleicht zu trocken
Vielleicht noch mal
Wichtig
Frühstück
Service
Statusprobleme
Wortakrobatin
Masken
Connaisseur
Ungeschützt
Champagner
Engel
Hans
Salzburg
Zikaden
Nymphen
Preziosen
Planänderung
Moral
Die ersten Verwundeten
Mimosen
Wächter
Vater und Tochter
Ersatz
Groupie
Zeitmaschine
Murks
Arme Ritter
Koller
Ramatuelle
Konturen
Doktor Julia
Lüge
Die gute Fee
Heimlichkeiten
Danke
Nachtigall
Ausguck
Voyeur
Perseiden
Materielle Güter
Nuits-Saint-Georges
Drama
Jubiläum
Plantage
Flucht
Fleißige Flics
Reaktionen
Solidarität
Ende mit Schrecken
Melancholie
Rätsel
Abschied
Charaktere
Das neue Fünfzig
Turn, turn, turn
Blowin’ in the wind
Freundschaftsdienst
Danke
Soziophobie-Lehrgang
Avatare
Raum
Heimweg
Chef
Dr. Ing. Anja Sevening – Artemisia
Dank
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
One by one the guests arrive, the guests are coming through,
the open-hearted many, the broken-hearted few.
Leonard Cohen
Für Jone
Lieber Max,
mich umgibt der Duft von Oleander und Jasmin, und die Anspannung von der langen Autofahrt lässt langsam nach. Seit einer halben Stunde bin ich jetzt hier, sitze auf der Terrasse links vom Haus und schreibe dir, weil ich so überwältigt bin, dass ich es unbedingt jemandem mitteilen muss.
Du kennst das alles, es ist ein bisschen albern, dir irgendwas zu schildern, aber vielleicht freut es dich ja, diese für dich normal gewordene Schönheit mit den Augen eines anderen Menschen neu zu sehen. Vielleicht erinnerst du dich ja daran, wie es war, als du diesen Anblick zum ersten Mal gesehen hast – vielleicht warst du ja auch so hingerissen wie ich.
Die Sonne wird demnächst untergehen, ein einzelner, recht unmelodischer Vogel legt sich noch tapfer ins Zeug, das Leben, die Schöpfung und den gelungenen Tag zu preisen, so kommt es mir jedenfalls vor, obwohl ich ja weiß, dass in Wirklichkeit nur die Männchen mit ihrer Stimme angeben, um die Weibchen herumzukriegen.
Diesen Garten hast du bestimmt selbst angelegt, er atmet deinen Geist, finde ich, alles ist so lebendig arrangiert, dass man glaubt, eine bisher unentdeckte Ecke des Paradieses als erster Mensch zu betreten. Dabei weiß ich doch schon aus dem Studium, dass die Natur solche Harmonie nicht hervorbringt. Das kann nur der Mensch. Das will auch nur der Mensch, weil er Schönheit erkennt, weil er sie braucht und gestaltet und pflegt. Jedenfalls manche tun das. Die Pappel mit den beiden Zypressen und den gelben, roten und hellgrünen Ahornbüschen, die von hier aus den Blick auf den Pool verdeckt, könnte jedenfalls von Gauguin gemalt sein und der Bambus dahinter von Hockney. Zwei vollkommen verschiedene Welten, die sich verbinden, als hätten sie vor Jahrmillionen schon einmal zusammengehört und wären nur durch eine plötzliche Kontinentaldrift getrennt worden.
Entschuldige, ich hör auf.
Wenn dir mein Geschwärme und Geschwafel auf die Nerven geht, musst du es sagen, dann versuche ich, nüchtern und ohne Fransen zu schreiben, aber mir macht es Spaß, und wenn du damit leben kannst, gebe ich Gas.
Apropos Gas geben: Das Auto, das du mir für diesen Geheimauftrag hast vor die Tür stellen lassen, ist eine Wucht. Ich weiß, dass ein Mensch meines Alters eigentlich die Wendung »eine Wucht« nicht benutzt, aber ich liebe den Sound der Sechzigerjahre, den mein Vater draufhatte, und ich liebe es, mich abzugrenzen von meinen Altersgenossen, weil ich ja in Wirklichkeit von einem anderen Stern komme.
Hm. Zu viele Fransen.
Der »kleine« Range Rover jedenfalls fährt sich leise und weich wie ein Luxusauto und flitzt wie ein Sportwagen. Auf der Strecke von Münster bis Luxemburg konnte ich ihn auch rennen lassen, ab der französischen Grenze dann natürlich nicht mehr, weil man hier überall nur hundertdreißig fährt. Den Stau südlich von Lyon habe ich gelassen hingenommen, weil die Musikanlage so fantastisch klingt, und im nächsten, auf der Höhe von Aix-en-Provence, konnte ich mein Französisch ein bisschen mit der Sprachlernsoftware aufpolieren.
Das Beste an diesem Auto ist, es passt hier durch die enge Straße. Mit meinem ächzenden alten Volvo, der’s mir für die Baustelle immer noch tut, hätte ich allein auf dem Weg von der Landstraße hier hoch zur Villa einigen Schaden angerichtet.
Jetzt ist die Sonne untergegangen, und ich will noch in den Pool und mir danach einen deiner Weine im Keller aufmachen. Da du ausdrücklich darauf bestanden hast, dass ich alles trinken darf, was da ist, werde ich nicht auf den Jahrgang schauen. Beziehungsweise doch.
Lieber Max, ich danke dir für diesen Spionagejob schon jetzt, bevor er überhaupt angefangen hat, weil es ein Privileg ist, an einem so schönen Ort sein zu dürfen.
Bis bald, deine Anja
~
Lieber Max,
jetzt schreibe ich doch noch mal, weil mein Überschwang irgendwohin muss. Und da du dich noch nicht gegen die Fransen verwahren konntest, nutze ich die Gelegenheit, dir von deinem schönen Haus vorzuschwärmen.
Ich sitze wieder draußen, genieße den Wein aus dem Roussillon in kleinen Schlucken (nicht, dass du denkst, ich saufe so was im Unverstand), habe eine dicke gelbe Kerze neben mir stehen und lasse die samtweiche Sommernacht auf mich wirken. Jetzt singt eine Nachtigall – das hattest du mir schon versprochen –, sie hält sich an deinen Auftrag und betört mich mit ihrem Repertoire an Figuren, Trillern und Klick- und Schmatz- und Flötentönen.
Ich bin müde von der langen Fahrt und wollte eigentlich nach dem Schwimmen und dem letzten Sandwich aus meinem Reiseproviant ins Bett fallen, um mich von der warmen Nachtluft in den Schlaf streicheln zu lassen, aber ich bin wohl noch zu aufgedreht. Da war kein Streicheln und auch kein Schlaf.
Ich habe mir das schönste Zimmer ausgesucht, das ganz oben rechts mit dem kleinen Balkon. Ich sehe von dort Segelschiffe und große Tanker, die weiter draußen hinter einer der Inseln vorbeifahren, und einen schmalen Sichelmond, der wie eine Gondel im Himmel liegt.
Scheißeschön würde meine Mutter dazu sagen, ich würde sie zurechtweisen, weil ich diese Ausdrucksweise nicht halb so witzig finde wie sie, aber sie würde mich nur angrinsen und sagen, du hast halt scheißegute Manieren.
Du kennst sie nicht, vielleicht würdest du sie nicht mögen, aber ich mag sie, weil sie ein Fels in jeder Brandung ist. Ein rundlicher, weicher, lästernder Fels. Als Lehrerin am Gymnasium braucht sie ihren Humor, und dass ich ihr ständiges Gewitzel nicht für Humor, sondern Tourette halte, ist ihr egal. Von ihr habe ich auf jeden Fall die Logorrhö geerbt.
Ich möchte dir ein Kompliment machen für die Einrichtung. Beim ersten Blick könnte man die Möbel und Bilder für Flohmarktfunde halten, sie trumpfen nicht auf, versuchen nicht einander zu überbieten mit augenfälligem Wert oder museumsreifer Bedeutung, aber alles hat Würde und Qualität, ich habe sogar den Eindruck, das meiste stammt hier aus der Region.
Dieses Haus legt sich wie ein warmer Mantel um mich. Ein Mantel, der nirgends zwickt oder drückt oder lastet. Es passt zu dir, finde ich.
Jetzt werde ich doch langsam müde genug, um einen zweiten Versuch zu wagen. Morgen will ich mir den Ort ansehen, den Weg zum Parkhaus abgehen, das von dir empfohlene Restaurant kontaktieren und die Supermärkte checken. Und ich will noch ausnutzen, dass ich den Pool für mich alleine habe und ohne Badeanzug schwimmen kann – ab morgen Abend ist das vorbei.
Gute Nacht, deine Anja
~
Liebe Anja,
schreib so blumig und fransig, wie du magst, es gefällt mir. Ich kann Mäander und Vignetten nicht nur vertragen, sondern auch genießen, also ist mir jedes kleine Detail und jede Marginalie willkommen.
Es freut mich, ist aber keine Überraschung, dass dein Sinn für Schönheit, die eher zurückhaltend auftritt und unterhalb der Lärmschwelle bleibt, dir den Aufenthalt in diesem Haus versüßt. Tatsächlich ist es mein Lieblingsversteck, und ich habe mir etwas dabei gedacht, diese fünf Menschen dorthin einzuladen. Ich will sie nämlich durch deine Augen besser kennenlernen. Ich habe sie seit dreißig Jahren nicht gesehen, mich ihnen aber immer verbunden gefühlt, sogar ein bisschen verantwortlich, weshalb ich alle fünf aus der Entfernung beobachtet und hier und da unterstützend eingegriffen habe, fast immer heimlich, sodass sie nicht unbedingt davon wissen müssen.
Ich nehme an, der eine oder andere ahnt es, weil die Briefe, die wir immer an Weihnachten wechseln, hin und wieder auch von Schwierigkeiten handelten, die ich dann im Hintergrund auszuräumen versucht habe. Das gelang mir natürlich nicht immer, und ich bin mir nicht sicher, ob sie mich wirklich als gute Fee ansehen, aber es könnte sein.
Du denkst jetzt vielleicht, wenn die jedes Jahr einen Brief schreiben, dann müsste ich sie doch irgendwie kennen, sie erzählen ja von sich, aber es ist etwas anderes, wie sich jemand mir gegenüber verhält, zumal nur schriftlich, als gegenüber einem ganz normalen Menschen, für den sie dich hoffentlich halten werden, der eine ganz normale Arbeit macht, nämlich das Haus eines abwesenden Besitzers zu versorgen.
Die Verbindung zwischen diesen Leuten und mir kam auf abenteuerliche Weise zustande, und ich muss ein bisschen ausholen, um dich an den Ausgangspunkt der Geschichte zu lotsen: Meine Frau Judith starb im Herbst achtundachtzig, da warst du noch nicht mal zwei Jahre alt. Ich habe sie sehr geliebt und bin mir sicher, sie mich auch. Ein fürchterlicher Autounfall bei Orléans hat ihr auf dem Heimweg von der Loire das Leben und mir den Sinn darin genommen.
Ich habe Monate zuerst in einem Sanatorium, dann im Haus meines Bruders, zuerst unter Drogen, dann nur noch stumpf und leer in einer Art Halbdämmer vor mich hin starrend verbracht, und es wurde Mai, bis ich langsam wieder wusste, wer ich war und dass ich lebe.
Ich fing an zu reisen, und zwar alleine, weil mir die Gegenwart anderer Menschen nur schwer erträglich war – ich nahm jedem von ihnen übel, dass er leben durfte und Judith nicht. Auf der zweiten größeren Reise fuhr ich durch Frankreich, und am dreißigsten August wanderte ich durch die Tarnschlucht. Der Weg führt streckenweise unten am Fluss und dann wieder oben am Rand der Hochebene entlang.
Es war noch früh am Tag, so gegen zehn Uhr, und ich begegnete fast niemandem, und wenn doch, fiel ich absichtlich zurück, indem ich eine Pause machte.
Irgendwann, oben am Steilhang an einer engen Stelle, standen zwei Männer, an denen ich zügig vorbei wollte, als einer mich packte und der andere mir ein Messer vors Gesicht hielt. Ich spürte, dass der, der mich gepackt hatte, versuchte, ein Klebeband um meine Handgelenke zu wickeln, ich wehrte mich so gut ich konnte, trat nach ihm und wollte mich seinem Griff entwinden, da zuckte der mit dem Messer plötzlich zusammen, torkelte einen Schritt rückwärts, fiel und verschwand mit einem seltsam gutturalen Laut in der Tiefe.
Gleich darauf hörte ich jemanden rufen, spürte, dass der andere mich losgelassen hatte, sah in vielleicht zehn Metern Entfernung eine Gruppe junger Leute, von denen einer einen Stein in der Hand hielt, den er nach dem zweiten Angreifer zu werfen drohte.
Der machte sich davon, seilte sich wie ein Soldat oder Polizist eines Sondereinsatzkommandos in irrer Geschwindigkeit zum Fluss hinunter ab. Mit einem Bergsteigerseil, festgezurrt an einem Baum, es war blau, aus Kunststoff und ächzte, während das Gewicht des Mannes daran zog.
Alles geschah wie in Zeitlupe und Zeitraffer zugleich. Die jungen Leute waren jetzt bei mir, ich hörte, dass sie deutsch sprachen, ich sah den Kerl inzwischen unten ein Boot starten und davonrasen, den anderen sah ich nicht. Er war nicht im Boot. Der Abhang war tief. Zwanzig, dreißig, vierzig Meter. Von oben kann man das schwer einschätzen. Der abgestürzte Angreifer war entweder schwer verletzt oder nicht mehr am Leben.
Der, der mich mit einem meisterlich gezielten Steinwurf an den Kopf dieses Kerls gerettet hatte, fragte, ob ich okay sei, und weil ich nicht sofort antwortete, stellte er die Frage noch mal auf Französisch.
Ja, sagte ich, und dass er mich gerettet habe.
Ich hab den umgebracht, sagte er, und ich konnte sehen, wie er im selben Moment leichenblass wurde. Er sackte zusammen und wurde ohnmächtig. Dass er nicht auf den Boden knallte, war der Geistesgegenwart eines seiner Begleiter zu verdanken, der ihn festhielt und behutsam in eine sitzende Haltung etwas weiter weg von der Kante zum Abhang brachte.
Ich konnte nicht denken, aber ich hörte mich selbst vorschlagen, dass wir von dieser Stelle verschwinden sollten. Wer immer jetzt hier ankäme und uns sähe, könnte uns in Erklärungsnot bringen.
Mein Retter war nicht ohnmächtig, ihm hatten nur die Beine versagt. Er rappelte sich auf, und wir gingen ein Stück weiter, bis der Weg sich wieder in den Berg bog und vom Steilhang entfernte.
Er habe das Messer gesehen und total spontan reagiert, sagte er jetzt, er habe nichts gedacht, nur den Stein genommen und geworfen und dann den nächsten Stein genommen. Er spiele Handball. Er treffe eigentlich immer.
Ich bin Ihnen unendlich dankbar, sagte ich, das wäre schlimm für mich ausgegangen.